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Emile Verhaeren

Vläminnen aus alter Zeit

Hochsommersonne, die das Korn versengt,
Das reifende, bräunt eure schöne Rundheit,
Vläminnen Ihr, kraftstrotzend vor Gesundheit,
Die überquillt und euch den Gürtel engt.

Streckt euch in das gemähte Heu gelassen
Mit starkem Rumpf und saftgeschwellten Brüsten,
Mit glattem Haar, weich wie der Sand der Küsten,
Und lasst uns liebend eure Knie umfassen.

Anbeten lasst euch in den heissen Tagen,
Wo Glutenwind die Weiten überfliegt,
Der blaue Teich im Mittagsflimmer liegt
Und stolz und regungslos die Eichen ragen;

Und wo die Stiere wie verstört vom jähen
Anfall der Brunst sich ungebärdig regen,
Die jungen Hengste in den Obstgehegen
Mit vorgestrecktem Halse wiehernd stehen;

Wo Liebe grenzenlos die Brust durchdringt,
Im Hauch der Sinnenglut die Herzen schwellen,
Wie sich die Segel auf empörten Wellen
Blähn, wenn die Bö mit neuer Wut anspringt.

Preis eurem Leib, verklärt vom ew'gen Strahl,
Der Brüste Flor, der Blicke Goldesglanz,
Preis euch, ihr Frauen, meines Vaterlands,
Ihr unsrer Sinne höchstes Ideal!

F. v. O. B.

 

Emile Verhaeren

Frommer Abend

Die Dämmrung breitet wie ein Büsserhemd
Ihr bleiches Schweigen auf die weite Runde;
Und auf dem dunkelgoldnen Hintergrunde
Steht jedes Ding so flächenhaft und fremd.

Des Hagels Pfeile schnitten durch die Luft;
Nun prangt der Himmelsdom in blauer Reine.
Der Tag verloht im letzten Flammenscheine;
Sein Gold verschmilzt in nächtigem Silberduft.

Verlassen liegt der Horizont. Nur dort
Zieht eine Reihe riesenhafter Eichen,
Die fern bis zu den dunklen Höfen reichen,
Durch Brachgefild und Ginsterbüsche fort.

Die Bäume ziehn wie Mönche, gramerfüllt
Vom trüben Abend, ernst im Grabgeleit.
So pilgerten im schwarzen Trauerkleid
Die Büsser einst zum fernen Gnadenbild.

Die Strasse steigt und wie durch roten Mohn
Führt sie ins letzte Abendglühn hinein.
Die kahlen Stämme gehn in Doppelreihn,
Wie Mönche ziehn zu ihres Gottes Thron.

Im Ätherblau erblüht die Saat der Sterne
Hoch über ihnen, und das Lichtgefunkel
Gleicht Riesenkerzen, die sie durch das Dunkel
Unsichtbar halten in die Himmelsferne.

F. v. O. B.

 

Emile Verhaeren

Legenden

Die grossen Sonnen in den letzten Tagen
Des Herbstes sinken blutig, kupferrot.
Mein Herz, wo sind die Recken aus den deutschen Sagen,
Die durch die Wälder bliesen nach dem Tod?

Durch Feld und Fels und Stadt riss sie der Mut,
Und plötzlich stürzten sie und hingeronnen
War ihrer Tage, ihres Herzens Blut.
Doch in den Sagen wandeln sie als Sonnen.

Das Leben war für sie ein Nichts, ein Abenteuer;
Sie hielten es mit stolzem Zaum in Haft
Und hetzten es, ein Ross mit wildem Feuer,
Und pressten es mit ihrer Schenkel Kraft.

Sie ritten es in hitzig tollem Jagen
Zu Schanden, Sieger über aller Not.
Mein Herz, wo sind die Recken aus den alten Sagen,
Die durch die Wälder bliesen nach dem Tod?

F. v. O. B.

 

Emile Verhaeren

Die Dornenkrone

Auch ich will meine Dornenkrone tragen,
Ein Dorn für jeglichen Gedanken in der Stirn,
Bis zu den zarten Wurzelnerven, wo im Hirn
Die bösen, selbstgeschweissten Träume nagen.
Und diese Krone sei dem Lodern gleich
Von Flammenmähnen, die die tollen Winde strähnen,
Sie sei das glutumlohte Ebenholzgesträuch!
Zermartern soll sie mein geheimniswirres Sehnen
In seiner Öde, die geknickten Zärtlichkeiten,
Der Reue Geisselgier, den Kitzel des Entsetzens;
Sie soll den Hass und Mörderwahn mit gierbereiten,
Stachligen Dornenkrallen mir zerfetzen
Und tiefer noch sich in das Röcheln bohren,
Das zitternd nach der Liebe goldnen Vliessen schreit,
Soll Frevelfinger foltern, die in Klostertoren
Gesündigt und der Qualen tiefe Brünstigkeit ...
Und alles, alles! ... O du Krone meiner Qualen
Und meiner Lüste, die so herrisch prangt
Ob meinem Haupt und Hirn mit ihren roten Strahlen,
Traumkrone du, die meine irre Stirn verlangt,
Lass deinen somnambulen Irrglanz farbentönig
Mich krönen, deinen tollen und verlachten König!

Stefan Zweig

 

Emile Verhaeren

Der Baum

Ewig allein
Im Winterfrost wie im Sommerschein,
Begrünten Stammes und fröstelnd nackt,
Von der Stille gekost, vom Wetter gepackt,
Ewig hält er das niedere Land
Mit der Grösse und Wucht seines Lebens gebannt.
Gleiche Felder sieht er seit hunderten Jahren,
Die gleiche Arbeit, die gleiche Saat.
Die Augen derer, die einstens waren,
Belauschten ihn schon und die heimliche Tat,
Wie langsam Ring an Ring im Stamme schwoll
Und breite Zweige aus der Rinde grünten.
Ruhig und hoheitsvoll
Sah er auf sie, wenn sie der Arbeit dienten.
Klingende Nester wuchsen auf seinen Ästen.
Er barg am Tag des Schattens blaue Flut,
Und den Verliebten war zu stillen Festen
An goldnen Abenden sein Dunkel traut und gut.

Nach seinen Tränen, nach seinem Glanz
Messen die Bauern das Wetter am Morgen.
Er weiss alle Wunder und Heimlichkeiten,
Die in den wilden Wolken verborgen,
Und kennt die Pfade der Sonne ganz,
Der einsame Hüter vergangener Zeiten
Des traurigen Lands.
Doch wie auch diese Erinnerung sei,
Die noch in seinem Holze währt,
Wenn sich erst Januar zu Ende neigt
Und junger Saft im Stamme gärt,
Dann reckt er sich hoch und hält den Segen
Seiner Äste, zitternd und neu, –
Trunkene Blätter, ekstatische Hände! –
Mit unendlichem Jubelschrei
Der Zukunft entgegen.

Dann flicht
Er der flirrenden Blätter zartes Gezwirne
Mit rieselnden Fäden aus Regen und Licht.
Er presst seine Knoten, renkt Zweige ein
Und hebt mit Stolz seine wachsende Stirne
In den besiegten Himmel hinein.
Sein Wurzelwerk wühlt sich von Schacht zu Schacht
Und trinkt den Teich und die Erde trocken,
Dass er selbst oft erschrocken
Anhält von der wühlenden Arbeit Macht,
Die er in der Tiefe schweigend vollbracht.
Allein – wie viele Kämpfe, hart und ungezählt,
Eh ihn sein Trotz zu solcher Kraft gestählt!
O, die Schwerter des Winds, die schweren Gewitter,
Die seine Krone mit Blitzen durchspellten,
Des Hagels scharfe, schneidende Splitter
Und der eisig fressende Rost der Kälte!
Doch, ob auch der Schmerz seine Fasern durchnagte,
Es war keine Stunde, da er verzagte,
Weil er treu
Und hartnäckig wollte,
Dass er mit jedem Frühling neu
In doppelter Schönheit aufblühen sollte.

Im Herbst, als ihn schon helles Gold umglühte,
Ging ich oft hin zu diesem hohen Stamme,
Mit meinen alten Schritten, die schon müde
Geworden, wenn sie auch noch rüstig sind.
Und staunte auf, wie – eine rote Flamme –
Sein Laubwerk lodernd floss im Wind,
In seinen Wipfeln schienen Millionen
Von fremden Seelen leisen Sangs zu wohnen.
Ich ging zu ihm, die Augen heiss vom Feuer,
Ich rührte ihn mit meinen Fingern und
Erstaunte, wie sein Schwanken ungeheuer
Erbebte tief bis in der Erde Grund.
Ich presste meine Brust an seinen Schaft
Mit solcher Liebe und solcher Glut,
Dass seine Melodie, sein Sein und seine Kraft
Aufquoll und tief verströmte in mein Blut.

Da fühlte ich mich seinem vollen Leben nah,
Ich drängte mich an ihn wie einer seiner Äste,
Und ihn belauschend spürt ich da:
Ich liebte jetzt das Licht, die Wälder mehr,
Die weiten Flächen und der Wolken Heer.
Dem Schicksal stemmt' ich mich mit neuer Feste;
Ich sehnte mich, das All an mich zu raffen,
Und jauchzte auf: »Gott hat die Kraft erschaffen,
Dass sich der Mensch zu kühner Tat begeistert;
Sie ist es, die noch Edens Schlüssel hält,
Sie ist die Faust, die alle Türen meistert!«
Und glühend küsste ich den harten Stamm
Und heimwärts wandernd durch die trauervollen
Gelände zu der roten Abendflamme,
Fühlte ich erst, wie heiss aus meiner Brust die tollen
Schreie unsagbaren Glückes quollen.

Stefan Zweig

 

Emile Verhaeren

Lichte Stunden

Dies Säulenkapitäl, wo hassentstellt
Unholde furchtbar mit einander ringen
Und sich zu grauenvollem Knoten schlingen
Von Blut beströmt, vom Schrei der Wut umgellt –
Das war ich selbst, bevor ich dich erschaute,
Du Neue, du mir Altvertraute,
Die zu mir kam vom Ewigkeitsgestade,
In beiden Händen Güte, Inbrust, Gnade!
Ich weiss, dass auch in dir die tiefen Dinge schlafen,
Die mir das Herz durchrauschen.
Und durstend nach Erinnerung lauschen
Der Zeit wir, da uns gleiche Lose trafen.

Sah nicht die gleiche Stunde unsre Tränen
Unwissentlich in Kinderaugen taun,
Das gleiche Leid, das gleiche Sehnen,
Das gleiche leuchtende Vertraun?
Denn ich bin dein durch jenes Unbekannte,
Das meinen Schritt in seine Gründe bannte,
Darin mein wirres Leben sich verlief.
Und hätte ich nur besser still gehalten,
Ich hätte längst durch seiner Wimper Spalten
Den Strahl gesehn, der dir im Auge schlief.

Erna Rehwold

 

Emile Verhaeren

Nachmittagsstunden

Der längst verstorbnen Jahre tote Küsse,
Sie drückten auf sich deinem Angesicht.
Es schonten dich des Alters Stürme nicht,
Und welken sah ich mancher Rosen Süsse.

Nicht seh' ich mehr, so wie es einstens war,
Wie Festtagsmorgen leuchten deine Augen,
Zu langer Rast gleichwie in Fluten tauchen
Dein schönes Haupt tief in dein schwarzes Haar.

Die doch so sanft geblieben, deine Hände,
Sie kommen nicht mehr – gleich wie Frührot lacht,
Im dunklen Moos – mit ihrer lichten Pracht
Auf meine Stirn zu legen heitre Spende.
Nicht birgt dein zarter Leib, der einst so jung und warm,
Den ich mit liebenden Gedanken schmückte,
Die Tauesfrische mehr, die mich entzückte;
Dem schlanken Aste gleicht nicht mehr dein Arm.

Ein unaufhörlich Welken und Verfallen;
Verändert selbst ist deiner Stimme Klang.
Wie eine schlaffe Flagge sinkt dein Körper bang,
Lässt alle Jugendsiege mit sich fallen.

Und dennoch höre, was mein treues Herz dir sagt:
Was kümmert's mich, was sonst man dumpf beklagt,
Mich, der doch weiss, dass nichts mehr in der Welt
Je unsres Wesens tiefsten Kern entstellt.
In unsren Seelen ruhn zu tiefe Dinge
Als dass an Schönheit ihre Liebe hinge.

Anna Brunnemann

 

Emile Verhaeren

Epilog

Der mich einst abends liest in fernen Jahren,
Mein Werk aus seinem Schutt und Schlafe störend
Und gierig meiner Seele stummen Sinn beschwörend,
Mit welcher Hoffnung wir von Einst gewappnet waren,

Er wisse, wie durch Tränen und Revolten
Mit wilder Inbrunst erst sich mein Frohlocken mühte,
Wie es im herben Manneskampf der Schmerzen glühte,
Bis es die Liebe fand, der seine Brunst gegolten.

Ich liebe meinen Fieberblick, mein Hirn, die Nerven,
In Herz und Leib des Blutes warmes Raunen,
Ich liebe Mensch und Welt und muss die Kraft bestaunen,
Die meine Kräfte in das Weltall werfen.

Denn Leben heisst allein: empfangen und verschwenden,
Und nur die Sehnsuchtswilden haben mich begeistert,
Die auch so gierig standen, keuchend und bemeistert
Vom Leben und von seiner Weisheit Feuerbränden.

Stunden der Grösse, des Verfalls! – im Tiegel
Des Lebens schmilzt und schwistert sich das Ungewohnte,
Wenn nur bis in den Tod, lachend der Horizonte,
Die Sehnsucht reist mit ausgespanntem Flügel.

Und Grosse sind nur, die sich an die unzählbaren
Massen der Menschheit inbrunstvoll verschenken.
In der Unendlichkeit wiegt trunken sich das Denken.
Ein Schöpfer braucht die Liebe, um zu offenbaren.

Unfassbar schlummert Wollust auf des Wissens Grunde,
Sie löst der dunklen Dinge feingewebte Schleier;
Sie klärt der Welten Kraft in milder Schönheitsfeier,
– Oh Ihr, die einst mich lest in ernster Abendstunde,

Wisst Ihr, warum sich meine Verse an Euch wenden?
Weil dann, in Eurer Zeit, ein Kühner schon das Wissen,
Dem Herz der Wirklichkeit dem klaren Glanz entrissen,
Den aller Dinge Eintracht schafft in seinen Händen.

Stefan Zweig


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