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Karl V. und sein Sohn Philipp waren mit der Maßnahme der englischen Königin, Elisabeth auf ein entferntes Schloß zu bringen, sehr zufrieden. Was später mit ihr zu tun sei, darüber würden Zeit und Umstände entscheiden. Vorläufig handelte es sich hauptsächlich darum, die Volksmeinung nicht noch mehr gegen die spanische Heirat aufzureizen. Karl V. gab Maria nur den Rat, die gefährliche Schwester nicht aus den Augen zu lassen. Sie solle dem von manchem ihrer Vorgänger gegebenen Beispiel folgen und Elisabeth der strengen Aufsicht einiger zuverlässiger Männer unterstellen. Im Notfall Männern, die unbarmherzig jede Widersetzlichkeit an ihr zu bestrafen wüßten.
Maria entschied sich ganz im Geheimen für Sir Henry Bedingfield, einem strengen Katholiken, zwar biederen, doch ziemlich plumpen und starrköpfigen Edelmann aus Norfolk. Er war für seinen Pflichteifer und seine militärische Zucht bekannt. Als Aufseher einer störrischen Prinzessin also ihrer Meinung nach aufs beste geeignet. Gleich sein erstes Auftreten in seinem neuen Amt, als Nachfolger des Gouverneurs im Tower, Lord Gage's, muß Elisabeth einen Schrecken einjagen.
Man hat sie über ihr ferneres Schicksal natürlich vollkommen in Unwissenheit gelassen. Am 4. Mai betritt Bedingfield mit 100 Mann seiner Soldaten den Tower. Die zu Tode erschrockene Gefangene denkt nicht anders, als man holt sie zum Richtplatz. Heimlich und ängstlich fragt sie ihre Umgebung,, ob das Schafott Jane Greys wohl abgebrochen sei. Man beruhigt sie darüber. Aber wohin wollen diese Männer sie führen? Sie erfährt nur auf Befragen der Ihrigen, man glaube, Bedingfield habe Befehl, sie nach Woodstock zu bringen. Warum? Was hat man mit ihr vor? Angst und Schauder befallen sie aufs neue. Hat Bedingfield den geheimen Auftrag, sie zu ermorden? Ist ihm eine solche Tat zuzutrauen? Er wäre weder der erste, dem ein derartiger Befehl erteilt wurde, noch sie das erste Opfer in der Geschichte. Sie weiß, zu ihres Vaters und in früherer Zeit ist mancher auf diese Weise für immer von der Welt verschwunden. Was gilt ihrer ehrgeizigen und herrschsüchtigen Schwester ihr Leben? Zwei Monate hat sie sie im Tower gefangen gehalten, abgeschlossen von allem, was draußen in der Welt vorgeht. Elisabeth traut Maria das Schlimmste zu. So vergehen noch vierzehn Tage in grauenhafter Ungewißheit um die Zukunft.
Endlich am 19. Mai ist alles für ihre Entlassung aus dem Tower bereit. Man zieht auch jetzt vor, sie per Schiff wegzuführen, um jede Manifestation von seiten der Londoner Bevölkerung zu vermeiden. Noch am selben Abend trifft sie in Richmond ein, ohne daß ihre Barke vor Westminster, der Residenz Marias, Halt gemacht hat. Außer Bedingfield begleitet sie noch Lord Williams of Thame. Er ist einer ihrer früheren Freunde. Seine Nähe beruhigt sie etwas. Auch daß die Londoner sie nicht vergessen haben, erfreut sie. Man hat ihre Fahrt auf der Themse doch nicht völlig geheimhalten können. Als ihr Boot an den Hansabüros vorbeikommt, werden Freudenschüsse aus Anlaß ihrer glücklichen Befreiung abgefeuert. Denn man nimmt an, Elisabeth sei nun wirklich frei. In Westminster werden diese Salven sehr ungnädig von der Königin aufgenommen. Die spanischen Gesandten berichten es brühwarm Karl V.
Das Gerücht, daß die Königin sich mit ihrer Schwester versöhnt habe, bestätigt sich nicht. Im Gegenteil, Elisabeth wird weiter als Gefangene behandelt. Zwar gebraucht Maria jetzt wieder den Ausdruck »Schwester« für sie, was sie, während die Prinzessin im Tower war, geflissentlich vermied. Auch Elisabeths Bild hängt wieder in Westminster. Es mußte auf Befehl der Königin von der Wand genommen werden, als man die Prinzessin einkerkerte. Dennoch ist Maria weit entfernt von einer Versöhnung.
In Richmond ist es Elisabeth höchst unheimlich. Man trennt sie von ihrer Dienerschaft. Ihre ganze Umgebung flößt ihr Mißtrauen ein. In der Nacht läßt sie einen ihrer Herren rufen. »Ich sterbe gewiß diese Nacht«, sagt sie zu ihm. Er tröstet sie so gut er kann. Er ist ja selbst im Unklaren und in banger Verzweiflung, was mit ihr geschehen könne. Dann begibt er sich zu Lord Williams, um sich Gewißheit über das Schicksal seiner jungen Herrin zu holen. Entsetzt über den Verdacht, sagt der Lord: »Wenn je ein so verruchter Vorsatz im Spiele wäre, würde ich lieber zu ihren Füßen sterben.«
Elisabeth bleibt indes Tag und Nacht von Soldaten bewacht, in steter Furcht, ihr Leben angetastet zu sehen. Die Freundschaft des französischen Gesandten Noailles wäre ihr beinahe von neuem gefährlich geworden. Als er sie in Freiheit weiß, glaubt er, seine Intrigen weiter spinnen zu können. Er hält es für unbedingt nötig, ihr Mut zuzusprechen und ihr Hoffnung auf glücklichere Zeiten zu machen. Zu diesem Zweck sendet er einen Boten an sie ab unter dem Vorwand, ihr Äpfel zu bringen. Der Bote wird abgefangen und untersucht. Aber er ist so geschickt, sich herauszureden und nichts zu verraten. Die Gefahr geht an Elisabeth vorüber.
Am nächsten Tag bricht man von Richmond nach Windsor auf. Elisabeth, jetzt wieder etwas sicherer geworden, gibt Sir Henry Bedingfield auf der Reise eine harte Nuß zu knacken. Es ist nicht so leicht, der Wächter einer großen Dame zu sein. Er weiß oft nicht ein und aus mit ihr. Einmal ist sie zu erschöpft – sie kann nicht weiter. Ein andermal paßt ihr die langsame Fahrt nicht. Als sie am Ufer der Themse ein paar ihrer verabschiedeten Diener bemerkt, soll man jemand zu ihnen schicken und ihnen sagen lassen: Man führe sie, Elisabeth, gleich einem Lamm zur Schlachtbank. Bedingfield darf es nicht gestatten. Es wäre offene Auflehnung gewesen. Elisabeth ist empört.
In Windsor angekommen, ist sie mit den Zimmern, die man für sie bestimmt hat, höchst unzufrieden. Sie läuft, trotz ihrer noch vor ein paar Minuten behaupteten Schwäche, durch das ganze Schloß, um sich selbst die Gemächer auszusuchen, die ihr passen. Bedingfield ist verzweifelt. Er schreibt sofort an den Rat der Königin und holt Instruktionen ein.
Am folgenden Tag geht die Reise zu Pferd weiter. Durch die englische Landschaft. Die Leute in den Dörfern jubeln ihr zu. Elisabeth wird mit Blumen und Konfekt förmlich überschüttet. In West Wycombe, dem Hause Sir William Dormers, hält sie ein wenig Rast. Man bereitet ihr einen fürstlichen Empfang. Dasselbe geschieht in Ricote, der Besitzung Lord Williams of Thame. Bedingfield selbst berichtet darüber an die Königin. In einem seiner Briefe heißt es: »Sir William Dormers bewirtete Ihro Gnaden aufs beste, sowohl was das Essen als auch das Wohnen betrifft. Von Lord Williams of Thame aber wurde sie in jeder Weise wundervoll empfangen.« Die Glocken läuten sogar in manchen Dörfern, was eigentlich nur beim Einzug eines Souveräns üblich ist. Viele Edelleute kommen mit ihren Damen nach Ricote, in Lord Williams' Haus, um der jungen Prinzessin, als wäre sie von Gunst und Ansehen umgeben, ihre Aufwartung zu machen. Das stärkt um vieles Elisabeths Selbstbewußtsein.
Auf der Weiterreise nach Woodstock wiederholt sich die Begeisterung der einfachen Landbevölkerung. Überall begrüßen sie die Worte: Gott schütze Eure Gnaden! Daß sie dafür später eingesperrt werden, daran denken sie nicht. Ihre liebe Mylady Elisabeth ist wieder frei! Das ist der einzige Gedanke. Sogar bei der Ankunft in Woodstock scheut sich die Menge nicht, Elisabeth zu feiern, trotzdem man jetzt, in Hinblick auf die vielen bewaffneten Soldaten, die um das Schloß aufgestellt waren, nicht mehr in Zweifel sein kann, daß die Prinzessin als Gefangene kommt.
Man bestimmte zur Wohnung Elisabeths nicht die feste Ritterburg Woodstock selbst, sondern vier kleine Zimmer eines innerhalb ihrer Ringmauern gelegenen Hauses, Gate-House genannt. Es war leichter und sicherer zu bewachen. Bedingfield hat jetzt die alleinige Verantwortung ihrer Person, denn Lord Williams verabschiedete sich am Tage nach der Ankunft von ihr und kehrte nach London zurück.
Maria hat dafür gesorgt, daß ihre Schwester in Woodstock der schärfsten Bewachung und Kontrolle unterstellt ist. Kein Besuch darf sich ihr nähern, ohne daß Bedingfield seine Erlaubnis dazu erteilt. Die Tore werden hinter ihr genau so verschlossen wie im Tower. Um die Mauer laufen Tag und Nacht Wachen. Auf einer Anhöhe in der Nähe der Burg steht eine Abteilung scharfbewaffneter Soldaten, bereit, jeden Versuch zur Entführung oder Entweichung der Prinzessin zu verhindern. Elisabeth ist jeder Briefwechsel streng verboten. Geschenke darf sie ebenfalls nur ausnahmsweise und mit Bedingfields Erlaubnis empfangen. Ihre Dienerschaft beschränkt sich auf das Nötigste. Ihre liebe Kate Ashley ist natürlich nicht darunter. Maria hat mit Recht gegen diese Dame das größte Mißtrauen. Elisabeth behält zwar ihren Schatzmeister Thomas Parry. Doch es ist ihm untersagt, in ihrem Hause zu wohnen. Man wollte ihn anfangs überhaupt nicht in Woodstock lassen, da er jedoch sämtliche finanziellen Geschäfte der Prinzessin geleitet hat, muß man ihn dulden. Er logiert sich ganz in der Nähe von Gate House, im Gasthof »Zum goldenen Ochsen« ein. Auch einige Diener Elisabeths wohnen außerhalb ihrer Hofhaltung. Natürlich lassen sie diese relative Freiheit nicht unbenutzt. Einer ist unter ihnen, der besonderen Verdacht erregt. Es ist Francis Werne (Verney). Er tritt später in der Verschwörung Kingsdon wieder auf.
Daß das Wirtshaus zum Ochsen sehr bald der Regierung verdächtig wird, ist kein Wunder. Zu Parry kommen eine Menge Leute. Die Freunde Elisabeths gehen aus und ein. Seine und ihre Dienerschaft ist beständig unterwegs von einem Haus zum anderen. Der Schatzmeister hat ja vieles zu fragen und Befehle von ihr zu erhalten! Denn Elisabeth muß aus ihrer eigenen Tasche für die Kosten ihrer Hofhaltung aufkommen, sie muß sogar noch die ihr beigegebenen Leute und Wächter der Königin unterhalten. Bedingfields Verantwortung wird immer größer. Er ist nicht der brutale Kerkermeister, als den ihn viele Historiker und seine Gegner hingestellt haben. Aber er ist ein höchst pedantischer und gewissenhafter Staatsdiener, der genau seine Vorschriften befolgt und keine Ausnahme kennt. Seine hohe Schutzbefohlene macht ihm die Aufgabe keineswegs leicht. Ihrer raffinierten Klugheit ist ein so ehrlicher, aber nicht besonders hellsichtiger Kopf nicht gewachsen. Viele Jahre später denkt sie noch daran, wie es ihr gelungen ist, die Wachsamkeit dieses ehrlichen Bedingfield zu hintergehen. Als Elisabeth die Königin der Schotten in Chartley gefangen hielt und erfuhr, daß der französische Gesandte Chateauneuf mit Maria Stuart in geheimer Verbindung stand, schrieb sie ihm: »Herr Gesandter, Sie unterhalten ein geheimes Einverständnis mit der Königin der Schotten. Doch glauben Sie mir, ich weiß alles, was in meinem Lande vorgeht. Ich bin nämlich zur Zeit meiner Schwester Maria auch Gefangene gewesen und kenne die Schliche, die Gefangene anwenden, um die Diener zu gewinnen und sich geheime Verbindungen zu verschaffen.«
So streng auch Bedingfield sich an die Vorschriften der Königin und des Staatsrates in der Bewachung Elisabeths hält, es gelingt ihr doch, sich vieles von ihm zu erschmeicheln. Seine Ängstlichkeit und Genauigkeit brauchen nur Zeit, um sich der Genehmigung der Regierung zu versichern. Elisabeth wiederum gelangt fast immer durch Hartnäckigkeit und Schlauheit zu ihrem Ziel. Sie verlangt Bücher, eine englische Bibel. Erst werden sie ihr von ihrem Wächter verweigert, dann erhält sie sie doch. Sie besitzt weder Tinte noch Feder, denn das Schreiben ist ihr aufs strengste verboten. Sie möchte indes so gern an die Königin schreiben. Bedingfield darf es ihr nicht gestatten, weil er genauen Befehl vom Staatsrat hat, daß die Gefangene jedes Schreiben an die Königin unterlasse. Dann, meint Elisabeth, wolle sie selbst an den Staatsrat schreiben. Bedingfield muß auch das verweigern. Endlich auf dringende Vorstellung gewährt der Staatsrat ihr die Bitte, einen Brief an Maria zu schreiben. Sir Henry hat es nicht über sich gebracht, der Regierung das Gesuch seiner kapriziösen Gefangenen nicht vorzulegen.
Bedingfield aber steht hinter Elisabeth, wenn sie schreibt. Muß sie ihren Brief unterbrechen, dann wird ihr Tinte und Papier weggenommen. Bedingfield steckt das angefangene Schreiben zu sich und gibt es ihr erst dann zurück, wenn sie Zeit hat, es fortzusetzen.
Der Brief Elisabeths an Maria fällt nicht so aus, wie ihn die Königin erwartet hat. Sie verlangt ein volles Geständnis oder wenigstens eine Bitte um Verzeihung. Doch dazu versteht sich Elisabeth nicht. Nie wird sie ihre Schwester um Gnade anflehen. Lieber will sie ihr Leben lang Gefangene bleiben. Auch Maria gibt nicht nach. Sie antwortet erst zehn Tage später auf diesen Brief, aber nicht Elisabeth persönlich, sondern in einem an Bedingfield gerichteten Schreiben. Sie nennt darin Elisabeths Selbstverteidigung »voll Heuchelei und Schliche«, auf die sie nicht mehr reinfalle. Ihr ganzes Gebaren sei erkünstelt und scheinheilig.
Maria hat nicht so unrecht. Was aber bleibt Elisabeth anders übrig, als bis zuletzt ihre Unschuld zu beteuern und ihre wirklichen Gefühle in religiösen und anderen Dingen zu verbergen? Ehrlich darf unter Maria niemand eine der Regierung und Kirche entgegengesetzte Meinung bekennen, ohne sein Leben zu riskieren. Elisabeth hat ohne Frage vieles von der Verschwörung Wyatts und anderen Intrigen gegen Maria gewußt. Ob sie sie in dem Punkt, daß sie die Krone dann erhalten werde, gebilligt hat, ist eine andere Frage. Wahrscheinlich nicht. Ihrem stolzen Charakter lag es fern, Leuten etwas zu verdanken, was sie als ihr absolutes Erbrecht als englische Prinzessin betrachtete. Sie verachtete im Grunde ihres Herzens die Rebellen, wie aus ihrer Konfrontierung mit James Croft zur Genüge hervorgeht. Die englische Krone wollte sie sich nicht »aneignen«, sondern sie aus den Händen des englischen Volkes empfangen, wenn ihre Zeit gekommen war. Aber – und darin liegt des Rätsels Lösung – es ist ihr nicht gleichgültig, welches Ansehen sie bei ihren zukünftigen Untertanen genießt. Für Vergrößerung ihrer Popularität beim Volke ist ihr nichts zu gefährlich. Ereignisse, wie der Aufstand Wyatts mit den vielen grausamen, ja unmenschlichen Bestrafungen vonseiten Marias, vor allem aber ihre Einkerkerung im Tower können Elisabeth nur nützen, selbst wenn ein Teil des Publikums überzeugt wäre, sie sei nicht ganz ohne Kenntnis der Dinge gewesen. Die ungeheure, immer mehr anwachsende Partei der Protestanten sieht in Elisabeth die in ihrer Ehre und fürstlichen Würde, in ihrem Glauben beschmutzte Thronerbin, eine Art Märtyrerin – wozu Elisabeth allerdings die wenigste Anlage hat. Aber die Rolle dünkt ihr nicht schlecht, die man ihr zuteilt. Es reizt sie auch, immer mit der Gefahr zu spielen. Sie braucht das aufpeitschende Element zu ihrem Leben wie die großen Eroberer die Gefahren der Kriege, die großen Abenteurer die Gefahren der Welt brauchen. Obendrein ist Elisabeth eine sehr typische Frau. Sie braucht Bewunderung, Anbetung und Liebe. Die Mittel, das zu erreichen, sind typisch weiblich bei ihr, zum großen Teil durch Erziehung und Umwelt ihrem Charakter eingeprägt. Die Kunst der Verstellung, die sie so früh anwenden lernt, leistet ihr später als Herrscherin die besten Dienste in ihrer Politik. Verstellung wendet sie jedoch hauptsächlich in zweckdienlichem Sinne an. Andererseits können sich ihre Freunde auf sie verlassen. Das einmal gegebene Wort bricht sie nicht. Ein ihr anvertrautes Geheimnis gibt sie nicht preis. Was kann sie nach dem mißlungenen Putsch anderes tun als immer wieder alles ableugnen, wenn sie die vielen darin verwickelten Freunde nicht dem Tode überliefern will? Das ist ihr schon als Fünfzehnjährige in der Intrige Seymour klar gewesen. Jetzt, als Zwanzigjährige, handelt sie nicht anders. Maria kann Himmel und Erde in Bewegung setzen, ihre klügsten und geschicktesten Staatsmänner Elisabeth entgegenstellen, sie vor die erfahrensten Richter bringen – nie wird sie von dieser jungen Frau mit dem starken Persönlichkeitsbewußtsein die ganze Wahrheit erfahren! Nie wird sie diesen stolzen, zielbewußten Menschen zwingen, sich zu beugen. Elisabeths Wege, zum Ziel zu gelangen, sind hundertfach verschlungen. Maria und ihre Räte stehen ratlos vor diesem Labyrinth. Nie werden sie daraus herausfinden!
Elisabeth kann es auch in Woodstock nicht unterlassen, ein wenig mit dem Feuer zu spielen. Sie schlägt ihrem »Kerkermeister« Bedingfield so manches Schnippchen. Trotz der strengen Bewachung, trotz aller Vorsichtsmaßregeln, trotzdem sie weder Briefe noch Besuche erhält, empfängt sie doch manche Nachricht von außen. Sie ist genau unterrichtet, daß sich die Stimmung sehr zu Ungunsten Marias gewendet hat und die große Menge alle ihre Hoffnungen auf eine bessere Zeit – mit Elisabeth an der Spitze – setzt. Sie erfährt auch, daß alle in Wyatts Verschwörung verwickelten Gefangenen nichts zu ihrem Nachteil ausgesagt haben. Es trägt viel dazu bei, ihre eigene Verteidigung mit derselben Taktik weiter zu führen, die sie bis jetzt angewandt hat. Unerschütterlich bleibt sie mit kluger Berechnung, den Blick in die Zukunft gerichtet, die Frau, an deren Herzenskälte alles zerschellt. Die Frau, die später selbst kein Mitleid, keine Gnade kennt, wenn es sich um Staatsvergehen handelt.
Der Kampf und die Komödie zwischen den beiden Schwestern gehen also weiter. Da Maria so lange Zeit verstreichen läßt, ehe sie antwortet, versucht es Elisabeth wieder einmal mit Krankheit, um den Kontakt mit dem Hofe nicht ganz zu verlieren. Sie verlangt, man möge ihr die Ärzte der Königin schicken. Ihr Gesicht, ihre Arme und Beine sind geschwollen. Bedingfield bringt den Bescheid, es sei unmöglich, ihr augenblicklich diesen Wunsch zu erfüllen. Einer der königlichen Leibärzte sei krank, der andere verreist, der dritte, Dr. Owen, unabkömmlich. Er verordne ihr jedoch ein gutes Abführmittel. Also ein erneuter Beweis der Ungnade Marias. Dazu noch der Hohn.
Elisabeth schäumt innerlich vor Wut. Als man ihr vorschlägt, einen anderen Arzt aus der Umgegend zu Rate zu ziehen, entgegnet sie:
»Nein, ich habe keine Lust, meinen Gesundheitszustand vor Fremden darzulegen.«
Sir Henry hat ihr noch nicht gewagt zu sagen, daß er seit einigen Tagen schon die Antwort der Königin auf ihren Brief in Händen hat. Da ergreift Elisabeth selbst die Gelegenheit eines Morgens während der Messe. Sie fragt ihn direkt, ob denn nicht eine Antwort von der Königin eingetroffen sei.
»Gewiß, Euer Gnaden, wenn Sie befehlen Ihnen darüber Mitteilung zu machen.«
»Bitte.«
Bedingfield zieht seine Notizen aus der Tasche. Er hat Befehl, nur einiges aus dem Originalbrief Marias an Elisabeth zu übermitteln.
Als sie sieht, daß es kein Brief an sie persönlich ist, kann sie den Zorn über die ihr angetane Beleidigung kaum bemeistern.
»Gleichgültig aber sagt sie:
»Nein, legen Sie es mir nach dem Essen vor.« Sie muß erst die Herrschaft über sich selbst wieder gewinnen. Nach dem Diner läßt sie Bedingfield rufen und erfährt nun, in welchen Ausdrücken Maria ihren Brief bewertet hat.
»Nun gut«, meint sie, »da die Königin, wie ich zu meinem größten Bedauern bemerke, nicht mehr durch meine scheinheiligen Briefe belästigt werden will, so muß ich Sie wohl bitten, Sir Henry, für mich beim Staatsrat vorstellig zu werden. Ich werde Ihnen alle Hauptpunkte erklären, auf die ich Wert lege.«
Bedingfield lehnt ab. Es entspreche weder seiner Stellung, noch seinen Vorschriften, Bittschriften für sie einzureichen oder zu schreiben.
»Wieso?«, braust sie auf. »Im Tower darf jeder Gefangene seine Angelegenheiten dem Gouverneur mitteilen und dieser übermittelt es dann dem Staatsrat. Ich aber, ich werde gemeiner behandelt als der geringste Verbrecher vom Zuchthaus in Newgate! Für den dürfen sich wenigstens seine Freunde einsetzen.« Und im Tone völliger Demut und Verzweiflung fügt sie hinzu:
»Mein Gott, soll ich denn mein ganzes Leben in dieser Hoffnungslosigkeit verbringen? Ohne eine andere Stütze als die Wahrheit meiner Sache! Ich lege sie in Gottes Hand! Ihm allein empfehle ich mein Geschick. Komme was wolle! Immer werde ich die treue Untertanin meiner Königin bleiben, die ich mein ganzes Leben gewesen bin.« Damit hat sie den frommen Katholiken gewonnen. Wenn jemand Gottes Schutz und Zeugnis anruft, darf er doch nicht zweifeln, wie ernst es gemeint ist.
Sir Henry berichtete die Worte seiner jungen Gefangenen noch am 4. Juli in einem Briefe an den Staatsrat. Regierungsmänner und Königin sind gerührt und sehen ein; jedem Gefangenen muß gestattet werden, ein Gesuch einzureichen. Elisabeth darf also den Staatsräten schreiben, sogar den Brief an die Königin direkt senden. Maria befiehlt es ausdrücklich, damit sie ihn lesen kann, noch bevor der Staatsrat ihn zu Gesicht bekommt.
Jetzt plötzlich hat es Elisabeth gar nicht mehr eilig. Vorläufig genügt ihr, daß sie ihren Willen durchgesetzt hat. Die Genehmigung Marias datiert vom 7. Juli. Die kapriziöse junge Prinzessin antwortet erst am 30. Inzwischen ist sie wieder krank geworden, ohne jedoch noch einmal nach den Hofärzten zu verlangen. Als sie Tinte und Feder erhält, fällt ihr ein, nicht selbst zu schreiben. Briefe an Staatsräte schreiben Mitglieder des Königshauses nicht persönlich. Dazu sind ihre Sekretäre da. Ihr steht keiner in Woodstock zur Verfügung. Sir Henry tut ihr jetzt auch diesen Gefallen. Er schreibt in ihrem Namen.
Unter erneuten Versicherungen ihrer Unschuld und absoluten Königstreue bittet Elisabeth jetzt die Räte ernstlich, man möge sie entweder unter positive Anklage vor ein Gericht stellen, damit sie ihre Sache verteidigen könne, oder ihr gestatten, vor der Königin in Person zu erscheinen. Das würde sie doch niemals wagen zu fordern, wenn sie ihrer Sache nicht gewiß wäre. Und wolle man ihr weder das eine noch das andere gestatten, so bitte sie einige der Herren, selbst nach Woodstock zu kommen, damit sie aus ihrem eigenen Munde vernähmen, was sie zu sagen hätte. Auf diese Weise würde sie sich wenigstens nicht so von aller Welt verachtet und verlassen fühlen.
Sieben Tage später, am 7. August, läßt die Königin durch ihre Räte Elisabeth mitteilen, sie werde ihr Gesuch prüfen. Maria ist inzwischen schon seit nahezu zwei Wochen verheiratet. Das Glück, endlich Philipp bei sich zu haben, nach dem sie sich immer leidenschaftlicher gesehnt hatte, je länger er sie warten ließ, füllt vorläufig ihr ganzes Denken aus und die damit verbundenen Feste nehmen viel Zeit in Anspruch.