Sagen aus Tirol
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Hitte Hatte und der Riese Jordan im Gurgltal

Östlich vom Ungarberg oberhalb Strad im Gurgltal, das sich von Imst gegen Nasserreith hin zieht, hoch über der Grotte im Berg, die den Eingang zur Wohnung der saligen Fräulein bildet, liegt, eingeschlossen von himmelhohen Bergwänden, in der Nähe einer schaurigen Felsschlucht ein freier Platz. Hier hauste vorzeiten in einem rohbehauenen Blockhaus ein riesiger wilder Mann einsam mit seiner nicht minder riesigen Gefährtin.

Der Riese, Jordan genannt, unternahm weite Raubzüge in der Umgebung, verschleppte Kinder und Vieh, um seine Beute am Spieß gebraten in seiner Hütte zu verzehren, und war vor allem hinter den saligen Fräulein her, die er mit grausamer Lust fing und tötete oder in unterirdischen Höhlen eingesperrt hielt.

Eines Tages schleppte er ein junges saliges Fräulein nach Hause, das er in der Nähe der Saligen-Grotte überrascht und gefangen hatte. Grinsend warf er das zitternde Geschöpf, das vor Angst schon mehr tot als lebendig war, seiner wilden Ehefrau zu, und rief: »Mach ihr den Garaus! Ich will die leckere Maid fressen!«

»Mann«, sagte die Wilde, »laß das Ding leben, ich kann sie gut in der Wirtschaft brauchen!«

»So!« schrie der Riese. »Wo hättest du sie den gern?«

»In der Hütte hätte ich sie gern«, meinte das Weib, »da könnte sie für mich allerlei Dienste verrichten.«

Da spottete Jordan: »Nun meinetwegen! So nimm dir deine ›Hitte Hatte‹ und mach dir ein williges Werkzeug daraus!« Und lachend setzte er hinzu: »Da haben wir nun neben der schwarzen Katze noch eine weiße.«

Das Ehepaar hielt sich nämlich eine schwarze Katze.

Das arme salige Fräulein, das von nun an nur mit dem Namen Hitte Hatte gerufen wurde, mußte alte, schmutzige Magdkleider anziehen und in Küche und Keller bei dem Riesenpaar die niedersten Arbeiten leisten. Mit Fleiß und Geschick tat das Mädchen vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein die gröbsten Verrichtungen und fügte sich ohne Murren in ihr hartes Los, so daß die Wildfrau zufrieden war und sich ganz gut und mild gegen ihre Dienerin zeigte, soweit dies bei ihrer wilden Wesensart möglich war. Auch für die Katze sorgte die Salige gut, stellte ihr lockend den Futternapf hin und ließ sie sogar in ihrem eigenen Bett schlafen. Und die Katze gewöhnte sich bald an ihre Betreuerin, umstrich sie schnurrend und folgte ihr auf Schritt und Tritt.

Aber das salige Fräulein sehnte sich doch hinweg von dem Riesenpaar und benützte eines Tages, als der Riese aus dem Haus war und sein Weib ein Loch in den Tag schlief, die Gelegenheit, um ins Tal hinunterzulaufen und ihr Glück bei den Menschen zu versuchen. Hinter ihr trippelte die schwarze Katze einher, als ob sie das Vorhaben ihrer Freundin ahne und sich nicht allein lassen wolle. So kam es, daß eines Abends bei einem Bauern im Tal ein schmuckes Mädchen, hinter dem eine große scharze Katze nachschlich, die Stube betrat und um Arbeit bat. die Wirtschaft des Bauern, eines gutmütigen, aber etwas schwerfälligen Mannes, ging nicht recht vorwärts; Arbeit gab es genug, doch das Essen reichte nicht immer und auch der Lohn war knapp. Deswegen hielten die Dienstboten nie lange im Haus aus, und der Bauer war fortwährend auf der Suche nach neuen Knechten oder Mägden. Als nun das hübsche, kräftige Mädchen ihre Dienste anbot, fragte man nicht lange nach woher und warum und stellte die neue Magd ein.

Das salige Fräulein versah seinen Dienst mit Lust und Liebe. Die Arbeit ging ihm flink von der Hand, und alles geschah pünktlich und zur rechten Zeit. Es war ein Vergnügen zu beobachten, wie Hitte Hatte – so nannte man sie noch immer – schaffte und wirtschaftete, als ob sie die Bäuerin selbst wäre. Mit dem Einstand der Magd zogen Wohlstand und Glück in das Bauernhaus ein. Besonders in der Behandlung des Flachses war sie eine wahre Meisterin, und das Vieh gedieh unter ihren Händen, daß es eine wahre Lust war, es anzusehen. Sie sprach wenig und nie ein unnützes Wort, still und bescheiden waltete sie im Haus und auf den Feldern, und die Bauersleute, die bald erkannt hatten, welche Perle ihnen da zugefallen war, ließen sie ruhig gewähren. Ihr Liebling war die schwarze Katze, die sie wie ein Kindlein hegte und pflegte. Und die Katze dankte es ihrer Beschützerin durch treue Anhänglichkeit und legte ihr wie zum Lohn manche Maus oder Ratte, die sie im Haus gefangen hatte, blinzelnd vor die Füße hin.

Nur ein Gedanke ängstigte Hitte Hatte, das war die Furcht vor dem Riesen, der damals schrecklich getobt hatte, als die Magd aus seiner Hütte entflohen war. Da hatte das Weib seinen Groll büßen müssen und eine feste Tracht Prügel erhalten; denn ihr Verschulden war es, daß das Mädchen entwischte, da sie am hellichten Tag noch schlief. Wald und Flur hatte der Unhold abgesucht, um der Flüchtenden wieder habhaft zu werden, und auch entdeckt, daß sie im Tal bei einem Bauern im Dienst war. Aber unten im Tal, wo überall Kreuze und Bildstöcke standen, die ihm unliebsam in die Augen stachen, war seine Macht zu Ende, und er konnte dem Mädchen nichts anhaben.

So verstrichen ein paar Jahre. Man hatte schon geraume Zeit von dem Riesen nichts mehr vernommen. Was war aus dem wilden Mann geworden? Der war unterdessen Elend umgekommen.

So war es gekommen, daß Hitte Hatte schon lange nichts mehr von ihm gehört und gesehen hatte.

 


 


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