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Eine Reihe von Vorträgen über »Das junge Frankreich«, mit dessen Vertretern ich mich seit einer Reihe von Jahren beschäftige, bestimmten mich, die nachfolgenden Stichproben ihres lyrischen Schaffens in Buchform zusammenzufassen. An einen Grundstock eigner Übertragungen (die in dieser Sammlung kurz mit F. v. O. B. signiert sind) schloss sich ungezwungen eine Reihe Schöpfungen anderer Nachdichter, die mir mit freundlicher Bereitwilligkeit zur Verfügung gestellt wurden. Die Einheitlichkeit der Verdeutschung wurde dadurch freilich gestört; dafür aber hat jeder Übersetzer nur das gegeben, was ihm persönlich lag, was er ohne inneren Zwang sich aneignen konnte. Diese Übertragungen sind infolgedessen auch bald freier, bald strenger an das Original angeschlossen; das erstere namentlich in den Verdeutschungen Verlaine'scher Lyrik, deren philologische Wiedergabe allen Stimmungszauber abzustreifen droht, während ein freieres Nachschaffen aus gleichgestimmter Seele soviel wie möglich davon herüberrettet. In der Mehrzahl der anderen Beiträge freilich war das Herangehen an den Wortlaut des Originals teils leichter und teils streng geboten. Als Muster schwebten hier die »Fünf Bücher französischer Lyrik« von Geibel vor, an die sich die nachfolgende Sammlung auch chronologisch anschliesst, so, dass jene mit einem Gedicht der s. g. »parnassischen Schule« ausklingt, da wo die meine beginnt.
Fremdländische Lyrik ist die unübersetzbarste Dichtungsart, aus dem einfachen Grunde, weil der Klang, die Plastik und Verve einer Sprache sich in jeder anderen, besonders in einer nicht stammverwandten, nicht wiedergeben lassen. Der Kenner wird sich stets an die Originale halten, und die Übersetzung – auch die kongenialste – bleibt stets ein Notbehelf für die, welche sich der eigenen Sprache bedienen müssen. Das sollte man sich bei jeder derartigen Sammlung vergegenwärtigen, ehe man urteilt.
Auch auf sachliche Vollständigkeit erhebt diese keinerlei Anspruch. Sie versucht zwar die Meilensteine der lyrischen Entwicklung zu setzen, vermag dies aber in dem ihr gesteckten Rahmen nicht restlos. Mancher wird einen ihm vertrauten Dichter, mancher ein bezeichnendes Gedicht vermissen, für das sich kein Raum fand. So ist das nuancenreiche Schaffen Baudelaires, die reiche dichterische Entwicklung Verlaines, de Régniers und Verhaerens nur durch eine grössere Anzahl von Gedichten zu belegen. Es existieren folgende empfehlenswerte Anthologien einzelner Dichter: Baudelaire, »Die Blumen des Bösen«, herausgegeben von Erich Oesterheld; Baudelaire und Verlaine von Paul Wiegler; Verlaine von Stefan Zweig; Verlaine-Hérédia von Richard Schaukal (28 Gedichte von Verlaine); Verhaeren, Ausgewählte Gedichte von Stephan Zweig; Verhaeren, »Lichte Stunden, Stunden des Nachmittags« von Erna Rehwold; Rimbaud, Leben und Dichtung von K. L. Ammer. Schliesslich wird man auch diesen oder jenen der in Frankreich gehätschelten poetae minores vermissen, deren individuelle Note und Technik man im Original bewundern mag, während sie in der Übersetzung mehr oder weniger farblos wirken. Ich habe im Gegenteil die stärksten, bahnbrechenden Talente zu Wort kommen lassen. Die »Parnassiens« (Gautier, Banville, Leconte de Lisle, Sully Prud'homme, François Coppée, Hérédia, auch Maupassant) sind als Nichtzugehörige des »Jungen Frankreich« unberücksichtigt geblieben, wiewohl diese letztere, sezessionistische Kunstrichtung teils aus der parnassischen Schule hervorwuchs (Baudelaire, Mallarmé, Rostand), teils auch in ihre Bahnen zurücklenkte (Moréas, Henri de Régnier).
Ich habe die Auswahl aus blossen Geschmacksgründen, d. h. die willkürliche Zusammenstellung »schöner Gedichte« ebenso verschmäht, wie das rein methodische Zusammentragen, vielmehr habe ich die goldene Mittelstrasse einzuhalten gesucht. Ich glaube in dieser Anthologie – trotz ihrer Mängel und Lücken – einen ungefähren Auszug der lyrischen Entwicklung Frankreichs von 1850-1900 gegeben zu haben, – ein Bild, das die nachfolgende Einleitung noch zu vervollständigen strebt.