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Paul Verlaine

Paul Verlaine

Verfall

Ich bin das Kaiserreich an des Verfalles Ziele,
Das matt den Heereszug der blonden Völker schaut
Und das mit schmaler Hand gezierte Verse baut,
Worauf die Sonne tanzt, in müdem, goldnem Stile.

Die Seele, übersatt der künstlich armen Spiele,
Vernimmt von fernem Kampf und gellem Siegeslaut
Und hofft mit schwachem Wunsch, der sich misstraut
Dass endlich in ihr Sein des Lebens Stimme fiele!

Oh dass er niemals kommt, der halberbetne Tor!
Der Kelch ist leer! Bathyll, verlerntest du das Lachen?
Ach, so als müder Gast beim öden Mahl zu wachen!

Nur noch ein fad Gedicht, das schnell im Herd verloht
Nur eines Sklaven bald verziehne Liebeslaunen
Und unabwendbar stets der langen Weile Raunen!

Paul Wiegler

 

Paul Verlaine

Regen

Regen sinkt auf die Stadt,
Und mein Herz steht in Tränen.
Ich weiss nicht, was es hat:
Mein Herz ist voll Sehnen.

Das ruhige Regenklopfen
Auf den Dächern und Gassen.
Leise trommeln die Tropfen:
Verlassen, verlassen!

Warum nur muss ich weinen?
Mein Herz ist am Verscheiden:
Warum? Ich weiss ja keinen
Grund, solchen Gram zu leiden!

Das ist die schlimmste Pein,
So sonder Lieb und Groll
Unendlich traurig sein,
Das Herz von Tränen voll.

Richard Schaukal

 

Paul Verlaine

Herbstlied

Mit deinen langen
Schluchzenden, bangen
Bogenstrichen entfärbst
Du grausam dies arme
Tränenwarme
Herz mir, geigender Herbst.

Wenn wieder in Hast
Die Stunde schlägt,
Erstick' ich fast
Und mich bewegt
Mit unendlicher Traurigkeit
Die Vergangenheit.

Dann irr' ich blind
Im bösen Wind,
Der mich ergreift,
Wie er ein Blatt
Welk und matt
Am Boden schleift.

Richard Schaukal

 

Paul Verlaine

Im Gefängnis

Der Himmel über dem Dache
So blau, so lind!
Ein Baum wiegt über dem Dache
Den Wipfel im Wind.

Die Glockenklänge drüben
Verzittern leise.
Ein Vogel im Baume drüben
Klagt seine Weise.

Oh Gott, dort ist das Leben
In Einfalt und Ruh!
Dies Raunen der Stadt ist Leben –
Und du? ...

Was weinst du bei Tage im Stillen,
Weinst laut in der Nacht?
Was hast du, um Gotteswillen,
Aus deiner Jugend gemacht?

Richard Schaukal

 

Paul Verlaine

Winter

So öde das Land;
Es endet nimmer.
Das Schneegeflimmer
Schimmert wie Sand.

Der kupferne Himmel
Gibt keinen Glanz.
Der Mond tanzt am Himmel
Den Totentanz.

Wie Wolkengespinnste
Schwanken im Grauen
Die Eichen, es brauen
Die Nebeldünste.

Der kupferne Himmel
Gibt keinen Glanz,
Der Mond tanzt am Himmel
Den Totentanz.

Ihr Wölfe und Krähen
Ihr hungerleidenden,
Was bringt euch der schneidenden
Winde Wehen?

So öde das Land;
Es endet nimmer.
Das Schneegeflimmer
Schimmert wie Sand.

Fritz Koegel (†)

 

Paul Verlaine

Dichtkunst

Du sollst es nicht nach Regeln zwingen;
Lass dein Gedicht im Winde wehn,
Lass es gelöst zu Hauch zergehn:
Musik, Musik vor allen Dingen!

Wählt nicht das Wort! Mag sich verbinden,
Was sich begegnet ungefähr!
Was nüchtern steht, ist plump und schwer;
Lass uns berauschte Lieder finden.

Wir wollen Farbe nicht, nur Schatten,
Den leisen, feinen Übergang,
Die Schwingungen, den halben Klang.
Lass Träume sich mit Träumen gatten.

Wie Gift meid schnöden Witz und »Geist«,
Flieh die verruchten Mörder-»Spitzen«,
Darauf gespiesste Silben sitzen:
Den Knoblauch, der die andern speist!

Das Rückgrat brich der Rednerei
Und halte deinen Reim im Zügel:
Er trägt dich sonst mit frechem Flügel
In Schäferwölkchenbimmelei.

Wer wird ihm die Epistel lesen,
Den taub ein Kind, ein Neger fand
Und uns vererbt als Unterpfand,
Dass taub und blöd ein Mohr gewesen!

Noch einmal denn: Musik und nur
Musik und sei dein Vers die Seele,
Die sich wie eines Vogels Kehle
Tönend verbreitet im Azur.

Und sei dein Vers, wie durch die Saaten
Im Morgentau der Frühlingswind
Mit zärtlichem Geriesel rinnt ...
Der Rest gehört den Literaten!

Richard Schaukal

 

Paul Verlaine

Mein lieber Traum

Und immer wieder hab ich dies Gesicht
Im Traum: ich lieb ein Weib, das mich versteht
Und liebt, und wie sie kommt und wie sie geht,
Ist sie dieselbe stets und wieder nicht.

Nur diese Fremde kennt mich, nur ihr Licht
Erhellt mein Herz, das niemand sonst errät;
Und meine Stirn, von Perlen übersät,
Kühlt sanft der Kranz, den sie aus Tränen flicht.

Ich weiss nicht, ob sie blond ist oder braun,
Weiss ihren Namen nicht, mir blieb allein
Sein Klang im Ohr; er lädt zum Träumen ein.

Ihr Blick ist so, wie Marmorbilder schaun,
Und ihre Stimme tönt so fern, so schwer,
Als käm sie von geliebten Toten her.

Richard Schaukal

 

Paul Verlaine

Mondnacht

Durch Waldesdüster
Das Mondlicht webt.
Heimlich Geflüster
Im Blattwerk bebt
Und raunt uns zu ...
Geliebte du!

Im Silberkleide
Schlummert der Teich.
Die schwarze Weide
Spiegelt sich bleich.
Der Wind in den Bäumen
Rauscht ...
Lass uns träumen!

Ein tiefer Friede
Vom Himmelszelt
Neigt sich hernieder
Zur stillen Welt.
Es leuchtet die Runde ...
O selige Stunde!

F. v. O. B.

 

Paul Verlaine

Einst war ich gläubig

Einst war ich gläubig, nun bin ich's nicht mehr
(Ich gab mich wieder ganz dem Weibe hin);
Doch meine Seele sehnt sich heimlich sehr
Zum Glauben, dem ich abgefallen bin.
Ich gab mich wieder ganz dem Weibe hin!

Ich hatte heim zum Kindheitsgott gefunden
(Und heute bete ich nur dich noch an);
Dem Sünder war in reinen Gnadenstunden
Der Himmelshoffnung Güte aufgetan.
Doch heute bete ich nur dich noch an!

Durch falschen Schein, mir alles hinzugeben,
Ward wieder, ehe ich es noch gewahr,
Das Weib in dir zum Herrscher für mein Leben,
Ein Herr, allmächtig, doch des Mitleids baar ...
O reiche Zeit, da ich noch gläubig war.

Stefan Zweig


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