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Georges Rodenbach

Georges Rodenbach

Die tote Stadt

Du Schwester mein und Gleichnis, tote Stadt,
Verfallende, gebannt vom Glockenklange,
Wir beide sind der kühnen Schiffe matt,
Der Segel, die, geschwellt vom Liebesdrange
Zum Meer, gleich Brüsten sich im Lichte blähn.
Verschlafen wir im Trauerkleide stehn,
Und keins der Schiffe birgt der herbe Hafen,
Die sonst der Flanken Gold in ihm gespiegelt
Kein Widerschein, kein Laut ... Das Schilf verriegelt
Starr unsre Fluten, die verwitwet schlafen,
Die leeren Fluten, die der Wind bestreicht,
Als hüllt' er sie ins Bahrtuch ... Oh wie gleicht
Sich unsere Schwermut, du verlassner Port!
O Stadt, du Leidensschwester, stiller Ort,
Gedenkend deiner alten Masten Zahl –
Mein Leben auch ist tot wie dein Kanal!
Was tuts? Der Himmel spiegelt sich geklärt
In deinen Wassern, drinnen er versinkt,
Wie er in mein gestilltes Leben dringt.
Doch ward uns beiden Bessres noch bescheert:
Statt eitler Schiffe, wirrem Treiben nur
Dem Wolkenflug den Spiegel vorzuhalten
Und abzubilden ewige Gestalten,
Ihr lässig Ziehn verklärend im Azur –
Sind wir, die also treu dem Himmel dienen,
Umglüht von seinen Fernen und aus ihnen
Das Paradies in uns herniederquillt.
Oh Stadt, du meiner Seele Ebenbild!

Darum auch, Schwester, sind wir beide wert,
Dass unsere Flut der sanfte Schwan befährt
Des Traumes, den herbei die Stille zieht
Und der vor allem Lauten scheu entflieht,
Der da nur weilt, der stolzen Palme gleich,
Wo still sich dehnt des tiefen Schweigens Reich, –
Der weisse Schwan, der stolz die Flügel trägt,
Ein Schiff aus Mondlicht und aus weisser Seide,
Ein Silberglanz auf trüber Städte Leide, –
Der, wenn ein Hauch die tote Gracht bewegt,
Sein Flaumgefieder sträubt, und wenn es nachtet,
Wie ein gerefftes Schiff das Meer verachtet
Und seine Schwingen schliesst und schlummert ein,
Wie brütend auf der Sterne Widerschein.

F. v. O. B.

 

Georges Rodenbach

Im Strom der Seele

Verwaiste Seele, wehmutsvolle, bange,
Wie kann dir noch der Erdenrausch behagen
Mit seiner Freude falschem Schellenklange,
Der durch die Frostluft sich auf deine Plagen
Herniedersenkt! Der Traum nur kann dich retten,
In trügerischen Flaum dein Leben betten.

Nur Leid ist deines Wanderns Lohn gewesen;
Nun bleibst du stets, als wärst du kaum genesen.
Ein jedes Hoffen, jedes Trachten schwand,
Dem Leben etwas Kraft noch abzuringen,
Noch ein paar reife Trauben heimzubringen.
Der Weinberg ward von Fremden ausgeraubt,
In deren Keltern laut der Most nun gährt.
Dir ward das Leben feindlich und entlaubt,
Ein Dornenhag, durchblitzt vom blanken Schwert.

Im Traum jedoch blüht eine Freundeswelt,
Lockt ein Asyl für unsre müssigen Hände.
Fern liegt das Leben, wo der Hornruf gellt!
Der Liebe Jubelschall hat bald ein Ende.
Die trübe Seele weiss: im Traum nur gibt
Es ewige Liebe, wie man Tote liebt.

Oh Traum, du einziger Freund, der sich bewährt,
Du Edelstein, der alles Licht verklärt
Und ihm des Wassers Farbenfülle schenkt ...
Du Schatz, so kühl und schön ins Herz gesenkt!

O Gott, mach mich an solcher Habe reich,
Der ich ihr Hüter bin und Herr zugleich;
Und täglich einen neuen Traum mir spende:
Gott, gib, dass ich in Träumen mich verschwende!

F. v. O. B.

 

Georges Rodenbach

In der Kirche

Die alte Kirche träumt in tiefer Ruh;
Ringsum in Schwermut liegt die tote Stadt,
Man spürt's, wie wenn man Kranke um sich hat,
Und alles deckt des Turmes Schatten zu.

Bang ist der Schwalben Zwitschern und Geschwirr
Im Hof. Halbtrauerzwielicht füllt den Bau,
Nur durch die Scheiben blickt das stolze Blau;
Bleich ist und welk der Jungfrau Spitzenzier.

Alt, welk ist alles! Sieh, es stehn die runden
Steinsäulen kahl, wie Stämme, rings behaun.
Und wie wenn Nägelmale blutig taun,
So quillt ein ferner, kranker Duft von Wunden,

Der fad, entnervend, sinnlich ist zu nippen.
Ja, Krankenduft ist alles, was hier webt.
Nach Lilien duftet's, welkem Stroh der Krippen
Und Weihrauch, der im Dämmerschein verschwebt.

Goldkannen dünsten Wein. Die Kerze schwelt,
Von Sünderhand entflammt am Gottestische,
's ist alles Duft, doch welk und ohne Frische,
Des Altars Tuch, die Myrtenkränz' entseelt.

Ihr Hauch auch weht, die schon entschlafen sind,
Die, modernd hier, vor Gottes Richtstuhl standen
Mit Reueträn' und Angstschweiss ihrer Schanden –
O Duft, der träg' sich durch die Zeiten spinnt! ...

Und immer weiter stets, wie stets zuvor! ...
Denn alt ist diese Stadt; es strotzt von Leichen
So Chor wie Schiff, bedeckt von ihren Zeichen,
Und mancher Sarg schon kam durch dieses Tor.

Ja, tot ist alles oder wird es hier!
Der Weihrauch stirbt im Nichts, das Heut' im Gestern.
Verblasst der Brüder Bilder und der Schwestern;
Nur Heil'genschrein und Knochen winken dir ...

Rings herrscht der Tod, doch auch die Ewigkeit.
Tritt ein denn, zagendes Gemüte.
Der Pforte Teufelslarven grinsen breit;
Doch drinnen atmet lauter Güte,
Und durch die schwarzen Scheiben bricht's herein
Wie Mondenschein ...

Ja, allem Leben wendest du dich ab,
O Seele, trittst du ein in dieses Grab,
Aus Tagesglut in diese stille Nacht,
Wo nur im Grund der Kerzen Schimmer wacht,
Wie Lippen, die im Traume sich bewegen ...

Weihwasser netzt die heissen Finger kühl:
Dies ist, das du ersehntest, dein Asyl,
Die sichre Arche in der Sünden Flut.
Die Taube trägt den Ölzweig dir entgegen,
Des Geistes Taube, der auf allem ruht ...

Kalt weht der Grabeshauch umher.
Der Sünder, der du warst, stirbt mehr und mehr
Der Welt und sich,
Wie Lazarus dereinst verblich –
Doch Jesus weint, und neu erhebst du dich.

Mit neuer Seele stehst du wieder auf;
Nichts ist im Paradies dir mehr verboten.
Was liegt nun an der Welt und ihrem Lauf?
Was liegt nun an der Stadt, der toten?
Und ob der Regen an die Scheiben schlägt,
Ob Nacht die Welt in Witwenschleier legt:
Hier nachtet's nicht.
Im tiefen Chor
Zittert im Gold des Heiligenschreins ein Licht.
Des Weihrauchs Schattenvorhang wallt empor ...
Du warest tot – nun bist du neu belebt,
Zum Licht erkoren, dem erflehten.
Du fühlst von Schwestern dich umschwebt,
Fühlst, dass Marie und Martha mit dir beten ...
Knaben preisen nun im Chore
Glockenrein das Sakrament.
Himmelan von der Empore
Steigt's wie steinern Ornament.
Unstofflich sind die Klänge,
Wie wenn ein Sprudel spränge,
Ein frischer Quell, der steigt und sinkt,
Wie wenn ein Lichtmeer funkelt,
Bald aufflammt, bald verdunkelt,
Ein Taubenschwarm sich auf und nieder schwingt.
Man blickt durch das Gewimmel
Der Flügel in den Himmel
Und wie durch einen Edelstein – – –

Die Orgel summt bedächtig
Und breitet Schweigen nächtig
Wie schwarzen Sammet über alles drein.

Hold zu träumen
Ist's in diesen stillen Räumen,
Und ein Ave löst sich aus der Brust,
Wie aus einer Linnenlade
Veilchenduft,
Wallt empor mit Weihrauchswolkenduft,
Still in Nacht und Schweigen zu zergehen;
Düfte wehen
Wie von Totenblumen fade ...
Tat sich auf der alten Zeiten Gruft?
Kaum Geräusch im stillen Kreise.
Holz und Stein
Knistert fein,
Und das Tote atmet leise.

Und wie du träumst und betest, kaum bewusst,
Der Schatten wächst so trüb und schwer.
O säh' ich Gott, so betet deine Brust.
O wüsst' ich, wüsst' ich, zweifelt' ich nicht mehr!
Schon ist das hohe Schiff verdunkelt;
Die Pfeiler schwinden allgemach,
Und nur im letzten Fenster funkelt
Im Ringen mit der Nacht der letzte Tag.

Du selbst versinkst in Nacht
Und irrst, verirrst dich in das Land der Träume.
Ging nicht ein Zeichen durch die stillen Räume
Des himmlischen Verzeihns, eh du's gedacht?
Du bist der Zeitlichkeit enthoben;
Du fliehst, du fliehst, du bist zerstoben.
Du sinkst, du sinkst – bis auf des Meeres Grund.
Stets tiefer, kälter stets. Kein Ufer fasst den Schlund –

Ob lange Zeit verstrich?
Der letzte Schein verblich.
Blaugrau spinnt alles ein.
Du wähnst in umgeschlagnem Schiff zu sein ...

Die Orgel präludiert mit leisem Säuseln,
Wie wenn ein Bach aus Wolken niederquillt,
Der Flor emporwallt, wenn er sich gestillt
Im Wasser, dessen Spiegel kaum sich kräuseln.
Farblose Flut, dem Tastenwerk entwrungen,
Von unsichtbarer Hände Druck entsprungen ...
Sie rinnt, sie schaudert, zaudert, stockt im Lauf,
Stürzt weiter dann und schwillt zum Giessbach auf,
Zum breiten Flutschwall, dass dem Ohre graust,
Wie's durch die Säulen schwemmt, den Hof durchbraust,
Sich schäumend zwängt wie durch ein Schleusentor;
Die Orgelpfeifen stehn wie Riesenrohr.

Der Kinder Glockentöne schmelzen jach
Dahin im Schwalle, wie im Strom ein Bach,
Ein plötzlich Schweigen, Inseln, die ihn spalten;
Dann wieder strömt's und keiner kann es halten.

Es wechselt Tag und Nacht und Kraft und Milde,
Doch Milde nur, wie sie die Kraft verschönt.
Es strebt empor wie steineres Gebilde,
Dem Felsen gleich, der sich mit Blumen krönt.
O Stimme du der himmlischen Gefilde,
Kein Menschengeist dich mehr zu meistern wähnt!
O Donnerlied, im tiefsten Schacht erklungen,
O Element, von Felsenkraft bezwungen!

O Hauch, der kosend bald die Gräser strähnt,
Bald niedermäht, wie Sensenstahl den Schwaden!
O Bach, der sich zum Fluss, zum Strome dehnt,
Und niederstürzt in donnernden Kaskaden!
O Element, das Menschenwitz verhöhnt,
Denn jede Stimme dient, sich zu entladen,
Früh aufzujauchzen, still des Nachts zu weinen
Und Erdenlied mit Engelsang zu einen!

Bald droht es rauh, bald lispelt's Engelsgüte,
Ist ungestüm und wie aus Kindermund;
Und hat der Wettersturm zerknickt die Blüte,
So spannt ein Bogen sich zum neuen Bund.
Bald jauchzend Herz, bald schluchzendes Gemüte,
Bald schwarz, ein Katafalk im Herzensgrund,
Bald ist es hell wie frommes Kinderlallen –
Unendlich wie der Himmel über allen.

F. v. O. B.

 


Folgende Gedichte mußten aus Urheberrechtsgründen gelöscht werden:

Maurice Maeterlinck (1862 - 1949, © bis 31.12.2019)
Treibhausstarre

Maurice Maeterlinck
Gebet

Maurice Maeterlinck
Lieder

Maurice Maeterlinck
Der Ungetreue

Fernand Gregh (1873 - 1960, ©bis 31.12.2030)
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Fernand Gregh
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Maurice Maeterlinck

 


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