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Frauen, welche eines Morgens in einem Teiche bei Sainte-Marie-Lablanche, einem Dorfe in der Nähe von Beaune, Leinenzeuch wuschen, bemerkten auf dem Wasser Etwas schwimmen, das wie ein Sack aussah. Nachdem sie es mit Stangen und Fängern ans Ufer gezogen, fanden sie in dem Sacke Glieder eines menschlichen Körpers. Erschrocken liefen sie zu der Obrigkeit und machten davon Anzeige. Augenblicklich schritt man zur Untersuchung und fand in dem Sacke, der mit einem B gezeichnet war, einen menschlichen Kopf, einen ganzen linken Arm und zwei Hüften mit einem linken Beine. Diese Gliedmaßen, welche schon in Verwesung überzugehen anfingen, waren unzweifelhaft die einer Frau, deren Alter man auf 30-35 Jahre schätzte. Sie mochte etwa 5 Fuß groß gewesen sein und ziemlich wohlbeleibt. Die Glieder konnten der Unglücklichen erst nach dem Tode abgeschnitten sein; wie sie indeß gestorben, davon fanden sich durchaus keine Spuren; nach dem Zustande des Fleisches zu schließen, hielt man sich anzunehmen für berechtigt, daß sie etwa vor einer Woche gestorben sei. Ihre Gesichtszüge waren schon so verändert, daß man sie nicht mehr erkennen konnte. Die Augen, deren Farbe nicht mehr zu unterscheiden war, traten sehr hervor. An der Form der Hand und andern Merkmalen sah man, daß die Todte nicht den untersten Classen der Gesellschaft angehört hatte.
Dieser Fund ward am 31. August 1835 gemacht; vier Tage nachher fand man in demselben Teiche den rechten Arm, das rechte Bein und noch andere Theile, so daß zuletzt an dem Körper nur der untere Bauch mit den Eingeweiden, das Herz und die Lungen fehlten. Aber die Haut zeigte an keinem Theile eine Verwundung, Quetschung oder Pressung.
Offenbar war hier ein Verbrechen begangen, aber aller Nachforschungen ungeachtet, kam man demselben nicht auf die Spur; auch die immer in solchen Fällen thätige Vermuthung fand weder eine möglicherweise gemordete Person noch den Mörder heraus.
Aber am selben Tage (was sich jedoch erst später ermittelte), wo der Sack mit den Gliedmaßen gefunden worden, hatte sich der Pfarrer der Gemeinde Sainte- Marie-Lablanche, nachdem er von dieser Entdeckung Nachricht erhalten, plötzlich aus seiner Parochie entfernt. Jean Baptiste Delacollonge, so war sein Name, hatte Niemandem von seiner Abreise gesagt, selbst nicht einmal seiner alten Dienstmagd, Suzanne Bourgois.
Es verging fast ein Monat, ohne daß man das Geringste von ihm erfuhr. Er schrieb nicht, man wußte auch nicht, wohin er sich gewandt habe. Suzanne war sehr unruhig geworden; endlich, da sie gar nicht wußte, woran sie war, war sie nach Bagnols, im Departement der Rhone, gegangen, wo Delacollonge's Bruder wohnte, um sich nach ihrem Herren zu erkundigen. Der Abbé war in der That hier gewesen, hatte sich aber nur kurze Zeit aufgehalten, ohne daß der Bruder wußte, wohin er sich auf den Weg gemacht. Möglicherweise, meinte indeß jener, daß er nach Lyon gegangen sein könne, um einen Arzt zu befragen, da er krank gewesen.
Suzanne kehrte nach Sainte-Marie zurück, ihr Herr, der Abbé, war aber auch da noch nicht zurück.
Erst nach der Heimkehr der Magd regten sich Vermuthungen, die den Abwesenden verdächtigten. Man erinnerte sich, daß man mehrmals ein Mädchen ihn in Sainte-Marie besuchen gesehen, die etwa 30 Jahre alt war. Sie war, dem Gerüchte nach, aus der Gegend von Lyon zu Hause, und der Abbé hatte sie für seine Cousine ausgegeben. Was eine solche Cousine bei dem Cölibat unterworfenen Pfarrern bedeutet, ist in Frankreich wie in Deutschland kein Geheimniß. Diese Cousinen können den Pfarrern zu Zeiten sehr unbequem werden. Sie verschwinden bisweilen auf Zeit, es ist auch schon öfters vorgekommen, daß sie ganz verschwunden sind. Im Augenblicke, wo ihr Leichnam aufgefunden worden, war aber der Pfarrer selbst verschwunden, und schon über Monatsfrist. Alles hinreichende Gründe für die bürgerliche Obrigkeit, um einzuschreiten.
Bald ermittelte sich, daß die angebliche Cousine Fanny Besson heiße, aus Lyon sei, daß sie im Laufe des Jahres 1834 gegen 3 Monate zu Sainte-Marie bei ihrem angeblichen Vetter, dem Abbé, gewohnt, und daß sie auch in diesem Jahre, 1835, im August, ihn heimlich besucht hatte. Demnächst hatten mehre Personen den Abbé Delacollonge einsam um den Teich herum schleichen gesehen, in welchem der Sack mit dem Leichnam gefunden worden.
Der Polizei zu Lyon gelang es Delacollonge zu verhaften, und zwar im Augenblicke, wo er ins Ausland, nach Genf, sich auf den Weg machen wollte.
Der Abbé räumte sogleich mehr ein, als man erwarten durfte, er legte ein, wenn nicht vollständiges, doch ein Bekenntniß ab, welches, was die Thatsache selbst anbelangt, kaum vollständiger sein konnte, nur Hinsichts der Zurechnung und der Motive die Schuldbarkeit abwies. Wir haben hier einen andern, einen französischen, Pfarrer RiembauerSiehe den Fall: Neuer Pitaval III., vor uns, mit dem Unterschiede, daß der deutsche Mörder ungleich großartiger als Verbrecher, Heuchler und Sophist gegen sich selbst und Andere dasteht, während der Südfranzos nur von dunkler Leidenschaftlichkeit getrieben, seine That vielleicht ohne Berechnung begeht, ihren Folgen ohne Klugheit auszuweichen sucht und in seiner Vertheidigung nach gemeiner Verbrecher Art das Große hülflos zugibt, während er ängstlich Strohhalme festhält, um für sein Verbrechen einen andern Schein zu gewinnen.
Wir erzählen die Geschichte, wie die öffentliche Anklage sie darstellt, deren Fundament die Geständnisse des Verbrechers sind. Die anderweitigen Ermittelungen haben diesen objectiven Thatbestand nicht umgerückt.
Jean Baptiste Delacollonge war zu Bagnols im Rhonedepartement von armen Aeltern geboren. Die geistliche Laufbahn scheint er ohne besondern innern Beruf ergriffen zu haben. Im Jahre 1820 erhielt er ein Vicariat in der Parochie St. Pierre zu Lyon. Seine Aufführung hier war sehr regellos in mehr als einer Beziehung.
Er machte unter andern auch die Bekanntschaft mit einer jungen Modearbeiterin, der Demoiselle Besson, die in einem Lyoner Magazin arbeitete und zugleich – sein Beichtkind war. Diese Bekanntschaft war inniger, vertrauter, als eine andere. Im April 1824 lieh er ihr sogar eine Summe von 2000 Francs, um selbst ein Modegeschäft anzulegen. Er war hier ihr fleißiger Besucher.
Als Delacollonge 14 Jahre später zum Geistlichen der Gemeinde Sainte-Marie-Lablanche ernannt war, besuchte ihn Demoiselle Besson daselbst und blieb drei Monate im Frühling und Sommer bei ihm. Sie galt, wie gesagt, als seine Cousine. Bei ihrer Abreise begleitete er sie nach Lyon. Im folgenden Jahre kam sie abermals zum Besuch, und blieb wieder drei Monate im Pfarrhause. Um jedoch alles Gerede zu vermeiden, ließ er sie nicht hier schlafen, sondern in einem andern Hause, bei einer Demoiselle Martin; indessen war seine Dienstmagd Suzanne Bourgois in die Geheimnisse des sträflichen Verhältnisses zwischen Beiden eingeweiht.
Als die Besson schwanger geworden, verließ sie Lyon und ging nach Dijon, wo Delacollonge sie unter dem Namen einer Madame Desgerennes einmiethete; er selbst gab sich für ihren Bruder aus und bezahlte mit 386 Francs jährlich ihre Wohnung, die er zum Theil meublirte. Er besuchte die angebliche Schwester oft und regelmäßig. Häufig kam er schon am Montage und ging erst am Sonnabend wieder fort. Ein Feldbett, worin er schlief, war in einer Kammer neben der Stube seiner angeblichen Schwester aufgestellt. Er war stets als Laie gekleidet, und nichts ließ annehmen, daß er dem geistlichen Stande angehöre. Zeugen, die später vernommen, sprachen von der innigen Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit, mit der er die Kranke behandelte.
Die Besson kam in Dijon mit einem todten Kinde nieder.
Die Einrichtung, das Wochenbett, dann die Reisen und die doppelte Wirthschaft verursachten Kosten, welche Delacollonge's Mittel überstiegen. Er hatte sich 100 Francs leihen müssen, aber auch diese Hülfe reichte lange nicht aus. Da erbrach er einen Schrank mit aufbewahrtem Gelde in der Sacristei, und nahm daraus eine Summe von 286 Francs. Er hat dieses Verbrechen eingestanden.
Doch alles Das konnte ihm in seiner Noth nicht helfen. Zwei Wirthschaften ließen sich nicht mehr unterhalten. Andererseits wurden seine Parochialen durch seine fortwährenden Reisen und die lange Abwesenheit von seiner Pfarre gegen ihn misgestimmt. Er mußte zurückkehren, sonst lief er die sichere Gefahr, sein Amt zu verlieren, auch selbst wenn sein Geheimniß nicht zur allgemeinen Kenntniß kam. In Erwägung aller dieser Umstände entschloß er sich, seine Concubine heimlich in das Pfarrhaus zu bringen und sie dort versteckt bei sich zu behalten.
Jenes geschah in der Nacht vom 7. auf den 8. August. Am folgenden Tage lieh er sich einen Einspänner und holte damit um 10 Uhr Abends ihre Sachen, zwei Mantelsäcke und einen Koffer mit Wäsche und ihren andern kleinen Effecten.
Die Sache blieb indessen nicht ganz geheim; 17 Tage später sagte ihm der Maire von Sainte-Marie, grade als Delacollonge zur Messe ging, er habe in Erfahrung gebracht, daß er seine Nichte bei sich versteckt halte. Er bäte ihn, sie bald fortzuschicken, denn wenn die Gemeinde es erführe, würde es für ihn eine üble Nachrede geben.
Delacollonge erklärte, das sei eine böse Verleumdung, die Cousine wäre nicht mehr bei ihm. Der Maire erwiderte ruhig: »Desto besser, wenn sie nicht da ist, ist sie aber da, so macht, daß Ihr sie fortschickt.«
Diese Antwort entschied das Schicksal der unglücklichen Besson; sie war ihr Todesurtheil, argumentirt die Anklage. Er mußte sie loswerden, oder eine Last ferner tragen, für die seine Schultern zu schwach waren, unter der er in mehrfacher Beziehung erlegen wäre. Und – es war gar keine Gefahr dabei, wenn er sie verschwinden ließ. Die Arme stand allein auf der Welt, sie hatte keine Familie, kaum mehr Bekannte; er war ihr einziger, nächster Angehöriger. Wer würde nach ihr fragen, wenn Niemand sie wieder sah!
Zeugen, welche über die Mordthat selbst berichten könnten, waren nicht vorhanden. Was man darüber weiß, ist aus dem Munde des Mörders.
Es war am 24. August, daß der Maire jene Weisung und Warnung an Delacollonge ergehen ließ. Er kehrte in die Pfarrwohnung zurück und frühstückte mit der Geliebten. Sie bemerkte seine Verstimmung. Auf ihre dringenden Anfragen deshalb, sagte er ihr nur mit trockenem Tone, sie solle nicht so laut sprechen. Sie schwieg und weinte.
Nach dem Frühstück eröffnete er ihr, was der Maire ihm mitgetheilt. Zugleich theilte er ihr seinen Entschluß mit, daß sie nun die Pfarre verlassen müsse. Sie solle noch am selben Abend nach Beaune und von dort nach Chalon reisen.
Bei Eintritt der Nacht nahmen sie ihr letztes Abendbrot zusammen ein, dann pflogen sie eine einsylbige, traurige Unterhaltung in der Hinterstube, in welcher die Besson wohnte, in Erwartung der Stunde, wo die Abreise ohne Gefahr geschehen könnte.
Die Stunden verstrichen langsam; die Vorbereitungen waren gemacht. Die Besson warf sich, ihrem Schmerz nachgebend, auf ihr Bette. Es war aus vier Stühlen gemacht, über die man einen alten Thürflügel und darauf zwei Matratzen und mehre Decken gelegt hatte. Der Abbé streckt sich neben ihr hin. Bei einer etwas heftigen Bewegung, um sich aufzurichten, bricht die alte Thüre.
Jetzt aber schlägt es 10; die Stunde zur angeblichen Abreise ist da. Die Magd war schon zu Bett gegangen; ihr hatte man nichts davon gesagte
Noch ein Mal beginnt zwischen ihnen ein Zwiegespräch. Jeder klagt an der Brust des Andern seinen Schmerz, seine Trostlosigkeit. Delacollonge ruft: »Ach, wir wären weit glücklicher, wenn wir todt wären!« –
Er glaubt, daß sie erwidert habe: »Ja, wenn wir zusammen stürben.«
Plötzlich ruft er aus: » Soll ich versuchen, ob ich Dir weh thue, wenn ich Dich recht zerre und drücke?«
Und im selben Augenblicke faßt er ihren Hals mit beiden Händen, einem Impuls folgend, »den er sich nicht erklären kann,« drückte er sie »und fester als er geglaubt, daß es in seiner Kraft stände.« Sie machte ein Zeichen ihres Schmerzes, indem sie beide Arme erhebt, mit heftig zitternder Bewegung. Da hört er auch schon auf zu drücken (sagt er), und wie er die Hände fortzieht, stürzt sie zu Boden, ehe er sie noch wieder fassen kann.
Er hebt sie auf und setzt sie auf einen Stuhl; aber sie gab nur noch einige Lebenszeichen. Diese benutzt er (wie Riembauer), um ihr die letzte Oelung zu geben. Darauf erfolgt der Tod. Er ließ einige Tropfen der Kerze auf ihr Gesicht fallen, aber sie brachten keine Wirkung mehr hervor.
Schnell war er indeß mit kluger Berechnung zur Hand. Er benutzte die Augenblicke, wo der Leichnam noch warm war, und ehe die Glieder und Sehnen steif wurden, zog er sie aus, warf aus dem größten Koffer, der ihre Sachen enthielt, diese heraus und drückte den Leichnam hinein.
Es war jetzt 11 Uhr geworden. Er ging aus der Stube, verschloß sie, steckte den Schlüssel ein und trat in die Küche, wo die Magd schlief. »Ich gehe fort,« rief er ihr zu, »schließe die Thüre zu.«
Er ging auch wirklich mit einigem Geräusch fort, um die Dienerin glauben zu machen, daß er die Besson wegführe. Einen Theil der Nacht hindurch streifte er über Feld und einsame Wege, verbrachte einen andern Theil unter der Kirchthüre, und kehrte erst nach einem solchen Zwischenraume zurück, daß seine Magd wol glauben konnte, er habe inzwischen die Besson nach Beaune gebracht und sei wieder zurückgekehrt. Als er in sein Haus trat, hieß er sie ihm Licht bringen.
Die übrige Nacht beschäftigte er sich mit Briefschreiben. Um 6 Uhr Morgens trat er wieder zur Magd hinaus und hieß sie den zugesiegelten Brief auf die Post nach Beaune tragen. Er fügte noch andere Bestellungen hinzu, deren Ausrichtung ihre Abwesenheit nothwendig verlängern mußten.
Jetzt war er allein mit dem Leichnam seines Opfers, und es galt die Zeit nutzen, um den Körper zu zerlegen, damit er die einzelnen Theile besser fortschaffen könne.
Er nahm ihn aus dem Koffer und zerschnitt ihn mittelst eines Tisch - und eines Küchenmessers, die frisch geputzt und geschärft waren. Diese Instrumente reichten indeß nicht aus, er mußte auch ein Gartenmesser zu Hülfe nehmen, um die Glieder von den Knochen zu trennen, und so wie eines abgelöst war, warf er es in den Koffer, bis auf diese Weise der ganze Körper sich wieder darin befand.
Das genügte ihm aber noch nicht, und so wenig überkam ihn das Entsetzen bei der gräßlichen Schlächterarbeit, daß er einzelne Theile abermals herausnahm und von Neuem an das Zergliedern ging. Er schnitt den Kopf ab, stieß das Messer in den Leib und riß ihn auf, um die Eingeweide herauszunehmen. Da ward es ihm plötzlich schwarz vor den Augen, sein Blut stockte, ein Schauder machte ihn erbeben, er hörte eine Stimme draußen rufen: »Ach, der Unselige! Er hat seine Dienerin umgebracht!«
Erstarrt, seiner selbst nicht mächtig, hält er inne, über die Haufen blutigen Fleisches hingebeugt. Er wagt nicht die Augen nach dem Fenster zu richten, das, zu ebener Erde, mit geöffneten Jalousien, nach dem Garten hinausging. Jenseits des Gartens erhob sich ein Weinberg, von demselben nur durch eine Hecke getrennt. Doch horcht er mit Entsetzen und Angst, er kann auf einige Zeit nicht die Hände rühren. Inzwischen bleibt es todtenstill, kein Blatt rührt sich. Es war eine Sinnentäuschung, eine Vision gewesen, und er macht sich wieder an seine gräßliche Arbeit. Jetzt riß er mit den Händen die Eingeweide heraus und warf sie in eine Schüssel, sprang damit in den Hofgarten und that sie in den Abtritt. Mit einer Schippe zertheilte er sie vorsichtig und scharrte sie unter den Unrath.
Von da ging er in einen Speicher und nahm einen Sack, in welchen die Besson ihre schwarze Wäsche zu stecken pflegte, that ihren Kopf hinein, den Rumpf und die abgeschnittenen Glieder, die bisher im Koffer gelegen, und trug ihn in den Keller, wo er ihn hinter leeren Weinfässern verbirgt. Er übt aber auch hier die Vorsicht, aus den vollen Fässern so viel Wein zu zapfen und mit sich heraufzunehmen, als etwa während des Tages gebraucht würde!
Der Estrichboden der Kammer schwamm von Blut. Er wischte es mit Leinentüchern auf, die er nachher verbrannte. Dasselbe that er mit der Haube des Opfers, ihrer Reiseschachtel und dem bluttriefenden Hemde, welches er selbst bei der That am Leibe getragen.
Als nun Mittags die Magd aus Beaune zurückkehrte, war Alles vollbracht. Sie fand Delacollonge in seinem Zimmer ruhig vor seinem Schreibtische sitzend. Sobald aber die Nacht eintrat, holte er den Sack aus dem Keller und stellte ihn im Garten neben der Ausgangsthür nieder. Der Magd sagte er, er wolle ausgehen, um zu sehen, ob er nicht 200 Francs irgendwo auftreibe, die er Demoiselle Besson schicken könne.
Zwischen 9 und 10 Uhr ging er aus. Den Sack mit dem zerhackten Leichnam auf dem Rücken, streift er in der tiefsten Dunkelheit einer stillen Nacht über die Felder; bestimmt weiß er noch nicht, wohin. Er strauchelt und fällt, der Sack reißt, er muß ein Glied herausziehen und es wieder fest stopfen. So endlich kommt er an den großen Teich von Sainte-Marie. Er watete bis über die Knie ins Wasser und warf dort getrost seine Last ab. Die Arbeit hatte übrigens kürzere Zeit erfordert, als man hätte denken sollen, denn sie war in Zeit einer Viertelstunde vollendet.
Da er früher zurückkehrte, mußte er sich wieder mit einer Lüge helfen; er sagte zu seiner Magd, der Regen habe ihn am Weitergehen verhindert.
Am andern Morgen ging er, um die Messe in einer benachbarten Gemeinde abzuhalten. Sein Weg führte ihn am Teiche vorüber, und zu seiner großen Befriedigung bemerkte er nichts auf der Oberfläche.
Das Gefühl seiner Sicherheit verschwand aber nur zu bald, denn nach 6 Tagen fand man, wie oben erzählt, den Sack. Vom Schrecken gerührt und sich nicht mehr Manns fühlend, um der drohenden Gefahr die Stirn zu bieten, dachte er nur an Rettung und beschloß sofort die Flucht. Er warf sich in seine Laienkleider, steckte die einzigen 40 Francs, die er noch besaß, in die Tasche, dazu drei Ringe und die Uhr der gemordeten Besson, auch einiges Silbergeräth derselben, und machte sich auf den Weg.
In Lyon kehrte er bei einem öffentlichen Mädchen aus früherer Bekanntschaft ein. Er aß, schlief bei Demoiselle Adelaiden, ließ durch sie die Ringe, das Silberzeug und die Uhr der Besson versilbern, unterließ aber zu gleicher Zeit nicht (wenigstens behauptete er es selbst) für die gemordete Françoise Besson Seelenmessen lesen zu lassen!
Delacollonge wollte, indem er gestand und viel gestand, mehr als man durch Zeugenbeweise und Indicien ermitteln können, sich als einen Mann der Wahrhaftigkeit darstellen; er wollte, daß, weil er so Vieles eröffnete, was ohne sein Zugeständniß auf ewig mit dem Schleier des Geheimnisses wäre bedeckt geblieben, auch seinen änderweiten Aussagen Glauben beigemessen würde. Er gestand die Ermordung durch seine Hand ein, aber er wollte glauben machen, daß er unprämeditirt gehandelt, daß es der Schauer, die dämonische Macht eines Augenblicks gewesen, welche ihn, gegen seinen vorgefaßen Willen, handeln und seine Geliebte tödten lassen.
Schon seine eigene Aussage spricht dem entgegen. Das Unwahrscheinliche in der Erzählung, schon des Momentes selbst, springt in die Augen; aber auch Alles, was voranging und darauf folgte, trägt schlagende Belege dafür, daß er mit Vorbedacht gehandelt und daß nachher nichts von seiner Seite geschehen, um es wieder gut zu machen, wenn die Ermordung nicht in seiner Absicht gelegen hätte. Als das Opfer, seiner Angabe zufolge, von ihm erwürgt auf dem Boden lag und doch noch nicht todt sein konnte, was, wenn ihm die Besinnung erwacht wäre, die Reue ihn überkommen hätte, wäre das Erste gewesen, als hinauszustürzen, die Köchin zu wecken und der Erstickten alle mögliche Hülfe zu bringen!
So argumentirte die öffentliche Anklage, so urtheilte das Gericht, und so wird auch das Publicum urtheilen. Dagegen erblicken wir in der Angabe, daß er der Sterbenden noch die Absolution gereicht haben will, keine offenbare Heuchelei, wie die Staatsanklage that, wenn wir uns des ganz verwandten Riembauer'schen Falles erinnern. Stand Delacollonge auf demselben Punkte kirchlicher Frömmigkeit wie Riembauer, so konnte er auch glauben, daß, obwol Mörder, er noch die Verpflichtung und die Weihe habe, seinem Opfer diesen letzten Trost des Sacramentes, dieses letzte Viaticum auf ihren Weg zur Ewigkeit mitzugeben.
Der Thatbestand des Verbrechens stand fest, der Thäter war durch eigenes Bekenntniß ermittelt; dieses selbe Bekenntniß legte auch die Motive klar an den Tag. Der Vorbedacht der Handlung, welcher sie zum Morde stempelt, war eben so deutlich. Seine Vorsichtsmaßregeln, mit kaltem Mute überdacht, bezeugen, daß es kein heißblütiger Impuls gewesen, ja der Verdacht steigt auf, daß Delacollonge sein Opfer schon in der teuflischen Absicht aus Dijon nach Sante-Marie gelockt, um den günstigen Augenblick zu ergreifen, seiner loszuwerden.
Dennoch mußte schon die Anklage bedauern, daß bezüglich dieses Punktes durch die Voruntersuchung nicht mehr ermittelt worden oder ermittelt werden können. Magen und Eingeweide waren nicht untersucht worden, denn der Verdacht blieb nicht ausgeschlossen, daß der Verbrecher auch vielleicht Gift zuerst versucht, um auf bequemere Weise seine Concubine loszuwerden. Man hätte auch untersuchen müssen, ob nicht eine neue Schwangerschaft, die den Mörder mit neuen Sorgen bedrohte, ihn zur Beeilung der That angetrieben. Aber alle Nachsuchungen, um diese Theile des Körpers aufzufinden, blieben vergebens. Wie man auch in Delacollonge drang, ob er sie nicht irgend sonst wo versteckt, als im Abtritt, da man in dem Mist auch keine Spur davon gefunden, er blieb bei seiner ersten Angabe: »Wahrscheinlich,« sagte er, »habe ich die Eingeweide, als ich sie ausriß, dermaßen zerdrückt und zerstückt, daß sie sich mit dem Blute und dem andern Unrathe vermischt haben.« Diese Erklärung genügte aber den Sachverständigen nicht. Die fehlenden Organe, erklärten dieselben, wären von einer solchen Beschaffenheit, daß sie ebenso wenig als die andern aufgefundenen sich zerdrücken und vermischen, ihre Natur verändern und ganz verschwinden könnten. Augenscheinlich war daher, daß der Verbrecher in diesem Punkte mit der Wahrheit zurückhielt und irgend ein Interesse dazu hatte.
Die Anklage gegen ihn umfaßte zwei Punkte:
1) Mit Vorbedacht einen Mord an der Modehändlerin Francoise (Fanny) Besson verübt, und
2) eine bestimmte Summe aus der in der Kirche von Sainte-Marie-Lablanche verwahrten Casse arglistigerweise entwendet zu haben.
Vor dem Assisenhofe von Dijon ward der Proceß verhandelt. Delacollonge war ein Mann von 40 Jahren, hochgewachsen und wohlgebildet. Seine Hautfarbe war braun, seine Stirn hoch, seine Haare schwarz und kraus. Ebenso schwarze Brauen beschatteten die kleinen Augen von derselben Farbe. Er trug einen braunen Ueberrock und einen Mantel darüber, den er, als er sich auf die Bank setzte, überwarf. Er suchte sein Gesicht zu bedecken, bald mit den Händen, bald mit dem Taschentuche. Kleidung, Wesen und Haltung verriethen nichts von einem Geistlichen.
Während der Vorlesung der ganzen Anklageacte behielt er das Tuch vor dem Gesichte, so daß das Publicum nichts von dem Eindrucke, den sie auf ihn vorbrachte, gewahren konnte. Nur zuweilen, wo der Greffier die Stellen verlas, bezüglich die grausen Einzelheiten der Mordthat, verkündete ein Zittern seiner Gliedmaßen und ein stöhnendes Seufzen seine innere Bewegung. Unter den vorgelegten Beweisstücken waren auch die beiden Koffer, in deren einem die zerstückten Glieder gelegen. Auf die gewöhnlichen Fragen über Stand, Namen, Alter, hatte Delacollonge mit Ruhe geantwortet.
Vom Verhöre und den Zeugenaussagen werden wir nur Einiges aufnehmen, was außer den unbestrittenen und schon angeführten Thatsachen liegt. Bei der Untersuchung über seinen früheren unsittlichen Lebenswandel kam sein Umgang mit öffentllchen Mädchen in Lyon zur Sprache. Er konnte ihn nicht ganz leugnen, behauptete aber, daß man in allen großen Städten und namentlich in Lyon, nur zu geneigt sei, dem Geistlichen Schlingen zu legen, um sich dann über ihn lustig zu machen. So habe einst ein jünger Officier in seinem Cabriolet eine dieser zierlichen Damen bis vor sein Haus gefahren, unstreitig in der Erwartung, daß er in die Falle gehen werde, da er das junge Mädchen doch nur gesehen und gesprochen, als sie um seinen Rath und Beistand, weil er ein Geistlicher, und als angeblich unschuldig Verführte bat.
Nichtsdestoweniger bekundete die erzbischöfliche Curie zu Lyon, daß Delacollonge wegen seiner bösen Sitten bekannt und deshalb aus dem Vicariat von St. Pierre in eine Art Pönitenzstelle versetzt worden. Sehr naiv lautete es in diesem Aktenstück: »Es steht fest, daß Delacollonge der Klugheit ermangelt hat; er soll deshalb ohne Aufhebens die Diöcese verlassen.«
Ueber den Hauptpunkt der Anschuldigung lautete die Frage:
Als Sie die Besson am Hals ergriffen, hatten Sie da nicht die Absicht, ihr den Tod zu geben und sich dann selbst umzubringen?
»Nein, Herr Präsident, ich habe nie die Absicht gehabt, ihr den Tod zu geben.«
Räumen Sie aber wenigstens ein die Ursache ihres Todes, wenn gleich ohne bewußten Willen, gewesen zu sein?
»Ich kann mir diesen unglückseligen Tod nicht erklären. Ich kann nicht mit Gewißheit leugnen, daß ich nicht die gelegentliche Ursache gewesen, oder die, welche den Tod bewirkt hat; aber Das, was ich ihr that, konnte ihr den Tod nicht geben.« Warum riefen Sie nachher nicht um Hülfe?
»Ich konnte meine Magd nicht rufen, weil ich mit ihr unzufrieden war. Ich konnte auch die Besson nicht verlassen, die in einem beklagenswerthen Zustande war. Aber da es nicht das erste Mal war, daß ich sie so sehr heftigen Krisen unterworfen sah, wie ich sie schon in Dijon einmal für todt in meinen Armen hielt, so beeilte ich mich, als ich sie wieder ohnmächtig sah, ihr Salz zu riechen zu geben; aber mitten unter diesen Sorgen sah ich sie todt unter meinen Händen. Ach mein Gott!... als diese furchtbare Gewißheit mich überkam, da goß ich ihr einige Tropfen von der Kerze, die in der Stube brannte, über das Gesicht... als das Unglück ausgemacht war, da wußte ich nicht mehr was zu thun, da war es unnütz noch Jemand zu rufen, und dann hatte ich auch Gründe... Ich konnte mich meiner Magd nicht anvertrauen, sie hatte wenig Discretion gezeigt, ich hatte so wenig Vertrauen zu ihr...«
Und doch scheint es, daß Sie Ihre volle Geistesgegenwart besaßen, denn Sie gaben der Besson die Absolution. Sie waren sogleich besorgt sie zu entkleiden, damit die Glieder nicht steif würden.
»Als ich sie im Sterben sah, war mein Erstes, ihr die Absolution zu ertheilen. Jeder Priester würde ebenso gehandelt haben, ich möchte sagen, wenn es auch gegen seinen Willen gewesen, d. h. im Augenblicke wo ich überzeugt war, daß es keine andere Hülfe mehr gebe.«
Aufgefordert, den eigentlichen Moment der tragischen Katastrophe näher zu beschreiben, brachte Delacoltonge die Hand an die Stirn; die Augen gen Himmel stieß er einen tiefen Seufzer aus und sprach:
»Der Tag war sehr traurig. Alles war zu ihrer Abreise bereit. Ich zog meine geistlichen Kleider aus und zog dafür weltliche an. Wir waren in einer peinlichen, einer großen Spannung. Wir sprachen über den Schmerz unserer Trennung... «Es scheint mir,» sagte ich da zu ihr, «daß wir viel glücklicher wären, wenn wir todt wären.» – « Ja,» erwiderte sie, »ach ja, das ist sehr wahr.... Aber wenn wir alle Beide stürben...» Da sagte ich denn scherzend zu ihr (ich kann keinen andern Ausdruck finden, als dessen ich mich hier bedient habe): «Soll ich ein Mal versuchen, indem ich dich recht am Hals drücke, ob ich dir weh thue?» – Ich hatte keine Absicht... ganz gewiß nicht ... es war ein unschuldiges Spiel... Sie sagte: «Versuche doch!» das sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich drückte sie... ich drückte sie ein wenig stark, bis sie mir ein Zeichen machte, daß es ihr wirklich weh thäte. Da ließ ich sie sogleich los, ohne zu denken, daß es die Folgen haben könne, die es gehabt hat. Sie fällt. Ich strenge mich an sie wieder aufzuheben. Ich halte ihr starke Essenzen vor, die auf dem Kamin stehen. Ich sehe, sie kann sich nicht mehr halten, sie ist im Sterben. Da gebe ich ihr die Absolution und um mich zu versichern, daß es kein mögliches Mittel mehr gibt, gieße ich einige brennende Wachstropfen auf ihr Gesicht. Auf diese Weise erhielt ich denn die Gewißheit, daß die Unglückliche todt sei. Ich habe ihr die Absolution gegeben!«
Dauerte die Agonie lange?
»Ich kann es nicht bestimmen... o nein, es war nicht lange... o Gott, ich habe es ein Mal gesehen, und wiederholen kann ich es nicht; ich begreife nicht, wie Das, was ich ihr gethan, ihr den Tod geben können.«
Aufgefordert über die Art und Weise, wie er den Leichnam secirt, Rechenschaft zu geben, sagte er:
»Brauche ich es denn auszusprechen, daß ich von der unerbittlichsten Notwendigkeit gedrängt ward, vom Bedürfniß, meine, die Ehre der Besson zu retten? Niemand durfte von dem Leichnam erfahren, ohne daß zugleich ihr heimlicher Aufenthalt in der Pfarre bekannt wurde. Meiner Magd konnte ich mich nicht anvertrauen, ich habe es ja schon gesagt. Ich mußte fürchten, daß sie es ausplaudere, ich mußte fürchten, daß das Geheimniß ihres Besuchs bei mir verrathen werde... Den Körper aber mußte ich los werden... ich dachte daran ihn zu verbrennen... das schien mir aber unausführbar. Ich war gezwungen... Ich mußte... Wie wünschte ich, daß man mir diese Details ersparte ... Ich kann Ihnen gar nicht den schrecklichen Zustand schildern, in welchem ich mich in diesem Augenblicke befand... ich war außer mir, in entsetzlicher Verwirrung... ich weiß nicht mehr, wie diese Zerstückelung vor sich ging. In der Anklageakte hat man bemerkt, daß sie nach allen Regeln der Kunst gemacht sei. Das begreife ich nicht; die Art wie ich da zuschnitt, konnte nichts mit den Regeln der Kunst gemein haben.
»Endlich habe ich die innern Theile in den Abtritt geworfen. Die Stücke des Körpers wurden in einen Koffer gethan, dann in diesen Sack, in welchem ich sie in den Teich trug. Ich wusch dann den Fußboden, der von Blut schwamm, trotz der Vorsicht, die ich gebraucht, eine Schüssel unterzusetzen, wo ich schnitt. Es war Mittag, um 1 Uhr hatte ich diese furchtbare Operation beendet. Ich blieb in meiner Stube, ich erwartete meine Magd. Der Ankläger hat sich getäuscht, wenn er behauptet, daß ich ruhig da gesessen hätte. Ich mußte ja im Stillen an meiner Pein würgen. Meine Magd sollte nichts von Allem wissen. Ich setzte mich an den Tisch, aber ich aß nicht... Meine Lage war nicht zu ertragen. Ich ging hinaus, ich ging im Garten spazieren; aber ich konnte meine schwarzen Gedanken nicht zerstreuen ... Dieser Leichnam so nahe bei mir ... diese Frau... Alles drängte sich vor meine Augen auf die fürchterlichste Weise zusammen, auf die schrecklichste, entsetzlichste.
»Es war an diesem Abende, wo ich sie in den Teich trug, ohne eine Vorsorge, daß sie nicht wieder oben auf dem Wasser zum Vorschein käme.«
Trotz dieser anscheinend abgebrochenen, verwirrten Reden wird bemerkt, daß der Angeklagte die unerschütterlichste Kaltblütigkeit gezeigt habe. Er sprach in den besten Phrasen und Worten und mit einer merkwürdigen Selbstbeherrschung. Doch hatte ihn die Darstellung angegriffen und er sank nach dem Reden auf die Bank, wo er seinen Kopf mit beiden Händen stützte. So verharrte er auch, in anscheinender Gleichgültigkeit, als die ärztlichen Gutachten über die Anzeichen einer durch Strangulation erfolgten Erstickung mitgetheilt und bemerkt worden, daß von 5 Merkmalen 3 hier sich gezeigt hätten.
Auf die Frage des General-Advocaten, wie er den Hals seines Opfers angefaßt, und daß er durch Zeichen sichtlich mache, wie er dabei verfahren, sagte er:
»Ich legte eine meiner Hände, die linke, hinten in den Nacken, die rechte von vorn; dann drückte ich beide Hände zusammen. Als sie ein Zeichen des Schmerzes machte, ließ ich aber beide Hände wieder los.«
Es hätte aber hingereicht, wenn Sie nur eine Hand losgelassen, sie würde alsdann nicht auf die Erde gefallen sein.
»Ich glaubte gar nicht, daß sie fallen würde.«
Der Präsident bemerkte, daß, wenn es sich nur um einen Scherz, eine alberne Neckerei gehandelt, eine Hand hingereicht hätte, um zu versuchen, ob der Druck schmerze. Er stellte darauf an den Arzt die Frage: ob ein einfacher Druck, wie der vom Angeklagten geschilderte, hinreiche, um eine Erstickung hervorzubringen. Die Antwort lautete, daß es zwar nicht gewöhnlich, aber doch möglich sei. Der Tod erfolge zwar in der Regel nicht auf der Stelle durch Entziehung der Luft mittelst der Strangulation, doch könne er beschleunigt werden durch die Einwirkung des Schreckens. Der Präsident aber meinte, in diesem Falle könne von einem Schreck nicht die Rede sein, da die Besson nur an einen Scherz gedacht, worauf ein Geschworner bemerkte, daß ja die Rede davon gewesen, daß Beide mit einander sterben wollen. Der Arzt bestätigte dies in soweit, als diese Wirkung schon durch den Schmerz und in dem Augenblick eingetreten sei, wo das Mädchen gefühlt, daß es sich nicht mehr um einen Scherz handle.
Hinsichts der Bestehlung der Casse in der Kirche, die gegen das Hauptverbrechen sehr in den Hintergrund tritt, und deren Details in dem uns vorliegenden Berichte übergangen sind, erfährt man nur nach der Aussage des Maire, daß dieser, als er davon Nachricht erhalten, es für klüger erachtet, darüber zu schweigen, weil man ihm die Versicherung gegeben, daß in diesem Falle das Geld alsbald werde zurück erstattet werden, was auch 14 Tage nach der Entwendung wirklich geschehen.
Der öffentliche Ankläger enthielt sich in seiner Schlußrede aller declamatorischen und herausfordernden Floskeln, die so nahe zur Hand lagen. »Die Gesellschaft fordert vom Angeschuldigten Rechenschaft über den Tod und die Zerstückelung eines Weibes, das, ein Opfer unerklärlicher Begebenheiten, gefallen ist, hierüber ist vom Angeschuldigten Rechenschaft zu geben.
»Ohne Zweifel, auch wenn man sich nur an seine eigenen Bekenntnisse hält, darf die öffentliche Gerechtigkeit eine strenge Genugthuung fordern. Denn er gesteht, daß er freiwillig an der Person der Fanny Besson Gewaltthätigkeiten verübt hat, welche ihren Tod bewirkt, wiewol er angibt, nicht die Absicht sie zu tödten gehabt zu haben.
»Demnächst, meine Herren, wenn man sich nur und allein an die Zugeständnisse Delacollonge's halten wollte, wäre er schon solcher gewaltthätigen und freiwillig verübten Handlungen schuldig, welche den Tod bewirkt, ohne daß er die Absicht gehabt ihn zu geben; er wäre also schon danach den Strafen verfallen, welche das Gesetz über die Urheber dieser Verbrechen verhängt(?). Aber ich frage mich demnächst, ob der Tod der Fanny Besson ein natürlicher oder ein gewaltsamer gewesen? – Natürlicher! so wäre vom Angeschuldigten dies zu beweisen, denn die ihn anschuldigende That ist da. Aber er hat sich selbst diesen Beweis geraubt, indem er den Körper zerstückelt und die Justiz in die Unmöglichkeit versetzt hat, die wahrhafte Todesart zu ermitteln. Beweist er daher, daß der Tod ein natürlicher gewesen? Er wagt selbst es nicht einmal zu versichern, und die Aerzte, die über die Hypothesen urtheilen, welche er ihnen vorsetzte, sind nicht im Stande zu sagen, ob in diesem Falle der Tod durch Erstickung oder durch einen Schlagfluß erfolgt sei.«
Unabhängig von den materiellen Beweisen, hob der Ankläger alle die moralischen Gründe hervor, welche die Vorstellung eines natürlichen Todes zurückweisen, und zog den Schluß: »es liegt also ein gewaltsamer Tod vor, ein Tod bewirkt durch Strangulation, ein aus freiem Willen bewirkter Tod.«
Er suchte und fand darauf alle Anzeichen, daß das Verbrechen mit Vorbedacht verübt sei, und daß dieser Vorbedacht sehr weit zurückdatire, mindestens bis zum Augenblicke, wo der Maire dem Angeschuldigten jene Warnung gab.
»Die Gesellschaft fordert eine schlagende Genugthuung, schloß die Rede, für diese Verletzung eines Gesetzes, das schon die Natur selbst gegeben. Können Sie es ihm verweigern? Nein, Sie werden diesen schwer Schuldigen verurtheilen. Sein Name, an die Seite Mingrat'sSiehe den Fall Mingrat. Neuer Pitaval VIII. gestellt, wird die Liste jener besondern Verbrecher um einen vermehren, deren Genius, der Hölle entstiegen, dem Verbrechen einen neuen Typus geliehen, und die Liste jener verworfenen Priester, welche dann und wann auftauchen, wie bestimmt, um durch den Contrast den Glanz der Tugenden jener frommen Seelenhirten noch zu erhöhen, die mit Begeisterung ihre heilige Mission erfüllen.«
Während dieses Vortrags erschien Delacollonge wie von innern Qualen zerrissen; seine Hände preßten die Stirn so fest, daß, wenn er sie losließ, rothe häßliche Spuren zurückblieben, ein kalter Schweiß perlte auf seinem Gesichte, und sichtlich bezwang er nur mit Mühe die innere Bewegung, die gewaltsam heraus wollte. Dann wieder lehnte er sich ganz mit dem Körper an seinen Advocaten und flüsterte ihm etwas ins Ohr, um gleich darauf abermals in einen Zustand anscheinender Gleichgültigkeit und Erstarrung zu verfallen.
Der Vertheidiger hatte zum besondern Gegenstande seiner Aufgabe, darzuthun, daß der Tod ein natürlicher gewesen, durch einen Schlagfluß in Folge der halb unwillkürlichen, halb scherzhaften Berührung von Seiten Delacollonge's erfolgt. Wäre dies gelungen, fiel der Vorbedacht und der Mord von selbst fort, und es blieb, Hinsichts dieses Verbrechens, nur die unmenschliche Behandlung der Leiche übrig, die aber durch die besondere Lage des Abbé wenigstens zu entschuldigen war. Allein auch der Vertheider hatte so wenig als die Anklage andere Beweismittel, als die eigenen Angaben des Angeschuldigten.
»Ist die Besson durch Strangulation umgebracht? – Gewiß ist, daß sie nicht durch Gift gestorben. Aber ebenso wenig hat sie durch Strangulation ihr Leben verloren, denn – man hat an ihrem Körper nicht die geringste Verletzung, noch Spuren einer geschundenen, verwundeten Haut gefunden. Ist nun der Druck, den Delacollonge's Hand auf Fanny Besson's Hals ausgeübt, die bestimmende Ursache gewesen, oder nur die hinzutretende, zufällige, beim Tode dieser Unglückseligen? – Hier ist ein Mysterium, das schwer zu durchdringen ist. Wenn Präsumtionen zu Gunsten Delacollonge's sprechen, so entspringen sie daraus, daß man an ihrem Halse keine Verletzung gefunden; daß ferner Fanny Besson sich längst in einem kränklichen Zustande befunden; daß sie ein kleines Herz hatte, häufigen und heftigen Schwindeln und beständigen Kopfschmerzen unterworfen war. Es ist durchaus nichts Unmögliches oder Unwahrscheinliches, daß ein Schlagfluß allein bei ihrer körperlichen Beschaffenheit ihren Tod bewirkt hat.«
Der Advocat citirte hier eine Menge berühmter Schriftsteller, welche, gestützt auf eben so zahlreiche Beispiele, von solchen Erstickungen durch Schlagfluß handeln, namentlich bei Personen von der Anlage wie die Besson, und wo durchaus keine äußern Spuren zu finden gewesen. Er citirte andere Beispiele, wo ein einfacher Faustschlag, ein Umdrehen des Kopfes, ein Schlag auf die Ohren, ja eine bloße Ohrfeige den Tod bewirkt haben. »Dies sind Erfahrungssätze der Medicin, sie sind nicht erst und blos für diesen Fall zusammengelesen. Die Wissenschaft der Medicin erfindet nichts, sie macht nicht Romane. Niemand auf der Welt, der strengen Gewissens ist und Alles prüft, was bis jetzt hier vorliegt, wird, die Hand aufs Herz, sagen können, daß er überzeugt sei, Fanny Besson's Tod könne nicht die Folge eines Schlagflusses sein.« Wenn man auch dies zugibt, wird man es doch nicht, wenn er daraus die Schlußfolgerung zieht: daß die einzige vernünftige Vermuthung, bei der ein nicht voraus eingenommener Sinn haften könne, die sei, daß Fanny Besson's Tod die Folge eines Schlagflusses sei.
Wichtiger ist sein Argument: da alle Beweise gegen Delacollonge allein aus seinen Erklärungen hervorgingen, müsse man auch seine Erklärungen nehmen wie sie gegeben sind. Nichts in der Instruction habe sie Lügen gestraft; im Gegentheil hätten alle Ermittelungen ihre Richtigkeit dargethan. Delacollonge habe sich gewissermaßen selbst der Gerechtigkeit überliefert, er habe vom ersten Augenblicke an die Wahrheit gesagt, und sei von Dem, was er ein Mal gesagt, nie abgewichen. Nun dürfe man seine Bekenntnisse nicht theilen, Einiges, was ihm zum Schaden gereiche, für wahr nehmen, Anderes, was ihn vertheidige, für unwahr; um so weniger, als alle Umstände, über welche anderweitige Beweise sich gefunden, als richtig sich bewährt hätten. Wenn er mit Vorausbedacht gehandelt, würde er anders gehandelt haben. Wie leicht wäre es für ihn gewesen, in jenen einsamen Feldern, jenen stillen Nächten, Fanny Besson aus dem Pfarrhause zu locken, sie an die Ufer des Teiches oder sonst wohin zu führen und ihre Leiche verschwinden zu machen! Wenn er mit Vorausbedacht gehandelt, würde er auch zu ihrer vorgeschützten Abreise ostensiblere Anstalten getroffen haben.
Im Civilproceß würde nach den französischen Gesetzen jene Ansicht obgesiegt haben. Wer auf eine Erklärung eines Gegners seine Klage oder Beweise gegen ihn gründet, muß auch die in derselben Erklärung gegen sich enthaltenen Angaben vorbehaltlich des Gegenbeweises gelten lassen. Criminalgerichte, auf welchem Boden auch ruhend, würden indeß schwerlich die Unschuld am Morde daraus haben gelten lassen. Die Geschwornen erklärten, nach einiger Berathung, den Angeklagten für schuldig, in Bezug auf die Mordthat, verneinten aber den Vorausbedacht; Hinsichts des Diebstahls sprachen sie ebenfalls das Schuldig aus, doch mit mildernden Umständen.
Der Gerichtshof verurtheilte Delacollonge zu den Galeeren auf Lebenszeit und zu einstündiger Ausstellung am Pranger.
Der Verurtheilte blieb während der Verkündigung seines Urtheils wie ein vom Blitz Getroffener, er bedeckte sein Gesicht wieder mit dem Taschentuche und saß wie ein schon Todter, bis die Gensdarmen ihn abführten.