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Wie eine deutsche Edelfrau die ungarische Krone rettete.

Im Jahre 1382 starb Ludwig der Große, der König von Ungarn, als letzter männlicher Sprosse des asgradischen Herrscherstammes, und Krone und Reich erbte seine Tochter Maria, die mit dem deutschen Kaiser Sigismund vermählt war. Nach deren Tode übertrugen sich, da sie keinen Sohn hatte, alle ihre Rechte an Ungarn auf ihre einzige Tochter Elisabeth, und auch diese reichte Herz und Hand dem späteren deutschen Kaiser Albrecht von Österreich, Albrecht II. genannt.

Aber das glänzende Brautgeschenk, welches das Königskind vom asgradischen Stamm ihm als Morgengabe zubrachte, erwies sich dem jungen Kaiser als kein glückliches, denn es machte ihn zum Nachbarn der feindlichen, eroberungssüchtigen Türken, die immer neue Heeresmassen wider seine Grenzen führten. Die alten Chronisten erzählen von ihm, daß sein Schwert fast nie in der Scheide gesteckt habe und daß nie jemand ihn habe lachen sehen. Ein Jahr lang auch trug er nur die schwere Last der vereinten Kronen, der kaiserlich deutschen und der königlichen Ungarns, dann erlag der einst siegreich von einem türkischen Feldzuge Heimkehrende tödlicher Krankheit. Unterwegs noch, in einem elenden Dörfchen, starb er, ohne sein treues Weib wiedergesehen zu haben, ohne seinen Erstgeborenen, seinen jungen Sohn Ladislaus segnen zu können, der erst wenige Stunden alt war, als er den Vater verlor.

Die edle Königin Elisabeth lag krank zu Komorn, als ihr die Schreckenskunde von dem Tode ihres tapferen Gemahls gebracht ward. Bitterer Schmerz drohte sie zu überwältigen, aber als ihr Auge auf ihren kleinen neugeborenen Sohn fiel, da fühlte sie, daß sie ihm nun Vater und Mutter zugleich sein müsse und ward stark von Stund an. Galt es doch vor allem, dem Kinde die Königskrone Ungarns zu erhalten, denn obgleich diese sein rechtgültiges Vater- und Muttererbe war, drohte ihrem Besitz doch ernste Gefahr. Seit langem schon hatten die ungarischen Fürsten und Edelleute darüber gemurrt, daß das ungarische Reich durch Marias Vermählung mit Sigismund in deutsche Hände gekommen war. Und seit Elisabeth zur holden Jungfrau erwachsen, hatten sie den Plan gehegt, derselben König Wladislav von Polen zum Gemahl zu geben und damit wieder einen Herrscher aus slavischem Stamm über Ungarn zu setzen. Daß Elisabeths Herz sich trotzdem den ernsthaften, ritterlichen Albrecht von Österreich erwählte, machte ihr diese mächtige Partei zu unversöhnlichen Feinden. Und klar ward sie in jener schweren Stunde sich's bewußt, dieselben würden nun – wo ihr der Schutz ihres edlen Gemahles fehle – alles daran setzen, ihren alten Plan, Wladislav von Polen zum König Ungarns zu erheben, mit Güte, List oder Gewalt auszuführen. Dem konnte nur durch eine schleunige Krönung ihres kleinen Ladislaus zuvorgekommen werden. War dieser erst einmal gekrönt, durfte sie den Ranken der feindseligen Edelleute ruhig entgegensetzen, denn auch ihr war eine große Partei zugetan: die der kleinen Bürger und Landgesessenen, welche den Frieden wünschten, den die deutschen Könige mit starker Hand aufrechtzuerhalten gewußt hatten.

Aber zu einer feierlichen Königskrönung gehörten damals in Ungarn drei Dinge. Erst wenn keines dieser drei fehlte, galt sie für rechtskräftig und von Gott geheiligt. Die erste Bedingung war, daß die Krönung im Dom zu Weißenburg geschah; die zweite, daß der Erzbischof von Gran sie vollzog; und die dritte, daß die vom heiligen Stephan stammende heilige Krone es war, welche der Erzbischof dem zu Krönenden aufs Haupt setzte. Diese Krone aber war auf der Plintenburg wohl verwahrt, und der Burgvogt daselbst, ihr unbestechlicher Wächter, den Deutschen nicht wohlgesinnt.

Wie sollte die zu Komorn krank liegende Königin dies alles ermöglichen? Wie vor allem die Krone gewinnen? Mutlos rang sie die Hände. Da nahte sich ihr ihre treue Kammerfrau, Helene Kottannerin, und sprach tröstend: »Verzagt nicht, gnädigste Herrin! Das Recht ist auf Eurer Seite, und deshalb wird Gott im Himmel Euch beistehen und Euch gar bald gesunden lassen. Und da Mannesmacht uns fehlt, wollen wir mit Weiberlist die Krone zu gewinnen trachten. Ich selbst will mich des wohl getrauen um meines kleinen Königs Laßlo Abkürzung von Ladislaus. willen, so Ihr mir Urlaub gebt, zur Plintenburg zu reiten, einen treuen Ritter zu Begleitung und Euer königliches Siegel als Zeichen Eurer Vollmacht!«

Staunend lauschte die Königin dem Worte der treuen Frau. Sie begriff nicht, wie jene ausführen wollte, was sie versprach, da aber deren Treue seit Jahren erprobt, vertraute sie ihr das königliche Siegel an und entließ sie noch zur selbigen Nacht, denn Eile tat not. Der Name des tapferen Ritters, welchen Frau Kottannerin zum Beistand sich gewann, findet sich in keiner Chronik jener alten Zeit verzeichnet, zu gefährlich wär's gewesen, ihn dadurch der Rache jener mächtigen Partei preiszugeben, deren Pläne er so zu durchkreuzen wagte.

Heimlich und vom Dunkel der Nacht vor jeder Beobachtung geschützt, traten beide ihre gefahrvolle Fahrt an – den Segen des Himmels auf das Gelingen ihres Vorhabens herabflehend. Gegen Morgen erreichten sie die Plintenburg. Dort waren zwei Hoffräulein der Königin zum Besuch beim Burgherrn, ihrem Oheim. Diese ihrer Herrin wieder zuzuführen, das war der Vorwand, unter welchem die kühne Frau Einlaß begehrte. Froh hießen die Fräulein sie willkommen, sie freuten sich, daß ihre gnädige Herrin wieder nach ihnen verlange und baten nur um einen Tag Aufschub, ihre Truhen und Sachen zu rüsten und zu packen, dann wollten sie am andern Morgen schon früh zum Aufbruch bereit sein.

Darauf bestimmten Frau Kottannerin und ihr Helfer die kommende Nacht zur Ausführung ihres Planes und benutzten die Zeit bis dahin, Ort und Gelegenheit genau zu erspähen. Letztere war nicht günstig, denn der gewissenhafte alte Ritter, dessen Obhut die Krone anvertraut war, ließ allnächtlich sein Bett quer vor die Tür setzen, welche von der Halle aus in das Turmzimmerlein führte, in dem eine wohlverschlossene Truhe das Kleinod barg. Außer dieser Tür hatte selbiges nur noch einen einzigen Zugang, der führte von der Kapelle aus hinein, in deren Vorgemach die Burggeistlichen ihre Klause hatten. Mit Gewalt einzudringen war hier wie dort unmöglich, in aller Heimlichkeit und Stille mußte der Raub geschehen; wurden sie entdeckt, waren nicht nur sie selbst verloren, sondern auch die Königin und ihr Kind mußten des Ärgsten sich versehen.

Im Lauf des Tages zwar gelang es dem Ritter, die Kapelle unbeobachtet von außen zu umwandern und die Höhe der Fenster vom Boden mit den Augen zu messen, dann aber kehrte er niedergeschlagen zu seiner Verbündeten zurück und sagte, wenn er sich auch wohl getraue, die Kapelle zur Nacht leise durch ein Fenster zu gewinnen und mit seinen mitgebrachten Feilen die Schlösser an der dort befindlichen Tür des Turmzimmers zu durchfeilen, so käme er doch unmöglich mit der schweren Truhe auf demselben Wege zurück, und sie dort zu erbrechen, würde so viel Lärm verursachen, daß die Herrn Kapläne und der Burgherr sicherlich davon erwachen müßten. Was nun tun? Ratlos saß Frau Helene. Sie sann und sann – kein Ausweg fiel ihr ein.

Da schien es gegen Mittag, als wolle der Himmel selbst ihrem Vorhaben sich günstig erweisen. Der alte Burgherr erkrankte, und gegen Abend verschlimmerte sich sein Zustand so, daß der Arzt ihm nicht erlauben wollte, die Nacht in der zugigen Halle zuzubringen, in welcher die Luft trotz der großen Feuer in den geräumigen Steinkaminen stets feucht und kalt war. Murrend und widerwillig ergab der Alte sich endlich darein, daß sein Lager in ein wärmer gelegenes Innengemach getragen ward. Da er aber seinen Wächterposten, obwohl er die Gefahr, welche der heiligen Krone drohte, nicht ahnte, niemand anvertrauen mochte, umwand er die Schlösser, welche an der Tür zum Turmzimmer befestigt waren, mit Tüchern, und drückte, nachdem er sie fest verknotet, sein Siegel auf die Enden. So glaubte er alles wohl verwahrt.

Die Kottannerin und der Ritter aber jauchzten in ihrem Herzen, als der greise Hüter also verfuhr. Nun war hier wenigstens das Feld für sie frei. Denn da die Halle zugleich der Vorraum und Durchgang zu den Frauengemächern der Burg war, durfte sie – gemäß der Sitte damaliger Zeit – nach Dunkelwerden von niemand mehr betreten werden. Und die alte Schaffnerin der Burg, deren Bettstatt im engen Vorgemach vor der Halle aufgeschlagen stand, sie war halb taub und deshalb ungefährlich. Mürrisch freilich war sie auch und gab nur sehr widerwillig die zwei Kerzen her, welche sich Frau Helene von ihr für die Nacht erbat unter dem Vorwande, daß sie dieselbe allein in der Halle verbringen wolle. In Wahrheit hatte sie die Kerzen für den Ritter und sein nächtliches Werk bestimmt.

Endlich ging alles zur Ruhe. Tiefe Stille herrschte in der Burg, den Höfen und den Außenkammern der Knechte.

Nur Helene Kottannerin, die tapfere deutsche Edelfrau, wachte. In der großen Halle, welche von dem flackernden Kaminfeuer nur schwach erhellt ward, ging sie rastlos auf und ab. Im Nebengemach schliefen still und ruhig die beiden Hoffräulein, vom Vorzimmer tönte beruhigend das laute Schnarchen der alten Schaffnerin herein. Nirgends schien Gefahr zu drohen, und doch war ihr so bange. Sie wollte beten, aber sie wagte es nicht, denn sie war sich nicht sicher, ob dieser Raub nicht eigentlich ein Unrecht vor Gott? Das Gefühl der alten Lehnstreue, die in jener furchtlosen Zeit des eigenen Seelenheils vergaß im Dienste ihrer angestammten Herrn – das war mächtig auch in ihr, aber Gott, dem Herrn aller Herren, wagte sie doch nicht zu trotzen. So rang sie nur stumm die Hände und lauschte und lauschte.

Inzwischen war es dem Ritter gelungen, unbemerkt unter die Rundbogenöffnungen der Kapelle zu schleichen, die von keinen der damals noch allzukostbaren Glasscheiben verschlossen waren. Lautlos schwang er sich hinauf, ein knappes Hirschlederwams nur umschloß seine Glieder. Waffen und Kettenhemd hatte er abgelegt, damit auch nicht das leiseste Klirren ihn verrate. In der dunklen Kapelle angelangt, tappte er leise bis zu dem kleinen Eingang des Turmzimmers, dessen Tür von innen ein starker Riegel verschloß. Da zog er die eine der starken Feilen hervor, mit welchen er sich schon zu Komorn vorsichtig versehen hatte, und begann damit den Riegel in der engen Mauerfuge zu durchsägen. Das war ein langwieriges, mühevolles Werk, denn langsam und behutsam nur durfte er die knirschende Feile durch das Eisen ziehen, weil murmelnde Gebete, die noch immer aus den kleinen, an die Kapelle stoßenden Zellen der frommen Mönche zu ihm heraustönten, ihm zeigten, daß diese noch wach seien und beim geringsten ungewohnten Geräusch sicher die Kapelle durchsuchen wurden.

Endlich war der letzte Feilenstrich getan, die Tür gab nach. Doch wird sie, die selten geöffnete, nicht in den Angeln kreischen?

Es war ein banger Augenblick für den kühn wagenden – aber hindurch mußte er. Klopfenden Herzens zwängte er sich durch den schmalen Spalt, den er schaffen konnte, ohne die Tür allzusehr zu bewegen. Er lauschte noch einen Augenblick, ob drinnen bei den Mönchen das gleichförmige Murmeln fortdaure, legte, als alles still blieb, erleichtert die Tür wieder dicht in ihre Öffnung und befestigte sie von innen, daß von der Kapelle aus auch am andern hellen Morgen nichts Ungewöhnliches zu bemerken sei, was etwa vorzeitigen Argwohn erwecken könne.

Damit war das Gefährlichste vorläufig überwunden. Nun konnte der Ritter die ihm zugesteckten Kerzen anzünden und bei ihrem Schein die Riegel und Schlösser, welche die aus diesem fensterlosen Turmgemach zur Halle führende Tür verschlossen, gleichfalls durchfeilen. Durch dreimaliges leises Klopfen gab er seiner drinnen angstvoll harrenden Gefährtin das Zeichen, daß es ihm gelungen. Eiligst entfernte diese darauf die Siegel und Tücher, welche von ihrer Seite die Schlösser schützten. Leicht ließ sich die Tür nun öffnen, und beide Verbündete trugen die schwere Truhe zur Halle hinein, wo der Ritter sie beim Schein der flackernden Feuer teils durch Feilen, teils durch vorsichtige Hammerschläge erbrach und ihr die heilige Krone entnahm. Frohlockend hielten sie sie in Händen, die Ziel und Zweck ihres lebensgefährlichen Wagnisses war – aber durften sie hoffen, unentdeckt damit bis zur Königin zu gelangen? Noch war die größte Vorsicht vonnöten.

Nachdem sie den Deckel wieder auf die Truhe gelegt und Frau Kottannerin das Siegel, welches die Königin ihr anvertraut, auf dieselben Fugen gedrückt hatte, wo solches zuvor gesessen, trugen sie dieselbe in das kleine Turmzimmer zurück und stellten sie so genau auf ihren alten Platz, daß niemand merken mochte, sie sei je entfernt und geöffnet worden.

Und während dann der Ritter unbemerkt auf demselben Weg durch die Kapelle, auf welchem er hineingelangt war, wieder in den Burghof zurückkehrte, legte seine umsichtige Helfershelferin die Tür der Halle wieder fest ins Schloß, umwand das letztere mit den Tüchern genau so, wie vordem der alte Burgherr es umwunden hatte, und drückte wie er das königliche Siegel auf die festverknoteten Enden. Von hier aus war nichts zu entdecken.

Wie aber nun den heiligen Raub am besten verbergen? Nach einigem Nachdenken trennte die erfinderische Dame schnell eines der rotsamtenen Kissen auf, deren viele in der Halle lagen, verbarg die Krone im Polster und hoffte solches so recht unauffällig mit sich nehmen zu können. Denn es kam ja vor allem darauf an, keinen Verdacht zu erwecken. Sobald der Raub entdeckt, würde man zu ihrer Verfolgung sich aufgemacht und schnelle Reiter ihren Wagen auch wohl bald eingeholt haben. Wurde dann die heilige Krone bei ihnen gefunden, drohte nicht nur ihnen selbst sicherer Tod – nein, schwere Anklage ward dann auch gegen die Königin erhoben und sicheres Verderben auf sie und ihren kleinen Sohn herabgezogen. Das durfte nimmer sein.

Sobald der Morgen nur graute, weckte Frau Kottannerin ihre beiden jungen Schutzbefohlenen, rief nach dem Knechte und hieß den Wagen bereit machen. Alsbald meldete sich auch der Ritter zu ihrem Dienst, da gab sie ihm das samtene Polsterkissen mit der Bitte, Sorge zu tragen, daß es ihr auf den Wagen gelegt werde, ihren Rücken bequemer zu stützen.

Brummend und argwöhnisch sah die alte Schaffnerin solchem Begehren zu und hatte nicht übel Lust, sich der Mitnahme des Kissens zu widersetzen. Aber die jungen Hoffräulein lachten sie aus, und das große Ansehen, in welchem diese bei ihrem Oheim, dem Burgherrn, standen, schloß der Alten endlich den Mund, und der Ritter durfte seine kostbare Bürde, deren Bedeutung er erriet, ungehindert hinuntertragen, wo man die Gepäckstücke bereits auf dem für unsere Begriffe sehr unförmlichen Gefährt befestigt hatte. Nun kletterten auch die Damen auf ihre Sitze, der treue Ritter schob mit scherzender Galanterie der Edelfrau das Samtkissen hinter den Rücken, schwang sich auf sein Roß und gab damit das Zeichen, daß der Zug sich in Bewegung setzen könne.

Erleichtert atmete die Kottannerin auf, als sie zum Tor hinausrollten und die Burg im dämmernden Morgenschein bald weit hinter sich zurückließen.

Daß sie sehr bequem saß, wagt der Chronist zu bezweifeln. Sie mußte sich jederweil sehr gerade halten, um die hinter ihr verborgene heilige Krone nicht zu zerdrücken, auch oft sich umsehen, ob etwa Verfolger hinter ihnen seien. Aber alles blieb ruhig, man hatte auf der Burg nichts entdeckt. Mit anbrechender Nacht kam der kleine Zug glücklich in Komorn an.

Hier hatte die junge Königin in angstvoller Sorge dieses Augenblickes geharrt, und als nun die treue Dienerin vor sie hinkniete, ihr das Purpurkissen überreichte und daraus mit scharfem Schnitt die güldene Krone trennte, da kniete auch sie nieder und sandte ein heißes Dankgebet empor zu Gott, daß er diesen ersten schweren Schritt habe gelingen lassen!

Nun galt es noch den Dom zu Weißenburg ungefährdet zu erreichen; zu Komorn weilte der Erzbischof von Gran schon, weil er allda den jungen Prinzen Ladislaus getauft hatte; doch ach, Komorn war noch nicht Weißenburg.

Aber auch ein Krönungsornat mußte dem Kinde beschafft werden. Und weil außer der treuen Edelfrau niemand wissen, ja auch nur ahnen durfte, was die Königin für ihr Kind plante, zerschnitten die beiden Frauen in aller Heimlichkeit ein rotes, goldglänzendes Meßgewand, welches einst König Sigismund, des jungen Prinzen Großvater, getragen hatte, und fertigten daraus einen kleinen Königsmantel und kleine Schuhe für das Kind.

Noch war die Königin schwach von ihrer eben überstandenen Krankheit. Aber als ihr durch erschreckte Anhänger die sichere Kunde gebracht ward, daß Wladislav von Polen mit einem Kriegsheer heranziehe, um entweder in Güte ihre Hand und damit das Recht auf den ungarischen Thron zu gewinnen, oder mit Gewalt der Krone sich zu bemächtigen und zum König von Ungarn sich krönen zu lassen – da durfte sie nicht länger säumen.

Unverzüglich ward alles zur Flucht bereitet. Aber wie jetzt die Krone verbergen, um sie am sichersten zu schützen – sowohl gegen feindlichen Überfall von außen, wie gegen Verräterei im eigenen Gefolge? wieder war es Frau Kottannerin, welche glücklichen Ausweg wußte. »Wo der König bleibt, bleibt auch die Krone,« sprach sie entschlossen und barg das heilige Kleinod in der Wiege, in welcher auch der kleine Laßlo getragen werden sollte.

In ein ganz unscheinbares Tuch knüpfte sie es ein und einen Löffel mit langem Stiel dazu, damit, wenn etwa wer hineinfühle, er glauben solle, es sei ein kleines Kochgerät, des Kindes Nahrung zu bereiten.

In unruhiger Hast geschah der Aufbruch. Gefahren aller Art ging die kleine Schar entgegen. Gleich anfangs drängten sich alle mit solchem Ungestüm auf die Plätte, Fähre. welche den Übergang über die Donau vermittelte, daß deren Rand kaum handbreit über Wasser blieb. Eisschollen trieben auf den Wellen, und der geringste Windstoß hätte Todesnot gebracht.

Als sie trotzdem glücklich das andere Ufer erreicht hatten, führte der Weg viele Stunden weit durch Schluchten und enge bergige Straßen, welche einem feindlichen Überfall gar günstig gewesen wären.

Da nahm die Königin das Kind samt seiner Wiege und auch die Hoffräulein in ihren Wagen, und ihr Gefolge umgab denselben in dichter Deckung, ihn gegen feindliche Geschosse zu schützen. Denn niemand konnte wissen, von welcher Seite etwa der Polenkönig heranzog. Dazu vermehrte Hunger der Flüchtlinge Pein. Die Bauern in den Dörfern dieser Gegend hielten es mit den magyarischen Fürsten und waren beim Nahen der Königin geflohen oder hielten sich versteckt. Und diese wieder durfte nicht Rast machen, irgendwelche Speisen bereiten zu lassen, da jede Stunde Vorsprung, die sie gewann, kostbar war über alle Maßen.

Später zog der Weg, die hügelige Gegend verlassend, sich stundenweit durch Sümpfe und Moräste hin. Das verringerte nun zwar die Gefahr, durch einen plötzlichen Überfall überrascht zu werden, leider aber auch die Schnelligkeit des Vorwärtskommens, weil die Räder des schweren Wagens tief in den weichen Boden schnitten.

Da ließ die Königin die Wiege mit dem darin schlummernden Prinzen herabheben und von vier starken Dienstmannen tragen, und sie selbst und ihre Edelfräulein setzten sich zu Pferde. Frau Kottannerin aber blieb zu Fuß und schritt neben der Wiege und deren Trägern her. Und als es dem Befehlshaber des Trosses rätlich schien, daß die Schar sich trenne, um die sich etwa noch zeigenden Verfolger irre zu führen, da ritt die Königin mit ihren Damen, von der Hälfte ihrer Getreuen gefolgt, seitab einen anderen Weg. Die übrigen nahmen das Königskind in der Wiege in ihre Mitte, und nur die deutsche Edelfrau verharrte, neben der Wiege einherschreitend, tapfer und treu bei dem Kind. Schrie das Kind, so nahm sie den armen kleinen Flüchtling heraus und trug ihn auf den Armen, wie beschwerlich der Weg auch sein mochte. Regnete es, so deckte sie ihn mit dem eigenen Mantel, liebreich stillte sie seinen Hunger mit der sorglich mitgenommenen Milch, und bei alledem ließ sie doch keinen Augenblick die Wiege unbeobachtet, vergaß keinen Augenblick, welch unersetzlichen Schatz diese barg.

Endlich ward am Pfingstabend Weißenburg erreicht. Vor dem Tore vereinigten sich die beiden Scharen wieder und zogen in feierlicher Ordnung ein. Voran schritt der Erzbischof von Gran, hinter ihm die Königin, dicht ihr zur Seite die Kottannerin mit dem kleinen Laßlo auf dem Arm. Auf der Königsburg angekommen, ließ die Königin die vornehmsten Bürger und Räte der Stadt zu sich entbieten und verkündete ihnen, daß morgen als am heiligen Pfingsttage die feierliche Krönung ihres kleinen Sohnes geschehen solle. Als sie dabei die heilige Krone Ungarns hochhielt, da jubelten alle mit lauten Hochrufen und gelobten Treue und schuldige Ehrfurcht auch dem neuen Sprossen ihres rechtmäßigen Herrscherstammes, dem Urenkel des großen Ludwig.

Schnell ward nun der Dom mit aller Pracht zur Krönungsfeier gerüstet. Und unter dem hallenden Geläute der Glocken kamen am andern Morgen die ganze Geistlichkeit im Festornat, die vornehmsten Ritter und die angesehensten Bürger, um die Königin mit ihrem Kinde in das Gotteshaus zu geleiten. Da aber trat diese in Demut zurück und sprach: »Mitnichten ziemt es mir, hierbei voranzugehen! Heute gebührt der Ehrenplatz meiner treuen Frau Helene Kottannerin, sie hat mehr an meinem Kinde getan, als ich je selbst hätte tun können. Ihre Klugheit und Unerschrockenheit allein haben ihm Ungarns Krone gerettet. Darum will ich sie erhöhen und mit ihr ihr ganzes Haus bis in das späteste Geschlecht. Und daß ich solches hiermit feierlich gelobe vor Gott dem Herrn, des zum Zeichen soll sie heute den Vortritt vor mir haben in seinem heiligen Haus und soll vor seinem heiligen Altar den jungen König halten an seiner Mutter Statt!«

Solches ward der schönsten Treue schönster Lohn. Wie sie auf mühseliger Wanderung ihn schützend im Arm gehalten, durfte die schlichte deutsche Edelfrau den kleinen Prinzen Ladislaus auch zur Krönung tragen. Das war im Dom zu Weißenburg. Der Erzbischof von Gran salbte den jungen König, hing ihm den güldenen Krönungsmantel um und hielt die heilige Krone St. Stephans über seinem Haupt, so daß – allen sichtbar – die drei Dinge erfüllt waren, die zur rechten Krönung eines rechten Königs von Ungarn gehören.


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