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Die Frau des Sohnes

Von Lisa Wenger

Es ist ein heiterer Tag heute. Alles ist blau, auch die Schatten der Bäume. Die Kinder arbeiten, und von ihnen zu mir strömt es unsichtbar und unhörbar: Das Fluidum, das Mutter und Kind verbindet. Ich spüre das starke, unzerreissbare Band, und mir klopft das Herz. Warum? Vor Freude. Da steht mein grosser, blonder Junge und presst den feuchten Ton in die Form, die sein inneres Auge sucht. Er presst ihn, martert ihn, und lacht endlich. Don Quichotte steht da, schlotternd vor fruchtloser Anstrengung.

»Sieh, Mutter, wie die Fetzen ihm um die magern Glieder hängen. Er möchte, was er nicht kann, der abenteuerliche Idealist! Der Narr! Um seiner Dulcinea willen macht er sich selbst zum Gespött.« Laut lacht mein Junge. Ja, weisst du denn, wann du ausziehen wirst um eine Liebste, du Selbstbewusster?

*

Ich bin stolz auf Konstantin. Das soll niemand wissen, auch sein Vater nicht. Ich denke: Du, mein Georg, malst Bilder. Das ist Schöpfung. Ich habe einen Menschen geboren. Ist das nicht Schöpfung? Und wenn so ein kleiner, roter, schlüpfriger Mensch sich schreiend in die Welt hinaus wälzt, wer weiss es, ob nicht der Keim von Ruhm und Grösse in ihm steckt? Ich wusste es, als Konstantin geboren wurde. Ich fühlte es: Vielleicht wird er ein Prophet, vielleicht ein Herrscher, vielleicht ein Künstler. Früher, vor hundert Jahren, würde ich gedacht haben: Ein Seeräuber. Ich kann Philister nicht leiden. Lieber alles sein, als so ein fetter, lehrhafter Mensch mit guter Verdauung. Mein Junge soll den Stern über seiner Stirne tragen. Es werden ihn alle die erkennen, die wissen. Alle, die seinesgleichen sind.

Wir sassen im grossen, gewölbten Atelier Georgs am Kaminfeuer. Das Feuer loderte, die Funken stoben. Konstantin holte seinen Tonklumpen.

»Vater, wollen wir ein Tier bilden? Ist das Deine schöner, will ich dir zu einer Studie sitzen und gut still halten. Ist das meine schöner, schenkst du mir dein Bild ›Mystik‹. Mutter soll entscheiden.«

»Ich nehme an«, sagte Georg. Sie arbeiteten angestrengt, und waren nach ungefähr einer Stunde zusammen fertig. Georg hatte einen »Affen mit Kokosnuss« beendet. Konstantin einen jungen, tollpatschigen Löwen.

»Nun,« fragte Georg, »wer hat gewonnen?«

»Der junge Löwe,« sagte ich. Da lachte mein liebster Mann. »Auch ich war einst ein junger Löwe in deinen Augen.«

*

Mein Georg ist tot. Wie dunkel ist es um mich.

*

Konstantin hat den Jahrespreis seiner Schule gewonnen. Im Zeichensaal stand seine Tonstudie: Sterbende Löwin. Nicht wie die klassische, vom Pfeil getroffene Löwin liegt sie da. Wutentbrannt, die Krallen gespreizt, sich in die Wunde verbeissend, den Schweif wie ein Schwert in die Luft geschlagen, so krümmt sie sich auf ihrem Felsen. In jeder Pause stand es schwarz um das Modell, und aus jedem Winkel schrie man mir zu: Er muss ein Künstler werden. Ich lachte innerlich. Muss man einer Mutter sagen, dass ihr Sohn ein Künstler ist?

*

Konstantin ist fort. Seine Briefe strotzen vor Begeisterung. Er arbeitet mit leidenschaftlicher Freude. So muss es sein, wozu braucht er Ruhe? Keine Sonntage, keine Ferien, bei Sonnenuntergang hinaus, bei Regen hinaus, bei Nebel und Mondschein lernen, lernen und dem Spiel des Lichts, dem Dunkel von Wald und Baum in die Augen geschaut.

*

Später. Wieder kommen Briefe. Bilder fallen aus dem Umschlag: Ein Wald. Mädchen in hellen, dünnen Gewändern, die das Sich-regen der Glieder betonen. Ein Ball der hin und her fliegt. Da – mein Junge. Wie gross Konstantin ist. Wie ein Mann sieht er aus. Ist er denn ein Mann geworden? Wäre es möglich, dass über Nacht aus meinem Jungen ein Mann geworden ist? Das kleine Bild gibt mir zu denken. Konstantin ein Mann?

*

Ein dicker Brief in grossem Umschlag. Ein Jubelschrei: Mutter, ich liebe! Komm und sieh. Oh, was für ein Glück, Mutter.

*

Es liegt ein schwerer Stein auf meinem Herzen. Halt, ich muss nachdenken. Ich muss halt machen. Etwas sonnigeres gibt es nicht, als das Spiel der jungen Menschen auf der Waldwiese. Warum also der schwere Stein? Ich weiss: Konstantin darf in seiner Arbeit nicht gestört werden. Das Mädchen darf ihn nicht hemmen. Schüttle sie ab, Konstantin, schüttle sie ab. Ich bitte dich sehr, tue es.

*

Warum kann ich mich nicht einfach freuen, dass ihm die Liebe begegnet ist? Ich weiss doch, was das sagen will. Sie kann Meisterwerke ans Licht zaubern. Sie kann ihm den Ritterschlag als Mann geben. Sie kann viel. Aber dieses Mädchen ist mir verhasst. Sie ist der Stein auf meinem Herzen.

*

Neue Bilder kamen. Wie Sternschnuppen fielen sie um mich her. Auf jedem thront das fremde Mädchen als Herzblatt. Einmal liegt Konstantin neben ihr im Gras, einmal rudert er sie auf dem See, hält ihr das Seil, über das sie springt. Hier Konstantin im Tanz mit ihr, auf der Schaukel mit ihr. Und in jedem Brief lockt er mich, ruft er mich: »Komm und sieh Sylvia.«

Nein, ich fahre nicht zu Konstantin. Der Stein im Wege hindert mich. Was brauche ich mich zu überzeugen, dass er da ist?

*

Ich bin so glücklich. Gute Nachrichten fliegen mir wie Schwalben zu. Konstantin arbeitet mit Begeisterung. Es ist das höchste, was der Mensch erreichen kann.

*

Konstantin schreibt: Warum soll die, die ich liebe, und die mich zu meiner Arbeit begeistert, nicht meine Frau werden? Hast du noch nicht begriffen, dass sie und ich zusammengehören? Wo ich hingehe, geht sie mit. Wo ich bleibe, bleibt sie. Verzeih, dass du dich um meinetwillen sorgen musst. So schreibt mein Sohn. Er hat recht, warum wehre ich mich? Besser Sylvia, als ein auf gelesenes Modell. Ja, besser noch Sylvia.

*

Ich bin unzufrieden mit mir selbst. Ich bin auch unehrlich gegen mich selbst, ich spüre es tief in meinem Herzen. Die Wahrheit ist, dass ich dieses Mädchen beinahe hasse. Sie nimmt mir meinen Sohn. Sie wird nun alles haben, was mir gehörte: Mein war sein Vertrauen. Zu mir kam er, wenn er Trost bedurfte. Ich gab ihm den Mut zurück, den er verloren. Ich zeigte ihm die strahlende Zukunft.

*

Konstantin hat mich gebeten, ihm die zur Heirat nötigen Papiere zu beschaffen. Das habe ich getan. Er bat auch um das kleine Erbe, das sein Onkel ihm hinterlassen. Ich habe auch das vermittelt. Wer heiratet, muss wissen, was er tut. Nun wird also Sylvia seine Frau.

*

Sechs Monate später.

Konstantin schreibt aus Rom. Die Hitze setze ihm zu. Er leide oft an Kopfschmerzen. Huste auch viel. Ich fürchte mich. Ich meine, die leisen Schritte des Schicksals zu hören. Als ob das Schicksal nicht schon eingegriffen hätte, als Konstantin … aber ich fühle es, es wird zugreifen und eines von uns beiden packen. Wen es auch fasst, es wird sein Ziel erreichen. Mir graut es vor den nächsten Jahren.

*

Konstantin war krank, darum blieben seine Briefe aus. Er solle fort von Rom, habe der Arzt gesagt. In die Berge, in die Sonne. Er sei mitten in einer schönen Arbeit, schreibt Konstantin, er werde auch ohne Berge wieder gesund werden, und Sonne habe er hier übergenug.

*

Warum Sylvia mir nicht geschrieben habe? fragte ich. Weil sie wisse, dass ich mich an ihren Briefen nicht erfreuen könne. Wenn ich es aber wünsche, schreibe sie gerne. Ich erinnere mich an ein Gespräch in meiner Wohnung, als sie und Konstantin mich vor der Hochzeit besuchten. Ich stellte mich eines Tages, als wir zwei allein waren, vor sie hin und fragte: Muss das sein, dass ihr heiratet? Warum begleiten Sie ihn nicht, ohne ihn zu binden? Warum wollen Sie ihn binden, jetzt, mitten in seinem Aufstieg? Haben Sie einen Vater, der Sie aus dem Hause wiese? Nein, ich habe keinen Vater. Eine Mutter, die verzweifeln würde, wüsste sie es? Nein, ich habe keine Mutter. Oder empört sich Ihre Familie, wenn Sie meines Sohnes Freundin blieben? Ich habe auch keine Familie, die sich empören würde. Also, wozu heiraten, sagte ich. Ob Sie verheiratet sind oder nicht, spielt also für Sie keine Rolle? Warum lassen Sie Konstantin nicht frei? Wer stösst sich daran? Niemand stösst sich daran. Warum gehen Sie nicht? Sie wissen, dass es zu seinem besten wäre. Ich liebe ihn, sagte Sylvia und legte die Arme kreuzweise über die Brust, wie sie es oft tat. Ich gebe ihn nicht frei, er dankt es mir, wenn ich bei ihm bleibe. Wir lieben uns. Ich bin kein Hindernis auf seinem Weg zum Erfolg. Er braucht mich … und wenn Sie ihn mir nehmen … Ich schämte mich plötzlich. Werde ich klein? dachte ich. Bin ich von meinem Sockel herabgestiegen um dieser Frau willen? Das warf mich um, dass ich um dieser Sylvia willen klein werden musste. –

*

Gott sei Dank, es kommen ruhige, freundliche Briefe. Konstantin arbeitet für einen grossen Wettbewerb. Seine heftige Selbstkritik ärgerte mich früher. Jetzt fehlt sie mir. Er schreibt nicht wie sonst, dass ihn seine Unzulänglichkeit quäle. Und doch muss der Künstler seinem Werk scharf in die Augen schauen. Später darf er sich freuen an ihm, nach Wochen, nach Monaten. Konstantin, wer drängt dich nun zur Strenge gegen dich selbst? Etwa Sylvia? Lächerlich.

*

Sylvia schreibt mir nun oft, da Konstantin angestrengt arbeite und sich nie so ganz wohl fühle. Sie gleitet über die Dinge weg, von denen ich hören möchte. Da heisst es: Wir gehen spazieren. Rom ist schön. Wir waren eingeladen. Konstantin hustet … Mehr erfahre ich nicht. Auch wenn Konstantin schreibt, sagt er wenig. Er will schweigen. Es ist die Strafe dafür, dass ich mich über seine Ehe nicht freue. Aber er fängt doch langsam an, mir über seine Arbeit Auskunft zu geben. Wen hat er sonst, an den er sich wenden könnte? Er hat das Modell für das grosse Preisausschreiben in Arbeit genommen, und die Vorstudien beendet. Wiederum eine Löwin. Sonderbar. Mein Herz lachte, als ich las, was ihn begeisterte: Löwin, ihr Junges verteidigend. Wie mag er die Löwin auffassen, seit er und ich so heftig aufeinandergeprallt sind?

Jeder Sohn trägt ein Mal an der Stirne, in dem das Wort »Mutter« eingegraben steht. Will der Sohn es löschen, wenn er Mann geworden ist, kann das nicht ohne Kampf geschehen. Der Mann braucht die Mutter nicht mehr. Die Mutter hat kein Recht mehr auf ihren Sohn. Arbeit – Geliebte – Mutter, jedes steht nun an seinem Platz, sobald das Siegel auf der Stirne gelöst ist. Konstantin und ich müssen Geduld haben miteinander.

*

Er zürnt mir immer noch. Kein Wort schreibt er je von Sylvia. Nicht ob er gefunden, was er in sie hineingeträumt, nichts davon, dass er enttäuscht ist. Aber er lässt mich wenigstens an seiner Arbeit teilnehmen. Vielleicht nur deshalb, weil er sich, indem er spricht, über das klar wird, was er will, und tastend an der Hand seiner eigenen Gedanken vorwärts gehen kann. Indem er mir schildert, wie die Muskeln, die Sehnen, der Rücken, die Flanken und Tatzen seiner Löwin geformt sind, entdeckt er ein Zuviel oder Zuwenig.

Es spricht Arbeitsfreude aus seinen Briefen. Er hoffe sich nicht zu irren, jubelt er, wenn er seine Löwin beseelt nenne. Er wisse wohl, dass das nicht der beste Ausdruck sei, auf ein Raubtier angewandt. Aber wild oder nicht, der das Junge beschützende Instinkt sei eben Liebe, beim Tier wie beim Menschen. Ich wollte, du könntest sie sehen, Mutter.

Konstantin schreibt, dass er jeden Gedanken an Müdigkeit unterdrücke. Seine Arbeit dürfe nicht verzögert werden. Steht es so? Handelt es sich um ein Erliegen? Warum schrieb mir Sylvia das nicht längst? Ich muss wissen, um was es sich handelt, ob Konstantin in Gefahr ist. Ob er zur Zeit mit seiner Arbeit fertig werden kann.

*

Wiederum ein Brief: Es gelingt, Mutter, es gelingt. In wenig Wochen wird die Ausstellung der Modelle stattfinden. Das Preisgericht wird urteilen. Meine Hände zittern vor Aufregung, aber meine Löwin steht da wie aus dem Fels herausgewachsen, jeder Muskel gespannt in Zorn, Angriffslust und Angst. Mutter, wenn es gelänge!

*

Das Schicksal hat zugepackt. Es kam ein Telegramm: Blutsturz. Wir erwarten dich. Ich reise.

*

Ich habe Konstantin kaum wieder erkannt. Glühende Augen über harten Backenknochen, blasse Lippen unter blutroten Wangen, eine gelbe Hand, die sich kaum hob, um die meine zu fassen. Konstantin, mein Sohn.

*

Ich wagte es nicht zu weinen. Ich setzte mich auf ein Stühlchen, das neben seinem Bette stand.

»Es ist ihr Stühlchen«, sagte er flüsternd. Ich fuhr auf. Sylvia brachte einen Lehnstuhl. Ich setzte mich nicht. Ich stand am Fussende des Bettes.

»Mutter,« sagte Konstantin leise, »ich glaube, ich werde dir Ehre machen. Meine Freunde loben meine Arbeit. Sie sitzen davor und schweigen.«

»Ich werde mir dein Werk morgen ansehen«, sagte ich. »Heute bin ich zu müde dazu, und es wäre schade.« Müde war ich nicht, aber wenn meines Sohnes Werk auf mich wirken soll, muss ich frei und stillen Herzens davor stehen. »Das ist Sylvias Stühlchen«, hat Konstantin gesagt. Mir, seiner Mutter sagte er das. Das Mal auf seiner Stirne ist erblasst. Meinen Platz hat die Fremde genommen. Sie sitzt an seinem Bett und hält seine Hand. Sie flüstert mit ihm. Sie errät, was er will. Jede Nacht wache sie bei ihm, sagte Konstantin. Ich erbot mich, sie abzulösen, aber Konstantins Augen füllten sich mit Angst und suchten die Sylvias.

»Ich glaube,« sagte sie, »dass es besser ist, wenn ich bei ihm bleibe. Ich weiss, wo alles steht und kenne die Pflege.« Ich nickte.

*

Heute morgen bin ich mit klopfendem Herzen hinüber in Konstantins Werkstatt gegangen. Als ich die Augen vor seiner Löwin aufschlug, sah ich, dass es ein Meisterwerk war. Es überwältigte mich. Willen, Wahrheit, Wucht haben diese tobende Löwin geschaffen. Konstantin, du mein Sohn! Jetzt weiss ich, wer du bist, und bald werden es alle wissen.

*

Konstantin ist sterbend.

*

Sylvia und ich standen beide an seinem Bett, als er starb. Ohne einen Laut und bewegungslos warteten wir auf die letzte Minute. Ich stand und schwieg und weinte nicht. Sylvia stand und schwieg und weinte nicht.

Es darf nicht sein, schrie es in mir. Dieser Mensch muss leben. Begreift Gott nicht, wen er vernichtet?

Als Konstantins Herz still stand, war mir, als falle ein Vorhang und trenne mich für immer von allem Menschlichen. Alles erlosch in mir. Alles starb in mir. Alles stand still. Alles schwieg.

*

Wir sitzen vom Morgen bis zum Abend in Konstantins Arbeitsraum und nähen schwarze Kleider.

Die dunkeln Ecken schauen mich höhnisch an. In trockenen Stücken liegt zerbrochen der Ton herum. Entwürfe der Löwin hängen an den Wänden. Skizzenbücher voll Zeichnungen liegen aufgeschlagen auf dem Tisch. Nichts rührt sich. Man hört den Faden durch den Stoff schleifen und die Schere leise und mühsam klirren. Wir flüstern, wenn wir uns etwas zu sagen haben.

Ich fand ein Zeichenbuch. Alles nur angedeutet, aber gut angedeutet, meisterhaft hingeworfen. Ich sass lange und blätterte in dem kleinen Buch.

»Sylvia, von wem sind diese Zeichnungen,« fragte ich endlich. »Von Konstantin sind sie nicht.«

»Sie sind von mir.«

»Die in dem Buche da?«

»Ja, die.«

»Was hat Konstantin dazu gesagt?«

»Es seien ein paar darunter, die er gerne selbst gemacht hätte.«

»Das hat er gesagt?«

»Ja.«

»Merkwürdig.«

*

»In diesen Tagen kommt das Preisgericht zusammen«, sagte ich zu Sylvia.

»So«, sagte sie. Ihre Augen sahen über die Dächer hinweg in die Ferne, und sie drehte ihren goldenen Verlobungsring hin und her. Ich habe sie noch nie weinen sehen. Sie arbeitet ohne Unterlass. Sie spricht nie von Konstantin. Neben seinem Bett stehen frische Blumen.

»Es ist Sonntag heute«, sage ich.

»So«, sagte sie. Darauf brachte sie das Atelier mit liebevollen Händen in Ordnung. Ich sah, dass sie den weissen Arbeitskittel Konstantins leise streichelte. Sie nahm seine Hausschuhe und trug sie weg. Lange kam sie nicht wieder.

Im Atelier steht eines der kleinen Stühlchen, wie sie in Italien um die Kamine herum stehen, und wie eines an Konstantins Bette stand.

»Wozu brauchte Konstantin dies winzige Ding in seiner Werkstatt«, fragte ich.

»Wenn er mit seiner Tagesarbeit fertig war, holte er mir das rote Stühlchen, und ich musste mich vor die Löwin setzen und ihm sagen, ob ich mit ihm zufrieden sei.«

»Du, Sylvia?«

»Ja. Und wenn ich zufrieden war, freute er sich. Er ging dann rasch hin und her und lachte vor sich hin …«

»Und?«

»Und strich mir mit der Hand über die Haare … und …«

»Und?«

»Und nannte mich sein Preisgericht, wenn ich nichts auszusetzen gehabt habe, oder sein Fehmgericht, wenn das nicht der Fall war.«

»So«, sagte ich. »Merkwürdig.«

*

Unsere schwarzen Kleider sind nun fertig. Wie verlassene Nonnen irren wir umher. Meist sitzen wir stumm am Fenster.

Heute lag ein grosser, gelber Umschlag in meiner Hand. Der Wettbewerb! Ich zitterte so, dass ich nicht imstande war, ihn zu öffnen. Da sah ich, dass der Brief gar nicht an mich gerichtet war, sondern an Sylvia. An sie, nicht an mich. Nicht an mich, seine Mutter. Ich rief sie. Sie starrte den Umschlag an.

»Öffne ihn«, sagte ich. Sie öffnete ihn.

»Konstantin hat den Preis gewonnen.«

Mir wurde es beinahe schwarz vor den Augen.

Sylvia sah mich an und wurde dunkelrot. Dann fing sie heftig zu weinen an.

»Warum weinst du jetzt?!« fragte ich.

»Ich weine aus Freude, dass ich deinem Sohne kein Hindernis auf seinem Wege war«, sagte sie.

*

Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können. Ich habe gesehen, dass ich Sylvia Unrecht getan habe. Ich glaube, sie liebte Konstantin mehr als ich. Nicht mehr, besser. Ich muss mich vor ihr beugen.


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