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Parzival und sein Dichter.

Der Parzival, eine mittelalterliche, erzählende Dichtung von größerem Umfang, ist das Meisterwerk Wolframs von Eschenbach. Dieser war einer der größten Dichter jener ersten Blütezeit unserer Literatur, welche etwa ums Jahr 1100 begann, denn ihm gelang am besten die Darstellung und Verherrlichung jener beiden Mächte, die sein Jahrhundert am gewaltigsten beherrschten: das weltliche Rittertum in seiner reinsten Vollkommenheit und die neuerwachte, innige Glaubensschwärmerei, welche in den Kreuzzügen zur wahrhaften Tat ward. Auch Wolfram von Eschenbach war ein Ritter; auch er zog mit ins Gelobte Land. Und hier am Heiligen Grabe des Erlösers erglühte in ihm jene feurig-fromme Begeisterung, welche alle seine Dichtungen durchleuchtet. Ob auch sein kampfgewohnter Arm, der das Schwert gar wacker zu führen verstand, sich nimmer der Feder bequemen wollte, so daß Wolfram, der Schreibkunst nicht mächtig, alles, was er ersann, einem Schreiber diktieren mußte – das war keine Fessel für seinen reichen Geist. Der Parzival zeigt uns aufs herrlichste, wie sein ritterlich-frommer Dichter zu den lichten Höhen reinster Gottesverehrung sich zu erheben und zugleich in das Seelenleben seiner Zeitgenossen sich zu vertiefen wußte. Und daß er beides zu so ergreifendem Ausdruck brachte, das sichert ihm und seinem Werk Unsterblichkeit für immer.

Niemand sollte verschmähen, wenigstens Stoff und Auffassung desselben kennen zu lernen, denn es ist Pflicht, die geistige Arbeit der Väter zu achten, welche das erste Sprossen und Sprießen der deutschen Dichtkunst gepflegt, die nun – seit mehr denn sechs Jahrhunderten – zu so mächtigem Baum erwachsen ist, daß sie jedem unserer Zeit reiche Ernte beut an Blüten und Früchten.

Dies der Inhalt des Parzival:

War einst ein Prinz von Anjou mit Namen Gamuret, der hatte als tapferer Ritter im Mohrenlande wider die Ungläubigen gestritten. Da erhielt er Kunde, daß in seinem Vaterlande die junge Königin Herzeleids von ihren Feinden hart bedrängt werde. Und treu den obersten Gesetzen der Ritterlichkeit, »allen Bedrängten beizustehen« und »höchste Ehre zu suchen im Dienste edler Frauen,« eilte er alsbald nach Anjou zurück und von dort mit einem unter seinen Lehnsgesessenen geworbenen Häuflein der Königin zu Hilfe. Leicht gelang es seiner Tapferkeit, all ihre Feinde zu besiegen, und dankbar reichte sie ihm dafür die Hand zum Bunde, erhob ihn zu ihrem Gemahl und ließ ihn über ihr Königreich herrschen.

Aber die friedlichen Herrscherpflichten konnten Gamurets kühnen Heldensinn nicht lange fesseln. Nach wenig Monden schon nahm er Urlaub von seinem Hofe und seiner holden Herrin, um in neuen Rittertaten neuen Ruhm sich zu erwerben. Mit Tränen nur ließ ihn Herzeleide ziehen, unheilverheißende Träume hatten ihr den Sinn beschwert.

Und ach, die Träume behielten recht. Nur kurze Zeit verfloß, da brachte man ihr die Nachricht seines Todes. Im blutigen Kampf war er gefallen von Feindes Hand. Ihr Sohn, der kleine Parzival, der erst wenige Tage alt, war nun vaterlose Waise. Da – wie Wolfram von Eschenbach sagt – »ertrank die Freude der Königin über ihr Kind in einem Meer von Klagen.« Jetzt trug sie ihren Namen wohl mit Recht, denn bitteres Leid war ihrem Herzen widerfahren. Schaudern ergriff fortan ihre Seele, wenn Kampf und Ritterschaft sie preisen hörte, denn ohne diese, meinte sie, wäre ihr lieber Gemahl sicher noch am Leben. Und damit ihr einziges Kind ihr nicht auch dereinst durch so frühen Tod entrissen werde, beschloß sie, ihren Schmerzenssohn fern von der Welt in Gottesfurcht zu friedlichem Tun zu erziehen.

Von wenigem Gesinde nur begleitet, zog sie sich alsbald in tiefe Waldeinsamkeit zurück, und jedermann ward streng verboten, vor Parzival von Waffen oder Kampf oder Rittertum zu sprechen. Zahme Vögel und junge Rehe gab sie ihrem Kinde zu Spielgefährten; Blumen und Schmetterlinge waren seine Lust im Sommer, und die funkelnden Sterne, die am Himmel aufleuchteten und erloschen, seines jauchzenden Verlangens Ziel. Aber auch den Schöpfer all dieser Herrlichkeit, den lieben Gott, lehrte die Mutter Parzival erkennen, »Wie ist Gott?« fragte da oft der Knabe.

»Gott ist lichter als der Tag,
Lichter als der Sonne Schein,«

lautete die Antwort. Die bewahrte er wohl in seinem Herzen. Doch wie die Königin sich auch mühte, ihres Kindes Gemüt unwissend zu erhalten in allen kriegerischen Dingen, der ritterliche Heldensinn, vom Vater angeerbt, ließ nicht für immer sich bannen. Ohne daß er je Bogen und Pfeile gesehen, schnitzte der Knabe sich solche im kindlichen Spiel, zielte damit auf des Waldes Vögelein und traf. Als dann freilich der Getroffene, die blutige Todeswunde in der Brust, mit matten Schwingen zu seinen Füßen niederfiel, da stand der junge Schütz erschrocken da. Und als er gar erkannte, daß der kleine bunte Sänger, dessen süße Töne ihn so oft erfreut, nun wirklich tot, ganz tot, da weinte er laut. So stritten erwachende Jagdlust und fromme Herzensweichheit in seinem jungen Gemüt.

Älter geworden, war er einst ganz allein weit hinaus gestreift. Da ritten durch den dunklen Tann drei Ritter auf ihn zu. Sie hatten sich verirrt und wollten den Weg von ihm erfragen. Goldene und silberne Rüstungen hüllten sie ein, in denen die Sonne ihre blitzenden Strahlen spiegelte. Geblendet sank er in die Knie, faltete die Hände und rief: »Seid ihr Gott?« Denn die Mutter hatte ihn ja gelehrt: »Gott ist lichter als der Tag, Lichter als der Sonne Schein.«

Die Reiter lachten: »Wir sind Ritter!« Um seiner einfältigen Frage willen hielten sie ihn anfangs für närrisch; aber als sie seine langen Locken, die sinnige Schönheit seines Antlitzes und die vornehme Anmut seiner Gestalt näher ins Auge faßten, da erkannten sie, daß er von edler Herkunft sein müsse, und es dauerte sie, daß er so aller Kenntnis des Rittertums bar. Sie stiegen von ihren Pferden und schilderten ihm Turnier und Kampfspiel, Heldentod und Siegespreis. Feurig erglänzten Parzivals Augen, und sein Herz klopfte. »Und wo? wo erringe ich Gleiches?« so fragte er ungestüm. »An König Artus' Ritterhof,« lautete die Weisung. Dann ritten die Fremden davon. In beflügelter Schnelle eilte der knabenhafte Jüngling zu seiner Mutter zurück und bat sie, ihn hinausziehen zu lassen in die Welt, auf daß auch er ein Ritter werden könne. Zu Tode fast erschrak da Herzeleide. So war all ihre Vorsicht umsonst gewesen? Sie sollte ihren Sohn hingeben, um ihn zu verlieren, wie einst ihren Gemahl? Das dünkte sie unmöglich, und mit beweglichen Worten flehte sie zu Parzival, abzustehen von seinem Verlangen. Dieser aber blieb fest. Heißes Sehnen nach irgend etwas Großem – war es nach Ruhm, nach Ehre? – brannte plötzlich in seiner Brust.

Da gewährte die Königin seine Bitte, hoffte aber im stillen, ihn bald zu sich zurückzuführen, wenn sie ihm die Welt verleide, nähte ihm deshalb ein Narrenkleid von grobem Sacktuch und geflecktem Kalbsfell, hüllte ihn darein und erwartete nun, daß er, verlacht und verspottet von den Menschen, dieselben ebenso schnell wieder fliehen werde, wie er sie jetzt suche.

Dem war aber nicht so. Mit unbefangener Festigkeit ging Parzival seinen Weg. Zwar erregte er hier und da durch seine Weltunerfahrenheit Anstoß und durch seine Kleidung Gespött, aber er kümmerte sich wenig darum: König Artus' Hof König Artus' Hof oder Tafelrunde, welche aus zwölf Ritter bestand, war der Sage nach der oberste Gerichtshof aller weltlichen Ritterschaft. Es galt für die höchste Ehre, von ihnen, die in allen kriegerischen Waffenkünsten wie in höfischer Sitte gleich erfahren, zum Ritter und Genossen erwählt zu werden. zu erreichen, war sein einziger Gedanke.

Viele Wochen und Tage wanderte er so fürbaß. Da traf er auf einen Ritter, der war ganz in ein rotes Gewand gekleidet, und gebärdete sich gar zornig. Parzival getraute sich nicht, ihn anzureden, aber als der rote Ritter den jugendlichen Wanderer erschaute, trat er selbst ihm entgegen und fragte ihn, ob er es übernehmen wolle, Botschaft vom roten Ritter zu bringen an König Artus' Hof; er sei von der Tafelrunde gekränkt, und dafür wolle er Herausforderung senden, daß einer ihrer besten Ritter mit ihm kämpfe auf Tod und Leben, um seiner verletzten Ehre genugzutun. Bereitwillig versprach Parzival, ihm diesen Dienst zu leisten. »Aber wo finde ich das ritterliche Hoflager?« – »Ganz nahe! Im Tale hinter jenen Hügeln erhebt sich die festliche Halle.« Dem Jüngling klopfte das Herz. Endlich also sollte er das Ziel erreichen, dem er so lange entgegenstrebt! Eilenden Schrittes stieg er hernieder ins Tal, sah die Halle in schimmernder Pracht, sah reichgekleidete Knappen davor behende sich tummeln, sah Streitrosse und Zelter und hörte die bellende Meute der Rüden. Aber als er sich näherte, sammelte sich alles um ihn mit Spott und Lachen, und lange währte es, ehe man sein Begehren erfüllte, ihn zum König zu führen. An der Seite der lieblichen Königin Ginevra sitzend, umgeben von seinem ganzen Hofstaat, so empfing ihn dieser. Ehrerbietig, doch ohne Scheu entledigte sich Parzival der Botschaft des roten Ritters. Seine Schönheit und seine edle Anmut erfüllten alle mit Bewunderung und ließen die seltsame Hülle übersehen, in welcher er steckte. Aber als er seine Rede mit der Bitte schloß, ihn selbst mit dem roten Ritter kämpfen zu lassen, damit er endlich die ritterlichen Sporen und Roß und Rüstung sich erwerbe, da ging doch ein Lächeln durch die stattliche Versammlung, und eine schöne Hofdame, Kunnevare genannt, lachte gar laut. Darob freuten sich alle, denn die schöne Kunnevare war trübsinnig gewesen länger denn ein Jahr, und niemand hatte vermocht, ihr ein Lächeln abzugewinnen. Nur Ritter Kaye, der roheste von allen, fuhr auf im Zorn und schlug sie. Er hatte sich seit langem ihrem Dienst geweiht – nun wollte er nicht, daß von einem anderen Huld oder Freude ihr werde.

Inzwischen hatte Parzival auf seinem Verlangen, mit dem roten Ritter zu kämpfen, bestanden, und König Artus hatte es ihm zuletzt gewährt. Der ganze Hof eilte hinaus auf den Plan, den ungleichen Kampf mit anzusehen. Er – halb Knabe, halb Jüngling, im Narrenkleid – wider einen erprobten Ritter in Helm und Rüstung! Aber siehe – das Wunder geschah. Obwohl des Fechtens ganz unkundig, besiegte Parzival dennoch den roten Ritter und erschlug ihn. Nun war nach der Sitte jener Zeit Schwert und Lanze, Roß und Rüstung des Gefallenen sein. Viele der jungen Knappen waren schnell bereit, ihn damit zu wappnen, ihn für seine Tapferkeit zu loben. Er aber schämte sich, denn erst hier, wo er die edelsten Ritter von Angesicht zu Angesicht sah, erkannte er, wieviel ihm noch fehle, um ihnen gleich zu sein. Bescheiden jedes Lob zurückweisend, bat er König Artus, ihm Urlaub zu gewähren, und ritt davon, nachdem er der schönen Kunnevare noch hatte seinen Gruß entbieten und ihr sagen lassen, all seine künftigen Heldentaten, Siege im Turnier und auf blutigem Feld sollten nur zu ihrem Ruhm geschehen, damit er wieder gutmache, daß sie einst um seinetwillen habe einen Schlag erdulden müssen. Solche Huldigungen waren damals Sitte im höfischen Frauendienst.

Nun ritt Parzival an den Hof des Ritters Gurneman. Das war ein ehrenfester alter Herr, bei welchem die jungen Edelknaben des Landes in ritterlicher Zucht und Sitte erzogen wurden, lernte denn auch er alles, was zum echten Rittertum gehörte, lernte sein Roß tummeln, Beinschiene und Harnisch schnallen, Lanzenwerfen und Stoßfechten, Schwert und Speer gar kunstgerecht schwingen, lernte streitbare Scharen zur offenen Feldschlacht ordnen und führen; er lernte feste Plätze berennen und sie verteidigen, lernte bei Mahl und Trunk auf höfische Art sich benehmen, und lernte auch fein sittig im Frauengemach sich bewegen, mit zierlicher Rede zur holden Herrin sprechen.

Länger denn vier Jahre blieb Parzival unter Gurnemans Leitung. Und als er danach Abschied nahm, die gewonnene Ritterlichkeit in freier Heerfahrt zu erproben, da hatte er aller Herzen sich gewonnen. Alt und jung sah ihm traurig nach, und der Burgherr gab ihm noch viel gute Lehren mit auf den Weg: »Gott zu suchen und den edlen Frauen zu dienen überall, die Schwachen zu schützen, den Bedrängten beizustehen, unbewehrten Feind nie anzugreifen, nimmer zu fragen, wo Vertrauen nicht freiwillig entgegenkommt, denn Neugier ist die Schwäche der Weiber und der Toren.«

Die Brust von kühnem Mut geschwellt, zog Parzival nun zum zweitenmal hinaus in die Welt. Wie anders jetzt als damals, da das Narrenkleid ihm noch die Glieder hüllte! Auf mutigem Streitroß ritt er, glänzender Zierat schmückte Helm und Rüstung, in der Sonne funkelten Schwert und Schild. Und wo man auf seiner weiten Fahrt zu Kampfspiel und Turnier ihn lud, überall blieb er Sieger, und alle Besiegten schickte er fernem Gelübde treu zur schönen Kunnevare an König Artus' Hof. Dort priesen diese hoch den tapferen Degen, dem sie unterlegen, und so widerhallte bald das ganze Land von fernem Ruhm.

Einst kam er in ein Nachbarreich, drin tobte Kriegsgeschrei und Kampfgetön. Auf sein Befragen erfuhr er, daß des Landes jugendliche Königin, Kondwiramur geheißen, vom eigenen Oheim in ihrer Hauptstadt belagert werde. »Den Bedrängten beistehen und den edlen Frauen dienen,« diesem ersten Gebot alles Rittertums wollte Parzival folgen, als er durch einen Herold der jungen Königin seinen Gruß entbieten und sich ihr als Kämpfer antragen ließ. Mit Freuden ward er angenommen und übernahm alsbald erfolgreich die Verteidigung der Feste. So geschickt wußte er die vorhandenen Streitkräfte zu verwenden, daß der feindselige Oheim gar bald das Nutzlose seines Bemühens erkennen, die belagerte Stadt freigeben und gedemütigt abziehen mußte.

Da war großer Jubel in Kondwiramurs Reich. Sänger und Helden priesen Parzival als des Landes Erretter, und in Dankbarkeit vermählte sich ihm die jungfräuliche Königin.

Nun war Parzival König. Aber seinem Tatendrang war noch nicht genug geschehen. Er beschloß, aufs neue in die Welt zu ziehen und vorerst seine Mutter Herzeleide aufzusuchen, um sie teilnehmen zu lassen an seinem Glück. Allein und ohne Knappen machte er sich auf, dem Lauf der Sonne nach verfolgte er seinen Weg. Da gelangt er eines Abends an einen klaren See, sieht Fischer an demselben und befragt sie um den Weg zur nächsten Herberge. Schweigend und düster deutet einer von ihnen, der prächtig gekleidet, auf einen engen, rauhen Felsenpfad, der ins nahe Gebirge führt. Parzival folgt demselben und kommt alsbald an eine Burg, die ihm das Großartigste dünkt, was er je gesehen. Mauerwerk von Marmelstein umgibt Burghof wie Palast, vergoldete Kuppeln und Türme ragen zum blauen Himmel empor, und zierliche Spitzbogen wölben sich über Tür und Fenster. Aber als er auf den Hof reitet, ist alles öde und verlassen. Totenstille herrscht ringsum. Selbst muß er sein Pferd versorgen, und erst als er in die Halle tritt, sieht er sie gefüllt von Hunderten edler Ritter, schöner Frauen und jugendlicher Knappen. Alle sind in köstliche Festgewänder gehüllt, aber von Schwermut tief darniedergedrückt. Sie trauern um ihren König Anfortas, der krank, mit wärmendem Pelzwerk bedeckt, vor dem Kamin ruht. Anfortas ist der Fischer, der Parzival heraufgewiesen. Staunend steht dieser vor dem Unbegreiflichen, aber er wagt nicht zu fragen. »Neugier ist die Schwäche der Weiber und der Toren.« Da öffnet sich die Tür, und ein feierlicher Zug durchschreitet den Saal. Voran vier Knappen, welche eine bluttriefende Lanze tragen; bei ihrem Anblick weinen alle laut. Dahinter schwebt die holdseligste aller Jungfrauen, in den erhobenen Händen hält sie eine Schale von funkelndem Rubinstein. Alle Fürstinnen und Edelfräulein umgeben sie, brennende Kerzen, Blumen und Weihrauch tragend, die würdigsten Ritter folgen als Ehrengeleit. Parzivals Staunen steigert sich zur Ehrfurcht, aber sein Mund bleibt geschlossen, bleibt auch dann noch geschlossen, als König Anfortas ihn mit seinem eigenen Schwert gürtet und ihn kummervollen, eindringlichen Blickes auffordernd anschaut. Parzival versteht diese stumme Sprache nicht, und so verschwindet für ihn alle Herrlichkeit, sobald er sich zur Ruhe zurückzieht. Als er am anderen Morgen erwacht, ist die Burg wieder wie ausgestorben. Mit eigenen Händen muß er wiederum sein Pferd satteln und ohne Abschiedsgruß schweigend davonreiten. Er ahnt nicht, wieviel er versäumt. Hätte er gefragt, so würde er erfahren haben, daß er auf dem Montsalvage sei, daß die Burg des heiligen Gral und daß der heilige Gral eben jene Rubinenschale sei, in welcher die Engel einst das Blut unseres Erlösers Jesu Christi auffingen, als er am Kreuze hing und mit jener Lanze sein Herz durchbohrt ward. (Daher der Name »Gral«, der aus dem Französischen stammt: sang réal = wirkliches Blut.)

Der heilige Gral war der sichtbare Inbegriff des ewigen Heils hier auf Erden, er war der höchste Segensspender, und deshalb machte auch nur die höchste menschliche und christliche Vollkommenheit würdig, zu seinen Rittern, zu seinen Hütern zu gehören. Und um König der letzteren sein zu können, mußte der Körper ohne Fehl und die Seele rein und lauter sein, wie sie aus des Schöpfers Hand hervorgegangen. Nicht der leiseste Hauch eines bösen Gedankens durfte sie jemals getrübt haben. Solcher Erwählten gab es nur wenige, aber Parzival war einer von ihnen und von dem kranken Könige Anfortas zu seinem Nachfolger bestimmt worden, als derselbe sein Ende nahe fühlte. Doch durfte er ihm die Krone nicht aufdrängen. Parzival, in den Bereich des heiligen Gral gebracht, mußte selbst das Verlangen kundtun, an seinen geheimnisvollen Segnungen teilzunehmen. Das hatte er nicht getan. Er hatte nicht gefragt, denn er hatte die Sehnsucht seiner Brust nach höherer Erkenntnis mit weltlicher Neugier verwechselt. Und er verstand auch jetzt nicht, welch seltsames Bangen gleich einer unbewußten Schuld sein Gemüt je mehr bedrückte, je weiter er sich von der Gralsburg entfernte. Langsamen Schrittes trug ihn sein Rößlein, der Zügel war seiner Hand entglitten, trüb und träumerisch hielt er das Haupt gesenkt und achtete es nicht, daß der Winter hereingebrochen war, daß Eis und Schnee ihn umgaben. Plötzlich hörte er hoch über sich in den Lüften einen scharfen Schrei. Ein Falke war auf eine wilde Gans gestoßen, hielt sie mit seinen Fängen gepackt, und drei rote Blutstropfen tropften aus ihrer Brust in den Schnee. Da hielt mit eisernem Schenkeldruck Parzival sein Roß und starrte wie gebannt auf dies seltsame Zeichen vor ihm. Heiße Sehnsucht nach seiner Gattin Kondwiramur ergriff ihn mit einemmal, aber er konnte den Bann nicht lösen, der ihn gefesselt hielt. So fand ihn endlich ein Ritter von der Tafelrunde König Artus', welcher in der Nähe hielt. Friedlichen Sinnes nahte sich ihm dieser und begrüßte ihn mit ritterlichem Zuruf. Parzival aber, plötzlich so seinem Sinnen entrissen, stürzt sich wie ein Wahnsinniger auf den, der ihn gestört und erschlägt ihn mit seinem Schwert. Erschrocken flieht der Knappe, der den Ritter begleitet hatte, zurück an den Hof und meldet das Geschehene. Da erhob sich König Artus im Zorn, denn wegen der heiligen Nähe der Gralsburg hatte er Waffenruhe geboten ringsum. Und diese war gebrochen! – gebrochen durch einen landfahrenden Fremden. Das forderte Buße. Zwölf seiner besten Ritter sendet der König aus, den Verwegenen zu strafen. Aber Parzival, welcher, nachdem er seinen Gegner getötet, wieder in den unnatürlichen Zustand grübelnder Starrheit zurückgefallen ist, empfindet ihr Kommen nur als neue Störung, und wiederum zieht er fast rasend vor Zorn sein Schwert. Ein Ritter nach dem anderen stellt sich ihm entgegen, aber einen nach dem anderen wirft sein starker Arm.

Endlich gelingt es dem Helden Gawan, Parzivals Bezauberung zu brechen, indem er die drei Blutstropfen im Schnee mit einem Tuch bedeckt, wie von einem Bann erlöst, schaut da der Streitbare um sich und schlägt aufatmend sein Visier zurück. Schnell versöhnt, reichen Sieger und Besiegte sich die Hand, und letztere führen ihren heldenhaften Überwinder im Triumph zum König. Aber schon kommt ihnen dieser entgegen, denn die vorausgesandten Knappen hatten ihm die Wunder von Tapferkeit geschildert, welche der Fremde vollbracht. Mit den höchsten Ehren ward Parzival empfangen und zur Halle geleitet, wo alles zu seiner Ankunft festlich bereitet war, denn König Artus wollte ihn an Stelle des Erschlagenen zum Ritter seiner Tafelrunde ernennen. Stolzer Jubel schwellte Parzivals Brust: er, der einst als knabenhafter Jüngling im Narrenkleid an diesen selben Hof gekommen und verspottet worden war, er sollte gerade hier die höchste Auszeichnung empfangen, welche weltlicher Ritterschaft überhaupt zuteil werden konnte! Von allen Lippen tönte sein Name, und glückwünschend und bewundernd umgaben ihn die Königin und ihre Damen. Da drängte sich mit einemmal ein grauses Weib in die glänzende Versammlung. Es war Kundry la Sorcière, die furchtbare Botin des Gral. Sie sprach den Fluch des Heiligtums über ihn aus, weil er in der nächsten Nähe des ewigen Heils geweilt und doch kein Verlangen nach ihm getragen habe. Dadurch, daß er nicht gefragt, habe er nicht nur für sich die seligen Wonnen des Grals verscherzt, sondern auch die Qualen des todkranken Anfortas verlängert, der nicht sterben dürfe, bevor er nicht den Würdigsten als Nachfolger für sich gefunden. Entsetzen ergreift alle Hörer bei diesen Worten, und schaudernd weichen sie von Parzival zurück. Noch eben der gefeierte Held, welcher den schwindelnden Gipfel höchsten Ehrgeizes ruhmvoll erreicht, sieht er sich plötzlich wie einen Aussätzigen gemieden. Bitterkeit im Herzen, wendet er sich ab, schreitet aus der Halle und reitet einsam vom Hofe. Kein Gruß schallt ihm nach, kein Freund gibt ihm das Geleite, planlos zieht er seines Weges. Der jähe Sturz aus der Höhe hat zerschmettert, was an geistiger Kraft und Ruhe in ihm lebte. Er hadert mit Gott, er fühlt sich nicht würdig, zu seiner Gattin in sein Königreich zurückzukehren, nur fort will er, nur fort.

Fünf Jahre lang irrte Parzival so kreuz und quer durch die Welt. Fünf Jahre lang trug er so die Last seiner Seele, in trotzigem Groll sich gegen Gott und sein Geschick bäumend. Die Schuld, welche er begangen, begriff er nicht, darum erkannte er die Strafe, die ihn getroffen, nicht zu Recht zu. Da kam er einst in ein enges Felsental, das in ödem Gestein sich düster dahinzog. Die Sonne erhellte es nicht mit ihren Strahlen, weder Moos noch Blumen schmückten seine starren Wände. Und doch hauste hier schon seit langen Jahren ein frommer Mann, ein Einsiedler, der, allen Freuden der Welt entsagend, nur seinem Gott lebte, mit strengen Bußübungen ihm diente. Zu diesem gesellte sich Parzival, und die milden Worte des heiligen Mannes schmolzen endlich den Starrsinn seines Herzens. Er beugte seine Knie, seine Sünden zu beichten. Und indem er sich also demütigte, ward seine Seele zu göttlicher Erkenntnis erhoben. Nun sah er mit einemmal klar, daß sein Frevel wider den heiligen Gral in Gleichgültigkeit und weltlicher Eitelkeit wurzelte. Daß er die menschlichen Satzungen irdischer Ritterschaft in seinem Herzen höher geschätzt hatte, als die göttlichen Gebote christlicher Gläubigkeit, das war's, was ihn unwert gemacht hatte, Hüter des Gralheiligtums zu werden. Zerknirscht sich vor dem frommen Klausner neigend, beschloß Parzival, noch einmal in die Welt hinauszuziehen, aber nicht mehr, um eitlen Ruhm und Ehre sich zu erwerben, sondern Buße zu tun, auch vor den Menschen.

Doch siehe! Vor Gott hatte die Aufrichtigkeit seiner Reue schon genügt, die einst begangene unbewußte Schuld zu tilgen. Als Parzival hinausritt aus dem engen, düstern Tal, empfingen ihn auf lachender, sonnbeglänzter Ebene die Ritter der Tafelrunde. König Artus selbst war entgegengezogen, ihn mit vollen Ehren zur Gralsburg zu geleiten, wo Anfortas ihn erwartete. Der Fluch war von ihm genommen. Stab und Krone legte der sterbende König in seine Hand, und alle Gralsritter, Knappen und edlen Frauen huldigten ihm als ihrem neuen, von Gott selbst erwählten Herrscher.

So fand der seinen Lohn, dessen Herz rein und dessen Wandel unsträflich gewesen von Jugend auf, der die höchste Vollkommenheit irdischer Ritterschaft sich angeeignet, um sie, als seine Zeit gekommen, fromm in den Dienst des höheren Herrn zu stellen.

Seine Gemahlin Kondwiramur durfte kommen, seinen Thron und seine Ehren auf Montsalvage mit ihm zu teilen, und von seinen Söhnen war es der jüngste, Lohengrin der Schwanenritter, der später sein Nachfolger ward als der Gralsburg König.


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