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Zweihundertundeinundachtzigste Nacht.

Geschichte des Prinzen Seyn Alasnam und des Königs der Geister.

Ein König von Balsora besaß große Reichtümer und war von seinen Untertanen geliebt; aber er hatte keine Kinder, und das betrübte ihn sehr. Indessen bewog er durch ansehnliche Geschenke alle heiligen Männer seines Reiches, den Himmel für ihn um einen Sohn zu bitten, und ihre Bitten waren nicht fruchtlos: die Königin ward schwanger und kam glücklich mit einem Sohne nieder, welcher Seyn Alasnam, das heißt Zierde der Standbilder, genannt wurde.

Der König ließ alle Sterndeuter seines Reiches zusammenrufen und befahl ihnen, dem Kinde das Horoskop zu stellen. Sie entdeckten durch ihre Beobachtungen, daß er lange leben und mutvoll sein würde, daß er aber seines Mutes auch bedürfte, um standhaft all das Unglück auszuhalten, welches ihn bedrohte.

Der König war über diese Weissagung nicht erschrocken. »Mein Sohn,« sprach er, »ist nicht zu beklagen, weil er Mut haben soll: es frommt den Prinzen, Unglück zu erfahren; Widerwärtigkeiten läutern ihre Tugend: sie lernen dadurch besser regieren.«

Er belohnte die Sterndeuter und schickte sie heim. Seinen Sohn ließ er nun mit aller erdenklichen Sorgfalt aufziehen. Er gab ihm Lehrmeister, sobald er ihn in einem für ihren Unterricht empfänglichen Alter sah. Kurz, er nahm sich vor, aus ihm einen vollkommenen Prinzen zu machen, als plötzlich dieser gute König von einer Krankheit befallen wurde, welche seine Arzte nicht zu heilen vermochten.

Als er sich auf dem Totenbette sah, berief er seinen Sohn und empfahl ihm unter andern Lehren, dahin zu trachten, daß er von seinem Volke viel mehr geliebt als gefürchtet werde, den Schmeichlern nie sein Ohr zu leihen und ebenso langsam mit der Belohnung als mit der Bestrafung zu sein, weil es oft geschähe, daß die Könige, durch falschen Anschein verführt, die Bösen mit Wohltaten überhäuften und die Unschuld unterdrückten.

Sobald der König verschieden war, legte der Prinz Seyn die Trauer an und trug sie sieben Tage lang. Am achten bestieg er den Thron, nahm von dem königlichen Schatze das Siegel seines Vaters, legte das seinige daran und begann nun die Süßigkeit des Herrschers zu kosten. Das Vergnügen, daß alle Hofleute sich vor ihm beugten und einzig darauf sannen, ihm ihren Gehorsam und Eifer zu bezeigen, mit einem Worte, die unumschränkte Herrschergewalt hatte zu großen Reiz für ihn. Er dachte nur an die Pflichten seiner Untertanen und nicht an das, was er selber ihnen schuldig war, und kümmerte sich wenig um die Regierung. Er stürzte sich in alle Arten von Ausschweifungen mit jungen Wollüstlingen, welche er mit den höchsten Würden des Staates bekleidete. Da er von Natur freigebig war, so war er jetzt zügellos im Verschwenden, und unvermerkt hatten seine Weiber und seine Günstlinge seine Schätze erschöpft.

Die Königin, seine Mutter, lebte noch. Sie war eine weise und verständige Fürstin und hatte mehrmals vergeblich dem Strome der Verschwendung und der Ausschweifungen des Königs, ihres Sohnes, Einhalt zu tun versucht, indem sie ihm vorgestellt, daß, wenn er nicht bald seine Lebensweise änderte, er nicht allein seine Reichtümer verschwenden, sondern sogar seine Untertanen von sich entfremden und eine Umwälzung veranlassen würde, die ihn vielleicht die Krone und das Leben kostete.

Es fehlte nicht viel, daß ihre Weissagung in Erfüllung ging: das Volk fing an, gegen die Regierung zu murren; und diese Unzufriedenheit hätte unfehlbar eine allgemeine Empörung herbeigeführt, wenn die Königin nicht die Geschicklichkeit gehabt hätte, dem zuvorzukommen. Unterrichtet von dem üblen Stande der Dinge, benachrichtigte sie den König davon, welcher sich endlich überreden ließ. Er vertraute die Ministerstellen weisen Greisen an, welche die Untertanen zu ihrer Pflicht zurückzuführen wußten.

Indessen bereute Seyn, als er alle Reichtümer verschwunden sah, daß er keinen besseren Gebrauch davon gemacht hatte. Er versank darüber in eine tödliche Schwermut, und nichts vermochte ihn zu trösten.

Eines Nachts sah er im Traume einen ehrwürdigen, Greis, der auf ihn zukam und mit lächelnder Miene zu ihm sprach:

»O Seyn, wisse, daß es kein Leid gibt, auf welches nicht Freude folgte, kein Unglück, welches nicht irgend ein Glück nach sich zöge. Willst du das Ende deiner Betrübnis sehen, so steh auf, reise nach Ägypten, und zwar nach Kairo: ein großes Glück erwartet dich dort!«

Der Fürst war bei seinem Erwachen über diesen Traum betroffen. Er sprach sehr ernsthaft davon zu der Königin Mutter, welche nur darüber lachte.

»Mein Sohn,« sprach sie zu ihm, »willst du nicht etwa auf diesen schönen Traum hin nach Ägypten reisen?«

»Warum nicht, Frau Mutter?« antwortete Seyn, »haltet Ihr denn alle Träume für leere Hirngespinste? Nein, nein, es gibt sehr geheimnisvolle darunter. Meine Lehrmeister haben mir tausend Geschichten davon erzählt, welche das nicht bezweifeln lassen. Wenn ich übrigens auch nicht hiervon überzeugt wäre, so könnte ich mich doch nicht erwehren, auf diesen meinen Traum zu achten. Der Greis, der mir erschienen ist, hatte etwas Übernatürliches an sich. Es ist nicht einer von jenen Menschen, welche das bloße Alter ehrwürdig macht; ich weiß nicht, welches göttliche Wesen über seine Gestalt verbreitet war. Kurz, er erschien so, wie man uns den großen Propheten vorstellt; und wenn ich es Euch aufrichtig bekennen soll, ich glaube, daß er selber es ist, welcher, von meinen Leiden gerührt, sie lindern will. Ich gebe mich dem Vertrauen hin, welches er mir eingeflößt hat, ich bin von seinen Versprechungen erfüllt und habe beschlossen, seinem Rufe zu folgen.«

Die Königin bemühte sich, ihn davon abzulenken, aber sie konnte es nicht dahin bringen. Der Fürst übertrug ihr die Regierung des Reichs, verließ in einer Nacht ganz heimlich den Palast und begab sich auf den Weg nach Kairo, ohne jemand zur Begleitung mitzunehmen.

Nach vielen Beschwerden und Mühseligkeiten langte er in dieser berühmten Stadt an, welche wenige ihresgleichen hat sowohl in Ansehung der Größe als der Schönheit. Er stieg an der Pforte einer Moschee ab, wo er, von Müdigkeit überwältigt, sich niederlegte.

Kaum war er eingeschlafen, als ihm derselbe Greis erschien und zu ihm sprach:

»O mein Sohn, ich bin zufrieden mit dir, du hast meinen Worten Glauben beigemessen. Du bist hierher gekommen, ohne dich von der Länge und Beschwerlichkeit des Weges abschrecken zu lassen: aber wisse, daß ich dich eine so lange Reise nur deshalb machen ließ, um dich auf die Probe zu stellen. Ich sehe, daß du Mut und Standhaftigkeit hast. Du verdienst, daß ich dich zum reichsten und glücklichsten Fürsten auf Erden mache. Kehre nach Balsora zurück: du wirst in deinem Palast unermeßliche Reichtümer finden. Niemals hat ein König ihrer so viele besessen, als dort sind.«

Der Fürst war nicht erbaut von diesem Traume. »Ach!« sprach er bei sich selber, nachdem er erwacht war, »in welchem Irrtums war ich befangen! Dieser Greis, welchen ich für unsern Propheten hielt, ist nichts als ein bloßes Erzeugnis meiner aufgeregten Einbildungskraft. Ich hatte den Kopf so voll davon, daß es nicht zu verwundern ist, wenn ich zum zweiten Male davon geträumt habe. Auf, zurück nach Balsora! Was soll ich länger hier machen? Es ist mir sehr lieb, daß ich allein meiner Mutter den Beweggrund meiner Reise vertraut habe; ich würde das Märchen meines Volkes, wenn sie ihn wüßten.«

Er kehrte also nach seinem Königreiche zurück, und sobald er hier angelangt war, fragte ihn die Königin, ob er zufrieden heimkäme. Er erzählte ihr alles, was vorgegangen war, und schien über seine zu große Leichtgläubigkeit so gekränkt, daß diese Fürstin, anstatt durch Vorwürfe oder Spottreden seinen Verdruß zu vermehren, ihn tröstete. »Betrübe dich nicht länger, mein Sohn,« sprach sie zu ihm, »wenn Gott dir Reichtümer bestimmt hat, so wirst du sie ohne Mühe bekommen. Sei ruhig; alles, was ich dir empfehlen kann, ist, tugendhaft zu sein. Entsage den Vergnügungen des Tanzes, der Flöte und des purpurfarbigen Weines; fliehe alle diese Lüste; sie waren schon nahe daran, dich zugrunde zu richten. Bemühe dich, deine Untertanen zu beglücken; indem du ihr Glück machst, sicherst du zugleich das deine.«

Der König Seyn gelobte, fortan allen Ratschlägen seiner Mutter und seiner weisen Wesire, welchen sie die Last der Regierung mit übertragen hatte, zu folgen. Aber gleich in der ersten Nacht nach der Rückkehr in seinen Palast sah er zum dritten Male den Greis, welcher zu ihm sprach:

»O mutvoller Seyn, der Augenblick deines Glücks ist endlich gekommen. Morgen früh, sobald du aufgestanden bist, nimm eine Haue und geh hin und durchsuche das Kabinett des seligen Königs, du wirst darin einen großen Schatz finden.«

Sobald der Fürst erwacht war, stand er auf. Er lief nach dem Zimmer der Königin und erzählte ihr mit großer Lebhaftigkeit den neuen Traum, welchen er soeben gehabt hatte.

»Fürwahr, mein Sohn,« erwiderte lächelnd die Königin, »das ist ein recht beharrlicher Greis: er begnügt sich nicht damit, dich zweimal betrogen zu haben; bist du gesonnen, ihm nochmals zu trauen?«

»Nein, Frau Mutter,« antwortete Seyn, »ich glaube keineswegs, was er mir gesagt hat; aber ich will doch zum Spaße das Kabinett meines Vaters durchsuchen.«

»Oh, ich dachte es wohl,« rief die Königin mit lautem Gelächter aus; »geh hin, mein Sohn, und befriedige dich. Was mich dabei tröstet, ist, daß die Sache nicht so ermüdend ist als die Reise nach Ägypten.«

»Nun ja, liebe Mutter,« erwiderte der König, »ich will es bekennen, dieser dritte Traum hat mir wieder Vertrauen gegeben: er hängt mit den beiden vorigen zusammen. Denn erwägen wir nur alle Worte des Greises, so hat er zuerst mir befohlen, nach Ägypten zu gehen; dort hat er mir gesagt, daß er mich diese Reise nur hat machen lassen, um mich auf die Probe zu stellen.

»Kehre nach Balsora zurück,« sagte er hierauf; »dort sollst du Schätze finden.«

Diese Nacht endlich hat er mir genau den Ort angezeigt, wo dieselben sind.

Diese drei Träume, wie mich dünkt, hangen zusammen: sie haben nichts Zweideutiges, keinen Umstand, der in Verlegenheit setzt. Bei alledem können es Hirngespinste sein: aber ich will lieber eine vergebliche Untersuchung anstellen, als mir mein Lebelang vorzuwerfen haben, daß ich vielleicht große Reichtümer verscherzt habe, indem ich zur Unzeit den Freigeist spielte.«

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer der Königin, ließ sich eine Haue geben und ging allein in das Gemach des Königs. Er fing an zu wühlen und hob mehr als die Hälfte der viereckigen Platten des Fußbodens auf, ohne den geringsten Anschein eines Schatzes zu gewahren. Er ließ ab von der Arbeit, um ein wenig auszuruhen, und sprach bei sich selber: »Ich fürchte sehr, meine Mutter hat recht, mich zu verspotten.«

Nichtsdestoweniger faßte er wieder Mut und setzte seine Arbeit fort. Er hatte nicht Ursache, es zu bereuen, denn er entdeckte auf einmal einen weißen Stein, welchen er aufhob, und darunter fand er eine verschlossene Tür mit einem stählernen Vorlegeschlosse.

 

Zweihundertundzweiundachtzigste Nacht.

Er zerschlug es mit der Haue und öffnete die Türe, welche eine Treppe von weißem Marmor verdeckte. Sogleich zündete er eine Wachskerze an und stieg diese Treppe hinab in ein mit chinesischem Porzellan gepflastertes Gemach, dessen Wände und Decke von Kristall waren. Aber seine Aufmerksamkeit heftete sich besonders auf vier Erhöhungen, auf deren jeder zehn Porphyrurnen standen. Er wähnte, sie wären voller Wein, und sprach: »Auch gut. dieser Wein muß recht alt sein: ich zweifle nicht, daß er vortrefflich sei.«

Er näherte sich einer der Urnen, nahm den Deckel ab und sah mit ebensoviel Überraschung als Freude, daß sie voll Goldstücken waren. Er untersuchte nun auch die übrigen eine nach der andern und fand sie alle voll Zechinen. Er nahm davon eine Handvoll und trug sie seiner Mutter hin.

Man kann sich vorstellen, in welches Erstaunen diese Fürstin geriet, als der König ihr alles erzählte, was er gesehen hatte. »O mein Sohn,« rief sie aus, »hüte dich wohl, auch alle diese Reichtümer so töricht zu verschwenden, wie du es mit dem königlichen Schatze gemacht hast! Gib deinen Feinden nicht einen so triftigen Grund zur Schadenfreude!«

»Nein, liebe Mutter,« antwortete Seyn, »ich werde von nun an auf eine Weise leben, die Euch völlig genugtun soll.«

Die Königin bat den König, ihren Sohn, sie in das wundervolle Gemach zu führen, welches der König, ihr Gemahl, so heimlich hatte machen lassen, daß sie nie davon reden gehört hatte.

Seyn führte sie in das Kabinett, half ihr die Marmortreppe hinabsteigen und ließ sie in das Zimmer mit den Urnen treten. Sie betrachtete alle Dinge darin mit forschenden Blicken und gewahrte in einem kleinen Winkel noch eine kleine Urne, ebenfalls von Porphyr, welche der Prinz noch nicht bemerkt hatte. Sie nahm dieselbe, öffnete sie und fand darin einen goldenen Schlüssel.

»Mein Sohn,« sagte hierauf die Königin, »dieser Schlüssel verschließt ohne Zweifel noch einen andern Schatz. Laß uns überall suchen, ob wir nicht entdecken können, zu welchem Gebrauch er bestimmt ist.«

Sie untersuchten das Gemach mit der höchsten Aufmerksamkeit und fanden endlich mitten in der Wandbekleidung ein Schloß. Sie hielten es für das, zu welchem sie den Schlüssel gefunden hatten, und der König versuchte ihn auf der Stelle. Sogleich öffnete sich die Türe und zeigte ihnen ein anderes Gemach, in dessen Mitte neun Fußgestelle von gediegenem Golde standen, von welchen achte jedes ein Standbild aus einem einzigen Diamanten trugen, und diese Standbilder strahlten solchen Glanz aus, daß das ganze Zimmer davon erleuchtet war.

»O Himmel,« rief Seyn ganz erstaunt aus, »wo hat mein Vater so köstliche Sachen erhalten?«

Das neunte Fußgestell verdoppelte sein Erstaunen; denn auf demselben lag ein Stück weißer Atlas, auf welchem folgende Worte geschrieben standen:

»O mein lieber Sohn, diese acht Bildsäulen haben mir viel Mühe gekostet zu erwerben! Aber obgleich sie von großer Schönheit sind, so wisse, daß es noch eine neunte auf der Welt gibt, welche sie übertrifft; sie allein ist mehr wert als tausend solche, wie du hier siehst. Willst du Besitzer derselben werden, so geh nach Kairo in Ägypten. Dort wohnt einer meiner alten Sklaven namens Mobarek; der erste, dem du begegnest, wird dir seine Wohnung zeigen. Geh, suche ihn auf; sage ihm alles, was dir begegnet ist. Er wird dich für meinen Sohn erkennen und dich nach dem Orte führen, wo dieses wunderbare Bild ist, welches du zu deinem Heile gewinnen wirst.«

Nachdem der König diese Worte gelesen hatte, sprach er zu der Königin: »Ich will dieses neunte Standbild nicht missen; es muß ein sehr seltenes Stück sein, weil diese hier alle miteinander nicht so viel wert sind. Ich reise alsbald nach Großkairo. Ich glaube nicht, liebe Mutter, daß Ihr meinen Entschluß tadeln werdet.«

»Nein, mein Sohn,« antwortete die Königin, »ich widersetze mich dem nicht. Du stehst ohne Zweifel unter der Obhut unsers großen Propheten; er wird nicht zulassen, daß du auf dieser Reise umkommest. Reise, wann es dir gefällt. Deine Wesire und ich, wir wollen schon während deiner Abwesenheit den Staat regieren.«

Der König ließ sogleich alles zur Reise in den Stand setzen; aber er wollte nur eine kleine Anzahl Sklaven zum Gefolge mitnehmen.

 

Zweihundertunddreiundachtzigste Nacht.

Es begegnete ihm kein Unfall auf der Fahrt. Er kam nach Kairo, wo er sich nach Mobarek erkundigte. Man sagte ihm, er wäre einer der reichsten Bürger in der Stadt, er lebe als ein großer Herr, und sein Haus stünde besonders den Fremden offen.

Seyn ließ sich dahin führen. Er klopfte an die Türe. Ein Sklave öffnete und fragte: »Was wünschet Ihr, und wer seid Ihr?«

»Ich bin ein Fremder,« antwortete der Prinz. »Ich habe von der Großmut des Herrn Mobarek gehört und komme, bei ihm zu wohnen.«

Der Sklave bat Seyn, einen Augenblick zu warten; dann ging er hin und meldete es seinem Herrn, der ihm befahl, den Fremden eintreten zu lassen. Der Sklave kam wieder an die Türe und sagte dem Prinzen, er wäre willkommen.

Hierauf trat Seyn hinein, ging durch einen großen Hof und gelangte in einen prächtig ausgezierten Saal, wo Mobarek ihn erwartete, ihn sehr höflich empfing und ihm für die Ehre dankte, welche er ihm dadurch erzeigte, daß er eine Wohnung bei ihm nehmen wollte.

Der König erwiderte diese Höflichkeit und sprach dann zu Mobarek: »Ich bin der Sohn des verstorbenen Königs von Balsora und nenne mich Seyn Alasnam.«

»Dieser König,« sagte Mobarek, »ist einst mein Herr gewesen; aber, Herr, ich weiß nicht, daß er einen Sohn gehabt hat. Wie alt seid Ihr?«

»Ich bin zwanzig Jahre alt,« antwortete der Fürst. »Wie lange ist es her, daß Ihr den Hof meines Vaters verlassen habt?«

»Es sind beinahe zweiundzwanzig Jahre,« antwortete Mobarek. »Aber wodurch wollt Ihr mich überzeugen, daß Ihr sein Sohn seid?«

»Mein Vater,« versetzte Seyn, »hatte unter seinem Kabinett ein unterirdisches Gemach, in welchem ich vierzig Porphyrurnen, alle voll Goldes, gefunden habe.«

»Und was befindet sich dort sonst noch?« fragte Mobarek weiter.

»Es sind dort noch,« antwortete der Fürst, »neun Fußgestelle von gediegenem Golde, von welchen achte Standbilder aus Diamanten tragen, und auf dem neunten liegt ein Stück weißer Atlas, auf welches mein Vater geschrieben hat, was ich tun soll, um das neunte Bild zu erlangen, welches noch köstlicher ist als die übrigen miteinander. Ihr wisset den Ort, wo dieses Bild sich befindet, weil auf dem Atlas geschrieben steht, daß Ihr mich dahin führen werdet.«

Er hatte diese Worte noch nicht ausgesprochen, als Mobarek sich ihm zu Füßen warf; und indem er ihm die Hand zu wiederholten Malen küßte, rief er aus: »Ich danke Gott, daß er Euch hierher gesandt hat. Ich erkenne Euch für den Sohn des Königs von Balsora. Wenn Ihr nach dem Orte wollt, wo dies wunderbare Standbild sich befindet, so will ich Euch dahin führen. Aber Ihr müßt Euch hier zuvor einige Tage ausruhen. Ich gebe heute den Großen von Kairo ein Fest. Wir waren gerade bei Tische, als man mir Eure Ankunft meldete. Würdet Ihr es wohl verschmähen, Herr, hereinzukommen und Euch mit uns zu erfreuen?«

»Nein,« antwortete Seyn, »ich werde mich freuen, an Eurem Feste teilzunehmen.«

Sogleich führte Mobarek ihn in einen Kuppelsaal, worin die Gesellschaft war. Er führte ihn zum Sitz an der Tafel und begann, ihn knieend zu bedienen. Die Großen von Kairo waren darüber verwundert und sprachen leise untereinander: »Ei, wer ist doch dieser Fremde, den Mobarek mit solcher Ehrfurcht bedient?«

Nachdem sie gegessen hatten, nahm Mobarek das Wort. »Meine Herren,« sprach er, »verwundert Euch nicht, daß Ihr mich auf solche Weise diesen jungen Fremden bedienen sahet. Wisset, er ist der Sohn des Königs von Balsora, meines Herrn. Sein Vater kaufte mich für sein eigenes Geld; er ist gestorben, ohne mir die Freiheit zu schenken: also bin ich annoch Sklave, und folglich gehört all mein Hab und Gut von Rechts wegen diesem jungen Fürsten, seinem einzigen Erben.«

Seyn unterbrach ihn an dieser Stelle und sprach zu ihm: »O Mobarek, ich erkläre vor allen diesen Herren, daß ich Euch von diesem Augenblick an freigebe, und daß ich Euch selbst und alles, was Ihr besitzt, von meinem Eigentume absondere; überdies besinnet Euch, was ich Euch sonst noch geben soll.«

Mobarek küßte auf diese Rede den Boden und machte dem Fürsten große Danksagungen.

Hierauf setzte man den Wein auf: sie tranken den ganzen übrigen Tag, und am Abend wurden Geschenke unter die Gäste verteilt, welche heimgingen.

Am folgenden Morgen sprach Seyn zu Mobarek: »Ich habe mich genug ausgeruht. Ich bin nicht nach Kairo gekommen, um lustig zu leben. Ich will das neunte Standbild haben, und es ist Zeit, daß wir uns auf den Weg machen, es zu erobern.«

»Herr,« antwortete Mobarek, »ich bin bereit, Eurem Verlangen nachzugeben; aber Ihr kennt nicht alle Gefahren, die mit dieser kostbaren Eroberung verknüpft sind.«

»Welche Gefahr auch dabei sei,« entgegnete der Fürst, »ich habe beschlossen, sie zu bestehen. Ich komme dabei um oder gelange zum Ziele. Alles, was geschieht, kommt von Gott. Begleitet mich nur und seid ebenso standhaft wie ich.«

Als Mobarek ihn zur Abreise entschlossen sah, rief er seinem Gesinde und befahl ihnen, alles zur Fahrt in den Stand setzen. Demnächst verrichteten der Fürst und er die vorgeschriebene Abwaschung und das Gebet Fars, worauf sie sich auf den Weg machten.

Sie bemerkten auf ihrem Wege zahllose seltene und wunderbare Dinge. So ritten sie mehrere Tage fort, bis sie auf ein sehr anmutiges Gefilde kamen, wo sie vom Pferde stiegen, hier nun sprach Mobarek zu seinem ganzen Gefolge: »Bleibet an diesem Orte und bewahret sorgfältig unser Reisezeug bis zu unserer Rückkehr.« Dann sagte er zu Seyn: »Kommt, Herr, laßt uns allein fürdergehen; wir sind nahe an dem schrecklichen Orte, wo das neunte Standbild bewahrt wird: Ihr bedürft nun Eures ganzen Mutes.«

Sie kamen bald ans Ufer eines großen Sees. Mobarek setzte sich hier nieder und sprach zu dem Fürsten: »Wir müssen über dieses Meer.«

»Ei, wie kämen wir denn hinüber?« fragte Seyn. »Wir haben ja kein Schiff.«

»Ihr werdet im Augenblick eins erscheinen sehen,« fuhr Mobarek fort, »die Zauberbarke des Königs der Geister wird kommen, uns abzuholen; aber merket wohl, was ich Euch sage: man muß ein tiefes Stillschweigen beobachten; sprechet also nicht mit dem Schiffsmanne: wie seltsam Euch seine Gestalt auch vorkomme, und was Ihr auch Außerordentliches gewahret, saget gar nichts; denn ich warne Euch: wenn Ihr auf der Barke ein einziges Wort aussprecht, so versinkt die Barke in die Fluten.«

»Ich will schon schweigen,« sagte der Prinz. »Ihr dürft mir nur vorschreiben, was ich tun soll, und ich werde es ganz genau erfüllen.«

Indem er dies sprach, bemerkte er plötzlich auf dem See eine Barke von rotem Sandelholze; sie hatte einen Mast von feinem Ambra mit einer Flagge von blauem Atlas. Drinnen war allein der Schiffsmann, dessen Kopf einem Elefantenkopfe glich, so wie der Leib die Gestalt eines Tigers hatte.

Als das Fahrzeug sich dem Prinzen und Mobarek genähert hatte, nahm der Schiffsmann einen nach dem andern mit seinem Rüssel und setzte sie in sein Schiff. Sodann fuhr er sie in einem Augenblick nach der andern Seite des Sees über. Hier setzte er sie wieder mit seinem Rüssel ans Land und verschwand alsbald samt der Barke.

 

Zweihundertundvierundachtzigste Nacht.

»Jetzt können wir sprechen,« sagte Mobarek. »Wir sind hier auf der Insel des Königs der Geister; es gibt keine ähnliche auf der ganzen Welt. Blicket nach allen Seiten, mein Fürst; gibt es einen reizenderen Ort? Dies ist ohne Zweifel ein wahrhaftes Abbild des entzückenden Aufenthaltes, welchen Gott den gläubigen Beobachtern unsers Gesetzes verheißen hat. Sehet hier die Gefilde mit Blumen und allen Arten von duftenden Kräutern geschmückt! Bewundert diese schönen Bäume, deren köstliche Früchte die Zweige bis zur Erde herabbeugen! Erfreuet Euch des vielstimmigen und wohllautigen Gesanges, womit zahllose Vögel von tausend in andern Ländern unbekannten Gattungen die Luft erfüllen!«

Seyn konnte nicht müde werden, die Schönheiten aller ihn umgebenden Dinge zu betrachten, und er bemerkte immer neue, je weiter er auf der Insel fortging.

Endlich gelangten sie zu einem Palaste von feinen Smaragden, umgeben von einem breiten Graben, auf dessen Rande in abgemessenen Zwischenräumen so hohe Bäume standen, daß ihr Schatten den ganzen Palast bedeckte. Der Türe gegenüber, welche von gediegenem Golde war, stand eine Brücke aus einer einzigen Fischschuppe, obgleich sie wenigstens sechs Klafter lang und drei Klafter breit war. Vorn an der Brücke sah man eine Schar Geister von ungeheurer Größe, welche den Eingang des Schlosses mit dicken Kolben von chinesischem Stahle verteidigten.

»Gehen wir nicht von dannen,« sprach Mobarek, »diese Geister würden uns erschlagen; und wenn wir sie verhindern wollen, zu uns zu kommen, so muß eine magische Verrichtung gemacht werden.«

Zu gleicher Zeit zog er aus einem Beutel unter seinem Rocke vier Streifen gelben Tafts hervor. Mit dem einen umwand er seinen Gürtel, und den andern heftete er auf seinen Rücken; die beiden übrigen gab er dem Fürsten, welcher damit dasselbe vornahm. Darnach breitete Mobarek zwei große Tischtücher auf der Erde aus, auf deren Rand er einige Edelgesteine mit Moschus und Ambra legte. Er setzte sich dann auf eins dieser Tücher und Seyn auf das andere. Hierauf sprach Mobarek folgendermaßen zu dem Fürsten:

»Herr, ich werde jetzt den König der Geister beschwören, welcher den uns vor Augen stehenden Palast bewohnt: möchte er ohne Zorn zu uns kommen! Ich bekenne Euch, daß ich nicht ohne Unruhe über den Empfang bin, welchen er uns bereiten wird. Wenn unsere Ankunft auf seiner Insel ihm mißfällt, so wird er uns unter der Gestalt eines entsetzlichen Ungeheuers erscheinen; wenn er dagegen unsere Absicht gutheißt, wird er sich in der Gestalt eines freundlichen Mannes zeigen. Sobald er vor uns steht, müßt Ihr aufstehen und ihn begrüßen, ohne jedoch von Eurem Tuche zu treten, weil Ihr unfehlbar des Todes wäret, wenn Ihr es verließet. Sprechet zu ihm:

»Unumschränkter Meister der Geister, mein Vater, der Euer Diener war, ist durch den Engel des Todes hinweggeführt: möchte Euer Majestät mich beschützen, wie Ihr immerdar meinen Vater beschützt habt!«

Und wenn nun der Geisterkönig,« fügte Mobarek hinzu, »Euch fragt, welche Gnade Ihr Euch von ihm erbittet, so antwortet ihm:

»Herr, es ist das neunte Standbild, welches ich Euch untertänigst bitte mir zu schenken.«

Nachdem Mobarek auf solche Weise den König Seyn unterrichtet hatte, fing er die Beschwörungen an.

Alsbald wurden ihre Augen von einem langen Wetterstrahle geblendet, auf welchen ein Donnerschlag folgte. Die ganze Insel bedeckte plötzlich dicke Finsternis; es erhob sich ein wütender Sturm, und hierauf hörte man einen entsetzlichen Schrei: der Boden schütterte, und man spürte ein Erdbeben, wie es einst Asrafiel am Tage des jüngsten Gerichtes erregen wird.

Seyn spürte einige Bewegung und wollte schon aus diesem Getöse eine üble Vorbedeutung ziehen, als Mobarek, der besser wußte, was davon zu halten war, anfing zu lächeln und zu ihm sagte: »Beruhigt Euch, mein Fürst, alles geht gut.«

In der Tat erschien in demselben Augenblicke der Geisterkönig in der Gestalt eines schönen Mannes. Gleichwohl hatte er in seinem Wesen immer etwas Furchtbares.

Sobald der König Seyn ihn erblickte, redete er ihn so höflich an, wie Mobarek ihn gelehrt hatte. Der König der Geister lächelte darüber und antwortete: »O mein Sohn, ich liebte deinen Vater, und sooft er herkam, mir seine Ehrfurcht zu bezeigen, machte ich ihm ein Standbild zum Geschenke, welches er mitnahm. Ich habe nicht minder Liebe zu dir. Ich nötigte deinen Vater einige Tage vor seinem Tode, das zu schreiben, was du auf dem weißen Atlas gelesen hast! Ich versprach ihm, dich unter meine Obhut zu nehmen und dir das neunte Standbild zu geben, dessen Schönheit diejenigen übertrifft, welche du schon hast. Ich habe angefangen, mein Versprechen zu erfüllen: ich bin es, den du im Traume unter der Gestalt eines Greises gesehen hast. Ich habe dich die unterirdischen Gemächer mit den Urnen und Standbildern finden lassen. Ich habe großen Teil an allem, was dir begegnet ist, oder vielmehr, ich bin die Ursache davon. Ich weiß, was dich hierherführt. Du sollst erhalten, was du verlangst. Wenn ich auch deinem Vater nicht versprochen hätte, es dir zu geben, so würde ich es dir jedoch gern bewilligen. Aber du mußt mir zuvor bei allem, was einen Eid unverletzlich macht, schwören, wieder nach dieser Insel zu kommen und mir eine Jungfrau zu bringen, die in ihrem fünfzehnten Jahre ist und niemals weder einen Mann erkannt noch gewünscht hat, einen zu erkennen. Sie muß überdies von vollkommener Schönheit sein, und du mußt dich dergestalt selbst beherrschen, daß du nicht das Verlangen ihres Besitzes aufkommen läßt, indem du sie hierherführst.«

Seyn leistete kühnlich den von ihm geforderten Eid. »Aber, Herr,« fragte er hierauf, »wenn ich nun auch glücklich genug bin, eine solche Jungfrau zu finden, wie Ihr sie von mir verlangt, woran soll ich erkennen, daß ich sie gefunden habe?«

»Ich gestehe,« antwortete lächelnd der Geisterkönig, »daß dich der Anschein täuschen könnte. Dies geht über die Kenntnis der Kinder Adams; auch habe ich nicht die Absicht, mich darüber auf dich zu verlassen. Ich werde dir einen Spiegel geben, der sicherer ist als alle Vermutungen. Sobald du eine vollkommen schöne fünfzehnjährige Jungfrau findest, darfst du nur in deinen Spiegel schauen: du wirst darin das Bild dieser Jungfrau sehen, und das Glas wird rein und klar bleiben, wenn die Jungfrau keusch ist; wenn dagegen das Glas sich trübt, so ist das ein sicheres Kennzeichen, daß das Mädchen nicht immer sittsam gewesen ist oder wenigstens doch den Wunsch gehegt hat, es nicht länger zu bleiben. Vergiß nur nicht den Eid, welchen du mir geleistet hast, halt ihn als Mann von Ehre: sonst nehme ich dir das Leben, wie lieb ich dich auch habe.«

Der König Seyn beteuerte von neuem, daß er gewissenhaft sein Wort halten würde.

Alsdann gab der Geisterkönig ihm einen Spiegel in die Hand mit den Worten: »O mein Sohn, du kannst wiederkommen, wann du willst: hier ist der Spiegel, dessen du dich bedienen mußt.«

Seyn und Mobarek nahmen Abschied von dem Geisterkönig und wanderten dem See zu. Der elefantenköpfige Fährmann kam mit der Barke zu ihnen und setzte sie auf dieselbe Weise wieder hinüber, wie er sie hergebracht hatte. Sie begaben sich wieder zu ihrem Gefolge, mit welchem sie nach Kairo zurückkehrten.

Der König Alasnam ruhte sich einige Tage bei Mobarek aus. Darnach sprach er zu ihm: »Laßt uns nach Bagdad reisen und dort eine Jungfrau für den König der Geister suchen.«

»Ei, sind wir denn nicht in Großkairo?« antwortete Mobarek, »sollten nicht auch hier schöne Jungfrauen zu finden sein?«

»Ihr habt recht,« erwiderte der Fürst, »aber wie sollen wir sie auffinden?«

»Seid deshalb unbesorgt, Herr,« versetzte Mobarek, »ich kenne ein sehr gewandtes altes Weib, der will ich dieses Geschäft auftragen: sie wird es sehr gut ausrichten.«

Wirklich hatte die Alte die Geschicklichkeit, den König eine große Menge sehr schöner fünfzehnjähriger Mädchen sehen zu lassen; aber wenn er nach ihrer Beschauung seinen Spiegel befragte, so trübte der fatale Probierstein ihrer Tugend, das Glas, sich bei jeder. Alle fünfzehnjährigen Jungfrauen des Hofes und der Stadt wurden, eine nach der andern, geprüft: und bei keiner blieb das Glas rein und hell.

Als sie nun sahen, daß in Großkairo keine keusche Jungfrau zu finden war, reisten sie beide nach Bagdad. Sie mieteten einen prächtigen Palast in einem der schönsten Stadtviertel. Hier fingen sie an, herrlich zu leben; sie hielten offene Tafel, und nachdem alle Gäste im Palaste gegessen hatten, wurde das Übrige den Derwischen hingetragen, welche bequemlich davon lebten.

Nun wohnte in diesem Stadtviertel ein Imam namens Bubekir Muessin. Dies war ein eitler, stolzer und neidischer Mann. Er haßte alle reichen Leute, bloß weil er arm war. Sein Elend erbitterte ihn gegen die Wohlfahrt seines Nächsten. Er hörte von Seyn Alasnam und von dem Überflusse reden, welcher bei ihm herrschte. Mehr bedurfte es nicht für ihn, um diesen Fürsten zu verabscheuen. Er trieb die Sache sogar so weit, daß er eines Tages in der Moschee nach dem Abendgebete zu dem Volke sprach: »O meine Brüder, ich habe gehört, daß ein Fremder in unser Stadtviertel gezogen ist, welcher täglich ungeheure Summen verzehrt. Wer weiß! Dieser Unbekannte ist vielleicht ein Verbrecher, der in seinem Lande so viel zusammengestohlen hat und in diese große Stadt kommt, um sich hier gütlich zu tun. Laßt uns auf der Hut sein, meine Brüder: wenn der Kalif erfährt, daß ein solcher Mann in unserm Viertel wohnt, so ist zu fürchten, er werde uns bestrafen, daß wir ihn nicht davon benachrichtigt haben. Ich für mein Teil erkläre euch, ich wasche meine Hände in Unschuld; und wenn daraus ein Unglück entsteht, so ist es nicht meine Schuld.«

Das Volk, welches sich leicht bereden läßt, rief einstimmig Bubekir zu:

»Das ist Eure Sache, Imam, zeiget es dem Staatsrate an!«

Hierauf ging der Imam vergnügt nach Hause und schickte sich an, eine Denkschrift aufzusetzen, welche er am nächsten Morgen dem Kalifen überreichen wollte.

 

Zweihundertundfünfundachtzigste Nacht.

Aber Mobarek, der dem Gebete beigewohnt und mit den andern die Rede des Geistlichen gehört hatte, band fünfhundert Goldstücke in ein Tuch, machte ein Päckchen von mehreren Seidenstoffen und ging damit zu Bubekir.

Der Imam fragte ihn mit barschem Tone, was er wollte. »O weiser Lehrer,« antwortete ihm Mobarek freundlich, indem er ihm das Geld und das Seidenzeug in die Hand drückte, »ich bin Euer Nachbar und ergebener Diener: ich komme von seiten des Fürsten Alasnam, welcher in diesem Viertel wohnt. Er hat von Euren Verdiensten gehört und mir aufgetragen, Euch zu sagen, daß er Eure Bekanntschaft zu machen wünscht. Unterdessen bittet er Euch, dies kleine Geschenk anzunehmen.«

Bubekir war entzückt vor Freuden und antwortete Mobarek: »Ich ersuche Euch, Herr, bittet den Fürsten recht sehr um Verzeihung für mich. Ich bin ganz beschämt, ihn noch nicht besucht zu haben; aber ich will meinen Fehler wieder gutmachen und gleich morgen hingehen und meine Schuldigkeit tun.«

In der Tat, schon am folgenden Tage sprach er nach dem Morgengebete zu dem Volke: »Wisset, meine Brüder, kein Mensch ist ohne Feinde. Der Neid greift vor allen diejenigen an, die große Güter haben. Der Fremde, von welchem ich gestern abend euch sagte, ist kein Bösewicht, wie etliche übelwollende Leute mir einbilden wollten; es ist ein junger Fürst, der tausend Tugenden besitzt. Hüten wir uns wohl, dem Kalifen irgend einen bösen Bericht von ihm zu machen.«

Nachdem Bubekir durch diese Rede die üble Meinung von Seyn wieder vertilgt, welche er am vorigen Abend den Leuten beigebracht hatte, ging er wieder nach Hause. Er legte seine Feierkleider an und ging hin, den jungen Fürsten zu besuchen, welcher ihn sehr freundlich empfing. Nach mehreren Höflichkeiten von beiden Seiten sprach Bubekir zu dem Fürsten:

»Herr, gedenkt Ihr lange in Bagdad zu verweilen?«

»Ich werde hier bleiben,« antwortete ihm Seyn, »bis ich eine fünfzehnjährige vollkommen schöne und so keusche Jungfrau finde, daß sie nie einen Mann erkannt noch gewünscht hat, einen zu erkennen.«

»Da sucht Ihr ein gar seltnes Ding,« versetzte der Imam, »und ich würde sehr fürchten, daß Euer Suchen fruchtlos wäre, wenn ich nicht wüßte, wo es eine Jungfrau dieser Art gibt. Ihr Vater war ehemals Wesir; aber er hat den Hof verlassen und lebt seit langer Zeit in einem abgelegenen Hause, wo er sich gänzlich der Erziehung seiner Tochter widmet. Wenn Ihr wollt, Herr, so will ich hingehen und für Euch um sie anhalten: ich zweifle nicht, daß er sich sehr freuen wird, einen Schwiegersohn von Eurer Geburt zu erhalten.«

»Nicht so rasch,« versetzte der Fürst. »Ich will diese Jungfrau nicht heiraten, bevor ich nicht weiß, ob sie mir ansteht. In Betreff ihrer Schönheit kann ich mich wohl auf Euch verlassen; aber in Rücksicht ihrer Tugend, welche Gewährleistung könnet Ihr mir darüber geben?«

»Ei nun, welche Gewährleistung verlangt Ihr?« fragte Bubekir.

»Ich muß sie von Angesicht sehen,« antwortete Seyn, »mehr begehre ich nicht, um mich zu bestimmen.«

»Ihr versteht Euch also auf die Gesichtszüge?« versetzte lächelnd der Imam. »Nun gut: kommet mit mir zu ihrem Vater; ich will ihn bitten, sie Euch auf einen Augenblick in seiner Gegenwart sehen zu lassen.«

Der Muessin führte den Fürsten zu dem Vater, der nicht sobald von der Geburt und der Absicht Seyns unterrichtet war, als er seine Tochter kommen ließ und ihr gebot, den Schleier abzunehmen.

Niemals hatte sich eine so vollkommene und so anziehende Schönheit den Augen des jungen Königs von Balsora dargeboten; er war ganz erstaunt darüber. Und sobald er nur die Probe anstellen konnte, ob diese Jungfrau ebenso keusch als schön wäre, zog er seinen Spiegel hervor: und siehe, das Glas blieb rein und hell.

Als er nun sah, daß er endlich eine Jungfrau gefunden hatte, wie er sie wünschte, so hielt er bei dem Wesir um sie an. Sogleich wurde nach dem Kadi geschickt: er kam, und der Heiratsvertrag wurde gemacht und das Gebet dabei gesprochen.

Nach dieser Feierlichkeit führte Seyn den Wesir in sein Haus, wo er ihn prächtig bewirtete und ihm ansehnliche Geschenke machte. Demnächst sandte er der Braut durch Mobarek eine Anzahl von Juwelen, und dieser führte sie ihm in sein Haus, wo die Hochzeit mit aller dem Range Seyns angemessenen Pracht gefeiert wurde.

Als alle Gäste heimgegangen waren, sprach Mobarek zu seinem Herrn: »Auf, Herr! lasset uns nicht länger in Bagdad verweilen, sondern nach Kairo zurückkehren. Gedenket des Versprechens, welches Ihr dem Könige der Geister getan habt.«

»Laßt uns reisen,« antwortete der Fürst; »ich will es treulich erfüllen. Ich bekenne Euch indessen, mein lieber Mobarek, daß, wenn ich auch dem Könige der Geister gehorche, ich es jedoch nur mit Zwang tue. Das Fräulein, welches ich eben geheiratet habe, ist bezaubernd, und ich gerate in Versuchung, sie nach Balsora zu führen und auf den Thron zu setzen.«

»Ach, Herr,« entgegnete Mobarek, »hütet Euch wohl, Eurem Gelüste zu folgen. Beherrscht Eure Leidenschaft; und was es Euch auch für Überwindung kosten mag, haltet dem Könige der Geister Euer Wort.«

»Wohlan, Mobarek,« sagte der Fürst, »sorget nur dafür, mir diese liebenswürdige Jungfrau zu verbergen, daß sie nimmermehr meinen Augen begegne! Vielleicht habe ich sie nur schon zuviel gesehen!«

Mobarek ließ nun die Anstalten zur Abreise machen. Sie kehrten nach Kairo zurück und nahmen von dort den Weg nach der Insel des Königs der Geister.

Als sie dort anlangten, sprach die Braut, welche die Reise in der Sänfte gemacht und den Prinzen seit dem Hochzeitstage nicht wieder gesehen hatte, zu Mobarek: »Wo sind wir denn? Werden wir nicht bald in das Reich des Königs, meines Gemahls, kommen?«

»Gnädige Frau,« antwortete Mobarek, »es ist Zeit, Euch zu enttäuschen. Der König Seyn hat Euch nur geheiratet, um Euch aus dem Hause Eures Vaters zu bekommen. Nicht um Euch zur Königin von Balsora zu machen, hat er sich mit Euch vermählt, sondern um Euch dem Könige der Geister zu überliefern, welcher eine solche Jungfrau, wie Ihr seid, von ihm gefordert hat.«

Auf diese Erklärung fing sie bitterlich an zu weinen, so daß der Fürst und Mobarek sehr erweicht wurden, »Habet Mitleid mit mir,« sprach sie zu ihnen. »Ich bin eine Fremde: Ihr müßt die an mir begangene Verräterei vor Gott verantworten.«

Ihre Tränen und ihre Klagen waren fruchtlos. Man stellte sie dem Könige der Geister vor, welcher, nachdem er sie mit Aufmerksamkeit betrachtet hatte, zu Seyn sprach: »Fürst, ich bin zufrieden mit dir. Die Jungfrau, welche du mir hergeführt hast, ist reizend und keusch; und deine Selbstüberwindung, um mir Wort zu halten, ist mir angenehm. Kehre heim in dein Reich! Wenn du in das unterirdische Gemach der acht Standbilder trittst, so wirst du darin das neunte finden, welches ich dir versprochen habe: ich werde es durch meine Geister dorthin bringen lassen.«

Seyn dankte dem Könige der Geister und reiste mit Mobarek wieder nach Kairo. Aber er blieb nicht lange in dieser Stadt: die Ungeduld nach dem neunten Standbilde beschleunigte seine Abreise. Indessen unterließ er nicht, häufig an seine gewesene Braut zu denken; er machte sich Vorwürfe über den gegen sie verübten Betrug und betrachtete sich als die einzige Ursache ihres Unglücks. »Weh mir!« sprach er bei sich selber, »ich habe sie der Zärtlichkeit ihres Vaters entzogen, um sie einem Geiste zu opfern. O unvergleichliche Schönheit, du verdientest ein besseres Schicksal!«

Erfüllt von diesem Gedanken, kam der König Seyn endlich wieder in Balsora an, wo seine Untertanen, entzückt über seine Heimkehr, große Freudenfeste anstellten. Er begab sich sogleich zur Königin Mutter, um ihr von seiner Reise Bericht abzustatten, und diese freute sich sehr, zu vernehmen, daß er das neunte Standbild erhalten hatte.

»Komm, mein Sohn,« sprach sie, »laß es uns sehen; denn ohne Zweifel ist es schon in dem unterirdischen Gemache, weil der König der Geister dir verheißen hat, daß du es darin finden würdest.«

Der junge König und seine Mutter, beide voll Ungeduld, dieses wunderbare Standbild zu schauen, stiegen in das unterirdische Gemach hinab und traten in das Zimmer der Standbilder. Aber wie groß war ihre Überraschung, als sie anstatt eines diamantenen Standbildes auf dem neunten Fußgestelle eine wunderschöne Jungfrau erblickten, welche der König sogleich für diejenige erkannte, die er nach der Geisterinsel geführt hatte.

»Mein König,« sprach zu ihm die Jungfrau, »Ihr seid sehr verwundert, mich hier zu sehen! Ihr erwartet, etwas viel Köstlicheres zu finden als mich, und ich zweifle nicht, daß es in diesem Augenblick Euch gereuet, Euch so viel Mühe gegeben zu haben. Ihr versprachet Euch eine schönere Belohnung.«

»Nein, geliebte Frau,« antwortete Seyn, »der Himmel ist mein Zeuge, daß ich mehr als einmal daran dachte, dem Geisterkönig mein Wort zu brechen und Euch für mich zu erhalten. Wie kostbar auch ein diamantenes Standbild sei, kann es die Wonne aufwiegen, Euch zu besitzen? Ich liebe Euch mehr als alle Diamanten und alle Reichtümer der Welt.«

Indem er diese Worte aussprach, hörte man einen Donnerschlag, von welchem das unterirdische Gemach erbebte.

Die Mutter Seyns war darüber erschrocken; aber der König der Geister, welcher plötzlich erschien, zerstreute ihre Furcht. »Königin,« sprach er zu ihr, »ich beschütze und liebe Euren Sohn. Ich wollte sehen, ob er in seinem Alter imstande wäre, seine Leidenschaft zu bezähmen. Ich weiß wohl, daß die Reize dieser jungen Schönen ihn versucht haben, und daß er sein mir gegebenes Versprechen, ihren Besitz nicht zu wünschen, nicht genau gehalten hat; aber ich kenne zu gut die Gebrechlichkeit der menschlichen Natur, um darüber zu zürnen, und ich bewundere seine Zurückhaltung. Hier ist nun dieses neunte Standbild, welches ich ihm bestimmt hatte: es ist viel seltener und viel köstlicher als alle die andern! – König Seyn,« fuhr er fort, indem er sich zu ihm wandte, »lebe glücklich mit dieser jungen Frau, sie ist deine Gemahlin; und willst du, daß sie dir treu und beständig sei, so liebe sie immerdar; aber liebe sie nur allein: gib ihr keine Nebenbuhlerin, und ich verbürge dir ihre Treue.«

Mit diesen Worten verschwand der Geisterkönig; und Seyn, entzückt über seine Braut, feierte denselben Tag noch seine Hochzeit und ließ sie als Königin von Balsora ausrufen: und diese beiden stets treuen und liebevollen Gatten verlebten miteinander eine lange Reihe von Jahren.«

Die Sultanin von Indien hatte kaum die Geschichte des Königs Seyn Alasnam vollendet, als sie schon um die Erlaubnis bat, eine andere anzufangen. Schachriar bewilligte sie ihr für die folgende Nacht, weil der Tag schon anbrechen wollte.

 


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