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Der Prinz Assad nahm Geld aus dem Beutel, welchen Amgiad trug, und setzte seinen Weg bis in die Stadt fort. Er hatte kaum einige Schritte in der ersten Straße getan, als er einen ehrwürdigen Greis antraf, der wohlgekleidet war und ein Rohr in der Hand trug. Da er ihn unbedenklich für einen bedeutenden Mann hielt, der ihn nicht täuschen würde, so nahte er sich ihm und redete ihn an: »Herr, ich bitte Euch, mir den Weg nach dem öffentlichen Platze zu zeigen.«
Der Greis betrachtete den Prinzen lachend und sagte zu ihm: »Mein Sohn, vermutlich bist du ein Fremder; du würdest mir nicht diese Frage tun, wenn dem nicht so wäre.«
»Ja, Herr,« antwortete Assad, »ich bin ein Fremder.«
»Sei willkommen,« sagte der Greis hierauf; »unser Land ist sehr geehrt, daß ein wohlgebildeter Jüngling wie du sich bemüht, es zu besuchen. Sage mir, was du auf dem öffentlichen Platze zu tun hast.«
»Herr,« antwortete Assad, »es sind beinahe zwei Monate, daß ich mit meinem Bruder aus einem sehr weit von hier entlegenen Lande abreiste. Während dieser Zeit sind wir unaufhörlich fortgewandert, und wir kommen eben heute erst an. Mein Bruder, von der so langen Reise ermüdet, ist am Fuße des Berges geblieben, und ich komme, Lebensmittel für ihn und für mich zu holen.«
»Mein Sohn,« sagte hierauf wieder der Greis, »du bist gerade zur gelegensten Zeit gekommen, und ich freue mich für dich und deinen Bruder darüber. Ich habe heute mehreren meiner Freunde ein großes Gastmahl gegeben, von welchem eine Menge Gerichte, noch unberührt, übriggeblieben sind. Komm mit mir, ich will dir davon zu essen geben; und wenn du gesättigt bist, will ich dir davon noch für dich und deinen Bruder auf mehrere Tage Vorrat geben. Du hast also nicht nötig, dein Geld auf dem Markte auszugeben: Reisende haben nie zuviel Geld. Zugleich kann ich dich, während du issest, von den Besonderheiten unserer Stadt besser unterrichten als irgend jemand. Ein Mann wie ich, der die höchsten Ämter mit Ehren bekleidet hat, muß sie wohl kennen. Du darfst dich auch wohl freuen, daß du dich eher an mich als an jemand anders gewandt hast; denn ich muß dir im Vorbeigehen sagen, daß nicht alle unsere Bürger so gesonnen sind wie ich; ich versichere dich, es gibt darunter recht boshafte. Komm also; ich will dich kennen lehren, welch ein Unterschied ist zwischen einem ehrlichen Manne, wie ich bin, und so vielen Leuten, die sich dessen rühmen, aber es nicht sind.«
»Ich bin Euch unendlich verpflichtet,« erwiderte der Prinz Assad, »für den guten Willen, welchen Ihr mir bezeiget: ich überlasse mich ganz Euch und bin bereit, Euch zu folgen, wohin es Euch beliebt.«
Der Greis, der nun mit Assad an seiner Seite weiterging, lachte in seinen Bart, und aus Furcht, daß Assad es bemerkte, unterhielt er ihn von mancherlei Dingen, damit er die gute Meinung behielte, welche er von ihm gefaßt hatte. »Man muß gestehen,« sagte er zu ihm, »du hast großes Glück, daß du dich früher an mich als an einen andern gewandt hast. Ich preise Gott dafür, daß du mir begegnet bist: du wirst erfahren, warum ich dies sage, wenn du in mein Haus kommst.«
Der Greis erreichte endlich sein Haus und führte Assad in einen großen Saal, wo er vierzig Greise sah, welche im Kreise um ein Feuer saßen, das sie anbeteten.
Bei diesem Schauspiel empfand Assad nicht minder Abscheu vor dem Anblicke so sinnloser Menschen, daß sie dem Geschöpf, anstatt dem Schöpfer selber, ihre Verehrung widmeten, als er von Schreck ergriffen wurde, so betrogen zu sein und sich an einem so scheußlichen Orte zu befinden.
Während Assad noch erstarrt dastand, grüßte der arglistige Greis die vierzig Greise und sprach zu ihnen: »Andächtige Verehrer des Feuers, heute ist ein glücklicher Tag für uns. – Wo ist Gasban?« setzte er hinzu, »man rufe ihn her.«
Auf diese laut genug ausgesprochenen Worte erschien ein Schwarzer, der sie unter dem Saale gehört hatte; und kaum hatte dieser Schwarze, der Gasban war, den trostlosen Assad erblickt, so verstand er, weshalb er gerufen war. Er lief auf ihn zu, stürzte ihn durch eine Maulschelle zu Boden und band ihm die Arme mit bewundernswürdiger Geschwindigkeit. Als er fertig war, befahl ihm der Greis: »Führ' ihn hinunter und vergiß nicht, meinen Töchtern Bostane und Kavame zu sagen, daß sie ihm alle Tage tüchtig die Bastonade geben, dabei ein Brot am Morgen und eins am Abend zur ganzen Nahrung: das reicht hin, um ihn am Leben zu erhalten bis zur Abfahrt des Schiffes nach dem Blauen Meere und dem Feuerberge; wir wollen ihn unserer Gottheit zum angenehmen Opfer bringen ...«
Die Sultanin Scheherasade erzählte diese Nacht nicht weiter, weil der Tag schon anbrach. In der folgenden Nacht fuhr sie fort und sprach zu dem Sultan von Indien:
»Herr, sobald der Greis den grausamen Befehl erteilt hatte, bemächtigte sich Gasban Assads, unter Mißhandlungen ließ er ihn unter den Saal hinabsteigen, und nachdem er ihn durch mehrere Türen geführt hatte bis in ein Loch, in welches man zwanzig Stufen hinabstieg, fesselte er ihn mit den Füßen an eine sehr starke und schwere Kette.
Sobald er damit fertig war, ging er hin, die Töchter des Greises zu benachrichtigen: aber der Alte war schon selber dort und sprach zu ihnen: »Meine Töchter, steiget hinunter und gebet dem Muselmann, den ich eben gefangen habe, die Bastonade, so wie ihr wohl wißt, und schonet ihn nicht: ihr könnt es nicht besser bezeigen, daß ihr gute Feueranbeterinnen seid.«
Bostane und Kavame, auferzogen im Hasse gegen alle Muselmänner, empfingen diesen Befehl mit Freuden. Sie stiegen augenblicklich in das Loch hinab, zogen Assad aus und schlugen ihn unbarmherzig bis aufs Blut, und bis er ohne Bewußtsein dalag. Nach dieser grausamen Mißhandlung stellten sie einen Krug voll Wassers mit einem Brote neben ihn hin und entfernten sich.
Assad kam erst lange Zeit nachher wieder zu sich, und dies geschah nur, um Ströme von Tränen zu vergießen, indem er sein Elend beweinte, jedoch mit dem Troste, daß dieses Unglück nicht seinem Bruder Amgiad begegnet wäre.
Der Prinz Amgiad erwartete am Fuße des Berges seinen Bruder Assad bis auf den Abend mit großer Ungeduld. Als er sah, daß die Sonne schon längst untergegangen war und sein Bruder noch nicht zurückkam, geriet er schier in Verzweiflung. Er brachte die Nacht in dieser trostlosen Unruhe hin, und sobald der Tag anbrach, machte er sich auf den Weg nach der Stadt.
Er war sogleich sehr verwundert, nur sehr wenige Muselmänner darin zu sehen. Er sprach den ersten, der ihm begegnete, an und bat, ihm zu sagen, wie die Stadt hieße. Er vernahm, daß es die Stadt der Magier wäre, so genannt, weil die Magier oder Feueranbeter darin die Überzahl, dagegen nur sehr wenig Muselmänner dort sind. Er fragte auch, wie weit man von hier nach der Ebenholzinsel rechnete; und die Antwort war, man gebrauchte zur See vier Monate und zu Lande ein Jahr zu der Reise. Der, an den er sich gewandt hatte, verließ ihn plötzlich, nachdem er ihm die beiden Fragen beantwortet hatte, und setzte seinen Weg fort, weil er dringende Geschäfte hatte.
Amgiad, der mit seinem Bruder Assad nur in sechs Wochen ungefähr von der Ebenholzinsel hergekommen war, konnte nicht begreifen, wie sie einen so langen Weg in so kurzer Zeit gemacht hätten, wenn es nicht durch Bezauberung geschehen oder den Weg über das Gebirge, den sie gekommen, nicht um so viel kürzer und nur wegen seiner Schwierigkeit nicht gebräuchlich wäre.
Indem er nun die Stadt durchwanderte, blieb er am Laden eines Schneiders stehen, den er an seiner Kleidung für einen Muselmann erkannte, so wie er schon den ersten, mit dem er gesprochen, daran erkannt hatte. Er setzte sich, nachdem er ihn gegrüßt hatte, bei ihm nieder und erzählte ihm den Gegenstand seiner Bekümmernis.
Als der Prinz Amgiad geendigt hatte, erwiderte der Schneider: »Wenn Euer Bruder einem Magier in die Hände gefallen ist, so müßt Ihr fürchten, ihn nie wiederzusehen. Er ist ohne Rettung verloren, und ich rate Euch, Euch darüber zu trösten und daran zu denken, Euch selber vor einem ähnlichen Unfalle zu bewahren. Drum, wenn Ihr mir folgen wollt, so bleibet bei mir, und ich will Euch von allen Arglisten dieser Magier unterrichten, damit ihr Euch beim Ausgehen vor ihnen hüten könnt.«
Amgiad, sehr betrübt über den Verlust seines Bruders Assad, nahm das Anerbieten an und dankte dem Schneider tausendmal für die ihm bewiesene Güte.