Sagen aus Kärnten
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Ritter Bibernell auf Schloß Stein bei Oberdrauburg

Vor vielen Jahrhunderten saß auf Schloß Stein bei Oberdrauburg ein mächtiger Ritter namens Bibernell, der wegen seiner Härte und Ungerechtigkeiten bei allen seinen Untertanen gehaßt und gefürchtet war. Seine Herrschaft erstreckte sich über das ganze Gebiet, und er übte sein Herrenrecht so strenge aus, daß keiner seiner Untertanen über den geringsten Eigenbesitz verfügen durfte.

Die einzige Tochter des Ritters, ein tugendsames, anmutiges Wesen, liebte einen armen Schreiber, der in der Nähe bedienstet war. Da der hartherzige Vater nie seine Zustimmung zu einer Verbindung der beiden Liebenden gegeben hätte, beschlossen sie, aus dem Land zu fliehen und sich im nahen Italien trauen zu lassen. Es war aber nicht so leicht, unbemerkt aus der Burg zu entkommen, die stark bewacht war; daher gedachte das Mädchen eine List anzuwenden. Im Schloß zeigte sich allnächtlich ein Geist, an dessen Erscheinen die Burgwache schon gewöhnt war. Das wollte sich das Mädchen zunutze machen und in Gestalt und Gewandung des Geistes entfliehen. Sie verspätete sich aber, so daß das Gespenst früher am Platz war als die Jungfrau und von dem ungeduldig harrenden Geliebten auf das Pferd gehoben und entführt wurde. Als der Reiter mit seiner süßen Last zur Draubrücke kam, traf ein Mondstrahl das Gesicht der in seinen Armen ruhenden Gestalt und zeigte ihm einen gräßlich grinsenden Totenkopf. Da schlug es auf dem nahen Kirchturm zwölf Uhr Mitternacht, und im selben Augenblick löste sich das Gespenst in einen grauen Nebelschwaden auf. Der Schreiber ritt zurück, fand die wartende Geliebte und flüchtete mit ihr ungehindert nach Welschland, wo der Priester die Trauung vollzog.

Als der tückische Ritter die Flucht seiner Tochter erfuhr, tobte er in wildem Zorn. Niemand hatte das Mädchen die Burg verlassen sehen, die zitternden Wachen konnten nur aussagen, daß in der vergangenen Nacht das Gespenst zweimal an ihnen vorübergewandelt sei. Den hartnäckigen Bemühungen des ergrimmten Vaters gelang es, dem geflüchteten Paar auf die Spur zu kommen und seinen Aufenthalt auszuforschen. Mit scheinheiligen Worten lud er sie zu sich und versprach volle Verzeihung. Freudig und arglos kehrten die beiden auf Schloß Stein zurück.

Zur Feier ihrer Heimkunft veranstaltete Bibernell ein prunkvolles Fest, bei dem der Burgkaplan den Bund des jungen Paares nochmals einsegnen sollte. Als der Schloßherr beim anschließenden Festmahl den Neuvermählten zutrank und diese den Trunk erwiderten, erblaßte die junge Frau plötzlich und sank mit dem Ruf: »Ich bin vergiftet!« tot zu Boden. Auch der Schwiegersohn verspürte die Wirkung des Giftes, besaß aber noch so viel Kraft, daß er seinen Dolch aus der Scheide riß und den höhnisch lächelnden Ritter damit durchbohrte.

Nach einer alten Bestimmung sollte der letzte Ritter von Schloß Stein in Luggau bestattet werden; daher wurde der Leichnam Bibernells in einem prächtigen Sarg unter zahlreicher Begleitung seiner Standesgenossen über den Gailberg geführt, während alle seine Untertanen erleichtert aufatmeten, als ihr grausamer Herr auf immer die Stätte seiner Schandtaten verließ. Auf der Höhe des Gailberges angelangt, vernahmen die Trauergäste ein dumpfes Poltern im Sarg. Als man ihn öffnete, war er leer.

Das war das Ende des letzten Ritters auf Stein.

 


 


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