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Geschichte des Prinzen Amgiad mit einem Fräulein in der Stadt der Magier.

Der Prinz Amgiad ging einen ganzen Monat lang nicht anders durch die Stadt als in Gesellschaft des Schneiders. Endlich wagte er es, allein ins Bad zu gehen. Auf dem Rückwege begegnete er in einer Straße, worin sonst niemand ging, einer Frau, die auf ihn zukam.

Als die Frau einen so wohlgebildeten Jüngling frisch aus dem Bade kommen sah, lüftete sie ihren Schleier und fragte ihn mit lächelnder Miene und freundlichen Augen, wohin er ginge. Amgiad konnte den Reizen, die sie ihn sehen ließ, nicht widerstehen und antwortete: »Schöne Frau, ich gehe nach Hause oder mit Euch, nach Eurem Belieben.«

»Herr,« erwiderte die Frau mit anmutigem Lächeln, »Frauen meiner Art führen nicht die Männer in ihr Haus, sondern gehen zu ihnen.«

Amgiad geriet über diese unerwartete Antwort in große Verlegenheit. Er wagte es nicht, sie zu seinem Wirte zu führen, der daran Anstoß genommen hätte, und er wäre in Gefahr gewesen, dadurch den Schutz zu verlieren, dessen er in einer Stadt, wo man so vorsichtig sein mußte, so sehr bedurfte. Seine wenige Bekanntschaft hier machte, daß er sonst keinen Ort wußte, wohin er die Schöne führen sollte: und doch konnte er sich nicht entschließen, eine so schöne Gelegenheit entschlüpfen zu lassen. In dieser Ungewißheit beschloß er, sich dem Zufalle zu überlassen, und ohne der Frau zu antworten, ging er vor ihr her, und sie folgte ihm.

Der Prinz Amgiad führte sie lange von Straße zu Straße, von Ecke zu Ecke, von Platz zu Platz, und beide waren schon vom Wandern ermüdet, als er eine Straße einschlug, an deren Ende ein Haus von recht schönem Ansehen stand, dessen sehr hohe Pforte verschlossen war; an jeder Seite derselben stand eine Bank: Amgiad setzte sich auf die eine, um Atem zu schöpfen, und die Frau, noch müder als er, setzte sich auf die andere.

Als die Schöne da saß, sprach sie zum Prinzen Amgiad: »Das hier ist also Euer Haus?« – »Wie Ihr sehet, schöne Frau,« antwortete der Prinz. »Warum öffnet Ihr nicht?« versetzte sie; »was wartet Ihr noch?« – »Schöne Frau,« antwortete Amgiad, »ich habe den Schlüssel nicht; ich habe ihn meinem Sklaven zurückgelassen, dem ich einen Auftrag gegeben, von welchem er noch nicht zurück sein kann. Und da ich ihm noch befohlen habe, nach Ausrichtung dieses Auftrages mir Vorrat zu einem guten Mittagessen einzukaufen, so fürchte ich, wir werden noch lange auf ihn warten müssen.«

Die Schwierigkeit, welche der Prinz fand, sein Gelüst zu befriedigen, das ihn schon anfing zu gereuen, hatte ihm diese Ausflucht eingegeben in der Hoffnung, die Schöne würde ihn verlassen, um anderswo ihr Glück zu versuchen: aber er täuschte sich.

»Das ist doch ein nichtswürdiger Sklave, so lange auf sich warten zu lassen!« versetzte die Schöne. »Sobald er kommt, will ich selber ihn abstrafen, wie er es verdient, wenn Ihr es nicht gehörig tut. Es ist unterdessen nicht wohlanständig, daß ich mit einem Manne allein an der Türe bleibe.«

Indem sie dies sagte, stand sie auf und ergriff einen Stein, um das Schloß zu zerschlagen, welches nur von Holz und sehr schwach war nach Landes Art.

Amgiad, in Verzweiflung über diesen Vorsatz, wollte ihn verhindern und sagte zu ihr: »Schöne Frau, was wollt Ihr tun? Ich bitte Euch, habt nur noch einige Augenblicke Geduld.«

»Was habt Ihr zu fürchten?« versetzte sie; »ist das Haus nicht Euer? Es ist kein großer Schade um ein zerbrochenes Schloß von Holz; es ist leicht durch ein anderes zu ersetzen.«

Sie zerschlug also das Schloß, und als die Türe geöffnet war, trat sie hinein und ging voran.

Als Amgiad die Türe des Hauses erbrochen sah, hielt er sich für verloren. Er schwankte, ob er eintreten oder entschlüpfen und sich der, wie er glaubte, unvermeidlichen Gefahr entziehen sollte, und er war schon im Begriffe, das letztere zu tun, als die Schöne sich umdrehte und sah, daß er ihr nicht folgte.

»Was ist Euch? Warum tretet Ihr nicht in Euer Haus?« fragte sie ihn. »Schöne Frau,« antwortete er, »ich wollte mich nur umschauen, ob mein Sklave noch nicht zurückkäme, weil ich fürchte, daß noch nichts bereit ist.« – »Kommt, kommt,« fuhr sie fort, »wir können besser drinnen warten als hier außen, bis er kommt.«

Der Prinz Amgiad trat also wider seinen Willen in einen geräumigen und reinlich gepflasterten Hof. Von hier stieg er mit der Schönen einige Stufen hinauf in eine große Vorhalle, wo beide einen offnen, schön eingerichteten Saal erblickten und in dem Saale eine Tafel mit auserlesenen Gerichten, eine andere mit verschiedenen Arten schöner Früchte und einen Schenktisch, mit Weinflaschen besetzt.

Als Amgiad diese Zurichtung sah, zweifelte er nicht mehr an seinem Verderben. »Es ist um dich geschehen, armer Amgiad,« sprach er zu sich selber, »du wirst deinen geliebten Bruder Assad nicht lange überleben!«

Die Schöne dagegen, erfreut über dies angenehme Schauspiel, rief aus: »Wie nun, Herr? Ihr fürchtetet, daß nichts bereit wäre: Ihr seht indessen, daß Euer Sklave fleißiger gewesen ist, als Ihr glaubtet. Zwar, wenn ich mich nicht täusche, so sind dies Vorbereitungen für eine andere Frau als mich: aber das tut nichts; mag diese Frau kommen, ich verspreche Euch, nicht eifersüchtig darüber zu sein. Ich bitte Euch nur um die Gnade, mir zu erlauben, daß ich sie und auch Euch bediene.«

Amgiad konnte sich nicht enthalten, über den Scherz der Schönen zu lachen, so bekümmert er auch war. »Schöne Frau,« erwiderte er, obwohl er im Herzen ganz andere trostlose Gedanken hegte, »ich versichere Euch, daß nichts weniger stattfindet, als was Ihr Euch einbildet; dies ist nur meine gewöhnliche einfache Lebensweise.«

Da er sich nicht entschließen konnte, sich an eine Tafel zu setzen, die nicht für ihn bereitet war, so wollte er sich auf das Sofa setzen; aber die Schöne verhinderte ihn daran und sprach zu ihm: »Was wollt Ihr tun? Nach dem Bade müßt Ihr Hunger haben: darum wollen wir uns zu Tische setzen, essen und fröhlich sein.«

Amgiad war genötigt, zu tun, was die Schöne wollte: sie setzten sich zu Tische und aßen. Nach den ersten Bissen nahm die Schöne eine Flasche und ein Glas, schenkte sich ein und trank zuerst auf Amgiads Gesundheit. Als sie ausgetrunken hatte, füllte sie dasselbe Glas und reichte es Amgiad, der ihr auch Bescheid tat.

Je mehr Amgiad über sein Abenteuer nachdachte, umsomehr war er in Verwunderung, daß der Herr des Hauses nicht erschien, und daß ein so sauberes und reichlich versehenes Haus sogar ohne einen einzigen Bedienten war. »Mein Glück wäre außerordentlich,« sagte er bei sich selber, »wenn der Herr nicht eher kommen könnte, als bis ich mich aus diesem Handel gewickelt hätte.«

Während er sich mit diesen Gedanken und andern noch verdrießlicheren beschäftigte, fuhr die Schöne fort zu essen, trank auch von Zeit zu Zeit und nötigte ihn, dasselbe zu tun.

Sie waren bald bei den Früchten, als der Herr des Hauses ankam.

Dies war aber der Oberstallmeister des Königs der Magier, und sein Name war Bahader. Das Haus gehörte ihm. Er hatte noch ein anderes, worin er eigentlich wohnte; dieses hier bediente er sich nur, um insonderheit drei oder vier erwählte Freunde bei sich zu bewirten. Er ließ alles dazu von seinem Wohnhause hierher bringen, und das hatte er auch diesen Tag durch einige seiner Leute tun lassen, die kurz vor Amgiads Ankunft mit seiner Schönen wieder weggegangen waren.

Bahader kam ohne Gefolge und verkleidet wie gewöhnlich. Er kam etwas vor der seinen Freunden bestimmten Stunde und war nicht wenig überrascht, die Türe seines Hauses erbrochen zu sehen. Er trat ohne Geräusch ein; und als er hörte, daß in dem Saale gesprochen wurde und man sich lustig machte, schlich er sich längs der Mauer hin und steckte den Kopf halb in die Türe, um zu sehen, was für Leute es wären. Als er sah, daß es ein junger Mann mit einer jungen Frau war, die an der Tafel speisten, welche nur für seine Gäste und für ihn bereitet worden, und also das Unglück nicht so groß war, als er sich anfangs eingebildet hatte, so beschloß er, sich damit eine Lust zu machen.

Die Schöne, welche den Rücken nach der Türe gewandt hatte, konnte den Oberstallmeister nicht sehen, aber Amgiad erblickte ihn sogleich, als er gerade das Glas in der Hand hatte. Er verwandelte bei diesem Anblicke die Farbe und blickte starr nach Bahader, der ihm ein Zeichen gab, zu schweigen und zu ihm zu kommen.

Amgiad trank und stand auf. »Wo wollt Ihr hin?« fragte ihn die Schöne. »Edle Frau,« antwortete er ihr, »bleibet, ich bitte Euch, ich bin sogleich wieder bei Euch: ich muß einen Augenblick hinausgehen.«

Er ging zu Bahader, der ihn in der Vorhalle erwartete und ihn in den Hof führte, um mit ihm zu reden, ohne daß die Frau es hörte ...«

Scheherasade bemerkte bei diesen letzten Worten, daß es für den Sultan von Indien Zeit wäre, aufzustehen, und schwieg. In der folgenden Nacht aber hatte sie Zeit, fortzufahren und also zu ihm zu sprechen:

 

Zweihundertunddreiundvierzigste Nacht.

»Herr, als Bahader und der Prinz Amgiad in dem Hof waren, fragte Bahader den Prinzen, durch welches Abenteuer er sich mit dem Fräulein in seinem Hause befände, und warum sie die Tür desselben erbrochen hätten.

»Herr,« antwortete Amgiad, »ich muß Euch sehr strafbar erscheinen, aber wenn Ihr die Gütigkeit haben wollt, mich anzuhören, so hoffe ich, Ihr werdet mich entschuldigen.« Er fuhr hierauf fort und erzählte ihm in wenig Worten, wie die Sache zusammenhinge, ohne etwas zu verschweigen; und um ihn völlig zu überzeugen, daß er einer solchen unwürdigen Handlung wie der Erbrechung eines Hauses nicht fähig wäre, verhehlte er ihm auch nicht, daß er ein Prinz wäre, und sagte ihm die Ursache, warum er sich in der Stadt der Magier befände.

Bahader, der von Natur ein Freund der Fremden war, freute sich über die Gelegenheit, einem von dem Stande und Range Amgiads zu dienen. Denn nach seinem Wesen, seinem edeln Anstande, seinen Reden und gewählten und feinen Ausdrücken zweifelte er keineswegs an seiner Aufrichtigkeit.

»Prinz,« sprach er zu ihm, »ich bin äußerst erfreut, Gelegenheit gefunden zu haben, Euch in einem so lustigen Abenteuer, wie das mir von Euch erzählte ist, zu dienen. Weit entfernt, Euer Fest zu stören, mache ich mir ein großes Vergnügen daraus, zu Eurer Lust beizutragen. Ich bin der Oberstallmeister des Königs und heiße Bahader. Ich habe einen Palast zu meiner eigentlichen Wohnung, und dieses Haus habe ich dazu, um manchmal mit meinen Freunden gemächlicher zusammenzukommen. Ihr habt Eurer Schönen eingebildet, Ihr habet einen Sklaven, obwohl Ihr keinen habt: ich will dieser Sklave sein. Und damit Ihr Euch darüber kein Bedenken macht und Euch nicht entschuldigt, so wiederhole ich Euch, daß ich es durchaus sein will, und Ihr sollt bald die Ursache davon hören. Gehet also und setzet Euch wieder auf Euren Platz; fahret fort, Euch zu erlustigen: und wenn ich nach einiger Zeit hereinkomme und im Sklavenkleide vor Euch trete, so scheltet mich tüchtig aus; ja scheut Euch selbst nicht, mich zu schlagen: ich werde Euch bedienen, solange Ihr bei Tische sitzet, bis in die Nacht. Ihr schlaft mit der Schönen hier, und morgen früh entlasse ich Euch mit Ehren. Darnach werde ich mich bemühen, Euch noch andere wichtigere Dienste zu leisten. Gehet also und verlieret keine Zeit.«

Amgiad wollte etwas einwenden, aber der Oberstallmeister ließ es nicht zu, sondern zwang ihn, zu dem Fräulein zurückzukehren.

Kaum war Amgiad wieder in den Saal gegangen, als die eingeladenen Freunde des Oberstallmeisters ankamen. Er bat sie freundlich, ihn zu entschuldigen, daß er sie diesen Tag nicht bewirte, indem er ihnen zu verstehen gab, sie würden gewiß die Ursache davon billigen, wenn er sie ihnen am nächsten Tage sagen würde. Sobald sie sich wieder entfernt hatten, ging er hin und legte ein Sklavenkleid an.

Der Prinz Amgiad kam wieder zu der Schönen, sehr vergnügten Herzens, daß der Zufall ihn in ein Haus geführt hatte, dessen Herr ein so ausgezeichneter Mann war und sich so artig gegen ihn benahm. Indem er sich wieder an den Tisch setzte, sagte er zu ihr: »Schöne Frau, ich bitte Euch tausendmal um Vergebung wegen meiner Unhöflichkeit und wegen meiner verdrießlichen Laune, worin die Abwesenheit meines Sklaven mich versetzt: der Schlingel soll's mir bezahlen; ich will ihm zeigen, ob er so lange ausbleiben darf.«

»Lasset Euch das nicht beunruhigen,« versetzte die Schöne; »desto schlimmer für ihn; macht er Streiche, so soll er sie büßen. Denken wir nicht mehr daran, sondern nur, uns zu erfreuen.«

Sie fuhren nun fort zu tafeln, und mit desto mehr Annehmlichkeit, da Amgiad nicht mehr wie bisher besorgt war, was aus dem Übermute der Schönen entstehen würde, welche die Türe des Hauses doch nicht hätte erbrechen sollen, wenn selbst das Haus Amgiad gehört hätte. Sie war in der heitersten Laune, und beide wechselten tausend Scherzreden, indem sie mehr tranken als aßen, bis Bahader, als Sklave verkleidet, ankam.

Der Sklave war sehr betreten, als er seinen Herrn schon in Gesellschaft sah, und daß er so spät zurückkam. Er warf sich ihm zu Füßen und küßte den Boden, um seine Gnade anzuflehen, und als er sich wieder aufgerichtet hatte, stand er mit niedergeschlagenen Augen und gekreuzten Armen und erwartete seine Befehle.

»Nichtswürdiger Sklave,« sprach Amgiad zu ihm, mit Zorn im Auge und im Tone, »sage mir, gibt's noch einen schändlicheren Sklaven, als du bist? Wo bist du gewesen? Was hast du gemacht, daß du jetzt erst zurückkommst?«

»Herr,« antwortete Bahader, »ich bitte Euch um Verzeihung: ich habe die mir von Euch gegebenen Aufträge ausgerichtet; ich glaubte nicht, daß Ihr so bald zurückkommen würdet.«

»Du bist ein Taugenichts,« fuhr Amgiad fort, »und mit derben Streichen will ich dich lügen und deine Schuldigkeit versäumen lehren.«

Zugleich stand er auf, ergriff einen Stock und gab ihm damit zwei oder drei ziemlich leichte Schläge, worauf er sich wieder an den Tisch setzte.

Die Schöne war aber mit dieser Strafe nicht zufrieden; sie stand ebenfalls auf, nahm den Stock und bedeckte Bahader schonungslos mit so viel Schlägen, daß ihm die Tränen in die Augen traten. Amgiad, äußerst betreten über die Freiheit, welche sie sich nahm, einen königlichen Beamten von dieser Bedeutung so zu mißhandeln, mochte schreien, was er wollte, daß es genug wäre, sie schlug immerzu. »Lasset mich gewähren,« sagte sie, »ich will mir Genugtuung verschaffen und ihn lehren, ein andermal so lange ausbleiben.« Sie fuhr fort, mit solcher Wut zu schlagen, daß er genötigt war, aufzustehen und ihr den Stock zu entreißen, den sie nur nach heftigem Widerstande fahren ließ. Und als sie nun den Bahader nicht mehr schlagen konnte, setzte sie sich wieder auf ihren Platz und schimpfte ihn noch tüchtig aus.

Bahader trocknete seine Tränen, bediente sie dann und schenkte ihnen ein. Als er sah, daß sie nicht mehr tranken und aßen, deckte er ab, säuberte den Saal, stellte alles wieder an seinen Platz, und als es Nacht ward, zündete er die Wachskerzen an. Sooft er hinausging oder hereinkam, unterließ die Schöne nicht, auf ihn zu grollen, ihm zu drohen und ihn zu schimpfen: zum Mißvergnügen Amgiads, der ihn gern schonen wollte und ihm nichts zu sagen wagte.

Als es Zeit war, sich niederzulegen, bereitete Bahader ihnen ein Bette auf dem Sofa und zog sich in ein Gemach zurück, wo er nach einer so langen Anstrengung bald einschlief.

Amgiad und die Schöne unterhielten sich noch eine starke halbe Stunde, und die Schöne mußte, bevor sie sich niederlegte, noch einmal hinausgehen. Da sie auf dem Gange durch die Vorhalle Bahader schon schnarchen gehört und im Saal einen Säbel bemerkt hatte, so sprach sie, als sie wieder hereinkam, zu Amgiad: »Herr, ich bitte Euch, mir zuliebe ein Ding zu tun.« – »Was steht zu Euren Diensten?« fragte Amgiad. »Tut mir den Gefallen,« fuhr sie fort, »nehmt diesen Säbel, und gehet hin und haut Eurem Sklaven den Kopf ab.«

Amgiad war höchst erstaunt über diese Zumutung, welche, wie er nicht zweifelte, der Wein dem Weibe eingab. »Schöne Frau,« sagte er darauf, »lassen wir den Sklaven in Ruhe; er verdient nicht, daß Ihr an ihn noch denket: ich habe ihn bestraft, und Ihr selber habt ihn gezüchtigt, das ist genug; übrigens bin ich sehr zufrieden mit ihm, und er ist sonst frei von diesem Fehler.«

»Ich begnüge mich nicht damit,« versetzte das wütende Weib; »ich will den Tod dieses Spitzbuben, und wenn er nicht von Eurer Hand stirbt, so soll er von der meinen sterben.«

Mit diesen Worten ergreift sie den Säbel, zieht ihn aus der Scheide und schlüpft hinaus, ihren mörderischen Vorsatz zu vollbringen.

Amgiad ereilte sie in der Vorhalle, trat ihr in den Weg und sagte zu ihr: »Schöne Frau, ich muß Euch schon genugtun, weil Ihr es durchaus wollt: es würde mir leid tun, wenn ein anderer als ich meinem Sklaven das Leben nähme.«

Als sie ihm hierauf den Säbel gegeben hatte, fuhr er fort: »Kommt, folget mir und machet kein Geräusch, damit er nicht aufwache.«

Sie traten nun in das Zimmer, wo Bahader schlief: aber anstatt ihn zu töten, schwang Amgiad den Säbel gegen das Weib und schlug ihr den Kopf ab, der auf Bahader hinflog ...«

Der Tag war schon angebrochen, als Scheherasade diese Worte aussprach: sie bemerkte es und schwieg.

In der folgenden Nacht nahm sie ihre Erzählung wieder auf und sagte zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundvierundvierzigste Nacht.

»Herr, der Kopf des Weibes, der auf den Oberstallmeister fiel, würde seinen Schlaf unterbrochen haben, wenn ihn auch der Klang des Säbelhiebes nicht aufgeweckt hätte. Erstaunt, Amgiad mit dem blutigen Säbel und den Leichnam des Weibes ohne Kopf am Boden liegen zu sehen, fragte er ihn, was dies bedeutete.

Amgiad erzählte alles, wie es zugegangen war, und sagte zum Schlusse: »Um diese Wütende abzuhalten, Euch das Leben zu nehmen, sah ich kein anderes Mittel, als es ihr selber zu rauben.«

»Herr,« sagte hierauf Bahader voll Erkenntlichkeit, »Personen Eures Geblütes und von solchem Edelmute sind nicht imstande, so nichtswürdige Handlungen zu begünstigen. Ihr seid mein Befreier, und ich kann Euch nicht genug dafür danken.«

Nachdem er ihn umarmt hatte, um ihm noch stärker auszudrücken, wie sehr er ihm verpflichtet wäre, sagte er: »Vor Anbruch des Tages muß der Leichnam hier weggeschafft werden, und das will ich tun.« Amgiad wollte es nicht zugeben und sagte, er würde ihn selber wegtragen, weil er den Streich getan hätte. »Einem neuen Ankömmling in dieser Stadt, wie Ihr seid, würde es nicht gelingen,« entgegnete Bahader. »Lasset mich nur machen und bleibet ruhig hier. Wenn ich vor Tage nicht zurückkomme, so ist es ein Zeichen, daß die Wache mich ergriffen hat. Auf diesen Fall lasse ich Euch hier eine schriftliche Schenkung dieses Hauses mit allem Geräte, so daß Ihr es ohne weiteres bewohnen könnt.«

Als Bahader die Schenkung niedergeschrieben und dem Prinzen Amgiad überliefert hatte, steckte er den Rumpf des Weibes samt dem Kopfe in einen Sack, lud diesen auf seine Schultern und wanderte von Straße zu Straße dem Meere zu. Er war aber noch nicht weit, als er dem Polizeirichter begegnete, der in Person die Runde machte. Die Leute des Richters hielten ihn an, öffneten den Sack und fanden darin den Leichnam des ermordeten Weibes samt ihrem Kopfe.

Der Richter erkannte den Oberstallmeister ungeachtet seiner Verkleidung und führte ihn in sein Haus; und da er ihn seiner Würde wegen nicht hinrichten zu lassen wagte, ohne dem Könige davon zu berichten, so führte er ihn am folgenden Morgen vor den König. Als dieser aus dem Berichte des Richters das Verbrechen des Oberstallmeisters vernommen hatte und ihn den Anzeichen nach für schuldig hielt, so überhäufte er ihn mit Schmähungen und rief aus: »So also ermordest du meine Untertanen, um sie zu berauben, und wirfst ihre Leichen ins Meer, um deinen Frevel zu verbergen! Man befreie sie von ihm und hänge ihn auf!«

Wie unschuldig Bahader war, er empfing dieses Todesurteil mit völliger Ergebung und sagte nicht ein Wort zu seiner Verteidigung.

Der Richter führte ihn wieder ab, und während der Galgen aufgerichtet wurde, ließ er durch die ganze Stadt ausrufen, wie am Mittage der Oberstallmeister für einen begangenen Mord bestraft werden sollte.

Der Prinz Amgiad, der den Oberstallmeister vergeblich erwartet hatte, geriet in unglaubliche Bestürzung, als er auch in dem Hause, wo er geblieben war, diesen Ausruf vernahm. »Wenn einer für den Tod dieses so schändlichen Weibes sterben soll,« sagte er bei sich selber, »so ist es nicht der Oberstallmeister, sondern ich bin es, und ich will nicht zulassen, daß der Unschuldige anstatt des Schuldigen bestraft werde.«

Ohne weiter zu überlegen, ging er hinaus und begab sich nach dem Platze, wo die Hinrichtung vor sich gehen sollte, und wohin das Volk von allen Seiten zusammenlief.

Sobald Amgiad den Richter erscheinen und Bahader nach dem Galgen führen sah, drängte er sich vor ihn hin und sagte zu ihm: »Herr, ich komme, Euch zu erklären und zu versichern, daß der Oberstallmeister, den Ihr zum Tode führen wollt, ganz unschuldig an dem Morde dieser Frau ist. Ich bin es, der dieses Verbrechen begangen hat, wenn es eins ist, einem abscheulichen Weibe das Leben zu nehmen, welches ihm selber es rauben wollte. Höret den ganzen Verlauf der Sache.«

Als der Prinz Amgiad dem Richter bekannt hatte, auf welche Weise ihn beim Ausgange aus dem Bade die Frau angelockt, wie sie veranlaßt, daß er in das Haus des Oberstallmeisters gedrungen, und alles, was darin vorgegangen bis zu dem Augenblicke, daß er ihr den Kopf abhauen mußte, um das Leben des Oberstallmeisters zu retten, so stellte der Richter die Hinrichtung ein und führte den Prinzen mit dem Oberstallmeister zum Könige.

Der König wollte von Amgiad selber die Sache vernehmen; und Amgiad, um seine und des Oberstallmeisters Unschuld noch eindringlicher zu machen, benutzte diese Gelegenheit, dem Könige zugleich seine und seines Bruders Assad Geschichte zu erzählen, von Anfang her bis zu ihrer Ankunft und bis zu dem Augenblicke, da er hier vor ihm redete.

Als der Prinz geendigt hatte, sprach der König zu ihm: »Prinz, ich bin erfreut, daß dieser Vorfall mir Gelegenheit gegeben hat, Euch kennen zu lernen: ich schenke Euch nicht allein das Leben, so wie meinem Oberstallmeister, den ich dafür lobe, daß er es mit Euch so gut gemeint hat, und ihn in sein Amt wieder einsetze; sondern ich ernenne Euch selbst zu meinem Großwesir, um Euch für die ungerechte, obwohl zu entschuldigende Behandlung des Königs, Eures Vaters, zu entschädigen. In Betreff des Prinzen Assad, so erlaube ich Euch, all Euer von mir verliehenes Ansehen zu gebrauchen, um ihn wiederzufinden.«

Nachdem Amgiad dem Könige der Stadt und des Landes der Magier gedankt und die Stelle des Großwesirs eingenommen hatte, so wandte er alle ersinnlichen Mittel an, um den Prinzen, seinen Bruder, wiederzufinden. Er ließ durch die öffentlichen Ausrufer in allen Stadtvierteln denjenigen eine große Belohnung bieten, die ihn selber brächten oder auch nur irgend eine Nachricht von ihm mitteilten; er sandte Leute darnach umher: aber welche Mühe er sich auch gab, er konnte nicht das geringste von ihm erfahren.

 


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