Claude Anet
Männer – Frauen und . . .
Claude Anet

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Die Männer

Der Verführer läßt sein Herz zuhause, wenn er auf Kriegspfaden schleicht. Nicht das Herz ist es, mit dem man Schlachten gewinnt.

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Sobald er gesiegt hat, verschwindet er. Dann verwünschen die Frauen die Stunde seiner Geburt. Sie bedauern – nicht, daß er kam, sondern daß er wieder ging.

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Lieben ist schwierig. – Geliebt werden ermüdend.

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Die Frau verlangt im voraus bedingungslose Zusicherungen eines ewigen Glückes. Dem erfahrenen und ehrlichen Manne, der Vorbehalte hinzufügt, nimmt sie dies übel. Getäuscht zu werden, zieht sie vor. – Es sei darum!

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Geschenke anzunehmen, selbst Geld, ist den Frauen erlaubt. Der Mann aber, der Frauenliebe benützt, um sein Vermögen zu vergrößern – wird getadelt. Ich frage, ob denn die Frauen kein Vergnügen in der Liebe finden, ob ihnen die Liebe bloß eine Lohnarbeit ist?

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In der allgemeinen Auffassung, daß einer Frau der Geldbeutel heiliger sei als ihr Herz und ihr Körper, scheint mir eine große Verachtung der Frauen zu liegen.

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»Ich schenke dir meine Seele, mein Herz, meinen Körper, alles Unaussprechbare, Geheime meiner Selbst – aber rühre nicht an meinen Geldbeutel, sonst schreie ich: ›Diebe!‹«

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Einer meiner Freunde, der vermögenslos ist und geliebt wurde, sagte mir:

»Warum scheuen Liebende davor zurück, etwas so Verächtliches wie das Geld zusammenzutun? Sicherlich nur deshalb, weil ihre Liebe armselig ist, weil sie wenig Vertrauen zueinander haben und nicht an die Beständigkeit ihres Verhältnisses glauben. – Als ich ohne Mittel dastand, hatte ich eine Geliebte. Ich liebte sie oder glaubte zumindest, sie zu lieben. Und doch verbarg ich ihr sorgsam meinen traurigen Zustand und vermied jede Anspielung darauf. Sie war sehr reich, ich zweifle nicht, daß sie glücklich gewesen wäre, mir helfen zu können, wenn sie geahnt hätte, wie es mit mir stand. Konnte ich aber den Gedanken erwägen, Geldfragen mit ihr zu besprechen? War es vorstellbar, daß sie mir ein Bündel Banknoten einhändigte?

»Seither habe ich oft an meine Gefühle und an mein Verhalten zu jener Zeit denken müssen und ich kam zu der Überzeugung, daß ich meine Geliebte doch nicht so lieb hatte, wie ich meinte, denn ich hätte ihr, wäre meine Liebe wirklich so groß gewesen, nichts verheimlichen dürfen; es hätte zwischen uns die vollkommenste Offenheit herrschen müssen. Wäre unsere Zusammengehörigkeit restlos gewesen, dann hätte ich zwischen ihrem und meinem Besitz keinen Unterschied gemacht.

»Darum stelle ich die These auf, daß der letzte und höchste Liebesbeweis, den ein vornehmer Mann zu geben vermag, darin besteht, daß er von seiner Geliebten Geld annimmt.«

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Die vorangehende Betrachtung wird vielleicht Entrüstung erregen. Man muß seiner Liebe, seiner selbst und seiner Geliebten sehr sicher sein, um Geld mit Liebesangelegenheiten vermengen zu können. Die Tatsache, daß dieser Gedanke mit Abscheu fortgewiesen wird, bezeugt das Mißtrauen, das wir gegeneinander hegen, beweist, daß wir schon beim Eingehen einer Liebschaft an ihr Ende denken und daran, keine Waffen aus der Hand zu geben, die gegen uns selbst verwendet werden könnten. Der Friede zwischen den Geschlechtern, selbst in der Liebe, ist nur ein Waffenstillstand.

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Ich speise manchmal am Stammtisch sehr reicher Geschäftsleute. Sie sind zwischen vierzig und fünfzig und große Schürzenjäger. Diese fünf oder sechs Herren kennen sämtliche Pariser Frauen der Welt und Halbwelt, die für Geld zu haben sind. Sie wissen, daß man Frau S. für eine Banknote eine Stunde lang in einem diskreten Haus des Madeleineviertels besitzen kann; daß man bei Frau von Z. Gefühle vortäuschen und eine Werbung markieren muß, aber daß sie immer eine große unbezahlte Rechnung bei ihrer Schneiderin hat; daß Frau R. auf ihr Vergnügen größeren Wert legt, als auf das Geld. Keine einzige Frau erscheint auf dem Markt von Paris, bei der diese Herren nicht ihr Glück versuchen. Sie wird nach ihrer Schönheit, dem Timbre ihrer Haut, ihrer Jugend, dem Wert ihrer Brüste klassifiziert. Über alle die mehr oder minder käuflichen Frauen, deren es in Paris so viele gibt, ist man in jeder Einzelheit unterrichtet; man kennt die up-and-downs ihres Vermögens, weiß, daß eine Panik an der New Yorker Börse Frau D., die den blendendsten Teint von Paris hat, zugänglicher macht, daß die schöne Frau M. die Sprache der Ziffern ausgezeichnet versteht, wenn ihre polnischen Pächter im Rückstand bleiben. Ja, diese Herren schätzen fast auf tausend Francs genau, wie teuer sie ein Abenteuer zu stehen kommen wird, und kennen immer den richtigsten Augenblick, in dem es gewagt werden kann.

Nach der Art, wie diese Männer von ihr reden, scheint die Frau für sie etwa zwischen einem Rennpferd und einem Börsenwert zu liegen. Sie loben ihre Vorzüge, tadeln ihre Schwächen, zergliedern sie in allen Einzelheiten, wie man es bei einem Vollblut tut; sie schätzen sie mit der gleichen Routine wie die Effekten an der Börse und kennen alle ihre Kursschwankungen ebenso genau, wie die der Rio-Tinto oder De Beers.

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Bewundern wir jene reichen Männer, die sich Zartheit bewahrt haben, und beklagen wir sie, weil als Ergebnis so vieler Erfahrungen in ihrem Innersten niemals der Gedanke zum Schweigen kommt, daß sie nicht um ihrer selbst willen geliebt werden.

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Wenn ein Mann ohne Einfluß und ohne Vermögen liebt und geliebt wird, neiden ihm selbst die Götter sein Glück!

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Bringt ein kluger Mann seine Huldigungen einer schönen Frau dar, dann fragen die weniger schönen Frauen ärgerlich: »Wie kann er sich bloß mit einer so dummen Person abgeben?«

Die intellektuellen Frauen verstehen nicht, was ein Mann sucht. Sie trachten, seine Gedanken zu fesseln, aber es handelt sich gar nicht darum, seinen Geist zu erobern. Vielleicht wecken sie sein Interesse, reizen werden sie ihn auf diese Weise nicht.

Der Mann wünscht nicht den Austausch abstrakter Gedanken mit der Frau. Er will eine unverbrauchte, erregbare Empfindsamkeit bei ihr finden und darin zur Natur zurückkehren, von der ihn seine geistige Arbeit entfernt hat.

Die Klugheit vermittelt nur eine Betrachtung der Dinge. Sie ermöglicht eine Vorstellung und nichts weiter; eine Vorstellung, die mit Logik aufgeputzt und mit schönen Gedanken verziert ist: sie macht uns das Vergnügen, einen Sinn und eine zusammenhängende, einleuchtende Erklärung für all das zu finden, was in Wirklichkeit vielleicht nur dunkles Chaos ist.

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Wenn man plötzlich entdeckt, daß man im Begriffe steht, sich zu verlieben, fühlt man eine reizvolle Erregung.

Selbst Männer, die schon zahlreiche Erfolge hinter sich haben, fühlen sie immer wieder. Eine Unruhe bemächtigt sich ihrer, die sie genau kennen; sie tun nichts, um sie zu bekämpfen. Sie genießen die ungewohnte Freude, in Gegenwart der geliebten Frau befangen zu sein; sie bleiben stumm oder ihre Worte überstürzen sich und stets erkennen sie selbst diese Nervosität, die ganz jener gleicht, die sich vor Antritt einer großen Reise einstellt. Ja, diese Unruhe bringt ihnen eigentlich erst Gewißheit über ihre Gefühle: sie erwarten sie mit Ungeduld, und begrüßen ihre ersten Anzeichen voll Freude.

Eine andere köstliche Erregung: das Zusammentreffen mit der geliebten Frau, wenige Stunden, nachdem sie sich endlich ergeben hat, in Gesellschaft. Diese Erregung ist von ganz besonderem Reiz, wenn man der erste Geliebte ist.

Dort steht sie unter dem strahlenden Licht der Luster. Gleichgültige bemühen sich um sie. Du betrachtest sie, und deine Blicke suchen unter dem Kleid ihren Körper.

Hättest du sie so wenig verändert vermutet? Sie ist nicht anders als sie gestern und alle Tage war. Sie spricht von diesem, von jenem, als wäre nichts in ihr Leben getreten; gar nicht, als ob sie wenige Stunden früher in deinen Armen voll Glück geweint und gejauchzt hätte. Fast beginnst du zu glauben, es habe sich wirklich nichts zwischen euch ereignet. Du suchst die Spur deiner Lippen auf ihren Schultern; sie ist verschwunden. Dein Blick gleitet tiefer, eine heiße Welle strömt durch deine Adern. Was allen anderen verborgen bleibt, dir wurde es heute enthüllt. Du hast sie besessen, dir allein gehört sie. Und nach welchen Kämpfen . . . Diese Dummköpfe, die nichts ahnen!

Noch hat sie dich nicht gesehen; doch sie hat dich erraten, sie fühlt deine Nähe. An diesem Abend ist sie schöner als je zuvor. Ihre ein wenig umränderten Augen glänzen feuriger; ihre Haut, die von deinen glühenden Küssen bedeckt wurde, strahlt im Widerschein des Glücks. Du hältst dich abseits, du fürchtest, man könnte die Schläge deines Herzens vernehmen.

Endlich wendet sie den Kopf. Eine Sekunde lang sucht ihr Blick den deinen, dringt in dich ein. Du schließt deine Augen in Wollust und inmitten des Festes, von Lichterglanz und blitzendem Schmuck, von klingender Tanzmusik und fröhlichen Gesprächen umgeben, siehst du sie mit einem Male wieder, wie sie bloßfüßig über den Teppich deines Zimmers eilt.

*

B. hat stets nur blühende Frauen geliebt, die bestimmt schienen, schöne Kinder zur Welt zu bringen. Und jedesmal, wenn er eine Frau liebte, hatte er das gebieterische Verlangen nach einem Kind. Er wollte sie besitzen, sich an ihr erfreuen, doch auch ein Kind mit ihr zeugen. Der Gedanke beherrschte ihn, daß sein Blut in dieser schönen Frau sich entwickeln und weiterleben, daß ein neues Wesen aus dieser kurzen Begegnung entstehen würde.

Niemals hat er den Frauen, denen er huldigte, diesen seinen Wunsch verborgen.

»Ich sehne mich nach einem Kind von Ihnen, nach einem Wesen, das unser Fleisch und Blut auf unlösliche Weise vereint.«

An solche Liebeserklärung sind die Frauen von den Verführern nicht gewöhnt!

Zu ihrer Ehre sei berichtet, daß von B. erzählt wird, er habe zahlreiche und ungewöhnliche Erfolge gehabt, auch dort, wo die Bemühungen vieler anderer vergeblich blieben.

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Es gibt Männer, die durch Liebe sentimental werden. Wenn sie verliebt sind, bringen sie kaum ein Wort heraus und sind unfähig, ihre Gefühle anders als durch Tränen auszudrücken. Solange sie nicht lieben, machen sie den Frauen geschickt den Hof, wenn aber ihr Gefühl erwacht, sind sie vernichtet. Für solche Männer – und als ein Mann gleicher Art – schrieb eigentlich Stendhal sein Buch über die Liebe. »Ein Übermaß an Erregung lähmt eine zärtliche Seele«, sagt er etwa.

Die der großen Leidenschaft Fähigen sind aber keine Träumer. Sie sind Männer, bei denen die Liebe alle Energien verdoppelt. Wenn sie lieben, gehört ihnen die Welt und nichts widersteht ihrem Ansturm. Waren sie vorher schweigsam, so werden sie beredt; ungeahnte Kräfte sind in ihnen entfesselt.

Die Träumer behaupten, daß nur sie zu lieben verstehen, und daß Liebe sich nur in Tränen ausdrückt. Die Frauen denken anders.

Ich kenne einen jungen, schönen, verführerischen Mann. Er hat viele Erfolge. Manche Frau verliebte sich in ihn, ihm aber war alles nur reizvolles Spiel. In gewissen Kreisen gilt er unwidersprochen als Don Juan. Er findet Frauen gegenüber den rechten Ton, er macht ihnen lebhaft und in leichter Art den Hof und beurteilt sie mit richtiger Menschenkenntnis. Er erobert sie, doch er liebt sie nicht.

Sobald er zu lieben beginnt, verflüchtigt sich seine Klugheit, seine Sicherheit, sein Witz. Er ist verstört, verliert jede Herrschaft über sich, spricht nur in Gemeinplätzen; er fühlt seine Ungeschicklichkeit, wird immer befangener, macht sich schließlich unmöglich und wird nach Hause geschickt. Diesem unglücklichen Mann gelang es nicht, die beiden einzigen Frauen, die er leidenschaftlich liebte, auch nur zu berühren.

Sein Gegensatz ist der Mann, der niemals, auch zur bloßen Unterhaltung nicht, irgendeiner Frau den Hof machte, ohne wenigstens die Spur eines Gefühls für sie zu empfinden. Bei allen, in die er verliebt war, hatte er Erfolg. Eine dieser Frauen vertraute mir ihren Eindruck an (jedesmal, wenn eine Frau etwas Wahres und Interessantes mitteilt, spricht sie in der dritten Person und läßt die Erfahrung, die sie selbst machte, von einer Freundin wiedergeben. Um den Bericht zu vereinfachen und auch um der Wahrheit gerecht zu werden, will ich die direkte Rede wieder herstellen):

»Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, vermag zu ahnen, was X. imstande war, wenn er eine Frau liebte. Unwiderstehliche Kräfte strahlten von ihm aus. Man wehrte sich solange es möglich war. Aber man fühlte sich am ersten Tage verloren, an dem er seine Belagerung begann.«

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Es gibt Leute, die in den Augenblicken stärkster Leidenschaft die Fähigkeit bewahren, sich selbst handeln zu sehen. Ein gewissenhafter Beobachter steht unbeteiligt neben den Torheiten des Verliebten.

Der schöne Bertrand von R. erzählt darüber: »Oft litt ich unter dieser Spaltung meines Wesens und sonderbarerweise seltener dann, wenn ich mit Frauen bloß spielte, als wenn ich sie liebte. Einmal kannte ich die große Leidenschaft, die einen ganz aufwühlt, die einem Schlaf und Essenslust raubt. Nur unter Schwierigkeiten konnte ich mich der Frau, die ich liebte, nähern; es gab fast unüberwindliche Hindernisse zwischen uns. Ich liebte sie schon drei Monate, ehe es mir gelang, mit ihr allein zu sein, und verdankte es schließlich nur einem der Zufälle des Pariser Lebens, daß ich sie eines Tages im Wagen nach Hause bringen konnte. Kaum waren wir losgefahren, als ich zu sprechen begann; mit einer durch das lange Warten zum Fieber gesteigerten Leidenschaft stammelte ich unzusammenhängende, glühende Worte. Es war eine richtige Liebeserklärung mit allen Steigerungen und den wundervollen Unsinnigkeiten, wie sie von der Liebe eingegeben werden. Und während der ganzen Zeit, die dieses Liebesgestammel dauerte – und es dauerte lang – wunderte ich mich über den ungewohnten Klang meiner Stimme. Sie war verändert, fremd; ich näselte abscheulich und – ich war mir dessen bewußt. Während ich mit aufrichtiger Wärme zu ihr sprach, sagte ich zu mir selbst, wie ein kühler, unbeteiligter Beobachter: »Du bist ja ganz abgeschmackt, mein Lieber. Du sprichst mit der lächerlichen, unerträglichen Stimme eines Schmierenkomödianten. Ja, meinst du, auf diese Weise das Herz einer Frau zu rühren?« Und ich bemühte mich, anders zu reden, ich brachte zwei, drei Worte kühl mit meiner gewohnten Stimme heraus, dann riß die Leidenschaft mich wieder fort, ich näselte aufs neue.

»So barg sich in der erregendsten Stunde meines Lebens ein Zeuge, der mich höhnend kritisierte, in mir selbst.«

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Erfolgreiche Männer, die ein wenig klarblickend sind, werden unschwer beobachten, daß ihre Erfolge in dem kleinen Kreis, der an sie gewöhnt ist, nicht viel Mühe kosten.

Oft genügt eine einzige Frau, die sie erobert haben, um ihnen eine Zukunft als Don Juan zu sichern.

Wenn sie klug sind, bleiben sie in der Gegend, deren Sitten und Bewohner sie kennen. Dort umgibt sie ein Glorienschein, man hält sie für unwiderstehlich und das genügt, damit sie es werden.

Die Gesellschaft der Großstadt, die in so unendlich viele Sprengel zerfällt, kennt diesen ›Hahn im Korb‹ in zahllosen Varianten. Jeder dieser Sprengel hat seinen erfolgreichen Mann, der ihn beherrscht. Er kennt alle Eigenheiten jedes Dazugehörigen und alle Pfade, denen man folgen muß, um ans Ziel zu gelangen. Er schlägt seine Schlachten auf dem Gelände, das er wählt. Seine Klugheit besteht darin, sich in kein unbekanntes Gebiet zu wagen.

Kommt er eines Tages doch in einen fremden Kreis, dann versucht er vergeblich, sich hervorzutun. Sein Bemühen, eine siegreiche Miene zur Schau zu tragen, ist zwecklos. Man weiß weder, wer er ist, noch was er erlebt hat. Und wenn jemand von ihm sagt: »Oh, das ist einer! Der hat schon manches Herz gebrochen!« dann werfen die Frauen kaum einen Blick auf ihn und sagen wegwerfend: »Ist es möglich? Sie müssen irren!«

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Wird ein zartbesaiteter Mann, der eine Geliebte sucht, daran denken, sie von der Straße zu holen? Wird nicht die bloße Tatsache, daß sie sich ansprechen ließ, ausreichen, um sie in seinen Gedanken den leichtfertigsten Frauen anzureihen und die köstliche, unentbehrliche Zwischenstufe der Idealisierung unmöglich zu machen, die Stendhal so geistvoll »Kristallisation« nennt?

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Doch dem Vergnügen kann man auf der Straße begegnen. – Man zucke nicht verächtlich die Achseln! Ist es etwa nicht reizvoll, ein hübsches Mädchen zu erblicken, augenblicklich stehen zu bleiben und auf seinen beabsichtigten Weg zu verzichten, um ihr zu folgen? Zielbewußt schreitet sie aus; ihr ganz nahe, von ihrem Duft umhüllt, gehst du fröhlich dahin, und deine Gedanken umkreisen schon das bevorstehende Abenteuer. Du betrachtest sie . . . Wer ist sie? Wie mag sie leben? Hat sie wohl die unbeschwerte Seele einer Frau, die leicht zu erobern ist? – Wie entzückend müßte sie entkleidet sein . . . Wie eine schöne Vase wollte ich die Rundung ihrer Hüften streicheln. Und diese bezaubernden Haare . . . Was wird sie tun, wenn ich sie anspreche? – Ich muß sie unterhalten, sie zum Lachen bringen; eine Frau, die lacht, ist entwaffnet . . . Ich fühle, daß ich das Spiel gewinnen kann. Wir werden einander eine schöne Stunde unseres Lebens danken . . . Noch weiß ich nichts von ihr. Noch kenne ich sie nicht. Unvermutet werde ich in ihr Dasein treten, um ebenso wieder zu verschwinden. Das wahre Vergnügen ist kurz und kennt kein Morgen. Eilen wir, es zu halten.

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Erfahrene Männer aber wissen, daß selbst das Vergnügen nach einem längeren Vorspiel verlangt. Sie sind nicht gesonnen, es in Gesellschaft einer zweifelhaften Straßenbekanntschaft in einem Hotel Garni zu genießen. Sie kennen die Gefahren solcher Begegnungen viel zu gut. Wenn sie darum einer Frau auf der Straße folgen, sind sie klug genug, sich nur ein Weilchen fesseln zu lassen; das reizende Abenteuer aber knüpft und löst sich nur in ihrer Phantasie.

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Manche Männer, die sonst ganz zart besaitet sind, lieben Frauen, die jeder haben kann, die Ungezählte schon besessen haben, die sich oft für eine einzige Nacht verschenken.

Trotzdem lieben manche Männer solche Frauen; sie flüstern ihnen zärtliche Worte zu; forschen nach ihren tiefsten Wünschen, beben leidenschaftlich in ihren Armen.

Die endlose Reihe ihrer fernen und unmittelbaren Vorgänger, aller jener, die in früheren Nächten beglückt wurden, stört sie nicht. Sie lieben diese Weiber nicht weniger als man eine Frau lieben kann, die sich unberührt schenkte, um niemals einem anderen zu gehören.

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Diese Vorliebe für Dirnennaturen ist weniger selten als man glauben könnte. Das Bewußtsein, daß eine Frau schon anderen angehörte, erregt manche Männer, statt sie abzustumpfen. Sie wollen einen Körper besitzen, der schon anderen diente. Wie häufig werden solche Mädchen zu legitimen Gattinnen!

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C. kommt um sechs Uhr abends in den Klub. Er stürzt an einen Schreibtisch und beginnt einen Brief. Während seine Feder über das Papier läuft, hört man ihn behaglich seufzen; er unterbricht sich, seine Blicke schweifen in unbestimmte Fernen, seine Augen leuchten. Bald erträgt er das Schweigen nicht mehr. Er wendet sich an D., der unweit von ihm eine Zeitung liest.

»Diesen Brief«, spricht er zu ihm, »schreibe ich an die Frau, die ich anbete. Ich komme eben von ihr. Es waren unvergeßliche Stunden! Oh, welcher Taumel, welche Zärtlichkeiten! – Ich bin noch ganz aufgewühlt; ich fiebre noch von ihren Küssen und muß ihr schon schreiben.«

Wieder eilt seine Feder über das Papier. Endlich ist er zu Ende, er gibt den Brief in einen Umschlag, winkt einem Boy und sagt ihm mit lauter Stimme:

»Trage diesen Brief in die Rue Bassano Nr. 65, es ist ein Privathaus, und übergib ihn der Dame selbst.«

Dann nimmt er behaglich neben seinem Freund Platz und erklärt ihm des langen und breiten, wie sehr die Pflicht der Verschwiegenheit die Reize der Liebe erhöhe.

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F. ist viel eingeladen. Er ist mit zahlreichen Frauen befreundet. Er betritt einen Salon und begrüßt zehn reizende Damen, mit denen er sich unterhalten könnte. In einem versteckten Winkel läßt er sich schließlich mit einer von ihnen nieder. Er spricht leise zu ihr, er findet die richtigen, fast zärtlichen Worte. Für einen Augenblick ergreift er ihre Hand, seine Augen funkeln; lächelnd, gewährend hört sie ihn an.

Man beobachtet sie aus der Ferne. Freunde sprechen wohlgefällig: »Sie lieben einander oder sie werden einander lieben; sie sind beide frei. F. ist ein diskreter, verläßlicher Junge, und sie ist reizend; schüchtern, stolz und bereit, mit einem wahren Freund glücklich zu werden. Dieser Abend wird sicher alles entscheiden.«

Indes vergeht die Zeit. F. erhebt sich, doch er kann sich kaum entschließen, sich von seiner Gefährtin zu trennen. Endlich nimmt er Abschied, verläßt er das Haus. Er wird bestimmt seine Freundin am Tor erwarten, um sie nach Hause zu geleiten. Endlich werden sie das verdiente Glück genießen!

Doch nein. Kaum ist er auf der Straße, ruft er einen Wagen und gibt dem Lenker die Adresse eines Hauses, wo er in stets bereiten Armen die Glut kühlen wird, die eine andere in ihm erregte.

 


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