Sagen aus Tirol
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Die heilige Notburga

Eine der ältesten Tiroler Burgen war die Rottenburg, welche jetzt nur noch in Trümmern die Gegend schmückt. Sie war die Wiege und der Stammsitz eines diese Gegend weithin beherrschenden Dynastengeschlechtes, das seinen Ursprung bis in das 8. Jahrhundert hinauf leitete. Ein Schutzengel war im 14. Jahrhundert dem Hause zuteil geworden, und zwar in einer frommen Jungfrau, des Namens Notburga, welche Heinrich I. von Rottenburg und Ottilie, seiner Gemahlin, als Magd diente, und zwar mit der aufopferndsten Treue. Aber auch gegen die Armen war Notburga die Milde selbst, und das war der kargen Herrin Ottilie nicht recht; sie wollte nicht einmal dulden, daß die Dienerin die Speisen an Arme gebe, die sie sich selbst am Munde absparte, und es ereigneten sich auf Rottenburg Szenen, wie bei der heiligen Elisabeth, Landgräfin von Thüringen, indem sich milde Gaben in Rosen verwandelten und dergleichen. Ottilie ließ sich durch nichts bewegen, der guten Jungfrau Notburga anders als herrisch und feindselig zu begegnen, ja, sie trieb die Arme endlich aus ihrem Schlosse. Notburga suchte und fand bei einem Bauern Zuflucht, der sie aufnahm, in dessen Haus ihr Walten Segen und Fülle brachte, obgleich die fromme Jungfrau mehr betete als arbeitete. Einst galt es Gras zu schneiden, aber ehe die Arbeit vollendet war, erklang die Felerabendglocke, indem die letzten Strahlen der sinkenden Sonne die Gegend vergoldeten. Alsbald endete Notburga die Arbeit, und darüber wurde der Bauer etwas unmutig und sagte: »Es muß heute zu Ende geschnitten werden.« Aber Notburga antwortete nur das eine Wort: »Feierabend!« warf die Sichel hoch in die Luft, und siehe, die Sichel blieb hängen auf dem letzten Sonnenstrahl und glänzte hell wie der silberne Mond. Je mehr bei dem Bauern der Segen wuchs, um so mehr nahm er ab beim Dynasten von Rottenburg; endlich starb Heinrich 1., und Herrin Ottilie sank auch auf das Sterbelager. Da gab ihr Gott zum Glücke den Gedanken ein, Notburga zurückzurufen und ihre Verzeihung zu erbitten. Die Jungfrau kam, und bald blühte auch auf Rottenburg alles wieder im besten Wohlstand, und eine Reihe von Jahren war Notburga des Hauses wohltuender und segnender Genius. Als aber auch sie ihr Ende herannahen fühlte (nach dessen Eintreten Engel ihre Seele sichtbarlich in den Himmel trugen), ordnete sie an, daß ihre Leiche auf einen mit zwei Stieren bespannten Wagen gelegt werden sollte, und wo jene – ohne Lenker – sie hinfahren würden, da solle man sie bestatten. Die Tiere fuhren den Leichnam über den Inn, zu einer Kapelle des heiligen Ruprecht, in welcher in früherer Zeit Notburga oft gebetet hatte; dort begrub man sie nun, und da an ihrem Grabe Wunder geschahen, so wurde sie vom Volke als eine Heilige verehrt, und ihr zu Ehren später eine herrliche Kirche erbaut und geweiht, die nun eine besuchte Wallfahrtskirche ist und zu Eben ob Jenbach steht.

 


 


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