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Siebentes Kapitel. Am Hofe der Spinne

Maria Tudor ist Königin. Fast ohne Schwierigkeit ist sie auf den Thron ihres Vaters gelangt. Was Heinrich VIII. verhindern wollte: eine Frau auf dem englischen Königsthron, ihr ist es durch eigene Kraft gelungen, diesen Plan zu durchkreuzen.

Elisabeth verhält sich bei allem abwartend, äußerlich scheinbar mit der Entwicklung der Dinge zufrieden. Sie gratuliert ihrer Schwester zu dem Mißlingen des Staatsstreiches Warwicks, obwohl, wäre er geglückt, die neue Religion, der auch sie angehört, die Macht in Händen behalten, ja vergrößert hätte. Elisabeth aber liegt weniger an der Macht des Protestantismus als an ihrer eigenen Zukunft, an dem englischen Thron, der mit Jane Grey für immer für sie verloren gewesen wäre. Ihrer Schwester Maria hingegen, wenn sie kinderlos starb – und es war kaum anzunehmen, daß die bis jetzt noch jungfräuliche siebenunddreißigjährige Königin in einer späteren Ehe Kinder bekam – mußte Elisabeth auf dem Thron Englands folgen. Daher war ihr die katholische Schwester lieber als die protestantische Kusine Jane.

Elisabeth zog an der Seite Marias im Triumph in London ein. Fünfhundert in den grün-weißen Farben der Königin gekleidete Kavaliere, eine Menge schöner Frauen umringen sie und ziehen mit ihr zum Tower. Hier muß die neue Königin, nach altem Brauch, bis zur Beendung der Trauerfeierlichkeiten ihres Vorgängers, einen kurzen Aufenthalt nehmen. Denn Eduards Beisetzung hat wegen der Ereignisse noch nicht stattfinden können. Beide Schwestern reiten jede auf einem herrlichen Zelter. Maria hatte Elisabeth und ihre Damen sehr herzlich empfangen. Der Triumph, den ihr das englische Volk bereitet, stimmt sie überaus glücklich und mild. In ihrem Glück bemerkt sie die sieghafte Jugend ihrer zwanzigjährigen Schwester kaum, der ein guter Teil des Jubels der Londoner gilt. Fast scheint Mylady Elisabeth mit ihrer herrlichen schlanken Gestalt, dem flammenden Goldhaar, den großen blauen Augen, der unerhört königlichen Haltung und den wunderschönen schmalen Händen die Königin zu sein, während Maria, den Vierzig nahe, klein, verblüht, vergrämt und durch jahrelange Unterdrückung zermürbt, neben ihr einherreitet. Wenn auch der Erfolg auf die bleichen Wangen rote Flecken zaubert, sie kann in keiner Weise mit der Erscheinung Elisabeths konkurrieren. Da aber der Tag ihr, ihr ganz allein gehört, der Tag, an dem sie sich die englische Krone erobert hat, denkt Maria nicht daran, welchen Eindruck Elisabeth machen könnte. Das Volk jubelt ihr, seiner Königin Mary zu. Nur Elisabeth fühlt mit Stolz und Genugtuung, daß die Augen vieler Tausenden auf sie gerichtet sind und daß die Hochrufe nicht alle nur Maria gelten.

Die Königin war indes anfangs offensichtlich bemüht, ihre junge Schwester in der Öffentlichkeit auszuzeichnen. Immer mußte Elisabeth an ihrer Seite sein. Bei jeder Gelegenheit wurde ihr der erste Rang nach der Königin zugewiesen. Maria schien vergessen zu haben, daß Elisabeth die Tochter Anna Boleyns war, ihrer Feindin, die ihr so vieles Böse zugefügt hatte. Sie schien auch vergessen zu haben, daß Elisabeth in ihren Augen eine Ketzerin war, daß sie einer anderen Religion angehörte. Darüber aber wollte Elisabeth sie keinesfalls im Zweifel lassen. Und so kam es schon bei den kirchlichen Zeremonien während der Trauerfeier für den verstorbenen Eduard zu Mißhelligkeiten zwischen den beiden Schwestern. Anfänglich wünschte die Königin, die Reste ihres Bruders nach katholischem Ritus einsegnen lassen. Simon Renard aber, den Karl V. mit noch einigen anderen Diplomaten als außerordentlichen Gesandten nach London geschickt hatte, um Maria zu beraten und vor eventuellen Angriffen der protestantischen Partei zu schützen, mahnte zur Vorsicht. Er riet ihr vorläufig von solchen rigorosen Maßnahmen ab. So läßt sie denn durch den Erzbischof Cranmer in Westminster die öffentliche Trauerfeier reformiert zelebrieren. Im Tower hingegen hört sie selbst die nach der katholischen Liturgie abgehaltene Messe und das Requiem. Sie fordert ihre Schwester Elisabeth auf, mit ihr diese Messe zum Seelenheil des Königs zu hören, erhält indes eine strikte Ablehnung. Elisabeth erwidert, sie beträte weder eine katholische Kirche noch wolle sie je einer katholischen Messe beiwohnen. Als sie das sagt, erinnert sie sich wohl auch des konsequenten Widerstandes, den Maria seinerzeit ihrem Bruder und seinen Räten entgegensetzte, als sie von ihr verlangten, reformiert zu werden. »Lieber wolle sie«, hatte Maria damals in höchster Empörung ausgerufen, »sich den Kopf abhauen lassen, als einen anderen Glauben annehmen.« Und nun wollte sie Elisabeth zwingen, ihre Religion zu verleugnen. Elisabeth ist nicht gesonnen, nachgiebiger als Maria zu sein.

Von diesem Augenblick an wird das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern, das eigentlich immer ein gespanntes gewesen war, mehr und mehr feindselig. Elisabeths stolzer Charakter ist nicht geeignet sich unterzuordnen, und Marias Herrschsucht gestattet keine Widerrede, besonders nicht in religiösen Dingen. Es sind zwei verschiedene Welten, denen sie angehören. Elisabeths hartnäckige Weigerung, den katholischen Glauben anzunehmen, reizt die Königin maßlos, so daß sie mehr als einmal im Begriff steht, die störrische Prinzessin aus ihrer Nähe, vom Hofe zu verbannen. Aber noch will sie sich keiner öffentlichen Härte ihrer Schwester gegenüber schuldig machen. Karls V. Gesandten schüren indes immer mehr den Haß Marias gegen die »Ketzerin, die Schismatikerin«. Papst Julius III. selbst hatte ja gesagt, er wundere sich, daß Elisabeth beim englischen Volke so großen Anklang fände. Immer wieder macht man die Königin aufmerksam, daß es ihre Schwester nur darauf abgesehen habe, die reformierte Partei ganz für sich zu gewinnen, um eines Tages mit ihrer Hilfe sich des Thrones zu bemächtigen. Ferner vermutet der spanische Gesandte Renard, sie konspiriere weiter mit den Anhängern Northumberlands, den Rebellen, und bereite in aller Stille eine Gegenrevolution vor.

Maria behält daher ihre Schwester scharf im Auge und arbeitet weiter an ihrer Bekehrung. Vorläufig noch ohne jeden Erfolg. Die fanatische Katholikin, der die Frömmigkeit und der Glaube im Blute liegen, denn sie hat ihr ganzes Leben lang nur gebetet, läßt jetzt täglich sieben Messen lesen, denen sie mit dem ganzen bis dahin protestantischfühlenden Hof beiwohnt. Elisabeth bleibt hartnäckig fern. Es nützt Maria nichts, ihre geschicktesten Höflinge zu ihr zu senden, um sie eventuell mit Gewalt zur Messe zu schleppen. Elisabeth hat bei solchen Gelegenheiten ein unfehlbares Mittel zur Hand. Es hat ihr mehr als einmal schon aus der Verlegenheit geholfen. Sie ist einfach krank. Unfähig, das Bett zu verlassen. Einmal bekommt sie wahnsinnige Magenkrämpfe. Sie windet sich vor Schmerzen und schreit laut auf. Ein anderes Mal sind ihre Glieder geschwollen, ein Übel, das sie allerdings öfter wirklich befiel. Kurz, sie weiß sich immer dem Zwang zu entziehen. Auf diese Weise kämpft sie vier Wochen lang um ihren Glauben. Länger reicht die Geduld der Schwester nicht. Maria sagt ihr gerade heraus, wenn sie sich nicht endlich ihrem Willen füge und an Mariä Geburt nicht an der Messe teilnähme, werde sie vom Hofe verjagt werden. Was das bedeutet, weiß Elisabeth nur zu gut. Es ist gleichbedeutend mit Gefangenschaft. Vielleicht mit dem Tod. Haben nicht viele schon ihr Leben um ihres Glaubens willen lassen müssen?

Elisabeth besitzt weder die Anlage zur Märtyrerin, noch ist sie von dem protestantischen Glauben so durchdrungen wie Maria von dem katholischen. Sie hat in ihrem jungen Leben so oft gesehen, daß sie mit Klugheit und Diplomatie weiter kommt als mit Aufrichtigkeit. Sie fügt sich – wenigstens äußerlich. Nur von einer ihrer Damen begleitet, begibt sie sich zur Königin, wirft sich ihr zu Füßen und bittet sie um Verzeihung. Schluchzend gesteht sie ihren bisherigen Irrtum ein und bittet um Unterweisung im katholischen Glauben. Sie wisse ja nicht einmal, wie sie sich in einer katholischen Kirche benehmen müsse. Und an Mariä Geburt erscheint sie als gehorsame Untertanin der Königin zur Messe.

Weder Maria noch ihre Ratgeber sind von Elisabeths aufrichtiger Bekehrung überzeugt. Man beobachtet sie weiter mit Argwohn. Man fühlt, sie muß sich mit aller Gewalt zu den katholischen Kirchengebräuchen zwingen. Im Innern ist sie doch Protestantin. Ihre Nachgiebigkeit ist Verstellung. Maria läßt sich nicht düpieren. Sie verlangt von Elisabeth die formelle Erklärung, daß sie aus innerster Überzeugung den katholischen Glauben angenommen habe. Elisabeth tut ihr auch diesen Gefallen. Aber es ist keine Kleinigkeit für die stolze junge Prinzessin, sich so in die Hände der Schwester zu begeben. Man merkt ihr den Kampf an, der in ihrem Innern vorgeht. Am ganzen Körper zitternd, ganz bleich vor Erregung, erklärt sie, sie gehorche der Stimme ihres Gewissens und besuche die Messe als gläubige Katholikin.

Maria ist für einige Zeit beruhigt. Die Vorbereitungen zur Krönung nehmen sie und den ganzen Hof außerordentlich in Anspruch. Es soll ein prachtvolles Fest von niegesehenem Glanz werden. Vor allem der Zug aus dem Tower nach Whitehall, der am ???[31?]. September 1553, einen Tag vor der Krönung stattfand, überbietet alles Dagewesene an Pracht und Schönheit. Queen Mary sitzt in einer goldenen Sänfte, die auf vier goldgeschirrten und mit rotem Samt bedeckten Pferden ruht. Sie trägt ein herrliches blaues, hermelinverbrämtes Samtkleid. Über die Schultern ist ein Silberbrokatmantel geworfen. Ihr goldenes Diadem ist dermaßen schwer von kostbaren Steinen und Perlen, daß sie fast davon erdrückt wird. Sie muß ihren Kopf mit der Hand stützen.

Unmittelbar hinter der Königin fährt der mit Silberstoff ausgeschlagene Wagen Elisabeths. Ihre Pferde sind mit Silber förmlich behangen. Die junge Prinzessin selbst trägt, wie die Fee im Märchen, ein silbernes Kleid. Es hat französischen Schnitt. Ihren Hals, ihre Arme schmücken die herrlichsten Juwelen. Einige davon sind Geschenke Marias. In ihrem goldroten Haar glänzen Perlen und Diamanten.

Neben Elisabeth sitzt Anna von Cleve, auch sie ist ganz in Silberbrokat und nach französischer Mode gekleidet. Sie ist die einzige Frau Heinrichs VIII., die noch lebt. Doch bei der Krönung figuriert sie als seine adoptierte Schwester. Sonst hätte sie den ersten Rang nach der Königin einnehmen müssen. Elisabeth hat sich ihr eng angeschlossen. Anna ist achtzehn Jahre älter als sie. Aber sie ist Protestantin, eine Gleichgesinnte. Dem Wagen Mylady Elisabeths folgen die Prinzessinnen des Hauses und siebzig junge Hofdamen zu Pferd in karmoisinroten Samtgewändern mit goldenen Tressen und Hermelinverbrämung, die langen, weiten herabfallenden Ärmel goldgefüttert. Ebenfalls aus Gold- oder Silberstoff der über die Schulter fallende lange Mantel. Eine endlose Reihe prächtig gekleideter Edelleute und Ritter in silbernen und goldenen Rüstungen beschließt den Zug. Als am nächsten Tag die Krönungsfeier in Westminster stattfindet, nimmt Elisabeth wieder die erste Stelle im Range der Prinzessinnen ein.

Aber auch hier gibt sie Veranlassung zu Argwohn und Mißtrauen. Die spanischen Spione Marias wollen bemerken, daß Mylady Elisabeth allzufreundliche Blicke mit dem französischen Gesandten Noailles tauscht. Ihre kleine Prinzessinnenkrone drückt sie mit der Zeit. Sie möchte sie gern für den Rest des Tages ablegen. Das Zeremoniell aber gestattet es nicht. Die Spanier hören, wie der Franzose zu ihr sagt: »Geduld! Geduld! Bald werden Sie eine bessere Krone tragen.« Elisabeth lächelt über die Unvorsichtigkeit des geistreichen Parisers. Aber Marias Anhänger sehen darin einen neuen Beweis von Elisabeths Falschheit. Sie sind fester denn je überzeugt: sie konspiriert!

Ein weiteres Hindernis zum harmonischen Einvernehmen der beiden Schwestern ist Elisabeths zweideutige Stellung als nicht legitim anerkannte Tochter Heinrichs VIII. Ein paar Wochen nach der Krönung war das Parlament zusammengetreten und hatte durch die erste Akte Marias Geburt für legitim, die Heirat Heinrichs VIII. mit ihrer Mutter Katharina von Aragon für rechtsgültig und ihre Scheidung für null und nichtig erklärt. Dadurch fiel auf Heinrichs zweite Ehe mit Anna Boleyn und die Geburt Elisabeths endgültig der Flecken der Illegitimität. Maria machte bald auch an ihrem Hofe kein Hehl mehr daraus, daß sie ihre Schwester als Bastard betrachtete, nachdem sie sie anfänglich mit Ehren und Auszeichnungen förmlich überhäuft hatte.

Elisabeth ist nicht von der Art, Beleidigungen geduldig hinzunehmen. Sie hat lange genug alles ertragen, alles getan, was man von ihr verlangt. In diesem Punkt, hinsichtlich der Anzweiflung ihrer Legitimität, reißt ihre Geduld. Ihr Zorn bricht los. Sie tobt und erklärt, den Hof verlassen zu wollen. Eine ganze Woche besucht sie die Königin nicht, die an einer Herzneurose leidet, im Bett liegt und unaufhörlich weint. Es ist um die Zeit Allerheiligen. Elisabeth geht wieder einmal nicht zur Messe. Unglücklicherweise trifft es sich, daß an diesem großen katholischen Feiertag in Sankt Paul ein Kaplan mitten in der Predigt von Reformierten mit Schmähreden angegriffen wird. Einer soll sogar das Leben des Priesters bedroht haben. Man verfehlt natürlich nicht, Elisabeth für das Benehmen ihrer Glaubensgenossen indirekt verantwortlich zu machen oder zum mindesten sie der Beeinflussung zu verdächtigen. Das Beispiel der störrischen Prinzessin, die sich bei jeder Gelegenheit weigere, zum katholischen Gottesdienst zu erscheinen, mache den Protestanten Mut.

Maria fühlt schon nach kurzer Zeit, daß ihr die Gunst ihres Volkes entschwindet, während Elisabeth sich immer größerer Beliebtheit erfreut. Der ganze junge Adel liegt ihr zu Füßen. Wenn sie sich auf der Straße sehen läßt, strömt ihr die Bevölkerung mit Jubelrufen zu.

Es ist kein Wunder, daß sich die Engländer von Maria abwenden. Sie hat sie enttäuscht. Sie, die anfänglich mild und nachgiebig zu regieren schien, setzt ihre Herrschaft plötzlich in grausamster Weise gegen den Protestantismus durch. Alle kirchlichen Gesetze und Reformen, die unter Eduard eingeführt worden waren, werden wieder abgeschafft. Die Königin hat nur einen Gedanken: die Oberherrschaft des Papstes in einem Lande wieder einzuführen, das seit zwanzig Jahren mit der protestantischen Lehre verwachsen ist und für seinen neuen Glauben ungeheure Opfer gebracht hat. Besonders ist man in London, dem Hauptzentrum des Protestantismus, über die Maßnahmen der neuen Herrscherin gereizt, und die anderen Städte und Grafschaften, in denen die Reformation verwurzelt ist, schließen sich an. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit ihrer Königin aber steigert sich, als man vernimmt, sie werde sich mit einem fremden Prinzen, einem Spanier, vermählen.

Die Frage nach dem zukünftigen Gemahl Marias war gleich nach ihrer Thronbesteigung aufgetaucht. Das englische Volk zweifelte keinen Augenblick daran, daß seine Königin nur einen Engländer heiraten könne. Am liebsten aus dem Hause York. Da ist aber nur Eduard Courtenay, der seit seinem 14. Jahr im Tower gefangen gehalten wird. Er ist jetzt 26 Jahre alt, ein schöner schlanker Mann, mit vielen Talenten begabt, die er in seiner Gefangenschaft nicht vernachlässigt hat. Er ist der Urenkel Eduards IV. Sein Vater endete unter Heinrich VIII. wegen Hochverrats auf dem Schafott.

Als Maria zur Regierung kam, war einer ihrer ersten Gnadenakte, dem jungen Courtenay die Freiheit zu schenken und ihn bald darauf mit dem Titel eines Grafen von Devonshire zu belehnen, der im Hause Courtenay lange erblich gewesen war. Es schien auch, als leite sie dabei nicht nur das Staats-, sondern ein ganz persönliches Interesse an dem jungen Mann. Im Volk war es so gut wie sicher: Queen Mary heiratet Eduard Courtenay. Er war Katholik und ein Schützling des von Maria ebenfalls aus dem Tower befreiten und zum Lordkanzler ernannten Thomas Gardiner.

Man war daher sehr enttäuscht, als aus dieser Heirat nichts wurde und Maria sich an ihren Freund Karl V. wandte, dessen Sohn Philipp 27 Jahre alt und gerade Witwer geworden war. Sie hätte ihn ganz gern schon vor ein paar Jahren geheiratet. Da er jedoch mit Maria von Portugal verheiratet war, mußte sie auf ihn verzichten. Jetzt aber ist er frei! Sie kommt auf diese Jugendschwärmerei zurück, obwohl Philipp elf Jahre jünger ist als sie.

Eine Familienverbindung mit Spanien war dem englischen Volksinteresse vollkommen entgegen. Karl V. hingegen sah darin den größten Vorteil für seine Politik, denn dadurch wurde England verhindert, ein Bündnis mit Frankreich zu schließen. Die Protestanten in England wiederum sahen in Marias Bestreben, sich noch enger an das bigotte katholische Spanien anzuschließen, die endgültige Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen. Man sah furchtbare Zeiten voraus. Gegen diese neue Tyrannei der Tudors widersetzte sich das englische Volk. Es wollte es sich nicht gefallen lassen, sich dem Einfluß einer Nation unterwerfen zu müssen, deren Raubsucht, Gewalttätigkeit und Grausamkeit die ganze Welt mit Schrecken erfüllte. Es wollte keinen Spanier, überhaupt keinen Fremden. Das Unterhaus überreichte daher der Königin eine Adresse gegen ihre Verheiratung mit einem ausländischen Prinzen. Marias Zorn darüber war groß. Sofort löste sie das Parlament auf. Auch ihre Räte erreichten nichts bei ihr. Sie schien in ihrer Liebe zu Philipp vollkommen vernarrt. Trotzig erklärte sie, nur ihn und keinen anderen zu heiraten. Eher wolle sie sterben!

Am meisten aber ärgerte sie, daß ihr Vorschlag, den Bastard Elisabeth durch eine Bill für thronunberechtigt zu erklären, keinen Anklang fand. Einer ihrer ergebensten Ratgeber, der Staatsrat Paget trat dieser Zumutung energisch entgegen. Nie und nimmer werde das Parlament die von Heinrich VIII. eingesetzte Bestimmung umstoßen. Zwar sei Elisabeth nach dem Gesetz seine außereheliche Tochter, aber an ihre Anwartschaft auf den Thron könne nicht gerüttelt werden. Paget riet der Königin sogar, Elisabeth in aller Öffentlichkeit als ihre Thronfolgerin anzuerkennen und sie mit einem Engländer, etwa mit Courtenay, zu verheiraten, Maria habe ihn ja für sich selbst ausgeschlagen. Das englische Volk werde ihr Dank für diese Handlung wissen. Paget ging dabei von der richtigen Voraussetzung aus, daß Philipp sich dann nicht nach Marias Tode Englands bemächtigen konnte. Die Volksmeinung wäre dadurch für die Heirat der Königin erheblich milder gestimmt worden. Der Nimbus, der den jungen Courtenay seit seiner Befreiung aus jahrelanger unschuldiger Gefangenschaft umschwebte, seine königliche Abkunft, die Eleganz und Schönheit seiner Erscheinung, hatten ihn zum Liebling des englischen Volkes gemacht. Wenn er schon nicht der Gemahl Marias werden sollte, so wenigstens der der jungen Elisabeth. Man munkelte sowieso schon über allerlei Liebeshändel zwischen den beiden.

10. Anna von Cleve, Gattin Heinrichs VIII.
Stich von Hollar nach einem Gemälde von Holbein

Courtenay machte indes die plötzlich erlangte Freiheit tollkühn und leichtsinnig. Er gab Veranlassung zu den größten Skandalaffären Londons, führte ein ausschweifendes Leben, spielte sich in der ersten Zeit seinen Freunden und Bekannten gegenüber als der zukünftige König auf und sprach verächtlich über Elisabeth. Sie war empört und ließ ihn ihre Ungnade fühlen. Sie erschien nicht in der St.-Pauls-Kirche, als aus Anlaß seiner Erhebung zum Grafen von Devonshire dort eine große kirchliche Feier stattfand. Ihr Fernbleiben von dieser Messe entschuldigte sie der Königin gegenüber auch damals mit Krankheit. Trotzdem versuchten es ihre Feinde, sie in eine Liebesintrige mit Courtenay zu verwickeln, um die Eifersucht der älteren Maria und dadurch deren Ungnade gegen Elisabeth noch mehr zu entfachen. Courtenay selbst sagte der Königin in einer Privataudienz, es ginge das Gerücht, Elisabeth solle mit einem jungen englischen Aristokraten verheiratet werden. Dieser junge Mann sei er! Elisabeths und seine Kinder würden also dann die Erben ihres Thrones sein, da ja Maria wahrscheinlich wegen ihres Alters ohne Nachkommen stürbe. Das sei die öffentliche Meinung. Er selbst wünsche nichts sehnlicher als ihr zu dienen. Wenn sie ihn jedoch durchaus verheiraten wolle, dann lieber mit einem einfachen Hoffräulein als mit Mylady Elisabeth! Sie sei überdies hochmütig und ihre Abkunft von der Mutter allzu anrüchig. Solche Reden stachelten Marias Haß gegen Anna Boleyn immer wieder von neuem auf. Die Tochter mußte es büßen. Als daher der Staatsrat Paget ihr den obenerwähnten Vorschlag machte, Elisabeth als ihre rechtmäßige Thronfolgerin auszurufen, entgegnete sie kalt:

»Nein, sie ist der Krone Englands unwürdig. Sie ist die illegitime Tochter Anna Boleyns. Sie ist keine aufrichtige Katholikin. Sie ist eine Heuchlerin. Sie umgibt sich nur mit Protestanten. Sie machen sich allesamt lustig über die katholischen Kirchenzeremonien. Lieber ernenne ich Lady Lenox oder Maria Stuart oder die Herzogin von Suffolk zu meiner Nachfolgerin.« Man hat Maria auch hinterbracht, Elisabeth habe den französischen Gesandten heimlich bei sich empfangen und von ihm Ratschlage des Königs von Frankreich erhalten. Es ist Verleumdung, aber Maria wird immer wieder durch derartige Hetzereien in ihrem Mißtrauen gegen die Schwester bestärkt.

Von Stund an ließ sie Elisabeth ihr Mißfallen auf unzweideutige Art fühlen. Im Audienzzimmer darf die Prinzessin nicht wagen, den Stuhl der Gräfin Lenox oder der Herzogin von Suffolk einzunehmen. Ihre Freunde und Höflinge werden in auffallendster Weise zurückgesetzt und beleidigt. Elisabeth läßt sich das nicht lange gefallen. Da sie es jedoch für diplomatischer hält, im Guten mit ihrer Schwester auseinanderzukommen, bittet sie höflich um die Erlaubnis, sich vom Hofe entfernen und nach Ashridge zurückziehen zu dürfen. Sie sei ohnehin nicht besonders gesund und habe Ruhe nötig. Man gewährt ihr die Bitte, nachdem sie versprochen hat, sich in Ashridge mit der Kirche ergebenen Leuten umgeben zu wollen. Begleitet von den guten Ratschlägen Renards und Lord Pagets, die ihr ins Gewissen reden, zieht sie davon, äußerlich ganz Sanftheit und Ergebenheit.

Elisabeth ist sehr froh, dem »Netz der Spinne« – wenigstens eine Zeitlang – entronnen zu sein. Gleichsam zum Hohn – offiziell unter dem Vorwand, auch in Ashridge nicht der katholischen Religionsgebräuche entbehren zu müssen – läßt sie einen Boten an die Königin abgehen, um sich Chorhemden, Meßgewänder und Meßgefäße von ihr zu erbitten. Sie befindet sich bereits auf dem Wege nach ihrem Schloß. Aber Maria soll sehen, welch gute Katholikin ihre Schwester ist. Hätte sie die Kirchengewänder gleich mitgenommen, so wäre ja Maria nicht darauf aufmerksam geworden. Elisabeths Berechnung fruchtet diesmal nicht. Die Königin bleibt ihr gegenüber mißtrauisch und haßerfüllt. Ihre Freunde, besonders die spanischen Ratgeber, tun ihr möglichstes, sie immer mehr davon zu überzeugen, daß Elisabeth die Ruhestörerin ist. Sie muß verschwinden. Renard sagt der Königin geradeheraus, sie habe vier verschiedene Feinde: die Ketzer und Schismatiker; die Rebellen und Anhänger des Herzogs von Northumberland; Frankreich und Schottland; Mylady Elisabeth.

Nichtsdestoweniger geht die Trennung der Schwestern äußerlich reibungslos vor sich. Maria schenkt Elisabeth beim Abschied ein prachtvolles Zobelbarett und zwei Hals- und Armketten aus großen Perlen, dem Lieblingsschmuck der Prinzessin. Elisabeths Reisezug ist außerordentlich glänzend. Fünfhundert Edelleute zu Pferd begleiten sie. Auf dem Wege aber fühlt Elisabeth sich zu schwach, die Reise zu Pferd fortzusetzen. Sie erbittet durch Boten von der Königin deren Sänfte. Sie erhält sie sofort. Die äußere Höflichkeit wird nicht verletzt. Doch weder die eine noch die andere der Schwestern ist aufrichtig in ihren Gefühlen. Und während Elisabeth froh ist, der schwesterlichen Bevormundung entrückt zu sein, bleibt Maria voll Unruhe und Unsicherheit in London zurück.


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