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Blumenlese – Zweiter Band
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Gall Morell

Ostermorgen

Auf, empor von Erdensorgen,
Schwinde hin Charsamstagsnacht!
Fröhlich strahlt der Ostermorgen,
Hell, in unermeß'ner Pracht.
Deines Kummers Leintuch lasse
In der Felsengruft zurück,
Dort mit Neid und Stolz und Hasse
Ruhe auch das Sinnenglück.

Aber frei und immer freier
Schwinge sich der Geist empor,
Daß zur wahren Osterfeier
Ihn empfang' ein Engelchor!
O der Wonne, es zu wissen,
Daß der Geist lebendig webt,
Daß sein Grab nicht Siegel schließen,
Daß er ewig, ewig lebt!

Ja das hat Er uns errungen,
Der uns Freund und Bruder ward,
Der so liebend uns umschlungen,
Uns so klar sich offenbart;
Der die Steine aller Grüfte
Wie den seinen einst erhebt,
Wenn sein Banner durch die Lüfte
Vor dem Weltgerichte schwebt.

Jauchzet – auch von unsern Grüften
Wälzt der Herr den schweren Stein;
Die Gebeugten, Vielgeprüften
Werden einst noch glücklich sein,
Wo die Seelen rein sich lieben,
Menschenqual sich nicht mehr fühlt,
Wenn der Leib zurückgeblieben,
Und der Geist mit Engeln spielt.

Die Glashütte

Intra

Wie das glüht und sprüht und knittert!
Wie der Qualm die Nacht durchzittert!
Ha, in diesem Höllenreich
Werden Felsenblöcke weich!
Wie in solchen rothen Gluthen
Die geringste Mackel weicht,
So wird in des Unglücks Fluthen
Engelrein der Geist gebleicht.

Seh' ich Glas, sonst so gebrechlich,
Das im Ofenschlund gemächlich
Dort der Bursch wie Bänder biegt?
Dem es sich so willig schmiegt?
Durch des Elends Gluth gezogen
Stählet sich das Herz zur Pflicht,
Manchmal wird es wohl gebogen,
Doch gebrochen wird es nicht.

Und so ist's – nur weich und milde
Fügt das Glas sich zum Gebilde;
Im durchglühten Feuerheerd
Wird der Edelstein bewährt;
Drum, wenn auch der große Meister
Seine Treuen läutern will,
Laßt euch bilden, edle Geister,
Duldet, harret froh und still!

Welch Gefäß sich hier bereite,
Weiß der Meister nur allein,
Ob er's für die Freude weihte
Oder für den Leidenswein.
Eines wolle nicht vergessen:
Ein Juwel bewahrest du,
In gebrechlichen Gefäßen
Trägst du es dem Himmel zu.

Der Blumenmarkt in Mailand

Den 5. Oktober

Wie mein Aug' erstaunt durchflieget
Diese Gassen fern und nah!
Eine Welt von Steinen lieget
Ausgebreitet vor mir da.
Alles lächelt meinen Blicken,
Alles will mein Herz entzücken,
Da vermiß' ich Eines nur,
Dich, du liebliche Natur!

Zwar der blaue Himmel schauet
Auch in dies Gewühl herab,
Doch die Fluren sind verbauet
Und die Blumen welkten ab.
Aber nein, sie blühen wieder,
Und die Straßen auf und nieder
Zieht so bunt von Ort zu Ort
Ein belebter Garten fort.

Zwischen todten Marmormassen
Seh' ich holde Rosen blühn.
Wie in Häusern und in Straßen
Zierlich ihre Farben glühn!
O Natur, du ewig milde,
Deine rosichten Gefilde
Mag dein Sohn dem Licht verbauen,
Doch es wird ihm selber grauen.

Was die Fluren reichlich gaben,
Sucht er einzeln wieder auf;
Blumen muß er wieder haben,
Wär's auch nur im Marktverkauf.
Was bei Sonnenschein und Regen
Frei geblüht mit Gottes Segen,
Muß er, daß es wieder blühe,
Pflegen nun mit saurer Mühe.

Auf der Eisenbahn

Als ich im Wagen ein neben seiner Mutter schlummerndes Kind sah

Kind, wie schlummerst du süß zur Seite der sorgenden Mutter,
Zugeschlossen das Aug', sanft in die Ecke gelehnt!
Tiefer wird, immer tiefer dein Schlaf und sanfter dein Athem,
Hörst du es nicht, wie's kocht dort in dem eisernen Bauch,
Nicht, wie verborgene Kraft hinreißt die gewaltigen Wagen,
Daß sie rollend im Sturm eiserne Bahnen durchziehn?
Siehst den Wald dort nicht und die Häuser im Fluge verschwinden?
Ach so schnell ist der Zug, ach und die Reise so kurz!
Du aber schlummerst, und erst am Ziele des Laufes erwachst du,
Erst wenn die Gluthen verglüht, wenn sich die Dämpfe verziehn.
Also rollet der Mensch dahin im Wagen des Lebens,
Schnell wie der nächtliche Blitz, welcher die Wolke zerreißt.
Immer kocht's in der Erde Schlund von verborgenen Flammen,
Ströme brausen und Sturm zieht in den Wolken dahin,
Oben und unten und rechts und links hinfliegen die Welten,
Tausend Begleiter mit uns fanden im Wagen sich ein,
Menschen seh'n wir am Weg und Stadt' und Bäume entfliehen,
Laut ertönet des Markts, laut der Gerichte Gelärm.
Uns aber kümmert das nicht und wir ruhn vom Schlafe gezwungen;
Hin in die Ecke gelehnt, träumen wir kindisches Spiel.
Taub dem gewaltigen Klang harmonisch rollender Sphären,
Deren erhabenes Lied Wiegengesang uns bedünkt,
Fliegen schlafend wir hin durch des Aethers unendliche Räume,
Fest verschließend das Aug', fest verschließend das Ohr
All' den unsäglichen Wundern, die rings wie die Luft uns umwallen.
Erst am Ende der Bahn schlagen das Auge wir auf,
Finden erstaunt uns drüben im fernen fremden Gebiete.
Ach und so schnell war der Zug, ach und die Reise so kurz!
Wohl dem Schlafenden, wohl, daß der Vorsicht heilige Mutter
Sorglich neben ihm wacht, sanft aus dem Wagen ihn hebt!
Wohl ihm, daß den gewaltigen Lauf ein Stärkerer zügelt,
Welcher mit sorgender Hand nimmer die Pfade verfehlt.

Das Wunder der Schöpfung

Schon war der Bau der Welten fast vollendet,
Die Sonnen rollten rasch auf sichern Bahnen,
Die Ströme brausten und die Blumen blühten,
Der Vogel schwang sich singend durch die Luft,
Im Brautgewande lachte schon die Erde.

Da rief Jehova seiner Engel Erste
Vor seinen Thron. Sie kamen rasch gehorchend,
Verneigten sich, das Antlitz still verhüllend,
Und also sprach Jehova:
»All die Wunder,
Die meine Hand erschuf, habt ihr gesehn.
Was soll ich Bessres noch und Größ'res schaffen
Als meines Werkes Preis und höchste Krone?«

Da hob das Haupt der Engel der Gewässer,
Und seine Summe rauscht' wie Wasserbäche:
»Der Wunder viel, o Herr! hast du geschaffen
In deinen Wassern ohne Maß und Zahl,
In deinen Strömen, die die Länder tränken,
Und Quell und Meer und Bach lobt deinen Namen;
Doch todt sind die Gewässer, und die Quelle
Vertrocknet oft, und dem Gebot der Schwere
Dient knechtisch jede Fluth. Erschaffe noch
Den Quell, der aus sich selbst die Säfte sprudelt,
Die nie versiegend, lebenhauchend strömen
In Tiefen wie in Höhn, in Au'n und Wüsten,
In Millionen Betten lustig rinnen;
Den Springquell, der sich selbst erzeugt, sich selbst
Bewegt und wie ein flammend Sonnenrad
Die Lebenfluth nach allen Enden gießt.« –
So sprach der Engel der Gewässer.

Drauf
Erhob der Sonnenengel seine Augen.
In ihren Glanz vermag kein Mensch zu schauen,
Doch vor dem Ewigen erbleichten sie.
Er sprach in Flammenworten: »Herr des Lichtes,
Du hast in deiner Schöpfung weitem Saale
Des Lichtes wunderbaren Herd gegründet,
Mit Kraft und Wärme Alles zu durchdringen;
Doch mit dem Tage kämpft die dunkle Nacht,
Dem warmen Sommer folgt der eis'ge Winter,
Und von der Sonne bettelt Alles Wärme.
Geuß deine Flammen in ein Erdgefäße,
Das nicht erkaltet, wenn auch Sonnen schwinden,
Das auch im starren Eisgebirge glüht,
Und das von keiner Fluth gelöscht, vielmehr
Die Fluthen selbst mit rother Gluth entstammt.« –
Er sprach's und schwieg.

Nun nahte sich voll Ehrfurcht
Der Erden Engel – eilend sprach er also:
»Der Wunder ohne Zahl hast du in Höhlen,
In dunkeln Kammern deiner heil'gen Berge
Den Engeln zum Entzücken aufgehäuft,
Hast dir die heil'gen Tempel selbst errichtet,
Mit Ehrensäulen selber sie gestützt
Und Edelsteine rings um sie gelegt.
Doch todt und starr und fühllos sind die Höhlen,
Kein Laut des Lebens schallt in diesen Kammern.
Erbau' uns eine Höhle, die da lebt,
Und froh und unerschlafft in ihrer Wölbung
Die Kammern selber öffnend und verschließend,
Mit wunderbaren Thüren unaufhörlich
Zu deinem Ruhm sich reget und beweget.« –
Der Erde Engel neigte sich und schwieg.

Da klangen goldbesaitet Himmmelsharfen,
Und sieh, der Engel Erster hob das Haupt
In schöner Majestät; mit Abendröthen
War seines Kleides Saum gewirkt. Er sprach:
»Die Himmel all' erzählen deine Ehre,
Der Schöpfung tausend Riesenharfen klingen
Und jeder Stern und jede Blume wird
Zur Saite, die von deinem Lobe singt.
Herr, eine Wunderharfe bautest Du;
Doch ach, sie selbst versteht ihr Loblied nicht,
Und Geister müssen ihre Saiten schlagen;
Denn fühllos ist sie für des Höchsten Ehre,
Gefühllos für die himmlischen Gefühle,
Die beim Gedanken Deiner sanft sich regen.
So baue denn aus Thon dir eine Leier,
Die selbst erzittert, wenn dein Hauch sie rühret,
Die jeden Laut der Schöpfung wiederklingt,
Wenn er an ihre Saiten rührt, die Dank
Und Liebe, Mitgefühl in Schmerz und Freude
Und alles Schöne aus sich selber hallt.
Das wird der Schöpfung höchstes Wunder sein.« –
Kaum war das Wort gesprochen, da durchzuckte
Ein Lichtstrahl alle Himmel, alle Geister –
Die Schöpfung schwieg, die Cherubim verstummten,
Jehova sprach. – Sein Wort vermöchte nicht
Ein Mensch zu hören und sein Leben retten. –
Er sprach: »Wohlan, was ihr begehrt, soll alles
In Einem Wunderwerk vollendet sein.«
Und Gott der Herr erschuf das Menschenherz. –
Noch springt sein Lebensquell in tausend Adern,
Noch strömt es Gluthen selbst in Eisgebirgen,
Noch zittern seine Kammern, seine Höhlen,
Noch klingt es, wie die Aeolsharfe klingt,
Vom Hauch des tausendfachen Geist's erregt,
Der Schöpfung allerhöchstes Wunderwerk.

Drei Engel

Drei Engel einst zusammen kamen,
Wohl Mancher hörte ihre Namen,
Doch Wenige verstehen sie;
Sie heißen Glaube, Hoffnung, Liebe
Und wenn ich tausend Bücher schriebe.
Ihr Lob erschöpft' ich dennoch nie!

Der Glaube sprach: »Die Menschen haben
Verachtet meine Himmelsgaben,
Verschmäht mein alldurchdringlich Licht;
Wegreißen wollt ich ihre Binden,
Da schmähten mich die Ewigblinden:
Wir brauchen deiner Leuchte nicht!«

Die Hoffnung sprach: »An meinem Stabe
Stützt' ich die Armen selbst am Grabe;
Den Stab zerbrach der Erdensohn.
Er wollte nichts von Hoffnung wissen,
Des Himmels Burgrecht ward zerrissen,
Nun buhlt er nur um Erdenlohn,«

Die Liebe sprach: »Verhöhnt, vertrieben
Hat mich die Menschheit, die nicht lieben,
Nur hassen, freveln, fluchen kann.
Mein Blut hab' ich für sie vergossen;
Doch sie, sie hat mich weggestoßen,
Hohnlachend als mein Herzblut rann.«

Da sprach der Glaube: »Nun, die Thoren,
So seien sie in Nacht verloren,
Die nie ein Himmelsstrahl durchbricht!
Mein Licht, sie wollten's nicht ertragen,
So soll's denn einstens schrecklich tagen,
Wenn Engel rufen zum Gericht.«

Dann sprach die Hoffnung: »Das Verbrechen
Der Hoffnungslosen streng zu rächen,
Sag' ich mich heut von ihnen los;
Doch sie, die nun so hoch sich tragen,
Sie werden in der Noth verzagen,
Denn finster ist des Grabes Schooß.«

Jetzt sprach die Liebe: »Mag des Armen
Sich Glaub' und Hoffnung nicht erbarmen,
Die Liebe bleibt ihm ewig treu!
Ich kann den Irrenden nicht hassen,
Nicht seinem Loos ihn überlassen,
Denn meine Treu ist ewig neu.

Ich stieg für ihn vom Himmel nieder,
Dem Sklaven gab ich Freiheit wieder,
Zum Himmel zeigt' ich ihm den Lauf.
Er bleibt mein Sohn, wenn auch verloren.
Mit Schmerzen hab' ich ihn geboren.
Und such' ihn noch mit Schmerzen auf.

Und find' ich ihn, den Langverlornen,
In Schmerzen abermal Gebornen,
So führ' ich euch ihn wieder zu.
Ich lehr' ihn wieder glauben, hoffen;
Und steht ihm einst der Himmel offen,
So folg' ich ihm zur ew'gen Ruh.«

Wie drei Bursche sich zurecht fanden

Es fuhren drei Bursche durch Waldesnacht,
Die hatten den Tag wohl vieles gelacht.

Jetzt wurden sie still und forchten sich sehr,
Denn sie fanden den Weg und den Steg nicht mehr.

Da plötzlich von fern ein rettendes Licht
Durch dicht bewachsnes Geäste bricht.

Und freier athmen die Bursche nun auf
Und richten dem Licht entgegen den Lauf.

Der Leuchtthurm ist's, wie der Aelteste meint,
Der im Sturm zum Troste der Schiffer erscheint.

Der Andere spricht: »Der Magister wird's sein,
Der studirt was Rechtes beim Lampenschein.«

Der Dritte meint: »Das Licht ist so fern,
Am End' ist's gar nur der Abendstern.

Oder ist's Frau Martha, die Tag und Nacht
An der Wiege des kranken Kindleins wacht?«

Jetzt traten sie endlich durch Nacht und Graus
Mit erleichterter Brust ins Freie hinaus.

Da haben sie gleich das Kirchlein erkannt,
In welchem das ewige Licht hat gebrannt.

Das Licht, das so spät noch der lustigen Schaar
Durch gefährliches Dunkel ein Führer war.

Tief ward betroffen des Aeltesten Herz,
Er sprach: »Fürwahr durch die Seele mir fährt's.

Mir ist, ich sollte das Räthsel verstehn,
Wir haben wohl alle ein andres gesehn;

Wir haben gefaselt von mancherlei Licht,
Und das rechte, das Eine, erkannten wir nicht.

Und doch dieß Eine der Leuchtthurm ist,
Der leuchtet im Sturme zu jeder Frist;

Und die Lampe des weisesten Meisters blinkt,
Die aus Nebel und Nacht zur Erkenntniß winkt.

Und der Stern ist's, der über der Erde hängt,
Zu dem sich des Menschen Gemüth hindrängt;

S'ist die Mutter, die über der Wiege der Welt
In den Atmen die kranke Menschheit hält.«

Jetzt flackert die Lampe im Heiligthum
Und die Lustigen werden ernst und stumm,

Und treten aus Nebel und Nacht hinein
In das Kirchlein voll lieblichem Lampenschein.

Deutscher Dichterwald

»Singe, wem Gesang gegeben
In dem deutschen Dichterwald;
Das ist Freude, das ist Leben,
Wenn's von allen Zweigen schallt.«

Seit der Meister das gesungen,
Freute sich der Sänger Schaar,
Einer wandert von den Jungen
In den Wald hinaus sogar;

Predigt dort den Vögelschaaren,
Predigt recht mit Herzensdrang,
Was der Meister wohlerfahren
In besagten Versen sang.

Und sein Wort fiel nicht daneben,
Kam den Vögeln eben recht:
»Mir ist auch Gesang gegeben,«
Dachten Sperber, Fink und Specht.

Da kam Freude, da kam Leben,
In den deutschen Dichterwald,
Als die Vögel sich erheben,
Und ihr Aller Lied erschallt.

Kukuk, groß in den Cadenzen,
Rein, unsträflich in dem Reim,
Glaubt mit diesem Reim zu glänzen,
Süß und hell wie Honigseim.

Spatz, mit selbstzufriednen Blicken,
Zwitschert laut durch Hain und Flur,
Allen Spatzen zum Entzücken:
»Spätzchen, Spätzchen, Spätzchen« nur.

Und der Storch auf hohen Stelzen,
Hat mit seines Schnabels Wucht,
Pracht und Anmuth zu verschmelzen,
Jetzt zum ersten mal versucht.

Doch des Hahnes lautes Krähen
Kräht: »Wir sind für Freiheit reif!«
Stolz wie ihre Fahnen wehen,
Weht dabei sein bunter Schweif.

Uhu tief im Burgesschatten,
Mit gelehrtem Angesicht,
Heult ein Epos mit Citaten
Von Muspillis Weltgericht.

Hänfling, Zeisig, Wachtel singen,
Selten Lerchen zwischenein;
S' war ein Krähen, Klappern, Klingen
Durch den ganzen Dichterhain.

Leider bei dem lauten Schallen,
Das von allen Seiten gellt,
Haben nur die Nachtigallen
Ihre Lieder eingestellt.

Jetzt erschrack sogar der Meister,
Der den Zauberspruch gethan.
Und die losgelass'nen Geister
Nimmermehr beschwören kann.

Jeder Vogel noch zur Stunde
Um des Liedes Lorbeer wirbt;
Sang und Unsang macht die Runde,
Bis der letzte Vogel stirbt.

Das Werdende

Nicht das Fertige, das Reife
Ist es, was ich gern ergreife,
Weil ich der Verwesung nah
Stets die reifsten Früchte sah.

Gebt mir jugendliches Gähren,
Das sich erst muß brausend klären.
Gebt mir frisches Morgenroth,
Dem zunächst nur Mittag droht.

Fertiges taugt nicht auf Erden,
Alles muß hienieden werden,
Keimen, sich entfalten, blühn,
Zehrend glühen, und verglühn.

Alles Leben ist ein Wachsen,
Ist ein Wechseln, um die Achsen
Dreht sich, was in's Auge fällt,
So Natur als Geisterwelt.

Wohl besteht das Wandellose,
Nimmer wechselnd wie die Rose,
Wie der Stern am Firmament;
Doch wer ist's, der's ganz erkennt?

Was nur Ein's und unvergänglich,
Bleibt dem Sinne unzugänglich,
Der am Erdenstaube klebt
Und in stetem Wechsel lebt.

Doch in wandelnden Gestalten
Wird ihm kund der Gottheit Walten,
Wesen wird ihm durch den Schein,
Und im Werden blüht das Sein.

Nur der Wandelkreis beschreibet,
Was da ewig ist und bleibet.
In bewegter Wogen Nacht
Fühlen wir des Meeres Macht.

Mag es drum ein Bischen stürmen;
Wie sich auch die Wogen thürmen,
Steure fest dem Hafen zu,
Nach dem Sturme kommt die Ruh.

Nächtliche Seefahrt

Durch dunkle Nacht der Dämpfer saust,
Im Räderschwung die Woge braust:
Da sitz ich still und blick' hinauf
Und laß den Thränen freien Lauf.

So steure Geist auf dunkler Bahn
Durch den empörten Ocean:
Es bricht des Herzens reger Schlag
Sich Bahn durch Sturmesnacht zum Tag.

So einsam ist's hier im Gewühl,
Zurückgepreßt ist mein Gefühl;
Die Schiffsgenossen kenn ich nicht,
Weiß nicht, was ihre Sprache spricht.

Da plötzlich seh ich Stern an Stern,
Mein Heimatstädtchen ist nicht fern;
Der lähmend bange Trübsinn weicht,
Gottlob, der Hafen ist erreicht!

Durch enge Gäßchen geht mein Lauf,
Zwei Stiegen eil ich leis hinauf,
Da öffnet sich ein kleines Thor,
Und mich empfängt der Meinen Chor.

Verstehst du Freund mein klein Gedicht?
Aus Nacht und Nebel Freud und Licht,
Aus Sturm und Wogen sanfte Ruh!
Ha, kühner Schiffer, fahre zu.

Der Baum

Schlage als kräftiger Baum in den Boden die Wurzel der Demuth,
Dann erst schwinge dich auf gegen das Himmelsgewölb.
So nur wirst du ein Stamm, an welchen der Schwache sich anlehnt:
Frucht und Schatten zugleich spendet der gastliche Zweig.

Von Innen aus!

Wer ernstlich was zu werden sucht,
Bricht aus sich selbst heraus sich Bahn.
Von Innen reift die süße Frucht,
Von Außen fault sie an!

Erinnerung

Was Außen schön ist, gut und groß,
Das schaffe neu im Innern,
Dann bleibt es nicht Gedächtniß bloß,
Dann wird es ein Erinnern.

Das griechische Feuer

Im großen Sturm der Völkerwanderungen
Losch manches Licht; brach manches Steuer,
Doch brannte stets, von keinem Sturm bezwungen,
Des Griechengeistes edles Feuer.

Hausmittel gegen Hochmuth

Dem großen Manne blicke gern
Tief in die Seel' hinein,
Du siehst in seinem Augenstern
Dein eignes Bild – doch klein.

Der Lärmmacher

Wem gleicht der Mann, der großen Lärm nur macht?
Dem schlechten Rad, das immer knarrt und kracht;
Dem leeren Halm, der stolz und aufrecht steigt;
Indeß der volle sich bescheiden neigt;
Dem leeren Faße, das so mächtig schallt;
Dem Waldbach, der im Sturme niederwallt
Und lärmend Leut' und Land verschlingt,
Indeß das stille Bächlein Segen bringt.

Der Zagende

Wo wir auch sind im Erdenraum,
Wir wandeln über Todtengrüfte,
Ein Sargbett wächst in jedem Baum,
Als Todesseufzer weh'n die Lüfte,
Und jeder Glocke Stundenschlag
Verkündet uns den letzten Tag,
Und wo ein Stern durch Wolken bricht.
Ist's unser stilles Todtenlicht.

Der Hoffende

Nein – wo wir geh'n im Erdenraum,
Sproßt überall ein reiches Leben,
Es wächst ein Kreuz in jedem Baum,
Zur Hoffnung unser Herz zu heben,
Und jeder Kirchenglocke Klang
Ist froher Auferstehungssang,
Und jeder Stern am Himmelszelt
Beleuchtet eine bess're Welt.

Aussicht von der Höhe

Wer ganz die Zeit will übersehen,
Und sie im tiefsten Grund verstehen,
Muß auf des Wissens Gipfel gehen.
Nur von den höchsten Geisteshöhen
Gewinnt das Einzle den Gehalt,
Gewinnt das Ganze die Gestalt.

Alpenstimmen

Ich war vom Vetter Präsident geladen,
'S war eben seiner Tochter Namensfest,
Und Abends ausgesuchte Soiree.
Herminia, Lutgarda, Hildigunda,
Elisa, Frida, Bertha, Isabella
Und andre Viele prangten da im schönsten Schmuck;
Von Düften eine ganze Musterkarte
Erfüllt den Saal; es rauschen Crinolinen.
Man setzt sich: Hildigunda an den Flügel!
»Du Herrliche, du Unvergleichliche,
Du mußt uns heute was zum Beßten geben!«

Sie läßt sich zehnmal bitten, endlich aber
Beim eilften Mal entschließt sich Hildigunda,
Und wie die Schleusen einmal sind geöffnet,
Ergießt sich auch ein Strom von Polkas,
Mazurkas, Scherzo's ohne Scherz,
Und Variationen ohne Wechsel,
Von Meistern, die Paris am beßten zahlt.

Dazwischen bläst zuweilen auf der Flöte,
Erminio, des Präsidenten Neffe;
Auch deklamirt die siebenjähr'ge Emma
Den zarten Löwenritt von Freiligrath,
Und Alles klatscht ihr Beifall zum Ersticken.
Nach jedem Stücke kehrt das Klatschen wieder,
Und dann ein grelles, obligates Schnattern.

Mir war, ich weiß nicht, wie ich sagen soll,
»Als ging ein Mühlrad mir im Kopf herum«
Bei diesem Potpouri von Salonstimmen.
Bald schnappte mir das Aug nach frischem Grün
Und bald der Mund nach unverfälschter Luft,
Am Meisten doch das Ohr nach Kraft und Wahrheit.

Zum Glück, als eben monoton und herzlos
Von Herz das neuste Stück geklimpert wurde,
Entschlief ich sanft und sank in's Reich der Träume.
Ich träumte, und das werd' ich nie vergessen,
Ein holder Engel packte mich am Haar
Und zog mich rasch empor, hinaus in's Dunkel.
Es ging der Flug dem Alpgebirge zu.
Da stellte mich der Engel auf ein Felsjoch,
Das schwarz aus mondesbleichem Schneefeld aufstarrt,
Das war ein and'res Schau'n, ein and'res Duften.
Ich trank mir erst so recht die Lunge voll,
Trank einen Rausch von Alpenlust mir an.

Das Auge schweifte gierig hin und her
Und folgte droben schwarzen Wolkenzügen
Und unten den zerrissenen Wolkenschatten;
Da sprach der Genius: »Nun merke auf!
Vernimm mit rechter Lust die Alpenstimmen,
Die sich zur Riesenharmonie vereinen!«

Er schwieg; ich lauschte. Da begann's zu brummen
Im tiefen Basse, wie wenn ferne Donner rollen.
Die Lauwe war's, die niederdonnerte,
Daß weit an Flüh'n das Echo wiederhallte.
Dann immer schwärzer ward der Himmel;
Der Föhn begann sein grelles Lied zu blasen;
Das pfiff gewaltig durch die starren Firnen.

Dann wieder dumpfes Brausen, ein Gestöhn
Wie Hilferuf Versunkner in den Klüften.
Zum Lauwensturz gesellt sich ferner Donner
Und tiefes Tosen des empörten Waldbachs,
Ein Orgelsturm auf Gottes Alpenorgel,
Ein Pfiff dazwischen, 's war ein Murmelthier,
Das seinen Wächter auf den Grat gestellt,
Ein Schrei, es war der Schrei des Lämmergeiers,
Der hungernd über mir im Kreise flog;
Nun wieder plötzlich ein gewaltig Krachen,
Als würde jach der Firnen Grund gespalten,
Der Gletscher war es, der dem Katarakt
Der Lauwe und dem Donner Antwort gab.

Mir schwoll das Herz von übersel'ger Lust,
Und von dem rohen Widerstreit der Töne
Lauscht ich hinauf zur Harmonie der Sterne,
Wo, rein von Mißton, auf den goldnen Saiten
Der Sternenharfe Gott sein Weltlied singt.
»Ich trag's nicht mehr,« sprach ich zu meinem Führer,
»Mich drückt der Alpen Donnerklang zu Boden.«
»So komm',« erwiederte darauf der Engel,
»Du wirst noch and're Alpenstimmen hören.«
Dann ging es niedwärts von den höchsten Firnen,
Hinab, wo weiches Grün die Höhen schmückt,
Die Alpenrose an den Felsen saugt
Und mählig sich der Zweig der Tanne spreizt.
Dann ging's auf grüne Matten, neben Bächen,
Die ringsum lustig neben Runsen sprudeln.
Da weilten wir am Fuß der Wettertanne.
Die Sonne war indessen aufgegangen,
Die Scheitel des Gebirgs mit Rosen kränzend.

Da sang der Alpengeist ein sanftres Lied.
Von naher Fluh vernahm ich frohes Jodeln
Im Wechsel mit des Alphorns Melodie.
Die süßen Töne meiner Heimat hört' ich,
Und bald darauf den Klang der Heerdenglocken.
Das Rind, nach frischen Morgenlüften schnuppernd,
Muht auch sein Lied, begleitet von der Ziege,
Die meckernd über Stock und Steine hüpft.
Dazwischen rieselten die hundert Bächlein,
Der Urhahn balzt, die Vöglein flöten;
Es war ein wunderschönes Pastorale.
Und als ich so den Stimmen allen lauschte,
Scholl oben von dem Kirchlein bei der Klause
Das Glöcklein hell zu mir herab, und unten
Vom nahen Thaldorf Morgenglockenklang
Herauf. Da sank ich betend auf die Kniee,
Auch meine Stimme in dies Lied zu mengen,
Und ich vermocht' es nicht; – nur stilles Ahnen
Von bess'rer schweizerischer Harmonie,
Von frisch urkräftigem und ächtem Sang
Ergriff mich, – als ein ungestümes Klatschen
Mich aus dem wunderschönen Traume weckte.
Das Klatschen galt der neusten Fantasie
Der fadesten und leersten Salonstimmen.


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