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Simon

Eine Erzählung von Ernst Zahn

1.

Das Holzhaus des Klosterfischers Simon Baumann versteckte sich in einem Seewinkel unweit des Reusseinlaufs. Die Reuss war verbaut, der Damm mit Eschen bepflanzt. Zwischen den Büschen führte der Zuweg zum Fischerhaus um einen mächtigen Felsblock herum. Eine sanfte grüne Wiese lag zwischen Haus und See. Auf ihr gingen die Hühner spazieren. Am Ufer, ein Stück ab vom altersgrauen Boothaus, stand eine Bank, wo nach Feierabend Simon und seine junge Frau Sina beisammen sassen und ans andere Ufer hinüber staunten, Simon, die Pfeife im Mund, ein zufriedener Mann, Rosina, mit dem rotblonden Haar und der feinen, ein wenig vorwitzigen Nase, gähnend und sich langweilend.

Das Haus, von Alter und Wetter gebräunt, machte den Eindruck der Wohlhabenheit. Von den samtbraunen Gesimsen flammten rote Geranien.

Der Wohlstand des Fischers hatte den Ausschlag gegeben, dass Sina Yberg, die Gastwirtstochter, ihn genommen. Freilich besass er noch andere Vorzüge. Die lieben Frauen von Seen, deren grosses, altes Kloster jenseits des Dorfes unterm Walde stand, hatten samt und sonders den Narren an ihm gefressen und liessen ihn nicht zu kurz kommen, wenn er ihnen vertragsgemäss zuerst die Erträgnisse seines Fangs in die Küche lieferte. Gutmütigkeit und Ehrlichkeit waren Simons besondere Tugenden. Es gab im Dorf wie drüben im Hauptort, wohin er manchmal für irgend einen Handel zog, niemand, der ihn nicht mit bereiter Achtung gegrüsst hätte. Bei einem solchen Besuche hatte Simon vor mehr als zwei Jahren die Sina Yberg kennen gelernt, sich Knall und Fall in ihr glattes Frätzlein verschaut und sie ebenso rasch bekommen, wie er sich zu ihr entschlossen. Er sah in seinem Seewinkel nicht viel von der Welt. Was Wunder, dass ihm ein so blitzendes Splitterchen davon, wie Sina es vorstellte, gefiel. Erst allmählich kam er zur Erkenntnis, dass zwischen seinem einsamen Hause und dem lauten Gasthof des Kronenwirts, zwischen dem jetzigen stillen Alltag der Sina und ihrem früheren auf Tanz und Geselligkeit gestellten Leben ein mächtiger Unterschied war. Erst allmählich bemerkte er Sinas Gähnen der Langeweile und wie in ihren unter langen Wimpern sich bergenden Augen manchmal eine halb weinerliche, halb zornige Sehnsucht leuchtete. Es beunruhigte ihn noch nicht, auch nicht, dass sie so häufig nach Hause lief. Er brauchte lange, bis er aus dem Gleichgewicht kam. Aber er war froh, dass Sina bald Gesellschaft in Gestalt ihrer jungen Schwester Luzina bekommen sollte. Im Grunde liebte sie ihn ja und war eine zärtliche Bettgenossin, gestand er sich nicht ohne Stolz.

An einem Sonntag zu Sommeranfang kam Luzina Yberg von Seen herab gegen das Fischerhaus geschritten. Noch hatten oben an der Klosterkirche die letzten Besucher des Gottesdienstes beisammen gestanden. Schwager und Schwester aber waren schon heimgegangen. Heisse Sonne lag über den Uferwiesen und auf dem See. Die Reuss schoss braun und zornig durch ihr Kanalbett; aber der See empfing sie gleichsam in übermächtig starken und gelassenen Armen und schluckte ihre braune Unrast in seine blaue Reglosigkeit ein. Luzina trug ihren weissen Strohhut mit dem schwarzen Band am Arm und hatte ein bis an den weissen Hals geschlossenes schwarzes Kleid an, die brave Klostersonntagstracht, die besser hinter die kühlen Mauern der Nonnenschule als in den lastenden Sommertag passte. Sie war am Haus der lieben Frauen von Seen mit stiller Andacht vorüber gegangen. Ihr, dem Klosterzögling, kam das alles bekannt vor. Volle fünf Jahre hatte sie in der andern Klosterschule im Welschland zugebracht, ihr ganzes sechzehnjähriges Herz den feinen, stillen Lehrschwestern geschenkt und war, selbst weltfremd und einspännig geworden, froh, dass Vater und Mutter sie nicht lange zu Hause in der »Krone« behalten, sondern ihr aufgetragen hatten, zunächst eine Weile zur Sinaschwester überzusiedeln, die einen braven, aber langweiligen Mann geheiratet und sich nicht recht in die Weltentlegenheit ihrer Seehütte eingewöhnen könne.

Als Luzina aus dem Dorfe heraus und den Reussdamm entlang der einsamen Fischerhütte immer näher kam, erwachte ihre Neugier, die Schwester wiederzusehen und den Schwager kennen zu lernen. Sie stellte es sich köstlich vor, an dem einsamen Uferwinkel zu wohnen, allein mit zwei Menschen, denen sie gut war, einen Blumen- und Gemüsegarten zu pflegen, am See zu sitzen und den Fischfahrten des Schwagers anzuwohnen. Das Gepäck wollte der Vater ihr im Laufe des Nachmittags durch einen Knecht nachschicken. So ging sie ganz unbeschwert ihres Weges, die Augen mit den langen blonden Wimpern, wie sie es im Kloster gelernt, sittsam an den Boden geheftet, aber doch still vergnügt. Erst als sie in den kühlen Schatten des Felsens trat, der die Aussicht auf den Fischerwinkel verwehrt, überrieselte sie ein ketzerisches kleines Gefühl. Es schien ihr, dass ihr ehrsames Kleid ihr recht weit und steif am dünnen ranken Körper sitze, und sie scheute sich ein wenig vor dem Eindruck, den sie den Verwandten machen werde.

Bald grüssten ihr indessen einige Rosen im Fischergarten entgegen. Und gleich darauf erblickte sie einen grossen, breitschulterigen Mann, der sich vor einem solchen Rosenstamme zu schaffen machte und dessen weisse Hemdärmel wie Vogelfahnen herüberblitzten. Das musste ihr Schwager sein, dachte sie und hatte Lust, sich ihm durch ein kleines Jauchzen anzumelden, aber die Schüchternheit nahm ihr den Ton von den Lippen.

Gleich darauf entdeckte aber der zufällig sich umschauende Simon auch sie und kam ihr mit grossen gelassenen Schritten entgegen. »Da bist du ja«, begrüsste er sie und war überrascht, dass die Hand, die sie ihm reichte, noch kleiner und zierlicher war als die Sinas. Er betrachtete die Schwägerin aufmerksamer, bemerkte ihre grosse Jugend und wie doch in ihrem schmalen Gesicht im Gegensatz zu den lebendigen Zügen der Schwester eine sanfte Ruhe und ein ein wenig geschraubter, die Klosterschulung verratender Ernst war.

Luzina brachte die Grüsse der Eltern. Sie tauschten ein paar gleichgültige Worte und traten gemeinsam ins Haus, wo Sina eben drei Gedecke auf den Wohnstubentisch legte. Das Mundwerk der jungen Frau begann wie eine Mühle zu gehen. Man merkte der Einsamen die Freude über die Abwechslung, die die Ankunft der Schwester brachte, an. Erst als sie bei Tische sassen und Sina alles erfragt hatte, was sie über das vergnügliche Leben in der »Krone« zu wissen wünschte, bekam Luzina endlich zu dem schüchternen Lobe Raum, wie schön es in diesem stillen Winkel sei und wie glücklich die Geschwister sich hier wohl fühlen müssten!

»Glücklich?« lachte Sina spöttisch auf. »Wenn du ein paar Wochen später gekommen wärest, so hättest du mich vielleicht vor Langeweile gestorben vorgefunden.«

Simon schaute betroffen und die Unzufriedenheit seiner Frau schärfer als bisher fühlend, von seinem Teller auf. Er fand nicht sogleich ein Wort der Erwiderung. Aber auch Luzi bemerkte erstaunt, dass hier die Dinge anders lagen als sie gedacht, und schwieg verlegen. Simon bemerkte ihre Betretenheit, und während die redselige Sina jetzt das Tanz- und Festleben in der »Krone« rühmte und es mit der grabkammerhaften Einsamkeit des Fischerwinkels verglich, blickte er von einer Schwester zur andern und fand, dass es noch selten zwei so verschiedene Wesen gegeben haben könne. Dabei verhehlte er sich nicht, dass auch die Klosterschülerin Luzi sich früher oder später in einen lebensfreudesüchtigen Schmetterling verwandeln könnte. Im Augenblick aber schien ihm das bescheidene stille Kind viel besser an seinen Tisch zu passen als die geliebte Sina. Der Eindruck verwischte sich ihm indessen bald genug wieder. Er war noch über beide Ohren in seine junge Frau verschossen und fiel sogleich wieder in ihren Bann, als sie nach Tisch und nachdem Luzina auf ihre Kammer gegangen, mit ihm zu tändeln begann. –-

Luzina lebte sich bald bei den Geschwistern ein. Haus und Garten, See und Alltag gefielen ihr besser und besser. Sie erlebte alles mit um so tieferem und freudigerem Erstaunen, als sie – ihre Kinderzeit abgerechnet – damit überhaupt zum erstenmal ein Stück Leben ausserhalb der Klostermauern kennen lernte. Jeder neue Morgen bedeutete ihr eine Überraschung. Die Vögel sangen im offenen Seegarten noch einmal so eifrig wie in den düstern Bäumen des Klosterparks. Der See, in dem sich schroffe, bergige Ufer spiegelten, hatte ein sattes, wundersames Blau. Und durch den ebenso blauen Himmel segelte manchmal eine atlasglänzende weisse Wolke. Das sah und hörte sie vom Bette aus, in dem sie morgens gern noch mit offenen Augen träumte, dabei sich wundernd, dass der Schwager jetzt schon seit vielen Stunden draussen auf dem Wasser seine Netze versenkte. Zuweilen erblickte sie von weitem auch sein plumpes, ungefüges Boot und ihn selbst darin, wie er, mit einem Arm rudernd, mit der andern Hand das Netz vom Ständer schob. Sie stellte ihn sich vor, sein ernstes Gesicht, den hochgestirnten, ein wenig eigensinnigen Kopf, und wie schön das zeitweilige freundliche Lachen die strenge Miene erhellte. Es wollte ihr scheinen, die Schwester habe das grosse Los gezogen. Simons einfaches, ehrliches und doch Selbstgefühl atmendes Wesen spann sie gerade so ein wie seine Patronessen, die lieben Frauen von Seen. Allmählich begann sie die Heimkehr des Schwagers vom Fischfang als einen freundlichen Höhepunkt des Tages zu erwarten, und eine Fahrt mit ihm wurde ihr zum Erlebnis. Sie beobachtete ihn, wie er im Nauen aufrecht stand, das schwere Ruder geräuschlos, aber weit hinab ins Wasser tauchte und mit hartem Stoss das Fahrzeug fürbass zwang. Es schien ihr, als gehöre er zu diesem abgründigen ernsten Wasser, und wenn er ihr mit einer dunklen Stimme erzählte, wie viele Klafter tief an dieser Stelle der See sei und wie an einer andern vor Jahren ein Hochzeitsnauen mit Brautpaar und allen Gästen in einem Sturm untergegangen, meinte sie, es töne eine Glocke aus dem Seegrund selbst. Wenn er aber dann beifügte, man dürfe sich nur nicht erschrecken lassen, dann könne einem auch in bösem Wetter nichts geschehen, dann dachte sie, in seiner Obhut sei man allerdings in grosser Sicherheit. Etwas unendlich Schutzhaftes schien ihr an ihm zu sein und nicht ein Funken der Männerleichtfertigkeit, vor der sie in der Klosterschule mit so geheimnisvollem Drohen gewarnt worden. Einmal fragte sie sich, ob gleichwie der durch plötzlich aufspringende Stürme verrufene See wohl auch er im Zorn auf schäumen könne; aber sie lächelte fast über den Gedanken. Nur Sinas spielerische, unzufriedene und ihr in vielen Dingen befremdliche Art schien manchmal Simons Ruhe zu gefährden.

Sina war es, die kleine Schatten in Luzis Freude warf. Sie war ein Tanzvogel. Luzina begriff nicht, dass man von nichts anderem als schönen Kleidern, Männern und losen Freuden sprechen konnte. Schon am frühen Morgen ging Sina im Staat, die Hausarbeit der Magd überlassend, deren Einstellung sie von Simon ertrotzt hatte. Alle paar Tage lief sie zur Schneiderin im Hauptort. Die Zeitung las sie nur auf die Tanz- und Festgelegenheiten hin und nannte Luzina ein ganze Reihe von Verehrern, die sie nach und nach an ihren Wagen gespannt. Das mutete jene fremd und unbegreiflich an. Sie masste sich kein Urteil darüber an. Nur, wenn sie wieder daran dachte, wieviel Geduld Simon haben müsse, empfand sie eine Beklemmung.

Vierzehn Tage nach Luzis Einzug, an einem Sonntagmorgen, fuhr Sina wieder heim zu den Eltern. Luzina wusste, dass der Besuch mehr einem in der »Krone« stattfindenden Tanzvergnügen galt. Sina hatte sie aufgefordert, mitzukommen und als sie, bestürzt über die Zumutung, ablehnte, sie eine richtige Nonne geheissen. Im Grunde aber schien sie froh zu sein, allein fahren zu können und segelte in ihrem kurzen, alle Vorzüge ihrer schmiegsamen Gestalt zur Schau stellenden Kleidchen wie ein bewimpeltes Festschifflein davon. Luzina ging wie immer zur Kirche. Dort begegnete sie auch Simon, der nach dem Gottesdienst sich noch nach dem Scheibenstand, seiner Vergnügungsstätte, der einzigen, die er mit Eifer und Ernst besuchte, begab. Am Nachmittag aber fanden sich beide, da auch die Magd einen freien Tag bekommen, allein im Hause. Simon fiel die Stille seiner Stuben, denen heute die Plauderhaftigkeit und das Herumfegewesen Sinas wieder einmal fehlte, auf. Eine leise Leere war anfangs in seinem Herzen, machte aber bald einer Befriedigung Platz, als er Luzina, über eine Handarbeit gebeugt, am Wohnstubenfenster sitzend fand und sah, wie ein Lichtstrahl auf ihren schlichten blonden Scheitel und ihre schmale Wange floss. Ihre schlanken, kleinen, braunen Hände führten in ruhigem und sorglichem Auf und Ab die Nadel. Ihr Körper, zart wie der Sinas, zeigte noch eine fast kindliche Sprödigkeit. Schultern und Arme waren noch hager. Und in der Art, wie sie befangen die Augen hob, lag ihre ganze Schüchternheit. Da wollte ihn wieder bedünken, dass sie in seine Stube eigentlich besser passe als die kleine Tanzfrau Sina, was ihn aber nicht hinderte, noch immer von ihrem Liebreiz verzaubert zu sein.

»Schau, schau,« begann er ein Gespräch, »da müssen wir ja heute ganz allein miteinander auskommen.«

»Ja eben«, entgegnete sie seufzend.

Er wurde nicht klug, ob sie das bedauerte, weil Sina schon wieder weggefahren oder weil seine Gesellschaft ihr nicht eben viel galt. Aber es zwang ihn doch etwas, Sina zu entschuldigen und zu sagen: »Das ist nun eben einmal Sinas Leben. Ohne Menschen und ein wenig Jux kann sie nicht auskommen.«

»Natürlich«, stimmte Luzina leise zu, aber er hörte ihrem Ton an, dass sie nicht ganz einverstanden war.

»Du machst dir wohl weniger aus Tanz und dergleichen?« fragte er.

»Ich habe es nicht gelernt«, gestand sie ein wenig beschämt.

Da leuchtete er auf und lachte vergnügt: »So geht es dir wie mir; ich kann es auch nicht.«

Nun fiel ihnen nicht sogleich etwas Weiteres ein. Ein jedes lauschte, ohne es zu wissen, noch dem Geständnis nach, dass sie etwas Gemeinsames hatten. Dann aber rappelte Simon sich auf und philosophierte: »So sind die Menschen, der eine so, der andere so.« Und gleich darauf meinte er: »Manchmal denke ich, es sei ein Unrecht gewesen, die lustige Sina in einen so stillen Winkel zu verpflanzen.«

Luzina liess den Blick am Boden, aber sie lauschte gespannt. War der Schwager auch schon auf den Gedanken gekommen, dass die Schwester nicht hierher passe? Ihr Herz flatterte in leiser Bedrängnis.

Aber Simon fuhr fort: »Sie vergnügt sich ja auch in allen Ehren.«

Warum sagt er das so feierlich? fragte sich Luzina.

Warum glaube ich, das besonders betonen zu müssen? überlegte Simon selbst.

Und beinahe hätten sie abermals das Reden vergessen.

Simon überwand aber die Versuchung, zu grübeln und meinte: »Das ist aber kein Wetter für die Stube. Lass uns doch in den Garten gehen.«

Sie gab ihm recht, selbst froh, an die Luft zu kommen, bat ihn vorauszugehen und fand ihn bald darauf auf einem zum Seeufer führenden Gartenwege, wie er sich über eine seiner Rosen beugte.

»Schau die Pracht«, rief er ihr zu und begann ihr die Rosenarten zu erklären, von denen er viele im Garten zog. Er wusste alle lateinischen Namen und wie diese und jene besondere Pflege forderte. Einen ganzen Vortrag hielt er ihr, und sie staunte über sein Wissen und seine Schönheitsfreude, auch wie er aus kleinen und stillen Dingen sich ein Glück zu schaffen wusste. Ihre Hochachtung für ihn wuchs.

»Sina hält nicht viel davon«, erwähnte er und entkräftete die heimliche Klage mit dem Scherz: »Und doch lieben Rosen gerade so bunte Kleider wie ihr jungen Weiber.«

»Im Kloster geht man immer im gleichen Schwarz«, wehrte sich Luzina.

Er sah sogleich ein, dass seine Bemerkung auf sie nicht zutraf. Er freute sich auch darüber und freute sich irgendwie wieder an ihr und der Tatsache, dass sie auf ein langes Verweilen im Hause war.

»Das sind gute Kameraden«, lobte er, von Rosenstamm zu Stamm gehend. »Es müssen nicht immer Menschen sein.«

Dieses Wort fand in ihr abermals ein Echo.

Eines genoss des andern Gesellschaft mehr als je. Sie näherten sich dem Bootshaus, und wie auf Verabredung löste Simon stumm den Nauen.

Eine Wolke rückte vor die Sonne, als sie in den See stiessen. Sein Spiegel gewann eine Stahlfarbe. Über die Uferberge aber, deren Fuss tief hinab ins Wasser reichte, rann ein violettes Licht. Weit und breit war kein anderes Fahrzeug zu sehen. Die Ufer warfen auch keinen Laut zurück. So fiel eine fast einschläfernde Stille über sie, die sie selbst weiter in Schweigen verharren liess. Sie mochten keines diese Stille durch Worte stören, sassen über der reglosen Flut und waren sonderbar zufrieden, ohne zu bedenken, dass es ihnen schön erschien, so beisammen zu sein. Einmal suchten Simons Gedanken Sina, wie sie jetzt wohl im Kronensaal tanzte. Aber er wünschte sie nicht wie sonst herbei, sondern ihr Bild und das, was ihm an ihrer Vergnügungssucht unlieb war, gewann keine rechte Deutlichkeit. Nach einer Weile ging ihm sogar die Pfeife aus, die er sonst auf dem Wasser mit Behagen rauchte.

Luzina tauchte die Hand ins laue Wasser. Es schien ihr, als berühre sie den Rücken eines grossen, ruhenden Tieres, in dessen Schutz man geborgen war.

»Gefällt es dir hier?« fragte Simon.

Sie nickte nur und lächelte vor sich hin.

Keines dachte mehr daran, dass Luzina eigentlich nur Gast war. Keines wünschte, dass irgend etwas von der guten Gegenwart sich je wieder ändern möchte.

2.

Simon und Luzina erzählten Sina lachend, wie lange sie auf dem See gewesen, und dass sie fast das Heimkommen vergessen hätten.

»Ein Wunder, dass wir nicht eingeschlafen sind«, scherzte Simon. Aber sowohl er als Luzina wussten, wie innerlich wach sie trotz ihrer Schweigsamkeit gewesen.

Sina hörte kaum, was sie berichteten. Ihr weisses Gesicht war heiss, in ihren rötlich braunen Augen flackerte noch die Lust, mit der sie die Nachmittagsstunden durchtanzt hatte. Ein Tänzer hatte ihr zugeredet, über Nacht fort zu bleiben. Der vernünftige Vater aber hatte eingespannt und sie nach Hause geführt. Jetzt sehnte sie sich nach Ruhe und Alleinsein. Die beiden andern störten sie. Was sie getrieben haben könnten, kümmerte sie nicht. In nervöser Hast gab auch sie Bericht: »Lustig ist es daheim zugegangen. Es sind ein paar Amerikaner heimgekommen, flotte Burschen, die etwas fliegen lassen. Die wissen, was Welt ist! Man merkt dabei erst, wie altväterisch man noch ist.« Einen Namen, »John Arnold«, nannte sie so oft, dass Luzina aufhorchte. Dann aber brach sie gähnend und plötzlich auf. »Ich bin todmüde«, gestand sie.

Die beiden andern folgten ihrem Beispiel. Ohne zu wissen warum, waren sie etwas kleinlaut, als hätten sie an Sina eine Pflicht versäumt. Vor der Ehekammer gaben sie einander die Hand.

»Schlaf wohl«, wünschte eines dem andern. Und es kam ihnen vor, als hätten sie hier lange beisammen gewohnt und mit Sina sei ein Gast gekommen.

Sina lag schon zu Bett, als Simon eintrat. Zusammengeknüllt und gegen die Wand gedrückt lag sie; er sah sie kaum. War es möglich, dass sie schon schlief? dachte er. Aber er erwachte jetzt zu ihr, freute sich ihrer Heimkehr und hätte ihr gern gesagt, dass dem so sei.

Sie schlief nicht. Sie hatte hastig ihre Kleider abgestreift und war in die Federn geschlüpft. Ihre Fähnchen lagen unordentlich genug auf dem Stuhl neben dem Bett. Heimlich und verhohlen lauschte sie nach Simon aus. Sie wollte nichts von ihm, wollte nur mit ihren Gedanken endlich allein sein. Sie drückte die Augen zu und war entschlossen, sich in kein Gespräch mehr einzulassen. Ihr Inneres aber war in Aufruhr. Sie sah immer noch John Arnold, den Blondkopf, den kleinen Stutzer, mit der Nelke im Knopfloch, der heute so viel mit ihr getanzt. Hell und gerade strebte ihm über der Stirn der blonde Haarschopf auf. Im bartlosen Gesicht trug er einen Ausdruck von Langeweile, als ob ihm das Leben jetzt nicht biete, was er erwartete. Er rühmte die Neue Welt. Um so mehr schmeichelte ihr, dass in der Alten sie ihm entschieden zu gefallen schien. Sie spürte noch den eigenmächtigen Druck, mit dem er sie in den Armen gehalten. Und mit geheimer Lust rief sie sich den Augenblick zurück, da er im dunkeln Flur gewagt hatte, sie zu küssen. Nicht, dass ihr das ein Neues war! Sie hatte vor und nach dem Verspruch mit Simon unzählige Techtelmechtel gehabt. Aber sie war erregter als sonst, vielleicht, weil sie seit einiger Zeit weniger leicht zu dergleichen Unterhaltung kam. Simon hatte sie sich nie besonders verantwortlich gefühlt. Aber heute stellte sich das Gefallen, das sie sonst manchmal auch an ihm noch fand, nicht ein. Seine Nähe störte sie im Gegenteil. Sie fürchtete, er könnte eine Unterhaltung beginnen, den Gang ihrer Gedanken unterbrechen. Dann aber war er ihr auch sonst im Wege. John Arnold wollte sie besuchen! Sie hatte es ihm nicht verboten. Sie war im Augenblick nur im Unklaren, wie es mit diesen Besuchen werden solle. Sie schmiedete unklare Pläne. Simon brauchte nicht da zu sein, wenn ihr Gast kam! Die junge, klosterverschrobene Schwester störte sie weniger.

Simon lag lange wach neben ihr. Er störte sie nicht. Er begriff, dass Tanzen müde machte. Und morgen war auch wieder ein Tag. Zuletzt schlief auch er ein, wie ein Mann mit gutem Gewissen es tut. –

Am folgenden Morgen, noch ehe es dämmerte, war Simon wie gewohnt auf dem See.

Luzina bot der Schwester an, eine Wäsche zu besorgen und machte sich hinter dem Hause daran.

Sina fand keine rechte Ruhe. Bald war sie unten, bald oben im Hause, lauschte, ob Luzi ausser Hörweite blieb und hatte eine Vorliebe für alle Fenster. Jetzt überwachte sie den See und jetzt den Zuweg vom Dorf her. Simon kehrte zuweilen mit seinem Fang nicht erst nach Hause zurück, sondern brachte ihn gleich ins Kloster der lieben Frauen. Sie hätte ums Leben gern gewusst, ob er das heute auch tun werde. Und sie war noch viel neugieriger auf den Gast, der ihr vom Dorf her kommen konnte.

Ihre Aufmerksamkeit lohnte sich. Sie sah nach einer Weile Simon dem Landeplatz der Klosterschiffe zusteuern. Und sie hatte sich noch nicht ganz von dem freudigen Schrecken darüber erholt, als sie unfern des Garteneingangs den Amerikaner gewahrte. Er lehnte am Wiesenzaun, steckte sich eine Zigarette an, vergrub dann die Hände in die Taschen und schien die Situation auszukundschaften. Sein unbedeckter Haarschopf leuchtete in der Sonne. Er erschien ihr womöglich noch appetitlicher als gestern. Dann stob sie treppab. Sie wusste nicht, was sie sollte und wollte. Unschlüssig legte sie die Hand auf die Haustürklinke.

Da erschien Luzina durch den Hintereingang.

»Was willst du denn?« fuhr Sina sie fast zornig an.

Die junge Schwester erklärte, sie hole etwas in der Küche, ging still vorbei und begab sich nachher ebenso still auf ihren Platz zurück. Was war mit Sina? dachte sie, wunderte sich über ihre Erregtheit und dass sie sich grund- und ziellos im Flur aufhielt.

Als sie ausser Sicht war, öffnete Sina die Haustür und zuckte zurück. John Arnold stand dicht vor der Schwelle.

Sie waren beide verlegen. Aber Arnold trat ein, und als er sah, dass sie allein waren, ergriff er Sinas Hand.

»Vorsicht«, flüsterte sie und zog ihn in die Wohnstube.

Er nahm sich Rechte, die sie ihm gestern schon eingeräumt. Aber sie schob ihm einen Stuhl hin und bewirtete ihn wie jeden harmlosen Besucher. »Wir sind nicht allein«, warnte sie ihn wieder.

Auge und Ohr an den Türen, pflogen sie heimlicher Unterhaltung. Was gestern Anfang und Spiel gewesen, wurde Ernst. Sie flammten auf wie zwei Fackeln. Und sie vergassen die Zeit.

Luzina hatte nochmals in der Küche zu tun. Sie hörten sie durch den Flur gehen und mit der Magd sprechen.

Der Blonde stand dann auf, bereit, sich wieder zu verabschieden. Als er noch Sinas Hand hielt, öffnete Luzina die Wohnstubentür. Arnold vermochte nicht rasch genug Vertraulichkeit in Förmlichkeit umzuwandeln.

Luzina zögerte jäh auf der Schwelle und errötete tiefer noch als die über die abermalige Störung entrüstete Schwester.

Auch Arnold machte ein verblüfftes Gesicht. Er war ein Kurschneider wie viele, mehr leichtsinnig als böse, aber ohne grosse Hemmungen.

Eine verwirrende Menge von Gedanken drang auf Luzina ein. Sie erinnerte sich an Sinas Unwirschheit. Wer war der Gast? fragte sie sich. Und sie ahnte dunkel, dass hier Simon irgend ein Unrecht geschah.

Inzwischen gewann Sina ihre Fassung zurück. »Nur herein, Fräulein Klosterschwester«, lud sie mit gewollt lautem Lachen ein. Dann stellte sie Arnold vor.

Luzi neigte den Kopf. Sie hatte keinerlei Erfahrung mit Männern; aber der Gast schien ihr ebenso überflüssig als hübsch.

Man tauschte ein paar Redensarten. Arnold zeigte sich Herr der Lage und war um Gesprächsstoff nicht verlegen. Unter anderem sagte er, es werde Luzi in diesem gottverlassenen Winkel wohl ebenso wenig gefallen wie ihrer Schwester.

Luzina erschrak noch mehr. Hatte Sina dem Fremden über ihr Los geklagt? Sie stand hilflos da, immer nur grübelnd, wie sie fliehen könnte.

»Armes Nönnlein«, neckte Sina sie. »Du weisst mit Männern nicht umzugehen.«

Dann scherzte auch Arnold über ihre Weltfremdheit. Aber auf einmal schien ihr, die beiden bemühten sich, nett zu ihr zu sein. Und als Arnold sich verabschiedete, hatte sie das Gefühl, es liege ihm merkwürdig daran, sie bei Laune zu halten.

Sina geleitete ihren Gast hinaus.

Luzina, wie vor den Kopf geschlagen, kehrte zum Wäscheplatz zurück.

Dort suchte Sina sie bald nachher auf, getrieben vom Wunsch, mit ihr von Arnold zu handeln. Sie gab sich halb unbekümmert, halb rechthaberisch. Aber in ihr zitterte eine leise Angst. Sie half Wäsche ans Seil zu hängen und begann so beiläufig: »Findest du ihn nicht auch nett, den John Arnold, meinen Tänzer von gestern? Tanzen kann er wie nicht leicht ein zweiter!«

Luzina schwieg. Warum verstand sie so gar nicht, was die andere freute? dachte sie. Und wieder tat ihr etwas leid um Simons willen.

»Er wird jetzt hie und da kommen«, plauderte Sina mit trotzigem Eifer aus.

Da fragte die unschuldige Luzina: »Kennt Simon ihn? Sieht er es nicht ungern, wenn er kommt?«

Sina stutzte. Dann verteidigte sie sich ein wenig hochfahrend: »Er kommt ja zu mir, nicht zu ihm. So geht es mich allein an. Ich bin ja nicht Simons Magd.«

Luzina liess vor schmerzlichem Staunen das Wäschestück sinken, das sie eben hatte festklammern wollen. Tränen traten ihr in die blauen Augen. Zum erstenmal war sie überzeugt, dass in Simons Ehe ein Riss war. Dann aber nahm sie sich zusammen und setzte schweigend ihre Arbeit fort.

Sina reichte ihr eine Weile lang stumm das zu hängende Linnen. Aber wieder liess ihr das Gewissen nicht Ruhe. »Warum machst du solch ein Regenwettergesicht?« fragte sie die Schwester.

Da hob Luzi den feuchten Blick. »Simon ist ein so wackerer Mensch«, antwortete sie und wusste selbst nicht, wie sie zu diesen Worten kam. Nur, dass sie den stillen, arbeitsamen Schwager gern mochte, kam ihr mit unerhörter Eindringlichkeit zu Bewusstsein.

Sina hörte mehr die tiefe Bewegung, mit der sie sprach, als die Worte selbst. Und sogleich legte sie alles nach ihrer eigenen Art aus. »Schau, schau, welch ein Lob!« tat sie erstaunt und fügte leichtfertig hinzu: »Siehst du, so gefällt der einen der und der andern ein anderer.«

Aber Luzi nahm den leichten Ton nicht auf. Ihre Miene blieb beklommen.

Da warf Sina ärgerlich das Taschentuch, das sie eben in der Hand hielt, in den Korb zurück und lief hinweg.

Ein Unausgesprochenes, Hemmendes blieb zwischen den Schwestern. Sie vermochten es nicht zu überwinden, bis Simon vom Kloster heim und zu Tisch kam.

Der Fischer war guter Dinge. Er hatte einen rechten Fang getan und war von seinen Patronessen wie gewohnt überzahlt worden. Aufgeräumt erzählte er von einem schweren Hecht, der unter seiner Beute gewesen. Da fiel ihm auf, wie wortkarg die Frauen waren. Sein Blick ging von einer zur andern: »Habt ihr etwas gehabt miteinander?« fragte er arglos.

Luzina blickte auf ihren Teller; ihr schmales Gesicht war bleich.

Sina bestritt eifrig: »Warum nicht gar! Was sollten wir gehabt haben!« Dann riss sie hastig die Unterhaltung an sich, kam auf ihr Tanzvergnügen zurück und machte eine Menge Worte um Dinge, die niemand kümmerten. Aber in jähem Umschwung der Laune lenkte sie das Gespräch von sich ab und auf die Schwester. »Weisst du, dass unser Nönnlein in dich verliebt ist?« fragte sie Simon.

»Sina«, fuhr Luzi auf. Das Blut stieg ihr dunkel unter das blonde Haar.

Aber Simon schaute sie mit ruhiger Heiterkeit an. »Das freut mich«, erwiderte er gelassen. »Ich habe unser Gästlein auch lieb gewonnen.«

Welch ein selbstsicherer Mann er war, dachte Luzina und hätte näher zu Simon rücken und ihm die Hand drücken mögen, wie man einem ältern und irgendwie klügern Bruder tut. Flüchtig leuchteten ihre Augen. Dann löschte ein neues Befremden ihre Freude. Würde Sina mit keinem Wort ihren Gast erwähnen? wunderte sie sich.

Simon sass vergnügt zwischen den Schwestern. Er hielt sich für einen bevorzugten Mann, dass er zwei so liebe Frauen am Tisch hatte. Aber allmählich fiel ihm an Sina wieder die leise und verdrossene Unruhe auf. Die jüngere Schwester schien die Ausgeglichenere, dachte er und rühmte bei sich die Klosterzucht. Auch erinnerte er sich unwillkürlich der Stunde, die er mit Luzina auf dem See zugebracht.

Bald ging dann jedes an seine Pflichten, die bei Sina allerdings nur darin bestanden, dass sie sich in den Ohrenstuhl am Fenster schmiegte und ihren Sinn an künftige Vergnügtheiten hing, bis sie einschlief.

Simons Gefühl, die beiden Schwestern verständen sich nicht recht, verlor sich indessen nicht ganz. Ebenso vermochte Luzina ihr Missfallen, dass Sina Arnolds Besuch vor Simon nicht erwähnt hatte, nicht zu überwinden. Sina selbst blieb rastlos und bei gestörtem Gewissen ungleichmässiger Laune. –-

Kurze Zeit darnach tauchte John Arnold zum zweiten Male auf. Simon war nach dem Hauptort hinübergegangen, um ein neues Netz zu kaufen. Luzina wollte Sina, einer Flickarbeit wegen, die sie für sie zu besorgen hatte, befragen und suchte die Schwester, fand sie lange nicht, und entdeckte sie von einem Fenster des oberen Stockwerkes aus plötzlich auf einer Bank, die drüben im Bergschatten hinter Buschwerk fast versteckt stand. Neben ihr sass der Amerikaner und hielt den Arm um ihre Hüfte gelegt, während sie den Kopf vertraulich an seine Schulter lehnte.

Luzina geriet ausser sich. Sünde schien ihr zu geschehen. Und den Kopf verlierend, lief sie ziellos und keinen Ausweg findend durch Haus und Garten. Am Ende floh sie, um nur niemand Rede stehen zu müssen, in ihre Kammer, schloss sich ein und suchte ins Klare zu kommen, was zu tun sei. Ihre erste Eingebung war, Simon alles zu erzählen. Dann schämte sie sich solcher Angeberei und nahm sich nun vor, mit Sina zu sprechen. Aber auch das verwarf sie wieder, weil sie sich sagte, sie besitze keinerlei Einfluss auf die Schwester. Am Ende entschloss sie sich, den Geschehnissen auch weiter den Lauf zu lassen. Dabei bebte sie freilich vor Angst vor diesen und dachte mehr als einmal daran, nach Hause zu fliehen. Aber auch dorthin zog sie nichts. Die Eltern lebten nur dem Geschäft. Sie besass keinerlei innere Beziehung zu ihnen und das Leben im Wirtshaus war ihr erst recht zuwider. Auch die Sorge um den Schwager fesselte sie an das Fischerhaus. Sie erkannte deutlicher, dass Sina ihren Mann nicht eigentlich liebte, vielleicht überhaupt keine Frau war, die Treue zu halten vermochte. Simon schien immer noch arglos. Oder war er, fragte sich Luzi, in seiner kraftbewussten Gutmütigkeit nur zu sorglos? Immer mehr bewunderte sie heimlich sein Gleichmass und seine Rechtschaffenheit. Und was anfänglich nur Achtung war, das begann in ihr gleich einer glimmenden Kohle heller und heller zu gleissen, bis ihr ganzes Wesen davon entzündet war.

Noch ehe Sina von ihrem Stelldichein zurückkehrte, hatte aber Luzina sich selbst wieder einigermassen gefunden und war in die Wohnstube zurückgekehrt. Hier gesellte sich nach einer Weile Sina zu ihr, im feinen Gesicht einen fast ergreifenden Ausdruck glücklicher Sattheit tragend. Luzina hatte nicht den Mut, sie zur Rede zu stellen. Sie gewann vielmehr zum ersten Mal etwas wie Verständnis für die lebensfrohe Schwester, die sich nicht in die Einsamkeit des Fischerwinkels finden konnte und andern umtunlichen Amerikaner mehr Gefallen hatte als an dem etwas trockenen Simon. Während das ihr durch den Sinn ging, lag sie schweigend ihrer Aufgabe, den Tisch zu decken, ob.

Sina merkte ihrer Schweigsamkeit an, dass sie um Arnolds neuesten Besuch wusste. Aber sie war noch so duselig vor Glück, dass sie sich noch kaum kümmerte. John Arnold hatte viel auf sie eingeredet, sie solle sich von dem Fischer scheiden lassen und mit ihm nach Amerika zurückfahren. Er hatte durchblicken lassen, in wie guten Verhältnissen er selbst sich befinde und wie herrlich es sich in dem freien Amerika lebe. Der Kopf surrte ihr noch von seinen Schmeicheleien. Und plötzlich reifte ein Plan in ihr: Luzina war Simon gut! Warum sollten die beiden nicht zusammen kommen? Dann war sie selbst frei! Sie wurde ganz ungeduldig und beschloss die Sache mit den beiden möglichst zu fördern. Sie machte auch gleich Ernst und sagte zu Luzina: »Simon wird bald kommen. Du wirst dich wohl wieder auf ihn freuen.«

Als Luzina abwehren wollte, fiel sie ihr mit eifriger Freundlichkeit in's Wort: »Warum sollt ihr nicht an einander Freude haben? Ihr passt mächtig gut zusammen. Ich muss Freiheit haben, Abwechslung. Es kann niemand über sich selbst hinaus. Simon kann an mir nicht viel Gutes erleben.«

Vielleicht würde die Tatsache, dass sie so aus sich heraustrat, auch Luzi veranlasst haben, sich auszusprechen; aber Simons Schritt erscholl vor dem Hause, und so brachen sie unwillkürlich die Unterhaltung ab.

Dann trat der Fischer mit einem fröhlichen »Guten Tag« ins Zimmer. Sie setzten sich gleich zu Tisch. Während sie assen, erzählte Simon von seinen Geschäften; aber in seinem Herzen drängte etwas anderes nach Worten.

»Scheint's hast du viel Besuch, Sina,« sagte er plötzlich. Er hatte beide Frauengesichter dicht vor sich und sah, wie sie sich verfärbten, Luzi bleich und Sina rot wurde bis unter die Haarwurzeln.

Aber Sina nahm sich zusammen, hob die kleine auflüpfische Nase und fragte: »Wieso?«

»Im Kloster haben sie sich gewundert, dass der Amerikaner so viel bei mir sei,« antwortete Simon. »Da er es nicht bei mir ist, muss er es wohl bei dir sein.« Die Sache hatte ihn noch nicht verstimmt; aber Sinas Schnippischheit tat es jetzt. »Nimm dich in acht«, warnte er. »Man kommt leicht ins Gerede.«

»Bah,« zuckte Sina wegwerfend die Achseln.

Da machte Simon auf einmal ein strenges Gesicht und sagte in bestimmtem Ton: »Einem Geschäftsmann kann es nicht gleichgültig sein, was die Leute schwatzen. Lass also den Amerikaner wissen, dass er hier nichts verloren hat.«

Sina schoss wie gestochen vom Stuhl und lief aus der Stube.

Da sassen die andern beiden etwas verdutzt da und wussten, da keines des andern Gedanken kannte, nicht weiter.

Endlich verteidigte sich Simon: »Du musst nicht meinen, dass ich Sina nichts gönne. Ich will nur ihr Bestes.«

Luzina war ganz verloren. Was für eine arme Sache das Ganze war! dachte sie. Und Schwester und Schwager taten ihr gleich leid. Da sie aber immer noch nicht wusste, was sie sagen sollte, begann sie schweigend den Tisch abzuräumen.

Da ging Simon bedrückt hinaus. Verstand auch Luzi ihn nicht? Sein bisher heiterer Himmel füllte sich mit schwarzen Wolken. Beschwerten Herzens trug er sein neues Netz in die Schiffshütte. Dabei ging in ihm ein Samenkorn auf, das vielleicht lange schon am reifen gewesen, das Misstrauen. Er liess sich Sinas Wesen durch den Sinn gehen. War ihre bisherige Zutunlichkeit nicht vielleicht Berechnung gewesen? Hatte er nicht zu Unrecht bisher ihre Fahrigkeit entschuldigt? Kleinigkeiten wandelten sich in Bedeutsamkeiten. Er sah seine Frau plötzlich in einem andern Licht.

Und er begann sich zu schämen vor den Leuten, vor allem vor Luzi. Was musste sie in ihrer Klosterbravheit von seiner Ehe denken? Sein Innerstes lehnte sich gegen das Unheil auf, das ihm plötzlich wie ein Ungewitter über den Kopf zu kommen schien. Aber er wusste nicht gleich einen Ausweg. So sehr beschäftigte ihn die Sache, dass er sich im Nauen, in den er das Netz getragen, hinsetzte und grübelte.

Oben im Hause hantierten die Schwestern. Sinas Zorn war schnell verraucht. Aber sie sorgte sich auch nicht gross. Sie wollte Simon schon wieder herumkriegen, dachte sie, gewohnt, ihn wie ein Kätzlein zu umspulen. Zu Luzina, die den Blick am Boden, bleich und bekümmert an ihr vorübergehen wollte, sagte sie mit sorglosem Lachen: »Mein Herr und Gebieter ist heute einmal übler Laune.«

»Nimm dich mehr in acht,« mahnte Luzina zaghaft.

Da brach die andere los wie ein Feuerwerk. »Was schert mich der Amerikaner! Der oder ein anderer! Aber jung will ich sein!«

Luzina stand ganz entgeistert. Es war ihr, als sehe sie in eine jähe Brunst. Armer Simon, dachte sie.

Da rief die Magd Sina ab. Besuch warte draussen.

John Arnold stand wieder am Gartenzaun. Auch er brannte lichterloh. Er glaubte, am Morgen nicht alles gesagt zu haben, was gesagt sein sollte. Er hatte das Haus umlauert und benutzte den Augenblick, da Simon am See unten war, um Sina rufen zu lassen.

Sie ging zu ihm. Es war ihr nicht ganz wohl zumut. Sie hatte ein wenig Angst vor Simon. Aber sie schlug sie in den Wind. Dennoch flüsterte sie dem Gast hastig zu, was sich in der Zwischenzeit ereignet, und hiess ihn, sich entfernen. Als er sich weigerte, schlich sie mit ihm nach dem Versteck in den Büschen hinüber.

Unten in der Schiffshütte erschien Simon gerade rechtzeitig, um sie verschwinden zu sehen.

Luzina, die alles mit angesehen, weinte hilflos unter der Haustür.

Simon ging mit grossen Schritten an ihr vorbei. Ein paar Sekunden später stand er vor dem Paare.

Sina riss die Augen weit. Der Amerikaner verzog das Gesicht zu einer spöttischen Grimasse. Er sah in dem Fischer einen minderwertigen Mitbewerber, mit dem er kurzen Prozess zu machen gedachte.

Simon packte Sinas Handgelenk. »Geh' hinein«, befahl er.

Der schlanke Blonde verlor ein wenig die Haltung. Der andere war noch einmal so gross und breit wie er.

Sina, anfänglich eingeschüchtert, hatte ein paar Schritte dem Hause zu gemacht. Aber bald stand sie still. Ein Bruch mit Simon schreckte sie plötzlich nicht mehr. Sie lechzte auf einmal nach Freiheit. Viele Wege schienen ihr offen: Rückkehr ins Vaterhaus, Fahrt mit dem Amerikaner, Ausfahrt in die Welt etwa als hübsches Serviermädchen!

Simon stand breitspurig vor Arnold. »Ihr seid ein ein wenig zu eifriger Gast«, sagte er mit ruhiger Bestimmtheit. »Ich muss Euch ersuchen, seltener, das heisst nicht mehr zu kommen.«

Der Amerikaner nahm seinen Gleichmut zusammen. Er war im Begriff, zu sagen, er werde kommen, wann und so oft es ihm beliebe.

Da fuhr Simon weiter: »Es würde mir leid tun, wenn ich Euch mit Gewalt hinausstellen müsste.« Und schon hielt er den andern am Rockkragen und schob ihn vor sich her, dem Gartenausgang zu.

»Klotz! Grobian!« schimpfte Arnold. »Ihr behandelt Euere Frau wie –«

Simon ergriff die Kuhpeitsche, die auf einem nahestehenden Jauchewagen lag, und drehte den harten Stiel nach oben.

Da wich Arnold. Er zuckte die Achsel, legte die Hände auf den Rücken und ging langsamer davon, als ein übles Gefühl von Angst, das in ihm war, ihn hiess. Dem wütenden Fischer gegenüber hatte er nichts anderes zu bestellen.

Sina stand noch immer abseits. Entrüstung und Furcht stritten in ihr. Aber Simon nahm sie zum zweitenmal am Arm und zog sie mit sich ins Haus. »Luzina schaut uns zu«, warnte er sie mit unterdrückter Stimme.

Luzina folgte ihnen unwillkürlich, als sie in die Wohnstube traten. Sie zitterte am ganzen Leibe.

In der Stube brach Sinas Trotz los: »Ich lasse mich nicht einsperren«, begehrte sie auf. »Ich laufe fort. Auf der Stelle laufe ich fort.«

»Das wäre nicht ehrbar«, gab Simon zurück. Sein Innerstes war aufgewühlt. Lange arglos gewesen, brach er plötzlich wie ein Feuerkrater auseinander; aber er hielt Zunge und Hand noch immer in seiner Gewalt. Und es zeigte sich, dass die lieben Frauen von Seen ihn nicht umsonst als einen frommen und rechtschaffenen Menschen gerühmt hatten. »Unsere heilige Religion lehrt uns andere Dinge, als du sie dir herausnimmst,« sagte er mit bebender Stimme zu Sina. Und dann fragte er sie: »Ist der andere denn so viel besser als ich?«

Sie verlor sich völlig. »Wer sagt, dass ich den will«, brach sie los. »Was hängt an dem einen? Auswahl ist besser!« Sie lachte und warf den Arm in die Luft, als müsse sie weiten Raum haben.

Simon überlief es. »Das kannst du nicht selber sein, was aus dir redet«, sagte er. »Du bist krank!«

»Sina«, mahnte auch Luzi.

Da schlug Sinas Groll in Elend um. Weinend lief sie in die Ehekammer hinauf.

Simon setzte sich auf einen Stuhl. Einen Augenblick starrte er weglos vor sich hin.

Luzina lehnte am nahen Ofen und wagte nicht zu sprechen. Wie anders ging es in der Welt zu, als sie im Kloster gesagt hatten!

Simon wandte sich ihr zu. »Glaube mir,« entschuldigte er sich, »Strenge ist nötig. Sie verliert sich sonst.«

Luzina war es, als gebe er ihr eine stützende Hand.

»Glaubst du mir?« fragte Simon. Dabei gewahrte er wieder ihre Kindlichkeit und wie fremd ihr alles war. Sein Herz tat sich auf. Ihre Unschuld blühte wie eine weisse Blume neben dem ungezügelten Wesen, das eben noch getrotzt und geprahlt hatte.

Sie schaute ihn jetzt mit grossen, vertrauensvollen Augen an. »Gottlob, dass sie dich hat«, entgegnete sie.

3.

Unruhige Tage folgten.

Sina lief nach Hause. Dann kam ihr Vater und sprach sich mit Simon aus. Von ihm genötigt, kehrte Sina zurück. Es hatte ihr auch nicht ratsam geschienen, mittellos in die Welt hinauszulaufen.

John Arnold war abgereist, von irgend einem Geschäft abgerufen, das ihm eine willkommene Ausrede gab, eine Woche fortzubleiben und dem wütenden Fischer Zeit zu lassen sich abzukühlen.

Simon nahm seine Frau ohne Vorwürfe wieder auf. In Luzinas Beisein, mit der er inzwischen still gehaust hatte, sprach er zu ihr: »Wir wollen uns nicht versündigen, wir zwei. Ich weiss, du möchtest dich von mir trennen. Unsere heilige Kirche gibt das nicht zu. Wenn andere es trotzdem tun, Segen bringt es wohl keinem. So lass uns versuchen, uns besser in einander zu finden.«

Sonderbar war ihm selbst bei diesen Worten zumut. Einen Augenblick lang fehlten ihm selbst Wunsch und Mut zur Versöhnung. Dabei glitt ihm Luzinas Bild durch den Sinn. Wie ein Lichtstrahl. Aber er verschloss ihm die Augen.

Sina fügte sich für den Augenblick. Sie dachte, ihre Zeit werde kommen.

Simon nahm ihr Schweigen für Zustimmung.

Abwechselnd kamen dann ihr Vater, ihre Mutter und ihr junger Bruder Anton zu Besuch. Sie bemühten sich, den zerbrochenen Frieden zusammenzuleimen. Der junge Anton, ein ordentlicher braunhaariger hübscher Bursche, war von jeher besonders mit Luzina gut Freund gewesen und kam vielleicht mehr ihretwegen und zum eigenen Spass, als zur Friedensvermittlung. Die Eltern rieten Simon, Sina nicht allzusehr einzusperren. Jugend wolle heutzutage ihre Freiheit haben. Da liess dieser auch Sinas gelegentliche Sprünge nach Hause wieder zu.

Der Winter kam, die Zeit verminderter Arbeit und vermehrter Feste. Der Amerikaner war längst zurück. Er tanzte wieder mit Sina. Simon wusste es nicht bestimmt; aber der Argwohn quälte ihn. Luzina entging nicht, wie sich sein Gesicht verfinsterte, wenn er vom See zurückkam und seine Frau nicht vorfand. Ihr entging auch nicht, wie allmählich sich sein ganzes Wesen veränderte. Er stand oft wie ein Träumender am Fenster. Dann schien er in plötzlichem Entschluss forteilen zu wollen und kehrte doch bald wieder mit der müden Miene eines Mannes zurück, der sich fragt: Wozu? Jeden Sonntag besuchte er noch immer den Schützenstand. Seine Vorliebe für den friedlichen Wettkampf daselbst schien sich zur Leidenschaft zu steigern. Aber auch in der Kirche fehlte er nie. Luzina fühlte jedoch, dass an beide Orte ihn seine innere Unrast trieb. Bleich und jung lebte sie neben ihm hin. Das Mitleid mit ihm zerriss ihr die Seele, und manchmal gesellte sich dazu ein stilles, zärtliches Verlangen, seine zuckende Hand zu streicheln oder die schweren Falten auf seiner braunen Stirn hinwegzuglätten.

Von Zeit zu Zeit erwachte er zu ihr und ihrem heimlichen Wohlmeinen. Eines Tages sagte er zu ihr: »Ich bin unwirsch und zerstreut. Ich weiss es wohl. Und ich hätte doch alle Ursache, zufrieden zu sein. Es hat nicht bald ein Mann einen so guten kleinen Kameraden wie dich um sich.«

Ihre Augen leuchteten auf und begegneten den seinen. Dinge wurden deutlich, die sie niemals zu verraten wünschten. Aber dann ging jedes seines Weges und gab sich Mühe zu denken, es sei alles Täuschung gewesen.

John Arnold vergass indessen seine Abfuhr und tauchte wieder in der Umgebung des Fischerhauses auf.

»Schick' ihn fort«, flehte Luzi die Schwester an. »Es gibt ein Unglück, wenn Simon ihn sieht.«

Sina antwortete mit einem feindseligen Achselzucken. Was lag ihr an Simons Zorn? Sie spielte mit den Dingen, weil ihr nichts an ihrem Ausgang lag. Dabei lebte sie dem Augenblick, plauderte, lachte, schäkerte, auch mit Simon, unbekümmert um seine oft strenge Miene und machte es mit ihrer spielerischen, glitzernden Art unmöglich, ihr mit ernsthaften Vorstellungen zu nahen.

Simon legte sich nachts oft mit dem Empfinden neben sie, eine kleine Schlange zur Seite zu haben, die ihm entschlüpfen würde, sobald er sie zu fassen suchen wollte.

Luzina vertraute sich ihrem Bruder Anton an: »Sprich du einmal mit Sina«, bat sie ihn.

Aber er antwortete: »Ich werde mich schwer hüten. Schau' auch du für dich, Nönnlein! Die Welt ist nicht so fromm, wie man dich gelehrt hat.«

Da fragte sich Luzina, ob sie wirklich selbst sorgloser werden sollte und bemühte sich ernstlich, in die Lustigkeit einzustimmen, die manchmal zwischen Anton und Sina herrschte. Darüber brach die Zeit des Karnevals heran. Sina sprach von den Bällen und Vergnügungen, die in der »Krone« geplant würden. Sie liess sich Maskenkleider kommen und probierte sie an. Luzina musste zusehen und ihr Urteil abgeben. Sina hänselte Simon: »Warum kommst nicht auch einmal mit? Kannst dich als Henker verkleiden, siehst du mich doch oft an, als ob du mir den Kopf abschlagen möchtest.«

Luzina erschrak bis ins Innerste vor dem Ausdruck, den Simons Miene bei diesen Worten Sinas annahm. Eine fast körperliche Qual sprach aus ihr. Dann entgegnete er: »Du weisst immer noch nicht, wie ernst alle die Dinge sind, die zwischen uns liegen.«

Am gleichen Abend sah er den Amerikaner, der mit ihr zum Maskenball sollte, wieder bei Sina stehen. Er sagte kein Wort. Das Haar umstand nur wild seinen Schädel, als ob er darin gewühlt hätte.

»Morgen gehen wir miteinander in die Kirche, Sina«, sprach er dann vor dem Schlafengehen zu seiner Frau.

Sie hatte dazu nicht Lust und redete sich aus, sie könne morgen nicht.

Simon schwieg, als habe er nicht gehört.

» Ich gehe nicht«, wiederholte sie trotzig und doch von leisem Unbehagen erfüllt.

Und noch immer gab Simon nicht Antwort.

Da verlegte sie sich aufs Schmeicheln. »Lass mich daheim morgen, du Schulmeister«, bat sie.

Er entgegnete mit einer harten, glasigen Stimme: »Was gesagt ist, ist gesagt.«

Noch nie vorher hatte eine Nacht so voll dumpfen Unfriedens für beide begonnen.

Am Morgen achtete Simon auf Sinas Kleidung. Er reichte ihr selbst das schwarze Kleid und den Kirchenschleier aus dem Schrank und befahl: »Beeile dich! Wir wollen nicht zu spät kommen.«

Sie blickte ihn ganz betäubt an. Er sah aus wie einer der alten, kriegswilden Landsknechte aus der Zeit der Schlacht von Marignano, die im Bilde in der Kronenwirtsstube hingen. Am Ende hielt sie es für das beste, ihm diesmal den Willen zu tun.

Die Klosterkirche war voll kühlen, klaren Wintersonnenlichtes, als sie Seite an Seite in die Betbank knieten. In den alten geschnitzten Stühlen des Vorderschiffes sassen die lieben Frauen von Seen, an ihrer Spitze die ehrwürdige Oberin, die Simon besonders in ihre Hochachtung geschlossen. Die gesenkten Nonnenhäupter stachen in ihrer schwarzen, schlichten Tracht und ihrer Gleichförmigkeit seltsam vom unruhigen Hintergrund des prunkvollen Altars ab. Die Kirche war mit Landvolk gefüllt. Über der Orgelbegleitung schwebte der Gesang wohlgeschulter Frauenstimmen. Ein mit kostbarer Stola angetaner Priester las, umgeben von vier rotgekleideten Altarknaben, die Messe. Betäubender Weihrauchduft erfüllte die Luft.

Simon erfasste Sinas Hand und hielt sie wie in einem Schraubstock. Er fühlte, dass ihr Sinn wanderte und es war ihm, als müsse er ihre Aufmerksamkeit zu der heiligen Handlung, die sich vor ihnen vollzog, heranzwingen. Ein fast fanatisch Gläubiger, kniete er in seinem Gestühl und riss sie gleichsam mit sich vor das Gericht seiner Patronessen oder vielleicht vor das Antlitz eines noch viel Höheren: Komm, wir sind beide Sünder!

Sina versuchte den Arm zu befreien; aber es gelang ihr nicht. Den ganzen Gottesdienst über hielt er sie fest. Sie atmete auf, als endlich alles vorüber war und sie, durch die Schar grüssender Bekannter sich durchwindend, das schmale Strässlein zum Fischerwinkel wieder gewannen.

Ihre Hand war frei. Aber Simon hielt sich noch immer dicht neben ihr, ihr mehr verbunden als je, wenn nicht mehr durch Liebe, so doch durch ein Gefühl strenger Zusammengehörigkeit.

»Hast auch recht gebetet?« fragte er sie jetzt.

»Natürlich«, erwiderte sie, halb unwillig, halb furchtsam.

Eine lange Weile kämpfte er mit der bitteren, fremden Erregung, die ihn seit einiger Zeit besass. Sie konnten schon das Fischerhaus erblicken, wo Luzina den Mittagstisch richtete, als er plötzlich still stand. Dann sprach er: »Sage deinem Freund, der gestern wieder da war, dass er sich hier nicht wieder zeige! Ihm und dir und mir zulieb! Denk' daran, wie wir jetzt miteinander gebetet haben. Das ist so viel, als ob wir noch einmal zusammengegeben worden wären.«

Sina zitterte und nahm sich vor, Arnold wirklich zu warnen. Man konnte ja nicht wissen! »Was ist dir denn?« stotterte sie. »Sei doch nicht so böse zu mir.«

Er schaute sich um, als habe er den Weg verloren. Dann entgegnete er: »Ich bin dir nicht böse. Vielleicht stehen wir alle unterm Schwert! Ich warne dich nur! Vergiss nicht, was ich gesagt habe!«

Seine Wangen waren grau, als ob ihn friere. Aber dann schien es, als habe er sich mit seiner Warnung selbst beruhigt, und er geleitete Sina ruhig heim.

Am nächsten Tag sah Sina Arnold zusammen mit ihrem jungen Bruder feldein schreiten, als sie im Dorf eine Besorgung machte. Sie lief ihnen in hellem Schrecken entgegen. Die beiden jungen Männer glichen sich in Grösse und Gestalt. Es fiel ihr auf, trotzdem sie an ganz anderes dachte.

Auf ihre Bitte umzukehren, weigerte sich der Amerikaner wieder: »Ich lasse mir von einem solchen Narren nichts verbieten.«

Sina, der die Sache mit ihm angesichts der sich zeigenden Schwierigkeiten schon ein wenig leid war, drang heftiger in ihn: »Simon hat sich ganz verändert. Ich fürchte mich bald vor ihm.«

Der junge Anton mischte sich ein: »Geht Euerer Wege, Arnold. Nächstens ist Faschingsdienstag. Da könnt ihr beide euch vergnügen so viel ihr wollt.« Er nahm die Dinge, wie das junge Volk von heutzutage sie nahm: Geniessen und nicht lang fragen.

Zuletzt gab Arnold nach und schlenderte heimwärts, Sinas Zusicherung mit sich nehmend, dass sie am Fest in der »Krone« nicht fehlen werde.

Bruder und Schwester setzten ihren Weg nach dem Fischerhause fort. Sina, erregt und zerstreut, sprach anfänglich nicht; Anton aber, dem auch nicht ganz wohl zumut war, fragte: »Muss das sein, das mit dem Amerikaner, Schwester? Ich an deiner Stelle würde Schluss machen!«

»Ich will meine Freude haben«, trotzte Sina.

Da schien es auch Anton am besten, umzukehren. Er wollte nicht wieder in Geschichten verwickelt werden.

Simon, der vom See her einen Mann sich von Sina trennen sah, dachte, sie habe nach seinem Gebot den Amerikaner weggeschickt.

Sina, innerlich doch noch immer tief beunruhigt, bat am Tage nachher Luzi: »Hilf mir doch, Simon wieder in bessere Laune bringen. Er tut, was du willst.«

»Er tut, was recht ist«, antwortete Luzina.

Aber Sina liess von da an ihrer Überzeugung, dass Mann und Schwester einander mächtig gut verständen, in der Erregung noch mehr Raum. Sie mühte sich nicht nur in Gedanken, sie zusammenzubringen, sondern sie fing auch schon an, sich selbst verletzt zu fühlen: Warum, wenn die andern beiden gern zu einander möchten, liess man ihr nicht auch freien Weg? Ungleich im Benehmen, richtungslos, schmollte sie jetzt und umgab gleich darauf Simon mit Artigkeiten. Zuweilen war ihr Ton ihm gegenüber zärtlich, zuweilen fast demütig, als wolle sie ihm Abbitte leisten. Das bestärkte ihn im Glauben, dass sie mit Arnold gebrochen habe. Und manchmal brach jetzt wieder ein gütiges Lächeln durch seine Miene.

Sina, als eines Abends Luzi eben die Stube verlassen hatte, neckte wieder: »Bis über die Ohren ist sie verliebt in dich, das Nönnlein.« Etwas Dämonisches liess sie immer wieder versuchen, auch Simon in Schuld zu bringen.

Dieser schluckte. Er konnte vor sich selbst abermals nicht ableugnen, dass er das, was sie gesagt, gerne hörte. Dann aber antwortete er fest: »Scherze nicht mit diesen Dingen. Wenn es nicht ist, ist es läppisch, davon zu reden, und wenn es wäre, so – ich bin dein Mann.«

»Es ist aber eben«, beharrte sie in eigensinnigem Ton.

Es klang in ihm nach, er mochte wollen oder nicht. Manchmal, wenn er allein war, griff er sich an den Kopf. Und dann und wann stiess er ein heimliches Gebet hervor: »Herr, führe mich nicht in Versuchung.«

Dennoch lebten alle drei friedliche Tage. Sie bemühten sich alle um diesen Frieden. Und als alles so glatt ging, gewann Sinas Leichtsinn wieder die Oberhand. Sie begann sogar vom nahen Faschingsball zu sprechen. Es flog ihr nur so aus dem freudesüchtigen Herzen auf die lose Zunge. Wie sie sich freue und – Simon gönne es ihr gewiss!

Simon schwieg dazu. War er ihr die Freude schuldig? fragte er sich und kam nicht ins Klare, ob er sie gehen lassen solle oder nicht.

Am Tage vor dem Ball erschien Anton, um im Auftrag der Eltern Luzina zu veranlassen, auch zum Tanz zu kommen. Er erzählte von den Vorbereitungen. Man werde noch kaum je vorher in der Krone ein solches Fest gesehen haben. »Du musst das endlich auch einmal erleben, Nönnlein,« meinte er.

Simon war auf dem See. Die drei Geschwister waren allein. Sina geriet aus Rand und Band. »Morgen!« jubelte sie. »Endlich wird man wieder einmal wissen, dass man lebt.«

Dabei holte sie ihr Maskenkleid aus dem Schrank und zeigte es Anton.

Er lobte es und hiess sie, es anzuziehen: »Ich möchte dich einmal drin sehen«, sagte er.

Sie tat ihm den Willen, und ihre Schönheit setzte ihn in Staunen. »Sapperment, Sapperment«, lobte er. »Man möchte fast auch so ein Knecht an deiner Deichsel sein.«

Sie wurden beide immer aufgeräumter und ihre frohe Laune steckte selbst Luzina an. Zum erstenmal erwachte die Eitelkeit in ihr und liess sie wünschen, auch einmal wie die Schwester sich zu schmücken.

Sina, im Kostüm einer Zigeunerin, glühte und blühte. Ihre Augen glitzerten. »Es gibt nichts Schöneres, als sich zu verkleiden,« meinte sie und stellte sich immer wieder vor den Spiegel.

»Schade, dass du das nicht auch kannst,« sagte Anton zu Luzi.

Da schäumte Sinas Übermut noch höher. »Wisst ihr was,« schlug sie vor, wechselt die Kleider, ihr zwei. Dann werden wir Simon, den Sauerampfer, zum Lachen bringen.«

Luzina wollte nicht recht. Aber die Ausgelassenheit der beiden andern steckte sie ein wenig an.

Zuletzt schob Sina sie in ein Nebenzimmer und brachte ihr bald Antons Anzug.

Sie wollten sich totlachen, als erst Luzina, dann der Bruder, jene als Bursche, dieser als Mädchen in die Wohnstube zurückkamen.

Die Magd wurde gerufen und schüttete sich aus vor Vergnügen.

Die schlanke Luzina gab einen feinen Burschen ab. Sina kämmte ihr das kurze blonde Haar zurück. »Weisst du wem du jetzt gleichst?« fragte sie selbst errötend.

»Dem Amerikaner! Und aufs Haar!« erriet Anton.

Das fiel als ein kleiner Dämpfer in Luzinas Sorglosigkeit. Aber sie wollte keine Spielverderberin sein, als Sina vors Haus rannte und rief, Simon sei schon auf der Anfahrt.

In einer kleinen Gruppe standen sie dann draussen im Garten beisammen. Anton versuchte lachend Luzis Art zu gehen nachzuahmen. »Simon wird meinen, wir seien närrisch geworden«, scherzte er, tat, als reue ihn die Sache und lief der Haustür zu.

Sina aber legte den Arm um Luzis Hüfte und zog sie weiter in den Garten hinab. »Welch' einen feinen Schatz du abgibst!« kicherte sie und küsste sie …

Simon hatte einen guten Fang getan. Ein Bottich voll Fische stand im Nauen neben den nassen Netzen. Im Heck lag Simons Rock und über diesem das Gewehr.

Simon sah die Waffe an. Seit vielen Tagen lag sie jetzt da im Boot. Er schämte sich, quälte sich. Was waren das für Gedanken, die ihn geheissen hatten, sie mitzunehmen! Und geschämt und gequält hatte er sich Tag für Tag. Und doch das graue, böse Ding im Boot gelassen, mit dem er sonst nur zum Schießstand gegangen. Jetzt freilich störte das Gewehr ihn so, dass er es über Bord geworfen hätte, wenn es ihm nicht so lieb gewesen wäre. Sina hatte den Amerikaner weggeschickt, dachte er. Wahrlich, er war ein schlechter Mensch, dieses Spiel mit der Waffe zu treiben! Er wollte beichten gehen am Sonntag, beichten, wie es alle die Zeit in ihm ausgesehen, dass er sich selber nicht mehr kannte.

Langsam, den hochgestirnten kantigen Kopf gesenkt, ganz nur Gedanke, ruderte er weiter, des nahenden Ufers nicht acht. Wenn Sina wieder vernünftig war, dann wurde vielleicht noch alles gut! Dann sollte Luzi nach Hause fahren. Vielleicht war es besser für alle. Sonst war zuletzt Sina nicht allein die Sünderin, sonst – auch das musste er dem Beichtiger sagen! Wie die heimlichen Wünsche in einem wühlten!

Ächzend vor innerer Not richtete er sich auf.

Da sieh! Dort am Ufer! In seinem Garten!

Simons Atem stockt. Der letzte Blutstropfen weicht aus seinem Gesicht. Dort steht Sina mit – mit dem Amerikaner. Sie legt den Arm um seinen Hals. Sie – sie küsst ihn!

Simon sieht rot. Simon fällt vorwärts wie ein Sack. Als er wieder auftaumelt, hält er das Gewehr in Händen. Er zielt. Nicht umsonst hat er im Schießstand dieses steinstille Zielen gelernt.

Ein Schuss! Ein Schrei kommt über den See. Die Gestalt des schlanken Burschen an Sinas Seite steht nicht mehr aufrecht.

Simon Baumann stösst einen Wehlaut aus. Das Gewehr fällt ins Boot zurück. Dann fasst er das Ruder. Frost überläuft ihn. Mein Gott, was hat er getan? Er ist fremd in der eigenen Haut. Er rudert wie ein Toller, von Angst gejagt. Er sieht den, der rudert. Aber er kennt ihn nicht. Ihm graust vor ihm.

Jetzt erreicht er die Schiffshütte. Er stürzt aus dem Boot, ohne es anzuketten, stürzt den Garten hinan, wie ein torkelnder Bär.

Sina steht da wie eine Sterbende. Zu ihren Füssen liegt der Getroffene und – Luzina kniet neben ihm!

Und Sina schreit auf und flieht. Sie fürchtet sich vor Simon.

Simon keucht und stöhnt. Und auf einmal steht er still, als wüsste er plötzlich nicht weiter. Er zittert.

Die Kniende richtet sich auf, reisst sich die Frauenkleider vom Leibe: »Verfluchte Maskerade!«

Da sah Simon, dass es sein Schwager Anton war, der vor ihm stand. Und dann tat er noch einen Schritt und erkannte Luzina.

Sie war nicht entstellt. Sie war ein so hübsches blondes Bürschlein, wie sie da in Antons Kleidern lag.

»Der Amerikaner!« stiess Simon zwischen klappernden Zähnen hervor. Und war wie einer, den Keulen treffen.

Anton sprangen Tränen aus den Augen. Er ahnte die Zusammenhänge. »Wir haben die Kleider getauscht. Kein Amerikaner war da«, erklärte er mit brüchiger Stimme.

Da beugte sich Simon über Luzina. Mit offenem Munde starrte er und grübelte.

Aus dem Hause kam schreiend die alte Magd gelaufen.

Simon streichelte Luzinas Haar, ihre Hände und Schultern. Vor der Brust zuckte er zurück. Dort sass der Schuss. Aber in seinem Innern war alles ausgelöscht: Qual und Zorn und Zweifel und Unsicherheit! Nur Luzina war noch und der Wunsch, sie zu fragen: Ist das wahr, was sie gesagt haben von dir und mir? Und – und habe ich dir das – das wirklich getan?

Auf einmal fasste er zu, hob sie auf und trug sie davon.

Anton wusste nicht, was tun oder sagen. Er konnte ihm nicht nachgehen in seiner Halbkleidung. Auch die Magd stand verloren und hilflos da.

Simon schritt dem Dorf und Kloster zu. Er ging wie einer derer von Marignano, die auch ihre Toten schleppten, aufrecht, ohne scheinbare Mühe. Luzinas Kopf lag an seiner Schulter.

Im Dorf entstand Aufruhr. Kinder und Erwachsene rannten hinter dem Fischer her.

Der stiess die Klosterkirchentür auf und trug Luzina hinein. Bis vor den Altar.

Das Volk drängte nach. Dann kamen von allen Seiten die aufgeschreckten Frauen von Seen gelaufen.

Das Volk gab Raum. Gleich einem Schwarm grosser schwarzer Vögel umgaben die Nonnen im Halbkreis die Leiche.

Und da stand Simon. Sein Gesicht zuckte im Krampf. Einmal wankte er rechts und dann links und zwang sich doch selbst wieder auf die Beine. »Ich«, sagte er.

Er wies nicht auf Luzina. Alle verstanden, dass er es getan habe und alle hörten, wie er eigentlich hinzufügen möchte: Aber ich verstehe mich nicht.

»Er war solch ein Ehrenmann«, flüsterten die Patronessen. Nur die Oberin mit dem lebenskundigen Gesicht und dem Zug des Leidens um den Mund sagte laut: »Komm, Simon«, und zu den Nonnen: »Schuld kommt über uns wie Nacht.«

Die schwarzen Nonnen beteten, während sie Simon hinwegführte.

*

Als Simon Jahre später aus der Strafanstalt heimkehrte, war Sina schon lange verschollen. Nicht mit dem Amerikaner. Seine Stelle hatten schon viele andere eingenommen.

Simon Baumann übte sein Gewerbe wieder aus. Die Patronessen im Kloster, die ihn ohne Widerrede in sein Amt wieder eingesetzt, rühmten: »Er ist womöglich noch verlässlicher und fleissiger geworden«, und ihre Gesichter leuchteten vor Mitleid und Weiberfreude.

Im Gottesdienst fehlte Simon nie. Aber auf den Schießstand ging er nicht mehr. Jeden Abend sass er an einem Grabe. Auf dem stand ein Stein, den die Oberin hatte setzen lassen und der die Worte trug: Schuld kommt über uns wie Nacht.

Über der Inschrift grübelte Simon, wie er in den Jahren seiner Haft über die Worte der Nonne gegrübelt hatte. An ihnen hatte er sich wieder aufgerichtet, er, den zuerst die Tatsache, dass er einen Menschen, John Arnold, hatte töten wollen, und einen andern, Luzina, getötet, hatte erdrücken wollen.

Und die Gewissensqualen und alle Not der Erinnerung waren in ihm langsam abgestorben.

Niemand hatte ihn besucht. Von Sina hatte er nichts gehört, wusste kaum mehr, dass sie einmal gewesen war.

Über Qualen und Not war etwas hinausgeblüht wie Grüngras auf Trümmern.

Und es blühte noch, während er über dem Grabe sass. Es hatte lange vorher keimen gewollt. Er hatte es nur nicht aufkommen lassen. Luzina und er! Es war ihm, als sei sie ihm näher als je vorher, und er war immer wieder erstaunt, wie gut sie zu einander passten.

Allmählich begleitete sie ihn in seinen Gedanken auch heim und hinaus auf den See. Und manchmal, wenn der Einsame die Netze versenkte oder das Ruder in das glatte Wasser tauchte, sang er, kaum dessen bewusst, leise vor sich hin. Die Wahrscheinlichkeit, dass Luzina ihn geliebt hatte, wandelte sich mehr und mehr in Gewissheit. Liebe aber glich alles aus! Und immer häufiger schien Simon, dass Luzina selbst noch mit ihm hauste. Fast körperlich wurde ihm ihre Nähe. So stark war das Bewusstsein, wie gern und wohl sie sich zu ihm gefügt.


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