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Während des ganzen Aufstands wartet Maria vergebens auf eine Nachricht Elisabeths. Sie bleibt krank und kommt nicht. In Ashridge verschanzt sie sich wie in einer Festung. Ihre Leute sind alle bewaffnet. Sie will auf jedes Ereignis, wie es auch sei, vorbereitet sein.
Inzwischen aber hat sich ihre Lage und die Meinung über sie im Lager der Königin ungeheuer verschlechtert. Das Glück ist Elisabeth diesmal nicht hold. Erstens wird ganz zu Anfang der Ereignisse ein Brief Wyatts an sie aufgefangen, worin er ihr seinen siegreichen Einzug in Southwark mitteilt. Dann findet man bei dem in Gravesend verhafteten Kurier des französischen Gesandten Noailles die Abschrift eines Briefes Elisabeths an die Königin Maria, in französischer Übersetzung. Es ist die Antwort auf Marias Mitteilung ihrer Heirat mit Philipp, hat also im Grunde nichts mit der Verschwörung zu tun. Immerhin, was hat dieser Brief Elisabeths in der diplomatischen Korrespondenz des Gesandten Heinrichs II. zu tun? Elisabeth ist indes in diesem Fall unschuldig. Einer ihrer Diener hat den Brief in die Hände der Franzosen geschmuggelt.
Auch die Depeschen des französischen Gesandten an seinen Hof sind höchst kompromittierend für Elisabeth. Es geht deutlich daraus hervor, daß die französische Partei hofft, die Prinzessin, um die sich in Ashridge ein Hof ergebener Bewunderer und Anhänger schart, an die Spitze der Regierung zu setzen. Sie sind bei der geringsten Gelegenheit bereit, sie als ihre Königin auszurufen und anzuerkennen. Noailles verhehlt seinem Gebieter nicht, daß »die Sachen außerordentlich gut stehen – Gott sei Dank! Bald hofft er auch Heinrich II. noch bessere Nachrichten geben zu können«, und man möge nur ja die nach Frankreich geflüchteten Engländer gut behandeln. Der Aufstand in London bereite sich glänzend vor.
Nun das waren wohl Gründe genug, Marias Mißtrauen gegen ihre Schwester zu verstärken, besonders, als sie durch die Ereignisse die meisten Punkte bestätigt fand. Der Kanzler Gardiner war vollkommen überzeugt, Elisabeth konspiriere mit den Franzosen. Marias Ratgeber drängten, nicht eine Minute Zeit mehr zu verlieren, um die Verdächtige aus der Welt zu schaffen. Umsomehr, da Wyatt im Tower sowohl Courtenays als auch Elisabeths Namen genannt hatte. Da die Prinzessin nicht freiwillig kam, mußte man sie mit Gewalt nach London bringen.
Am 12. Februar ist Marias Entschluß gefaßt. Sie wählt drei Herren ihres Hofes, Lord William Howard, Sir Edward Hastings und Sir Thomas Cornwallis und sendet sie mit dem Befehl an Elisabeth, sie sofort mitzunehmen. Zwei Ärzte der Königin begleiten sie. Der eine davon, Dr. Wendy, kennt Elisabeth seit ihrer Kindheit. Er hat sie in Catherine Parrs Hause des öfteren behandelt. Eine zahlreiche Bedeckungsmannschaft sieht ganz danach aus, als handle es sich hier um eine schwere Verhaftung. Gemildert wird der königliche Befehl höchstens durch die Wahl des Führers dieser Schergen Marias: Lord Howard ist der Onkel Elisabeths.
Nachmittags, gegen 4 Uhr, treffen sie in Ashridge ein. Ohne weitere Umstände, die Kammerfrauen und Diener beiseite schiebend, betreten die drei Staatsräte der Königin das Krankenzimmer der Prinzessin. Sie liegt zu Bett. Diesmal ist sie wirklich krank und elend. Ihre Glieder sind geschwollen. Ihr Gesicht ist totenbleich – vor Angst. Der Schrecken über den Befehl Marias in dieser Form lähmt sie vollends. Sie macht den Herren mit matter Stimme klar, sie könne unmöglich in diesem Zustand, in dem sie sie sähen, reisen. Howard besteht auf der Ausführung des strengen Befehls Marias. Um alle Beschwerden für die Kranke auf der Reise zu erleichtern, habe man die Sänfte der Königin mitgebracht. Dann werden die beiden Ärzte herbeigerufen. Sie erklären, Elisabeth sei nicht so schwer krank, daß sie transportunfähig wäre. Sie muß sich also fügen und die Sänfte besteigen. Man gewährt ihr nur noch die Nacht zur Vorbereitung. Der Abschied am Morgen von ihren Dienern und Höflingen ist herzzerreißend. Sie weinen und klagen. Sie sehen für ihre Herrin das Schlimmste voraus. Niemand zweifelt daran, daß sie in den Tower kommt. Vielleicht nie wieder die Freiheit erlangt. Sicher ist auch Elisabeth von den gleichen Befürchtungen befangen. Angst und Mutlosigkeit erhöhen ihre körperliche Schwäche. Auf der Reise fällt sie öfter in Ohnmacht. Auf dem nicht allzu langen Wege nach London ist sie gezwungen, viermal zu übernachten. Die drei Begleiter sehen selbst ein, daß sie das nötig hat.
In Highgate muß Elisabeth längere Rast machen. Sie kann vor Schwäche nicht weiter. Kein Wunder. Auf ihrem Wege hat sie erfahren, daß Jane Grey am selben Tage hingerichtet wurde, an dem sie von Ashridge abreiste. Für Suffolks Hinrichtung ist alles bereit. Die Folterungen und Verbrennungen ihrer Glaubensgenossen in London verbreiten Schrecken und Angst. Elisabeth ist mehr tot als lebendig. Wohin begibt sie sich? Erwartet sie selbst nicht das gleiche Schicksal? Ihre Blässe ist so auffallend, daß die einen glauben, man habe ihr Gift gegeben, um sie noch vor ihrer Ankunft in London aus dem Wege zu räumen. Die anderen verbreiten dieselben Gerüchte wie vor sechs Jahren: Elisabeth ist schwanger! Daher ihre geschwollenen Glieder und ihre große Schwäche!
Innerlich hat sie wenig Hoffnung, diesmal heil aus dem Netz der Spinne herauszukommen. Aber auch jetzt wieder bewahrt sie trotz aller Herzensangst eine bewunderungswürdige äußere Ruhe. Dieses zwanzigjährige Mädchen besitzt eine Seelenstärke, wie sie der mutigste Mann nicht immer zeigt. Nicht nur ihr Leben ist bedroht. Nein, auch wieder ihre Ehre! Und so entschließt die junge Elisabeth sich zum zweitenmal, in ihrem Leben der Verleumdung zu trotzen und sich den Londonern so zu zeigen wie sie ist.
Nachdem sie sich in Highgate durch einige Tage Ruhe von ihren körperlichen Leiden, mehr aber wohl von ihren seelischen Ängsten ein wenig erholt hat, verläßt sie das auf einer Anhöhe im Nordosten bei London gelegene Highgate in einer offenen Sänfte. Sie ist ganz weiß gekleidet. Die Blässe ihres Gesichts wird von dem goldroten Haar noch stärker betont. Ihre Haltung ist königlich. Hochmütig und stolz. Vollkommen beherrscht. Unter diesem kühlen unnahbaren Äußern aber verbirgt sie die innere Angst vor dem ihr nahen Tod.
Zwischen Highgate und London kommt in diese innere Verzagtheit wieder ein Schimmer von Hoffnung und ein ganz klein wenig Freude. Eine Menge Ritter, junge Lords, reiten ihr entgegen, um ihr einen öffentlichen Beweis der Freude über ihre Ankunft zu geben. Zweihundert Edelleute der Königin in roten Samtröcken eskortieren Elisabeths Einzug in die Hauptstadt. Es sieht beinahe so aus, als ziehe eine neue junge Königin in London ein. Und doch ist sie eine Gefangene.
Die Menge steht in stummem Schweigen. Die meisten Frauen weinen. Auch die Männer sind traurig beim Anblick der Prinzessin. Man ist überzeugt, auch sie wird ihr Leben hergeben müssen, weil ein Fremder das Herz der Königin erobert hat und man für seine Ruhe fürchtet, wenn Elisabeth lebt. Der Mut der Prinzessin sinkt von neuem, als sie London durchzieht. Ein Ort des Schreckens. Es haben fürchterliche Blutbäder stattgefunden. Auf den Stadtmauern spießen die Köpfe der Hingemordeten. An den Galgen hängen noch Fetzen von menschlichen Gliedern. Schaudernd wendet Elisabeth die Blicke davon ab. Und doch gelingt es ihr – obwohl sie als Gefangene der Königin kommt – mit einer Art Triumph vor Maria zu erscheinen.
Diese Sicherheit der Prinzessin und der beinahe ehrenvolle Empfang, der ihr von der Bevölkerung bereitet wurde, scheinen Maria in ihren Maßnahmen zunächst wieder schwankend gemacht zu haben. Sie weist Elisabeth vorläufig Whitehall zum Aufenthalt an. Es ist natürlich trotzdem ein Gefängnis, denn die junge Prinzessin wird scharf bewacht. Immerhin, nach den Ratschlägen Renards und anderer ihrer Freunde, hätte Maria ihre Schwester sofort in den Tower werfen sollen. Sie steht noch davon ab. Elisabeth soll sich vorerst ihr gegenüber rechtfertigen. Man unterzieht sie sofort einem scharfen Verhör. Sie soll eine genaue Schilderung der Ursachen des Aufstands Wyatts geben, von seinen Plänen und Absichten berichten. Sie kann es nicht. Man hat sie nicht eingeweiht in die Geheimnisse. Sie beteuert immer wieder ihre Unschuld. Sie wisse nichts und habe keinerlei Kenntnis über die stattgefundenen Ereignisse. Ihre Geschicklichkeit in der Beantwortung der sehr verfänglichen Fragen ist groß. Es ist weder etwas aus ihr herauszubringen noch ihr etwas nachzuweisen. Man sagt ihr auf den Kopf zu, sie habe von Wyatt zwei Briefe erhalten und sie auch beantwortet. Elisabeth entgegnet kühl und sachlich: »Der Verräter Wyatt konnte es vielleicht wagen, an mich einen Brief zu schreiben und abzusenden. Aber, auf mein Wort, nie habe ich einen von ihm erhalten!« Vielleicht sprach sie die Wahrheit, vielleicht auch nicht. Es ist nie festgestellt worden. Eine mündlich gegebene Antwort ohne Zeugen ist ja nicht nachzuweisen. Nachdem man sie vierzehn Tage lang mit allen möglichen Fragen gequält hat, beschließt die Königin ihr zu gestatten, wieder nach Ashridge zurückzukehren. Da stellt sich eine neue Anschuldigung ein. Es verbreitet sich das Gerücht, ein Mitverschwörer Wyatts habe Elisabeth in einem Armband den ganzen Plan der Verschwörung mitgeteilt.
Am 15. März wird sie daher zu Maria nach Hampton Court gebracht. Die Haft ist verschärft. Umsonst wendet sie sich an das Herz der Schwester, umsonst an ihre Gerechtigkeit. Maria ist seit dem Aufstand noch härter, unerbittlich geworden. Sie straft in grausamster Weise ohne Unterschied. Nun hat sie sich auch von ihren Ratgebern überzeugen lassen, daß Elisabeth mit den Rebellen im Einverständnis gewesen sei. Sie muß in den Tower. Die Einwände einiger Staatsräte gegen diesen furchtbaren Befehl hört sie kaum. Im Gegenteil, die Tochter Heinrichs erwacht in Maria. Sie erinnert sich, was er an ihrer Stelle getan hätte. Er schickte ohne Verhör, ohne Verteidigung jeden Verräter aufs Schafott. Er schreckte nicht einmal davor zurück, seine eigenen Frauen dem Henker zu überliefern. Sie aber hatte sich lange genug von ihrer Schwester nasführen lassen. Nur die grausamste Strenge scheint ihr am Platze. Auch Courtenay, den sie bis jetzt bei jeder Gelegenheit ausgezeichnet hat, wandert in den Kerker. Es ist ihr vollkommen klar: nicht Jane Grey wollten sie wieder auf den englischen Thron setzen, sondern Elisabeth mit diesem königlichen Abkömmling, den sie erst vor kurzem zum Herzog von Devonshire erhoben hat! Die Beweise seiner Teilhaberschaft an der Verschwörung häufen sich und verschärfen Elisabeths Lage. Wyatt hat zwar seine erste Aussage über Elisabeths Wissen um die Dinge inzwischen stark abgeschwächt, doch Jane Greys Vater, der Herzog von Suffolk, erklärt in seinem Gnadengesuch an die Königin, der Putsch sei unternommen worden, um Maria zu entthronen und Elisabeth, nicht Jane, zur Königin zu proklamieren. Von ihm aus war es eine glatte Lüge, denn er hatte nur seiner Tochter Interessen im Auge, wäre der Aufstand geglückt. Andere, wie der ehemalige Sekretär Eduards VI., William Thomas, geben zu, es sei geplant gewesen, Maria zu ermorden. Die Insurrektion sei von Frankreich mit Geld reichlich unterstützt worden.
Am 15. März fällt das Urteil im Monstreprozeß gegen Wyatt vor den Richtern in Westminster unter dem Vorsitz des Grafen von Sussex. Wyatt gesteht seine Schuld an der Revolte ohne weiteres ein, verteidigt sich indes energisch gegen die Anklage, den Tod Marias befürwortet zu haben. Er habe nur ein Ziel dabei verfolgt: England vor dem fremden Einfluß, vor den Spaniern zu bewahren. Er hoffe, die Königin werde ihm Gnade angedeihen lassen. – Er wird zum Tode verurteilt. Maria hatte keinen Grund, ihn zu begnadigen. Seine Hinrichtung schob man indes noch ein paar Wochen hinaus.
Zuvor will Maria Klarheit über Elisabeths Rolle in dieser verwickelten Intrige haben. Da aus der Prinzessin bis jetzt nichts herauszubekommen war, wird man eben stärkere Mittel anwenden, sie zum Geständnis zu bringen. Der Tower hat schon manchen hartgesottenen Verbrecher mürbe gemacht. Am 16. März, nach der Verurteilung Wyatts, begibt sich der Kanzler Gardiner in Begleitung von neun Mitgliedern des Staatsrates zu Elisabeth. Ohne Umschweife sagt Gardiner ihr ins Gesicht, sie sei der Mittäter- oder Mitwisserschaft am Verrat Wyatts und seiner Genossen überführt. Man habe alle Beweise dafür.
Elisabeth läßt sich weder durch die Anwesenheit der zehn hohen Würdenträger noch durch des Lordkanzlers schroff ausgesprochene Anklage verblüffen. Sie verhält sich ruhig, stolz und abweisend. »Niemals«, sagte sie, »habe ich Kenntnis von den Plänen und Absichten dieser Verschwörer gehabt.«
Gardiner glaubt ihr kein Wort. Er geht geflissentlich über ihre positiv gegebene Antwort hinweg. Er rät ihr, der Königin reuevoll die ganze Geschichte zu gestehen und sie um Verzeihung zu bitten. Elisabeths Gesichtsausdruck wird immer kälter. Eisig und hochmütig erwidert sie:
»Sich der Königin anvertrauen, heißt mit anderen Worten, ein Verbrechen eingestehen. Verzeihung aber gibt es nur für Schuldige. Man soll mir beweisen, daß ich schuldig bin. Dann erst, aber nur dann, werde ich Ihren Rat befolgen.«
Gardiner und seine Kollegen ziehen sich einigermaßen konsterniert zurück. Man hat sich wieder einmal verrechnet. Der Lordkanzler hoffte durch sein persönliches Erscheinen dem jungen Mädchen Angst einzujagen, es zu einem Geständnis zu bringen. Die Folgen wären für Elisabeth die schlimmsten gewesen. Aber auch so sorgt Gardiner dafür, daß die Königin den Schlag ausführt. Am selben Tag beschließt Maria endgültig die Einkerkerung ihrer Schwester in den Tower. Sie läßt ihr diesen Beschluß sofort durch die gleiche Abordnung von Staatsräten mitteilen.
Elisabeth vermag zuerst diese Botschaft nicht zu fassen. Es ist doch nicht möglich, daß ihre Schwester sie wie eine gewöhnliche Verbrecherin behandelt? Sie ist unschuldig, sagt sie von neuem den Räten. Sie ist eine englische Prinzessin. Sie kenne die Königin als gerechte Frau. Unmöglich sei es ihr Wille, sie in dieses furchtbare Gefängnis zu bringen, das nur für Verräter und die gemeinsten Verbrecher bestimmt sei. Die Herren möchten zurückkehren und die Königin darum bitten, daß man ihr diese entsetzliche Schmach erspare.
Es nützt ihr nichts. Der Befehl ist strikt. Er muß ausgeführt werden. Man entläßt Elisabeths Dienerschaft. Einige werden durch Leute aus der Umgebung der Königin ersetzt. Das Schloß wird für die kommende Nacht mit Wachen umgeben. Am nächsten Tag, am 17., erscheinen Graf Sussex und einige andere Mitglieder des Staatsrates. Nur Sussex beugt das Knie vor Elisabeth. Sie tut ihm leid. Er hat von der Königin Befehl, sie abzuholen – als Gefangene. Ein offenes Boot erwartet sie auf der Themse. Um Aufsehen und eventuelle Auflehnung der Bevölkerung zu vermeiden, wird Elisabeth auf dem Wasserweg nach dem Tower gebracht.
Heute nimmt sie die Unglücksbotschaft äußerlich kalt auf. Doch sie bittet noch um ein wenig Zeit, ihre Sachen zu ordnen. Gardiner widersetzt sich dem. Man habe keine Minute zu verlieren. Das Wasser der Themse steige. Später könne man nicht mehr durch die Brücke passieren. Auch die Bitte, noch eine letzte Zusammenkunft mit der Königin zu haben, wird ihr abgeschlagen. Dann wolle sie ihr wenigstens schreiben, erklärt Elisabeth. Hofft sie auf ein Wunder, auf Rettung von irgend einer Seite?
Graf Sussex erbarmt das junge, einer grausamen Rache ausgelieferte Weib. Am liebsten hätte er sich des peinlichen Auftrags der Königin entzogen. Er gewährt Elisabeth diese letzte Bitte, während Winchester zornig Einwand erhebt. Elisabeth beachtet ihn nicht. Sie hört nur auf Sussex. Sie schreibt an Maria:
»Wenn je der Ausspruch auf Wahrheit beruht, daß das Wort eines Königs mehr wert sei als der Eid eines gewöhnlich Sterblichen, so bitte ich Eure Majestät untertänigst, es mir gegenüber zu beweisen und sich Ihres letzten Versprechens und meiner letzten Bitte zu erinnern. Sie versprachen mir, daß ich nicht ohne sicheren Beweis und ohne mich angehört zu haben, verurteilt werden solle. Und was geschieht jetzt mit mir? Ohne daß man mir das Geringste nachweisen kann, erhalte ich von Ihrem Rat in Ihrem Namen den Befehl, mich in den Tower zu begeben, jenen Ort, der wohl für einen gemeinen Verräter, aber nicht für eine treue Untertanin paßt. Daß ich das nicht verdient habe, weiß ich selbst nur zu gut. Aber in den Augen ganz Englands scheint mein Verbrechen dadurch bewiesen. Lieber würde ich Gott bitten, mich des schändlichsten Todes sterben zu lassen, den je ein Mensch erlitten, als derartig schlechte Absichten zu hegen.
Zu dieser Stunde schwöre ich vor Gott (der allein meine wahre Gesinnung kennt), daß ich niemals etwas, was es auch sei, zum Schaden Ihrer Person gutgeheißen oder geraten, oder den Staat gefährdet habe! Deshalb bitte ich demütig, Eure Majestät möge mir erlauben, mich vor Ihnen selbst zu verantworten, anstatt mich der Willkür Ihrer Räte zu überlassen. Wenn möglich, noch ehe ich den Tower betrete, oder wenigstens bevor ein Urteil gegen mich gesprochen wird. Doch, ich bin sicher, Eure Hoheit wird mir diese Aussprache gestatten, ehe ich gehe, damit ich nicht die Schande erlebe, von den Leuten angeschrien und verhöhnt zu werden – freilich ohne Grund. – Wenn doch Eure Majestät der Stimme Ihres Gewissens folgten und einen besseren Weg fänden, als mich den Blicken aller dieser Männer (den Richtern) auszusetzen, noch ehe man weiß, ob ich es verdient habe! Ich bitte Eure Hoheit demütig, mir meine Kühnheit zu verzeihen. Nur meine Unschuld gibt mir die Kraft dazu, und die Hoffnung auf Ihre angeborene Güte. Ich bin überzeugt, Sie werden mich nicht ins Verderben stürzen, ohne es verdient zu haben. Am meisten bitte ich Gott, daß Sie genaue Kenntnis von allem, was war, erhalten. Meiner innersten Überzeugung nach werden Sie durch die Berichte anderer niemals genau darüber instruiert, sondern einzig und allein, wenn Sie sich selbst davon überzeugen, nachdem Sie mich angehört haben.
Ich kenne viele Leute in dieser Zeit, die nur deshalb ins Unglück gestürzt wurden, weil man ihnen nicht gestattete, sich vor ihrem Herrscher persönlich zu verantworten. Von Mylord Somerset hörte ich sagen, sein Bruder wäre nie hingerichtet worden, wenn man ihm gestattet hätte, sich mit ihm auszusprechen. Man führte indes derartig viele Argumente an, daß Somerset schließlich glaubte, seines Lebens nicht mehr sicher zu sein, so lange sein Bruder lebte. Daraufhin entschied er sich, dessen Hinrichtung zu befürworten. Natürlich vergleiche ich Eure Majestät nicht mit diesen Leuten. Aber ich bete zu Gott, er möge nicht gestatten, daß schlechte Beweisgründe gleichfalls eine Schwester gegen die andere beeinflussen, nur weil man sie falsch unterrichtet, nicht die Wahrheit hat hören wollen.
Und daher noch einmal: Im Geiste liege ich auf den Knien in der ganzen Demut meines Herzens, da es mir nicht gestattet ist, wirklich vor Ihnen niederzuknien. Ich flehe Sie an, Majestät, mir eine Audienz zu gewähren! Ich würde nicht so kühn sein und sie zu wünschen wagen, wenn ich mich nicht so sicher und wahrheitsgetreu fühlte ...
Ich verbleibe Eurer Hoheit treueste Untertanin, die ich von Anfang an gewesen bin und bis an mein Ende sein werde.
Elisabeth.
PS. Ich beschwöre Sie, senden Sie mir nur ein Wort von Ihrer Hand!«
Dieses trotz aller Festigkeit, Klarheit und Sachlichkeit des Ausdrucks ohne Zweifel in Todesangst verfaßte Schreiben Elisabeths hat keinen anderen Erfolg, als daß sie 24 Stunden Zeit gewinnt, ehe sie wirklich das Boot besteigt, das sie in den Kerker führt. Maria hat ihr die Audienz auf Anraten Renards nicht gewährt. Am Palmsonntag, als alle Leute mit ihren Palmen in der Hand in den Kirchen Londons versammelt sind, gleitet heimlich, in aller Stille, die Barke mit ihrer unglücklichen Passagierin über die Themse. Es ist ein grauer, häßlicher Regentag. Der Wind peitscht der Prinzessin in dem offenen Boot ins Gesicht. Sie scheint es nicht zu fühlen. Sie sitzt, den Blick starr auf das andere Ufer gerichtet. Vor siebzehn Jahren hat Anna Boleyn denselben Weg unter denselben Umständen zurückgelegt. Nur sie landete in der Nacht am Tor der Verräter. Elisabeth erreicht es am Morgen. In der Barke mit ihr befinden sich Lord Winchester, Graf Sussex, drei ihrer eigenen Frauen und drei Frauen der Königin, ferner ein oder zwei Diener Elisabeths.
Ein Schauder erfaßt die junge Prinzessin, als sie nach kurzer Fahrt die Silhouette des Tower erblickt. Vor einem Jahr noch hatte sie nicht im entferntesten an seine doppelte Bestimmung gedacht. Da war sie an der Seite Marias durch die jubelnde Menge an ein anderes Tor des Schlosses gezogen. Und jetzt? Jetzt landete sie in einer Barke an den Stufen jenes Einganges, durch den vor ihr zwar viele Unschuldige eintreten mußten, aber die meisten hatten sich eines Verbrechens, eines Verrats, vielleicht eines Mordes schuldig gemacht. Was hat sie getan? Was kann man ihr nachweisen? Sie zittert vor Kälte und Nässe, aber auch vor innerem Grauen, einen Ort betreten zu müssen, aus dem sie vielleicht nie wieder herauskommt.
Sie sind am Ziel. Der Regen klatscht. Einer der Lords bietet ihr seinen Mantel, um sie vor allzu großer Durchnässung beim Aussteigen zu schützen. Elisabeth zögert, ihren Fuß auf die erste Stufe ihres zukünftigen Kerkers zu setzen. Mit einer hochmütigen Gebärde schleudert sie den ihr angebotenen Mantel von sich. Sie hat nicht vergessen, daß man ihr die Zusammenkunft mit Maria verweigerte. Sie steht in Regen und Wind, ohne jeden Schutz. Plötzlich erhebt sie ihre Augen. Sie betet: »Vor dir, mein Gott, bekenne ich, daß ich keinen anderen Freund habe, als dich allein. Nie schritt eine so treue Untertanin als Gefangene über diese Stufen, wie ich.«
Eine Menge Wächter und Soldaten stehen vorschriftsmäßig in Reih und Glied, um die hohe Staatsgefangene in Empfang zu nehmen. »Was bedeutet das?«, fragt Elisabeth.
»Ich brauche nicht bewacht zu werden.« Kaum hat sie das gesagt, so beugen alle vor ihr das Knie. Viele der Beamten weinen. Sie büßen am nächsten Tag ihre Ergebenheit für die Prinzessin mit Entlassung oder harter Strafe.
Lange braucht Elisabeth, ehe sie sich entschließt, durch das Tor zu schreiten. Sie setzt sich auf einen der Steine, die am Eingang von der Themse umspült werden. Es regnet noch immer. Graf Sussex nähert sich ihr. Besorgt rät er, sie solle sich nicht auf den kalten nassen Stein setzen. Sie könne krank werden.
»Besser hier im Regen als drinnen in dem schrecklichen Ort zu sitzen«, meint sie. »Gott allein weiß, wohin Ihr mich schleppt.«
Einer ihrer Diener weint. Als sie es bemerkt, sagt sie, wie um allen Mut zu machen:
»Meine Sache steht so, daß niemand darum zu weinen braucht.«
Schließlich erhebt sie sich und betritt ihr Gefängnis.
Hinter ihr schließt sich das Tor und wird verriegelt. Wie lange? Niemand weiß es. Gott allein weiß es. Elisabeth läßt sich ihr Gebetbuch bringen. Sie betet.
Ihre Ruhe und Geistesgegenwart verliert sie auch in dem strengen Gewahrsam nicht. Man unterzieht sie qualvollen Verhören. Man sucht fortwährend nach neuen Beweisen ihrer Mitschuld. Man foltert und peinigt die im Tower schmachtenden Genossen Wyatts, damit sie zum Nachteil Elisabeths noch etwas gestehen. Das englische Volk soll überzeugt werden, wie gerechtfertigt die Gefangenschaft der Prinzessin und vielleicht ihre spätere Hinrichtung sei. Maria und die spanische Partei sind eifrig am Werk, jeden zu verdächtigen, der nur einigermaßen Stellung für die Gefangene nimmt. Zwei ihrer Frauen werden von ihr entfernt, weil sie sich weigern, die Messe anzuhören. Elisabeth weiß nicht, welche Strafe ihnen dafür bevorsteht. Sie selbst sträubt sich nicht, sich täglich den katholischen Kirchenzeremonien zu unterziehen. Sie schützt ihr Leben durch die eigene Klugheit. Sie gehorcht. Alles, was man von ihr in religiösen Dingen verlangt, tut sie ohne Widerrede. Damit nimmt sie von vornherein der Königin den Vorwand, sie der Religion wegen verfolgen und verurteilen zu können. Maria soll den Triumph nicht genießen, ihre Schwester als Ketzerin dem Henker zu überliefern.
In den ersten vier Wochen darf Elisabeth den Raum nicht verlassen, in dem man sie eingesperrt hat. Sir John Gage, der damalige Gouverneur des Tower versucht auf alle mögliche Weise, durch kleinliche Quälereien ihr Leben unangenehm zu gestalten. Elisabeth berührt es nicht. Sie schweigt zu allem. Nur, wenn man sie des Verrates an Maria beschuldigt, dann redet sie. Sie redet in ihrer gewohnten arrogant-stolzen Weise. Eines Tages bringt Gardiner ihr James Croft. Durch diese Konfrontierung hofft er, Elisabeth zusammenzubrechen zu sehen. Croft soll ihr, wie erwähnt, gleich Wyatt geraten haben, sich bei Ausbruch des Aufstandes sofort nach ihrer Besitzung Donnington zu begeben.
»Nun«, fragt Gardiner höhnisch, »was sagen Sie jetzt zu dem da?« Elisabeth blickt verächtlich auf den Gefangenen. Dann zu Gardiner:
»Mylord«, sagt sie im Tone einer beleidigten Königin, »Sie nehmen den geringsten der Gefangenen zum Zeugen gegen mich. Damit tun Sie mir im höchsten Maße Unrecht. Wenn diese Leute Böses getan und die Majestät der Königin angegriffen haben, so ist es ihre Sache, sich dagegen zu verantworten. Mich aber, Mylord, lassen sie aus dem Spiele und vergleichen Sie mich nicht mit dieser Sorte Verbrecher. Was jedoch meine angebliche Reise nach Donnington angeht, so erinnere ich mich zwar, ein Schloß solchen Namens zu besitzen, aber seit ewigen Zeiten war ich nicht dort.«
Und zu Croft gewendet – er hatte vor dem Aufstand in ihren Diensten gestanden – fügt sie hinzu: »Allerdings fällt mir ein, daß Sie, Sir James Croft, sowie mein Haushofmeister und meine Offiziere mir davon sprachen, nach Donnington zu gehen.« Und wieder zu Gardiner: »Doch was hat das zu bedeuten, Mylord? Steht es mir nicht frei, mich jederzeit auf eins meiner Schlösser zurückzuziehen?«
Sie fasziniert durch ihre Haltung – wahrscheinlich aber auch durch ihre Jugend – alle anwesenden Männer. Sowohl Croft, den sie ja eigentlich durch die Art, wie sie von »dieser Sorte von Verbrechern« sprach, verletzt hat, als auch einige Staatsräte knien vor ihr nieder. Sie bitten Elisabeth um Verzeihung wegen all der Scherereien, die man ihr bereitet. »Ja«, sagt sie, »Ihr peinigt mich allerdings bis aufs Blut mit allen diesen Dingen. Aber ich hoffe, Gott wird Euch allen verzeihen.«
Nachdem Elisabeth einen Monat lang in strengstem Gewahrsam verbracht hat, ist man in der Untersuchung ihrer Schuld nicht einen Schritt weiter gekommen. Die vorgebrachten Beweise genügen nicht, sie des ihr zur Last gelegten Verbrechens zu überführen. Ihr körperliches Wohlbefinden – nicht ihr Geist – ist durch die lange Haft geschwächt. Man gestattet ihr daher, eins der königlichen Zimmer im Tower zu bewohnen, wo sie sich mehr pflegen kann. Aus den Fenstern zu schauen ist ihr jedoch verboten. Sie sind verschlossen. Ein Kammerherr und drei Frauen der Königin bewachen Elisabeth streng. Als sie dann auch die Erlaubnis erhält, in einem kleinen Garten eine Stunde am Tage spazieren zu gehen, werden alle übrigen Gefangenen des Tower, deren Kerker nach diesem Garten gelegen sind, durch aufgestellte Wachen verhindert, sich den Fenstern zu nähern, um jeden Kontakt zwischen ihnen und der hohen Staatsgefangenen zu verhindern. Der geringste Verdacht genügt, Elisabeths relative Freiheit wieder zu beschränken. Der kleine Sohn eines Beamten des Tower begegnet ihr bisweilen im Garten. Es ist ein hübscher fünfjähriger Junge. Elisabeth plaudert manchmal mit ihm. Der Kleine bringt ihr beinahe täglich ein paar Blumen. Vielleicht hat sein Vater oder seine Mutter ihm die Anweisung dazu gegeben. Vielleicht hat das Kind auch ganz aus eigener Initiative gehandelt, um der freundlichen, aber doch sehr traurigen Dame eine Freude zu machen. Der Lordkämmerer aber wittert Verrat. Es wird dem Kinde untersagt, sich Elisabeth noch einmal zu nähern. Man vermutet, es handelt im Auftrage Eduard Courtenays und es bestehe eine geheime Verbindung zwischen ihm und der Prinzessin. Der Kleine ist trostlos. Elisabeth kann sich die Ursache seines plötzlichen Fernbleibens wohl denken. Eines Tages, als sie wieder zur gewohnten Stunde im Garten spazieren geht, hört sie eine Kinderstimme durch die Ritze des einen der hölzernen Tore flüstern: »Mylady, ich darf Ihnen keine Blumen mehr bringen.« Für den Vater des Knaben endet diese Episode mit Entlassung und Bestrafung.
Inzwischen ist auch Wyatt am 11. April hingerichtet worden. Bevor sein Haupt fiel, redete er die sein Blutgerüst umstehende Menge an. Mylady Elisabeth sei gänzlich unschuldig an irgendwelcher Teilnahme seiner Pläne. Weder sie noch Courtenay seien vorher in die Verschwörung eingeweiht gewesen. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich sofort das Gerücht, Elisabeth sei durch Wyatt vollständig rehabilitiert und werde wohl noch zu dieser Stunde aus dem Tower entlassen werden. Zwei dieser unglücklichen »Berichterstatter« werden auf Befehl Marias daraufhin an den Pfahl gebunden und ihre Ohren mit Nägeln daran befestigt. Das Geständnis Wyatts zur Entlastung ihrer Schwester kommt der Königin höchst ungelegen. Sie und ihre spanischen Freunde hätten es lieber gesehen, wenn Wyatt Elisabeth in letzter Stunde noch hinein gerissen hätte. Maria ist sich wohl bewußt, daß die Meinung des ganzen englischen Volkes auf seiten ihrer Schwester steht.
Diese Volksstimmung spricht sich auch im Prozeß Throckmortons aus, der am 17. April stattfindet. Aus Mangel an Beweisen wird Sir Nicolas von dem Londoner Geschwornengericht vom Hochverrat freigesprochen. Die Königin ist darüber so wütend, daß sie sämtliche Richter verhaften und einsperren läßt. Einige unter ihnen werden monatelang im Kerker festgehalten oder zu ungeheuren Geldbußen verurteilt, weil sie nicht eingestehen, daß sie sich geirrt haben. Sir Nicolas Throckmorton verläßt trotz seines Freispruchs den Tower auch erst nach einem Jahr. Er hat sich in einem Schriftsatz ausdrücklich dagegen verwahrt, daß seine Aussagen nicht zum »Nachteil und zum Schaden hoher Persönlichkeiten« verdreht werden dürften. Möge ihm selbst geschehen, was da wolle. Elisabeth weiß ihm später Dank für seine Treue. Als ihr Gesandter und Berater ist sein Name zur Genüge bekannt geworden.
Jeder Beweis der Volksmeinung zu Elisabeths Gunsten wird auf die grausamste Art bestraft. Andauernd versucht die Regierung die Stimmung gegen die Prinzessin aufzustacheln. Man bedient sich dazu der scheußlichsten Mittel. Zum abschreckenden Beispiel gegen die Verräter läßt Maria z. B. mehr als sechzig Teilnehmer des Aufstandes in den verkehrsreichsten Straßen Londons aufhängen, und ihre Leichname bleiben nahezu ein halbes Jahr an den Galgen baumeln. Mit solchen Maßnahmen aber erreicht sie gerade das Gegenteil von dem was sie bezweckt. Sie reizt dadurch nur noch mehr die protestantische Bevölkerung zum Widerstand. Vorläufig rächt man sich zwar nur in vereinzelten Fällen durch Hohn und Spott über die bevorstehende spanische Heirat oder über die katholische Religion. Immerhin, alles zusammen ist für Maria beunruhigend. Sie sieht vollkommen klar: Elisabeths Erbfolge ist durch eine starke Stütze des Volkes gesichert.
Maria und ihre Ratgeber sind endlich gezwungen, Elisabeth aus dem Tower zu befreien. Man hat keinen Grund, sie noch länger gefangen zu halten. Die Hofpartei muß den Plan aufgeben, die »Intrigantin und Ruhestörerin« zu vernichten. Hinrichten kann man sie nicht. Im Tower kann sie nicht bleiben. Das würde das Volk durch die Stimme des Unterhauses nicht dulden. Sie jedoch frei herumlaufen lassen scheint ebenso gefährlich. Wie leicht können die Protestanten einen neuen Putsch mit ihr versuchen. Besonders, wenn die Königin von London abwesend ist. Es taucht wieder die Frage auf, Elisabeth von der Erbfolge auszuschließen. Der Kanzler Gardiner ist dafür, Lord Paget dagegen. Er schlägt vor, sie durch eine Heirat vom Hofe zu entfernen. Vielleicht mit Don Louis de Portugal, der seinerzeit bereits für Maria als Gatte in Betracht gezogen worden war. Oder mit dem Herzog von Savoyen. Diese letzte Verbindung paßt indes Karl V. nicht. Er hätte dem Herzog von Savoyen seine von ihm seit Jahren besetzten Staaten Asti, Vercelli und Fossano zurückgeben müssen. Jedenfalls soll man abwarten, was Philipp bei seiner Ankunft in England mit Elisabeth zu tun gedenkt. Die Vermählung Marias steht nahe bevor.
Anfang Mai 1554 beschließt das Parlament, hauptsächlich auf Gardiners Fürsprache, die baldige Freilassung Courtenays aus dem Tower. Für Elisabeth hält man es am geratensten, sie zwar auch aus dem Tower zu entlassen, aber in einer Art ehrenvoller Haft zu behalten. Am besten in einem entlegenen Schloß, einer Grafschaft, in der die Bevölkerung treu katholisch gesinnt ist. Einige schlagen Pontefract in der Grafschaft York vor. Es ist das Schloß, in dem Richard II. ermordet wurde. Als Aufenthalt für eine junge Frau besonders geeignet! Die Erinnerung an die grausige Tat soll ihr täglich als »Mene, Mene Tekel« vor Augen stehen. Schließlich aber entscheidet man sich für das Burgschloß Woodstock, nördlich von Oxford. Henry II. hat es im 12. Jahrhundert gebaut. Die Verhandlungen über den zukünftigen Aufenthalt der jungen Prinzessin werden geheim gehalten.