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Im Wattenser Tal, das sich stundenweit ins Hochgebirge hineinzieht und den Zugang zu zahlreichen Almen bildet, die sich zu beiden Seiten des Tales den unfruchtbaren Hochbergen vorlagern, liegt auf der linken Bachseite die schöne Alm Wotz. Hier hauste alljährlich zur Winterszeit ein fleißiger Almgeist, ein Kasermandl, das nächtelang in der Almhütte herumrumorte und erst gegen Weihnachten ruhiger wurde. Wenn dann beim Frühjahrsbeginn die erste Amsel auf den Fichten im nahen Gehölz ihr inniges Liebeslied sang, nahm der winterliche Gast Abschied von der Hütte und wurde bis zum Herbst nicht wieder gesehen.
Im Hause des Bauern, dem diese Alm gehörte, diente eine brave, ehrliche Magd, die mit rührender Liebe an ihrem armen alten Mütterchen hing, das schwerkrank darniederlag. Nun war wieder die Weihnachtszeit gekommen, und das fleißige Mädchen hatte in Haus und Stall alles geputzt, gebürstet und sauber gemacht Als der Bauer am Heiligen Abend mit dem Gesinde und ein paar Bekannten am Weihnachtstisch saß, kam die Rede auch auf die Mm, und einer der Gäste meinte: »Was wohl heut das Kasermandl macht? Ob es auch Weihnachten feiert?«
Der Bauer, dem die paar Viertel Roten, die er sich heute vergönnt hatte, zu Kopf zu steigen begannen, rief in heiterer Festlaune: »Wer von euch sich getraut, jetzt gleich auf die WotzaIm zu steigen und nachzuschauen, was das Kasermandl heute nacht treibt, und zum Zeichen, daß er oben war, den Melkkübel aus der Almhütte mitbringt, dem will ich meine schönste Kuh aus dem Stall geben.«
Aber die Nachbarn und Knechte schwiegen, keiner brachte den Mut auf, den nächtlichen Gang zu wagen, nicht einmal um die schönste Kuh; denn das Kasermandl da oben stand in keinem guten Ruf und hatte schon manchen, der ihm in die Quere kam, mit geschwollenem Kopf davongejagt. Da wußte sich das mutige Mädchen ein Herz und dachte: Ich wage es in Gottes Namen. Ich tue es nicht aus Prahlerei oder Neugierde, sondern um meiner armen Mutter zu helfen, die eine Kuh gut brauchen kann. Also erklärte sich die Magd bereit, den Gang auf die Mm zu unternehmen. Leicht war es nicht, in kalter, finsterer Nacht zwei Stunden lang durch Schnee und Eis bergauf zu stapfen, aber das mutige Mädchen überwand alle Schwierigkeiten und erreichte glücklich sein Ziel.
Droben in der Almhütte war alles hell erleuchtet, Tische und Bänke glänzten vor Sauberkeit, auch der Fußboden war blitzblank gescheuert. Das Kasermandl saß im Feiertagsgewand vor dem Herd, schmauchte sein Pfeifchen und kochte sich in der Pfanne einen kohlrabenschwarzen Brei. Mutig trat das Mädchen in die Hütte, knixte unerschrocken vor dem Mandl so gut es eben eine einfache Bauerndirn verstand, und wollte eben anheben, ihr Kommen zu erklären, da winkte ihr der Kleine und sagte: »Komm her, setz sich nieder und iß mit!« Aber der Magd graute vor der seltsamen schwarzen Speise, sie zögerte, den dargebotenen Löffel in die Hand zu nehmen. Das Mandl aber meinte: »Dirndl, fürchte dich nicht! Mach nur rasch ein Kreuzzeichen über der Speise, und du wirst sehen, daß sie recht gut genießbar ist«
Die Magd tat dies. Sogleich lagen die schönsten Krapfen in der Pfanne, und sie hieb wacker ein; denn der weite Weg hatte sie hungrig gemacht. Auch das Männchen griff zu und aß mit dem Mädchen um die Wette; es schmeckte beiden ganz ausgezeichnet. Als sie die Pfanne fein säuberlich ausgeputzt hatten, fing das Kasermandl zu reden an: »Ich kenne dein Anliegen schon. Du sollst nachschauen, was ich hier treibe, und den Melkkübel mit hinunterbringen, zum Zeichen, daß du hier warst. Ich werde ihn dir gleich geben; denn du bist ein tüchtiges, braves Mädchen. Wenn du dann wieder im Tal unten bist, so verlange vom Bauern die beste trächtige Kuh mitsamt dem Kalb. Die soll er hergeben als Strafe dafür, daß er dich mutwillig mitten in der Nacht bei Kälte und Schnee auf den Berg heraufgeschickt hat«
Froh machte sich die Bauerndirne mit ihrem Melkkübel wieder auf den Heimweg. Als sie zum Haus ihres Dienstherrn kam, wollte dieser gerade zur Kirche aufbrechen. Freudig erzählte ihm die Magd den Erfolg ihres Ganges und zeigte zum Beweis, daß sie wirklich auf der Alm war, den Melkkübel vor; dann bat sie um die versprochene Kuh. Da lachte der Bauer und sagte:
»Daß du dumm genug warst, mitten in der Nacht auf die Alm zu rennen, ist dein eigener Schaden. Aber für so närrisch hätte ich dich nicht gehalten, meinen Spaß mit der Kuh für bare Münze zu nehmen. Dein Gang ist ja keinen Pfifferling wert, geschweige denn eine Kuh.« Damit war die Sache für ihn erledigt, und das arme Mädchen hatte das Nachsehen.
Am andern Morgen aber gab es eine traurige Weihnachtsbescherung im Bauernhof: eine der schönsten Kühe lag tot vor ihrem Barren im Stall. Der Bauer wollte sich schier die Haare ausraufen vor Ärger und Leid. Die Kuh war sein Liebling gewesen und hatte ihm schon manchen Preis eingetragen.
»Hättest du die Kuh mir gegeben, so wäre dir dieser Kummer erspart geblieben«, meinte die Magd. »Willst du dein Versprechen nicht halten?« Aber der Bauer schnauzte sie derb an und hieß sie schweigen.
Da ereignete sich am nächsten Tag neuerlich ein schreckliches Unglück, man fand wieder eine schöne Kuh tot im Stall; sie hatte sich an der verknüpften Halskette erwürgt. Und als am dritten Tag ein drittes Tier zugrunde ging, gab der Bauer klein bei; denn er meinte, es könne ihn den ganzen Viehstand kosten, wenn er sein Wort nicht einlöse. So gab er der Magd die begehrte trächtige Kuh und hatte fortan wieder Ruhe im Stall. Die Magd aber führte die Kuh in das Häuschen der Mutter, die mit glänzenden Augen die wertvolle Gabe in Empfang nahm; den nun hatte ihre Not ein Ende.
Dankbar gedachte das Mädchen des Kasermandls auf der Wotzalm und schickte täglich fromme Wünsche zum Himmel empor, um das Männchen von dem Fluch, der auf ihm lastete, zu erlösen.