Alexis / Hitzig
Der neue Pitaval - Band 9
Alexis / Hitzig

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Dieb als Vatermörder

1822

Der vorangehende, für den Psychologen so merkwürdige Fall bringt uns einen andern ins Gedächtniß, dessen Darstellung und Erörterung Feuerbach seine Meisterfeder gewidmet hat. Das Tatsächliche ist einfach, die Motive, welche die Verbrecherbrust chaotisch durchstürmen, von Feuerbach mit wunderbarer Klarheit zerlegt, geben dem Falle an und für sich Bedeutung; als Seitenstück zu dem Verbrecher Markmann, der sich des Raubmordes bezüchtigte, aus Scham, seine Mordlust einzugestehen, wird der Fall an dieser Stelle für unsere Leser ein vergleichendes Interesse in Anspruch nehmen. Wenn wir dem großen Kriminalisten hier wieder mit Bewunderung folgen, wie er mit seiner psychologischen Sonde den wüsten Schlamm in dem verstockten Innern eines verjährten Bösewichts zerlegt und sondert, daß wir in seiner Brust wie in einem offenen Buche lesen, bedauern wir, daß nicht auch das vorige psychologische Räthsel ihm zur Entzifferung in die Hand gefallen ist.

Auf seinem Bauerngute zu Amendingen in Baiern lebte ein etwa fünfzigjähriger Mann, Xaver Reth, der, obgleich Grundbesitzer und Vater von acht Kindern, kaum einen schlechtern Ruf haben konnte. Nicht allein wild, störrisch, unangenehm, hatte er sich auch schon oft an fremdem Eigenthum vergriffen und bereits mehrere Jahre im Arbeitshause, als Strafe seiner Diebstähle, zugebracht. Er war ein Mensch, zu dem man sich böser Thaten versehen konnte.

Im Jahre 1822 ward ein anderer berüchtigter Dieb wegen verschiedener, zum Theil großer und gefährlicher Diebstähle gefänglich eingezogen, die er bald verübt zu haben eingestand, aber Xaver Reth als Helfershelfer nannte. Auch dieser wurde arretirt; die Indicien sprachen zu deutlich für die Richtigkeit der von Xaver Schreiber (so hieß der erste Dieb, der hier weiter nicht in Betracht kommt) gemachten Aussagen, daß auch Reth schon in seinem summarischen Verhör ein volles Eingeständniß zu machen sich gedrungen fühlte. Dies geschah am 9. April. Er bekannte drei größere und noch verschiedene andere Diebstähle, die meistens durch nächtliches Einsteigen in Gemeinschaft mit Schreiber von ihm begangen seien. Es waren Bettstücke, Schweine und Gänse, die er geraubt. Seine Angaben stimmten mit denen des andern Verhafteten und der Gestohlenen selbst. Auf eine nähere Specification kommt es hier nicht an.

Aber schon am 16. April nahm er beim ersten ordentlichen Verhör seine ganze Aussage zurück; nur drei Gänse räumte er ein, irgendwo aufgegriffen zu haben, wofür indessen nur eine polizeiliche Strafe stattgefunden hätte.

Für den Widerruf wußte er in diesem Verhör kein anderes Motiv anzugeben, als: »er müsse sich damals, als er das gesagt, nicht bei Troste befunden haben; er sei dazumal ganz verwirrt gewesen.«

Von einer geistigen Störung dieses schon mehrmals gestraften Diebes wußte man nichts, er hatte vielmehr sich immer schlau und hartnäckig genug zu vertheidigen und zu leugnen gewußt, bis er durch die Umstände einzugestehen gezwungen war. Am folgenden Tage aber wußte er den Untersuchungsrichter dahin zu bringen, daß er ihm das Protokoll vom 9. April, welches seine Geständnisse enthielt, noch einmal vorlese. Er horchte aufmerksam zu, kaum aber war der Richter am Schluß, so sprang der Gefangene mit einem raschen Satz heran, um das Protokoll ihm fortzureißen. Der Richter zog es zurück, doch war es dem Inquisiten gelungen, das letzte Blatt abzureißen, und ehe der Richter es ihm entwand, hatte Xaver Reth es in den Mund gesteckt und mit den Zähnen seine Unterschrift herausgebissen. Er rief: »Das ist alles nichts!« –

Man hatte die gehörigen Registraturen darüber aufgenommen, die fehlende Unterschrift schien bei der Übereinstimmung aller übrigen Beweise nichts zu releviren, und die Acten waren bereits Ende Mai an das Obergericht zur Abfassung des Erkenntnisses abgeschickt, als sich das ganze Sachverhältniß zu ändern schien, und der Criminalproceß ein neues Fundament bekam.

Am 4. Juni bat Xaver Reth um ein besonderes Verhör. In demselben erklärte er: dabei bleibe es, daß er die Diebstähle nicht begangen, aber er sei ein viel schrecklicherer Verbrecher, und er müsse es bekennen, denn: – er habe seinen Vater ermordet. Vor 17 Jahren war dieser gestorben, man glaubte an einem Schlagflusse, aber er, der Sohn, habe denselben, mit dem er oft schon wegen Erbschaftssachen Verdruß und Feindseligkeiten gehabt, erdrosselt. Reth's Aussage darüber, im ersten Protokolle, lautete im Wesentlichen so:

Um den Theilungszettel zu finden, habe er eines Tages in der Frühe – er glaube, es sei um Winterszeit gewesen – die Papiere seines Vaters durchsucht. Sein Vater habe noch zu Bette gelegen. Als dieser gesehen, wie ihm seine Papiere durchgestört würden, sei er zornig aus dem Bette gesprungen, habe mit der rechten Hand seine Beinkleider genommen, mit der linken ein auf einem Stecken befestigtes Bajonnett ergriffen und sei mit den Worten auf ihn zugegangen: »Wenn du nicht hinausgehst, so steche ich dich über den Haufen!« Durch diese Drohung aufgebracht, habe er nun den Vater bei der Gurgel gefaßt, ihm mit dem Knie auf den Unterleib gestoßen, ihn zu Boden geworfen und dann auf seine Gurgel gekniet. Er habe ihn zwar wieder aufheben wollen; allein die Füße hätten ihn nicht mehr getragen. In der Ueberzeugung, daß er nun doch nicht mehr mit dem Leben davon komme, habe er ihn mit seinem Daumenknochen vollends erdrosselt, sodann den Todten wieder in das Bett gelegt und den gefundenen Theilungszettel zu sich genommen, mit welchem er zum Amt gegangen, um die darin benannten 150 Gulden zu heben, was ihm jedoch verweigert worden sei.

Schon an dem folgenden Tage, nachdem Inquisit dieses Bekenntniß abgelegt hatte, machte er den Versuch, sich um das Leben zu bringen. Mittelst eines von seiner Fußschelle abgesprungenen Stückchen Eisens verwundete er sich dergestalt in den linken Arm, daß er gegen anderthalb Pfund Blut verlor. Der Gerichtsarzt fand bei Untersuchung dieser Wunden das Gemüth des Inquisiten auffallend beängstigt, seinen Blick finster, verwirrt und schüchtern. Dabei äußerte der Gefangene: er sei von Zeit zu Zeit närrisch; er werde lebendig verbrannt; aber er sei ganz unschuldig, weil er Vieles in der Narrheit gesagt habe. Wirklich betrug er sich wie ein Verrückter oder Wahnsinniger. Die ganze folgende Nacht hindurch schrie, lärmte und tobte er so fürchterlich, daß niemand in der Nachbarschaft den Schlaf finden konnte. Zweimal stürzte er sich von der Lagerstätte mit dem Kopf herab auf den Boden; und am Morgen versuchte er, sich in Beisein des Gefangenwärters die Hoden zusammen zu drücken, woran er nur durch Gewalt verhindert werden konnte. Am 8. Juni ließ er um ein Verhör bitten, äußerte aber auf die Frage: Ob er sich noch seiner vorigen Aussage erinnere: Alles, was er da ausgesagt habe, sei unwahr: er habe diese außerordentliche Strafe nicht verdient. Dabei sprang er auf, und wollte sich mit dem Kopf auf den Boden stürzen, woran er jedoch verhindert wurde. In der folgenden Nacht schrie er fortwährend: Teufel, weich! Teufel, weich, im Namen Jesus! Noch gewaltiger tobte er in der Nacht vom 9. Juni. Man glaubte den Gerichtsarzt rufen zu müssen. Dieser wollte ihm Arzneien geben; allein er verweigerte, sie zu nehmen, indem er äußerte: man wolle ihm Gift geben. Untersagte ihm der Gerichtsdiener sein nächtliches Toben, so antwortete er: Ich kann eben nicht anders; denn, wenn ich ruhig bin, so holt mich der Teufel, weil ich meinen Vater erdrosselt habe, und ihm auf das Gemäch gesprungen bin. Als einmal des Gerichtsdieners Tochter das Gefängniß reinigen wollte, sagte er zu ihr: Johanna! ich kann nicht mehr ruhen und rasten, denn mein Vater ruft uns, und sein Tod muß versöhnt sein. Ich wünsche mir nichts mehr, als daß man mir den Kopf herunterschlage. –

Auch gegen einen Wächter und gegen zwei Gehülfen des Gerichtsdieners machte er ähnliche Aeußerungen. Ihnen Allen erzählte er umständlich sein Verbrechen, wie er seinen Vater ermordet, und ganz in Übereinstimmung mit dem gerichtlich abgelegten Geständnisse. Nur fiel es auf, daß, während ihn Nachts jene furchtbare Unruhe peinigte, er bei Tage sich ganz ruhig verhielt. Er aß, trank und schlief dann wie ein ganz gesunder Mensch.

Die Acten waren inzwischen vom Obergericht an den Untersuchungsrichter zurückgegangen, um den Grund der Selbstanklage näher zu erforschen und, nach Umständen, gegen Reth die Untersuchung wegen Vatermordes einzuleiten.

Schon die Art der Selbstanklage, erpreßt durch die Qualen des Gewissens in einem wüsten Verbrecher, die genauen Details, die er angab, in welcher Art er mit dem Vater in Streit gerathen war, wie er ihn erdrosselt hatte, und der Umstand, daß er dieselbe Erzählung gegen Mehre, zu verschiedenen Zeiten und ganz übereinstimmend gethan hatte, sprach für ihre Richtigkeit. Wer klagt sich selbst unschuldig eines Todesverbrechens an, und eines moralisch so scheußlichen, so in der Volksmeinung verabscheuten; denn vor dem, der auch an den eigenen Vater die Hand legt, schaudert selbst der gemeine Verbrecher zurück! Der Fälle sind allerdings viele vorgekommen, wo Jemand in Trübsinn und Melancholie eine Blutschuld auf sich genommen hat, um ein verhaßtes Leben zu enden, auch um, in krankhaftem Seelenzustande, sich in eine Bedeutung hinein zu lügen, von der sein Alltagsleben so fern stand. Aber von alle dem war hier nichts. Ein lüderlicher Hauswirth, ein gemeiner Gänse- und Schweinedieb pflegt von solchen romantischen Gelüsten selten heimgesucht zu werden. Und welches andere Motiv war denkbar?

Aber die Selbstanklage ward auch noch durch mehre Umstände und Anzeichen unterstützt, ja aufs Höchste wahrscheinlich gemacht, wiewol die eigentliche Ermittelung des corpus delicti wegen der Länge der inzwischen verstrichenen Zeit nicht mehr stattfinden konnte.

Der Vater des Selbstanklägers, Vitus Reth, der Besitzer des Bauerhofes, war nach dem Kirchenbuche schon am 10. December 1804 gestorben; seine Leiche moderte daher im Jahre 1822 bereits durch 18 Jahre im Grabe. Wenn es auch noch möglich gewesen wäre, auf dem Kirchhofe die Gebeine herauszufinden und deren Identität mit dem Körper des weiland Vitus Reth festzustellen, so hätte man doch nichts mehr als Knochen gefunden, und wie sollte an diesen die stattgefundene Erdrosselung aufgefunden worden?

Daß Vitus eines plötzlichen Todes gestorben, wurde schon aus dem Sterberegister des Pfarramtes ersichtlich. Nur bei einem plötzlichen Tode unterbleibt die Darreichung der Sterbesacramente, und jede solche Darreichung wird in den Registern vermerkt. Da sie in denen des Ortes fehlte, so war mit Sicherheit zu schließen, daß der Vater unerwartet und rasch gestorben sei. Dafür sprachen aber auch noch mehre vernommene Zeugen.

Der alte Reth war am Abende vor seinem Tode, am 9. December, bis spät in die Nacht im Wirthshause gewesen; froh und guter Dinge hatte er getrunken und geplaudert und beim Fortgehen noch einen Krug Bier mit nach Hause genommen. Es lebten noch Viele, die ihn an jenem Abende in der Schenke und dann mit dem Bierkruge fortgehen sahen.

Er war aber auch gesund nach Hause gekommen und mußte noch die Nacht durch in guter Gesundheit in seinem Bette zugebracht haben; denn Morgens um 7 Uhr trat die Tagelöhnerfrau Veronica Schuh in seine Schlafkammer, wo er frisch und gesund war. Er gab in ihrem Beisein seinem jüngsten Sohne Georg, der inzwischen gestorben war, einen Sack und, sie glaubte sich auch zu erinnern, ein Sechskreuzerstück, um damit in die Mühle zu gehen. Veronica ging darauf in ihre Wohnung zurück, und sie konnte erst ganz kurze Zeit hier gewesen sein, höchstens eine Stunde, als sich im Dorfe der Lärm verbreitete: der alte Veit sei gestorben.

Alle waren von der Nachricht überrascht und Viele eilten in Reth's Wohnung, um sich von der Wahrheit zu überzeugen. Dies nach der Aussage der Tagelöhnerin, welche aber durch mehre ältere Dorfbewohner, soweit sie sich der Umstände aus der alten Zeit entsinnen konnten, bestärkt wurde.

Noch lebte ein alter pensionirter Obervoigt Frickinger, der sich des Vorfalles wohl entsann. Ein bereits verstorbener Gerichtsdiener Mauermann hatte ihm davon Anzeige gemacht, und er hatte darauf den inzwischen auch verstorbenen Wundarzt Stegmüller in das Todtenhaus geschickt, um die Leiche zu besichtigen. Stegmüller hatte ihm aber die Nachricht gebracht: der alte Veit Reth sei an einem Schlagflusse gestorben, worauf er denn die Sache ruhen lassen.

Auch diese Angabe des alten Obervoigts wurde durch die Aussage noch anderer Zeugen bestätigt und dadurch noch mehr Verdächtiges Licht in die Sache gebracht. Diese hatten den Chirurg in das Todtenhaus gehen sehen, er war in die Kammer getreten, wo die Leiche lag – aber die Kammer war dunkel, und der Chirurg war herausgekommen und hatte den Versammelten erklärt: »Der alte Veit sei eben an einem Schläglein verstorben.«

Noch mehr! Bald nach Vitus Tode verbreitete sich allgemein im Dorfe das Gerede, sein eigener Sohn Xaver habe ihn umgebracht. Drei unverdächtige Zeugen und der Obervoigt Frickinger bekundeten die Existenz dieser Sage. Das Zeugniß dieses Letztern mußte von besonderm Gewicht sein, da er ja sich selbst dadurch gewissermaßen einer vernachlässigten Pflichterfüllung anklagte. Der jüngere Sohn des Verstorbenen, der jetzt auch verstorbene Georg Reth, hatte öfters zu seinem Vormund gesagt: »Vormund, Niemand anders als mein Bruder Xaver hat meinen Vater umgebracht; aber sagen darf ich es nicht.« – Der noch lebende Vormund Lachenmayer bekundete es.

Also: der alte Reth, völlig gesund bis da, war plötzlich gestorben, ohne daß man von einer Aufregung gewußt, oder einer anderen Ursache, welche einen Schlagfluß verursachen könnte; die Besichtigung der Leiche hatte in einer dunklen Kammer stattgefunden, dem Anscheine nach sehr oberflächlich und der Chirurg hatte sich und das Gericht mit dem Ausspruch: er ist an einem Schläglein verschieden, abgefunden und zufrieden gestellt. Bald darauf war das Gerücht umgegangen, sein eigener Sohn habe ihn erschlagen, und der eigene Bruder desselben hatte es unverhohlen, ja mit Bestimmtheit geäußert und geheimnißvoll hinzugesetzt: er dürfe es nur nicht sagen. Und jetzt, nach 18 Jahren, legte dieser angeschuldigte Sohn freiwillig das vollständigste Bekenntniß ab, welches in allen Umständen mit diesen Ermittelungen übereinstimmte. Was fehlte zum vollen moralischen Ueberzeugungsbeweis, wenn man von der unmöglich gewordenen Herstellung des corpus delicti abging? – So wenig ein Motiv, als daß Xaver kein Mann gewesen wäre, zu dem man sich einer solchen That versehen können.

Im Gegentheil, er war schon damals ein Mensch, zu dem sich die Leute alles Bösen versahen. Derselbe alte Obervoigt Frickinger bekundete, daß er von jeher ein unruhiger boshafter Mensch gewesen. Er habe, wie es Allen dazumal bekannt, seinen Vater immer zu zwingen gesucht, ihm sein Gut abzutreten, weil er seine jetzige Frau, die auch nicht im besten Rufe scheint gestanden zu haben, heirathen wollte. Der Vater aber verweigerte die Einwilligung, weil er das Gut lieber seinem zweiten Sohne zuwenden wollte. Das war denn die Ursache ihrer immerwährenden Zwistigkeiten. Der alte Reth war mehrmals zum Obervoigt Frickinger gekommen und hatte sich über seinen Sohn beschwert, dem es indeß noch immer gelungen war, durch amtliches Zureden Vater und Sohn wenigstens auf kurze Zeit zu versöhnen.

Hiermit war also nicht allein der Mann gefunden, zu dem man sich der That versehen konnte, sondern auch das Motiv. Was Frickinger ausgesagt, dessen, nämlich der fortgehenden Feindseligkeiten zwischen Vater und Sohn um die Frau, das Gut, entsannen sich nun auch andere Leute.

Aber nachdem man mit Mühe diesen Beweis über eine That aus der Vergangenheit sich construirt hatte, stürzte das ganze Gebäude plötzlich zusammen, weil der Angeschuldigte das Fundament, seine Selbstanklage, zurückzog.

Im ersten ordentlichen Verhör in dieser zweiten Untersuchung trat Xaver Reth gerade so auf, wie beim ersten ordentlichen Verhör in der vorangängigen Untersuchung um Diebstahl. Er leugnete und widerrief Alles, was er bis da gesagt, unter keinen bessern Gründen als beim ersten Widerruf: er sei damals geisteszerrüttet gewesen und habe gegen sich selbst gelogen. Der reumüthige, zerknirschte Vatermörder, den die Angst des Gewissens zum tobenden Wahnsinn, ja bis zum Versuche des Selbstmordes getrieben hatte, war plötzlich ausgetauscht. Vor den Richtern stand, vor den Gefangenwächtern lag in seinem Kerker wieder ein verstockter, gemeiner, tückischer Bösewicht, der auf alle Fragen abgebrochene, höhnische, widerbellerische Antworten hervorstieß.

Auf die natürlichste Frage: Wie er dazu gekommen, sich selbst anzuklagen, antwortete er eben so unnatürlich abspringend: »Alles ist nicht wahr, und wenn hundert Zeugen herkommen, so können sie es nicht wahr machen. Ich habe wol öfters mit meinem Vater Zorn gehabt, aber niemals bin ich ihm wegen seines Lebens neidig gewesen. Vielmehr habe ich ihn durch den Zorn, den ich ihm verursacht, um das Leben gebracht.« Diesen letztern Ausdruck milderte er jedoch sogleich durch die Phrase: »Ich habe blos den Zorn meines Vaters getödtet, nicht sein Leben.« – Er räumte auch jetzt noch ein, daß er die Uebergabe des väterlichen Gutes vom Vater gefordert, und dieser nicht eingewilligt habe; Tätlichkeiten habe er aber an ihm nicht verübt.

Man mochte ihm, so oft man wollte, vorstellen: wie sein erstes Bekenntniß so umständlich gewesen, daß man an der Wahrheit desselben nicht wohl zweifeln können; wie es nicht zu begreifen, warum er gegen sich selbst eine unwahre Aussage gemacht haben sollte; wie er ja auch außergerichtlich gegen mehre Personen, aus eigenem Gewissensantrieb den Mord so umständlich und übereinstimmend erzählt habe – er hatte darauf keine andere Antwort, als, darum sei es doch nicht wahr.

»Ich kann nichts wahr machen, und kein Mensch kann mir es wahr machen. – Kein Mensch kann mir es beweisen, und eine solche Mordthat muß auch ihren Beweis haben. – Ich habe früher die Wahrheit nicht gesagt, weil ich eben ein Narr gewesen bin. – Meiner früheren Aussagen kann ich mich nicht mehr erinnern, und wenn ich was gesagt habe, so habe ich's nicht bei gesundem Verstande gesagt, sondern in der Narrheit.«

Auch beim nächstfolgenden Verhör bekam man nicht mehr heraus. Er blieb dabei: er sei damals nicht bei Sinnen gewesen; sonst hätte er nicht so fabelhaft geredet, und sich einer Mordthat bezüchtigt, die ihm Niemand wahr machen könne.

Von dieser Angabe wich er nicht mehr ab, und blieb bis zum Schluß der Untersuchung in der Rolle eines Unschuldigen, der, von Kummer und Verfolgung geplagt, um seine Sinne gekommen, und sich da in solcher Verwirrung fälschlich als ein Verbrecher angegeben habe.

Das Fundament und Motiv seines doppelten Widerrufes also: Verrücktheit. Aber er hatte den Beweis für dieselbe nicht zu führen verstanden. Der ordentliche Gerichtsarzt sowol als ein hinzugezogener aus der Nachbarschaft gaben ihr Gutachten dahin: daß sein ganzes Benehmen, sein Toben und Lärmen, auch seine Selbstmordsversuche nur Verstellung zur Quelle gehabt hätten; seine Narrheit sei eine fingirte, seine Gemüthsruhe zwar durch ein böses Gewissen gestört, er aber um deswillen nichts weniger und zu keiner Zeit wirklich seines Verstandes und seiner Zurechnungsfähigkeit beraubt gewesen. Die Richter fanden auch keinen Grund an diesem Gutachten zu zweifeln, und etwa das einer höheren Medicinalbehörde zu erfordern. Auch durch das ganze nachfolgende Benehmen des Verbrechers bestätigte sich die Richtigkeit des Gutachtens. Kalt und besonnen, auf alle Fragen und Vorstellungen gefaßt, in seinen, auf nicht einen Plan genau berechneten Antworten immer sich selbst getreu, leugnete er beharrlich, was er früher gestanden hatte. Wäre er früher wirklich gestört gewesen, so wäre eine solche nachfolgende Klarheit der Gedankenfolge und ihrer Operation auf ein Ziel hin, ohne Beispiel und jedenfalls ein psychologisches Räthsel.

Der Sturm eines Wahnsinnes, womit Reue und Gewissensangst eine mit der alten Schuld eines Vatermordes schwer belastete Seele ergreifen – und als einen solchen stellte sich doch des Inquisition angebliche Geisteszerrüttung dar – ein Sturm dieser Art ist nicht so leicht vorübergehend, streift nicht so sanft blos über die Oberfläche hin, daß er, ohne nur eine Spur zurückzulassen, plötzlich wieder stillstehen sollte. Der Mensch, den noch gestern die den Vatermord rächenden Furien zum Wahnsinn trieben, wird nicht heute, vollkommen verständig, zwar den Wahnsinn als wahr einräumen, aber auf eben diesen Wahnsinn sich berufen, um es glaubwürdig zu machen, daß nur dasjenige an jenem Wahnsinn unwahr und erlogen sei, was er – von einem Vatermorde verrathen habe.

War Xaver Reth der Mörder seines Vaters?

Durch das erste Erkenntniß wurde er ab instantia, durch das zweite von der Strafe freigesprochen; wegen der überwiesenen Diebstähle wurde er zu sechs Jahre und sechs Monate Arbeitshaus verurtheilt.

Das Räthsel seiner Geständnisse und Widersprüche scheint sich sehr einfach zu lösen.

Bestürzt durch die Verhaftung, die er nicht erwartet, geängstigt durch den Gedanken, daß sein Diebesgenoß gestanden, gesteht auch er in der ersten Ueberraschung, im Verhör vom 9. April.

In der Stille des Gefängnisses bedenkt er, daß er einen dummen Streich begangen. Als fünfmal bereits gestrafter Dieb hat er eine sehr harte Strafe zu erwarten. Er mußte widerrufen, alles wieder leugnen. Aber womit den Widerruf wahrscheinlich machen? Ihm fehlten alle wahrscheinliche und mögliche Gründe. Längst in der Criminalpraxis gewitzigt, wußte er, daß ein solcher durch nichts unterstützter Widerruf aller Wirksamkeit ermangele. Sollte er plötzlich Verstandeszerrüttung affectiren? Niemand hätte ihm so ohne Weiteres geglaubt. Wer Schweine, Betten und Gänse stiehlt, hat nicht die Vermuthung für sich, daß er an einer Seelenkrankheit leide. Er suchte ein anderes Mittel. Er bot List und offene Kühnheit auf, das Document, damit die einzige, Unterschrift, zu vernichten, welche nach seiner Meinung sein Geständniß constatire und ihm verderblich wäre. Daher wagte er den in der Verbrecherpraxis kaum erhörten Gewaltstreich am 17 April. Aber, obgleich er seine verhängnißvolle Unterschrift verschluckt hatte, sagte ihm doch sein Verstand, daß es damit nicht abgethan sei. Das übrige Protokoll war erhalten, sein Bekenntniß stand noch Schwarz auf Weiß, und was daran fehlte, seine Unterschrift, ward durch die Aussage der beeideten Gerichtsperson wiederhergestellt.

Er mußte sich sagen, daß sein Verstand gefehlt hatte. Welche Aufmunterung für ihn, denselben ganz aufzugeben. Er mußte sich auch gestehen, daß seitdem seine Sache noch schlimmer geworden. Durch den verfehlten Versuch, das erste Verhörsprotokoll zu vernichten, hatte er mit der That die Unerheblichkeit seines Widerrufes eingeräumt und seinem Geständniß nur mehr Gewicht gegeben.

Also mußte er jetzt verrückt werden, um es glaublich zu machen, daß er sein Geständniß im Zustande einer Geistesabwesenheit abgelegt habe. Aber mit bloßen Reden war es nicht gethan. Er mußte die Rolle eines Wahnsinnigen übernehmen und so lange fortspielen und in solcher Wahrheit, daß der Gedanke an ein bloßes Spiel so fern als möglich bleibe.

Es galt numnehr, nicht blos zu faseln, sondern auch faselnd zu handeln, nicht blos überhaupt, sondern auch gegen sich selbst zu toben. Mit der Vorspiegelung des Wahnsinnes aber war es auch noch nicht allein gethan. Er hatte in angeblicher Geisteszerrüttung vorgeblich ein unwahres Bekenntniß abgelegt: in der, wenn auch noch so geschickt durchgeführten Rolle der Narrheit für sich allein, würde er daher wohl dem Richter einen Verrückten, aber noch keinen in der Verrücktheit gegen sich selbst lügenden Narren gezeigt haben. Dem in sich zusammenhängenden, mit allen Zeichen des überlegenden Verstandes ausgestatteten, glaubwürdigen Bekenntniß der Diebstähle mußte also, unter dem heimlichen Vorbehalt künftigen Widerufes, ein anderes, eben so umständliches, verständiges, beim ersten Anblicke vollkommen glaubwürdiges Bekenntniß als Seitenstück gegenüber gestellt werden, welches, wenn es theils durch den offen hervorbrechenden Wahnsinn des Bekennenden, theils durch die Unerweislichkeit mehrer in ihm enthaltenen Umstände seinen Glauben verloren hatte, auch den Glauben an die Wahrheit des ersten Bekenntnisses, wenigstens nach der Rechnung des Inquisiten, erschüttern mußte. Das Bekenntniß, welches der Täuschung als Mittel dienen sollte, durfte übrigens keineswegs auf ein gewöhnliches Verbrechen gerichtet sein, bei welchem er nicht viel mehr, als bei dem ersten auf das Spiel setzte; er mußte dieses um Vieles überbieten. Je schwerer das Verbrechen, je gräßlicher die That, deren er sich freiwillig anklagte, desto größer der Schein, desto sicherer der Gewinn. Und so gab er denn nun dem Richter, der seiner Behauptung: er habe in einer Verstandeszerrüttung sich einiger Diebstähle fälschlich beschuldigt, – keinen Glauben beimessen wollte, etwas noch beim weitem Stärkeres, das Bekenntniß eines – nicht erweislichen, und, wie er bald darzuthun hoffte, blos im Wahnsinn eingebildeten – Vatermordes zum Besten.

Diese hier ausgesprochene Ansicht ist von den Richtern erster und zweiter Instanz festgehalten worden, und Feuerbach gibt ihr seine Beistimmung. Er hält es nicht blos für möglich, daß Xaver Reth sich des Vatermordes, angeklagt habe, um dadurch seine früheren Bekenntnisse der Glaubwürdigkeit zu berauben, sondern er nimmt es für gewiß an; während der zweite erkennende Richter noch eine Möglichkeit gelten ließ: daß er diese Selbstanklage aus Reue, und um durch das Erleiden der verdienten Strafe sein Gewissen zu beruhigen, vorgebracht habe. Dafür scheint nichts zu sprechen, und dagegen spricht der rohe, gemeine und doch so schlau berechnende Charakter dieses Verbrechers im Vorangegangenen, zumal aber in der Frechheit, welche er später an den Tag legte.

Mit der Annahme: daß Xaver Reth sich des Vatermordes in der Absicht angeschuldigt, um seine Geisteszerrüttung wahrscheinlich zu machen und damit sein früheres Geständniß der Diebstähle zu schwächen oder den Widerruf derselben zu kräftigen, ist aber die Möglichkeit noch nicht ausgeschlossen, daß er nicht doch den Vatermord wirklich begangen habe. Die Möglichkeit ist durch die Untersuchung nicht abgewiesen, daß Xaver sich der Schuld des Vatermordes bewußt gewesen, ihn aber nicht aus Schuldbewußtsein oder Reue, sondern nur, um auf die angedeutete Art den Richter zu hintergehen, also nur zum Schein eingestanden habe.

Feuerbach hält diese Möglichkeit sogar für eine Wahrscheinlichkeit, weil nur durch sie Vieles erklärt werde, was ohne sie ein Räthsel bleibe, und liefert nun eine jener psychologischen Ausführungen, in denen er als unerreichtes Muster dasteht.

»Nimmt man an, der Vatermord, dessen Reth sich anklagte, sei nichts weiter, als eine reine Erfindung, so müsse es doch, wahrlich, als ein wunderseltsames Spiel des Zufalles betrachtet werden, daß mit diesem Bekenntnisse so viele erhebliche, durch die Untersuchung an das Licht gezogene, unter sich übereinstimmende Thatumstände zusammentreffen, welche die sehr starke Vermuthung begründen, daß eben dasjenige, was Inquisit erfunden, gerade zu der Zeit, in welche er seine Erfindung versetzt, sich wirklich ereignet habe. Der Sohn lebte mit seinem Vater im Streit und großer Feindschaft; er trug Haß gegen ihn und hatte Vortheil von seinem Tod. Und dieser Vater stirbt eines plötzlichen Todes, nachdem er nicht blos Abends, sondern noch eine Stunde zuvor, vollkommen gesund und heiter gewesen ist. Sein Sohn Xaver war damals zu Haus bei seinem Vater, war allein bei ihm, war daher im Stande, den Mord zu vollbringen, und zwar ohne Zeugen scheuen zu müssen. Der plötzliche Tod des Vaters erregte bei der Ortsobrigkeit bedenkliche Muthmaßungen, und der Dorfchirurg wurde daher zur Besichtigung abgeschickt. Diese Besichtigung, ohne Leichenöffnung, zumal sie nur obenhin und in einer düsteren Kammer vorgenommen wurde, konnte nun freilich, wenn der Tod durch Erdrosseln bewirkt war, dem Besichtiger wol kein anderes Ergebniß liefern, als eben dasjenige, welches er in seinem Ausspruche:

Veit sei am Schlagflusse gestorben, – wiedergegeben hat. Allein dieser Ausspruch, weit entfernt, den Verdacht zu schwächen, dient vielmehr, unter den obigen Umständen, ihn zu bestärken, weil das Erdrosseln seltener durch Erstickung, weit häufiger durch einen herbeigeführten Schlagfluß den Tod bewirkt. Die Erklärung des Wundarztes beruhigte denn auch den Argwohn keinesweges; vielmehr entstand erst nachher das ganz allgemeine Gerücht: der Sohn Xaver habe seinen Vater ermordet; eine Ueberzeugung, zu welcher sich dessen eigener Bruder Georg gegen seinen Vormund mehrmals bekannte. Wunderbares Zusammentreffen! Als Reth 1822 in seinem Gehirn die Lüge eines von ihm vor 18 Jahren verübten Vatermordes zusammenwebte, hatte auch bereits vor 18 Jahren der launige Zufall ein Gewebe von Thatsachen zusammengesponnen, welches fast aufs Haar mit jenem 18 Jahre jüngeren Hirngespinnste zusammenstimmt!

Ein Beweis dafür: daß Veit Reth ermordet, von seinem Sohne Xaver erdrosselt worden sei, war freilich nach so langer Zeit ein für allemal nicht mehr möglich. Hatte Xaver wirklich seinen Vater erdrosselt, wer konnte noch Zeugniß geben wider ihn für eine That, die ohne Zeugen geschehen war? Viele Menschen, unter diesen auch zwei seiner Brüder, waren bereits gestorben. Selbst des Todten Leichnam konnte nicht mehr zeugen, weder für den Mord, noch gegen den Mörder: jener war zerfallen in Staub, dessen Gebeine waren zerstreut. –

Daß also von dieser Seite keine Gefahr ihm drohe, daß selbst sein Bekenntnis, zumal wenn er es nachher widerrufe, unter solchen Umständen ihm keinen Nachtheil bringen werde, das konnte nicht nur der in diesem Theil der Rechtswissenschaft wohlbewanderte Inquisit sehr gut wissen, sondern er wußte es in der That. In seinen die Selbstanklage des Vatermordes wieder zurücknehmenden Verhören wehrt er den auf ihn eindringenden, ihn auf sein Betkenntniß zurückführenden Richter beständig, mit den unter verschiedener Form wiederholten Aeußerungen von sich ab: »Niemand kann es mir wahr machen; – ein so schweres Verbrechen, wie ein Vatermord, verlangt Beweis.« Diese immer wiederkehrenden Redensarten, welche dem ungebildeten, seiner Gedanken und des Ausdruckes nicht vollkommen mächtigen Inquisiten entschlüpften, verrathen ganz deutlich, daß er, als er den schon eingestandenen Vatermord wieder zu leugnen hatte, weit weniger in seine Unschuld, als in die Unerweislichkeit seiner Schuld Vertrauen setzte.

War es einmal, wie oben gezeigt worden, sein Plan, den Richter durch ein in verstelltem Wahnsinn abgelegtes Scheingeständniß zu hintergehen, so konnte es ihm gleichviel sein, ein Verbrechen erst aus dem Nichts erfinden, oder das Geständniß eines in seinem Herzen bewahrten Verbrechens abzulegen, das sich vor Gericht in ein Nichts auflösen mußte. Dort hätte es seinem Kopf die Arbeit einer mühsamen Erfindung gekostet; hier, wo in seinem Gewissen Alles schon vorräthig lag, war wenigstens diese Mühe erspart. Jener Fall setzte ihn in die Gefahr, eine plumpe, übel zusammenhängende Lüge zu erfinden, deren Handgreiflichkeit seinen geheimen Plan leicht verrathen konnte; in dem letzten Falle brauchte er nur die Wahrheit zu erzählen, die sich bei weitem wahrscheinlicher geben ließ, als die allerwahrscheinlichste Erfindung. Dieser zweifache Betrug, mittelst einer Täuschung, zu welcher ihm die Wahrheit selbst als Werkzeug dienen sollte, erhöhte zugleich sein Selbstgefühl und verdoppelte seinen Triumph über den Richter, der bereits über ihn zu triumphiren wähnte. Was konnte ergötzlicher für ihn sein, als den Vatermord, den er wirklich begangen, mit allen Umständen einzugestehen und hierdurch, indem er seinen Richter mit der gräßlichsten Wahrheit foppte, auch noch obendrein das über einige verhältnißmäßig unbedeutende Diebstähle aufrechtstehende Bekenntniß, wobei jener ihn gepackt zu haben meinte, auf einmal spielend umzuwerfen? Daß man seiner Selbstanklage nachforschen, daß dieser oder jener Umstand sich bestätigen werde, dieses mußte er wohl erwarten. Aber alsdann um desto besser! Denn war das in sich zusammenhängende, mit verschiedenen erwiesenen (obgleich nicht überweisenden) Umständen zusammenstimmende Bekenntniß eines Vatermordes, durch die mit überzeugender Wahrheit durchgeführte Rolle des Wahnsinnes als unglaubwürdig und unwahr dargestellt, um wie viel kräftiger, bündiger mußte auf gleiche Unwahrheit und Unglaubwürdigkeit eines bloßen Bekenntnisses über einige Diebstähle zurückgeschlossen werden. Es kam überdies nicht blos darauf an, dem Richter eine neue Erzählung zum Besten zu geben, sondern auch in unmittelbarer Beziehung auf diese, ihm das tauschende Schauspiel eines Wahnsinnigen aufzuführen. War er nun sich des Vatermordes bewußt: welche Rolle durfte er, mit dem allergeringsten Aufwand von Mühe, wahrer, treuer zu spielen hoffen, als die – eines wahnsinnigen Vatermörders? Denn da brauchte er sich nur der Erinnerung und den verbissenen Schmerzen des – auch in dem Bösewicht fortlebenden – Gewissens ohne Rückhalt zu überlassen, – indem er einmal zu eigener Erleichterung diese Schmerzen frei aus seiner Brust heraustobte – die schreckliche Wahrheit eigener Gefühle als treue Mithelferin bei der Ausführung seines Kunststückes auf der Seite zu haben.

Die Einwendung: eine mit der Schuld eines Vatermordes belastete Seele, welche auf solche Weise mit ihrem eigenen Gewissen ein Spiel treibe, könne nicht einem Menschen angehören, sondern nur einem Satan: – diese Einwendung erwartete der Verfasser wenigstens nicht von Männern, welche mit dem Menschen in seiner Verderbtheit genauere Bekanntschaft gepflogen und die Elemente der Hölle, welche eines Menschen Brust in sich aufzunehmen fähig ist, zu ergründen und auseinander zu legen, sich zum traurigen Geschäfte gemacht haben.«


 << zurück weiter >>