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Wir nehmen in unsere Sammlung hier einen Proceß aus der jüngsten Vergangenheit auf, der an Berühmtheit keinem der bisher erzählten nachsteht, in einem Interesse aber sie vielleicht alle überbietet, in dem des Räthselhaften. Der ganze Rechtsfall ist eigentlich nur ein großes Räthsel. Durch die Entscheidung der Geschwornen ist für die Welt nichts entschieden, als daß gegen die Angeklagten, nach den vorliegenden Beweisen, keine Verurtheilung stattfinden konnte; eine Entscheidung, die nach Lage der Acten wahrscheinlich auch von jedem andern gewissenhaften Gerichte gegeben wäre. Es ist aber damit auch nichts weiter entschieden; man ist nicht einmal zur moralischen Ueberzeugung gekommen, daß hier objectiv ein wirkliches Verbrechen, eine begangene Mordthat vorliegt, während man subjectiv dem Beweise der Thäterschaft so nahe war, daß wenig an einem Schuldig, einer Verurteilung der angeblichen Mörder fehlte. Im Vergleich zu diesem Processe Bletry, der im Elsaß auf altem deutschen Grund und Boden unter einer französisch gewordenen Bevölkerung nach französischem Rechte geführt wurde, treten die andern räthselhaft gebliebenen Rechtsfalle aus dem ältern wie aus dem neuern französischen Criminalrecht zurück. Im Proceß Fualdes, Fonk, La Roncieré, Lafarge bleibt uns Vieles unerklärt, aber die moralische Ueberzeugung hat so viel Grund und Boden, daß sie, darauf fußend, ein subjectiv gültiges Urtheil fällen kann, in diesem Falle schwimmt Alles durch einander, je mehr Anzeichen vorgebracht sind, je mehr Zeugen auftreten, um so ungewisser wird das Urtheil, und mit derselben Berechtigung läßt sich der grauenhafte Zusammenhang einer vollendeten Mordthat componiren und bis ins kleinste Detail ausmalen, und die ganze Sache, als ein phantastisches Mährchen, aus Luft und Nebel willkürlich gebildet, dem sogar der Kern, die That selbst fehlt, darstellen.
Man könnte uns einwenden, die Sache sei noch zu frisch, um sie schon in unsere Sammlung der vollendeten Rechtsfälle einzuregistriren. Das setzte indeß voraus, daß sie noch nicht fertig wäre, daß sie noch wachsen könnte. Wie uns aber die Sache vorliegt, nach einer zweijährigen Dauer, nach einem alle Fäden abschneidenden Endurtheil, so ist der Proceß, welcher die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, damit zu einem Ende, einem Abschluß gekommen. Hier ist Alles erschöpft und es läßt sich kaum mehr etwas hinzudenken; es ist dieser so entstandene, so gewachsene, so fertig gewordene Proceß, der uns als eine Vergangenheit interessirt. Das schließt freilich die Möglichkeit nicht aus, daß in der Folgezeit doch noch ein Mal unerwartet ein neues Licht auf die Sache fiele, daß die Person der Ermordeten ermittelt würde, daß Spuren auf den Thäter führten; sei dieser aber eine bisher unbetheiligte Person, oder leite die neue Spur auf die schon hier Betheiligten zurück, so würde das jedenfalls (insofern gegen Letztere überhaupt noch eine Untersuchung zulässig wäre) ein neuer Proceß werden, welcher dem besondern Interesse des abgeurtheilten, als einer vollendeten Thatsache, keinen Abbruch thäte. Auch wäre es ja nicht undenkbar, daß, wie schon einige der von uns aufgenommenen Fälle zu Berichtigungen und Erklärungen über bis da dunkel gebliebene Umstände Anlaß gaben, auch dieser räthselhafte Fall künftigen Lesern in die Hände fiele, welchen sich Spuren zu einer Entdeckung zeigten. Zwar lebte er durch zwei Jahre schon in den Zeitungen fast der ganzen, Welt und außerdem in besondern Schriften, aber in den Zeitungen tödtet das Neue das Alte rascher und absoluter als anderwärts; und daß ein Zeuge, der zwei Jahre lang von allen Zeitungsnachrichten entfernt, erst durch dieses Buch wieder an die vergessene Sache gemahnt würde, ist zwar nicht wahrscheinlich, aber nicht unmöglich.
Bei der Behandlung dieses ganz ungewöhnlichen Falles, wo die Indicien und Thatsachen wie Atome im Sonnenschein durcheinander schwimmen, sehen auch wir uns genöthigt, von unserer gewöhnlichen Darstellungsart in mancher Beziehung abzuweichen, was wir unsern Lesern vorauszusagen für Pflicht halten, wenn sie eine regelmäßige Fortentwickelung des historischen Zusammenhanges vermissen. Unseres Wissens hat man auch in den Zeitungen seiner Zeit eine solche zu geben nicht versucht, sondern sich damit begnügt, die Zeugenaussagen von jeder Sitzung getreu zu referiren, was aber bei dem bunten Durcheinander ihrer Auslassungen und Widersprüche erst wahre kaleidoskopische Bilder hervorgerufen hat, welche eine eigentliche Relation in unserem Sinne unmöglich machen.
Im Juni 1843 hatte man auf einer Station der Straßburg-Baseler Eisenbahn in einer Kiste die Leiche einer dem Anschein nach ermordeten Frau gefunden. Der Verdacht der Täterschaft fiel auf einen in Mühlhausen angesiedelten Mann, Namens Bletry, welcher, sonst von guter Familie, in schlechtem Rufe stand, und, in seinen Vermögensverhältnissen heruntergekommen, mit seiner Concubine eine gemeine Schenke hielt. Dem Gerüchte nach war diese Schenke zugleich ein Gelegenheitshaus. Der Zustand dieses Hauses, Blutflecken überall, die Aussagen einer Mitbewohnerin und verschiedene andere Zeugenangaben verstärkten diesen Verdacht dermaßen, daß Bletry, seine Geliebte und noch zwei andere Personen, eine Dienstmagd und ein Weinküfer, verhaftet und in Anklagestand versetzt wurden.
Die ersten Verhandlungen fanden vor den Assisen des Oberrheins im September 1844 statt. Die meiste Schwierigkeit und die meisten Zweifel veranlaßte der Umstand, daß zwar ein corpus delicti, der Körper der Ermordeten, da war, aber alle und jede Spur fehlte, wer diese Todte gewesen sein könne. Trotz aller Bekanntmachungen meldete sich Niemand, der sie kannte, keine Familie, kein Freund, Niemand, der eine ihm angehörige, bekannte Person vermißte. Vermuthungen wurden zwar aufgestellt, wer es sein könne, Jeder suchte dazu beizutragen, aber keine dieser Vermuthungen hielt, bei näherer Betrachtung, Stich, und von den 17 Schlachtopfern, die man allmälig aufgefunden, fand es sich, daß sie entweder noch lebten, oder gar nicht existirt hatten, oder anderweitig ums Leben gekommen waren. Endlich glaubte man ermittelt zu haben, daß die Todte eine gewisse Adele Bulart gewesen, die mit Bletry früher in genauen Verhältnissen gestanden, Bletry sei der Vater eines natürlichen Kindes, welches Adele zur Welt gebracht; er habe sie nun ermordet, um ihrer Belästigungen los zu werden. Dies blieb nicht allein Vermuthung, sondern Zeugen waren aufgetreten, die den allgemeinen Glauben durch positive Aussagen unterstützten. Sie glaubten in der Leiche (der Kopf war in Spiritus aufbewahrt) Adelen wieder zu erkennen, auch unter den Sachen im Hause, namentlich unter den Kleidungsstücken der gegenwärtigen Concubine Bletry's, Stücke wieder zu erkennen, welche der ermordeten Bulart zugehört hätten. Daß plötzlich ein Brief der Adele ankam, konnte nichts verschlagen, denn es konnte eine List der Angeklagten und namentlich der Familie Bletry sein, welche ihren Einfluß und ihr Vermögen daran setzten, die Ehre ihres Verwandten zu retten. Da erschien aber plötzlich die todtgeglaubte Adele Bulart selbst vor Gericht, aus einer Entfernung von 120 Lieus hergereist, um ihre Identität, nicht mit dem Leichnam, sondern mit der angeblich ermordeten Geliebten vor dem Gerichte zu constatiren.
Hiergegen war kein Zweifel, Adele Bulart war nicht ermordet, aber damit weder aufgeklärt, wer der Leichnam sei, noch der Verdacht gegen Bletry und seine Mitangeklagten im geringsten geschwächt. Aber auf den Antrag der Vertheidiger der Angeklagten selbst wurden hierauf diese ersten Verhandlungen vertagt und der Proceß an die Assisen von Colmar verwiesen, wo die Verhandlung der Sache am 10. März 1845 aufs Neue begann.
Die ehemalige deutsche Reichsstadt wimmelte von Fremden, die von weither zuströmten, um den Verhandlungen beizuwohnen, und Berichterstatter von allen namhaften Pariser Zeitungen waren zugegen, um die Kunde von jeder Sitzung so schnell als möglich nach der Hauptstadt zu senden.
Wir lassen die Anklageacte hier vollständig folgen; sie ist das einzige Docummt, worin, von einem bestimmten Gesichtspunkte aus, die zur Sprache gekommenen Momente in einen Zusammenhang gebracht sind.
»Am Morgen des 10. Juni 1843 bemerkten die Beamten der Eisenbahn auf der Station Fegersheim, bei Straßburg, plötzlich einen starken Leichengeruch, der aus einer Kiste hervordrang, welche am 5. desselben Monats bei der Ankunft eines Zuges dort abgeladen, und von Niemand in Anspruch genommen war. Die Kiste wurde von den Gerichtsbehörden geöffnet, und man fand darin die gräßlich verstümmelten Reste einer Frau von 40 bis 50 Jahren. Der Leichnam hatte am Hals eine große, klaffende Wunde; die Beine, welche in der Kiste keinen Platz gehabt hätten, fehlten. Dieselben waren in den Gelenken abgenommen, und die Ablösung verrieth einige wundärztliche Kenntniß. Das Gesicht hatte an der rechten Wange einen kleinen fleischigen Auswuchs oder Warze, von der Größe einer Linse, und einen ähnlichen am Kinn. Die in der Kiste gefundenen Kleidungsstücke deuteten darauf, daß die Leiche zu der ärmeren Klasse der Gesellschaft gehört haben mußte, während der Zustand des Körpers, und besonders der Hände, auf einen höheren Stand schließen ließen.
»Der Leichnam wurde ärztlich untersucht. Die Aerzte erklärten, die Wunde sei der unbekannten Person im Leben beigebracht worden; sie sei die einzige Ursache des Todes gewesen, welcher sofort erfolgen mußte, da die Pulsadern durchschnitten waren. Augenscheinlich lag hier ein Mord vor. Die Verwundung geschah mit einem sehr scharfen Werkzeug, unten am Halse, und mit einem einzigen Stoße, den eine sichere Hand mit großer Kraft führte. Die Waffe drang bis in die Wirbelsäule ein; das Opfer hat keinen einzigen Schrei ausstoßen können. Man fand an dem Körper keine Spur eines Kampfes, keine Quetschung oder Wunde, die auf einen Widerstand hindeutete. Wenn die ermordete Frau nicht wahrend ihres Schlafes überfallen wurde, so mußten mindestens zwei Personen Theil an der That genommen haben; die eine hielt sie, während die andere die Waffe führte. – So weit die ärztliche Erklärung.
»Die Kiste, in welcher die Leiche gefunden worden, gab in Bezug auf den Ort der That eine Andeutung, die um so wichtiger war, als man sich augenscheinlich bemüht hatte, die Spur derselben zu verwischen. Auf der Kiste befand sich nämlich ein Streifen Papier, mit den Worten: von Dornach nach Fegersheim. Das Wort Dornach war mit Bleistift geschrieben, und noch vollkommen lesbar; obschon deutlich zu sehen war, daß man es mit nassem Finger hatte auslöschen wollen.
»Die Beamten der Eisenbahnstation zu Dornach erklärten: am 5. Juni, einige Minuten vor Ankunft des Zuges, der um 9 Uhr 39 Minuten anlangt, seien zwei Frauen auf die Station gekommen; die eine sei ungefähr 25 Jahre alt gewesen; die andere, 40 bis 45 Jahre, von starkem Körperbau, breitschulterig, mit stark geröthetem Gesicht, die Nase etwas breit und platt. Sie hatten eine Kiste bei sich, welche der Saalwärter ihnen abnahm. Die ältere ließ die Kiste nach Fegersheim einschreiben, und nahm für sich selbst einen Platz im Waggon dahin; sie sprach französisch und deutsch im dortigen Volksdialekte, und trug die dort übliche Tracht. Ihre Gefährtin sprach nur deutsch; sie sagte dem Saalwärter, ihr Nacken breche ihr fast vor Müdigkeit; sie komme vom Oberthor zu Mühlhausen.
»Hiernach mußte man den Ort des Verbrechens in Mühlhausen suchen; doch blieben die Nachforschungen dort ohne Erfolg. Nur fand man jetzt in dem Hohlwege bei Pfastadt, eine Stunde von Bletry's Wohnung, die Beine des Schlachtopfers; und allem Vermuthen nach hatte man sie aus Furcht vor einer Haussuchung dorthin gebracht. Die Beine waren in ein großes Taschentuch gewickelt, das mit den Buchstaben B. G. gezeichnet war, gerade wie ein in der Kiste gefundenes Tuch.
»Hierauf brachte man in Erfahrung, daß am 5. Juni, zwischen 8 und 9 Uhr Morgens, mehre Leute gesehen hatten, wie ein Wagen mit einem Pferde von der Altkircher Brücke kam, in deren Nähe Bletry's Haus liegt, und nach dem Oberthore zu fuhr. Pferd und Wagen gehörten, wie man Beweise dafür hat, dem Freunde Bletry's, Martin Schulz. Auf dem Wagen saßen Franziska Lallemand, die seit einigen Jahren in enger Verbindung mit Bletry steht, und Fritz Weidenbacher, Bletry's Knecht; auch bemerkte man auf dem Wagen eine Kiste, welche der zu Fegersheim gefundenen ähnlich war.
»Bald darauf wurde Bletry's Haus, das schon längst in üblem Rufe stand, von den Behörden durchsucht. Alles verrieth hier eine Unordnung, die sich nicht dadurch hinreichend erklären ließ, daß man gerade dort die Wäsche hatte. Man fand zwei Servietten, mit denselben Buchstaben B. G., welche, nach der Aussage Bletry's, auf allem Weißzeuch seines Vaters stehen, der mit einer B ... Götz verheirathet war.
»Eine Frau Lacour, die in den Mansardenzimmern des Bletry'schen Hauses wohnte, sagte aus, sie habe, als sie das Weißzeug Bletry's und seiner Leute gewaschen, die Spuren einer blutigen Hand auf einem Mannshemde bemerkt, habe diesen Flecken der Magdalena Dinicher gezeigt, die seit Kurzem in Bletry's Diensten stand, und diese habe bei dem Anblicke eine große Angst verrathen. Andererseits glaubten die Zeugen Dehux, Einnehmer an der Eisenbahn zu Dornach, und Brigué, Saalwärter daselbst, in dieser Magdalena Dinicher dasselbe Weib zu erkennen, welches am 5. Juni die Kiste, in welcher sich die Leiche fand, begleitet hatte. Im ersten Augenblicke erkannte sie Brigué ausdrücklich und bestimmt; später äußerte er es zwar nicht mehr mit derselben Gewißheit, blieb jedoch beharrlich dabei, daß er glaube, sie sei es.
»Noch andere Zeugnisse erhärteten, daß Magdalena Dinicher an 5. Juni Morgens auf dem Wege vom Oberthore nach Dornach eine Kiste, die der zu Fegersheim gefundenen ähnlich war, getragen, bald eine andere Person, welche die Kiste trug, begleitet habe. Vergeblich suchte sie ein Alibi zu beweisen.
»Aus allen diesen Anzeichen ergab sich die Wahrscheinlichkeit, daß Bletry's Haus der Schauplatz des Verbrechens gewesen. Bald kamen neue hinzu. Man erfuhr, am 3. Juni sei eine Frau von ungefähr 40 Jahren, die in Aussehen, Benehmen, Sprache und Tracht eine Frau aus den höhern Klassen verrieth, zu verschiedenen Stunden in mehren Stadtvierteln von Mühlhausen bemerkt worden; sie trug ein dunkelfarbiges Kleid, schwarzen Hut und Schleier, weiße Strümpfe, und um Hals und Brust eine sehr schöne goldene Kette. Sie erkundigte sich bei mehren Personen nacheinander, wo Bletry wohne. Einige dieser Personen beobachteten, daß die Haare der Frau bereits ins Graue spielten; andere erinnern sich, daß sie an einer Wange einen kleinen fleischigen Auswuchs hatte. Man bemerkte sie zuerst um 10 Uhr Morgens; um 1 Uhr sah man sie zum letztenmal, in dem Augenblick, als man ihr von der Altkircher Brücke aus Bletry's Haus zeigte, das nahe dabei liegt, und wohin sie ihre Schritte richtete.
»Am nämlichen Tage, um 7 Uhr Abends, sahen zwei andere Zeugen eine Frau, deren Personalbescheibung ganz mit derjenigen übereinstimmt, die man von der erwähnten Dame hat, aus dem Hause Bletry's in den kleinen Garten gehen, welcher an dasselbe stößt.
»Obschon indessen Bletry und seine Mitangeklagten zugestehen, sie seien am Nachmittage des 3. Juni zu Hause gewesen, so leugnen sie doch, daß eine fremde Dame ins Haus gekommm sei. Sie geben mehre Personen an, welche vielleicht an diesem Tage zu ihnen gekommen: allein diese Letzteren leugnen die Thatsache ab; und außerdem haben sie nicht die geringste Aehnlichkeit mit der gegebenen Personalbeschreibung der unbekannten Dame. Hingegen trifft dieselbe so sehr mit dem vorhandenen Kopfe des Leichnams überein, daß die meisten Zeugen, welche mit jener Dame gesprochen, sich davon aufs Höchste überrascht zeigten: denn der Kopf hat denselben fleischigen Auswuchs an der rechten Wange, und die Haare spielen ebenso ins Graue über.
»Das Ableugnen des Besuches einer solchen Frau am 3. Juni steigert den Verdacht gegen die Angeklagten; dieser Verdacht wird aber unendlich verstärkt durch die Aussagen der Frau Lacour. Die Letztere war am Sonnabend, 3. Juni 1843, in der Küche, die sich in den Mansarden des Bletry'schen Hauses befindet, als sie in dem Zimmer, das gerade unter der Küche liegt, einen erstickten Schrei hörte, welchem ein dumpfes Geräusch folgte, als wenn ein schwerer Körper auf den Boden fiele. Wenige Augenblicke nachher hörte sie Franziska Lallemand aus diesem Zimmer kommen; ihr Gesicht war ganz verstört, ihre Stimme bewegt; sie konnte sich kaum aufrecht halten. So stieg sie einige Stufen der Treppe hinauf, die zu den Mansarden führt, und verlangte eine Feder. Frau Lacour gab ihr einen ungeschnittenen Kiel.
»Nach einigen Minuten öffnete Bletry die Thüre dieses Zimmers, und rief mit einer Stimme, die eine tiefe Erschütterung verrieth, seinen Knecht Fritz, den er beauftragen wollte, einen Brief auf den nach Mümpelgard abgehenden Eilwagen zu besorgen.
»Bei der Haussuchung entdeckte man denn auch die noch leicht zu erkennende Spur einer blutigen Hand auf dem Treppengeländer, grade an der Stelle, wo Franziska Lallemand in tiefer Erschütterung stehen geblieben war. Dann fand man unter dem Kanapee, das in der erwähnten Stube stand, und wegen seiner großen Schwere nicht von der Stelle gerückt werden konnte, einen starken Blutflecken, der trotz des Aufwaschens des Zimmers geblieben war. An dem Fußboden der Stube und an der Decke des darunter liegenden Zimmers konnte man sehen, welche Mühe man sich bei dem Aufwaschen gegeben. Damit das viele Wasser geschwinder abfließe, hatte man in dem Fußboden eine Menge Löcher gebohrt; und man hat einen Bohrer aufgefunden, welcher, nach dem Gutachten der Sachverständigen, derselbe ist, der hierzu gebraucht worden. Diesen Bohrer hatte Franziska Lallemand, nach verschiedenen Zeugnissen, am Morgen des 5. Juni entlehnt; also an demselben Tage, wo die Leiche fortgeschafft wurde, zwei Tage nach der Mordthat.
»Bletry selbst, durch alles Dies gedrängt, gestand zu, er habe am 3. Juni, Abends um 9 Uhr, die Frau Lacour um eine Feder ersuchen lassen; da er sie jedoch nicht habe brauchen können, habe er sich des Stieles seines Federhalters bedienen müssen. Er kann indessen keinen wahrscheinlichen Grund dafür angeben, was ihn veranlaßt habe, in diesem Augenblicke zu schreiben. Der Zeuge Fisson, Tischgenosse und vertrauter Freund Bletry's, erklärt, daß am Abend des 3. Juni Bletry, gegen seine Gewohnheit, seine (Fisson's) Gegenwart im Hause abzulehnen suchte. Andere Zeugen erklärten, daß an diesem Abend Bletry's Haus Jedem verschlossen war, während dasselbe, als Herberge, doch Allen hätte offen stehen sollen. Fritz Weidenbacher und Magdalena Dinicher wehrten den Besuchenden den Eingang.
»Ferner ist erwiesen, daß die Kiste, in welcher man den Leichnam fand, der Franziska Lallemand angehörte; sie war im Besitz derselben schon ein Jahr vorher, als Bletry dies Mädchen in einer Erziehungsanstalt zu Mühlhausen unterbrachte. Zwar behauptet Franziska, sie habe damals eine ganz andere Kiste in jene Anstalt mitgebracht: allein diese letztere Kiste ist von keiner der Personen, die mit ihr in Berührung waren, als ihr gehörig erkannt worden; Alle behaupten, dieselbe nie gesehen zu haben.
»Ferner ist erwiesen, daß Bletry lebhafte Besorgniß in Betreff eines Schlüsselbundes geäußert hat, welchen er auch bei Seite zu schaffen wußte; als die Behörden dessen Vorzeigung verlangten, brachte er einen Schlüsselbund herbei, der augenscheinlich ein ganz verschiedener war. Auch berichten mehre Zeugen Aeußerungen der Angeklagten, die man nur in Beziehung auf das verübte Verbrechen deuten kann.
»Da solchergestalt die Beweise der That feststehen, erscheint es überflüssig, nach deren Beweggründen zu fragen. Dieselben lassen sich schon deshalb nicht mit voller Bestimmtheit nachweisen, weil, trotz aller Nachforschungen, der Name des Schlachtopfers nicht entdeckt werden konnte. Indessen lassen sie sich dennoch hinreichend herausstellen. Vor dem 3. Juni befand sich Bletry in so großer Geldnoth, daß er aufs Aeußerste gebracht schien; er mußte Geld für das tägliche Brot borgen. Nach dem 3. Juni kehrt plötzlich der Ueberfluß ins Haus ein; Ausgaben ohne Noth und ohne Zweck geschehen Tag für Tag; die vertrautesten Freunde Bletry's sind in Erstaunen darüber und können sich diese plötzliche Aenderung nicht erklären. Bletry selbst vermag keine Auskunft darüber zu geben; die einzige Erklärung findet sich in der Bereicherung durch die Mordthat« –
Doch sind auch dieser Klageschrift, die alles Faßbare umfaßt, mehre Momente entgangen, welche später erst in den Zeugenverhören zu Bedeutung auftauchen, d.h. zu der Bedeutung, welche man hüben oder drüben ihnen beilegt. Die Materie, mit der man es hier zu thun hat, ist weich, ein Fluidum; erst durch die subjective Berührung, Anschauung, Beleuchtung gewinnt sie Gestalt, Farbe und Wesenheit.
Die vier Angeklagten auf ihrer Bank hatten die Aufmerksamkeit mehr gefesselt, als die Anklageacte, deren Inhalt aus den ersten Verhandlungen und aus hundertfachen Zeitungsnachrichten den Zuhörern bereits bekannt war. Neues von Bedeutung war, aller Sorgfalt der Behörden ungeachtet, in letzter Zeit nicht hinzugekommen.
Bletry, der Hauptangeklagte, mit Vornamen Jean, Nicholas, Sosthenes, war ein Mann im Alter von 45 Jahren; er gab sein Gewerbe als Handelsmann an. In geschmackvoller Kleidung, von kleiner Gestalt, schwarzen und lebhaft blickenden Augen, sah er eher einem Südftanzosen ähnlich, als einem Elsasser.
Franziska Lallemand, seine Geliebte und Haushälterin, aus Sevenans bei Belfort, wird als ein hübsches, blondhaariges Mädchen geschildert, 24 Jahre alt.
Friedrich Weidenbacher, Bletry's Diener, früher Küfer, 46 Jahre alt, und aus Birgheim in Würtemberg gebürtig, erscheint in den Verhandlungen gewissermaßen als die lustige Person der Tragödie, wenigstens passiv. Sein apathisches Gesicht, von dem es heißt, daß es einen bedeutenden Mangel an Verstand ausdrücke, lächelt beständig. Von Angst, Schreck und andern Affecten keine Spur. Als Trinker bekannt, drückt er während der Verhandlungen nur einen Schmerz aus, daß er in der langen Gefangenschaft seiner einzigen und Hauptneigung zum Weine entsagen müssen. Er spricht nur schwäbisch deutsch. Fragen und Antworten müssen daher durch einen Dolmetscher (in einer deutschen Stadt!) mitgetheilt werden. So spielt das rein deutsche Element hier im Processe die traurige Rolle, welche es nur zu oft an dieser Grenze zu spielen verdammt ist.
Magdalene Dinicher, eine Zeit lang in Bletry's Diensten, ist ein elsasser Bauermädchen, 40 Jahre alt, aus Schlettstadt gebürtig, die französisch und deutsch spricht.
Neben den Advocaten für die Angeklagten hatte noch eine Person Platz genommen, welche nicht unwichtig auf den Proceß einwirkte, obgleich sie während den Verhandlungen nicht das Wort genommen hat. Es war Bletry's Bruder, der seine Stelle als Staatsanwalt zu Mümpelgard aufgegeben hatte, um die Vertheidigung des angeklagten Bruders zu unterstützen. Der Advocat Baillet rühmte in seiner Vertheidigungsrede von ihm, daß er ein edles Beispiel brüderlicher Hingebung gezeigt, indem er auch sein Vermögen, das mühsam erworbene Erbgut seiner Väter, 97,000 Francs, hingeopfert, um Mittel zu schaffen, seines Bruders Unschuld zu beweisen.
Es bleibe dahin gestellt, wie viel davon oratorischer Schmuck ist, denn die Anführung geschah, um bei den Geschwornen das Interesse für die Leidenden zu erhöhen. Als Resultat bleibt, daß hier außerordentliche Mittel versucht wurden, für die Angeklagten zu wirken. Wenn ein Staatsbeamter um deswillen sein Amt niederlegen, sein Vermögen wirklich opfern mußte, so kann ein Zustand nur bedauert werden, welcher Angeklagten nur unter solchen Bedingungen Mittel gewährt ihre Unschuld zu beweisen. Ein Angeklagter, dem sie nicht zu Gebote standen, hätte also unter gleichen Umständen verurtheilt werden können! Aber unser Trost könnte sein, daß hier besondere Umstände mitgespielt haben. Von der einen Seite scheint man es als eine allgemeine Ehrensache betrachtet zu haben, daß der Flecken von der im Elsaß sehr angesehenen Familie Bletry – der verstorbene Vater des Angeschuldigten in Belfort wird als eine besonders in Ansehen und Achtung gestandene Notabilität erwähnt – abgenommen werde, während die Anklage es ebenso hervorhebt, daß ein Verbrechen nicht um deshalb unbestraft bleibe, weil der Thäter den höheren Kreisen der Gesellschaft angehöre. Wir wissen nicht, in wiefern die Familie Bletry der Gegenstand des Neides und des Hasses in der Bevölkerung gewesen, welche Parteikämpfe dabei im Spiele waren, oder ob es allein die Lebensart und das Gewerbe des angeklagten Bletry war, die Widerwillen und Haß gegen ihn persönlich, erzeugt hatten.
Der Generaladvocat bemerkt nur in seiner Anrede an die Geschwornen, daß ihre Aufgabe »unter dem Schwanken der öffentlichen Ansichten, in der Hitze des Meinungsstreites, in der drängenden Bewegung mannichfacher Leidenschaften« eine schwierige sei. Daß auf der gegnerischen Seite eine Voreingenommenheit mit im Spiele gewesen, daß auch hier der Volksglaube mit thätig war, daß ein epidemischer Wahn Vermuthungen erweckte, steigerte und in dieser Dunstatmosphäre Zeugen aufwuchsen, die ihren Glauben an die Sache für Kenntniß von derselben nahmen, scheint so wenig in Abrede gestellt werden zu können, als bei den vielen ähnlichen Processen, die unser Pitaval mittheilte, und über die wir unsere Ansicht des Weitern im Fualdes'schen Falles ausgesprochen haben. Wo ein solcher Volkswahn gegen Angeklagte kämpft, gehören freilich ungewöhnliche Mittel und Anstrengungen dazu, ihm zu widerstehen.
Die Apparate zur Verhandlung entsprachen der schreckhaften Erwartung, die man nach dem bis da Bekannten hegen durfte.
Am Fuße der Gerichtstafel sah man auf einem Tische eine kleine Kiste von gelblicher Farbe, dieselbe, in welcher der Leichnam gefunden; das Gestell des Kanapee's, auf welchem der Mord geschehen sein sollte; das Hemd, welches man an der Leiche fand, mit den Buchstaben B.G. gezeichnet; dann zwei große Taschentücher mit denselben Buchstaben; endlich mehres Weißzeuch, im Hause Bletry's gefunden.
Nachdem die Anklageschrift verlesen worden, ward eine Kiste herbeigebracht, in welcher sich eine genaue Nachbildung des Bletry'schen Hauses befand, die Bletry selbst im Gefängnisse angefertigt hatte. Das Haus, wie schon erwähnt, liegt in der Nähe von Mühlhausen, zwischen dem Wege nach Altkirch und der Eisenbahn von Basel nach Straßburg; es hat ein Erdgeschoß mit einem oberen Stockwerke, uud Mansarden über dem letzteren. In dem Zimmer, das rechter Hand im oberen Stocke liegt, ist, wie die Anklage sagt, das Verbrechen begangen worden; es war das Wohnzimmer der Geliebten Bletry's, Franziska Lallemand. Bletry wohnte in dem gegenüberliegenden Zimmer.
Hierauf hielt der Generaladvocat eine Anrede allgemeinen Inhaltes an die Geschwornen, und nachdem die Zeugen aufgerufen worden – 130 an der Zahl!– hieß der Präsident die Kiste auf dem Tische öffnen, und man erblickte in einer gläsernen Kugel einen scheußlich aussehenden, fast unkenntlichen Kopf.
Bletry mußte näher treten. Befragt, ob er den Kopf kenne, antwortete er mit fester Stimme: Nein, Herr Präsident. Er verrieth, als er sich wieder hinsetzte, nicht die geringste Erschütterung.
Die Verhandlungen gingen zum Verhör der Angeklagten über. Wir finden keine vollständige Auslassung, weder des Hauptangeklagten, noch seiner Mitangeschuldigten, was sich aus der Sachlage von selbst erklärt. Für sie gab es keinen Zusammenhang; sie konnten nur die einzelnen sie gravirenden Thatumstände ableugnen, oder ihnen eine andere Bedeutung geben, als die, in welcher die Anklage sie aufführte.
Bletry beschuldigte die Anklage eines vollständigen Irrthums. Man habe, seit er im Gefängnisse sei, alle seine Handlungen angegriffen und die reinsten Thaten seines Lebens gegen ihn gekehrt.
Wenn eine schwarze Dame an 3. Juni zu wiederholten Malen nach ihm gefragt, so wisse er nichts davon, und könne doch nicht verhindern, daß Jemand seinen Namen nenne und nach ihm frage. Weder sei eine solche Dame an dem Tage in sein Haus getreten, noch sei, oder könne sie an dem Nachmittage in seinem Garten spazieren gegangen sein. Möglich wäre es, daß eine solche Dame,in dem offenstehenden Garten seines Nachbarn spazieren gegangen.
Die Angabe der Lacour von dem Vorfalle am Nachmittage des 3. Juni (einem Sonnabend) stellte er jedoch nicht absolut als Lüge oder Einbildung in Abrede. Nur könne sie keinen Schrei gehört haben. Er habe an dem Nachmittage krank darnieder gelegen. Er habe nach Franziska mit lauter Stimme gerufen. Auch das Geräusch, den Fall, den die Lacour gehört haben wollte, wies er ganz ab. Das Geräusch werde daher gekommen sein, daß er einen Ziegelstein zerbrochen, welchen er in ein Paket thun wollen, das einen Brief an seinen Bruder nach Mümpelgard enthielt. Ihm sei ein Gerichtsbefehl, absichtlich spät, übergeben worden, er habe nicht gewußt, daß es ein Endurtheil sei, welches, wegen einer Forderung, den Arrest gegen ihn verfügte. Nachdem er den Brief an seinen Bruder geschrieben, habe er einen halben Ziegelstein in das Paket gelegt, damit dasselbe das vorschriftsmäßige Gewicht von einem Kilogramm erhalte, um von der Diligence mitgenommen zu werden. Der Beweis, daß sein Brief sehr dringend gewesen, ergebe sich daraus, daß, nachdem er am Sonnabend Abend geschrieben, die Antwort des Bruders schon am Montag (5. Juni) eingetroffen wäre.
Der Präsident bemerkte, wie es auffallig sei, daß er diese Erklärung erst nachträglich gegeben, wahrend er früher den Schrei und das Geräusch anders zu erklären versucht. Bletry erwiderte: daß ihm tausend Umstände in dieser Sache jedesmal erst wieder bei Gelegenheit ins Gedächtniß kämen.
Ihm ward ferner bemerkt, daß der damalige Gerichtsbefehl gar nicht so dringend gewesen, als daß er um deswillen, und noch dazu krank, sofort an seinen Bruder schreiben müssen, um dessen Rath zu erholen. Bletry entgegnete: von 5 bis 6 Verhaftshefehlen gedrängt, mit der Aussicht auf den Bankrutt, der vor der Thüre stehe, werde man beim unbedeutendsten Gerichtsbefehl ängstlich; überdem habe ihm der Gläubiger, der ihm diesen letzten Befehl behändigen lassen, besondere Beweise seines Hasses gegeben, sodaß er, wenn auch noch nicht auf der Stelle den Verhaft, doch die Beschlagnahme seines ganzen Hausgeräthes zu gewärtigen gehabt.
Seine Betrübniß am 4. Juni (Sonntag), die von Vielen bemerkt worden, erklärte Bletry als sehr natürlich nach so vielfachen Bedrängnissen von Seiten seiner Gläubiger; dann aber habe er seit dem 31. Mai an einem heftigen Halsübel gelitten, weshalb er sich öfters Blutegel setzen müssen.
Von Blutflecken in seinem Hause, in seiner Wäsche wisse er nichts. Wenn dergleichen gefunden worden, möchten sie von den Blutegeln, oder auch von den Hämorrhoiden herrühren, an denen er gelitten und die oft Blutverluste veranlaßt hätten.
Die mit B. G. gezeichneten Tücher, welche bei der Leiche gefunden, kenne er nicht, er habe sich überhaupt um sein Weißzeuch sehr wenig gekümmert. Uebrigens könnten viele hundert Personen Namen haben, welche mit diesen Buchstaben anfingen: »bin ich schuldig, so sind diese es auch.«
Am Morgen des 5. Juni, Montags, waren nach der Anklage seine 3 Mitbeschuldigten auf einem Wagen auf dem Altkircher Wege gesehen worden. – Dieses bestritt Bletry auf das Bestimmteste. Weidenbacher und die Dinicher hätten an dem Tage das Haus nicht verlassen; er aber sei an dem Montage mit seiner Geliebten, Franziska, nach Basel mit der Eisenbahn gereist.
Bletry hatte ein Bund Schlüssel bei Seite geschafft, welches er seinem Freunde, dem Commissar Fisson, übergeben, um die Schlüssel, einzeln wegzuschaffen. Unter denselben sollte auch der zur Kiste gewesen sein, in welcher sich die Leiche befand. Der Angeklagte erklärte, er habe es gethan, weil er nicht geglaubt, daß er zwei Jahre im Gefängniß schmachten werde, auch damit ein anderer Bekannter, Galisser, nicht belästigt werde. Uebrigens habe er Fisson auch gebeten 200 Francs in Golde, die Franziska ihm unbewußt gehabt, mitzunehmen, damit sie ihr nicht gestohlen würden.
Daß Franziska nach der That so viel Geld besaß, war auffällig, da kurz vorher im Hause und in der ganzen Wirthschaft eine so große Dürftigkeit geherrscht. Bletry konnte darauf nichts anführen, als daß er von ihrem Gelde nichts gewußt, da er nicht gewohnt sei in den Sachen anderer Personen nachzusuchen.
Es sei ermittelt, erklärte der Präsident, daß Bletry vor dem 3. Juni im größten Mangel sich befand; seinen Holzbedarf kaufte er jedesmal für 4 bis 5 Sous ein. Am 3. Juni hatte er nur 7 Sous, während an den nachfolgenden Tagen ein plötzlicher Wohlstand eintrat; denn er habe verschiedene Ausgaben gemacht, ein Schild und Anderes eingekauft, sei nach Basel und anderswohin gereist, ohne daß ein besonderer Zweck dieser Ausflüge klar geworden.
Bletry erwiderte darauf, daß er ein Handelsmann sei, aber es sei unwahr, daß er im Mangel gewesen. Wenn er seinen Gläubigern nicht Vertrauen eingeflößt, würde er nicht noch jetzt eine Masse von 138,000 Francs besitzen. Jedenfalls sei er nicht ohne Hülfsquellen gewesen.
Dieser Vermögenspunkt, seine Schuldverhältnisse, also das Motiv der That, scheint durch die Untersuchung am wenigsten erschöpft und aufgeklärt, gleich wie auch im Fualdes'schen Processe dieser Punkt im Dunkel blieb. Hier mögen die Unterstützungen und Bemühungen der Familie den Bankrutt aufgehalten und das Licht, was daher kommen durfte, verdunkelt haben. Daß aber ein wirklicher, wenn auch nur augenblicklicher, großer Mangel da war, scheint durch die Zeugenaussagen außer Zweifel gesetzt.
Die Aussagen der drei andern Angeklagten stimmen im Wesentlichen mit der Bletry's überein; wobei aber zu bemerken, daß sie, nach der Entdeckung der Leiche und bis zu ihrer Verhaftung, Zeit genug hatten, sich zu verständigen; ja, daß sie auch noch im Gefängniß in der ersten Zeit mit einander communicirten. Ein Gefangenwärter ward deshalb seines Amtes entsetzt.
Franziska Lallemand erklärte mit der zuversichtlichsten Ruhe, daß sie unschuldig sei. Auch sie wußte nichts von einer fremden, schwarz gekleideten Dame, welche am Nachmittage des Sonnabends in ihr Haus gekommen und im Garten spatzieren gegangen sei; ja, sie versicherte mit Bestimmtheit: » es ist keine andere Dame gekommen.« Sie nannte mehre Frauen, die wol gekommen sein dürften, die aber von den Zeugen gekannt waren und die, nach Aussage derselben, keine Aehnlichkeit mit der Fremden gehabt.
Die Geschichte mit dem Aufschrei, dem Fall, daß dieser von einem Ziegelsteine hergerührt, den Bletry zerbrochen, erzählte sie ganz in Uebereinstimmung mit diesem Letzteren. Aber auch sie hatte diese Erklärung erst bei den spätern Verhören abgegeben. Warum? »Wenn man unschuldig ist, denkt man nicht an Alles.« Sie wußte nichts davon, daß sie sehr aufgeregt gewesen, als sie aus der Stube auf die Treppe trat, und nichts von einer blutigen Hand. Den Brief, oder vielmehr das Paket, das Bletry geschrieben, habe sie selbst an dem Abend nach der Diligence getragen, weil Fritz Weidenbacher zu langsam sei.
Auch Franziska war am Sonntage (4., der Pfingsttag) sehr traurig gewesen, und man hatte an ihr die mehr als nachlässige Tracht an dem Festtage auffällig bemerkt. – Sie wollte in der Küche mit häuslichen Arbeiten beschäftigt gewesen sein.
An diesem Pfingstsonntage sollte, der Anklage zufolge, Niemand in das Haus eingelassen worden sein. Franziska behauptete, es habe Jedem offen gestanden, und weder habe sie dem einen Zeugen, der es behaupte, den Eintritt verwehrt, noch Herrn Fisson in der Wirthsstube zurückgehalten, da Bletry selbst unten gewesen, der Fisson keineswegs entfernen wollen.
Franziska leugnete nicht, daß Blut im Hause, vielleicht in der Wäsche, vielleicht auf den Möbeln gewesen, aber diese Blutflecken könnten nur von ihrer Schwester herrühren, die eine Zeit bei ihr gewohnt und krank gewesen. Der Präsident machte sie darauf aufmerksam, daß Blutflecken auch über dem Kanapee, auf der Tapete und dem Getäfel gefunden worden; wenn ihre Schwester Blutverlust gehabt, hätte doch dies Blut nicht so hoch spritzen können.
Die beiden Tücher, mit den Buchstaben B. G., deren eins bei der Leiche, das andere um die später entdeckten Beine als Umschlag gefunden worden, wollte sie nie gesehen haben.
Montag am 5. Juni sei sie früh bei einem Herrn Decker gewesen, um ihren Miethsvertrag einschreiben zu lassen. Nach dem Frühstück sei sie mit Bletry nach Basel gefahren, um ein Wirthshausschild zu kaufen. Es sei daher unmöglich, daß sie mit der Dinicher und Fritz Weidenbacher über die Altkircher Brücke gefahren, oder eine der beiden Frauen gewesen, welche die Kiste nach Fegersheim brachten.
Die ihr vorgewiesene Kiste, in welcher die Leiche gefunden worden, erklärte sie nie besessen, oder vorher gesehen zu haben. Auch der Umstand, daß eine Schwester Flavia und andere »Schwestern von der Vorsehung,« bei denen sie früher in Unterricht gegangen, die Kiste für die ihrige erkannt, konnte sie nicht umstimmen: »Wäre dem so, ich würde es nicht leugnen.« – Mehre Zeugen hatten die Kiste, welche Franziska als die ihr zugehörende angab, dafür nicht erkannt. Sie hatte darauf nichts zu erwidern.
Fritz Weidenbacher erklärte sich für ebenso unschuldig. Er hatte am 3. Abends nichts Besonderes bemerkt. Bletry hatte ihn um 8 Uhr gerufen, von Franziska eine Feder, von ihm einen Ziegelstein gefordert, um ein Paket zu machen, welches Franziska nach Mühlhausen auf den Eilwagen getragen. Am Abende sei sie mit Bailly (dem Franziska auf dem Rückwege von der Post begegnet sein wollte) zurückgekehrt. Von der schwarzen Dame wußte er nichts. Er hatte nie Blutflecken im Hause, im Zimmer oder auf dem Kanapee bemerkt. Dagegen hatte auch er oft heftiges Nasenbluten gehabt, und auch in dem bewußten Zimmer. Vom Generaladvocaten befragt: warum er den Umstand nicht bei der Untersuchung angegeben, antwortete er: »Ich wohnte in dem Zimmer, wo man Blut gesehen hat, ehe Magdalene Dinicher ankam; vorher aber hat Franziska's Schwester darin gewohnt. Diese litt an geschwollenem Zahnfleisch und ließ sich Blutegel ansetzen, welche sie zu Mühlhausen gekauft hatte; das Blut spie sie auf den Boden aus. Wahrscheinlich kommen hiervon die Blutspuren. Dies Mädchen hatte gesagt, sie wolle Bletry und ihre Schwester nicht wissen lassen, daß sie sich Blutegel anlegen ließ.«
Um Pfingsten hatte man auch ihn traurig gesehen. Fritz wollte nichts davon wissen. Ebensowenig hatte er am 3. oder 4. Juni Abends verschiedenen Personen, welche bei Bletry trinken wollen, den Eingang verwehrt. Nur zu einem Thomas und Andern, die in Abwesenheit Bletry's und Franziska's gekommen wären, hatte er gesagt, da er die Schlüssel zum Keller nicht habe, könne er ihnen mit nichts aufwarten.
Fritz räumte ein, daß er einen mit einem Schimmel bespannten Wagen, auf dem eine Kiste war, gefahren, aber das sei für Herrn Schulz geschehen, und nicht Montag am 5. Juni, sondern Dienstag am 6. Nicht wie der Zeuge (der ihn am 5. gesehen haben wollte) sage, habe er da einen blauen, sondern einen weißen Kittel angehabt, den er von Herrn Bletry hatte.
Davon, daß er zu mehren Personen nach dem 5. Juni gesagt haben solle, es sei kein Geldmangel mehr im Hause, wußte er nichts. Die Kiste kannte er nicht.
Magdalene Dinicher war erst gegen Ende Mai 1843 in Bletry's Haus gekommen. Sie war nach Mühlhausen gegangen, um von Franziska Lallemand, welche von Magdalenen's Schwager Bierkrüge gekauft, die Bezahlung einzufordern, und blieb dann einige Tage dort, doch ohne in Bletry's Dienste zu treten.
Sie schlief in dem Zimmer, wo das Kanapee stand (früher hatte Franziska darin gewohnt), hatte aber keine Blutflecken bemerkt. Fritz Weidenbacher sah sie wol ein Mal an der Nase bluten, es war aber auf dem Hofe. Am 3. Juni wollte sie allein mit häuslichen Arbeiten beschäftigt gewesen sein, und hatte daher ebenfalls keine schwarze Dame eintreten gesehen; nur einen Herrn, der Herrn Bletry ein Papier durchs Fenster gereicht (der Gerichtsbote, welcher Bletry, nach dessen Aussage, den verdrießlichen Executionsbefehl überbrachte). Eben so wenig wußte sie von einer Dame, die im Garten spazieren gegangen wäre.
Sie wollte nachher nicht bemerkt haben, daß die Wäsche unrein, d. h. mit Blut befleckt war, auch nicht ein blutbeflecktes Hemde der Frau Lacour gezeigt haben. Die Wäsche habe nur Flecken von Weinhefen und Rost gehabt. Dagegen hatte auch sie gehört, wie Bletry Franziska Lallemand rief und eine Feder forderte; sie sah wie Franziska deshalb zur Frau Lacour ging; sie hörte wie Herr Bletry von Fritz einen Ziegelstein verlangte und zerbrach, um ihn in ein Paket zu legen, welches am nämlichen Abende nach dem Eilwagen besorgt ward.
Montag (5.) Morgens sei sie nicht und könne auch nicht auf der Station Dornbach gewesen sein; denn an dem Tage »gingen Fritz (?) und Herr Bletry nach Basel,« sie sei zu Haus geblieben, und mehre Personen gekommen. Da habe auch der Postbote um 10 Uhr ein Paket gebracht (die angebliche Antwort des Procurators Bletry), wofür sie 1 Franc und 10 Centimes bezahlt. Die ihr vorgelegten Tücher kannte sie nicht; wußte dagegen, daß die Schwester der Franziska, als sie ins Haus gekommen, großen Blutverlust gehabt hätte.
Sie allein unter allen Angeklagten gerieth in Affect, und auf die Frage: ob sie dabei beharre, nichts vom Verbrechen zu wissen, tief sie mit bewegter, immer heftigerer Stimme: »Ich weiß nichts davon, ich bin unschuldig. Ich bin mit Bletry nicht verwandt. Wenn ich von seiner Schuld wüßte, so hätte ichs gesagt. Ich weiß nichts; ich kann nichts aussagen, und bin nun schon zwei Jahre im Gefängniß!«
So die Aussagen der Angeschuldigten, die merkwürdig übereinstimmen, so merkwürdig in geringfügigen Umständen, daß das Zusammenspiel, die gegenseitige Verabredung in die Augen springt. Wie wäre es denkbar, daß vier Personen zugleich, und nach einem so langen Zwischenräume an Zeit, sich von selbst und dergestalt genau des Umstandes von dem zerbrochenen Ziegelstein und was damit zusammenhängt, entsinnen sollten! Bei der ersten Untersuchung fehlte die Aussage der Lacour, also auch der unterdrückte Schrei, der Sturz oder Fall und das Hinausstürzen Franziska Lallemand's. Nachdem diese Aussagen dem Processe ein neues Fundament, und eine für die Angeklagten gefährliche Wendung gegeben, mußte von ihrer Seite Alles geschehen, sie entweder zu entkräften, oder ihr eine unschädliche Auslegung und Wendung zu geben. Das Erstere scheint nicht zulässig gewesen zu sein, es schwebte eine Macht der Wahrheit darüber, die sich nicht wegleugnen ließ. Da wird – wir sagen nicht ersonnen, aber aufgestellt – die fabelhafte Geschichte von einem Briefe, der schnell beantwortet werden muß, und von einem Ziegelsteine, mit dem der Brief beschwert wird, um ein paar Centimes Porto in einer Angelegenheit zu sparen, wo das Wohl und Weh eines Hausstandes auf dem Spiele stand. Je öfter sie wiederholt wird, um so seltsamer klingt uns diese Geschichte. Aber zugestanden, daß es so gewesen, daß in Bletry's Kopfe dieses Auskunftsmittel entsprungen, daß es in den gesellschaftlichen Kreisen dort nichts Ungewöhnliches wäre; wie kommt es, daß nach Verlauf so vieler Monate nicht er und Franziska allein, daß auch die Dinicher und selbst der stumpfe Fritz Weidenbacher sich so genau aller Details bei diesem gleichgültigen und unbedeutenden Vorfalle erinnern! Von der Dinicher erfahren wir aus deren Verhör, daß sie erst im Februar 1844 die Thatsache erwähnte. Auf die Frage: warum sie so lange über diesen Umstand geschwiegen? erwiderte sie: man habe keine Erklärung von ihr darüber verlangt. – Und dann, nach Ablauf eines Jahres, entsann sie sich: wie Herr Bletry (Nachmittags am 3. Juni) Franziska Lallemand gerufen; wie er eine Feder verlangt; wie Franziska darauf zur Frau Lacour gegangen; wie Bletry von Fritz einen Ziegelstein verlangt; wie er ihn zerbrochen; wie das geschehen, um ihn in ein Paket zu legen; und wie dies Paket noch am nämlichen Abend auf den Eilwagen besorgt worden. Es ist ganz unmöglich, hier über die Annahme einer Verabredung, einer Einflüsterung hinweg zu kommen. Ruhte das Gewicht der Anschuldigung allein auf diesem Punkte, und wären nicht in dem ganzen Gebäude derselben andere Widersprüche und Lücken, die es wieder zerfallen machen, so wäre grade diese Uebereinstimmung in ihrer Ausrede aufs Höchste für die Angeschuldigten gravirend. Das populaire qui s'excuse s'accuse läßt sich nicht abweisen. Wenn sie, in reiner Unschuld, sich durch die Aussagen der Lacour gar nicht getroffen gefühlt hätten, würden sie darüber vornehm gelächelt und ihren Verstand nicht angestrengt haben, dem Geräusch, das jene gehört haben wollte, eine so complicirte Deutung zu geben. Ihnen wären, bei einem ganz unbefleckten Gewissen, die gleichgültigen Vorfälle jenes Nachmittags längst aus dem Sinne entschwunden. Der combinirende Scharfsinn, sie auf die angegebene Art zu erklären, umschließt das Schuldbewußtsein, daß die Lacour wirklich Etwas gehört, und das Gehörte nichts durchaus Gleichgültiges gewesen.
Uebersehen darf übrigens nicht werden, daß die Klarheit, Entschiedenheit und Uebereinstimmung in den Antworten der Angeschuldigten, welche im Allgemeinen zu ihren Gunsten spräche, nicht allein das Resultat geheimer Besprechungen war, sondern daß sie sämmtlich schon ein Mal vor Gericht gestanden und durch die ersten öffentlichen Verhöre eine Uebereinstimmung in ihren Aussagen sich bereits gemacht hatte. Jeder wußte officiell, was die Anderen in der Hauptsache gesagt, wie weit er daher in seinen Aussagen zu gehen habe, um weder sich, noch seine Genossen zu compromittiren.
Wir gehen nun zu den Zeugenvemehmungen über, einer schwierigen Arbeit wegen des Durcheinander ihrer Aussagen. Um uns und unsere Leser möglichst zu einer Anschauung der Indicien und des Gewichtes, welches ihnen beizulegen, zu bringen, die in der Art, wie die Zeugen vernommen wurden, den Geschwornen sehr erschwert wurde, werden wir die Momente, welche die Anklage hervorhebt, in chronologischer Folge einzeln durchgehen und, die Zeugenaussagen trennend, zu jedem dieser Punkte die darauf bezüglichen Auslassungen herausnehmen und zusammenstellen.
Der Einnehmer an der Bahnstation Fegersheim wiederholte über die Auffindung der Kiste nur Dasjenige, was uns aus der Anklageschrift bekannt ist. Die Kiste war, weil Niemand sie in Anspruch nahm, in das Stationshaus gebracht worden. Man konnte den Ort, woher sie kam, nicht gleich lesen, weil er mit Bleistift geschrieben und wieder zum Theil ausgelöscht war. – Nachdem der üble Geruch die Aufmerksamkeit auf diese Kiste, gelenkt, wurde sie in Gegenwart des Friedensrichters eröffnet.
Der Bahnwärter aber hatte, nach Anzeige des Einnehmers, um die Station einen Mann in einem sammtenen Qberrocke, blauen Pantalons und einer Mütze oft umher schleichen gesehen. Er sei stark, kurz und von dunkler Gesichtsfarbe gewesen.
Später erklärte dieser Bahnwärter, Leopold Sens, selbst vor Gericht: »Am 5. Juni 1843 wurde unter andern eine schwere Kiste auf der Station abgeladen und einstweilen aufbewahrt. Am 9. Juni Nachmittags sah ich einen Mann in sammtenem Oberrocke und schmutzigen Hosen. Seine Mütze war tief in die Augen gedrückt; seine Stiefeln waren voll Koth und abgetreten. Er trug einen starken Backenbart wie ein Band rund um das Gesicht; seine Nase war stark. Er begab sich in den Wartesaal und warf einen Blick hinein. Seine Hände waren gelb; der kleine Finger an einer Hand war steif. Auch am 10., nach der Ankunft des ersten Straßburger Zuges, kam er wieder auf die Station, und machte es wie den Tag zuvor. Am folgenden Tage wurde die Kiste, weil sie sehr übel roch, in Gegenwart des Friedensrichters geöffnet. Diesen Tag kam derselbe Mann wieder auf die Station, ging im Wartesaale auf und nieder, und entfernte sich, ohne wieder zu kommen. Ich bemerkte, daß sein Bart den letzten Tag geschnitten war. Er verbarg das Gesicht immer mit der Mütze.«
Als der Präsident Bletry aufzustehen nöthigte, erkannte Sens in ihm die Hautfarbe, den Bart, das gelbe, glänzende Gesicht, die Nase wieder. Daher habe er schon, als er ihn zu Altkirch das erste Mal im Gefängniß wiedergesehen, zu ihm gesagt: »Sie habe ich zu Fegersheim gesehen.« – Bletry zuckte die Achseln: zu jener Zeit, wo Sens ihn gesehen haben wolle, sei er ununterbrochen in Val-Dieu gewesen. Uebrigens zeigte er, daß er jeden Finger bewegen könne.
Allerdings sagten zwei Zeugen, daß er in Val-Dieu vom 7. bis 15. Juni gewesen, wohin auch Franziska ihm nachgereist. Der Unternehmer öffentlicher Arbeiten, Schulz, hatte ihn engagirt, seine Bücher zu führen. Ein anderer Zeuge hatte ihn aber am 19. Juni zu Mühlhausen gesehen, und sein eigener Wirth an jenem Orte sagte, daß er manchmal im Laufe des Tages abwesend war. Bei der schnellen Verbindung durch die Eisenbahn (Val-Dieu liegt nur 2 Stunden von der nächsten Station) konnte er leicht an ein und demselben Tage an sehr verschiedenen Orten gesehen werden.
Der Professor Tourdes aus Straßburg wiederholte seinen Bericht über die von ihm vorgenommene Leichenschau in Kürze dahin: »Man fand in der Kiste an Kleidern und Weißzeuch: einen Frauenrock, ein Betttuch mit den Zeichen E. S. T., ein linnenes Hemd, dessen Aermel und Vordertheil zerrissen waren; ein Taschentuch mit den Buchstaben B. G., ein Stück Strohflechte, ein langes violettes Band, eine Chemisette, Stücke Zeuch von verschiedenen Farben. Daß die Wunde am Hals der betreffenden Person noch im Leben beigebracht worden, ergibt sich aus der Zusammenziehung der Muskeln an dieser Stelle; denn im Tode findet eine solche Zusammenziehung nicht Statt. Die Ohren waren nicht durchbohrt; die Finger hatten keine Spur von getragenen Ringen. Die Hand war fein und zart; die Nägel kurz geschnitten und am Rande schwarz. Einige der Kleidungsstücke zeugen von Wohlstand, andere von Armuth. Die bei Pfastadt gefundenen Beine gehörten zur Leiche. Die Frau war ungefähr 40 bis 50 Jahre alt. Der Tod erfolgte durch die Halswunde plötzlich und auf einmal; da keine Spur eines Kampfes zu finden, so geschah die That wahrscheinlich, während die Frau schlief. Wenn sie wachte, so müssen wenigstens zwei Personen an dem Verbrechen Theil genommen haben, sonst hätte ihr diese Wunde so nahe am Brustbeine, in fast senkrechter Richtung vom Hals nach dem Nacken, nicht beigebracht werden können. Die Beine sind nach dem Tode abgelöst worden. Nach dem Zustande von Fäulniß, in welchem sich die Leiche befand, muß der Mord zwischen dem 2. und 5. Juni 1843 geschehen sein.«
Näher befragt, ob in ihm doch keine Vermuthung aufgestanden, daß das Schlachtopfer zur geringeren Volksclasse gehört haben möge, sagte er, daß ihr körperlicher Zustand widerstreitende Vermuthungen hervorgerufen. Ihr Haar war schön und dicht, die Zähne dagegen fast verdorben; die Hände fein und zart. Das Schwarze am Rande der Nägel möchte vom Staube hergerührt haben, der in die Kiste eingedrungen, die Nägel an den Füßen dagegen wären in schlechtem Zustande gewesen.
Nachträglich erklärte Dr. Tourdes beim Verhör auf die Frage: ob wol das Hemde, das man an der Leiche fand, wirklich das der Gemordeten gewesen? ihm sei wahrscheinlich, daß sie es im Augenblicke der Ermordung getragen, wenn man die große Menge des Blutes erwäge, welche das Hemde in der Gegend des Halses gezeigt.
Es sei möglich, daß das Schlachtopfer, weil im Schlafe überfallen, nicht geschrieen habe, wenn sie aber erwacht, müsse sie, wenn auch nur einen Augenblick vor dem Tode, aufgeschrieen haben.
Die Kiste war durch zwei Frauen am Morgen des 5. Juni (Montag) auf der Station Dornach abgeliefert worden. Wenn sie von Bletry's Hause kam, mußte sie, obgleich dieses Haus dicht an der Eisenbahn liegt, doch erst durch die Stadt Mühlhausen getragen werden, um nach dem Stationshofe Dornach gebracht zü werden.
Die Magd Ursula Meyer (im Dienst bei einem Freiherrn von Heckeren zu Sulz) sah am 5. Juni Morgens zwischen 7 und 8 Uhr zwei Frauen durch Mühlhausen eine Kiste tragen. Sie glaubte, eine derselben war Magdalene Dinicher. Einen alten blauen Rock (der der Dinicher gehörte, von dem sie aber behauptet, daß er zu schlecht wäre, als daß sie damit ausginge) erkannte sie als das Kleid, welches die Frau damals trug. Die Kiste auf dem Tische war dieselbe, welche die Frauen trugen.
Der Arbeitsmann Zurban sah, zur selben Zeit eine Frau eine Kiste, durch Mühlhausen tragen. Die Tagelöhnerin Wächter sah ebenfalls zwei Frauen, von denen eine eine schwere Kiste trug. Doch erkannte sie diese Frauen in der Dinicher und Lallemand nicht wieder. Aehnlich die Aussage der verehelichten Rehm und der Witwe Lambert.
Am wichtigsten ist die Aussage des Einnehmers Duhoux auf der Station Dornach: »Eine Frau und ein Mädchen brachten die Kiste auf die Station. Die Frau nannte sich Frau Brücker. Als der Koffer gewogen wurde, frug ich: »Was ist darin?« Sie gab, keine Antwort. Ich frug: »Ist Leinenzeuch und Kleidung darin?« Sie sagte darauf: »Ja!« Sodann stieg die Frau in einen Waggon; der Saalwärter lud den Koffer auf. Als man am 10. Juni mich wegen des Koffers befrug, war mein Gedächtniß noch frisch; ich wußte noch Alles. Als ich hierauf nach 14 Tagen der Haussuchung bei Bletry beiwohnte, sagte ich sogleich, als ich Magdalena Dinicher sah: » Sie sind Frau Brücker! «Sie antwortete mir: »Sie irren sich.« Als hierauf in dem Hause verschiedene Gegenstände mit Beschlag belegt wurden, glaubte ich den Rock, den die angebliche Frau Brücker trug, zu erkennen; meine Frau erkannte den Rock ebenfalls. Ich erkenne Franziska Lallemand nicht; aber ich erkenne Magdalene Dinicher ganz bestimmt für die angebliche Frau Brücker, der ich ein Billet nach Fegersheim einhändigte.« An Glaubwürdigkeit gewinnt diese Aussage dadurch, daß Duhoux versicherte: daß die Zahl der Reisenden mit dem Zuge am 5. Morgens nicht beträchtlich gewesen und daß in Dornach nur diese eine Kiste aufgegeben worden. Er sah die Frau, die er in der Dinicher wieder erkennt, in den Waggon einsteigen und sich niedersetzen. Möglich sei es, gab er zu, daß sie nachher wieder ausgestiegen, obschon nicht leicht.
Die Aussage der Frau des Einnehmers bekräftigt jene noch durch Anführung solcher Nebenumstände, welche nicht leicht erfunden werden: »Am 5. Juni 1843 sah ich vom »Sträßel« her zwei Frauen kommen, deren eine nach dem Stationshause einen schweren Koffer trug. Beide schienen todtmüde. Ich bat den Angestellten Brigué, ihr beim Aufheben der Kiste zu helfen. Brigué nahm die Kiste; die Frau nahm ein Billet nach Fegersheim unter dem Namen Frau Brücker. Sie sprach den Namen so aus, daß er mit dem Namen Brigué Aehnlichkeit hatte; darüber machte ich einen Spaß. Sie trug ein blaues Kleid, eine weiße Mütze und ein dunkles Tuch. Ich erkenne Franziska Lallemand nicht; die andere Frau gleicht an Gestalt und Umfang der Magdalena Dinicher. Ich sah die Frau in den Waggon steigen.«
Der erwähnte Bahnwärter Brigué bestätigt dasselbe. Nur sah er, daß die schwere Kiste auch ein Mal von der jüngeren der beiden Frauen auf dem Kopfe getragen worden. Die ältere und dickere glaubte er in Magdalena Dinicher wieder zu erkennen, »jedoch nicht mit Gewißheit.« Franziska erkannte er nicht. Die Kleidung beschrieb er wie die andern Zeugen. Die dicke und ältere sah er in den Waggon steigen, und – als der Zug schon in Bewegung – sich niedersetzen. Es war an dem Tage nur ein Billet nach Fegersheim ausgegeben worden! – Daß die Frau nach der Abfahrt von der Station ausgestiegen sein sollte, hielt er für nicht wahrscheinlich; auf seiner Seite hätte er es sehen müssen, auf der andern war kein Tritt.
Die Vertheidiger begründeten auf diese Aussage den Alibibeweis: daß Magdalena Dinicher, die man bald darauf, wo nicht zur selben Zeit, in Mühlhausen, im Bletry'schen Hause gesehen, nicht um 9 Uhr 35 Minuten mit der Eisenbahn von Dornach nach der nächsten Station könne gefahren und wieder nach Mühlhausen zurückgekehrt sein. – Der Präsident bemerkte indessen, daß der Eisenbahnzug beim Anfang eine so langsame Bewegung habe, daß das Aussteigen wenigstens nicht unmöglich sei.
Nach diesen Aussagen (die noch durch mehre andere Zeugen unterstützt werden, deren Auslassungen wir indeß übergangen, weil sie durch die angeführten an Vollständigkeit und Bestimmtheit überboten werden) steht also fest: daß Montags früh die verhängnißvolle Kiste durch zwei Frauen, welche theils in Mühlhausen gesehen worden, theils auf dem Wege von Mühlhausen nach Dornach, nach letzterer Station geschafft worden; ferner: daß einige dieser Zeugen mit mehr oder minderer Bestimmtheit in der einen dieser Frauen die Magdalene Dinicher erkannt haben.
Aber dieser Beweis ward plötzlich durch ein Intermezzo erschüttert, welches beide Theile zu überraschen schien. Während Niemand daran zweifelte, daß die Kiste wenigstens durch zwei Frauen in Dornach abgegeben worden, wenn auch über deren Identität noch Zweifel herrschen konnte, trat ein anderer Zeuge auf, welcher behauptete: er habe die Kiste dorthin getragen und abgeliefert. Die Aussage und die Entwicklung ist so merkwürdig und von so dramatischem Interesse, daß wir nicht anstehen, sie vollständig hier abzudrucken.
Der Arbeitsmann Georg Heckmann nämlich sagte: »Am Pfingstmontag war ich zu Hause, als ich drei Mal rufen horte: »He! Mann!« Es war eine Frau; ich frug sie: »Meinen Sie mich?« Sie frug mich, ob ich ihr helfen wollte, die Kiste fortzubringen, die sie auf dem Kopfe trug. Ich wollte die Kiste so einfach abheben; sie war aber so schwer, daß ich sie beinah fallen ließ. Sie bot mir 10 Sous Trägerlohn. Sie schwitzte stark und schien sehr müde. Ich frug, woher sie komme; sie sagte: »Vom Sträßel« (zu Mühlhausen). Als ich an Küny's Haus ankam, ruhte ich ein wenig aus. Dort frug ich die Frau, wohin sie die Kiste schicke; sie antwortete, daß sie in die Nähe von Straßburg reise. Als ich in das Stationshaus zu Dornach kam, trat ich ein; Brigué nahm die Kiste ab. Die Frau wollte mich bezahlen; da sie in der einen Tasche nur Fünffrankenstücke fand, suchte sie in der andern nach Münze und gab mir 10 Sous.
Präsident. Die Frau hat Sie bis zur Station begleitet?
Heckmann. Ja. Ich ruhte unterwegs mehrmals aus.
Präsident. Meine Herren Geschwornen, dieser Zeuge ist der einzige, der die Kiste genau beschrieb, ehe er sie gesehen, und hat sie nachher gleich erkannt. – Heckmann, um welche Stunde kam die Frau zu Ihnen?
Heckmann. Ich gab grade meinen Kindern zu frühstücken. Es war ein Viertel vor acht. Nachher ging ich in die Fabrik, wo man mich frug, warum ich so spät käme. Ich erkenne Magdalena Dinicher für jene Frau; Beide haben auch denselben Leibesumfang, wegen dessen man Magdalena immer die dicke Köchin hieß. Ihr Gesicht war damals durch die schwere Last hoch geröthet.
Magdalena Dinicher. Der Zeuge hat nicht für mich, sondern für irgend eine Andere die Kiste getragen.
Heckmann. Aber ich erkenne sogar die Stimme noch für dieselbe.
Brigué (mit dem Ausdruck der Entrüstung). Wie, Sie wagen zu behaupten, daß Sie die Kiste gebracht haben? Sie lügen! Eine Frau hat mir die Kiste übergeben.
Heckmann. Ich habe Ihnen die Kiste übergeben.
Brigué. Das ist ja schändlich! Das ist erlogen; ich habe Sie nie gesehen.
Duhoux. Ich weiß nicht, welchen Zweck Heckmann mit seiner Aussage verfolgt. Ich habe ihn nie gesehen; eine Frau hat die Kiste auf die Station gebracht.
Präsident. Unzweifelhaft ist, daß Heckmann die Kiste getragen; wie weit, das ist die Frage.
Heckmann. Ich habe Duhoux auf der Station nicht gesehen; ich habe die Kiste an Brigué gegeben.
Präsident. Sie wollen die Gerechtigkeit hintergehen; wenn Sie nicht zur Wahrheit zurückkehren, werde ich gegen Sie als einen falschen Zeugen einschreiten.
Heckmann. Ich habe nach bestem Wissen die Wahrheit gesagt.
Der Vertheidiger Yves. Heckmann, welcher die Kiste und Magdalena Dinicher erkennen will, kann doch wahrlich nicht zum Vortheil der Angeklagten die Wahrheit verdrehen wollen!
Urban, Fabrikaufseher. Heckmann, der bei uns arbeitet, hat mir gesagt, er habe die Kiste nur bis an Küny's Haus getragen.
Heckmann. Herr Urban hat mich misverstanden; ich sagte ihm nur, ich hätte an Küny's Haus ein wenig ausgeruht.
Marianne Hartmann. Als ich eines Abends aus der Fabrik heimkam, besuchte ich die Frau Heckmann. Ich hörte, wie sie zu ihrem Manne sagte: »Wenn wir nur nicht so arm wären!« Heckmann antwortete: »Sei ruhig; wenn wir die 2000 Francs haben, die Bletry mir versprochen hat, wollen wir in unsere Heimath gehen und dort leben.« Sie sagte darauf: »Du bist sehr dumm, daß Du vor einer Fremden so sprichst.« Er sagte: »Da hast Du recht.«
Heckmann. Seit mehr als fünf Jahren ist die Hartmann nicht in meine Stube gekommen.
Veronika Braun, verehelichte Walter, im Sträßel zu Mühlhausen wohnhaft. Am Pfingstmontag sah ich eine Frau, die auf dem Kopfe eine Kiste trug, die sie nachher von Heckmann tragen ließ. Es war ungefähr 8 Uhr Morgens.
Der Zeuge Rickel. Nachdem die Sache herausgekommen, sagte Heckmann zu mir: »Die Kiste mit dem Leichnam habe ich getragen, aber nicht bis zur Station. Man hat sie mir abgenommen und hingetragen.« Heckmann sagte genau dieses Wort: »man.«
Frau Harnisch. Heckmann sagte mir, er habe die Frau ganz genau wieder erkannt, die ihm die Kiste zu tragen gab; er nahm Gott zum Zeugen der Wahrheit. Er sagte mir nicht, daß eine Frau, sondern daß zwei Frauen ihm die Kiste gegeben hatten.
Der Präsident läßt dem Zeugen Heckmann durch den geschwornen Uebersetzer Wengel den Artikel 361 des Strafgesetzbuches vorlesen, welcher die Strafen gegen falsche Zeugen enthält.
Heckmann beharrt dabei, daß er nicht von zwei Frauen gesprochen habe, sondern von einer, und daß diese eine die Köchin Dinicher gewesen.
Der Vertheidiger Baillet. Die Zeugin Veronika Walter hat auch nur eine Frau gesehen.
Theresia Fleury, verehelichte Gerber. Ich bin Heckmann's Nachbarin. Am Pfingstmontage sah ich zwei Frauenzimmer, die eine Kiste trugen. Es mag um 7 oder 8 Uhr Morgens gewesen sein. Die eine glaube ich an ihrer Dicke für Magdalene Dinicher zu erkennen.
Präsident. Hat man Sie nicht bedroht?
Therese Gerber. Man hat mir mit Schlägen gedroht, wenn ich sagte, was ich weiß. Ich glaube, in Franziska Lallemand das andere Frauenzimmer zu erkennen; aber damals war sie sehr erhitzt. '
Seraphin Gerber, Ehemann der Therese Gerber. Herr Choppart drohte meiner Frau mit Schlägen, wenn sie aussagte, was sie wüßte.
Daß Heckmann beim Transport der Kiste thätig gewesen, wäre danach kaum zu bezweifeln, und nur ein Zweifel darüber, wie weit er sie getragen, ob er sie selbst an die Eisenbahnbeamten abgeliefert, oder schon früher, wie es einige Male unterwegs geschehen, abgelegt und eine der Frauen sie zuletzt wieder aufgenommen? Denn daß seine Angabe von nur einer Frau nicht richtig und doch erklärlich ist, geht aus den Aussagen der Zwischenzeugen hervor. Bei der bestimmten Angabe der Eisenbahnbeamten läßt sich annehmen, daß er wenigstens Hinsichts der Ablieferung in einem Irrthume war. Die Rede seiner Frau, welche die Zeugin Hartmann gehört haben will: »Du bist sehr dumm,« und seine Antwort: »Da hast Du recht,« werfen einiges Licht in diese Controversen.
Heckmann's Angabe ward später noch durch die Aussage des Zeugen Choppart bestätigt, die aber wieder neue Zweifel in die Sache bringt: »Am Pfingstmontage, zwischen 7 und 8 Uhr Morgens, sah ich Heckmann vorübergehen; ich sprach mit ihm über seine Armuth. »Heute habe ich 10 Sous verdient,« sagte er; »heut kann ich meinen Kindern Kartoffeln geben.« Am nämlichen Tage, zwischen 9 und 10 Uhr Morgens, sah ich eine Frau eine tannene Kiste tragen; sie war lang und platt. Ihr folgte eine andere, kurz von Gestalt, schwarz gekleidet, ich glaube, in Taffet. Die Frau, welche die Kiste trug, brach fast zusammen unter der Last.«
Heckmann hatte ihm gesagt, daß er eine Kiste zur Eisenbahn getragen. Aber zwischen der Zeit, wo Heckmann von dem Tragen einer Kiste nach der Eisenbahn gesprochen, bis zu der Zeit, wo Choppart zwei Frauen (die eine gar in Taffet gekleidet!) mit einer schweren Kiste gehen sah, lagen mehre Stunden. Hiernach wäre von zwei verschiedenen Handlungen, von zwei verschiedenen Kisten, die nach der Bahnstation transportirt wurden, die Rede. Aber auf der Bahn war nur eine Kiste abgegeben worden.
Eine Zeugin bei der ersten Untersuchung hatte ausgesagt, daß Choppart geäußert: in den beiden Frauen habe er die Dinicher und Franziska Lallemand erkannt. Er bestritt dies aufs Bestimmteste, unter heiliger Betheuerung; jene Person, die er einst ins Haus genommen und sie dann wieder ausweisen müssen, habe es ihm aus Rache fälschlich nachgesagt. Choppart galt als ein für die Angeklagten voreingenommener Mann; wahrscheinlich liegt in seinen Wahrnehmungen, die mit den andern so wenig stimmen, ein Irrthum.
Noch bestätigte übrigens ein anderer Zeuge, Johann Claus, daß es eine Frau gewesen, die mit der Kiste an der Station angekommen und ihn gebeten, sie ihr abheben zu helfen, worauf er sie an Brigué gewiesen. Die Frau erkannte er in den Angeklagten nicht wieder. Die, welche die Kiste getragen, sah er zu Fuß vom Stationshause nach Dornach zurückgehen. (Also im Widerspruch mit den Eisenbahnbeamten!) Die verehelichte Strebel bestätigte Claus' Aussage, nur sah sie noch eine andere Frau auf dem Fußwege warten, die mit der Trägerin nachher sprach.
Die Frau, welche die Kiste nach dem Stationshause von Dornach getragen, könne nicht die Dinicher gewesen sein, denn diese sei am Montage nicht ausgegangen, und um dieselbe Zeit, wo sie in Dornach sein sollte, im Bletry'schen Hause gesehen worden, war die Behauptung der Angeklagten.
Die Frau, welche die Kiste überbracht, war mit dem Zuge sofort nach Fegersheim weitergefahren, behaupteten die Beamten; andere Zeugen das Gegentheil. Das Gericht schien der Annahme zu huldigen, daß sie nur zum Scheine eingestiegen, gleich darauf aber wieder ausgestiegen sei.
Der Roßhaarstechter Alonsi aber war am Pfingstmontage bei Bletry, weil dieser ihn gebeten, mit ihm nach Basel zu fahren. Um 9 Uhr Morgens sah er dort die dicke Köchin Magdalena Dinicher und Franziska und sah sie noch dort, als er um 10 Uhr mit Bletry nach der Eisenbahn ging; ja sie hatte ihm während seiner Anwesenheit im Hause den Kaffee gebracht. – Als Bedenken gegen diesen Zeugen ward hervorgehoben, daß er Franziska's Schwester heirathen wollen. Er gestand nur zu, daß er ihr ein wenig den Hof gemacht.
Ein anderer Roßhaarflechter, Villaume aus Zillisheim, hatte gleichfalls das Bletry'sche Haus an dem Morgen besucht. Um 9 ½ Uhr ließ er einem Hungrigen dort zu essen geben, und die dicke Köchin, die Dinicher, trug es auf.
Auch ein anderer Zeuge, Hotzinger, war mit Villaume bei Bletry eingetreten, um einen Schoppen zu trinken, und sah zur selben Zeit die dicke Köchin dort.
Drei Zeugen sahen sie also bei Bletry im Hause, in ihren gewöhnlichen Verrichtungen; während eine noch größere Zahl anderer Zeugen sie, keuchend unter einer schweren Kiste, auf dem Dornacher Bahnhofe zur selben Zeit ankommen sahen. – Den Werth der Zeugen abzuwägen steht nur Richtern zu, welche diese persönlich kannten, sahen, hörten. Ein verzeihlicher Irrthmn wegen der Zeitbestimmung konnte aber nicht obwalten, da die Zeit durch regelmäßig abgehende Bahnzüge bestimmt war. Die drei Zeugen sahen die Dinicher noch im Bletry'schen Hause, als Bletry, Alonsi und Franziska sich nach dem Bahnhofe begaben, um den Zug nach Basel, der um 10 Uhr 40 Minuten abging, zu erwarten.
Am 5. Morgens (bestimmt wie sie sich erinnerte am Pfingstmontage) hatte das Mädchen Neuschwander zwischen 8 und 9 Uhr einen Bankwagen gesehen, mit einem weißen Pferde bespannt, der von der Altkircher Brücke kam, in deren Nähe Bletry's Haus liegt und nach dem Oberthore zufuhr. Die Neuschwander erkannte mit derselben Bestimmtheit auf dem Wagen die Franziska Lallemand, die zur Linken saß, die andere, die Dinicher, erkannte sie nicht so genau. Fritz Weidenbacher kutschirte. Auf dem Wagen stand eine gelbe Kiste, ähnlich der zu Fegersheim gefundenen. Nachher war die Neuschwander in die Schenke der Franziska gegangen, »wo ich ein Rendezvous hatte,« und war ganz erstaunt, die Franziska schon wieder da zu sehen. Sie will zu ihr gesagt haben: »da hast Du keine lange Reise gemacht.« Der Polizeisoldat Groß, der auf der Altkircher Brücke Wache stand, bestätigte diese Aussage; doch gab er die Zeit schon auf Morgens 7 Uhr an, und hatte Franziska Lallemand nicht so bestimmt erkannt. – Zur nämlichen Zeit aber sah er Bletry's Freund, Bailly, eine Matratze tragen, ein Umstand, auf den auch Gewicht gelegt worden. Bailly, sagte man ihm, habe vorher mehr als ein Glas mit Bletry getrunken. Bailly behauptete die Matratze von Bletry geliehen erhalten zu haben; das sei aber vor dem 28. Mai gewesen. – Der Wagen mit dem Schimmel sollte Bletry's Freunde, dem Entreprenneur Martin Schulz, gehört haben.
Dieses Factum, auf welches man bei der ersten Untersuchung mehr Gewicht gelegt, scheint bei den letzten Assisen minder berücksichtigt zu sein. Einestheils, weil auf diese Fahrt, mit den Kiste, weniger ankam, wo so viel Zeugen für das Hintragen der Kiste sprachen; auch darin ein anscheinender Widerspruch lag, der sich jedoch leicht, auflösen läßt, wenn man annimmt, daß man diese schwere Kiste durch verschiedene Mittel fortzuschaffen bemüht war. Außer den beiden Frauen hatte ja auch der Arbeitsmann Heckmann sie eine Strecke tragen müssen.
Dann aber, weil die erste Quelle eine sehr unreine war. Das Mädchen Neuschwander stand notorisch im schlechtesten Rufe, die Angeklagten und ihre Vertheidiger behaupteten, daß durch ihr Gerede der erste böse Leumund über Bletry und die Andern gekommen, sie gaben zu verstehen, daß Bletry's Feinde sich, dieses erkäuflichen Mädchens bedient, um ihn zu verderben, sie hatte selbst eingestanden, daß, als sie von der Kiste mit dem Leichnam gehört, sie sich entschlossen, ihre Wahrnehmung dem Polizeiagenten Roy zu sagen, der später die andern Zeugen auftrieb, und von Bletry als sein Hauptverderber angeschuldigt wird; die Polizei mußte auch einräumen, daß die Neuschwander seit der ersten Anzeige mehrmals in Verhaft gebracht worden; endlich ward behauptet, daß man ihr eine polizeiliche Sicherheitskarte und 25 Franks gegeben, um sie zu Aussagen zu vermögen. Zwar leugnete dies der Polizeicommissar Rouetta, der Friedensrichter von Mühlhausen selbst aber erwähnte, daß er von 20 Francs gehört, die man ihr bezahlt. Gründe genug, daß man auf ihr Zeugniß vor den Assisen in Colmar weniger gab.
Bletry's Freund, der Entreprenneur Schulz, erklärte, nur ein Mal seinen Wagen an Bletry geliehen zu haben, aber, niemals einen Bankwagen.
Fritz Weidenbacher erklärte wol einen Bankwagen, aber nicht am 5., sondern 6. Juni gefahren zu haben, am Dienstage, und da habe er Getraide für Herrn Schulz nach dem Mühlhausener Märkte gefahren. Der Bäcker Benner zu Mühlhausen bestätigte auch, daß er am 6. Juni (einem Markttage) Getraide zu Mühlhausen gekauft, welches Fritz für Rechnung der Frau Schulz dahingefahren.
Dagegen hatte der Fuhrmann Brunner, der am Pfingstmontage aus dem Steinbruche, des Herrn Köchlin Steine fuhr, Morgens um 7½ Uhr. Franziska Lallemand gesehen, wie sie, einen angespannten Schimmel führte. Zum Scherz gab er ihr einen leichten Peitschenhieb, sie schimpfte ihn. Als er zurückkam, sah er den Schimmel, mit dem grün angestrichenen Bankwagen wieder vor Bletry's Haufe, es mochte 3 Stunden nachher gewesen sein.– Der Zeuge Roßflechter Alonsi, der etwa zur selben Zeit bei Bletry war, hatte keinen Schimmel vor dem Hause stehen gesehen. Dagegen wird Brunner's und Groß Aussage dadurch bekräftigt, daß andere Zeugen sich erinnern, wie Beide zu ihnen schon am selben Tage sich gelegentlich über ihre Wahrnehmung geäußert hatten. Auch hatte eine Frau Bodinot Fritz Weidenbacher gesehen, wie er am Montage einen Bankwagen mit einem Schimmel fuhr.
Franziska Lallemand behauptete ihr Alibi, indem sie am Pfingstmontage früh Morgens zwischen 7 und 8 Uhr bei Decker's gewesen, um ihren Miethcontract einzeichnen zu lassen; nach 10 Uhr sei sie mit Bletry nach Basel auf Einkäufe gefahren.
Die Einspännerfahrt mit dem Schimmel bleibt jedenfalls mehr in zweifelhaftem Lichte, als der Transport der Kiste durch zwei Frauenzimmer nach dem Dornacher Bahnhofe.
Bald nach Auffindung der Leiche fand auch der Fabrikarbeiter Spehner aus Pfastadt mit zwei Kameraden auf einem frühen Morgengange in einem Hohlwege bei Pfastadt etwas Schweres, in Leinwand eingewickelt, »Sacrement, wie riecht das so schlecht!« rief er aus, und fand in der Leinwand 2 abgeschnittene Beine. Sie wurden dem Bürgermeister überbracht; wie sie als Theile des Leichnams erkannt wurden, ist oben angeführt.
Wie sie in den Hohlweg kamen, ist dagegen völlig unermittelt. Es ist nur Vermuthung, daß man sie nach Fortschaffung der Leiche, dahin geworfen. Weshalb aber nicht ins Wasser, nicht ins Gebüsch, weshalb sie nicht verscharrt? Weshalb sie in ein Leinentuch hüllen, das noch dazu mit Buchstaben gezeichnet war, und – in einen Hohlweg werfen, wo die Vorübergehenden sie auf den ersten Blick entdecken mußten?
Die Vertheidigung schöpfte hier Athem. Dies schien das Werk eines Irrsinnigen, nicht eines so schlau berechnenden, so keck sich verteidigenden Mannes wie Bletrp.
Ein Student der Medicin zu Straßburg, Jusserand, der mehre Zeichen von Geistesverwirrung gegeben, hatte sich selbst ermordet. Es entstand die Vermuthung, er könne die That begangen, und dann aus Gewissensbissen sich selbst getödtet haben. Den Selbstmord beging er in einer Herberge, nahe bei Pfastadt und dem bewußten Hohlwege. – So nach Angabe des Friedensrichter Ritter zu Mühlhausen.
Nach andern Aussagen ergab sich, daß Jusserand sich zu Pfastadt grade um die Zeit getödtet, wo die Beine im Hohlweg gefunden wurden. Die Beine lagen auf einem Kissen, und waren mit Zweigen und Laub umgeben; es sah aus, als lägen sie auf einem Altar. Man hatte Jusserand eine Zeitlang für den Mörder gehalten, besonders, weil die Abtrennung derselben eine kunstgeübte Hand verrathe.
Sonderbar genug; es ist aber dies auch das Einzige, was über diesen Incidenzpunkt in den Verhandlungen zur Sprache gekommen ist, und man muß gestehen, daß es nicht stark genug ist, um den anderweitigen Verdacht abzulenken. Woher wären dem wahnsinnigen Studenten, der in der Gegend umher irrte, die Mittel gekommen, nicht sowol den Mord zu begehen, als die Leiche in einer Kiste und durch die mehren, dabei betheiligten Personen nach der Eisenbahn schaffen zu lassen. Hier, wenn es die Einzelthat eines Wahnsinnigen gewesen, der nur nach derselben sich Gehülfen zur Vertuschung derselben zu verschaffen gewußt, mußte es der Familie Bletry bei ihren Mitteln möglich geworden sein, Spuren zu finden. War es ein Verbrechen, eine Kiste mit einem todten Körper nach einem Ort zu tragen, wenn man ganz unschuldig an dem vorangegangenen Verbrechen war? Die Familie selbst scheint diese Spur ganz fallen gelassen zu haben. Viel wichtiger schien es ihr, die positiven Indicien zu entkräften.
Möglich doch übrigens, daß die Hand des Studenten dabei im Spiele war. Wer aus Bletry's Hause, oder wo der Mord geschah, die Beine fortgeworfen, wird sie nicht wie ein heidnisches Opfer umkränzt haben. Es ist denkbar, daß der irrsinnige Student sie im Wege fand, und so ausschmückte, wie man sie fand; auch denkbar, daß er, in Feld und Wald umherschweifend, sie an einer andern Stelle entdeckte und von dort nach dem Hohlwege schleppte, wodurch sich dann auch die oben aufgestellten Fragen beantworten und der allerdings räthselhafte Umstand erklären ließe.
Der Friedensrichter bekundete, daß nach seinen Ermittelungen es ihm unzweifelhaft sei, daß eine fremde fein gekleidete Dame am 3. Juni (dem Mordtage) in Mühlhausen an verschiedenen Orten nach Bletry's Wohnung gefragt, und später Abends in dem Garten hinter seinem Hause spazieren gehend gesehen worden.
Durch die vielen Zeugen, welche über diesen Umstand vernommen wurden, scheint diese Thatsache, trotz des hefttgen Ableugnens der Angeklagten und trotz des Versuches, aus der fremden Dame eine bekannte und noch lebende zu machen, über allen Zweifel hinaus erwiesen. Wir führen, statt der vielen Zeugen, nur die hauptsächlichsten an.
Der Polizeisoldat Peter Gickor sagte aus: »Am 3. Juni 1843 hatte ich die Wache am Baseler Thore. Eine Dame frug mich, wo Bletry wohne; ich wußte es nicht. Sie trug schwarze Kleider, einen altmodischen schwarzen Hut, und eine goldene Kette. Sie sprach französisch, aber mit deutschem Accente. Sie hatte weiße Strümpfe an. Ich habe ihre Waden gesehen, die wahrhaftig nicht mager waren. Obschon der Kopf hier im Glase sehr entstellt ist, so glaube ich ihn doch zu erkennen; er hat viele Aehnlichkeit mit dem Kopfe jener Dame. Sie mochte ungefähr 45 bis 50 Jahre alt sein.
Der Schenkwirth Mootsch hatte diesem Gespräche beigewohnt. Es hatte zwischen 9 und 10 Uhr am Morgen stattgefunden. Nach ihm sprach aber die Dame gut französisch, ja sogar wie eine Pariserin. Die Urtheile über gut und schlecht französisch sprechen, mögen verschieden sein. Es war ihm vorgekommen, als ob die Dame etwas Besonderes im Gesichte gehabt.
Der Eisenbahnbeamte Loreaux hatte am Nachmittage eine schwarz gekleidete Dame gesehen, die ihn nach Bletry's Wohnung fragte. Als er ihr geantwortet, daß er deutsch nicht verstehe, wiederholte sie die Frage französisch.
Den Bahnwächter Seub an der Eisenbahn zu Mühlhausen frug eine Dame am selben Tage zwischen 3 und 3½ Uhr Nachmittags nach Bletry's Wohnung. Sie war wohlgebaut, schwarz gekleidet, mit weißen Strümpfen; den Hut trug sie, wie er sich zu erinnern glaubte, in der Hand. Sein Kamerad sagte noch zu ihm: »Sieh doch, was die Dame für ein schönes Bein hat.« Er glaubte in dem Kopf im Spiritus den ihrigen zu erkennen.
Der Acciseaufseher Haßlinger, den am selben Tage eine Dame nach dem Hause des Herrn Stengel Sohn gefragt, hatte eine Warze an der rechten Wange der Dame bemerkt. Den Kopf konnte er jedoch nicht mehr erkennen. Ein anderer Accisebeamter, Leiber, der neben Haßlinger stand, sagte ihr, es gäbe zwei Stengel, Vater und Sohn Sie antwortete, sie meine Den, neben welchem Bletry wohne. Die Dame war zwischen 40 und 50 Jahre, trug schwarze Kleidung und einen schwarzen Hut.
Die schon erwähnte Dienstmagd des Freiherrn von Heckeren hatte am Sonnabend auf der Landstraße gewartet, weil ihre Herrschaft Besuch aus Basel erwartete. Da hatte die Dame zwischen 40 und 50 Jahren auch sie nach Bletry's Hause gefragt. Sie trug ein Kleid von schwarzem Taffet, einen Hut, hervorstehende Zähne, eine Warze an der Wange, grau gemischte Haare und sprach französisch mit deutschem Accent.
Am bestimmtesten lautet die Aussage der Magdalena Henky. »Am Freitag oder Samstag vor Pfingsten, ungefähr um 2 Uhr Nachmittags, kam eine Dame ins Haus der Frau Bodinot, wo ich arbeitete, und frug nach Bletry's Hause. Ich erbot mich, sie hinzuführen, und ging bis halbweges dahin. Als ich zurückkam, sagte ich zu Frau Bodinot: «Es ist eine von jenen Frauen, die gern ein Stelldichein annehmen.» Sie trug einen altmodischen schwarzen Hut, schwarze Kleidung, und eine mit Fransen besetzte Tasche. Ich war neugierig, zu sehen, ob sie bald aus Bletry's Hause zurückkommen würde; und nachdem ich eine halbe Stunde gewartet, ohne sie wiederzusehen, ging ich wieder zu Frau Bodinot.«
Die Henky hatte schon früher, und ehe sie den Kopf des Leichnams gesehen, erklärt: sie würde den Kopf der Dame an der Nase, einem hervorstehenden Zahn und einer Warze an der Wange erkennen. Sie hatte ihn dann, vor den ersten Assisen, erkannt, und behauptete auch jetzt noch, der Kopf sei der der schwarzen Dame.
Die Verklagten behaupteten: die Henky sei, eben wie die Neuschwander, eine von ihrem Feinde, dem Polizeiagenten Roy, gewonnene Creatur, sie habe vor vielen Personen zu Altkirch gesagt: »Ich weiß, daß die Anschuldigung erlogen ist; ich hätte als Zeuge in der Sache dienen können, habe aber nicht gewollt;« auch habe sie bereits wegen Diebstahls gesessen. Letzteres war richtig, sie bekannte 14 Tage einmal im Gefängniß gewesen zu sein; aber der Präsident bezeugte ihr: daß sie sich nicht aus freien Stücken vor Gericht gestellt, und ihre Aussagen erst dann gemacht habe, als die Bodinot sie in letzter Zeit an alles Vorangegangene erinnert habe.
Selbst wenn die Henky als verdächtige Zeugin wegfiele, scheint die Thatsache: daß eine anständige, eine fremde Dame, von dem und dem Alter und der und der Kleidung am Sonnabend vor Pfingsten in Mühlhausen nach Bletry's Haus sich erkundigt und da hineingegangen, durch so vieler Zeugen Mund zur Evidenz ermittelt. In welcher Absicht sie in die ordinaire Schenke gegangen sein könnte, darüber scheint in Mühlhansett nur eine Meinung obgewaltet zu haben, welche sich zum Theil schon in den vorangängigen Zeugenaussagen ausspricht. Deutlicher noch drückt sie sich in einem Dictum ans, welches der Friedensrichter, freilich nur von Hörensagen, wieder erzählte. Jemand sagte, als die Rede von der Dame war: »man meint, es sei niemals eine ordentliche Person bei Bletry; da ist aber doch ein Mal eine anständig gekleidete Dame dort zu sehen.«
Auf die Anrede des Präsidenten: wie er danach doch noch behaupten könne, es sei am 3. Juni Niemand Fremdes zu ihm ins Haus gekommen? rief Bletry: »Wenn auch hundert tausend Zeugen die Thatsache bekräftigen wollten, so würde ich doch sagen, es ist nicht wahr.«
Die Damen, welche er und seine Hausgenossen als solche nannten, die möglicherweise an dem Tage bei ihm ins Haus eingetreten und später im Garten gesehen wären, waren den Zeugen entweder bekannt, oder diese bestritten bei der Confrontation mit denselben, daß es eine der Frauen gewesen, welche sie gesehen.
Dieselbe schwarze Dame, welche während des Tages in das Bletry'sche Haus getreten, sollte aber auch am Abende in dem Garten desselben spazierend gesehen sein. Nur mußte sie sich im Costüm etwas verändert haben.
Der Wachtposten des Bahnwärter Ehrard ist, vermuthlich auf dem Damme der Eisenbahn, so hoch gelegen, daß er den ganzen Bletry'schen Garten übersehen konnte. Am Sonnabend Abend sah er eine Dame mit einem Hute in dem Garten spazieren gehen. Sie war so gut gekleidet, daß er sie aufmerksam ansah. Sie trug ein blaues Kleid.
Madame Stengel (vermuthlich Bletry's Nachbarin) sah Abends zwischen 6 und 7 Uhr eine Frau aus Bletry's Hause kommen, die dann im Garten spazieren ging. Ein Zugwärter, der bei ihr stand, sagte: »Sehen Sie, man sagt, es komme nie etwas Rechtes zu Bletry; dies ist aber doch eine hübsche Dame.« Die Stengel antwortete: »Ja, es muß aber wol seine Schwester sein.« Sie trug ein dunkelblaues Kleid und – glaubte die Zeugin, – einen Rosahut. Sie war groß gewachsen und ungefähr 40 Jahre alt.
Die Familie Stengel hielt Bletry für seine gefährlichsten Feinde; mit dem Ehemann der Zeugin lebte er im Proceß. Die Uebereinstimmung aller dieser Zeugnisse hebt aber die Schwächen der Einzelnen, und Bletry's hartnäckiges Leugnen über diesen Punkt mußte den Verdacht gegen ihn verstärken.
Die Frau des Factor Fisson, von dem noch öfters die Rede, sein wird, war Abends, am Pfingstmontage, in Bletry's Hause. Sie ging, da sie weder ihn, noch Franziska antraf, in den Garten und pflückte Blumen; aber sie trug keinen Hut, nur eine Haube. - Man wollte auf eine Verwechselung des Tages, die Seitens der Zeugen möglich gewesen, hindeuten. Aber die Zeugen kannten die Fisson und erkannten in ihr die schwarze, oder jetzt blaue, Dame nicht wieder.
Die Physiognomie der Bletry'chen Wirthschaftsgenossen am Pfingstsonntage nach dem Mordtage erschien später als ein Indicium ihres Schuldbewußtseins; desgleichen wird der Umstand zur gravirenden Anzeige gemacht, daß die Schenke verschlossen gewesen oder wenigstens mehre Personen, die sie besuchen wollten, abgewiesen worden. Es scheint indeß, daß die Anklageacte hier mehr Data aufgenommen, als sie später durch Zeugen darthun konnte, oder darzuthun für nöthig erachtet; es ist dies auch mit der so wichtigen Haussuchung, die wir zunächst berühren werden, der Fall. Durch die zweimalige Verhandlung und ungewöhnlich lange Hinschleppung des Processes scheint man der wiederholten Aufführung einzelner Umstände überdrüssig geworden und nahm sie als bekannt genug an, was auch vor Geschwornen, als Richtern, seine Richtigkeit haben mochte.
Lacour, der Mann der schon erwähnten Frau Lacour in der Mansarde, deren wichtiges Zeugniß erst später zum Vorschein kam, sah, daß Fritz Weidenbacher am Pfingstsonntage sehr traurig war. Er lag in Stroh auf einem Fußsacke. Auf Lacour's Frage gab er zur Antwort: Herr Bletry sei bankrutt erklärt, sein Hausgeräth verkauft worden.
Der Gärtner Thomas und der Arbeitsmann Petitjean traten am Pfingstsonntage Abends in die Schenke, um einen Schoppen zu trinken. Fritz wies sie zurück, weil er die Schlüssel nicht habe. Er war sehr traurig.
Die verehelichte Salome Müringen wollte am Pfingstsonntage bei Bletry Geld für einige bestellte Sachen abholen. Sie fand Franziska sehr traurig, nachdenklich und sehr schlecht gekleidet, in der Küche, was »sie in großes Erstaunen versetzte.« Franziska erwiderte, daß sie den ganzen Tag in der Küche beschäftigt gewesen. Das Pfingstfest pflegt sonst, auch bei wenig kirchlichem Sinne, zumal in den Provinzen und auf dem Lande, wenigstens nicht mit häuslichen Arbeiten verbracht zu werden.
Noch ein oder der andere Zeuge wußte von Hörensagen, daß Leute aus Bletry's Schenke an den Pfingsttagen fortgewiesen worden, und darauf gedroht hatten, so würden sie auch nicht wieder kommen.
Daß in einer lüderlichen Wirthschaft, wie die Bletry's, die Herrschaft ein Mal fortgegangen sein und die Schlüssel mitgenommen haben kann, hätte an sich nichts Auffälliges. Ordentliche Leute, hörten wir schon, kehrten ja doch nicht ein, und das Gesindel kommt wieder, wo nur geschenkt wird. Bletry's Sache war auf nichts gestellt, selbst seine Franziska, welche die ganze Wirthschaft noch zusammenhielt, wurde von ihrer Mutter zurückgefordert; was sollte er sich und in einem Augenblick, wo seine Gläubiger so heftig auf ihn eindrangen, Mühe geben die schlechte Wirthschaft im Stande zu erhalten! Für die Trauer, den Schmutz und die Unordnung war Grundes genug in den angedeuteten Verhältnissen, ohne daß man um deshalb allein darauf schließen müßte, daß die obere Stube in Blut schwamm und im Keller ein Leichnam lag und verstümmelt ward.
Nach Entdeckung der Leiche war der Polizeiagent Roy in Bletry's Schenke getreten. Er ließ sich einen Trunk reichen, als er aber bezahlen wollte, nahm Franziska Lallemand das Geld nicht an, indem sie sagte: sie sehe die Leute von der Polizei gern bei sich. – Dies, behauptet Roy, habe den Verdacht genährt, der schon durch die Anzeige der Neuschwander bei ihm rege geworden.
Er schickte deshalb die Neuschwander in die Bletry'sche Schenke, wo diese in Franziska eine der beiden Frauen wieder erkannte, welche sie am Pfingstmontage auf dem Einspänner mit dem Schimmel gesehen hatte. Seitdem wurden in der Stille Zeugen vernommen und alle Anzeichen gesammelt, bis es zur Pflicht wurde, mit der Hausbesichtigung und der Verhaftung der Angeschuldigten zu verfahren.
Ueber die Hausbesichtigung haben wir keinen vollständigen und zusammenhängenden Bericht, wie er in Processen mit schriftlichem Verfahren erfordert wird. Die einzelnen Polizeibeamten, vor den Assisen vernommen, geben nur Rede und Antwort auf die ihnen vorgelegten Fragen. Die Verhandlungen darüber sind zerrissen, Manches ward auch, weil es schon bei dem ersten Proceß zur Genüge behandelt schien, bei Seite gelassen. Am wenigsten finden wir eine chronologische Ordnung über die Verfahrungsweise. Dagegen hören wir aus dem Munde eines der Vertheidiger, daß bei jeder neuen Haussuchung das Vorhandensein neuer Gegenstände vermerkt worden, die bis dahin nicht gesehen waren, eine Thatsache, die der Präsident für leider wahr erklären mußte!
Der Friedensrichter Ritter bekundete: daß bei verschiedenen Nachsuchungen in Bletry's Hause viele Blutspuren, im Keller eine feuchte Stelle, wo sich Würmer fanden, und der Abdruck einer blutigen Hand sich deutlich am Treppengeländer gezeigt habe; außerdem überall Unordnung im Hause.
Als Unordnung kam zur Sprache, daß in den Betten die Matratzen fehlten. Am Pfingstmontag hatten Zeugen den Accisebeamten Bailly eine Matratze forttragen sehen. Bailly war Bletry's Freund; Beide gaben vor, daß jener die Matratze von diesem geliehen gehabt. Bailly will sie aber schon vor dem 28. Mai sich geholt haben. Ein Zeuge sah ihn sie grade am Pfingstmontage forttragen.
Mit Blut befleckt erschienen bei der polizeilichen Untersuchung mehre Gegenstände in und am Hause, als: die Seitenwände des Kanapees, es waren mehre, aber nur kleine Flecke; ein Küfermesser; ein Stück vom Getäfel der Wand, über dem Kanapee mit einem braunrothen Flecken und einer Reihe ebenso gefärbter Tröpfchen; mehre Dielen; ein Schenktisch mit zwei Aufschlagklappen, auf dem gegen 10 Flecke auf der Vorderseite sichtbar wurden, mehres Wäschzeuch, unter anderm 2 Nachthauben, welche hinter einer Kommode vorgezogen wurden.
Siebzehn Monate nach der muthmaßlichen That, als die Untersuchung durch Sachverständige und die chemische Analyse der befleckten Gegenstände statthatte, fanden jene nicht mehr überall die sichtbaren Blutspuren, welche bei der ersten Besichtigung bemerkt worden. Durch Einwirkung der Zeit und die Feuchtigkeit des Zimmers konnten sie nicht verschwunden sein, möglicherweise aber durch Abwaschen. Unzweifelhaft ergab sich bei der Analyse nur noch: daß das Getäfel der Wand über dem Kanapee, die Seitentheile des Kanapees, und der Schenktisch und 3 Nachtmützen wirkliche Blutspuren trugen. Die Sachverständigen räumten aber, auf die Frage eines Geschwornen, ein: daß auch bei Ermangelung der chemischen Charaktere des Blutes, die Flecken dessen physische Anzeichen trugen.
Die feuchte und kothige Stelle im Keller, wo Würmer sich gezeigt und ein starker Leichengeruch verspürt worden, nahm man als den Ort an, wo die Leiche bis zur Fortschaffung niedergelegt war. Bletry erklärte die Feuchtigkeit dadurch, daß Regen und Spülwasser in Menge in diesen Theil des Kellers dringe. Uebrigens habe er Essig bereitet, wozu man Pflanzenstoffe brauche, aus denen bekanntlich Würmer entständen.
Eine spitzfindige Erklärung, die, unabhängig von ihrer Haltbarkeit in sich, wenigstens verräth, daß Bletry eine feuchte Stelle mit den Würmern, die auch wol in anderen Kellern vorkommt, für wichtig genug hielt, um die Erklärung zu übernehmen oder zu versuchen. Es früge sich nur, ob ein Leichnam, der Abends am 3. Juni noch warm war und schon Montag am 5. Morgens, in eine Kiste verpackt, versendet wird, in einem Zeitraum von etwa 30 Stunden schon Würmer erzeugen kann; die auf dem Boden, wo er lag, zurückblieben? Der erste Theil des Sommers 1843 war nicht heiß, sondern regnerisch. In den Verhandlungen ist diese Frage nicht behandelt.
Bletry bestritt auch, daß am Treppengeländer der Abdruck einer blutigen Hand zu sehen gewesen, ein Punkt, auf den wir noch ein Mal zurückkommen. Daß Bohrlöcher in den Dielen des Mordzimmers gewesen, um das viele mit Blut gemischte Wasser beim Scheuern schneller in die unterliegenden Gemächer zu vertreiben, müssen wir als Thatsache der Anklageacte glauben. Vernommen scheint vor diesen Assisen Niemand darüber zu sein; nur bekundet eine Frau Widmann, daß Bletry sie am Pfingstmontage um einen Bohrer und Hobel bitten ließ.
Die Frau Lacour, in der Mansarde des Bletry'schen Hauses wohnend, wusch für Bletry nach Pfingsten. Als sie die Wäsche einseifte, fand sie ein Hemde mit einem Blutflecken am Kragen. Sie zeigte es der Dinicher, die zu ihr sagte: »Da müssen Sie stark reiben.« Aber der Flecken verschwand nicht gänzlich. Bletry behauptete, die Flecken in seiner Wäsche wären durch die schlechte Asche gekommen, die man zur Lauge genommen.
Eine Zeugin vom Hörensagen trat in Karoline Niefenecker auf, von der bemerkt wird, daß sie ein äußerst schönes, geschmackvoll gekleidetes Mädchen sei: »Am 20. Juni 1843 kam Frau Decker zu mir, und sagte mir, Bletry's Haus sehe aus wie ein Schlachthaus. Frau Decker erzählte mir, sie habe Blutflecken auf dem Fußboden, dem Hausgang und im Garten gesehen. Eines Tages wollte Bletry's Hund in Gegenwart der Frau Decker Blut auflecken; Franziska stieß ihn mit einem Fußtritt weg, damit er nicht toll werde. Franziska sagte der Frau Decker, all dies Blut käme von dem heftigen Nasenbluten, woran Fritz leide; er verlöre besonders häufig Blut im Frühjahr, weil er sehr gern und viel trinke.« Ein Zeugniß, auf welches nur um deshalb Gewicht gelegt ward, weil die angeführte Frau Decker (eben wie der Entreprenneur Schulz und der Factor Fisson) zu Bletry's nächsten Freunden gezählt wurde, welche Alles gethan haben sollten, die Sache zu verdunkeln und die Spuren zu verwischen. Die Decker selbst scheint grade über diese Rede nicht vernommen zusein.
Vor den ersten Assisen hatte eine Zeugin, Frau Reinder, die in Colmar nicht mehr erschien, Folgendes ausgesagt: »Ich erhielt von der Frau Hahn, der Schwester von Magdalena Dinicher, einen Bündel Weißgeräthe zu waschm; mehres von dem Geräthe hatte Flecken, die ich für Blutstecken hielt, und die nach dem ersten Waschen nicht verschwanden. Als Magdalena Dinicher verhaftet worden, sprach ich darüber mit Frau Hahn. Diese sagte zu mir: »Glauben Sie denn, daß die schwarze Dame viel Geld hatte?« Ich entgegnete: »Ja, sie hatte mehre taufend Francs.« Darauf sagte die Hahn: »Ah bah! sie hatte nur 4 Francs.« – »Woher wissen Sie das?« frug ich. Bei diesen Worten wurde Frau Hahn, die Schwester der Dinicher, ganz bleich und niedergedonnert; sie schloß mir ihre Thüre zu.«
Die Dinicher gerieth bei Verlesung dieser Aussage in Heftigkeit: es sei schändlich, daß Zeugen ohne Gewissenhaftigkeit sprächen, und die Hand vor dem Crucifixe erhöben, um zu lügen. – Werth ist auf diese und Zeugnisse der Art von Hörensagen allerdings nicht viel zu legen; daß Weibergeklatsch in dem Processe eine bedeutende und verderbliche Rolle gespielt hat, ist nicht wegzuleugnen.
Aber das Blut selbst ward von den Verklagten auch gar nicht weggeleugnet, wenigstens nicht vor den Colmarer Assisen. Die Flecken und der Geruch mußten zu bedeutend geworden sein, daß ihre Klugheit ihnen eingab, nicht beim Bestreiten von einem Etwas zu beharren, was da war und geglaubt wurde. Vor den zweiten Assisen nahm ihre Vertheidigung daher eine andere Wendung: sie räumten ein, ja es mögen Blutflecken in unserem Hause gefunden sein, es ist sogar hier viel Blut geflossen, aber es hat einen natürlichen, unschuldigen Grund. Nicht weniger als vier Quellen wurden angegeben: Blutegel, Hämorrhoiden, Nasenbluten und ein weiblicher Blutfluß. Fritz Weidenbacher litt beständig am Nasenbluten, Bletry an Hämorrhoiden und einem Halsübel, zu dessen Cur er immerwährend Blutegel bedurfte, und endlich trat eine neue Intervenientin auf, Franziskas Schwester, welche, krank, an Blutverlusten mannigfacher Art gelitten haben wollte. Waren diese Krankheitszustände und Thatsachen erwiesen, so verlor das furchtbare Indicium der Blutflecken seine beweisende Kraft. Zum Ueberfluß entsann sich Bletry, daß er oft gemalt, die Flecken auf dem Weißzeug könnten von Farbe oder auch von Ochsenblut herrühren, das er oft in seiner Haushaltung gebraucht.
Daß Bletry selbst 1843 an einem Halsübel gelitten, weshalb ihm Blutegel gesetzt worden, und zwar noch wenige Tage vor seiner Verhaftung, bekundeten zwei Aerzte. Er behauptete, wegen seiner Vollblütigkeit oft zu diesen Hülfsmitteln schreiten zu müssen.
Daß Fritz Weidenbacher an Nasenbluten früher gelitten, ward von Zeugen bekundet, dagegen hatte er im Gefängnisse niemals Nasenbluten, was sich jedoch daraus erklären ließ, daß er, der den Wein über den Durst liebte, während seiner beinahe zweijährigen Haft nur Wasser zu trinken bekam. Wird aber der Knecht des Hauses, wenn das Nasenbluten ihn überkam, das Blut in den Wohnzimmern haben fließen lassen?
Das wichtigste Blutzeugniß ist das von Franziska's Schwester, Magdalena Lallemand, wir stellen es daher ausführlich her: »Im April 1843 bat mich meine Mutter, ich solle zu Bletry gehen, und meine Schwester Franziska bitten, wieder zu uns zurückzukehren. Ich that dies; Bletry wollte es nicht leiden. Er wurde wüthend, und sagte zu Franziska, er habe nur noch seine Herberge zum Lebensunterhalt; sie dürfe ihn nicht verlassen. Drei Tage nach meiner Ankunft wurde ich krank; ich hatte heftiges Halsweh und einen Fluß. Ich wollte mir Blutegel ans Zahnfleisch setzen lassen, um die Geschwulst zu vertreiben; meine Schwester wollte es nicht leiden. Am Tage darauf nahm mein Uebel zu; ich verlangte abermals nach Blutegeln. Bletry aber wollte es durchaus nicht zugeben, weil das bei der Entzündung schädlich sei. Hierauf entfernte sich Bletry von Hause; Franziska ging ihm bald nach. In ihrer Abwesenheit bat ich Fritz, mir zwei Blutegel zu Mühlhausen zu kaufen. Er that es. Einer derselben biß nicht an; da bat ich ihn, mir noch zwei zu kaufen. Diese Blutegel bissen tüchtig an, nachdem ich sie ans Zahnfleisch gesetzt. Da ich weder Topf noch Schüssel genommen hätte, so spie ich das Blut, das mir den Mund füllte, an den Fuß des Kanapee's. Ich wollte aber das Blut gern wegwischen, damit Bletry und Franziska nicht sähen, daß ich gegen ihren Rath Blutegel angesetzt. Da nahm ich, weil ich nichts bei mir hatte, im Nachttische zwei Leinenstücke, und wischte Alles damit, ab, ohne auszuwaschen. Als ich sie genau ansah, waren es zwei Nachthauben. Ich warf dieselben hierauf hinter ein Möbel.« Außerdem wollte sie auch Blutverlust gehabt haben, weshalb sie sich von Franziska ein Paar Unterbeinkleider geliehen.
Die Zeugin ist eine Schwester der auf Leben und Tod angeklagten Franziska! Warum hatte sie den wichtigen Umstand, daß sie sich Blutegel angesetzt und das Blut,an den Fuß des Kanapees gespieen, bei ihrer frühern Vernehmung nicht erwähnt? – Sie antwortete: weil man sie damals nicht darüber befragt! - Warum sie zu einer so zarten und kitzlichen Verrichtung wie das Blutegelansetzen im Munde grade Fritz Weidenbacher zugezogen, warum sie nicht, was so natürlich war, die Hülfe der Lacour, die im Hause war, beansprucht habe? – Weil sie der geschwätzigen Zunge der Lacour nicht getraut habe. Endlich wollte sie schon am Himmelfahrtstage (15. Mai) nach Hause zurückgekehrt sein, und der Generaladvocat behauptete, daß das Kanapee erst an diesem Tage zu Bletry gebracht worden. Da erklärte Magdalena schnell: sie wisse nicht genau, an welchem Tage sie heimgekehrt sei, es werde nur so ungefähr um den Himmelfahrtstag gewesen sein, aber sie sei noch im Hause gewesen, als das Kanapee gebracht worden.
Auch wenn man Magdalenen's Aussage volle Glaubwürdigkeit schenkte, wäre damit in unserm Sinne nichts ermittelt, wo das Maß, die Ausdehnung, die Intensivität der aufgefundenen Blutflecken nicht feststeht. Sah es so blutig aus, wie die Anklageacte sagt, daß man nicht Alles fortscheuern konnte, mußte man sogar den Bohrer und Hobel zu Hülfe nehmen, um das Blut zu bewältigen, so würde das Ausspeien und der Blutfluß schwerlich zur Erklärung ausreichen. Aber, wie gesagt, jenes Maß fehlt uns; ob die Geschwornen es hatten, wissen wir nicht. Daß Magdalena so ängstlich vor ihrer Schwester und deren Geliebten gewesen, damit diese nichts von ihrer Selbstcur erführen, scheint wenig motivirt; daß sie zum ersten Besten gegriffen, selbst zu Hauben, um das Blut fortzuwischen, daß sie diese nachher hinter der Kommode versteckt, und man sie selbst bei der Wäsche nicht aufgefunden oder vermißt haben sollte, klingt wenigstens nicht wahrscheinlich.
Dr. Tourdes erklärte: die Blutspuren könnten wol durch einen Blutftuß oder in Folge des Ansetzens von Blutegeln entstanden sein; jedoch die Bluttröpfchen an der Wand keinesfalls von einem Blutfluß aus dem Unterleibe herrühren; eine Erklärung, zu der man grade kein Sachverständiger zu sein braucht. Der Vertheidiger behauptete, das Zimmer sei so eng, daß schon bei einem heftigen Nasenbluten das Blut überall an die Wände sprühen müssen. Alsdann freilich konnte es auch beim Ausspeien nach einer Blutegelcur im Munde noch leichter an die Wand sprützen. Aber es wäre ungewöhnlich, wenn man das Blut aus dem Munde lassen will, über ein Kanapee hinweg es an die Wand sprühen zu lassen.
Das Unbegreiflichste bei dieser natürlichen Erklärung aber bleibt, daß sie erst 18 Monate nach der ersten Entdeckung gegeben wurde. Bletry erklärte mit der ihm eigenen Ruhe oder Frechheit: »Bei den ersten Verhandlungen sagte ich, ich wisse nicht, wie man Blutspuren in dem Zimmer habe bemerken können. Jetzt erklärt sich Alles durch die Krankheit Magdalenen's und durch die Blutegel, die sie sich anlegen ließ. Ich hatte nichts davon gewußt, da dies Zimmer nicht das meinige war.«
Wo Blut das Fundament war, wo Blutspuren überall gefunden oder gesucht wurden, wo den Angeschuldigten Alles darauf ankam, sie zu vertilgen, wo unter ihnen eine Einigkeit herrschte, die nur durch lange, innige Verabredung entstehen kann, wo sie über die geringfügigsten Umstände, die jeder Andere, namentlich jeder Unschuldige, längst vergessen hätte, wo sie im Plan ihrer Vertheidignng, im Alibibeweis sich so geschickt verständigt hatten, da sollte ihnen ganz zuletzt erst eingefallen sein, wie das Blut auf die natürlichste Weise auf Boden, Wand und Mobilien gekommen sei; und Magdalena Lallemand mußte wie die Andern zur Antwort geben: ich habe es früher nicht gesagt, weil ich nicht darum befragt wurde!
Alles Bisherige waren entferntere Indicien, aneinandergekettet durch eine Reihe von Vernunftschlüssen. Das Siegel ward ihnen erst durch die – späte Aussage der Lacour aufgedrückt, eine Frau, die mit ihrem Manne in den Mansarden des Hauses bei Bletry zur Miethe wohnte und, dem Anschein nach, von diesem und seinen Hausgenossen gelegentlich zu Arbeiten und Dienstleistungen angenommen ward. Sie lautet:
»Am Tage vor Pfingsten, den 3. Juni Abends, war ich in der Küche im Mansardenstockwerk, wo ich wohnte, und kochte das Abendessen für meinen Mann, den ich erwartete; da hörte ich einen Schrei und dann ein dumpfes Geräusch. Ich glaubte, Franziska Lallemand weine. Ein paar Augenblicke nachher lief Franziska Lallemand die Treppe herauf; sie zitterte und bebte, und war ganz erschüttert. Sie verlangte eine Feder von mir; ich suchte danach. Mein Kleiner hatte eine; die gab ich ihr. Darauf ging Franziska wieder hinab.
»Der Schrei kam aus dem Zimmer, wo das Kanapee stand. (Es war ein erstickter Schrei, den die Zeugin vor den Geschwornen nachahmte. Auch das dumpfe Geräusch, das darauf folgte, suchte sie nachzuahmen, indem sie mit dem Fuße mehrmals zappelnd aufstieß.) Schrei und Geräusch waren beinah eins, der Schrei war deutlich von dem Rufe Bletry's nach seinem Knechte Fritz zu unterscheiden. Gleich darauf lief Franziska die Treppe herauf.
»Sie zitterte und bebte; sie keuchte, so! Sie sagte zu mir: »Frau Lacour, Frau Lacour, eine Feder, geben Sie mir eine Feder!« Das kam mir komisch vor, daß Jemand von mir eine Feder forderte. Aber mein Kleiner hatte in der Schule eine Feder gefunden, und er hatte mich sogar gebeten, ihm seine Feder nicht wegzunehmen. Ich gab die Feder der Franziska; die brachte sie hinunter. Hernach hörte ich Herrn Bletry den Fritz rufen. Er schrie so (mit heftigem Tone): »Fritz, besorge diesen Brief geschwind, sogleich.« Fritz antwortete ihm laut (dessen Stimme nachahmend): »Es regnet; ich kann jetzt nicht.« Es war auch wirklich sehr schlechtes Wetter. Weiter sah ich nichts; es war schwarze Nacht; ich hatte kein Licht. Ich blieb auch oben.«
Es war beinah 9 Uhr Abends, als die Lacour diesen Schrei und dies Geräusch hörte.
Wenn es noch der Argumente bedürfte, daß ein mündliches Verfahren, um den erkennenden Richter in volle Kenntniß zu setzen, vor dem schriftlichen Vorzüge habe, liefert sie dieser Fall. Wie läßt sich ein nachgemachtes Geräusch und Geschrei auf dem Papier wiedergeben? Was die sinnliche Wahrnehmung eines Momentes eingibt, kann auch durch die allersorgfältigste Beschreibung der Feder nicht ersetzt werden. Daß auch die sinnliche Wahrnehmung täuschen könne, ist eine Sache für sich; wo ist aber diese Täuschung nicht, und wo sind mehr Mittel gegeben, sich gegen dieselbe zu wahren! Nach der schriftlichen Aufzeichnung müssen wir annehmen, die Lacour habe jene Töne richtig wiedergegeben. Könnten aber mit gesundem Menschenverstände und psychologischer und physischer Erfahrung ausgestattete Geschworne nicht grade in ihren Mienen, ihren Bewegungen eine unrichtige Auffassung entdecken, kleine Züge, die sich in Worten nicht auffassen lassen und die doch auf das Zeugniß den Stempel der innern Unwahrheit drücken?
Der erste wichtige Einwand gegen dieses Zeugniß ist: daß es so spät erst zum Vorschein kam. Statt der Lacour finden wir den Generaladvocaten auf diesen Einwand antworten: sie sei im ersten Augenblicke so voll Schrecken gewesen, daß sie Alles vergessen habe, sie habe nicht begriffen, wie wichtig gewisse Umstände seien, die ihr unbedeutend erschienen. Erst nach und nach kamen sie ihr ins Gedächtniß zurück. Für sie spricht, daß sich darin auch kein Schatten eines Widerspruchs finde.
Der Polizeicommissar Rouetta sagte: als er die Lacour zum ersten Male verhört, sei sie voller Schrecken gewesen und habe zu ihm gesagt: »Lassen Sie mich in Ruhe, ich weiß von nichts.«
Das beste Zeugniß für die Richtigkeit des Zeugnisses der Lacour gibt das Benehmen der Angeschuldigten. Sie lassen alle Wahrnehmungen der Frau bestehen und geben ihnen nur eine andere Deutung. Hiermit ist schon von selbst der spätere Versuch, die Glaubwürdigkeit der Frau anzugreifen, abgewiesen. Bletry berief sich zwar auf ihren früheren Lebenslauf, man antwortete ihm aber, es sei nicht das Geringste zu ermitteln gewesen; Seitens der Angeschuldigten ist auch nichts Haltbares vorgekommen. – Sie habe beständig in ihren Anklagen geschwankt. Darauf erwiderte der Ankläger: Warum die Lacour denn nichts von der schwarzen Dame gesagt und gewußt! Wenn sie nach Eingebung der Phantasie rede, oder gar als wissentlich falsche Zeugin, werde sie die Punkte in den Vordergrund, gestellt haben, von denen Jedermann in Mühlhausen zu wissen geglaubt, während grade sie nur Dinge bemerkt, die kein Anderer gesehen. Er schilderte sie als eine Frau von reizbaren Nerven und zarter Beschaffenheit; aber bei einer solchen Körperbildung irre man sich in nichts (?), was sich auf die sinnliche Auffassung bezieht.
Wenn es auch sehr problematisch ist, daß eine so nervös reizbare Frau sich in nichts irren sollte, so ist doch ihr Wahrnehmungsvermögen gewiß schärfer, welches sich auch bei der Laconr so weit erstreckte, daß sie Ahnungen hatte und Gespenster, wenn nicht sah, doch hörte. Sie mußte noch vor den Assisen eine Gespenstergeschichte erzählen, die ihr vor der Mordthat begegnet war.
»Ich lag mit meinem Manne zu Bette, als ich Plötzlich drei Schläge hörte, so: Tot! tok! tok! Ich sagte zu meinem Manne: »Klopfst vielleicht Du so?« Er sagte: »Bist Du's denn nicht?« Ich sagte: »Wenn ich es wäre, so früge ich nicht.« Mein Mann stand auf und sah nach, ob vielleicht der Hund an der Thüre wäre. Drauf sagte ich: »Die Schläge kamen aus dem Zimmer, nicht aus dem Hausgange; ich habe drei schwache Schläge gehört; vielleicht ist es ein Gespenst.« Mein Wann sagte darauf: »Närrin! es gibt keine Gespenster.« Ich wollte Anfangs nicht davon reden; aber an einem späteren Tage, wo wir mit Franziska und Magdalena zusammen waren, sagte ich: »Ich glaube, es sind Gespenster im Hause;« und Magdalena sagte: »Ich glaube es auch.« Und da sagten wir: »O gewiß gibt es bald ein Unglück im Hause.«
Wenn man daraus hätte folgern wollen, daß auch ihre Wahrnehmung am Abende des Pfingstsonnabends nicht mehr als eine Vision gewesen, so machte eine der Angeklagten selbst diese Auslegung zu schanden, indem die Dinicher die drei Schlage, welche die Lacour gehört, für eine wirkliche Thatsache erklärte: die beiden Thüren eines Schenktisches, der nicht recht verschlossen gewesen, hatten gegen ihr Bett geschlagen.
Auf die Anrede des Präsidenten: »Sie waren tief erschüttert, Franziska, als Sie von Frau Lacour die Feder forderten; Sie mußten sich auf das Treppengeländer stützen, wo man später den Abdruck einer blutigen Hand entdeckte; was haben Sie darauf zu sagen?« – antwortete Franziska nichts als: »Ich war sehr eilig. Die Diligence ging bald ab; ich mußte Herrn Bletry's Paket noch forttragen.« Ihre Erschütterung scheint sie also danach nicht einmal abzuleugnen.
Ein Zeuge Denger, den man nicht wieder auffinden können, hatte bei den frühern Assisen bekundet: eines Tages an der Eisenbahn habe er von einem Morde gehört, welcher in Bletry's Haus begangen. Da sein Weg ihn am Hause vorüber geführt, und dasselbe offen gestanden, sei er hinein getreten, und habe deutlich auf dem Treppengeländer den Abdruck einer Hand bemerkt. Er habe jedoch nicht erkannt, ob der Abdruck von Blut oder Schmutz hergerührt.
Fritz Weidenbacher erklärte: er habe einmal eine Wunde an der Hand gehabt; möglich, daß der Abdruck davon hergerührt.
Mehr Zeugenaussagen darüber finden sich in diesen Assisenverhandlungen nicht vor. Daß der Abdruck einer Hand, von Blut herrührend, auf dem Treppengeländer sichtbar gewesen, scheint, nicht allein dem öffentlichen Ankläger, sondern auch dem Präsidenten für eine ermittelte Thatsache gegolten zu haben. Der Friedensrichter Ritter hatte bekundet: daß der Abdruck einer blutigen Hand deutlich am Treppengeländer zu sehen gewesen.
Die Vertheidiger der Angeklagten rügten, daß man nicht auch das Treppengeländer selbst als Beweisstück herbeigebracht habe. Diese Sache gehöre wie so viele andere zu der Legion von Einbildungen, an denen der Proceß leide. Uebrigens hätten alle Untersuchungen des angeblichen Handabdruckes weiter nichts ergeben, als daß man zwei Flecke gefunden, die über ein Metre auseinander gestanden. Ein anderer Anwalt der Angeklag! ten erklärte: das Haus sei ganz neu, er habe es besichtigt und nichts gefunden. – Und wir finden nichts l weiter darüber in den Verhandlungen! Daß die Chemiker in den Flecken am Geländer kein Blut entdeckt, ist schon oben angeführt.
Bletry will am Nachmittage des Pfingstsonnabend krank gewesen sein, und angezogen im Bette gelegen haben. Durch das Fenster habe ihm der Gerichtsbote einen Haft- oder Arrestbefehl überreicht. Erschreckt über dessen nur vermutheten Inhalt, denn er habe ihn nicht eröffnet, habe er schnell an seinen Bruder, den Staatsprocurator, um Nath oder Hülfe zu schreiben beschlossen, deshalb nach einer Feder zur Frau Lacour hinaufgeschickt (weil seine eigenen Federn von vielem Briefschreiben stumpf gewesen) und, um den Brief noch an dem Abend mit der Diligence befördern zu können, nach einem Ziegelstein (zu Fritz) gerufen, diesen durchbrochen, was das Geräusch, den Fall verursacht, und in ein Paket gelegt, welches Franziska noch am selben Abende nach der Diligence gebracht.
Die Vorladung und deren Einhändigung durchs Fenster herein hatte ihre Richtigkeit. Der Gerichtsvollzieher Gissinger bekundete: am 3. Juni Abends Bletry von der Straße aus durch das Fenster ein Urtheil behändigt zu haben, welches ein Herr Steiner gegen ihn erwirkt. Es enthielt aber keinen Verhaftsbefehl, sondern nur eine einfache Insinuation. – Die Richter begriffen nicht, wie eine so wenig dringliche Zufertigung Bletry, der an solche gerichtliche Verfügungen nur zu gewohnt war, dermaßen in Schreck setzen können, daß er sich nicht aus und ein gewußt und augenblicklich an seinen Bruder schreiben müssen, als hänge sein Leben davon ab. »Gissinger war der pünktlichste Gerichtsvollzieher,« sagte er, »dem fast alle Verhaftungen in Schuldsachen übertragen worden, so mißtraute ich ihm; und ich halte meine Besorgniß noch für gegründet.«
Was die Forderung nach einer Schreibfeder, einem Ziegelsteine anlangt, so stimmen die Aussagen der Zeugen aufs Haar mit der Bletry's, aber die Zeugen – sind seine Mitschuldigen.
Bletry erklärte, auf Befragen, daß er zwar angezogen zu Bette gelegen, aber nicht in Stiefeln, sondern in Pantoffeln. Wie aber konnte er mit Pantoffeln das Geräusch mit den Füßen gemacht haben, welches die Lacour gehört und er nicht ableugnete! »Mein Haus,« antwortete er, »ist eine wahre Laterne, man hört jedes Geräusch von oben bis unten.« – Aber noch sonderbarer erschien es, daß Bletry, nachdem er den ihn in solche Angst versetzenden Gerichtsbefehl empfangen, sich noch ein Mal zu Bette gelegt haben sollte. – Er erklärte es durch seine große Aufregung wegen seiner Verhältnisse, auch habe er den Gerichtsbefehl nicht sogleich gelesen. Sein Zimmer habe er nachher nicht mehr verlassen.
Fisson, Factor einer Buchdruckerei in Nancy, der zum Besuch in Mühlhausen war, und seit Kurzem auf dem freundschaftlichsten Fuße mit Bletry stand, erzählt von diesem Sonnabend: »Um Pfingsten 1843 sagte ich zu Bletry, ich wolle die Festtage in Straßburg zubringen. Samstags, um 2 Uhr, ging ich zu ihm, und traf ihn leidend; er sagte mir, er leide schrecklich an Halsweh. Gegen 8 Uhr Abends holte ich zwei Briefe ab, die ich ihm nach Straßburg mitnehmen sollte. Er gab mir die Briefe etwas später, und sagte mir, er wolle sich legen, weil er krank sei. Ich erwiderte hierauf: »Da thun Sie recht; Sie sehen nicht wohl aus.« Es war zwischen 7 und 8 Uhr Abends, am 3. Juni.« Was von Fisson's Glaubwürdigkeit zu halten, darüber unten.
Bailly, ein anderer Freund Bletry's, bei ihm in Kost, bestätigte Franziska's Angabe Hinsichts des abendlichen Ganges nach dem Diligencebureau. Sie war in großer Eile, er begleitete sie und kam mit ihr zurück. Franziska trug dann das Abendessen auf; auch Fritz aß mit am Abendtisch.
Dieser trauliche Abendtisch nach einer Mordthat, wo die Leiche noch im Zimmer liegen und die Dielen noch von Blut schwimmen mußten, hätte allerdings etwas Befremdendes, wenn – der Zeuge volle Glaubwürdigkeit hätte!
Aber noch seltsamer erscheint die Sache, wenn man eine andere Entlastungszeugin hört, die Frau Decker, die aber nebst ihrem Manne und dem Factor Fisson, gleichwie Bailly und Schulz, zu Bletry's Freunden gehört, denen man sämmtlich zutraute, daß sie dem Angeklagten allen Vorschub geleistet.
»Ich kam am 3. Juni in Bletry's Haus; der Polizeiagent Roy trank dort ein Glas Bier. Bletry rauchte in einer Ecke des Zimmers seine Pfeife. Er schuldete mir 30 Sous; Franziska lieh ihm dieses Geld, damit er mir es zurückzahlte. Nach dem Abendessen, um 8 Uhr, bat Bletry meinen Mann, ihn zum Gerichtsvollzieher Gissinger zu begleiten; sie kamen erst um 10 Uhr Abends wieder. Montag Morgens, am 5. Juni, kam Franziska zu uns; es war ungefähr 6 Uhr Morgens. Sie wollte einen Miethsvertrag, worin die Möbeln des Bletry'schen Hauses auf ihren Namen eingetragen waren, einschreiben lassen; aber mein Mann bemerkte ihr, es sei etwas Regelwidriges darin. Sie bat unsern Kleinen, den Vertrag zu Bletry zu bringen, um ihn zu verbessern. Mein Kleiner kam gegen 8 Uhr wieder; er trug sodann aus Gefälligkeit den Vertrag auf das Einschreibungsamt. Während dieser Zeit blieb Franziska bei uns. Der Kleine kam um 9 Uhr zurück; hierauf ging Franziska mit ihm nach Freschwald, um Kuchen zu kaufen. Um 10 Uhr ging ich zu Bletry; er war schon nach Basel fort.«
Hiernach wäre nicht allein am Abende des Mordtages im Bletry'schen Hause ruhig und wie gewöhnlich zu Abend gegessen worden, sondern ein Besuch, eine Frau seiner Bekanntschaft, wäre den ganzen Abend freundschaftlich dort geblieben; man hätte geraucht, Bier getrunken, abgerechnet, gespeist wie im tiefsten Frieden, und Bletry wäre am späten Abend noch in Geschäften ausgegangen. Danach wäre nicht allein die Aussage der Lacour unrichtig, sondern auch die Franziska's, Fisson's und Bletry's selbst. Wo wäre die Angst wegen des Arrestbefehls, Franziska's Hast den Brief zu besorgen, wo bliebe Bletry's Krankheit, der im Bette gelegen haben und, nachdem er den Brief fortgeschickt, nicht mehr ausgegangen sein will.
Wie sollte ein Richter, fernab von jeder persönlichen Anschauung, auf solche Zeugenaussagen ein Urtheil fällen? Nur Richter, welche die beiden Frauen von Angesicht sahen, ihre Stimme hörten, welche sich anderweitig von ihrem Charakter und Ruf unterrichten konnten, konnten auch über das Maß ihrer Glaubwürdigkeit ein Urtheil sich selbst machen. Für diesen Fall kommt uns indeß ein Gespräch oder eine Scene in etwas zu Hülfe, welche in den Verhandlungen der Aufnahme für werth erachtet ist.
Der Generalanwalt hielt es zur Erforschung der Wahrheit für nützlich, die Lacour noch ein Mal vorführen zu lassen, um Näheres über einen Zank zu erfahren, den die Decker mit der Lacour in Bletry's Hause gehabt. Es heißt:
»Bei diesen Worten äußert Frau Decker einen großen Schrecken; sie geräth in Zittern und weint. Ihre Beine wanken; man bringt ihr einen Stuhl.
Frau Lacour nähert sich der Frau Decker; diese vermeidet ihren Anblick und hält den Kopf gesenkt.
Frau Lacour. Nach Bletry's Verhaftung war ich oben; ich hörte Geräusch, ging hinunter, und sah Herrn Decker und Frau. Ich bat Frau Decker um die Rückgabe eines Korbes, den ich der Franziska geliehen; ich that dies in aller Ruhe. Da schimpfte sie mich, und sagte: »Du wirst Deinen Korb schon wieder kriegen, Lumpenmensch, verfluchte H...; Du sollst schon sehen! Bald wird Bletry wieder freikommen und Dich aus dem Hause jagen.«
Der Generaladvocat. Sie hatten die Frau Decker nicht beleidigt?
Frau Lacour. Nicht im Entferntesten.
Frau Decker. Ich will mit diesem Weibe nicht streiten; ich vermags nicht.
Der Generaladvocat. Also steht fest, daß Frau Decker die Frau Lacour wegen ihrer Aussage bei der Untersuchung geschimpft hat.«
Die Glaubwürdigkeit der Decker scheint nach dieser Aussage wenigstens nicht zu wachsen.
Dagegen erscheint durch den letzten Theil der Aussage der Decker Franziska's Alibi am Morgen des Pfingstmontages erwiesen. Die Decker führt hier specielle Umstände auf, über die man sich nicht leicht irrt (wenn nicht ein geflissentlich falsches Zeugniß angenommen würde), und eine Louise Nancey bestätigte, daß Franziska an dem Morgen im Decker'schen Hause gewesen. Ueberdies sind die Zeugenaussagen, welche Franziska beim Transportiren der Leichenkiste zur Eisenbahnstation mit betheiligen wollen, viel ungewisser und schwankender als diejenigen, welche die Betheiligung der Magdalene Dinicher darthun.
Gravirend für sie ist nur die Aussage der Lacour, ihr Verhältniß zu Bletry, als dessen innigste Vertraute, Mitwisserin und Helferin sie erscheint, und der ihr zugemuthete Besitz der gelben Kiste, in welcher der Leichnam gefunden ward. Die Zeugenaussagen für und gegen diesen wichtigen Punkt sind folgende.
Gehörte die gelbe Kiste, in welcher die Leiche auf der Station gefunden worden, Franziska Lallemand? Der Mann der Lacour erkannte sie »ungefähr:« seine Frau »ganz genau.« Sie hatte sie immer in Franziska's Stube gesehen; der Deckel stand immer offen; Franziska hatte ihr gesagt, dadurch blieben die Kleider luftig.
Franziska behauptete: nie eine solche Kiste besessen zu haben, die ihrige sei drei Mal größer, mit Schweinsleder überzogen, der Deckel mit einem Stück Tapete beklebt; auch habe sie nie eine andere gehabt.
Man brachte die zwei Kisten in den Saal, welche nach Bletry's Angabe in seinem und Franziska's Besitze gewesen. Die Lacour betheuerte, diese Kisten nie bei Bletry erblickt zu haben. Schon als sie, in den ersten Tagen des März, mit ihrem Manne in das Haus zog, sah sie dagegen die gelbe Kiste, indem Franziska sie rief, ihre Kleider sich zu besehen, die in der Kiste lagen.
Bletry hatte im Jahre 1840 die junge Franziska Lallemand bei den Schwestern zur Vorsehung in Mühlhausen untergebracht, um sie lesen zu lehren. Die Schwester Flavia bezeugte, daß Franziska damals eine Kiste gehabt: »die grade so aussah wie diese hier (die gelbe), eben so groß, eben so gestaltet, von dieser Farbe, nur dunkler.« Es ward bemerkt, daß der Koffer seitdem öfters gewaschen worden. Flavia erklärte, sie habe sich die Sache seit ihrem ersten Verhöre genau überlegt, sie habe die Nachbarn gefragt, wo Franziska geschlafen; Alle hatten gesagt, Franziska habe nur einen gelben Koffer, gehabt und das sei dieser hier.
Durch das Zeugniß eines Kaufmanns in Mümpelgard wird erwiesen, daß Franziska den Koffer, mit Schweinsleder überzogen, von ihm gekauft (über das wann finden wir keine Notiz), warum, ruft ihr Vertheidiger, hätte sie, schon im Besitze des gelben, noch des schweinsledernen bedurft!
Aber sie hatte den gelben, als sie zu den Schwestern der Vorsehung kam, und als sie im Herbst desselben Jahres die Schwestern wieder verließ, hatte sie ihn auch noch. Sie bat die Schusterin Ott die gelbe Kiste bei ihr einstweilen niederstellen zu dürfen, und die Ott erkannte in der Leichenkiste Franziska's gelbe Kiste wieder, die einst bei ihr zur Verwahrung gewesen.
Die Eheleute Hengel erkannten in der gelben Kiste »unzweifelhaft« den Koffer der Franziska Lallemand. Nur hatte der Ehemann geglaubt, die Handhaben wären von weißem Leder, während die, welche er jetzt sähe, von braunem wären.
Dagegen erkannte die Schwester Casimir aus dem Kloster zur Vorsehung die Kiste nicht für die, welche Franziska gehörte. Sie wußte nur von einem Köfferchen, welches die Kostgängerin damals besessen; das Köfferchen fand sich nicht unter den ihr vorgezeigten Kisten. Auch die Schwester Oswald erinnerte sich eines kleinen mit Schweinsleder überzogenen Koffers; die gelbe Kiste war ihr fremd. Schwester Flavia erinnerte sich nunmehr, daß die Franziska auch ein solches Köfferchen mit Schweinsleder gehabt, blieb aber fest bei ihrer frühern Aussage.
Welcher Richter gleicht diese Widersprüche aus! Wer sagt dem Urtheilsfasser, dem nichts als Acten vorliegen, nur das, ob der Schwester Flavia, oder der Schwester Oswald mehr zu trauen sei, welche von Beiden schärfere Augen, bessere Beobachtungsgabe in andern Dingen bewiesen, welche von Beiden sich mehr um die junge Kostgängerin und ihre Sachen bekümmert? Eine gelbe Kiste ist kein Unicum, es können zwei sich so ähnlich sehen, daß der Verfertiger selbst sich darüber täuscht, aber diese Fälle gehören zu den Seltenheiten, und das Urtheil einer Schustersfrau, die in dergleichen Dingen einen scharfen Blick haben dürfte, die in diesem Falle besonders qualificirt erscheint, da sie die Kiste bei sich in Verwahrung gehabt, in einer wahrscheinlich engen Wohnung und die, von weiblicher Neugierde angeregt, die Kiste des hübschen Mädchens wol mit Auge und Hand geprüft und geschätzt haben dürfte, dieses Urtheil besonders dürfte in der Sache nicht ohne ein Gewicht sein, welches durch die andern Aussagen noch um ein Bedeutendes verstärkt wird.
Bletry war dem Ruin nahe vor der That, ihm fehlte das Nothwendigste, und bald nach der That sieht man ihn im Besitz von Geld; er unternimmt Reisen und macht Einkäufe, welche, wenn grade nicht auf Ueberfluß, doch darauf deuten, daß er jetzt nicht mehr nöthig hatte zu sparen. Die natürliche Schlußfolgerung: er hat sein Opfer, um sie zu berauben, umgebracht und sie wirklich beraubt, daher das Geld nachher bei ihm.
Aus allem bisher Mitgeteilten, aus allen Zeugenaussagen, selbst denen seiner Freunde, die er als Entlastungszeugen berief, geht seine drückende Lage hervor. Er stand auf dem Punkte zum zweiten Male Bankrutt zu machen, Arrestschläge und Verhaftsbefehle umschwirrten ihn von allen Seiten in so erschreckender Gestalt, daß er aus Angst die Zusendungen nicht mehr öffnete, weil er den trüben Inhalt derselben voraus wußte. Und doch, im Widerspruch damit, pocht er in seinen Verhören darauf, daß man ihm unrecht thue, er sei damals nicht am Bankrutt gewesen, nicht am Bettelstab, denn noch jetzt sei der Bankrutt nicht ausgebrochen. Man begreift den sonst so klugen Mann nicht; konnte er glauben, nur einen unter seinen Richtern damit zu täuschen, welche mit den Verhältnissen an Ort und Stelle besser als wir in der Ferne bekannt sind, denen diesmal aus den gegebenen lückenhaften Mittheilungen seine trostlose Lage doch hell genug in die Augen springt? Wenn auch durch Zuthun seiner Familie nachmals sein zweiter oder letzter Bankrutt aufgeschoben oder vermieden wurde, so geht doch schon aus seinen eigenen Eingeständnissen hervor, daß er damals, in der drückendsten Lage, am Rande des Verderbens schwebte.
Freilich mußte ihm Alles daran liegen, sich vor den Richtern in eine bessere Lage hinein zu lügen, um auch das Motiv zur That zu entfernen, aber sein Verstand hätte ihm sagen müssen, daß, so widersprechenden und deutlichen Zeugnissen gegenüber, der Beweis ihm nicht gelingen könne, und der Versuch, ihn zu führen, den Verdacht gegen ihn nur noch vermehren müsse.
Am heftigsten ward er bei der Aussage der Lacour, die mit ihrer schwatzhaften Zunge der schrecklichen Geschichte vom Pfingstsonnabende noch eine andere hinzufügte:
»Zwei Tage nachher traf ich Fritz; er kam von der Stadt mit einem Paket Bonbons zurück, die er für Franziska gekauft hatte. Da sagte ich: »Fritz, das ist was Gutes; aber es wird Dir an der Nase vorbeigehen.» Er antwortete: «Ja wol, Frau Lacour.» Dann sagte er noch: «Jetzt wird's nicht mehr an Geld fehlen.» Ich muß Ihnen sagen, daß Herr Bletry, als ich ihm vor Pfingsten meine Miethe bezahlte, ein Börschen hatte, worin nur noch 7 Sous waren. Er sagte mir, meinem Manne ginge es besser, als ihm, weil er eine gute Besoldung habe. Herr Bletry sagte mir, er habe Alles eingebüßt. Er kaufte sich Holz für ein paar Sous ein. Ich habe selbst Holz für ihn geholt; und Frau Stengel sagte zu mir: «Wenn Sie für Bletry Holz holen, so gebe ich Ihnen keins mehr.» Nach Pfingsten kauften Bletry und Franziska eine Menge Sachen ein; ich weiß aber nicht, ob sie es bezahlt haben.«
Da rief Bletry erzürnt aus: »Es ist nicht wahr, daß ich mir Holz für 4 bis 5 Sous einkaufte; es ist nicht wahr, daß ich nur noch wenige Centimes hatte. Die Wirtschaft ging auf Rechnung der Franziska Lallemand; ich war bei ihr in Kost. Man öffne Franziska's Wirthschaftsbuch, und, sehe! Ich brauchte kein Geld.«
Aber die Lacour ließ sich nicht irre machen, und versicherte: Bletry habe es ihr gesagt, als er ganz allein auf der Schwelle seiner Thür stand und seine Pfeife rauchte; er müsse sich ja selbst daran erinnern. – Die Decker, seine Freundin, hatte im Zeugnis zu seinen Gunsten gesagt, daß er ihr nicht 30 Sous bezahlen können, welche Franziska dann für ihn hergab. Magdalene Lallemand, deren Blutverluste das aufgefundene Blut erklären sollten, hatte bekundet, daß Bletry beim Gedanken, Franziska zu verlieren, wüthend geworden, denn er habe nur noch seine Schenke zum Lebensunterhalte. Bletry und Franziska sprachen von oftmaligem Gold- oder Silbereinwechseln bei dritten Personen vor der Katastrophe, aber diese Personen wollten sich dieser Geschäfte mit Beiden gar nicht entsinnen. Nach der That war dagegen Geld vorhanden, so hatte Fritz schon gesagt.
Am Pfingstmontage kaufte er in Basel bei der Reise dahin mit Franziska ein Wirthshausschild mit der Aufschrift: »Zur Burgunder Weinlese«, eine Mütze und andere nicht eben nothwendige Gegenstände. Vor der Heimkehr sagte er zum Zeugen Alonsi, welches dieser bekundet: »Wir müssen sehen, ob wir auch genug zur Rückkehr haben.« Also war mit dem Gelde auch der Muth wieder da, die Wirthschaft aufs Neue in Gang zu bringen.
Endlich, so fanden sich in der Kommode 200 Francs in Gold, welche Bletry's Freund, Fisson, nach der Verhaftung des Ersteren und im geheimen Auftrage desselben an sich nehmen und verwahren sollte. Beide Verklagten, Bletry wie Franziska, behaupteten, sie gehörten der Letzteren; es wären ihre Ersparnisse, sagte diese, und Bletry wollte davon nichts gewußt haben, da es nicht seine Sache sei, in Anderer Kisten zu blicken oder um ihre Angelegenheiten sich zu kümmern. Aber zwischen Beiden herrschte eine so vollkommene Einigkeit, und nicht allein Bletry war von seinen Gläubigern aufs Aeußerste gedrängt, sondern auch Franziska, als dem Namen nach Besitzerin der Schenke, war vielfach zur Bezahlung kleiner Schulden aufgefordert und zog die Mahnenden hin. Es ist möglich, daß sie einen Nothpfennig sich aufsparen, ihn nicht angreifen wollen; aber das Factum bleibt verdächtigend bestehen, daß nach der Katastrophe Geld da war, von dem Bletry selbst erklären mußte, daß er vor der Katastrophe nichts davon gewußt.
Sonst schweigen alle Nachrichten über den Gegenstand, die Größe, des vermutheten Raubes. Ein Schatz kann es nicht gewesen sein. Einen Schatz wird eine einzelne in Modehut und Taffentkleid umher wandernde (oder reisende) fremde Dame nicht bei sich geführt haben. Ein Schatz würde nachher aufgeleuchtet haben; aber es kommen nur ein Wirthshausschild, eine Mütze, ein Pompadour und außerdem 200 Francs zum Vorschein. Hatte sie aber Goldstücke bei sich? Ward ihre goldene Kette, die übrigens in den Zeugenaussagen vor den letzten Assisen ebenso wie die durchbrochenen Filethandschuhe wieder verschwunden ist, vielleicht bei der Reise nach Basel versilbert? – Das Reich der Vermuthungen ist groß, aber selbst die aufgeregte Einbildungskraft der Bewohner von Mühlhausen hat hier auch nicht eine Spur entdeckt.
Gensdarmerielieutenant Schleretter hatte ausgesagt: »Bei der Haussuchung in Bletry's Wohnung fand man einen Bund Schlüssel, mehr als 20, die alle hell glänzend aussahen, über dem Spiegel hängen. Später wurden statt derselben andere Schlüssel untergeschoben. Der Gefangenwärter zu Mühlhausen beging die Nachlässigkeit, daß er die Angeklagten mit einander verkehren und zusammen trinken ließ. Er wurde deshalb abgesetzt.«
Man hat bei der Untersuchung sehr viel Gewicht auf diesen Umstand gelegt und zur Ermittelung desselben alle Kraft aufgewandt. Bletry erwiderte auf die Anschuldigung vor den Assisen: »Es sind keine anderen Schlüssel untergeschoben worden. Mit Erlaubnis des Herrn Staatsanwaltes zu Altkirch ließ ich durch Fisson Schlüssel holen, um dadurch dem Herrn Galisser zu Straßburg Unannehmlichkeiten zu ersparen; denn diese Schlüssel öffneten drei Koffer, die bei demselben niedergelegt waren. Diese Schlüssel bat ich Fisson zu nehmen; aber es sind keine untergeschoben worden. Im Gefängnisse hatte ich Tag und Nacht zwei Wächter bei mir; wie konnte ich da mit den andern Angeklagten verkehren?« Und in dieser Antwort ist schon das Summum der Schuld und des Ermittelten ausgesprochen. Es zeigt, daß die erste Untersuchung nicht mit der nöthigen Sorgfalt und Strenge geführt ist, um Verschleppungen und Verdunkelungen zu verhüten. Daß man dem Gefangenen erlaubt hat, durch einen Freund sich Schlüssel aus seiner Wohnung holen zu lassen, um damit irgend wie zu operiren, gehört auch zu den Unbegreiflichkeiten, an denen dieser Proceß so reich ist. Der Generaladvocat bemerkte, daß grade der Schlüssel zum Koffer, der von Bletry bei Herrn Galisser in Straßburg niedergelegt worden, von Fisson nicht mitgenommen, sondern im Bletry'schen Hause zurückgeblieben sei, wogegen die Vermuthung sich aussprach, daß Bletry Fisson beauftragt den Schlüssel verschwinden zu lassen, welcher zur gelben Leichenkiste paßte.
Ermittelt ist nichts weiter, der Schlüssel zur Kiste hat sich nicht gefunden, unter Bletry's Sachen und Koffern ist nichts entdeckt worden, was über seine Schuld oder Unschuld in der Hauptsache Aufschluß gäbe. Wir verschonen unsere Leser deshalb mit den weitläufigen Verhandlungen, Fragen und Antworten über diesen Punkt. Das einzige Resultat, welches daraus hervorgeht, daß Bletry's Schritte ein Schuldbewußtsein ausdrücken, steht auch sonst schon fest. Er braucht aber um deswillen noch kein Räuber und Mörder gewesen zu sein, wenn er, vom Gefängniß aus, Versuche macht, einen Theil seiner Sachen den Augen und Händen der Gerichte zu entziehen. Dies erklärte sich schon aus seiner pecuniairen Lage, dicht am Bankrutt, den er aus vielen Gründen zu verbergen suchte. Seine eigene Angabe: um einen Freund in Straßburg, welcher seine Koffer in Verwahrung gehabt, nicht zu belästigen, spricht freilich eher gegen als für ihn.
Namentlich ist der Factor einer Buchdruckerei in Nancy, Fisson, Bletry's Freund, und als Mitwisser oder Helfershelfer verdächtigt, darüber aufs Strengste inquirirt worden. Seine Aussage über eine Zusammenkunft mit Bletry am Pfingstsonnabend ist schon oben angeführt. Fisson war am 4. Juni (Pfingstsonntag) nach Straßburg gereist und erst am 21. nach Mühlhausen zurückgekehrt, wo er von einem höchst vergnügten und muntern Mittagessen berichtet, welches er mit seiner Frau, der Madame Galisser aus Straßburg, und Franziska bei Bletry eingenommen habe. Am Tage darauf war Bletry verhaftet worden, Fisson schwur, daß es ein höllisches Complot sei. Auf einen Brief Bletry's ans dem Gefängnisse, besuchte er diesen in demselben, völlig von seiner Unschuld überzeugt, und that, was er konnte, ihn zu trösten und ihm zu helfen. Seine Frau brachte ihm Essen; er trank mit ihm 2 Flaschen Limonade gazeuse, was zu dem Gerüchte Anlaß gegeben, daß Bletry und seine Freunde im Gefängniß in Champagner schwelgten. Er übernahm es für Bletry in dessen Keller nach dem Weine zu sehen, auch für Franziska die 200 Francs in Gold aus der Kommode zu nehmen. Er fand bei dieser Gelegenheit ein kleines Medaillon, was er ihr brachte. Auch bat ihn Bletry aus dem Schlüsselbund, das über dem Spiegel hinge, die 3 Schlüssel, welche die Koffer bei Galisser öffnen, fortzuthun, damit diese braven Leute nicht in seine Sache verwickelt würden. »Thun Sie an die Stelle dieser Schlüssel andere,« sagte Bletry. Hiedurch wird Bletry also in diesem Nebenpunkte durch seinen eigenen Freund einer Unwahrheit geziehen!
Fisson verkehrte später wegen der Schlüssel und des Geldes mit dem Staatsprocurator Bletry, der ihm rieth nichts von der Sache zu sagen, »weil es unnütz sei und die Untersuchung nur verlängere.« Indessen war es durch Andere schon ruchbar geworden, und Fisson legte darauf vor dem Friedensrichter Ritter ein vollständiges Bekenntniß ab, was ihn indeß vor einer bei ihm vorgenommenen Haussuchung nicht schützte. Sein Principal, der Buchdruckereibesitzer Barré, gab ihm das Zeugniß, daß er zwar leichtsinnig und fähig sei, sich unbedachterweise in gefährliche Sachen einzulassen, übrigens sittlich, von reinen Gesinnungen und als rechtlicher Mann, der die Wahrheit nicht verhehlen könne, sich nur in gutem Glauben und mit Redlichkeit in dieser Sache betheiligt haben werde. Nur scheint eine Stelle des Briefes, den Fisson nach seiner ersten Vernehmung an den Staatsprocurater Bletry schrieb, um diesen davon zu unterrichten, etwas bedenklich:
»Ich muß noch hinzufügen, daß ich ausgesagt, diese Vertauschung der Schlüssel habe nur zum Zwecke gehabt, den Schlüssel eines Koffers wegzuschaffen, der seit einem Jahre in Straßburg ist. Adieu! Gott wird für uns sein. Ein Gruß aus dem aufrichtigsten Herzen.«
Im Lichte eines Complicen, wenn gleich eines in gutem Glauben handelnden, erscheint Fisson danach jedenfalls, und es rechtfertigt den Verdacht, den man gegen seine und seiner Frau Aussagen hegte, wenn gleich dieselben, wenigstens was diesen Punkt anlangt, eher zu Ungunsten der Angeklagten, oder besser des nachlässigen ersten Polizei- und Gerichtsverfahrens, ein Zeugniß ablegen. Wie sollte in einer Untersuchung die Wahrheit ermittelt werden, wo den auf Tod und Leben Angeklagten verstattet war, die Besuche ihrer Freunde anzunehmen, ihnen Bestellungen zu ertheilen, in ihrem Hause Anordnungen zu treffen, fortzuschaffen, was nicht gefunden werden sollte, umzuwechseln, Botschaften auszurichten und ihnen zu überbringen und hinterbringen, was ihnen angenehm war!
Hiermit waren die Aussagen der Zeugen geschlossen, die, wie schon angedeutet, bunt durcheinandergingen, daß es Mühe kostete, sie in der von uns versuchten Ordnung, alle ein Factum betreffenden zusammenzufügen und zu schichten. Wir glauben nichts, was ein Licht auf die Sache werfen konnte, übergangen zu haben, und wenn wir zu ausführlich, zu viel unbedeutende Details aufgenommen zu sein scheinen, so bedenke man, daß der ganze Proceß eine Perlenstickerei ist, oder ein Versuch aus Atomen, die unter der Hand wieder verschwinden, ein Bild, ein Gewebe zu entwerfen. Ein Hauch hat Wichtigkeit, wenn wir ihn richtig erfassen, und ein Stäubchen, das wir fallen ließen, konnte das ganze Gebäude verrücken.
Aber indem wir mehre Wochen lang diese Masse Spreu mit der Feder zusammenkehrten, wird uns wieder klar, wie schwach es überhaupt mit der schriftlichen Auffassung der Wahrheit steht. Was ist das Resultat, auf das wir bauen können? Worauf beruht die Wahrheit, die wir abstrahiren? Auf einem Rechenexempel, wenn wir uns danach zutrauen, es zu ziehen; während eine einzige sinnliche Anschauung uns die volle moralische Ueberzeugung eingäbe. Hätte ein Daguerreotypist den Moment erfaßt, wie Franziska aus dem Zimmer stürzt, die Treppe hinauf eilt und zitternd sich an das Geländer hält, dieser einzige Blick sagte uns, was diese bogenlagen Berichte vergebens darzustellen sich bemühen.
Das Benehmen der Angeklagten wahrend der Verhandlungen war sehr verschieden.
Bletry warf schon in der ersten Sitzung auf die Zuhörer lebhafte Blicke, in denen sich die Verwegenheit seines Charakters spiegelte. Franziska Lallemand zeigte sich traurig und niedergeschlagen, und blieb es während des ganzen Processes.
Als der Friedensrichter Ritter bei den ersten Vorverhandlungen zu ihm gesagt, daß Magdalena Dinicher als die Person erkannt worden, welche am Pfingstmontage mit der Kiste auf dem Wege nach Dornach war, antwortete ihm Bletry: »So mag sie zusehen, wie sie sich herauszieht.« Als dieses Dictum vor den Assisen ihm zur Erklärung vorgehalten ward, rief er trotzig: »Ich kann den Herrn Friedensrichter nicht hindern, Unwahres zu berichten.« Der Friedensrichter rief mit erhobener Stimme: »Ich beschwöre, daß dem so ist.«
Bletry bewahrte durch alle Sitzungen dieselbe Geistesgegenwart, obgleich die Gründe, die er dann und wann für sich geltend machte, weit hergeholt waren. So ließ er sich von zwei Belastungszeugen bezeugen, daß er auch ein Mal einem armen Manne, der auf der Straße dem Hungertode nahe gewesen, mit Hülfe bereitwillig beigesprungen sei.
Magdalena Dinicher vertheidigte sich beständig im Tone der Entrüstung, Gott zum Zeugen ihrer Unschuld anrufend. Einmal rief sie mit kräftiger Stimme: »Ich fürchte die Polizei nicht, ich hatte nie mit ihr zu thun. Ich stehe nur unter Gott, meinem Herrn. Und selbst Gott habe ich hier nicht zu fürchten; denn mein Gewissen ist rein.«
Das gutmüthig dumme Gesicht Fritz Weidenbacher's schien der Anklage, daß er ein Mordgehülfe sei, von selbst zu widersprechen.
Die Reden des öffentlichen Anklägers und der Vertheidiger sind französisch, d. h. das deklamatorische Element überwiegt, was uns in einem Falle, wo die Gefühle, die Leidenschaften und die Phantasien ohnedies aufgeregt waren, besonders überflüssig erscheint, wo vielmehr es Aufgabe war, mit Kälte und Scharfblick die unsichtbaren Fäden zwischen den sichtbaren Punkten aufzufinden und ins Licht zu stellen. In jenen großen Fällen, wo Frankreichs erste Redner glänzten, wie der La Ronciere'sche und andere, fehlt zwar dies Element auch nicht, aber bei großen psychologisch moralischen Fragen ist es an der Stelle; es ist dort nur der Schaum, den ein gewaltiger Wellenschlag, welcher die Tiefe berührte und keine Stelle ungesichtet läßt, auftreibt. Das war hier nicht der Fall. Und dann, es ist ein deutsches Gefühl; an einem Orte, wo früher nur deutsche Laute tönten, wo auch heute der Mehrzahl nach uns nur deutsche Namen begegnen, in französischer Sprache die Verhandlungen geführt zu sehen, die deutsch redenden Angeklagten und Zeugen nur durch Hülfe eines Dolmetschers in ihrem eigenen Vaterlande verstanden zu wissen, und mit französischem Formelwesen leichthinweg über Klage und Vertheidigung sprudeln zu sehen. Es ist nicht das Geschwornengericht, es ist noch weniger die öffentliche Verhandlung, gegen die wir im Entferntesten eine Rüge aussprechen, es ist, daß wir den deutschen Ernst auf einem deutschen Boden vermissen. Aber es scheint, daß man der Sache überdrüssig geworden, man sah den Ausgang, die Stimmung der Geschwornen voraus, ermüdet eilte man zu dem Ende hin, welches, wie die Dinge standen, wahrscheinlich vor jedem Gericht dasselbe gewesen wäre.
Aus der Schlußrede des öffentlichen Anklägers nur einige Momente: »In der Thatsache eines Schlachtopfers ohne Namen, eines gemordeten Weibes, das Keiner zu den Seinigen zählt, findet sich das Geheimniß der Schwierigkeiten, welche dies verwickelte Verfahren bot; deshalb forderte es so gebieterisch die gewissenhafte Aufmerksamkeit, die Sie ihm gewidmet. Der Name des Schlachtopfers wäre in der That der Schlüssel der Thatsachen, die dem Verbrechen vorangingen, und dasselbe herbeiführten. Jedoch kann der Mangel des Namens den Lauf der Gerechtigkeit nicht hemmen; wenn die Gesetze der öffentlichen Sicherheit jedes menschliche Wesen verpflichten, so beschützen sie auch jedes menschliche Wesen, wer es auch immer sei. In einem, Worte, wir wissen, daß ein Verbrechen vorliegt. Wir zeigen Ihnen einerseits diese gräßlichen Reste eines Menschen, und andererseits die Bank der Angeklagten.«
Also das corpus delicti war da. Umschließt es denn aber in seinem Dasein auch die That, das Verbrechen, einen begangenen Mord? – Man hat später die Vermuthung aufgestellt: es sei wol eine Leiche dagewesen, aber keine Ermordung. Der Körper möchte aus einer anatomischen Schule herrühren, die aus Gründen die Leiche hätte wieder loswerden wollen, möglicherweise sei auch ein Scherz dabei im Spiele. Irgendwo glauben wir sogar gelesen zu haben, es sei ein Spaß deutscher Studenten der Medicin, welche der Welt und den französischen Gerichten ein Räthsel aufgeben wollen und so die verpackte Leiche auf die Eisenbahn auf das Gerathewohl geschickt. Wenn ein Scherz möglich war, ist es denkbar, daß man ihn so weit treiben können, daß die lustigen Thäter sich nicht gemeldet, oder auf andere Weise intervenirt hätten, wo es sich um Ruf, Freiheit, Leben von vier Unschuldigen handelte! Das würden, die Erfahrung hat es selbst gelehrt, selbst Mörder gethan haben, auf denen die wirkliche Blutschuld gelastet hätte. Nicht daß man von ihnen den Heroismus verlangt, sich selbst anzugeben; aber durch Winke aus der Ferne würden sie sich angetrieben gefühlt haben, den Irrthum der Richter zu verstören. Wenigstens finden wir von diesem Humanitätstriebe in allen Verbrechergeschichten einzelne Züge. Ohne Rachegefühl, ohne das motivirte Gefühl der Schadenfreude und ohne sich etwa dadurch selbst zu sichern vor der Verfolgung, sieht auch ein verhärteter Verbrecher Unschuldige nicht gleichgültig wegen eines von ihm begangenen Verbrechens zum Tode führen. Hier kam kein solcher Wink, keine anonymen Briefe. Aber die Leiche zeigte auch keine Spuren einer anatomischen Behandlung; sie war vollständig erhalten, und nach dem Gutachten der Straßburger Aerzte hatte das Opfer durch einen Stich in den Hals sein Leben eingebüßt. So lange kein Grund da ist an der Richtigkeit dieses Gutachtens zu zweifeln, bleibt also eine Ermordung bestehen.
Und die Thäter! – Aus »der Unermeßlichkeit der Einzelheiten« weiß uns der Ankläger auf keinem zuverlässigem Wege, als den wir gingen, zu einem festen Ziele zu führen. Eine Absicht, die Gerechtigkeit zu täuschen, geht aus den Vorgängen zu Fegersheim ohne Zweifel hervor. Aber was war die unausgesprochene Absicht der Mörder mit der Leiche? Die Anklage vermuthet, daß man die Kiste in den Rhein oder die Ill werfen wollen, und sie sei nur durch Zufall auf der Station Fegersheim stehen geblieben. Aber es bleibt Vermuthung. Die fremde Gestalt, welche die Kiste umschwebte, und in der der Bahnwärter Bletry erkannt haben will, hat ihre geheimen Intentionen nirgends ausgesprochen. Warum blieb sie dort stehen, warum war sie nicht weiter, nach einer entfernter« Station, adressirt? Wollte sie Jemand dort abholen? Dann mußte er sich legitimiren. Wollte er sie heimlich fortholen, stehlen? Eine schwere, unbeholfene Kiste, unter der ein starker Träger fast erlag! Unwahrscheinlichkeiten und Räthsel auf jedem Schritte.
Das Opfer war die schwarze Dame, deren Existenz, ihre Erscheinung in Mühlhausen, ihr Eintritt in Bletry's Haus zur Evidenz erwiesen ist. Sie war da und ist nicht wieder zum Vorschein gekommen. »Meine Herren, wenn ein großes Verbrechen begangen worden, wenn eine That geschehen, die allen göttlichen und menschlichen Gesetzen Hohn bietet, verbreitet sich in Europa die Entrüstung darüber; und Alles fragt nach dem Schuldigen und forscht nach dem Schlachtopfer. Es entsteht eine Art elektrische Bewegung, welche keine Entfernung des Raumes kennt. Ja, meine Herren, als man erfuhr, es sei eine weibliche Leiche in einer Kiste auf Station Fegersheim gefunden worden, war die Aufregung allgemein. Es ist dies eine Anerkennung, die man der menschlichen Sittlichkeit zollen muß. Das wolle Gott nicht, daß es jemals anders sei! Kein Palast, keine Hütte, wo man nicht von dem namenlosen Schlachtopfer sprach. Nie sollte man glauben, jetzt, wo die Rechtssache alle Geister seit zwei Jahren beschäftigt, daß jene schwarze Dame, wenn sie noch am Leben wäre, sich nicht wieder gezeigt hätte! Wahrlich, wenn sie noch lebte, wenn sie nicht gemordet wäre, so würde diese Frau, welche Hütte sie auch bewohne, in welchem Palaste sie heimisch wäre, sie würde sich gezeigt, sie würde zu den Angeklagten gesagt haben: «Ihr armen Unglücklichen! für mich habt Ihr geduldet; ich komme, daß ich Euch der Freiheit wiedergebe.» Aber die schwarze Dame erscheint nicht; und es ist nichts mehr von ihr vorhanden, als diese gräßliche Leiche.«
Im Schluß der Rede finden wir folgendes auffällige Argument: »Der Gedanke des Rechts soll jetzt durch Sie zur Wirklichkeit werden. Es ist hochwichtig, der elsässischen Bevölkerung, die noch zu der Meinung geneigt ist, daß gewissen Ständen Vorrechte ankleben, zu beweisen, daß in diesen Hallen mit gleichem Maße Allen gemessen wird, und die Strafe keine anderen Gränzen hat, als die der Strafbarkeit.«
Der öffentliche Ankläger ließ die Anklage gegen Magdalene Dinicher und Fritz Weidenbacher zum Schlusse fallen, in Bezug auf Franziska Lallemand glaubte er, daß mildernde Umstände könnten geltend gemacht werden.
Somit fühlte also die Anklage selbst den Boden unter sich wanken, und ehe noch die Vertheidiger ihre Batterien spielen lassen, auf solche Anzeigen gestützt, hatten diese leichtere Arbeit. Der Advocat Koch sagte: »Nie hat noch eine Rechtssache die öffentliche Meinung lebhafter beschäftigt; aber es hat sich auch noch nie eine seltsamere Rechtssache in den gerichtlichen Jahrbüchern irgend eines Jahrhunderts und irgend eines Landes gezeigt.« Das Verbrechen ließ er bestehen, aber mit unbekannten Motiven, wie die Leiche ohne Namen war. Auf die Angeklagten habe aber nur die unglückselige Zusammengesellung von Umständen, unerheblich in ihrer Vereinzelung, doch mit giftigem Schein in ihrer Zusammenstellung, das Ungewitter herangezogen. Das Gerücht allein habe dieses Wetter beschworen, das Gerücht, allein entstanden aus dem unreinen Munde einer öffentlichen Dirne. Die Neuschwander habe eigentlich die Anklage geschaffen, die von der öffentlichen Meinung geliebkost worden, welche sich immer in tragischen Elementen, um so mehr, wenn sie vom Schleier des Geheimnißvollen umgeben seien, gefalle. Der Vertheidiger charakterisirt den ganzen Proceß: »Welches Chaos, wie viel Verwirrung, wie viele Widersprüche, wie viele verschiedenartige Erscheinungen in diesem Wortkampfe! Einen Augenblick lang scheint der Angeklagte an den Rand des Abgrundes gedrängt, und findet im nächsten ein Rettungsbrett. Hier eine bestimmte Erkennung; dort wieder ein vollkommen erwiesenes Alibi; dann Zeugen, die einander aufs Beharrlichste Lügen strafen. So ist das traurige Schauspiel dieser langen, ins Kleinste gehenden Verhandlungen. Dies allein sollte schon genügen, um die Anklage zu Fall zu bringen: wenn die Unwahrscheinlichkeiten, deren sie übervoll ist, wenn erwiesene thatsächliche Unmöglichkeiten (?) sie nicht noch obendrein bekämpften; wenn der Thatbestand selbst, der ihr zur Grundlage dient, sie nicht förmlich Lügen strafte. (?)«
Er hebt den Umstand hervor, daß von den zwei Frauen, welche die Leichenkiste auf der Eisenbahn abgegeben, die eine auf keinen Fall nach den Ermittelungen Franziska gewesen. Also müsse noch eine andere Person in die Sache verwickelt sein, der nachzuforschen man unterlassen; eine fünfte, zwischen der und den Angeklagten gar kein Zusammenhang nachgewiesen worden Dies ist unbedenklich ein zweifelhafter Punkt. Seine Bedenken, daß die Identität der schwarzen Dame mit der Leiche nicht erwiesen sei, scheinen, wenn man den Zeugenaussagen traut, weniger begründet.
Der zweite Vertheidiger, Baillet, setzte auseinander, wie Leidenschaften, Feindschaft, Haß, Angeber, oder die Polizei, die sichs zur Aufgabe gestellt, daß kein Geheimniß für sie undurchdringlich bleibe, kurz Alles herbeigestürzt sei mit seinem Zoll wichtiger und unbedeutender Offenbarungen, das einmal aufgetauchte Gerücht zu nähren und die Anklage zu unterstützen. Aber die Last jeder Beschuldigung habe ein furchtbares Gegengewicht gefunden, und die Anklage selbst sei (schon in den, vorigen Assisen) wankend geworben, weil ihr die eigene Ueberzeugung gefehlt.
Kaum einen günstigern Grund und Boden konnte die Vertheidigung finden als die Vorgeschichte, mit Adele Bülart: »Während der Untersuchung erfährt man mit einem Male, das Opfer, die geheimnißvolle schwarze Dame, sei eine gewisse Adele Bülart. Eine Menge Zeugen werden abgehört. Nicht nur sie wird von allen Zeugen aufs Förmlichste erkannt; man erkennt auch ihre Kleider, Schmucksache, die ihr angehörten, und Anderes mehr. Die Anklage thut nun dar, daß ehemals zwischen Adele Bülart und Bletry Verhältnisse bestanden; Bletry war der Vater eines natürlichen Kindes, welches dies Mädchen gehabt. Er hat Adele gemordet, um ihrer Verfolgungen:, ihrer Belästigungen los zu werden. Da dringt eines Tages zn Adele Bülart die Nachricht ihres Todes. Sie erhebt eine Beschwerde. Man will ihr nicht glauben; es ist ein listiger Anschlag der Angeklagten. Da muß endlich das Mädchen 120 Meilen weit herreisen, und sich dem Untersuchungsrichter vorstellen, und all den vielen Zeugen, die ihren Leichnam erkannten! Was wäre geschehen, wenn Adele Bülart, anstatt in Frankreich zu wohnen, in fremden Landen gewesen, oder in irgend einem Winkel Frankreichs unbeachtet gestorben wäre? Ein Schauder fasse uns! Ein Gerichtsmord wäre geschehen, und hätte den Beifall der öffentlichen Meinung erhalten.«
Wo eine solche Täuschung vorangegangen war, wo der Wahn so nahe daran, gewesen, ein Opfer zu fordern, mußte diese Warnung besonders erschütternd zu den Richtern sprechen, und auffordern, lieber einen Schuldigen ungestraft aus dem Gericht gehen, als einen Unschuldigen der Härte der Strafe verfallen zu lassen. Der Wahntragödien waren so viele vorangegangen in Frankreich, und die Worte eines Vertheidigers während der Verhandlungen: »Jetzt spricht diese Zeugin bestimmt, daß sie es gesehen, vor einem Jahre sprach sie: Ich erinnere mich dieser Sache wie eines Traumes! Aber so ist es mit allen Zeugen: im Anfang sehen sie es wie einen Traum an; nachher geben sie es als Wirklichkeit!« – mögen nicht ohne erschütternden Einfluß auf die Versammlung geblichen sein. Das französische Blut hat vor nichts sich mehr, als vor dem Wahne zu hüten. –
Es ist geschehen. Einer der Vertheidiger, Yves, der es zuletzt darauf angelegt, die Persönlichkeit der Angeschuldigten vor ihren Richtern im Gewande der Unschuld hinzustellen und für ihre Demuth, Geduld, Hingebung und religiösen Gefühles die Sympathie zu erwecken, nimmt, was uns bei französischm Assisenverhandlungen sehr ungewohnt erscheint, einen religiösen Anlauf. Er sagt: »Augenscheinlich ist es, – unzweifelhaft für mich, für Jeden, – daß die Vorsehung zu gewissen Zeitpunkten sich darin gefällt, uns unwiderlegliche, fürchterliche Beweise zu geben, wie mangelhaft und irrig die Urtheile unseres Geistes sind. Dazu wählt sie vorzugsweise den Augenblick, wo irgendein großes Verbrechen begangen worden; sie umgibt es mit einem undurchdringlichen Geheimniß; und um uns die Nichtigkeit unseres Verstandes recht zu offenbaren, überläßt sie uns unsern eigenen Kräften, und stellt uns allein die ganze Lösung des blutigen Räthsels anheim. Man möchte sagen, daß sie alsdann die Gabe, die uns ihrem göttlichen Wesen näher bringt, uns entzieht. Wie mit einem Schwindel behaftet, stürmen wir über zwanzig Pfade hinweg nach der Entdeckung der Wahrheit, und finden als unser erreichtes Ziel zwanzigmal den Irrthum; aber bald ermüdet unsere hochmüthige Ungeduld. Aergerlich, daß wir das erstrebte Licht nirgends finden, begnügen wir uns mit einem trügerischen Schein, welchen der Zweifel unter unsere Schritte hingeworfen, und verirren uns in Finsternissen. Da fassen wir aufs Gerathewohl das unglückliche Opfer, welches vom Verhängnisse unserem Vorurtheil preisgegeben scheint, und schlagen los auf dasselbe: denn der Schwindel verblendet uns; und das Licht von oben erleuchtet uns nicht mehr.«
Die Geschwornen nahmen diese Weisung entgegen. Aber auch eine andere, welche der Vertheidiger Baillet ihnen gab, die Warnung, nicht mit ihrem Gewissen einen Vergleich abzuschließen: » Zweifeln heißt freisprechen«. Dieser Grundsatz des heiligen Ludwig wird heutzutage von Niemand mehr bestritten; und dennoch ist es leider nicht selten, daß ein Vergleich zwischen dem Zweifel und der Besorgniß vor der Ungestraftheit eines großen Verbrechens geschlossen wird. Mehr als ein Geschworner hat dem Angeklagten nur deshalb die Wohlthat der mildernden Umstände zuerkannt, weil er sich für nicht genugsam überzeugt hielt. Es ist dies ein unberechenbares Unglück, eine gottlose Abfindung des Gewissens; muß aber nicht das Gewicht dieses Zweifels, der so unselig durch ein »Ja, mit mildernden Umständen,« ausgedrückt ist, ewig auf dem Gewissen Desjenigen lasten, der einen solchen Spruch gab?«
Hier lesen wir also eine förmliche Protestation gegen die Anwendung einer jüngst in der französischen Criminalpraxis aufgekommenen Formel, welche, ein Surrogat für unsere außerordentliche Strafe, eigentlich das ganze Wesen, die Weise des Geschwornengerichts, über den Haufen wirft. Der Vertheidiger will keine mildernden Umstände, er will ja oder nein, weil er des Neins gewiß ist. In andern Fällen wird er gern auf die mildernden Umstände antragen.
Wenn noch etwas, fehlte, die Herzen der Geschwornen weich zu stimmen, so geschah es durch die Schlußworte jenes frommen Advocaten, der, im Namen der Angeklagten, allen Denen, welche sie so schwer gekränkt hatten, als der Marie Neuschwander, der Therese Fleury und dem Polizeiagenten Roy, verkündete, daß ihnen vergeben sei: »Ich hebe Sie alle aus Ihrer Unwürdigkeit empor. Ich löse Sie von der Verantwortlichkeit, die auf Ihrem Gewissen lastet. Erfahren Sie aus meinem Munde, daß diese Unglücklichen Ihnen vergeben.«
In der siebenten und Schlußsitzung fragte der Präsident den Angeklagten Metry: ob er noch etwas zu seiner Verteidigung hinzuzufügen habe? Bletry antwortete mit fester Stimme bei tiefer Stille im ganzen Saal:
»In einem so feierlichen Augenblicke, in einem Augenblicke, wo jedes Wort heilig ist, bin ich es mir selbst und meiner Familie schuldig, bin ich es der Stadt schuldig, in der ich geboren ward, und in der nie ein Mörder heimisch war, laut zu erklären, daß ich unschuldig, vollkommen unschuldig bin. Das beschwör' ich, die eine Hand auf dem Evangelium, die andere auf meinem Gewissen. Noch mehr, ich rufe das Zeugniß meiner Mitangeklagten auf.«
Den Geschwornen wurden 8 Fragen vorgelegt:
Ist Jean Nicolas Bletry schuldig, am 3. Juni 1843 einen freiwilligen Todtschlag an der Person einer Frau begangen zu haben, die 40 bis 50 Jahre alt war, und deren Name unbekannt blieb; und zwar mit den erschwerenden Umständen, daß der fragliche Todtschlag geschah, erstens, mit angelegter Hinterlist; zweitens mit Vorbedacht; drittens, daß das Verbrechen zum Zweck hatte, einen Diebstahl zum Nachtheil dieser Frau zu begünstigen und zu erleichtern, welcher Diebstahl auch vollführt worden ist?
Drei Fragen in denselben Ausdrücken wurden in Bezug auf die drei Mitangeklagten vorgelegt; sodann vier andere Fragen in Betreff der Mitschuld eines jeden unter den vier Angeklagten.
Die Geschwornen kehrten schon nach 10 Minuten zurück. Der Obmann antwortete, die Hand auf dem Herzen mit fester Stimme: »Bei meiner Ehre und meinem Gewissen, vor Gott und Menschen, nein, auf alle Fragen.«
Da erklärte Bletry, eine Freisprechung genüge ihm nicht, er verlange eine Ehrenerklärung. Er sei berechtigt, die Wiederherstellung seiner bürgerlichen Ehre zu verlangen: »Nur ein Wort der Ehrenerklärung, Herr Präsident, darum bitte ich Sie.«
Der Präsident erwiderte: »Wir haben Sie freigesprochen, weiter können wir nichts thun.«
Ob unsere Leser mehr thun können, wird jeder mit sich selbst ausmachen. Wir vermögen es nicht. Geurtheilt hätten wir als Richter wie die Geschwornen; vor uns selbst würden wir uns für incompetent erklärt haben, wo uns der Blick fehlte in das Herz und in Verstand und Fassungsgabe der Zeugen, von denen die Einen beschworen, es sei schwarz, was die Andern, die Hand aufs Herz, für weiß erklärten.
Wenn wir aber mehr zum Glauben an eine Schuldbarkeit Bletry's hinneigten, so tritt uns die Frage entgegen: wie ward es dem von seinen Gläubigern bedrängten, fast bankrutten Manne möglich, wenn er den Vorsatz gefaßt, eine herumvagirende fremde Abenteuerin um ihrer allem Anscheine nach nur geringen Habseligkeiten willen, umzubringen, wie ward es Bletry möglich, nicht allein seine Geliebte, sondern auch zwei Dienstleute, dem Anscheine nach gesunde ursprüngliche Naturen, dahin zu gewinnen, daß sie mit ihm verschlungene Hände machten, zum gräßlichen Verbrechen? Welchen Mordlohn konnte er ihnen bieten? Mit welchen Versprechungen ihre Treue und Verschwiegenheit bezahlen? Wars um einen Schluck Branntwein, ein Lächeln aus seinem Munde? Uebte er so gewaltigen Zauber auf die Gemüther seiner Umgebungen? Oder welche tiefste moralische Depravation oder welcher andere räthselhafte Zusammenhang hätte dies seltene Verbrecherband der aller verschiedensten Naturen so lange zusammengehalten, ohne daß ein Wort, ein Blick, ein Wink sich oder die Andern verieth!
Im Augenblick, wo wir diesen Aufsatz zum Druck absenden, erhalten wir von einem Schweizer, der von Basel aus den Proceß Schritt für Schritt begleitet hat, noch einige Notizen. Der Proceß schien ein Gemeingut aller Bewohner des obern Rheins, er ward für Frankreich (Elsaß), Baden und die Schweiz geführt; aus allen drei Ländern waren Zuschauer hingeströmt, denn man hoffte oder fürchtete überall eine Entdeckung, welche jedes dieser Länder anginge. Daher eine gespannte Erwartung über die Enthüllungen jedes Tages. Die allgemeine Stimme hielt Bletry für schuldig, sein Ruf war zu schlecht; sein finsteres heruntergekommenes Ansehen widersprach der Meinung nicht. – Aber wenn man die Zeugen ins Auge faßte, ward man wieder irre; sie erschienen fast sämmtlich als ein Gesindel, zu allen Thaten und Aussagen fähig.
Aber seine Freisprechung half ihm nichts gegen das öffentliche Urtheil. Es verdammte ihn nach wie vor gegen das Verdict der Geschwornen. Wo er sich später an öffentlichen Orten zeigte, an einer Wirthstafel niederlassen wollte, wich man vor ihm aus, oder nöthigte ihn, als einen bescholtenen Mann, sich zu entfernen. – Bald darauf verschwand er; man glaubt, daß er nach Amerika gegangen ist. – Letzthin war eine neue Muthmaßung über die Person des Opfers aufgetaucht. Man nannte ein Frauenzimmer, welches verschwunden war, und die zu den zahlreichen Frauen gehört, mit denen Bletry in Liebesverhältniß gestanden. – Auch das Haus, wo die Mordthat wahrscheinlich verübt worden, hat ein Fluch getroffen. Niemand wollte es kaufen, darin wohnen. Noch: vor einem Jahr sah es ein Reisender von der Eisenbahn aus, vom Wetter verwüstet, mit geschlossener Thür, mit zerschlagenen Scheiben oder mit Brettern vernagelten Fenstern, eine moderne Ruine, am Wege liegen.