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Henry betrachtet in einem Salon eine Frau. Ernsthafter als ein Geizhals sein Geld zählt, mit größerer Sorgfalt als ein Arzt seinen Patienten, studiert er sie. – »Sie ist groß,« spricht er zu sich selbst, »ihre Hüften sind rund und schmiegsam, ihre Schultern sind breit; ein gerader Rücken, lange Beine . . .« Er betrachtet sie immer noch. Bemüht euch nicht, zu ihm zu sprechen, er hört nichts. »Der Hals ist emporgestreckt, die Augen sind groß, zart und voll zugleich ist das Antlitz, das Kinn ist wohlgeformt – wie könnte man eine Frau mit unschönem Kinn lieben! – die Lippen sind voll, die Zähne klein und regelmäßig. In ihrem Blick liegt Ernst, eine gewisse Geistigkeit, die ich schätze. Es soll ja kein Tier sein, das ich lieben will, sondern ein zärtliches, leidenschaftliches Wesen, das in meinen Armen auch zu weinen versteht.«
Er nähert sich. Er will zu ihr sprechen. Er zittert fast . . . Plötzlich bleibt er stehen. Was hat er entdeckt? – Ach, die Nasenflügel sind ein wenig zu breit! Er zieht sich zurück, er wird nicht lieben . . .
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Wer kann es erklären, daß wir unser Glück und manchmal unser Leben von dem mehr oder minder schönen Oval eines Gesichtes abhängig machen, von dem Ton der Haut, vom Glanz eines Blickes?
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Ein Lächeln, ein Blick, ein Tonfall, der uns nahe geht, vermögen uns zu fesseln.
Andererseits können uns die regelmäßigsten, schönsten Züge gleichgültig lassen.
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Es gibt einen Augenblick in seinem Leben, in dem ein häßliches Mädchen fast reizend wirkt. Für wenige Stunden umhüllt sie ein leichter Duft, der anzieht. Zu dieser Zeit gefällt sie, kann sie bezaubern. Sie beeile sich, die Großmut der Natur auszunützen, denn wenn diese Zeit vorbei ist, kehrt die ursprüngliche Häßlichkeit, und diesmal endgültig, zurück.
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Es gibt eine Schönheit der Züge. Es gibt eine Schönheit des Ausdrucks. Und es gibt schließlich die der Bewegung und der Haltung, das ist Anmut.
Welche dieser Schönheiten geht uns am nächsten? Hätte ich zu wählen, ich würde ohne Zögern die Anmut nennen. Die Schönheit der Züge enthüllt nichts von der Seele. Sie kann mit der erbärmlichsten Gemeinheit gepaart sein. Anmut aber ist wie die Blüte des Lebens, und ein Instinkt in unserem Innern flüstert uns zu, daß sie der Ausdruck des Wesens selbst sei.
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Wenn wir eine Frau betrachten und uns damit begnügen, ihre physischen Vorzüge und Fehler zu überblicken, dann bewegen wir uns auf einem Gebiet, auf dem man uns nicht täuschen kann. Hier gibt es keine falschen Münzen, die man uns unterschiebt. Peinlichen Erfahrungen sind wir nur an der Börse der sentimentalen Werte ausgesetzt, wo wir vielleicht unendliche Zärtlichkeit einzuhandeln glauben (und entsprechend dafür bezahlen), um uns bei Lieferung zu überzeugen, daß wir ein armseliges kurzlebiges Gefühl erworben haben.
Viele Männer lehnen es ab, in sentimentalen Werten zu spekulieren. Teils, weil sie in ihren Augen keinerlei Preis besitzen, teils, weil sie die bitteren Enttäuschungen einer verunglückten Spekulation vermeiden wollen.
Für solche Männer will ich die weibliche Anatomie hier im einzelnen beleuchten.
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Befassen wir uns zunächst mit den Schönheitsfehlern der Frau. In der Theorie dürfen wir unbarmherzig sein, denn in der Praxis sind wir ja ohnedies schwach genug.
Der Fehler zu kleiner Frauen sind die kurzen Beine. Nichts kann häßlicher sein. Ein langer Leib, den kurze Beine tragen, kann einen bis zu den Antipoden verscheuchen. Die Frauen, die einen dunklen Instinkt dafür besitzen, wodurch sie gefallen oder mißfallen, verhüllen diesen Fehler so gut es geht durch ihre Kleidung. Doch nur bei den Gleichgültigen gelingt ihnen die Täuschung; ein Mann, der die Frauen liebt, entkleidet sie immer, und wäre es auch nur mit seinen Blicken.
Eine kleine Frau, deren Beine länger sind als ihr Leib, bildet die größte Rarität, der man unter dem Himmelsgewölbe begegnen kann.
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Der Rücken der Frau hat die Neigung, sich zu wölben. Auch bei jungen Frauen sieht man schon diese Rundung. Fast alle reifen Frauen verunziert sie.
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Frauen, die nackt sind, lassen sich nur liegend ansehen. Sie beugen den Arm zurück, um den Kopf zu stützen; jetzt endlich straffen sich die Brüste!
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Ein Fehler, den allzu viele Frauen haben: der große Kopf.
Die Frau besitzt kein Recht auf einen zu stark entwickelten Kopf; wir Männer sind von der Natur dazu bestimmt, für sie zu denken. Der Anblick einer Frau, der ein zu großer Schädel auf den Schultern sitzt, ist für jeden gesunden, zartfühlenden Mann eine wahre Qual.
Wenn du ein Monstrum schaffen willst, setze einen großen Kopf auf einen kleinen Körper.
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Ein anderer Fehler: starke Gelenke.
Eine Frau unserer Rasse, die ihre Gliedmassen nur in spielerischer Arbeit betätigt, soll keine starken Handgelenke und Fußknöchel haben. Die harte Arbeit nehmen wir auf uns, die Frau schuldet uns Zartheit. Sie soll uns den Eindruck ermöglichen, als wäre sie nur zu unserem Genuß, zu unserem Luxus geschaffen. Wir wollen ja keine Wagendeichsel in ihre Hände legen.
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Die Mehrzahl der Frauen wird dick. Von fünfundzwanzig Jahren an ist ihre Hauptsorge der Kampf mit der Wage.
»Sie verteidigen sich.« Gräßliches Wort!
Im Bett, auf dem Spaziergang, bei Tisch denken sie an nichts anderes mehr. Um schlank zu bleiben, ist ihnen kein Opfer zu groß; sie trinken und sie essen nichts mehr.
Und sie haben recht. Wenn sie verfetten, hören sie auf, Frauen zu sein. Die Natur selbst weigert sich dann, sie als solche anzusehen, und nimmt ihnen die Möglichkeit, Mütter zu werden.
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Endlich eine schöne Frau: Groß, mit kleinem Kopf, aufrechten Brüsten und vollen Hüften.
Betrachtet sie, doch betrachtet sie nur schnell! Füllet eure Augen mit ihrem Anblick, übersehet keine Einzelheit an ihr, denn leider dauert die Schönheit nur wenige allzu kurze Stunden. Bald wird sie welken und nur noch durch kunstvolle Mittel den äußeren Schein bewahren.
Wenn sie Kinder bekommt, wird ihr Leib faltig. Wenn sie Fett ansetzt, erschlaffen ihre Brüste und Wangen, ihr Kinn verdoppelt und verdreifacht sich. Wenn sie dagegen abmagert, wird sie saftlos, zu etwas Totem.
Ich traue mich, es auszusprechen: ein Mann ist schöner. Er widersteht der Abnutzung besser, er ist weniger rasch verunstaltet. Junge Leute, die ein mäßiges Leben führen, die ihren Körper durch Sport stählen und den Alkohol vermeiden, können noch mit fünfundvierzig Jahren schöne Männer sein. Doch die Frau von Fünfundvierzig?
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Es gibt nur einen Zustand, in dem die Frau den Mann an Schönheit übertrifft: im Verlangen.
Bei ihr äußert es sich nur in der Spannung des ganzen Körpers; der Unterleib streckt sich empor, das Kreuz wölbt sich, die Brüste richten sich auf. Die nackte Frau in ihrem Verlangen diente der Kunst ungezählte Male als Modell.
Doch der Mann in diesem Augenblick? – Panoptikum!
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Es gibt anderes, als die Schönheit der Züge.
Zur Zeit, da die Frau zwischen sechzehn und zweiundzwanzig alle ihre Verführungskünste einsetzt, gewährt ihr die Natur – sie weiß, warum – einen augenblicklichen Zauber, der nicht in einzelnen Schönheitsmerkmalen beruht, sondern im Gesamteindruck. Jeder Zug, sei er an sich auch minderwertig, wird angenehm.
Bei genauerer Betrachtung findet man, daß es der Ton der Haut ist, der die Jugend so anziehend macht; die Säfte strömen im Überfluß durch das Gewebe und geben dem Teint etwas Strahlendes, dem Fleisch Festigkeit, den Augen Glanz . . . Nichts ist von kürzerer Dauer. Hat der Zauber gewirkt und ist das junge Mädchen Frau geworden, verliert die Natur jedes Interesse. Das Leuchten verlischt, die Häßlichkeit der Züge tritt wieder hervor. Wenn es allerdings die eigene Frau ist, mit der man schon etliche Jahre gelebt hat, merkt man dies kaum, weil man sie nicht mehr ansieht. Wie ein Einrichtungsgegenstand, an den man sich gewöhnt hat, den man wohl nicht kaufen würde, aber, da man ihn einmal besitzt, ruhig in seiner Ecke stehen läßt, so bildet sie einen Teil eures Lebens.
Diesen Glanz zwischen sechzehn und zweiundzwanzig nennt man die erste Blüte der Frau.
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Bei vielen Frauen gibt es eine zweite Blüte zwischen dreißig und vierzig Jahren.
Die Natur nimmt jetzt einen neuerlichen Anlauf. Großmütig gewährt sie der Frau eine weitere, die letzte Möglichkeit.
Diesmal ist es ein reines Geschenk, ein Luxus, der nur dem Glück dient. Vor dem Altern geht ein neues Leuchten von der Frau aus, wie sie es nicht mehr hatte. Sie wird wieder verführerisch wie eine Achtzehnjährige, darüber hinaus mit all dem Reiz erworbener Haltung, mit dem Raffinement, das zehn Jahre geben, die sie damit ausgefüllt hat, sich zu schmücken, um zu gefallen.
Wer genießt diese zweite Jugend?
Die Wahrscheinlichkeit, daß der Gatte, der seine Frau kaum mehr anblickt, ihre Wandlung bemerkt, ist sehr gering. Wenn er nicht blind ist und nicht die gesteigerten Kosten des Haushaltes fürchtet, wird er sich eilen, mit ihr ein Kind zu zeugen.