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Rinalds Befreundung mit Roger, dem er Bradamante's Hand verspricht. Constantins Werbung für seinen Sohn Leo (1–18). Astolf entläßt die Nubier und kehrt nach Frankreich zurück (19–26). Empfang der Sieger und Rogers am Hofe (27–34). Bradamante's Eltern widersetzen sich der Heirat mit Roger (35–38). Bradamante's Klage (39–47). Rogers Klage (48–59). Bradamante's Gelöbniß (60–67). Ihr Gesuch an den Kaiser, daß, wer um sie werbe, sich im Kampfe mit ihr messen solle (68–71). Ihre Entfernung vom Hofe (71–75). Roger, um Leo zu tödten, reitet nach Belgrad und hilft den Bulgaren gegen die Griechen (76–104).
1 | In niedren Hütten oft, in engen Mauern, In Not und Trübsal, unter schwerer Last Wird Freundschaft fester binden, länger dauern Als in dem falschen Glanz, der üpp'gen Rast Der Königshöfe, wo die Ränke lauern Und Argwohn haust im prächtigen Palast, Wo alle Menschenlieb' erstarrt in Kälte Und Freundschaft nie sich zeigt als nur verstellte. |
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2 | Daher Verträge fürstlicher Partein So sehr zerbrechlich sich zu zeigen pflegen: Kaiser und Papst gehn heut ein Bündniß ein Und morgen werden sie Todfeindschaft hegen. Denn nicht dasselbe sind der äußre Schein Und die Gedanken, die das Herz bewegen. Um Recht und Unrecht kümmern sie sich nie, Und nur nach ihrem Vortheil trachten sie. 297 |
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3 | So wenig Raum für Freundschaft solche Herzen Auch haben mögen, (denn sie weilt nicht dort, Wo man bei ernsten Sachen und beim Scherzen Nie redet ohn' ein heuchlerisches Wort,) Wenn bittres Unglück sie in Not und Schmerzen Zusammenführt an einem niedren Ort, Dann werden sie von Freundschaft mehr erfahren An einem Tag' als sonst in vielen Jahren. |
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4 | Der fromme Greis auf jenem Riff verstand Die Gäste zu verknüpfen durch die Kette Der wahren Liebe, mit so fester Hand, Wie man's an Höfen nicht verstanden hätte. Von solcher Dauer war hernach dies Band, Daß nichts es löste bis zum Sterbebette. Der Greis fand alle wohlgesinnt und bieder, So rein von Herzen wie des Schwans Gefieder. |
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5 | Er fand sie liebenswert voll Höflichkeit, Frei von dem Laster, das ich erst beschrieben, Der Widersacher aller Offenheit, Die stets die Maske vor die Stirne schieben. Kein Angedenken an vergangnen Streit War unter diesen Herrn zurückgeblieben; Als wären all' aus einem Schooß entstammt, So liebten sie einander insgesamt. 298 |
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6 | Die meiste Zärtlichkeit und Ehre ließ Rinald dem jungen Roger widerfahren, Theils weil der Jüngling kürzlich ihm bewies, Wie kühn er sei und wie im Kampf erfahren, Theils weil er nie zuvor auf Ritter stieß, Die so gesittet und anmutig waren, Doch mehr noch weil aus Gründen mancherlei Er wußte, wie er ihm verpflichtet sei. |
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7 | Er wußte, wie aus tödtlicher Gefahr Roger den jungen Richard einst befreite, Als ihn des Spaniers Trabantenschar Im Bett ergriff an Flordespinens Seite, Und wie er dann das wackre Brüderpaar, Die Söhne Bovo's, in beherztem Streite Den Saracenen und der schlimmen Bande Des Bertolag entriß am Meeresstrande. |
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8 | Daher Rinald sich denn verpflichtet fand Ihn dankbar zu verehren und zu lieben Und längst Verdruß und Kummer schon empfand, Daß notgedrungen es noch unterblieben, Weil einer in des Kaisers Diensten stand, Der andre bei den Mohren war geblieben. Jetzt da er ihn als Christen wiedersah, Sollte geschehn, was früher nicht geschah. 299 |
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9 | Er war bemüht ihm liebes anzuthun Mit Anerbietungen und Artigkeiten. Als ihn der fromme Diener Gottes nun So zärtlich sah, beschloß er einzuschreiten Und kam und sprach: »Nur eins bleibt noch zu thun, (Und zu erlangen hoff' ich's ohne Streiten,) Daß, wie die Freundschaft zwischen euch besteht, Ihr auch als Schwäger euch verbunden seht, |
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10 | »Damit aus zwei Geschlechtern, deren Quellen Man als die edelsten und reinsten preist, Ein Stamm erwächst, die Erde zu erhellen Mehr als die Sonn' es kann, so weit sie kreist. Und wie zu Jahren Jahre sich gesellen, Wird er erblühn und dauern, (wie der Geist Mir offenbart, nicht um davon zu schweigen,) Solang' am Himmel währt der Sterne Reigen.« |
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11 | Und weiter redend drang der Greis in ihn, Die Schwester Rogern zum Gemal zu geben; Obwohl das Bitten kaum vonnöten schien, Denn beide dachten nicht zu widerstreben. Auch Roland und der dritte Paladin Belobten diesen Bund; sie dachten eben, Ganz Frankreich werde das Verlöbniß bill'gen Und Karl und Haimon in die Ehe will'gen. 300 |
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12 | Sie wußten nicht, daß Herzog Haimon schon Mit Karls Genehmigung für Bradamante Verhandelt hatt' um einen künft'gen Thron. Denn Constantin, der Griechenkaiser, sandte Freiwerber ihm für Leo, seinen Sohn Und Thronnachfolger einst in der Levante, Der, eh er sie gesehn, als nur sein Ohr Von ihrem Ruhm vernahm, sein Herz verlor. |
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13 | Der Herzog hatt' erklärt, auf dies Begehr Könn' er allein sich nicht mit ihm vertragen; Er müsse seinen Sohn Rinald vorher (Der nicht zur Zeit am Hofe sei) befragen. Rinald, so glaubt' er, kömmt im Flug hieher, Und solch ein Freier wird ihm wohl behagen, Jedoch aus Achtung vor dem Paladin Wollt' er sich nicht entschließen ohne ihn. |
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14 | Da nun Rinald, von seinem Vater fern, Nichts wußte von des Kaisers Anerbieten, Versprach er Rogern dort die Schwester gern, Wie er es selber wünscht' und alle rieten, Ich meine Roland und die andren Herrn, Und wie er es vernahm vom Eremiten, Und glaubte wirklich, Haimon habe Grund Sich sehr zu freuen über diesen Bund. 301 |
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15 | An diesem Tage blieben sie zu Gast, Und einen Theil des nächsten, bei dem Greise. Ihr Fahrzeug hatten sie vergessen fast, Obwohl das Wetter günstig war zur Reise. Dem Schiffer aber ward zu lang die Rast; Er schickte Boten, die in solcher Weise Zum Aufbruch diese Herrn zu treiben wußten, Daß sie vom Klausner Abschied nehmen mußten. |
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16 | Roger verließ den fels'gen Inselstrand, Wo sein Exil so lange Wochen währte, Und reichte nun zum Abschied dem die Hand, Der ihm das Wort des wahren Heils erklärte. Graf Roland gab ihm Hectors Kriegsgewand Zurück und den Frontin mitsamt dem Schwerte, Theils um ihm seine Liebe zu bezeigen, Theils weil er wußt', es war vordem sein eigen. |
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17 | Der »fürchterlichste Garten« ist der mehrgedachte der Fee Fallerina, welche das Schwert Balisarde, eigens um Roland zu tödten, angefertigt und mit der Kraft, gefeite Waffen zu durchschneiden, ausgestattet hatte. Roland gewann ihr in schrecklichen Kämpfen das Schwert ab. | Und o mit wie viel größrem Recht verbliebe Der Zauberdegen bei dem Paladin, Der heiß und schwer mit manchem scharfen Hiebe Im fürchterlichsten Garten rang um ihn! Und Roger hatt' ihn nur von jenem Diebe Geschenkt erhalten mit dem Roß Frontin. Doch hatte Roland gleich das Schwert gegeben, Als jener bat, Rüstung und Roß daneben. 302 |
18 | Indeß der Greis für sie um Segen flehte, Betraten endlich sie des Schiffes Bord. Die Ruder tauchten ein, das Segel wehte, Und so, bei klarem Wetter, ging es fort. Da braucht' es nicht Gelübde noch Gebete, Und sicher lief man in Marseille's Port. Dort laßt sie bleiben, bis in ihrer Mitte Astolf erscheint, der sieggekrönte Britte. |
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19 | Sobald Astolf von jenem Sieg erfahren, Der blutig war und ohne Fröhlichkeit, Und als vor afrikanischen Gefahren Frankreich nun sicher war für alle Zeit, Macht' er des Nubierkönigs Kriegerscharen Zur Heimkehr in ihr Vaterland bereit Auf eben jenem Weg, den sie gekommen, Als er sie nach Biserta mitgenommen. |
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20 | Zurückgeschickt war schon von seinem Vetter Die Flotte, die den Heiden überwand, Und – neues Wunder! – Balken, Maste, Bretter (So wie das schwarze Volk ausstieg ans Land) Verwandelten urplötzlich sich in Blätter Und kehrten wieder in den vor'gen Stand. Dann kam der Wind und wehte sie nach oben Und trieb sie durch die Luft, und sie zerstoben. 303 |
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21 | Notus ist der Südwind. | Zu Fuß, zu Rosse schied aus Mohrenlanden Des mächtigen Senapus Heergeleit, Doch schwor Astolf vor Abzug dieser Banden Ihm grenzenlose, ew'ge Dankbarkeit, Weil in Person er treu ihm beigestanden Nach aller seiner Macht und Fähigkeit. Den wilden Notus gab er ihnen auch Zu tragen mit im dichtverschlossnen Schlauch. |
22 | Im Schlauche, sag' ich, gab er diesem Heere Den Wind, der grimm aus Süd zu stürmen pflegt, Den dürren Sand aufwühlt gleich einem Meere Und wirbelnd ihn empor gen Himmel fegt, Damit er ihnen nicht den Marsch erschwere, Bis sie den Wüstenweg zurückgelegt; Und wann sie in dem eignen Lande seien, Dann sollten sie ihn aus der Haft befreien. |
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23 | Turpin erzählt, daß, als die Nubierscharen Die Atlaspäss' erreichten, plötzlich dort All ihre Pferde wieder Steine waren, Und wie sie kamen, zogen sie auch fort. Jetzt aber muß Astolf gen Frankreich fahren. Nachdem er erst für jeden wicht'gen Ort In Afrika gesorgt, ging er von dannen Und ließ den Vogel Greif die Flügel spannen. 304 |
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24 | Bis nach Sardinien trug ein erster Schwung Und ans Gestade Corsica's ein zweiter. Von dort aus macht' er etwas links den Sprung, Und übers Meer gen Norden flog er weiter. Und endlich in der sumpf'gen Niederung Der blühenden Provence hielt der Reiter, Und mit dem Flügelthier verfuhr er dort Nach Sanct Johannes des Apostels Wort. |
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25 | »Das Gestirn wo alles ist, was hier vergeht,« ist nach dem, was im 34. Gesange erzählt wird, der Mond. | Befohlen hatt' ihm der Evangelist, Daß er von dort den Greif nicht weiter sporne Und ihm die Freiheit gönne nach der Frist Und keinen Zaum anlege seinem Zorne. Schon hatte das Gestirn, wo alles ist, Was hier vergeht, den Schall geraubt dem Horne; Denn nicht nur heiser ward es, sondern schwieg, Seit er zu jenen Himmelshöhen stieg. |
26 | So that Astolf, und nach Marseille zog er, Als Roland und der Herr von Montalban, Der gute Held Sobrin, der bessre Roger Und Oliver ihr Schiff im Hafen sahn. Der Schmerz um Brandimart, noch überwog er Die Freude, daß sie nun ihr Werk gethan, Und dämpfte den Triumph der Paladine, Der sonst nach solchem Sieg natürlich schiene. 305 |
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27 | Karl hatte von Sicilien schon Bericht: Die beiden Kön'ge todt, Sobrin gefangen, Gefallen Brandimart; und minder nicht Hatt' er von Rogers Taufe Kund' empfangen. Sein Herz war froh und froh sein Angesicht; Die Last, die fürchterliche, war vergangen, Die schwer auf seinen Schultern lag, als würde Er nimmer sich aufrichten von der Bürde. |
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28 | Um sie zu ehren, die er dankbar pries Als beste Stützen seiner heil'gen Krone, Schickt' er den Adel Frankreichs aus und ließ Von diesem sie empfangen an der Saone. Dann kam er selbst entgegen aus Paris, Um ihn die Könige, Fürsten und Barone, An seiner Seite, herrlich anzuschauen, Die Kaiserin, umringt von schönen Frauen. |
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29 | Der Kaiser, strahlend jetzt vor Wohlgefallen, Die Paladine, Ritter, Clerisei, Die Freunde, die Verwandten, die Vasallen Begrüßten Roland und die andren drei. Mongran' und Claramont! hört man erschallen. Kaum war's mit den Umarmungen vorbei, Als Roland, Oliver, Rinald sich nahten Und Roger führend vor den Kaiser traten 306 |
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30 | Und ihn und seines Vaters Namen nannten, Vater und Sohn an Kraft und Tugend gleich. Und wahrlich, unsre Legionen kannten Sein kühnes Herz und seines Armes Streich. Marfisa kam indeß mit Bradamanten, Ein edles Paar, an Schön' und Anmut reich, Die Schwester ihre Arm' um Roger breitend, Die andre scheu und sittsam sie begleitend. |
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31 | Roger besteigt sein Roß, wie Karl begehrt, (Denn ehrerbietig war er abgestiegen,) Und reitet mit dem Kaiser Pferd an Pferd, Und jede Ehre, die nach hohen Siegen Ein Held erwarten kann, ward ihm gewährt. Daß er sich taufen ließ, blieb nicht verschwiegen; Denn kaum betrat der Graf das trockne Land, So ward die Botschaft an den Hof gesandt. |
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32 | Mit großem Jubel und Triumphgepränge Zieht in die Hauptstadt das gesamte Heer, Die lustig grünt im Schmuck der Laubgehänge. Die Pferde gehn auf Teppichen einher. Ein Blumenschauer regnet ins Gedränge Über die Sieger, um die Sieger her, Den Mädchen, schöne Frau'n mit vollen Händen Aus Fenstern und von Söllern niedersenden. 307 |
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33 | In allen Straßen, wo die Helden reiten, Stehn Pforten und Trophäen zum Empfang Mit Bildern von den Kriegsbegebenheiten Und von Biserta's Brand und Untergang, Auch manches Schaugerüst für Lustbarkeiten, Für Bühnenspiel und Masken und Gesang, Und aller Orten prangt in goldnen Lettern Die wahre Inschrift: unsres Reichs Errettern! |
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34 | Beim Schalle der Trompeten und Schalmein, Bei Harmonieen kriegerischer Klänge, Beim Händeklatschen, Lachen, Jubelschrein Des Volkes, dem die Straße ward zu enge, Zog in das Schloß der große Kaiser ein, Woselbst er nun noch manchen Tag der Menge Der Gäste gütlich that mit Schmaus und Tanz, Turnier und Possenspiel und Mummenschanz. |
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35 | Jetzt gab Rinald dem Vater davon Kunde, Daß Roger um der Schwester Hand gefreit Und er sie zugesagt mit frohem Munde In jener Paladin' Anwesenheit, Die ganz wie er gedacht von solchem Bunde; Denn was Geblüt' angeh' und Tapferkeit, So sei kein Freier, der im ganzen Reiche Den Roger übertreffe, nur ihm gleiche. 308 |
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36 | Verdrießlich hörte Haimon, daß der Sohn, Ohn' ihn zu fragen, über Bradamante Verfügen wollte, die er selber schon Dem Sohne Constantins zu geben brannte, Nicht einem Mann, der nichts, geschweige Thron Und Reich, auf dieser Welt sein eigen nannte. Weiß er denn nicht, daß Adel wenig zählt Und Tugend wen'ger noch, wenn Reichtum fehlt? |
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37 | Noch mehr als Haimon zürnt die Herzogin. Anmaßend wird ihr Sohn und frech geheißen, Und offen und geheim strebt sie dahin, Die Tochter diesem Werber zu entreißen. Nein, Bradamante werde Kaiserin, Deß wird sie sich mit aller Macht befleißen. Hartnäckig blieb Rinald; kein Jota ließ Er ab von dem, was er zuvor verhieß. |
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38 | Die Mutter denkt, das stolze Töchterlein Sei ihres Sinns, und rät ihr, dreist zu sagen, Viel besser, als den armen Mann zu frein, Würd' ihr fürwahr der blasse Tod behagen. Die Mutter würd' ihr nimmermehr verzeihn, Wenn sie Rinalds Beschimpfung wollt' ertragen. Sie möge nur fest bleiben; denn Gewalt Und Zwang sei nicht zu fürchten von Rinald. 309 |
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39 | Die Tochter steht und schweigt; der Mut gebricht, Dem mütterlichen Rat zu widersprechen, Und ihre Ehrerbietung ahnt es nicht, Daß Kinder manchmal den Gehorsam brechen. Doch hält sie andrerseits es auch für Pflicht, Nicht das, was sie nicht thun will, zu versprechen. Sie will nicht, denn sie kann nicht; Amor läßt Von Freiheit ihr auch nicht den kleinsten Rest. |
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40 | Und weil zu Ja und Nein die Kräfte fehlen, So seufzt sie nur, antwortet keinen Laut. Die Thränen aber strömen, nicht zu zählen, Als sie allein ist und sie keiner schaut. Mitfühlen muß die Schmerzen, die sie quälen, Das blonde Haar, des Busens zarte Haut; Denn jenes raufend, diesen wild zerschlagend, Redet sie also, ihr Geschick beklagend. |
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41 | »Ich unglücksel'ge, kann ich jemals wollen, Was sie nicht wollen, die den Willen, mehr Als ich es darf, in mir regieren sollen? Gilt mir mein Wille mehr als ihr Begehr? Ist das die Achtung, die wir Eltern zollen? Ach, welche Sünd' ist für ein Kind so schwer Als bei der Gattenwahl den Willen dessen, Dem es Gehorsam schuldet, zu vergessen? 310 |
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42 | »Kann meine Kindespflicht mich ärmste lehren, Dich zu verlassen, zu vergessen dein, Mein Roger, und das Herz hinweg zu kehren Zu neuen Wünschen, neuem Hoffnungsschein? Ja, oder soll Gehorsam, sollen Ehren, Die gute Kinder guten Eltern weihn, Nichts gelten? soll ich nichts zum Ziel mir setzen Als meine Lust, mein Glück und mein Ergetzen? |
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43 | »Wohl weiß ich, was ich sollte; ach, die Pflicht Der guten Tochter hab' ich völlig inne. Ich weiß es, doch was hilft es mir, wenn nicht Vernunft so viel Gewalt hat wie die Sinne? Wenn Amor sie vertreibt, die Kraft ihr bricht, Nie duldet, daß ich wähl' und mich besinne Auf andre Wahl, als die er selbst empfiehlt? Wenn ich nur sag' und thu', was er befiehlt? |
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44 | »Haimons und Beatrice's Tochter bin ich Und, ach, bin Amors Sklavin, Amors Magd. Von meinen guten Eltern wohl gewinn' ich Verzeihung, wenn ich sträfliches gewagt.; Doch wenn ich Amor kränke, wie entrinn' ich, Daß nicht sein Grimm mich ins Verderben jagt Daß er auch nur auf meine Gründe hörte Und nicht alsbald mich tödtet' und zerstörte? 311 |
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45 | »Ich wollte Roger mit geduld'ger Treue Herüber in den Schooß der Kirche ziehn Und that es auch, und eh ich sein mich freue, Wird andren meines Werkes Frucht verliehn. So macht die Biene Jahr um Jahr aufs neue Den Honigseim, und nie besitzt sie ihn. Eh aber stürb' ich, eh es dazu käme, Daß ich statt Roger einen andren nähme. |
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46 | »Wenn nicht der Mutter und wenn nicht dem Vater, Werd' ich dem Bruder doch gehorsam sein, Der klüger ist als sie, ein bessrer Rater; Ihm schrumpft noch nicht das Hirn vor Alter ein. Und was Rinald verlangt, dazu erbat er Sich Rolands Rat: so folg' ich also zwein, Die alle Welt mehr achtet, und mit Recht, Als unser ganzes übriges Geschlecht. |
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47 | »Wenn sie die Blüte sind, wenn jeder glaubt, Daß sie den Ruhm und Glanz des Hauses tragen, Wenn sie so hoch, und höher als das Haupt Die Füße, all die andren überragen, Weshalb ist dann zu wollen nur erlaubt, Was Haimon sagt, und nicht was jene sagen? Weshalb? zumal man Rogern fest verhieß, Was man dem Griechen unentschieden ließ.« 312 |
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48 | Wenn sich das Fräulein so mit Kummer plagt, So hat auch Roger keine frohe Stunde. Zwar hatte das Gerücht noch nichts gesagt, Er aber hatte doch von allem Kunde Und hatte schon sein Schicksal angeklagt, Das ihm sein Brot wegnehme vor dem Munde, Weil es ihm Macht und Reichtum nicht gewährt, Die es in Füll' unwürdigen beschert. |
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49 | An allen Gütern, die der Fleiß erreichen, An allem, was Natur uns geben kann, Besitzt er seinen Antheil, und so reichen, Wie ihn kein andrer Sterblicher gewann. An Schönheit müssen ihm die schönsten weichen, An Kraft besiegt ihn kaum ein zweiter Mann, An Edelmut, an wahrem Königsglanz Gebürt wohl keinem mehr als ihm der Kranz. |
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50 | Jedoch der Pöbel, der die Lorberreiser Nach seiner Laune zu- und aberkennt, (Und alles, bis auf eine Anzahl Weiser Zähl' ich zu dem, was man den Pöbel nennt, Von dem auch Päpste, Könige und Kaiser Nicht Kron' und Scepter noch Tiara trennt, Sondern Vernunft und Weisheit, seltne Gaben, Die wen'ge nur von Gott empfangen haben,) 313 |
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51 | Nun dieser Pöbel also, wollt' ich sagen, Der nichts verehrt als nur Besitz und Geld Und nicht nach andren Dingen pflegt zu fragen Und ohne Reichtum nichts in Ehren hält, Nicht höchste Schönheit, heldenmüt'ges Wagen, Nicht Körpers Kraft, nicht größte Kunst der Welt, Nicht Geist noch Tugend, – der ist mächt'ger eben In diesem unsren Fall als sonst im Leben. |
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52 | Der Jüngling sprach: »Will Haimon für sein Kind Durchaus ein Kaisertum sich ausbedingen, So schließ' er dies Geschäft nicht so geschwind Und gönne mir ein Jahr, um sie zu ringen. Dann hoff' ich beid', eh dieses Jahr verrinnt, Den Vater und den Sohn ums Reich zu bringen, Und wenn ich ihre Kronen so gewann, Läßt Haimon mich wohl zu als Tochtermann. |
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53 | »Macht er dagegen jetzt den Constantin Zum Schwiegervater meiner Bradamante, Und will er dem Versprechen sich entziehn, Zu dem Rinald wie Roland sich bekannte Vor Markgraf Oliver, König Sobrin Und jenem Heiligen, den Gott mir sandte, Was soll ich dann thun? in Geduld mich fassen Oder mich, eh ich's dulde, tödten lassen? 314 |
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54 | »Was soll ich thun? für diese Kränkung Rache An ihrem Vater nehmen? Nicht allein Daß Haß mir nicht geziemt in solcher Sache Und der Versuch sehr thöricht könnte sein, – Nein, auch gesetzt daß ich ihn niedermache, Den Starrkopf, sammt der Sippschaft groß und klein, So wird es mir doch nie mein Glück erringen, Vielmehr um das, was ich gewünscht, mich bringen. |
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55 | »Mein Wunsch ist doch des schönen Mädchens Liebe, Nicht etwa, ihren Haß mir zuzuziehn, Und wenn ich Haimon schlüg' und Dinge triebe, Die zum Verderben ihrem Haus gediehn, Macht' ich sie nicht zur Feindin dann und bliebe Ihr eine andre Wahl als mich zu fliehn? Was also soll ich thun? soll ich's ertragen? Beim Himmel nein! eh soll man mich erschlagen. |
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56 | Pirithous wurde vom Cerberus zerrissen, da er Proserpina entführen wollte. | »Was sag' ich? jener Leo mag verderben, Das ist gerechter; er, der den Genuß Des höchsten Glücks mir raubt, er möge sterben, Und Constantin dazu: das sei der Schluß. So theuer soll dem Paris nicht sein Werben, Proserpina nicht dem Pirithous Zu stehn gekommen sein, wie Rogers Groll Den Griechen jetzt zu stehen kommen soll. 315 |
57 | »Kannst du, mein Leben, ohne Herzenspein Um diesen Griechen deinem Freund' entsagen? Kann dich dein Vater zwingen ihn zu frein, Selbst wenn die Brüder nicht zu reden wagen? Jedoch ich fürchte, dir wird's lieber sein Mit Haimon als mit mir dich zu vertragen, Und eine bessre Wahl wird Cäsar dann Dir scheinen als ein schlichter Rittersmann. |
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58 | »Ist's möglich? kann der Name Kaiserin Und Pomp und Glanz des Thrones so dich rühren Und meiner Bradamante hohen Sinn Und reine Tugend dergestalt verführen, Daß sie gelobte Treue giebt dahin Und los sich sagt von feierlichen Schwüren, Statt daß sie Haimons Zorn zu trotzen wagt Und, was sie mir gesagt hat, immer sagt?« |
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59 | So klagte Roger in der Einsamkeit. Bisweilen aber sprach er, wann er klagte, So laut, daß andre, die nicht allzuweit Vom Orte waren, hörten, was er sagte, Und ihr, für die er litt, ward so das Leid Gar bald bekannt, das ihm am Herzen nagte, Und seinen Schmerz zu hören, schmerzte fast Noch mehr als ihres eignen Kummers Last. 316 |
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60 | Doch mehr als jeder Schmerz, den sie vernahm Von Rogers Qualen, schmerzte dieser eine, Zu hören, wie die Furcht ihn überkam, Daß sie den Griechen woll' und falsch es meine. Um ihn zu trösten nun in seinem Gram Und ihm den Wahn zu nehmen, schickt sie eine Der treuen Kammerfraun zu Roger hin Und läßt ihm sagen durch die Dienerin: |
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61 | »Roger, ich werde bleiben, was ich war, Bis in den Tod und, kann es sein, auch droben, Ob Amor hold ist, ob des Mitleids bar, Ob unten mich Fortuna schwingt, ob oben, – Ein Felsen wahrer Treu', unwandelbar, Um den die Brandung und die Winde toben, Und nie in Stürmen noch bei glatter See Wich ich vom Platz, noch werd' ich weichen je. |
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62 | »Bleierner Meißel oder Feil' aus Zinn Gräbt eher Bildwerk in des Demants Flächen, Eh mein getreues Herz und festen Sinn Fortuna's Schläg' und Amors Zorn zerbrechen. Eh fließt zum Alpengipfel wieder hin Das trübe Wasser in geschwollnen Bächen, Eh jemals – möge was da will geschehn – Meine Gedanken andre Wege gehn. 317 |
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63 | »Euch, Roger, gab ich alle Herrlichkeit Über mich selbst, – vielleicht ist das kein kleines, – Und keinem Fürsten ist mit Schwur und Eid Ein Herz verknüpft, das treuer wär' als meines. Kein Kaiser hält mit größrer Sicherheit Das Regiment im Staat als Roger seines. Euch thun nicht feste Thürm' und Gräben not, Damit kein andrer euer Reich bedroht. |
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64 | »Das Reich wird, ohne daß ihr Truppen dingt, Nie Angriff sehn, dem es nicht widerstände. Auch fürchtet nicht, daß Reichtum mich erringt; Man kauft kein edles Herz um niedre Spende. Nicht Rang, nicht Glanz, der einen Thron umringt, Damit er das Gesicht des Pöbels blende, Noch Schönheit, die so viel bei Thoren gilt, Wird mir gefallen je wie euer Bild. |
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65 | »Befürchtet nicht, (denn fern ist die Gefahr,) Man könne neue Form ins Herz mir prägen; Denn allzutief ist euer Bild fürwahr Darein geformt: wer könnt' es fortbewegen? Und daß mein Herz kein Wachs ist, zeigt' es klar; Denn nicht mit einem Schlag, mit hundert Schlägen Schlug Amor ihm die ersten Splitter ab, Als er die Form nach eurem Bild' ihm gab. 318 |
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66 | »Das Elfenbein, den Onyx, jeden Stein, Der hart dem Meißel trotzt, kann man zerspalten, Jedoch die Form, die wir zuerst ihm leihn, Kann man hernach nicht weiter umgestalten. Mein Herz wird immer wie der Marmor sein, Einmal geformt muß es die Form behalten. Viel leichter ist's, daß Amor es zerschlägt, Als andre Schönheit in dies Herz mir prägt.« |
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67 | Zu diesen fügte sie noch manches Wort Voll süßen Trostes und voll Lieb' und Treue, Und litt' er tausendfachen Tod und Mord, Dies gäbe tausend Leben ihm aufs neue. Doch als die Hoffnung nun im sichren Port Sich glaubte, wo kein Sturm sie mehr bedräue, Da kam ein neues Wetter, schwarz und schwer, Und warf sie wieder weit vom Land' ins Meer. |
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68 | Die Jungfrau nämlich, brennend vor Begier, Noch mehr zu thun, als Roger hofft' und dachte, Ließ alle Scheu beiseite, die in ihr Sonst mächtig war; ihr alter Mut erwachte, Und kühn zum Kaiser tretend sprach sie: »Sire, Wenn je ich etwas gut und löblich machte Für eure Majestät, so mögt ihr nun Mir ein Geschenk zu gönnen wohl geruhn. 319 |
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69 | »Und eh ich deutlich sag', um was ich flehe, Gebt euer fürstlich Wort mir und versprecht Mir's zu gewähren, und hernach ersehe Mein Kaiser, daß es gut ist und gerecht. –« »Daß ich, mein theures Kind, dir zugestehe, Was du dir wünschest, ist dein gutes Recht,« Versetzte Karl; »ich schwör', ich will's gewähren, Solltest du auch ein Stück des Reichs begehren.« |
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70 | »Dies ist's, was ich von meinem Herrn begehre, Nicht zuzulassen, daß ein Mann mich freit, (So fuhr sie fort,) der nicht sich erst bewähre, Daß mehr' er könn' als ich im Waffenstreit. Wer mich verlangt, erprobe mit dem Speere Oder dem Schwerte seine Tapferkeit. Wer mich zuerst besiegt, soll heim mich führen; Besieg' ich ihn, klopf' er an andre Thüren.« |
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71 | Der Kaiser sagte mit vergnügten Mienen, Daß dies Verlangen ihrer würdig sei; Sie könne ruhig sein: um ihr zu dienen, Nehm' er in jedem Punkt für sie Partei. Nicht heimlich war die Zwiesprach zwischen ihnen, Und zuzuhören stand auch andren frei; Am selben Tage hatten schon die Alten, Beatrix und der Herzog, Kund' erhalten. 320 |
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72 | Die waren sehr erbost und angethan Von dieser Botschaft, die man ihnen brachte, Da sie aus Bradamante's Antrag sahn, Daß sie nach Roger mehr als Leo trachte. Und schnell, um zu vereiteln diesen Plan, Auf den die Tochter schlau sich Rechnung machte, Lockten die Eltern sie vom Hofe fort Und führten sie mit sich nach Rochefort. |
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73 | Dies war ein Schloß, das Haimon vor nicht lang Empfangen hatt' aus seines Lehnsherrn Händen, Das zwischen Carcassonne und Perpignan Am Meere lag auf schroffen Felsenwänden. Dort hielt man sie gleichsam in Haft und Zwang, Um später sie nach Griechenland zu senden, Damit sie dort, von ihrem Roger fern, Den Prinzen nehme, ungern oder gern. |
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74 | Sittsamer war ein zweites Mädchen kaum, Wie keine tapfrer war und keine stärker. Man ließ ihr ein- und auszugehen Raum, Und ohne Wachen blieben Thür und Erker; Doch fügte sie gehorsam sich dem Zaum Des Vaters. Aber lieber Tod und Kerker Und Folter zu bestehn, nahm sie sich vor, Als den zu lassen, dem sie Treue schwor. 321 |
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75 | Als nun Rinald erkennt, daß ihm die Alten Die Schwester weggeführt mit Hinterlist Und daß er über ihre Hand zu schalten Nicht mehr vermag, sein Wort vereitelt ist, Da schilt er so und wird so ungehalten, Daß er die Rücksicht eines Sohns vergißt. Haimon indeß fragt wenig nach dem Schelten; Sein Wille soll für seine Tochter gelten. |
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76 | Nach römischem Hofstil ist augustus das Prädicat der lebenden, divus der verstorbenen Kaiser. | Auch Roger hört's und ist in großer Not: Er muß, so scheint's, die Braut verloren geben. Sie kann dem Bitten und dem Machtgebot Nicht widerstehn, wenn Leo bleibt am Leben. Im Herzen still beschließt er Leo's Tod; Augustus mag zum Divus sich erheben, Und – täuscht die Hoffnung nicht – so soll zugleich Der Vater fallen und des Vaters Reich. |
77 | Ein weißes Einhorn in Rot war das Wappen der Este, ehe der weiße Adler von ihnen angenommen wurde. | In Hectors Harnisch kleiden ihn die Knappen, Den er im Kampf dem Mandricard entwand. Dann satteln sie Frontin, den guten Rappen; Doch tauscht er Schild und Helmzier und Gewand. Den weißen Aar im himmelfarbnen Wappen Verschmäht er für die Fahrt nach Griechenland; Das Einhorn wählt er sich zum Wappenbilde, Weiß wie der Lilienkelch, im roten Schilde. 322 |
78 | Den treusten seiner Knappen, keinen zweiten, Gesellt er sich auf seiner Reise bei Und schärft ihm ein, ihn schweigsam zu begleiten Und nie zu sagen, daß er Roger sei. So, über Maas und Rhein und weiter reiten Nach Oesterreich und Ungarn diese zwei; Dann längs des Ister, rechts vom Strome, traben Sie weiter, bis sie Belgrad vor sich haben. |
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79 | Wo in den Donaufluß die Save fällt, Um dann mit ihm sich nach der See zu biegen, Sieht er ein großes Lager und Gezelt, Darüber kaiserliche Banner fliegen. Denn Constantin lag eben jetzt im Feld, In Belgrad die Bulgaren zu bekriegen. Mit aller seiner Macht war in Person Der Kaiser dort, und Leo auch, sein Sohn. |
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80 | In Belgrad selbst und draußen allerwegen Vom Berg herab bis an die Uferau Steht der Bulgar, dem Constantin entgegen, Und beide Völker trinken aus der Sau. Der Grieche wollte just die Brücke legen, Und der Bulgar verhinderte den Bau, Als Roger eintraf, und im besten Raufen Fand er auf beiden Seiten schon die Haufen. 323 |
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81 | Die Griechen waren vierzig gegen zehn Und hatten Fahrzeug' in den Fluß gezogen Und schienen stürmisch drauf und dran zu gehn, Als wollten sie gerade durch die Wogen. Indeß marschirte Leo ungesehn Vom Flusse weg durchs Land in weitem Bogen Und kehrte dann zum Fluß zurück und schlug Die Brück' und kam herüber schnell genug. |
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82 | Und nun, mit Fußvolk und mit Reiterei, Die ihrer volle zwanzigtausend waren, Ritt er den Fluß entlang, und mit Geschrei Stürmt' alles in die Flanke der Bulgaren. Der Kaiser, als er merkte, Leo sei Am linken Ufer mit den ganzen Scharen, Ließ Brück' an Brücke legen, Boot an Boot, Und rückte vor mit vollem Aufgebot. |
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83 | Der König der Bulgaren hieß Vatran, Ein kluger Feldherr und von tapfrem Mute. Was Menschen möglich ist, hatt' er gethan, Damit der Angriff ihn nicht überflute; Vergebens! Leo kömmt ihn zu umfahn Mit starker Hand und wirft ihn von der Stute, Und weil er die Gefangenschaft verschmäht, Wird er von tausend Schwertern weggemäht. 324 |
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84 | Erst hielten die Bulgaren wacker Stand; Nun, da sie ihres Fürsten Tod gewahren, Sieht man, anstatt dem Feinde zugewandt, Die Stirnen da, wo erst die Rücken waren. Roger, der sich umringt von Griechen fand Und diese Flucht sah, wollte den Bulgaren Beistehen und besann sich nicht zu sehr: Er haßte Constantin, Leo noch mehr. |
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85 | Er spornt Frontin, und der, wie Windeswehen, Fliegt weit vor allen andren Rennern her, Bis er sie einholt, die das Feld verschmähen, Bergan sich flüchtend vor dem Griechenheer. Er hält die Flücht'gen an, daß sie die Zehen Dem Feind zukehren, senkt dann selbst den Speer Und stürmt entgegen nun den Griechenrittern, Daß Jupiter und Mars im Himmel zittern. |
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86 | Der erste, den er anlief mit dem Speere, Trug auf dem Waffenrock in Karmesin Mit Gold gestickt und Seiden eine Aehre Mit ihrem Stengel, Hirse wie es schien. Das war des Kaisers Neff', und so als wäre Sein Sohn der Jüngling, liebt' ihn Constantin. Harnisch und Schild zerstob in tausend Stücken, Als Rogers Speer ihn traf durch Brust und Rücken. 325 |
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87 | Den läßt er da und Balisarde schwingt er Nun auf den nächsten Troß und sprengt hinein, Und jetzt auf diesen, jetzt auf jenen springt er, Schlägt dem den Schädel, dem die Rippen ein. Hier in der Brust, dort in der Weiche schminkt er Den Degen, treibt ihn jetzt durchs Schlüsselbein, Mäht Schultern, Hüften, Beine, Arm' und Hände, Und wie ein Fluß rinnt Blut durch das Gelände. |
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88 | Bald ist nicht einer in der ganzen Schar, Der fechten möchte; Schrecken lähmt die Glieder. Die Schlacht erhält, die schon verloren war, Ein neues Ansehn, und ermutigt wieder Kehrt seine Stirn zum Angriff der Bulgar, Der eben floh, und wirft die Griechen nieder. Mit einem Schlage löst sich alle Zucht, Und alle Banner wenden sich zur Flucht. |
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89 | Leo Augustus war, als er die Schlacht Verloren sah, auf einen Berg gestiegen Und gab voll Schreckens und Betrübniß Acht, (Denn dort sah er die Ebne vor sich liegen,) Wie jener eine Held die ganze Macht Des Kaisers schlug mit wunderbaren Siegen, Und notgedrungen, was er selbst auch litt, Pries er den Mann, der so gewaltig stritt. 326 |
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90 | Wohl ward ihm durch des Ritters Tracht und Zeichen Und durch die goldverzierten Waffen klar, Der Krieger, wenn er auch mit mächt'gen Streichen Dem Feinde beistand, sei doch kein Bulgar. Erstarrt sah er die Thaten ohne gleichen Und dachte wohl, daß aus der Himmelsschar Ein Engel niederstieg, um Gott zu rächen Für Griechenlands unzählige Verbrechen. |
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91 | Und weil er edel war und groß und gut, – Statt, wie die meisten thäten, ihm zu grollen, Verliebt' er sich in seinen Heldenmut Und hätte nimmermehr ihn kränken wollen. Und flösse sechsmal mehr vom Griechenblut, Hätt' er sein halbes Reich verlieren sollen, Es würd' ihm nicht so sehr zu Herzen gehn, Als wenn er diesen müßte sterben sehn. |
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92 | Wie Kinder, die vom theuren Mütterlein Gezüchtigt werden und hinausgetrieben, Nicht nach der Schwester und dem Vater schrein, Nein, wiederkommen und die Mutter lieben, So kann auch Leo, als der Griechen Reihn Vor Rogers Degen fallen und zerstieben, Ihn drum nicht hassen: der Bewundrung Sporn Treibt mehr zur Lieb' als der Verlust zum Zorn. 327 |
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93 | Roger jedoch zu lieben und zu preisen, Lohnt sich nur schlecht für diesen edlen Herrn; Denn Roger haßt ihn, brennt es zu beweisen Und tödtete mit eigner Hand ihn gern. Er läßt nach ihm sein Aug' im Felde kreisen Und fragt und forscht. Jedoch der gute Stern Und auch die Klugheit des erfahrnen Griechen Hält diesen fern vom Weg des fürchterlichen. |
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94 | Leo befahl den Rückzug mittlerweil, Eh Roger ihm die letzten hab' erschlagen, Und schickt zu Constantin in aller Eil, Er solle schnell und ohne viel zu fragen Über den Fluß zurückgehn; wenn er heil Ins Lager komme, sei von Glück zu sagen. Er selbst zog mit dem Reste seiner Schar Zur Brücke, wo er hergekommen war. |
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95 | Doch unter dem Bulgarenschwerte sanken Noch viele hin auf Hügeln und auf Aun, Und setzte nicht der Fluß dem Sieger Schranken, Er würd' auch noch die letzten niederhaun. Von Brücken stürzten viele, die ertranken, Und mancher lief weit weg, ohn' umzuschaun, Um an die Furt des Stromes zu gelangen, Und viele schleppte man zur Stadt, gefangen. 328 |
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96 | Als nun der Streit zu Ende war gestritten, In welchem der Bulgar Unheils genug, Nachdem der König todt war, hätt' erlitten, Wenn nicht der Held für sie die Feinde schlug, (Den wackren Helden mein' ich, der inmitten Des roten Schilds das weiße Einhorn trug,) Da kamen, die den Sieg gesehen, alle Zum Sieger mit Triumph und Jubelschalle. |
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97 | Die einen grüßen ihn, die andren knien, Noch andre küssen ihm die Füß' und Hände. Ein jeder drängt sich nah heran an ihn, Als würde selig, wer ihm nahe stände, Ihn gar berührte; denn den Leuten schien Er ein Geschöpf, das Gott vom Himmel sende. Und alles Volk begann laut aufzuschrein, Er soll' ihr Haupt, ihr Fürst, ihr König sein. |
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98 | Roger versetzte, wenn man es begehre, Woll' er es sein, doch Kron' und Hermelin Könn' er für jetzt nicht anthun, und es währe Ihm auch zu lang', in Belgrad einzuziehn; Denn ehe Leo weiter mit dem Heere Abrück', um übers Wasser zu entfliehn, Woll' er ihm nach, nie weichend von der Fährte, Bis er ihn fass' und tödte mit dem Schwerte: 329 |
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99 | Er sei ja nur, um diesem Wunsch genug Zu thun, dreihundert Meilen weit geritten. So ließ er die Versammlung stehn und schlug Den Weg ein, welchen Leo schon beschritten, Hinstrebend nach der Brücke wie im Flug, In Furcht vielleicht, er sei schon abgeschnitten. In aller Eile folgt' ihm Roger nun, Ohn' erst sich nach dem Knappen umzuthun. |
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100 | Indeß war Leo weit vorausgeflohn, (Denn eher Flucht als Rückzug war's zu nennen). Der Weg war frei noch, und der Kaiserssohn Ließ Brück' und Schiffe hinter sich verbrennen. Als Roger ankam, war die Sonne schon Hinab und Obdach nirgend zu erkennen. Er trabte weiter, denn der Mond schien hell, Doch fand er kein Gehöft und kein Castell. |
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101 | Und ohne abzusteigen, ritt er fort, Da kein Quartier sich bot, das ihn empfange. Zur linken endlich sah er einen Ort, Als sich die Sonn' erhob zu neuem Gange. Und er beschloß den Tag zu rasten dort, Damit Frontin zu seinem Recht gelange, Der ohne Futter, ohne zu verschnaufen, Die Nacht hindurch den weiten Weg gelaufen. 330 |
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102 | Ungardo war der Herr in Stadt und Schloß, Ein Günstling Constantins und treuer Diener, Der eine Schar zu Fuß und auch zu Roß Gestellt hat zu dem Heer der Byzantiner. In diesen Ort, der nicht sein Thor verschloß, Kam Roger, und so gut empfangen schien er, Daß er nicht nötig fand in West und Ost Quartier zu suchen oder bessre Kost. |
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103 | Zur selben Herberg kam auch kurz vor Nacht Ein Ritter aus Romania geritten; Der war dabei gewesen in der Schlacht, Die Roger den Bulgaren hatt' erstritten, Und Roger hätt' ums Haar ihn umgebracht, Und Angst, unmenschliche, hatt' er erlitten. Er bebte noch, als ob er in der Nähe Stets noch den Ritter mit dem Einhorn sähe. |
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104 | Als er den Schild nun sah, wußt' er sofort, Der Ritter, der den Schild ins Haus getragen, Sei eben jener, der den großen Mord Verübt hab' und das Griechenheer geschlagen. Er lief aufs Schloß und bat um Einlaß dort, Um dem Gebieter wichtiges zu sagen, Und was er sagte, als er Einlaß fand, Wird euch im folgenden Gesang bekannt. 331 |