Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im Dorfe Halstenbeck in Holstein wohnte 1837 ein Bauer, Jochim Hinrich Ramcke, auf seinem eigenen Hofe. Doch besaß er ihn erst seit zwei Jahren durch Kauf und Verheirathung mit der Tochter des frühern Besitzers. Die etwas verwickelten Familienverhältnisse hier vorauszuschicken, scheint nöthig, um die Geschichtserzählung nicht damit zu unterbrechen.
Der Hof, ein nahrhaftes Besitzthum, mit fettem Boden, in einem ansehnlichen Dorfe, welches nahe an der großen Straße von Hamburg nach Pinneberg liegt, hatte vorher der Familie Ladiges gehört. Jochim Ladiges, ein strenger Mann, der auf Zucht und Ordnung hielt, hatte noch in seinem 64sten Jahre, im Jahre 1833, eine junge Frau geheirathet. Man wollte behaupten, weil er mit der Wirthschaft seiner zwei Kinder aus erster Ehe nicht zufrieden gewesen. Der Sohn, Hinrich Ladiges, war verwachsen, unfähig zu geistiger und körperlicher Anstrengung; Einige nennen ihn dumm, Andere geradezu blödsinnig und Peter v. Kobbe gar einen Cretin. Die Tochter, Anna Maria, über deren Charakter die verschiedensten Urtheile später sich geltend machten, war wenigstens ein verschlossenes, kaltes Wesen und mochte dem Vater Das nicht sein, was er von ihr verlangte. Jochim Ladiges zweite Frau war 30 Jahre alt, als er sie heirathete, erfreute sich aber nur kurze Zeit des Glückes der Ehe. Der alte Ladiges starb schon 1834, und hinterließ sein Weib in schwangerm Zustande. Am 6. November 1834 gebar sie eine Tochter, das traurige Opfer dieses Criminalfalls.
Die Witwe setzte die Verwaltung des Hofes bis zum Jahre 1835 fort. Im Herbste dieses Jahres aber ward eine Theilung unter den Erben ihres verstorbenen Mannes eingeleitet. Der Sohn Hinrich Ladiges übernahm den Hof für die Taxationssumme von etwa 2000 Mark (so gering in Betracht des zu leistenden Altentheils und der übernommenen Verpflichtung, jedem seiner Geschwister eine Aussteuer von 150 Mark zu zahlen), die Witwe erhielt die statutarische Hälfte des Gesammtvermögens, etwas über 1000 Mark, und jedes der Geschwister ein Drittheil der andern Hälfte. Jochim Ladiges hinterlassene Witwe aber mußte auch noch, außer ihrem Erbtheil, ihr Altentheil erhalten.
Wie viel dieses Altentheil werth sei, darüber sind verschiedene Angaben, von 150 bis 300 Mark. Jedenfalls war es eine nicht unbedeutende Last, die auf dem Bauernhofe, und aller Wahrscheinlichkeit auf lange Zeit ruhte, da die Abschiederin, wie sie genannt wird, noch jung war. Sie erhielt ihr abgesondertes Haus, ihr Gartenland; der Besitzer des Hofes mußte sie fahren u. s. w. Die junge, so gut ausgestattete Witwe war eine gute Partie, und schon nach anderthalb Jahren hatte sie sich wieder verändert, und war die Ehefrau des Zimmermann Heinrich Ramcke geworden, der anscheinend nur den Namen mit der Hauptperson in dieser Geschichte gemein hat, und in derselben weiter keine Rolle spielt.
Der Krüppel Hinrich Ladiges war indeß nicht der Mann, um der großen Wirtschaft vorzustehen. Er fand auch keine tüchtige Hausfrau, die dafür paßte. Seine Schwester Anna Maria schien zum Wirthschaften geeigneter; aber, um es mit Erfolg zu können, mußte sie einen Mann haben. Ihr Curator verschaffte ihr einen solchen in der Person des Jochim Hinrich Ramcke aus Wedel. Sie war, als sie ihn 1836 heirathete, 27, er 24 Jahre alt. Sohn eines nicht unbegüterten Schmieds, brachte er einen guten Ruf mit, und nahm sich, nach seiner Verheirathung, der Wirthschaft mit allem Eifer an.
Hinrich Ladiges mußte aber zuvor abgefunden werden. Ramcke verpflichtete sich Namens seiner Frau zu derselben Summe und denselben Leistungen, welche Ladiges bei Uebernahme des Hofes gezahlt und übernommen hatte. Er sollte also gegen 2000 Mark zahlen, die Aussteuer den Geschwistern und das Altentheil der Abschieden gewahren. Außerdem foderte aber auch Ladiges seinerseits für sich eine Art Altentheil. Die Eheleute sollten ihn, so lange er sich nicht verheirathete, auf der Stelle behalten, ihm Kost, Kleidung, Wäsche liefern, die Abgaben für ihn bezahlen, und er dafür keine andere Arbeiten thun, als die er selbst zu verrichten für gut fände. Durch dieses doppelte Altentheil wurde allerdings die Einnahme des Hofes sehr verkümmert. Ramcke und seine Frau arbeiteten aber unverdrossen; auch strengte jener seinen Schwager in der Arbeit vielleicht etwas mehr an, als diesem lieb war, und schon um Pfingsten 1837 hatten die Eheleute von der Kaufsumme so viel abbezahlt, daß nur noch ein unaufkündbarer Posten von 800 Mark für Hinrich Ladiges auf dem Gute eingetragen stand.
Das Abschiedshaus war ein altes, baufälliges Haus, nur 400 Mark in der Brandkasse versichert. Es lag etwa 90 Schritt östlich von dem größeren Wohnhause entfernt. Eine große Diele (Flur) trennte es, der Länge nach, in zwei Theile, von welchen den nach Süden gelegenen, aus Stube, Kammer und einigen Wirthschaftsräumen bestehend, die Abschiederin mit ihrem Manne, dem Zimmermann, und ihrem 1 [1/2] Jahr alten Kinde bewohnte. Drüben, nördlich von der Diele, wohnten die Tagelöhner Luthschen Eheleute zur Miethe in einem ganz ähnlichen Raume. Die Küchen, oder eigentlich nur die Feuerherde, beider Wohnungen waren auf der offenen Diele, jeder an der Stube der respectiven Wohnungen angelehnt. Zur Diele führten zwei Eingänge, der eine östliche war die große Einfahrtsthüre, der andere westliche bestand aus einer kleinern Thür, wie sie an ältern Bauernhäusern sind, mit einem Ober- und Unterflügel; sie hieß die Oberthüre und führte, vermittelst eines Fußsteigs durch den Kohlhof nach dem großen Bauernhause.
In der Nacht vom 13. auf den 14. Juni 1837, einer stillen, hellen Sommernacht, brach in diesem Abschiedshause ein Feuer aus. Der Wind war nur schwach und man wurde des Feuers bald Herr, ohne das Haus selbst retten zu können. Aber die Aufmerksamkeit der Dorfbewohner wurde bald durch eine andere Schreckensscene in Anspruch genommen. Die Abschiederin Ramcke, aus einer Menge tiefer Hiebwunden blutend, lag, unfähig zu sprechen, in dem zunächst seitwärts gelegenen Kossäthenhause des Simon Bornholdt. Neben ihr ihr todtes Kind. Was man im ersten Gewirr erfuhr, war, daß die Abschiederin, als das Gebäude schon in hellen Flammen stand, im Hemde, blutend, ihr sterbendes Kind auf den Armen hinausgelaufen sei. Sie hatte ans Fenster im Ramckeschen Hause geklopft, die Ramcke's waren herausgekommen und hatten sie nach dem Bornholdt'schen Hause begleitet, wo sie die erste Pflege gefunden. Zugleich, oder bald nachher, war auch die Arbeitsfrau Luth durch das Fenster aus dem brennenden Hause entflohen, und hatte auf demselben Wege ihre Kinder gerettet. Sie war unverletzt; aber vor ihrer Flucht hatte sie wahrgenommen, daß ihre Thür, die nach der Diele führte, von außen durch einen eisernen Splitter fest zugemacht war; auch hatte gegen das Glasfenster dieser Thür eine Harke, mit einem Tuche darüber gehangen, von außen gestanden, gleichwie um sie zu verhindern, Das zu sehen, was auf der Diele geschah.
Beider Frauen Ehemänner waren in der Nacht, und schon früher über Land, als Soldaten oder in Geschäften. Also war hier aller Wahrscheinlichkeit nach ein vorbedachter Raubmordanfall und eine Brandstiftung. Aber beim Retten hatte man das wenige Geld der Abschiederin in einer Lade vorgefunden. Was sollte sonst hier in dem elenden Hause geraubt sein? Ein Verdacht sprach sich bald genug aus. Gegen die Tagelöhnerfrau Luth war das Verbrechen nicht gerichtet gewesen; also nur gegen die Abschiederin, und wer hätte an ihrem Tode ein Interesse gehabt, als Derjenige, dem die Last des Altentheils oblag?
Der Landdrost der Herrschaft Pinneberg, v. Döring, war schon am nächsten Morgen des 14. in Halstenbeck. Die ersten gerichtlichen Nachforschungen führten zu keinen andern Spuren, als die jene Vermuthung von selbst ergab. Ramcke hatte einen großen Vortheil, wenn die Abschiederin gestorben wäre. Er hatte einen Widerwillen gezeigt, sie zu sehen, und seine Frau hatte sich noch gar nicht um ihre verwundete Stiefmutter bekümmert. Aber Ramcke war ein ansässiger Mann, bis da unbescholten, und als er vor die Verwundete geführt wurde, hatte sie Zeichen gemacht, welche man so auslegte, daß sie ihn nicht für den Thäter halte.
Indeß war der junge, kräftige Ramcke plötzlich unwohl geworden, angeblich von den Anstrengungen der Nacht. Er hatte sich zu Bette gelegt und gewünscht, seine Mutter zu sprechen. Deshalb hatte er in aller Eil seinen Schwager Ladiges zu Pferde nach Wedel, wo sie wohnte, geschickt. Ein Policeireiter ward Ladiges nachgesandt. Er traf den Ladiges und Ramcke's Bruder Christian schon auf dem Rückwege. Von Christian Ramcke erfuhr der Policeireiter, daß Ladiges in Wedel nur von dem Brande des Hauses, aber nicht von der Verwundung der Frau und der Tödtung des Kindes erzählt. Weil das sehr verdächtig schien, ward zuerst Hinrich Ladiges, dann der Christian Ramcke und endlich auch dessen Mutter verhaftet. Beide Letztgenannte wurden jedoch noch einige Zeit, da gar nichts gegen sie constirte, wieder freigelassen, und sind später, im Lauf der Untersuchung gestorben.
Nachdem Ramcke's Knecht, Brandt, der mit ihm in einem Hause schlief, am 16. ausgesagt, daß er in der Nacht des Mordes die Thür knarren gehört, welche aus der Wohnstube, wo Ramcke, seine Frau und sein Schwager schliefen, nach der Diele dieses Hauses führte, wurden endlich auch Jochim Hinrich Ramcke und seine Frau Anna Maria, geborne Ladiges, verhaftet.
Die Verwundete konnte zuerst am 19. Juni vernommen werden. Es kann uns hier nicht auf die Deutungen ankommen, welche man ihrer früheren Zeichensprache gegeben, und die sich sämmtlich später als ganz falsche Auslegungen herausstellten. Seit sie sprechen konnte, gab sie in verschiedenen Terminen, je nachdem das Vermögen zu sprechen zunahm und ihre Erinnerungen sich sammelten, Folgendes an. Nachdem sie am Abende vor der Schreckensnacht ihr Kind zu Bett gebracht, ihre Kühe gemolken, das Feuer auf dem Herde unter die Asche geschürt und noch bis 11 Uhr mit der Luth geplaudert, habe sie, in gewohnter Weise, die Stubenthür mit dem Haken verschlossen, die Fenstergardine zugezogen, dann der Tochter, die noch wachte, etwas Milch und Butterbrot gegeben, und sich ausgekleidet, während sie der Kleinen ein Paar Gebete vorgesagt, die diese nachsprechen müssen. Das Bette, wo sie mit dem Kinde schlief, hatte zwei Wandthüren, eine obere und eine untere. Sie glaubte, wie gewöhnlich, die obere offen gelassen zu haben, denn sie habe ein gewisses »ängstliches und schutteriges Gefühl« gespürt, und hätte denn doch besser sehen können, wenn etwas passirte.
Trotz der Angst schlief sie, ihr kleines Kind im rechten Arm, gegen 12 Uhr fest ein, bis sie durch ein Geräusch geweckt wurde. Als sie den Kopf von der inneren Bettwand umdrehte, um zu sehen, was da sei, erfolgte wahrscheinlich der erste Schlag. Sie verlor die Besinnung und erwachte erst wieder, als sie durch das Stöhnen und Röcheln des Kindes aufgeweckt wurde.
Später sagte sie aus, sie habe noch ein dunkles Gefühl davon gehabt, daß bereits, ehe sie das Geräusch vernommen, ihr etwas beim Kopfe herumgefühlt, oder sich herumbewegt habe. Davon sei sie zwar nicht erwacht, denn sie habe doch den Kopf geschüttelt oder ihn weggedreht. Sie hatte immer gedacht, es könne dies eine Bewegung ihrer Kleinen gewesen sein. Nach Ramcke's spätern Aussagen gab sie diesem dunkeln Gefühl eine andere Auslegung.
Als das Kind stöhnte und röchelte, erwachte sie. Das Kind lag ziemlich weit nach unten im Bette, mit dem Kopfe bei ihrem Leibe. Jetzt bemerkte sie, daß ihre rechte Hand verstümmelt war. Sie richtet sich auf. Das Blut strömt ihr über das Gesicht. Sie fühlt den heftigen Schmerz, aber zugleich sieht sie den Feuerschein durch das Fenster von der Diele hereinbringen. Sie rafft sich auf, ergreift das Kind, sucht einen Augenblick nach den Schlüsseln im Bette und stürzt dann durch die Stubenthür, die Diele und die Oberthür, aus dem Hause.
Sie hat aber doch noch Mehres bemerkt, dessen sie sich später bestimmt entsinnt: Beide Thüren des Bettschranks standen offen. Auf der Diele brannte es am stärksten auf der Luthschen Seite, und zwar hinten nach der großen Ausgangsthüre zu, bei dem Luthschen Schweinekoben. Diese große Thür, welche sie am Abende selbst verschlossen, steht weit auf. Das Fenster in der Luthschen Stubenthür ist mit einem Tuche verhängt. Vor ihrem Fensterschranke hing auch ein Tuch; dieses möchte sie indeß vielleicht selbst vorgehängt haben, weil sie beim Zubettegehen so sehr angst gewesen. Die Thür von der Diele zu ihrer Stube will sie wieder so von innen zugehaspt gefunden haben, wie sie dieselbe am Abende selbst befestigt hatte. Doch gibt sie zu, daß sie darin sich geirrt haben könne. Dagegen weiß sie bestimmt, daß sie die Oberthür, von der Diele nach dem Kohlhof, durch welche sie entfloh, »zugeschottet« gefunden, und daher selbst öffnen müssen.
Sie konnte keinen Laut ausstoßen wegen eines Hiebes, der ihr die Luftröhre verletzt hatte. Ihr Kind vor sich in den Armen, stürzt sie, den Flammen entfliehend, über den Kohlhof nach dem großen Ramcke'schen Hause. Sie klopft ans Fenster, damit sie aufwachen und – ihr Vieh retten sollen. »Als sie an die Scheiben geklopft, seien sie in der Döns (die gemeinschaftliche Wohnstube) so schnell und hastig in Bewegung gekommen, als wenn sie dort schon wach gewesen wären und der Dinge geharrt hätten, die da kommen sollten.« – Nach wenig Augenblicken kamen Ramcke, seine Frau und Hinrich Ladiges schreiend und jammernd heraus. Er schreit: »Ach Mutter, Mutter, was ist das?« Die Frau aber ruft dem Manne mit lauter und ängstlicher Stimme zu: »Ach Gott, Jochim, Jochim, du sollst ihr nichts thun.« Dieses Zurufs wollte sich die Abschiederin auf das allerbestimmteste entsinnen.
Sie verlangte von den Ramcke's keine Hülfe und diese boten ihr dieselbe auch nicht an. Ein inneres Mistrauen hatte sich der Frau von Anfang an bemächtigt. Nur damit sie ihre Kühe retten sollten, hatte sie geklopft. Jetzt wandte sie sich sogleich nach dem Bornholdt'schen Hause, um dort ein Obdach zu suchen. Die Ramcke's aber begleiteten sie. Die Ehefrau scheint auffallend gleichgültig beim Anblick ihrer leidenden Stiefmutter und ihrer zerfetzten kleinen Halbschwester und nur um ihren Mann besorgt, während er, Ramcke, sich wie außer sich gebärdet. Plötzlich, wie ohnmächtig, sinkt er zusammen ins Gras und muß von seiner Frau nach Hause gebracht werden.
So die Aussage der Abschiederin. Die Ehefrau des Arbeitsmannes Luth trifft in ihren Angaben in allen wesentlichen Stücken damit zusammen. Sie ward um Mitternacht durch das Sausen der Flammen erweckt. Aufspringend, fand sie ihre Stubenthür von außen verriegelt. Sie schlägt das Fenster darin ein, da dringt Dampf und Rauch ihr entgegen. Nun springt sie aus dem Fenster nach der Gasse, läuft in ihrer Angst zuerst von draußen ans Fenster der Abschiederin und klopft. Als sie keine Antwort erhält, dringt sie durch die Oberthüre, die sie geöffnet findet (die Abschiederin war vermuthlich schon durch diese Thür entflohen), wieder ins Haus. Die Diele steht in vollen Flammen. Sie sieht, daß die Thür nach ihrer Wohnstube mit einem eisernen Haspelstock von außen an der Krampe zugeriegelt ist, auch daß das Thürfenster mittelst eines Sacks oder einer Schürze, die über eine Harke ausgebreitet ist, verhangen war. - Die Luth rettete jetzt erst ihre Kinder und mit Hülfe des Knechtes Brandt auch einige ihrer Sachen. Weiter hatte sie nichts bemerkt.
Die verwundete Abschiederin war in jener Nacht von den Bornholdt'schen Eheleuten, die übrigens gleichfalls nur durch Klopfen ans Fenster aus ihrem Schlafe aufgerüttelt wurden, aufs liebevollste gepflegt worden. Der Physicus Dr. Stalbom war mit einem Wundarzt schon nach wenigen Stunden aus Pinneberg eingetroffen und hatte sie verbunden, ohne große Hoffnung auf ihre Wiederherstellung auszusprechen. Nach seinem später abgegebenen Gutachten hatte er neun Wunden, sechs davon am Gesicht und an der Stirn, gefunden. Die Nase war zwei Mal durchhauen. Vier Hiebe hatten die Backen, einer den Unterkiefer gespalten und zersplittert; drei Zähne waren auf dieser Seite zertrümmert und herausgetrieben. Eine andere Wunde drang drei Linien tief in die Höhle des Kehlkopfes, sodaß »die Respiration durch diese Oeffnung unter zischendem Ein- und Ausdringen der Luft stattfand«. Vom Daumen und Zeigefinger der linken Hand war das erste Glied abgehauen. Das Gutachten erklärte die Verletzungen für lebensgefährlich, vornehmlich 1) wegen der Verblutung aus einer Menge durchschnittener Arterien, 2) wegen gänzlicher Erschöpfung der Lebenskraft durch Verblutung und Zertrümmerung des Unterkiefers, Verletzung der Speiseröhre und des Kehlkopfes, wodurch in den ersten Tagen die Beibringung von Lebensmitteln verhindert wurde. – Die Unglückliche genas zwar wieder, das ärztliche Urtheil fand aber den Grund davon nur in dem Zusammentreffen vieler glücklichen Momente, und viele dauernde Nachtheile dieser Verletzungen sind geblieben, als: die gehinderte Beweglichkeit der verletzten Theile, die Unfähigkeit, das rechte, untere Augenlid vollkommen zu schließen, der Zahnverlust, ein unangenehmes Gefühl beim Schlucken u. s. w. Die arme Frau selbst erklärte es als den schmerzlichsten Verlust, daß sie wegen ihres verstümmelten Daumens und Zeigefingers zu jeder Arbeit unfähig geworden sei.
Das Gutachten erklärte die Wunden mit der größten Wahrscheinlichkeit für Hiebwunden, »wahrscheinlich mit einem Handbeil und mit bedeutender Kraftanstrengung beigebracht«. Sie dürften der Abschiederin, während sie auf dem Rücken lag, und von der Seite beigebracht sein. Ein anderer Widerstand habe muthmaßlich nicht stattgefunden, außer daß sie (in unbewußtem Instinct) den Arm vorgehalten.
Das Kind hatte noch geröchelt, als die Bornholdt es aus den Händen der Verwundeten empfing; als sie es aber niedergelegt, war es ganz still geworden. Bei der Section fand man fünf klaffende Wunden, den Leichnam fast blutleer. Die Mehrzahl dieser Wunden wurden für absolut tödtlich erklärt. Außerdem war die Verblutung selbst eine Todesursache.
Der sehr schwache Wind, der aus Osten wehte, verhinderte das Umsichgreifen der Flamme im Dorfe. Auch hatte es während der vorigen Tage stark geregnet, dergestalt, daß die Strohdächer noch naß waren und die Flammen an und für sich, und ohne Stoff von innen, keine besondere Nahrung fanden. In der Abschiedskathe hatte altes Heu und Stroh nach der östlichen Seite zu gelegen (der großen Hauptthüre auf der Diele zugekehrt), welches dem Feuer die Hauptnahrung scheint gegeben zu haben. Die einstimmigen Zeugenaussagen stimmen darin überein, daß die Flammen zuerst auf dieser östlichen Seite, also der entgegengesetzten von der Richtung nach dem größern Wohnhause, emporgeschlagen seien; ob aber auf dieser Seite wieder mehr südlich oder nördlich, d. h. nach der Seite des Bornholdt'schen Hauses, oder der Seite nach einem engern Dorfpfad (der Twiete), darüber schwankten die Wahrnehmungen. Doch fand man noch in einem Rasenwinkel, östlich von der ganz verbrannten Abschiedskathe, am Morgen nach dem Brande, Fußtritte, die von einem Manne in Stiefeln herrühren mußten. Hier war kein Weg. Der Mordbrenner schien auf der Lauer hier gestanden zu haben und die Fußtritte führten nach dem Abschiedshause hin.
So weit die ersten Ermittelungen über den objectiven Thatbestand. Im Wesentlichen ist auch später nicht viel mehr ans Tageslicht gekommen, und es kam nunmehr Alles auf die Ermittelungen an, welche man im Inquisitionsverfahren von den verdächtigten und verhafteten Personen gewinnen konnte. Auch hier zeigte sich lange Zeit hindurch wenig Aussicht; denn alle Drei verharrten Wochen, Monate, ja Jahre lang bei starrem Leugnen und der Behauptung ihrer völligen Unschuld.
Hinrich Ladiges war verdächtigt, weil er gleich nach dem Brand- und Mordanfall von seinem Schwager nach Wedel zur Mutter desselben geschickt worden, und dort wol von dem Brande erzählt, aber gar nichts von dem Morde erwähnt hatte. Er habe sich wol gedacht, als er die Schwester und den Schwager so laut jammern gehört, »daß es nichts Gutes sein möge«, aber er sei »so verbaast« (verstört) gewesen. Er behauptete, in der Mordnacht fest geschlafen zu haben, bis er durch das Klopfen seiner Stiefmutter ans Fenster aufgewacht sei. Nie habe er seinen Schwager und seine Schwester über den schweren Abschied klagen gehört, auch wäre er von ihnen nicht schlecht behandelt worden. In allen ersteren Verhören zeigte er sich stumpf, wie seine Natur war und ohne Zeichen einiger Rührung.
Allmälig aber rückte er mit mehren Geständnissen heraus. Schon am 5. Juli entsann er sich: daß sein Schwager oft über den schweren Abschied geknurrt und geklagt, den er zu leisten habe. Einer wolle Dies, der Andere Jenes, und wenn seine Stiefmutter nur nicht da wäre. Sie wäre faul und eine Mistmacherin. – Am 27. Juli räumte Ladiges schon ein, er habe in Wedel nur deshalb nicht von der Stiefmutter gesprochen, weil die Schwester es ihm verboten. Er habe gefürchtet, zu hart behandelt und zu tief in die Sache verwickelt zu werden. Er vergoß dabei viel Thränen.
Darauf räumte er ein: schon zu Ostern habe sein Schwager davon gesprochen, daß Diejenigen, die nichts taugen thäten und nicht arbeiteten, an die Seite müßten. Etwas später sagte der Schwager: wenn was geschehen thäte, solle er nichts davon sagen; dann solle er auch 50 Mark dafür haben. – Der Schwager habe immer ein bös Gesicht gemacht, wenn er die Stiefmutter draußen nur gesehen. Das sei ein ärgerlicher Kram, habe er geäußert, daß er für sie immer fahren müsse. Wenn er sie 'mal wieder selbst fahren müsse, wolle er sie umwerfen. - Jetzt gestand Ladiges auch, daß Ramcke ihn hart behandelt und oft gescholten hätte, weil er ihm nie genug gearbeitet. Einmal habe er ihm auch gedroht: »er solle wegkommen, daß er nicht darum wieß (gewahr) werde«. Darum fürchtete er ihn und es hatte ihn auch bei seinen Aussagen befangen gemacht.
Am 5. September gestand Ladiges noch weit mehr ein. Ramcke habe zu ihm gesagt: »Wenn etwas in dem kleinen Hause passiren würde, dann solle er schweigen und nicht davon sprechen, daß er es gethan; dann solle er auch 50 Mark haben,« Ja Ramcke habe hinzugefügt: »es sei seine Absicht, die Kathe in Brand zu stecken und dann die Stiefmutter darin zu verbrennen.« Als von dem Umwerfen die Rede gewesen, habe der Schwager zugesetzt: »so daß sie liegen bleiben soll.« Ein ander Mal hatte Ramcke gesagt: »daß er seine Abschieder bei Seite schlagen wolle«.
Endlich, am 2. October, kam eine vollständige Aussage zum Durchbruch, so vollständig, als sie Hinrich Ladiges bei seinem Verstandesvermögen zu geben im Stande war. Eine Natur wie seine bedingte das Ausfragen. Da entsann er sich, daß er in der Nacht einen Augenblick aufgewesen, um sein Wasser zu lassen, sich aber wieder zu Bette gelegt; daß Schwager und Schwester schon ehe die Stiefmutter ans Fenster klopfte, aus dem Fenster in den Döns hinaus und nach einer halben Stunde wieder hereingestiegen waren, daß er sich aber nicht weiter darum bekümmert habe. Auf Zureden räumte er denn auch seinen eigenen Antheil an der Sache ein.
Der Schwager hatte, als er ihm damals 50 Mark versprochen, bemerkt, er wolle die Gelegenheit abpaffen, wenn der Mann der Abschiederin nicht zu Hause sei. Er hatte mit ihm davon gesprochen, sie ums Leben zu bringen. Abends am 13., als Ladiges schon zu Bette gelegen, hatte er ihm geradezu gesagt, in dieser Nacht wolle er die Abschiederin bei Seite schaffen. Er wolle es allein thun, aber Ladiges solle mitgehen und aufpassen. Dafür solle er die 50 Mark haben. Darauf habe er erwidert: »In das Abschiedshaus gehe er nicht hinein, wolle auch sonst nichts mit der Sache zu thun haben; aber mitgehen könne er ja wol, wenn sonst nichts weiter dabei sei.« Gleich nach diesem Gespräche hatten Ramcke und dessen Frau, welche die einzigen gegenwärtigen Personen in der Döns waren, sich zu Bette gelegt und er sei, von der Arbeit ermüdet, bald eingeschlafen. Eine gute Weile werde er geschlafen haben, als Ramcke mitten in der Nacht ihn geweckt und ihn aufgefodert habe, nach dem kleinen Hause mitzukommen und aufzupassen. Wiederum habe er geantwortet: »daß er sacht (zwar) mitgehen könne, daß er aber nicht mit hineingehen und nichts mit der Sache zu thun haben wolle«, und habe sich anzukleiden angefangen. Mittlerweile sei seine Schwester, welche, so wie sein Schwager, schon angekleidet gewesen, nach der Küche gegangen und habe von dort in einer gelben Schüssel eine Kohle geholt. Sodann wären Ramcke und dessen Frau durch das Fenster aus der Stube hinausgestiegen; ihm habe aber, bei seiner Gestalt, der Weg durch das Fenster zu halsbrechend geschienen, weshalb er bald darauf durch die Dönsenthüre, über die Diele, und sodann durch die große Thüre ebenfalls aus dem Hause gegangen wäre. In der Nähe des kleinen Hauses, auf einem Steig im Garten, habe er sich hingestellt, um aufzupassen; weiter habe er nichts verübt. Von hier aus habe er deutlich gesehen, indem er die ganze Blangenseite (Pleonasmus, statt Seite) des kleinen Hauses habe überblicken können, daß seine Schwester in das Dach des Abschiedshauses, unten, nach der großen Thüre zu, auf der Seite, welche der Bornholdt'schen Wohnung zugewandt, die Kohle gesteckt und den Brand verursacht habe. Gleichfalls habe er gesehen, daß sein Schwager durch die kleine Oberthüre, von der er nicht wisse, ob Ramcke sie verschlossen gefunden und womit er sie geöffnet, in das Haus hineingegangen und ungefähr nach einer Viertelstunde, und zwar wiederum durch die Oberthüre, aus dem Hause herausgekommen sei. Ohne um die beiden Andern, die noch etwas zurückgeblieben wären, sich weiter zu bekümmern, sei er nun durch die große Thüre, über die Diele, nach der Döns zurückgekehrt, und wieder zu Bette gegangen. Einen Augenblick habe er darin gelegen, als seine Schwester und sein Schwager, und zwar jene zuerst, durch das offene Fenster in die Döns hineingestiegen wären. In der Stube hätten sein Schwager und seine Schwester kein Wort mit einander gewechselt, sich entkleidet und darauf sich gleichfalls zu Bette begeben. Nach einer Weile, geschlafen habe er noch nicht, nur gedöst (geschlummert), hatten sie das Klopfen an die Fenster gehört, worauf sie alle Drei, ziemlich zu gleicher Zeit, aufgesprungen, aus der Dons herausgelaufen wären und seine Stiefmutter, von den Wunden entstellt und mit ihrem Kinde auf dem Arme, vor sich stehend, gesehen hatten.
Befragt, welche Waffe sein Schwager bei sich geführt? antwortete Ladiges: eines von den beiden im Hause befindlichen Handbeilen, welche ihren gewöhnlichen Platz in einem Schranke auf der Diele gehabt hätten. Ladiges beschrieb die beiden Beile näher und erklärte: ob Ramcke das Beil schon am Abende, oder erst in der Nacht hereingeholt, wisse er nicht; er glaube jedoch das Letztere, weil sein Schwager schon einmal früher in der Nacht, bevor sie sämmtlich aufstanden, aus der Döns nach der Diele gegangen und bald wiedergekommen sei. Ob er das Beil wieder in das Haus mit zurückgebracht, oder wo er es gelassen habe, wisse er nicht.
Ladiges blieb bei dieser Aussage in allen folgenden Verhören. Er foderte sogar den Schwager und die Schwester auf, sie sollten doch nun auch gestehen. Er äußerte, ihm sei nun viel besser zu Muthe, er habe der Wahrheit die Ehre gegeben, möge sein Schwager dagegen sagen, was er wolle.
Nachträglich ergänzte er sein Geständniß noch durch mehre einzelne Angaben: Ramcke, der sonst bei jeder Gelegenheit über den Abschied geklagt, habe an dem Tage ganz davon geschwiegen. Am Abende sei er und seine Frau stiller und blasser als gewöhnlich gewesen. Er habe ihm ausdrücklich befohlen, gegen Niemand etwas davon zu erwähnen, daß er, Ramcke, sich über den schweren Abschied beklagt. Dagegen erwähnte Ramcke, wie beiläufig, der Mann der Abschiederin sei nicht zu Hause. Er sprach davon, daß sich der untere Theil der Oberthür im Abschiedshause so weit eindrücken lasse, daß man recht gut durchfahren und mit dem Arm den Riegel des obern Theils zurückschieben könne. Bei diesen Aeußerungen verhielt sich Ramcke's Frau schweigend, als wären sie schon ganz darüber einverstanden. Der Schwager schien nur so gesprochen zu haben, um ihn unvermerkt in die Sache hineinzuziehen. Warum? das wisse er nicht. Vielleicht, weil der Schwager gedacht, er solle auch nicht frei sein davon; denn er sage nicht mehr, als was er gesehen.
Befragt, warum er selbst mitgegangen, antwortete Ladiges: »er habe sich gedacht, daß sein Schwager ein böser Mensch sei, und daß er selber sich auch seines Lebens vor ihm nicht sicher sei. Ramcke habe ihm gar auch wol etwas in das Essen geben können!« Später, mit seinem Schwager confrontirt und von ihm geschimpft und bedroht, äußerte er sich wie folgt. Es ist dies zwar nur die Uebersetzung der Sprache des einfältigen Bauern in die Actensprache; es blitzt daraus aber so viel aus jener hervor, was die Phantasie eines Aktenmannes schwerlich erfindet.
»Es könne ihm doch wol Niemand verargen, wenn er die Angst, die er vor seinem Schwager gehabt und die ihn ja denn auch allein dazu gebracht, daß er in der Nacht mit aufgestanden und mit herausgegangen, auch hier erst nicht habe überwinden können. Was sein Schwager für ein Mensch sei, das habe er ja in jener Nacht mit eigenen Augen gesehen; und wie er nun hier gesessen, habe er sich erst immer gedacht, wenn er etwas sage und komme dann wieder los, so drehe sein Schwager ihm das Genick um. Den Gedanken habe er sich aber so in den Kopf genommen, daß er ihn erst gar nicht wieder habe loswerden können und erst als er länger gesessen, habe er nach und nach so viel Courage gekriegt, um mit der Wahrheit herauszukommen. Da sein Schwager ihm ja selbst damit gedroht, daß er 'mal wegkommen solle, ohne daß er was davon »wiß« werde, und da er ja an der Stiefmutter gesehen, daß derselbe sein Wort wahr zu machen wisse, so habe er wol bange sein können. – die Ursache dieser Bedrohung sei gewesen, daß er einmal in der Scheune ein schweres Unterbret nicht habe heben können. - Er habe es auch auf sich gemünzt, wenn sein Schwager davon gesprochen habe: was das für eine Last mit dem Abschiede sei, und daß man keinen Frieden habe, ehe die Abschieder bei Seite wären. Denn er selbst sei ja auch bei seinem Schwager auf dem Abschied gewesen, und habe das also auch auf sich mit beziehen müssen, zumal da sein Schwager es oft genug an den Tag gelegt, wie schwer und ungern ihm das abgehe, was er auch für ihn habe bezahlen müssen.«
Noch betheuerte er, daß er nicht an die 50 Mark gedacht, es sei ihm nur eingefallen, daß er schwach und krüppelig sei, und sich gegen den großen Menschen nicht zur Wehre setzen können; darum sei er mitgegangen. »Und darum bin ich denn auch ruhig bei meiner Sache, und glaube, daß mir nichts geschehen kann; denn ich habe ja keine böse Gedanken gehabt.«
Er stellte sich als einen ganz von dem herrischen Temperament und der physischen Kraft seines Schwagers unterjochten Sclaven dar, behauptete aber, mit seiner Stiefmutter stets in gutem Vernehmen gelebt, auch seine kleine Schwester geliebt zu haben. Die Abschiederin selbst gibt ihm dieses Zeugniß.
Hinsichts des Anzugs, welchen Ramcke in der Nacht gehabt, schwankte seine Aussage. Anfänglich gab er eine weiße Jacke und Hosen, Ramcke's gewöhnliche Tracht, an, dann eine blaue Jacke und solche Hosen.
Ebenso unsicher war seine Aussage hinsichts des Handbeils. Daß es eines von denen gewesen, welche im Schranke auf der Diele gelegen, schloß er daraus, daß es einen weißen Stiel gehabt. Als man ihm aber in Folge der Untersuchung dasjenige Beil zeigte, mit welchem die That aller Wahrscheinlichkeit nach geschehen war, und welches dem Knecht Brandt gehörte, glaubte er es dafür zu erkennen.
Ob Ramcke die Oberthür des Abschiedshauses in der Art geöffnet, wie er es ihm vorhergesagt, wußte er spater nicht mit Gewißheit zu behaupten. Acht Schritt von ihm Wache haltend, habe er nur gesehen, wie sein Schwager sich gebückt, um den Arm zwischen dem obern und untern Thürflügel besser durchzubringen.
Aufs allergenaueste gab er dagegen in der Voruntersuchung wie in der Specialuntersuchung an, wie seine Schwester bei der Feueranlegung operirt habe. Die Nacht war nicht dunkel. Er sah, wie die Schwester Hände und Arme nach oben ausstreckte und etwas unter das Dach hineinsteckte, oder doch daran hielt. Dies sei geschehen bald nachdem der Schwager durch die kleine Oberthür ins Haus eingedrungen. An der Stelle habe es dann bald im Dache zu brennen angefangen. Die Flamme sei aber nicht stärker gewesen als ein Licht. Das weitere Umsichgreifen hatte er nicht gesehen, da er sich auf den Rückweg gemacht, sobald er den Schwager wieder aus dem Hause kommen sah. Der Schwager wäre in der Nahe der Stelle, wo sie das Dach in Brand gesteckt, stehen geblieben.
Die Abschiederin und ihr Ehegatte, der Zimmermann, bestätigten zwar, daß die bewußte Oberthür alt und schief gewesen und es möglich war, auf die beschriebene Art einzudringen. Doch schien es Beiden wahrscheinlicher, daß der Mörder von einem Fenster neben der Thür die Scheibe herausgenommen und so den Thürriegel zurückgeschoben habe.
Ladiges erkannte, daß es »gut gewesen, wenn er es nicht gethan; aber es sei ja nun einmal geschehen.« Er verrieth bei seinem Geständnisse die größtmögliche Unempfindlichkeit und nur darin Unruhe, daß er fragte, wie lange es denn nun mit ihm dauern solle; er sitze ja nun schon lange genug, und ob er denn nicht bald zu den Seinigen zurückkommen werde?
Dies die Aussage Hinrich Ladiges, eines Mitangeschuldigten, die für den Hauptangeschuldigten schwer gravirend ist, bei der aber im voraus daran zu erinnern ist, daß über seine Zurechnungsfähigkeit als Verbrecher nicht unbedeutende Bedenken obwalteten, daß also derselbe Gemüthszustand auch hinsichts seiner Gültigkeit als Zeuge nicht unbeachtet bleiben darf. Nebenher muß aufmerksam gemacht werden, worauf später die Vertheidiger sich beriefen, daß er über einzelne Dinge die genauesten Wahrnehmungen abgab, welche nur durch das Auge aufgefaßt werden, und daß es im großen Hause, in der Döns wie auf der Diele ganz dunkel war.
Ramcke's Ehefrau, Anna Maria, geborene Ladiges, hatte unter den Nachbaren durch die Ruhe, fast Gleichgültigkeit, welche sie im Gegensatz zu ihrem, im höchsten Grade aufgeregten Ehemann nach der That gezeigt, schon früh einen Verdacht gegen sich erregt. Sie ging am Morgen nicht einmal in das Bornholdt'sche Haus, um sich nach ihren Verwandten zu erkundigen. Für den Richter kann dies nicht füglich ein Indicium sein, da sie im ganzen Lauf der Untersuchung, ja noch jetzt, als ein kaltes, tiefern Eindrücken unempfängliches Weib geschildert wird. Warum mußte es gerade die Blutschuld sein, was sie zurückhielt? Es könnte eben so gut als ein Zeichen ausgelegt werden, daß sie sich nicht schuldig und über den Verdacht, der sie traf, erhaben fand.
Sie wollte im Verhöre von Nichts wissen und behielt ihre Kaltblütigkeit, ohne sich von etwas stören zu lassen. Nie hatte ihr Mann sich gegen sie über die Größe des Altentheils beschwert; sie hatte ihrem Bruder, als sie ihn nach Wedel schickten, nichts davon gesagt, daß er nichts von Dem aussagen solle, was der Stiefmutter passirt wäre, und ihr Ehemann war gut und so unschuldig wie sie selbst.
Indessen waren andere entfernte Anzeichen bekannt geworden. Viele Verwandte Ramcke's, sogar dessen eigene Mutter hatten bekundet, daß Ramcke sich schwer über den großen Abschied beklagt. Die Mutter hatte, als sie von der That erfuhr, ausgerufen: »Wenn Jochim nur nichts damit zu thun hat!« Die Dienstmagd Ellerbrook, die auf der Diele bei Ramcke's schlief, hatte in der Mordnacht Geräusch gehört; es kam ihr vor, als ob Einer auf dem Schleifsteine, der vor des Knechts Thüre lag, wetze. Dann hatte sie Jemand zur Thür hinausgehen und nach einer halben Stunde wieder hereinkommen gehört. Ramcke hatte zu ihr am Abend nach der That gesagt: vor Gericht müsse sie sagen, daß sie nichts gesehen und gehört, sonst behalte man sie wol ein Jahr lang in Pinneberg. Dabei habe er halb fragend hingeworfen, sie wisse doch auch wol von nichts? Auch hatte sie vor der Zeit der That Ramcke und seine Frau oft mit einander eifrig sprechen gehört, und wenn sie dazu gekommen, wären sie plötzlich stumm geworden. - Ramcke's Bruder Christian bekundete, daß Jener, als er von Ladiges Verhaftung gehört, sehr bestürzt geworden und geäußert: Ladiges werde sie gewiß noch fest schnecken. »Ach Gott, Marieken,« hatte er zu seiner Frau gesagt, »daß wir den Pinsel auch haben nach Wedel geschickt.« Die Frau hatte ausgerufen: sie wolle lieber gleich in den Sod (Brunnen) springen, wenn sie so gequält werden sollte, wie jene Frau (die Abschiederin) ausgesehen. Auch hatte Ramcke, unzufrieden, daß seine Mutter nicht mit Christian gekommen, zu diesem gesagt: er habe gedacht, daß seine Verwandten aus Wedel ihm durchhelfen sollten.
Die junge Frau war hochschwanger. Vor ihrer Entbindung mochte man ihr vielleicht nicht mit zu großer Strenge zusetzen. Sie war aber im Gefängniß mit einem todten Kinde (am 18. October 1837) niedergekommen. Seltsam! Es trug an der Stirn ein Muttermal, ahnlich einer vernarbten, an der innern Fläche bedeutend roth angelaufenen Schnittwunde. Auch nach der Entbindung blieb sie, trotz der Widersprüche, in die sie sich verwickelte, bei einem hartnäckigen Leugnen und Schweigen. Sie ward auf Wasser und Brot gesetzt und aus der Krankenstube in das Kellergeschoß gebracht. Auch eine Confrontation mit ihrem Bruder Ladiges half nichts; sie ward nur etwas befangen und wechselte die Farbe, als er ihr aufs eindringlichste vorhielt, daß sie doch bedenken möge, was sie thue, daß er, ihr leiblicher Bruder, sie nicht belügen werde, daß das Unglück ja schon groß genug sei, daß sie es nicht noch größer machen solle.
Alle wiederholten Wasser- und Brotstrafen und der unterirdische Kerker halfen durch lange Monate nichts. Es war ein Jahr ihrer Gefangenschaft und darüber vergangen, als sie endlich, am 8. Juli 1838, freiwillig anfing zu bekennen, wenigstens ließ sie durch den Arrestverwalter an jenem Sonntage dem Richter melden, daß sie andern Sinnes geworden, und gab hierauf folgende lange und umständliche Erklärung zu Protokoll:
»Als unsere Leute am Abend aus der Döns gegangen waren, sagte mein Mann zu mir: er wolle nun in der Nacht hin und die Mutter todtschlagen; ich sollte dann auch mit, um das Haus in Brand zu stecken, und der Bruder sollte dann aufpassen. Ich sagte, er solle es doch nicht thun; - aber ach Gott! ach Gott! meine Bitten wollten nichts helfen; er sagte, er wolle es thun, und ich sollte auch mit. Da hat meine Aengstlichkeit mich dazu gebracht, und ich habe es denn mitgethan. Wir legten uns nun zuerst zu Bette; ob ich aber geschlafen habe, oder nicht, davon weiß ich nichts, ich war viel zu unruhig. In der Nacht stand mein Mann wieder auf, und durch meine Aengstlichkeit kam ich denn auch mit auf; - ich und mein Mann stiegen nun durch das Fenster aus der Döns hinaus in den Hof und gegen den Steig entlang gerade hinunter nach dem kleinen Hause. Mein Bruder, den mein Mann auch mit aufgekrigt hatte, kam uns nach; welchen Weg er indessen aus dem Hause genommen, davon weiß ich nichts, denn das habe ich nicht gesehen. - Ich trug eine Kohle, die ich aus der Küche geholt, auf einer gelben Schüssel; mein Mann hatte ein Beil in der Hand; wo er es aber her hatte, weiß ich nicht. Als wir bei dem kleinen Hause waren, ging mein Mann oben nach der kleinen Thür, um sie aufzumachen; ich ging aber in meiner Aengstlichkeit mit der Kohle die Blangenseite hinunter und steckte sie unten nach dem Ende zu unter das Dach. Ach Gott! ach Gott! als ich das that, da klopfte mein Herz so - und ich dachte an Gott; aber die Aengstlichkeit hatte mich auf den bösen Weg gebracht. Ich blieb darauf noch so lange dort, bis ich das Feuer sah; als das Dach oben so weit brannte, wie ein ordentliches Licht, so ging ich wieder hinauf, und sah nun meinen Bruder vor mir auf, in dem Hofe, nach dem großen Hause zurückgehen. Ich hielt mich nun auch nicht langer dort auf, sondern ging ebenfalls nach dem großen Hause zurück, ohne daß ich von meinem Manne noch etwas weiter wahrgenommen. Ich stieg durch dasselbe Fenster, durch welches ich hinausgestiegen, nach der Döns hinein und fand meinen Bruder schon oben wieder im Bette, als ich hineinkam; - ich zog mich nun auch aus und legte mich wieder zu Bette; - und ich glaube noch ehe ich es gethan (denn ich entsinne mich dessen nicht mehr so genau, wegen meiner Aengstlichkeit), stieg auch mein Mann durch das Fenster wieder nach der Döns herein. Er legte sich bald darauf zu mir ins Bett, und so lagen wir noch eine kurze Zeit ruhig im Bette, bis wir das Klopfen hörten. Als wir das erste Klopfen hörten, sagte ich zu meinem Manne: was ist das? aber er antwortete mir nichts darauf; - als das zweite Klopfen kam, da rief mein Mann auf: was ist das? ich wußte in meiner Aengstlichkeit nicht, wie mir war, rief aber: Ach Gott! ach Gott! und bat meinen Mann, er möchte nur heraussteigen aus dem Bette. Mein Mann stand nun schnell auf, und ich kam gleich nach ihm aus dem Bette, und so liefen wir denn mit Hinrich, der ebenfalls gleich aus dem Bette kam, alle Drei aus dem Döns und über die Diele durch die Blangenthür nach dem Hofe hinaus, wo denn die Stiefmutter mit dem Kinde auf dem Arm vor uns auf dem Steige stand. Mein Mann, welcher der Erste aus der Blangenthür war und dem ich gleich folgte, ging darauf erst so rasch auf die Stiefmutter zu, daß ich fürchtete, er wollte ihr noch ein Leid zufügen, und daß ich ihm darauf zurief: Ach Jochim, Jochim, thue ihr nichts! - Vor Schrecken und Angst sprangen wir darauf aber erst abwärts, bis die Stiefmutter mit dem Kinde sich umdrehte und nach Bornholdt ging, worauf wir ihr denn Beide dorthin nachgingen.
»Ich habe nun die reine Wahrheit gesagt und hoffe, daß Gott mir das verzeihe, was ich in meiner Aengstlichkeit gethan.
»Um den großen Abschied hat mein Mann es gethan; er konnte sich nicht zufrieden geben darüber, und er hat es mir denn auch gesagt, daß er es deshalb thun wolle.
»Ich habe wol auch einmal über den Abschied gesprochen, und gesagt, daß es viel sei; - aber ich habe nie schlimme Gedanken gegen meine Stiefmutter gehabt, und mir ist so etwas nie in den Sinn gekommen; aber meinem Mann, den hat der Böse zu toll! Der hat mich denn auch mit ins Verderben gebracht.
»Was mein Mann mit der kleinen Halbschwester im Sinne hatte, davon hatte er mir nichts im Vorwege gesagt, - ich wußte nicht, daß es seine Absicht sei, das kleine Kind mit umzubringen; als ich das Feuer anlegte, da dachte ich wol daran, was nun aus dem kleinen Kinde werden solle; aber ich dachte auch wieder an Gott, und wußte dann selber nicht in meiner Ängstlichkeit, was daraus werde.
»Am andern Morgen, als die That geschehen und als mein Mann hörte, daß das Kind todt sei, sagte er mir: nun wären die 50 Thaler ja doch weg, - und war damals denn ganz zufrieden, wie er damals denn auch mehrfach den Wunsch ausgesprochen, daß die Stiefmutter doch nur nicht wieder besser werden möge. Ich sagte ihm aber: wenn sie doch nur wieder besser werden möge, denn Gott habe es ja doch nicht haben wollen, da sie wieder herausgekommen sei.
»Mein Mann hatte es ja nicht nöthig; wir hätten ja gut so leben können, aber er wollte immer mehr haben und konnte nie genug krigen.
»Ich bitte nochmals um Verzeihung, daß ich so lange mit der Wahrheit geschwiegen; mein Mann hatte mir ja verboten, etwas zu sagen; und ich meinte nun immer, er solle der Erste sein; darum schwieg ich denn auch so lange, obwol es mir oft auf der Zunge gelegen. Ich habe auch öfters den Herrn Propsten gebeten, er möge es meinem Manne doch nur sagen, daß er gestehe, was er gethan. Jetzt aber saß es mir so auf der Zunge, daß ich es nicht länger zurückhalten konnte, und darum habe ich denn jetzt auch Alles gesagt.
»Wenn es angehen kann, wollte ich so gerne bald einmal zum Tische des Herren; ich habe in meine Entbindung gemußt, ohne das Abendmahl empfangen zu haben, und das betrübt mich so.
»Ich habe mich nun an meinen Bruder gegeben, ich denke, er wird sich auch darüber freuen, daß ich das gethan.
»Was muß meine Stiefmutter für Schmerzen gehabt haben! Ich bin sie ihr nicht gönnen gewesen; ich habe nie so Etwas mit ihr im Sinne gehabt.
»Alle meine Freunde müssen sich ja schämen über mich, daß ich hier sitze mit meinem Bruder; aber sie werden ja doch wol wissen, daß ich die schlechten Absichten nicht gehabt.
»Wenn es unterbleiben kann, möchte ich nicht gern vor meinen Mann, wenn es aber nöthig ist, so thue ich es auch, und mag das Gericht das dann bestimmen.«
Wie natürlich und wahr diese Erklärung in der letzten Hälfte auch erscheint, welche die Herzensergüsse der Verbrecherin enthält, so kann man doch nicht umhin, im ersten Theil derselben die Einflüsse des Richters zu erkennen. Dies ist kein freier Erguß, sondern eine Erzählung, welche vom Richter entweder abgefragt oder doch in der Ordnung zu Papier gebracht worden, als derselbe es zu seinem Zwecke angemessen fand. In solchem historischen Zusammenhange erzählt keine Bäuerin von dem Bildungszustande der Ramcke eine Begebenheit. Man sieht vielmehr, daß ihrem Bekenntniß das Geständniß ihres Bruders zum Grunde gelegen hat, und ihres erscheint nur als ein Accompagnement desselben, während dieses mehr Momente der natürlichen Auffassung eines Bauern durch die Actensprache hindurch verräth. Diese Bemerkung gelte nicht als ein Mistrauen gegen die Wahrheit des Inhalts, wol aber scheint es nöthig, sie hier vorauszuschicken, weil die Verteidigung, die mit so unermüdlichem Eifer gefochten, auch darin ein Moment gefunden hat.
Sonst erklärte die Ramcke, daß ihr Mann schon vor der That sich oft über die Last des Abschieds gegen sie beklagt: »der thue keine Sünde, der die Stiefmutter dalruffen (wahrscheinlich niederschlagen) thäte«. Auch gegen sie hatte er von dem Vorsatz gesprochen, sie einmal beim Fahren umzuschmeißen, daß sie liegen bleibe.
Eine eigentliche Verabredung zur That mit dem Manne, sowie, daß sie selbst dazu gerathen, oder es gewünscht, stellte sie beharrlich in Abrede. Sie habe wol dann und wann geäußert, daß ihr Vater nicht gut für seine Kinder gesorgt habe, wegen des großen Abschiedes, auch daß ihre Stiefmutter noch lange leben könne; aber sie habe darum noch keine schlimme Absichten gegen die Stiefmutter gehegt. Am Abende vor der That hatte Ramcke ihr nur gesagt, er wolle durch die kleine Oberthür ins Haus und die Stiefmutter todtschlagen; der Bruder solle mit, um Wache zu stehen, und sie, um das Haus in Brand zu stecken. Ihre Vorstellungen dagegen fruchteten nichts. Im Bette, an ihres Mannes Seite, hatte sie von der That kein Wort mit ihm aus Angst gewechselt; auch nach der That dahin zurückgekehrt, will sie nichts mit ihm gesprochen haben bis die Stiefmutter anklopfte. Noch als er sie auffoderte, aufzustehen und mit ihm zu gehen, versuchte sie ihn abzureden, aber – sie fügte sich in seinen Willen »aus großer Aengstigkeit«. Sie wußte ja nicht, wie sie in einem andern Verhör sagte, »wie sie mit ihm dran war, und ob ihr eigenes Leben vor ihm sicher sei«. Daß die Furcht vor dem gewaltsamen Manne allein das Motiv ihrer Handlungsweise gewesen (und demnächst auch ihres langen Leugnens), erklärte sie beharrlich, wiewol die Abschiederin anderer Ansicht war. Diese meinte, ihre Stieftochter habe sie immer mit bösen Augen angesehen, weshalb auch wenig Verkehr zwischen ihnen Beiden gewesen. Die Ramcke erklärte aber noch spater in einem Verhör mit einiger Bitterkeit gegen ihren Mann:
»Ueber Dasjenige, was ich gethan habe oder was ich nicht hätte thun müssen, empfinde ich innige Reue – (unter Vergießung von Thränen). – Ich bin in meiner Aengstigkeit dazu gekommen und darum hoffe ich auch, wird Gott es mir verzeihen; denn meine Gedanken sind es sonst nie gewesen, dergleichen zu thun. Ich dachte, daß es mein Mann auch wol so bei mir machen könnte, wie er es mit der Stiefmutter im Sinne hatte, denn ich sah es ja, daß es ihm um uns Menschen nicht zu thun sei. Darüber aber wurde mir denn das Herz so bestoßen, daß ich Alles that, was mein Mann von mir verlangte. Ich sah es ja, daß es meinem Mann nur um unser Hab und Gut zu thun war, und daß ihm an einem Menschenleben nichts lag. Das machte mich eben so bestürzt, daß ich an weiter nichts dachte, sondern in meiner Aengstigkeit das Alles so hinthat, ohne zu wissen, oder zu bedenken, was weiter danach kommen solle.
Die Kohle, mit welcher die Ramcke das Dach in Brand gesteckt, war eine sogenannte Bültenkohle, – Bülten, eine Art schlechterer Torf, Abstiche der oberen wurzelichten Moor-Auswüchse, welche, getrocknet, in jenen Gegenden als Brennmaterial benutzt werden. Sie hatte dieselbe aus der Küche geholt und war mit der Schüssel, in der sie lag, aus dem Fenster gestiegen. Sie hielt, im Augenblick der Ausführung, die Schüssel mit der Kohle unter das Strohdach; zwar mit ausgestreckten Armen, aber das Dach war so niedrig, daß sie es ganz gut so erreichen konnte. Sie hielt so lange, bis das Stroh Feuer fing. Oben war es naß, aber unten trocken, daher brannte es bald. Die Kohle war noch ziemlich hell. Ob sie die Kohle angeblasen, oder sich eines Schwefelholzes bedient, konnte sie, nach so langer Zeit, sich nicht mehr entsinnen. Auch dieser Umstand mußte genau angegeben werden, da die Verteidigung hierin gleichfalls Waffen suchte.
Die Ramcke hatte in ihrer Angst nicht bemerkt, welche Kleidungsstücke ihr Mann angehabt. Da er aber am Morgen nach dem Brande mehrmals auf den Boden stieg, angeblich um nachzusehen, ob auch nicht Funken auf das Strohdach gefallen wären, und nachher ihr auftrug, seine blaue Jacke und Hosen, die dort lagen, in ein Krummbund zu verstecken, so merkte sie wohl, was das zu bedeuten hätte. Sie hielt es nicht für gerathen, die Kleidungsstücke zu verstecken, holte sie aber herunter und fand im Aermel der Jacke und des Hemdes kleine Blutflecke, die sie sofort mit Theer bestrich, um sie unkenntlich zu machen.
Dieses Geständniß wiederholte die Ramcke im Einzelnen und im Ganzen mehrmals, stets mit Ruhe und Kaltblütigkeit. Auch in der so sehr gefürchteten Confrontation mit ihrem Manne verblieb sie dabei. Ramcke hatte inzwischen auch ein Bekenntniß abgelegt, welches aber in manchen Stücken mit dem seiner Frau und seines Schwagers nicht stimmte. Noch am 25. Jan. 1839 hatte seine Frau sich erbötig erklärt, es ihm ins Gesicht zu sagen, daß er lüge, und es sich gerade so verhalte, wie sie angegeben, als am 26. Februar ihr Seelsorger, Propst Adler, dem Gericht die Anzeige machte: die Ramcke wolle widerrufen. Sie habe ihn nämlich bei einem Besuche, den er ihr gemacht, gebeten, er möge es veranlassen, daß sie nicht mit ihrem Manne confrontirt werde. Als er ihr diese Bitte abgeschlagen, habe sie ihm erklärt, sie könne mit ihrem Manne nicht vortreten, sie sei unschuldig; sie sei in der Nacht nicht aus dem Bette gewesen; ihren Mann halte sie aber für schuldig, weil er aufgestanden gewesen sei und sich so gehabt habe, daß sie ihn kaum halten können. Sie habe sich blos deshalb schuldig bekannt, weil die Herren sie so getrieben hatten und sie es in ihrer damaligen Lage nicht langer habe aushalten können. Unter diesen Umständen sei ihr kein anderes Mittel übrig geblieben, als völlig übereinstimmend mit der Aussage ihres Bruders zu sprechen, der aber, was sie betreffe, gelogen habe. Ruhe das Gericht nicht eher, als bis ihre und ihres Mannes Aussagen mit denen ihres Bruders übereinstimmten, so wären sie zum Lügen gezwungen. Wenn sie auch für ihr falsches Geständniß gestraft werden sollte, so müsse sie das leiden; unschuldig sei sie aber. Da ihr vom Gerichte neulich gesagt sei, ihr Mann habe gestanden, daß er allein, ohne sie, die That begangen habe, so sei sie nicht mehr genöthigt, die Aussage ihres Bruders blindlings zu bestätigen. Der Propst Adler fügte noch hinzu, daß die Ramcke, ungeachtet er ihr dringende Vorstellungen über die Unwahrscheinlichkeit ihres Vorgebens, unschuldig zu sein, gemacht habe, fortgefahren, ihre Unschuld zu betheuern. Ferner bemerkte er: es sei ihm aufgefallen, daß sie, welche früher oft den Wunsch ausgesprochen, zum heiligen Abendmahle zugelassen zu werden, ihm unmittelbar vor ihrer Behauptung, unschuldig zu sein, erklärt habe, sie verlange nicht mehr nach dem Abendmahle.
Sie war damals krank und konnte daher nicht vernommen werden. Aber von einer andern Mitgefangenen, einer des Kindermords angeschuldigten Person, die mit der Ramcke bis da dasselbe Gefangniß getheilt, erfuhr das Gericht, daß die Ramcke nach dem letzten Verhör ungewöhnlich viel geweint, weil sie sich gar zu sehr gefürchtet, ihrem Manne gegenübergestellt zu werden: sie könne doch ihrem Manne Das nicht sagen, was sie ihm sagen solle; sie habe nur nachgesagt, was ihr Bruder gesagt, und das nur aus dem Grunde, weil sie sich nicht anders zu helfen gewußt. Ihr Mann habe vielleicht die Wahrheit gesagt, sie selbst und ihr Bruder aber hatten gelogen. Lieber, als ihrem Manne gegenübertreten, wolle sie gleich sterben. Hoch und heilig hatte die Ramcke versichert, daß sie nichts gethan, und sich nur schuldig bekannt, weil ihr Bruder sie in die Sache hineingezogen.
So die Angabe des Geistlichen und der Mitgefangenen. Selbst hat die Ramcke vor Gericht ihren Widerruf nicht abgegeben. Vielmehr ließ sie noch an demselben Tage durch den Arrestverwalter, aus freien Stücken, ihrem Inquirenten sagen: »sie wolle doch nur bei Dem bleiben, was sie früher gesagt; denn das sei die Wahrheit.« Bei dieser Aussage verblieb sie denn auch in der ganzen, langen Untersuchung – sie währte noch Jahrelang, eigentlich bis heute. Für den außergerichtlichen Widerruf wußte sie keinen andern Grund anzugeben, als daß sie gar zu bange gewesen vor ihrem Manne, und sie hätte es gern verhindern wollen, mit ihm zusammen zu kommen. Ramcke hatte damals schon, entweder in der Rolle eines Wahnsinnigen, oder wirklich wahnsinnig, seine Frau verleugnet, was sie nicht überwinden können. Sie hatte erfahren, daß er in seiner früheren Aussage die Schuld allein auf sich genommen. Der Gedanke, so mag er sie denn auch allein tragen, mag sie überschlichen haben. – Dennoch kann man nicht umhin, die Kraft ihres Zeugnisses durch diesen Widerruf um etwas geschwächt zu betrachten. Das unglückliche Weib schwankte zwischen zwei Aengsten, die vor ihrem Manne und die vor dem Gerichte, dessen Ueberredungsfoltern sie durch zwei Jahre kennen gelernt hatte.
Jochim Hinrich Ramcke's Benehmen nach der That war wunderlich genug und mußte Verdacht erregen.
Statt der Stiefmutter beizuspringen, als sie ihn geweckt, statt nach dem Feuer zu laufen, schrie und jammerte er, als sei ihm das Unglück widerfahren. Er begleitete die Abschiederin nach dem Bornholdt'schen Hause, statt, was natürlicher, sie in seinem eigenen aufzunehmen, aber schon nach den ersten Schritten fiel er in Ohnmacht (oder fingirte die Ohnmacht) und sank auf den Rasen. Nachdem er sich etwas erholt, stieg er auf das Dach seines Hauses, um die Funken zu löschen, die etwa vom Abschiedshause herüberflögen. Oben aber ward ihm übel; er mußte um Hülfe rufen und sich herunterhelfen lassen. Er legte sich ins Bett, blieb dort den folgenden Tag und empfing darin die Gerichtsbeamten. Er war sehr ängstlich, sagte, er wisse Niemand, auf den er Verdacht werfen könnte, sprach aber viel von der Anhänglichkeit, welche er und sein Weib für die Abschiederin immer gehabt. Am folgenden Tage machte er mit seiner Frau einen förmlichen Besuch bei der Verwundeten, faßte dort die Hand des kleinen, todten Kindes und verwünschte unter Thränen den ruchlosen Thäter.
Auch nachdem er am dritten Tage verhaftet worden, zeigte er vor den Richtern die tiefste Rührung, schluchzte und weinte, und beklagte Kind und Mutter, die so viel leiden müssen. Er brach, besonders in den spätern Verhören, auf die leidenschaftlichste Weise unter Heulen, Schluchzen und den heftigsten Gestikulationen, in Unschuldsbetheuerungen aus. Dies stimmte wenig zu seiner Art. Er war sonst ein harter, schroffer, praktisch tüchtiger und thätiger Mann, der nicht viel vom Gefühlskram hielt. Dagegen bemerkte der Arrestverwalter, daß er im Gefängniß, wenn er allein war, guten Muths scheine und viel singe und gröle.
Auch in den Verhören änderte sich oft sein Wesen. Jetzt rief er, er sei seines Lebens satt und müde; wenn er was wüßte, würde er es ja sagen, man möchte ihn nur morgen schon richten, wenn man es verantworten könne, dann wolle er hingehen und unschuldig leiden, wie unser Herr Christus gethan. Dann ward er trotzig, erklärte, er sei doch Herr in seinem Hause und könne darin thun was er wolle (bezüglich auf sein Aufstehen in der Nacht); er schlug mit geballter Faust auf die Brust und rief:
»und wenn auch der Teufel ihn hole, sei er doch unschuldig.« Zur Aussage seines Schwagers lachte er höhnisch; der sei ihm der Rechte, der habe seinen Verstand nicht, und wenn der sage, daß er mit dem Beil ins Abschiedshaus gegangen, so wolle er man gleich sagen, daß sein Schwager es gethan, und daß der das Beil gehabt. Dabei blinzelte er ihm wahrend der Confrontation zu, und suchte ihn einzuschüchtern, indem er ihn mit Schimpfworten überhäufte. Seine Frau nannte er eine gute Seele, wenn die das sagen könne (daß er in der Nacht aufgewesen), dann wolle er es glauben, sonst nicht.
Man zeigte ihm die Leiche seines Kindes (20. Oct. 1837) mit dem wunderbaren Muttermaal auf der Stirn. Der Himmel selbst schien zu sprechen in den Wunden, die es dem todten Wesen aufgedrückt. Er war heftig erschüttert, heulte laut auf, aber leugnete fortwährend. Die sehr oft gegen ihn verhängten Strafen des dreitägigen Wassers und Brotes und der Anlegung einer schweren Kette halfen zu nichts.
Als man ihm (21. August 1838) eröffnete, daß seine Frau bekannt, wechselte er die Farbe und konnte die äußerste Unruhe nicht verbergen; er zerrte krampfhaft am Zipfel seiner Jacke und der Angstschweiß brach heraus. Er konnte nicht glauben:
»dat dat lütte Mensch (das kleine Weib) wirklich etwas gegen ihn gesagt haben solle.« Nun ward ihm die Frau wirklich gegenüber gestellt. Man fragte ihn, ob er die Person kenne?– Graba, dessen actenmäßiger Darstellung wir bisher im Allgemeinen gefolgt sind, bemerkt hier, daß dies eine sehr überflüssige und schädliche Frage gewesen, die Ramcke vielleicht den ersten Anlaß zur spätern Fiction des Wahnsinns gegeben, indem er gesehen, welchen Eindruck es hervorgebracht, daß er, um sich aus der ersten Noth zu helfen, seine Frau nicht kennen wollte. Wirklich, von Leichenblässe Übergossen, fixirte er sie mit stierem, ängstlichem Blicke, suchte sich ihr zu nähern und fragte dann:
»Bist du Ramcke seine Frau aus Halstenbeck?«– Als sie, unwillig und entrüstet, sagte:
»Ja, das bin ich!« radottirte er, sie sei verändert, der Kopf scheine ihm größer und der Körper kleiner und dicker geworden. Sie sagte ihm mit großer Rührung, daß sie jetzt Alles freimüthig eingestanden habe, und daß ihr seitdem viel besser zu Muthe sei, indem sie sich doch nun wieder auf Gott verlassen könne. Er aber leugnete fortwährend, stierte sie mit finstern Blicken an und suchte sie einzuschüchtern. Der Richter glaubte ihn dafür nicht besser strafen zu können, als indem er ihm das Federbett, welches er in sein Gefängniß mitgebracht, entzog und ihn in ein isolirtes Gefängniß versetzte. Ramcke betrug sich roh und frech, trillerte Gassenhauer und sang dem Inspector ins Gesicht:
Hab' ich kein Federbett,
Schlaf ich auf Stroh;
Sticht mich kein' Feder in den Arsch,
Beißt mich kein Floh!
Endlich gerieth er in das Bekennen; den Blutfleck in seinen Kleidern fing er an einzuräumen, hatte aber vielfache Erklärungen dafür; seine Kuh habe gekalbt, ein Pferd sei gestürzt. Er gerieth in Widersprüche und ward dafür wiederholentlich gestraft durch Setzung auf Wasser und Brot. Die harte Behandlung schien zu wirken. Am 22. November ließ er den Landdrosteisecretair v. Thaden um eine Unterredung bitten. Er erklärte, ihm Alles gestehen zu wollen und bekannte schon außergerichtlich die That. Dann, vor den Landdrosten vorgeführt, warf er sich auf die Knie und bekannte nun in folgender Alt:
»Ich habe es gethan, und ich will nun Alles gestehen. Sie waren Alle auf, mich zu verhetzen in Halstenbeck; wir mußten arbeiten wie Sklaven, und sie (die Abschieder) konnten sich pflegen und hatten somit gute Tage. Es war zu viel, dieser Abschied, es ist wahr, es war zu viel!– und darum mußte ich es thun, ich konnte nicht anders.
»Todtmachen mit dem Beile wollte ich die Stiefmutter nicht: ich wollte sie aufhängen vermittelst eines Schweep, worin ich einen Ring gehängt hatte. Ich hatte sie zweimal beim Kopfe gefaßt, um sie aufzuhängen, es wollte mir aber nicht glücken, weil ich die Schweep nicht festmachen konnte. Da wurde ich so hitzig, daß ich wieder aus der Döns ging und das Beil holte, welches ich draußen hatte liegen lassen, und damit schlug ich nun im Dunkeln auf Mutter und Kind.
»Die Alte mußte ich umbringen, das hatte mir immer auf dem Leibe gelegen, und thun mußte ich es. Wäre es damals nicht geschehen, so hätte ich es ein anderes Mal gethan. Unterlassen konnte ich es einmal nicht; denn der Abschied war zu viel, und die Betrügerei und Prellerei, die dabei stattgefunden, waren zu groß.
»Das Kind habe ich eigentlich nicht mit todtmachen wollen; ich traf es aber mit dem Beile, und als es darauf anfing zu schreien, so schlug ich auch mit dem Beile im Dunkeln so lange darauf los, bis ich es tod glaubte und das Schreien nachließ. Mein Wille war es sonst aber nicht, das Kind auch mit zu tödten, denn ich hatte an das Kind anfangs gar nicht gedacht, und erst als ich das Schreien hörte, schlug ich in meinem Eifer auch mit darauf zu.
»Ach Gott! ach Gott! ich weiß wol, daß ich mich stark versündigt habe, aber es war gar zu arg; alle Halstenbecker waren gegen mich und hielten es mit der Abschiederin: sie stachelten Alle auf mich,– und ich mußte sclavisch arbeiten, während die Abschieder gute Tage hatten. Sonst habe ich nie die Gedanken gehabt, Jemand umbringen zu wollen, aber die Alte mußte ich umbringen, ich konnte da nicht umhin. Sie wollten mir da alle Roth anthun, und ich mußte dreschen und arbeiten, während sie sich guter Tage pflegten: darum gaben auch zuletzt mein Herz und meine Gedanken es mir ein, daß ich es thun mußte. Die Noth hatte mich dazu getrieben; wäre es ein ordentlicher Abschied gewesen, so würde ich nicht auf solche Gedanken gekommen sein, er war aber zu groß, und darum konnte ich es nicht ertragen, sondern mußte es thun.
»Wäre ich doch nie nach Halstenbeck gekommen! Ich bin nun ein so großer Missethäter! Aber was sollte ich thun? Die Roth hat mich dazu getrieben, ich wußte mir nicht anders zu helfen. Ich war da recht in einer Bande in Halstenbeck, und Alle hatten es auf mich abgesehen. Sie hielten Alle mit den Abschiedern, und daß ich so erbittert wurde, daß ich es zuletzt thun mußte und alle die Schandthaten ausübte.
»Nun wollte ich aber doch auch, daß das Gericht für mich bitte, daß Gott sich meiner wieder annehme. Ich habe den Teufel nun bei Seite geworfen und mich wieder zu Gott gewendet. Heute Morgen erhielt ich eine Flage, wie ich noch nie gehabt habe. Die Hände und Beine zitterten mir, und das Herz wollte nicht wieder zur Ruhe kommen, bis ich es gesagt hatte.
»Daß ich nach dem Halstenbecker Kram hingegangen bin! Blos um meiner Frau willen bin ich dahin gezogen. – Als ich sie das erste Mal gesehen, hatte ich mich gleich in sie verliebt und darum wollte ich sie denn auch haben. Meine alte süße Frau! Was sie wol sagt? – Sie weiß von nichts, und sie hat das auch Alles nicht so gewußt, wie die Leute in Halstenbeck gegen mich dachten und gesonnen waren.
»Seit der letzten Zeit vom Winter hat es mir schon immer im Sinne gelegen, daß ich die Stiefmutter umbringen müßte. Ich bin einige Male schon Abends, ehe ich zu Bette ging, hingegangen und habe durch das Fenster hineingesehen, wo sie war; es war aber immer meine Absicht, sie aufzuhängen, sie aber mit dem Beile zu »mördern«, das hatte ich Anfangs gar nicht im Sinn.
»Am Abend vorher, ehe ich es that, war ich auch hingegangen und sah durch das Fenster hinein, wo die Stiefmutter war; ich hatte es mir damals schon vorgenommen, es in jener Nacht zu thun und mit dem Gedanken ging ich darauf auch zu Bette. Als ich schon kurze Zeit im Bette gelegen hatte und meine Frau eingeschlafen war, stand ich wieder auf und zog das blaue Zeug an, das auf dem Hilgen gelegen hat. Als ich das Zeug hinter dem Ofen angezogen hatte, ging ich aus der Dönsenthür hinaus nach der Diele, nahm hier aus dem Schrank das darin befindliche Beil meines Knechtes Jochim Hinrich Brandt und ging damit unten durch die große Thür nach der Straße hinaus. Von hier nahm ich meinen Weg weiter durch die Twiete längs des Hauses nach der großen Thür des Abschiedshauses, und nachdem ich hier mit Hülfe des Beils ein Bret abgebrochen hatte, das neben der großen Thür vor einem Lukloche vorgenagelt gewesen, kroch ich durch dieses Loch in den dahinter gelegenen Schweinestall, unten links von der großen Thür nach dem Bornholdt'schen Hause zu, und ging darauf weiter nach der Diele hinauf. Hier steckte ich nun erst beim Feuerherd der Luth eine ihr gehörige und im Schornstein hingehängte Lampe an, holte darauf von dem an der Luth'schen Seite befindlichen Hilgen eine Harke und eine Forke und ging darauf, nachdem ich mit der Forke die Klinke an der Luth'schen Stubenthür zugesteckt, und mit der Harke, über welche ich einen ebenfalls dort vorgefundenen alten Rock gehängt, das Fenster dieser Thür von außen bedeckt hatte, und nachdem ich sodann den Fensterschrank auf der andern Seite der Dönsenthür der Abschiedsstube durch Einbrechen einer Glasscheibe solchergestalt mittels Hineinsteckens meines Arms die von innen zugehakte Dönsenthür losgemacht hatte, nach der Döns selbst hinein, um die an der Stiefmutter beabsichtigte That zu verüben und sie mittelst der vom Hause mitgebrachten Schweep zu erhängen. Ich machte darauf, wie schon gesagt, zweimal den Versuch, der Stiefmutter die Schweep um den Hals zu bringen und bemühte mich zu dem Zweck, das eine Ende derselben unter ihrem Halse durchzustecken, indem es meine Absicht war, wenn mir dies gelänge, das durchgebrachte Ende der Schweep durch einen am andern Ende derselben befindlichen eisernen Ring zu ziehen und es so möglich zu machen, durch Herüberziehen der Schweep über die offen stehende Bettthür die Stiefmutter im Bette aufzuhängen. Da sie indessen mit dem Kopf schüttelte, und ich die Schweep nicht unter dem Hals durchbringen konnte, so ging ich wieder hinaus und holte das Beil, welches ich draußen bei der großen Thüre an der Wand, wo ich das Bret abgebrochen, hatte stehen lassen und mit diesem Beile verübte ich darauf die That. Ich schlug im Dunkeln auf die Stiefmutter ein, und wenn ich zwar nicht genau sehen und merken konnte, wohin meine Hiebe fielen, so weiß ich doch, daß es meine Absicht war, sie über den Hals zu hauen, und daß der Hieb, den sie am Hals hatte, darum auch wol der erste gewesen, den ich ihr beibrachte, wie sie denn auch nach diesem Hiebe eine Art Röcheln hören ließ, als wenn ihr die Luft weggegangen wäre. Als ich ihr den ersten Hieb über den Hals versetzt hatte, war ich so in Hitze und Wuth, daß ich ihr gleich darauf noch mehre Hiebe versetzte, bei denen sie jedoch keinen Laut weiter hören ließ. Beim Hauen auf die Stiefmutter kam ich mit dem Beile auch dem kleinen Kinde zu nahe, was ich daraus abnahm, daß ich es schreien hörte. Da dachte ich denn, dem Kinde gleich auch so viel geben zu wollen, daß es genug habe, und da schlug ich denn auch auf das Kind so lange ein, bis es genug hatte. Da weder die Mutter noch das Kind einen Laut weiter von sich gaben, und ich nun deshalb glaubte, daß kein Leben mehr in ihnen sei, ging ich wieder aus der Dons hinaus, steckte mit der Lampe, die ich mittlerweile vor den Schornstein des Luth'schen Feuerherds hingehängt hatte und mit welcher ich vor dem Weggehen noch nach der Dons hineinleuchtete, um mich zu überzeugen, ob die Beiden auch todt seien, darauf auf der Diele das auf dem Hilgen an der Luth'schen Seite befindliche Stroh in Brand und ging dann, nachdem ich mich überzeugt hatte, daß das Stroh gehörig gezündet habe, durch die große Thür, die ich schon gleich Anfangs von innen aufgemacht hatte, wieder aus dem Abschiedshause hinaus und auf demselben Wege, den ich gekommen war, nach meinem Hause zurück und durch die große Thür von der Straße her über die Diele nach der Döns hinein. An einer Tonne mit Wasser, die vor den Pferden auf der Diele nach oben zu steht, spülte ich das Beil, welches ich bei der That gebraucht, von dem Blute, das darauf gewesen sein mag, rein, und ließ es dann neben der Tonne liegen. Das Zeug, das ich angehabt hatte, zog ich aber, ehe ich noch nach der Döns wieder hineinging, draußen auf der Diele aus und warf es nach dem Hilgen hinauf, weil ich besorgte, daß von der That Blut darin sein könne. Nachdem ich das Zeug auf den Hilgen geworfen, legte ich mich bei meiner Frau wieder zu Bette, und nachdem ich darauf hier eine ziemliche Zeit gelegen, ohne daß ich jedoch sagen kann, wie lange, so hörte ich das Klopfen an's Fenster, worauf denn Alles, wie es dem Gericht bereits bekannt, sich zugetragen.
» Mit meiner Frau und meinem Schwager habe ich wegen dieser That nichts zu schaffen gehabt; ich habe die That ohne deren Mithülfe allein verübt, und ihnen ebenso wenig davon gesagt, daß ich die That verüben wolle.
»Daß ich hier so lange gesessen, ohne etwas zu gestehen, das habe ich den Andern da in Halstenbeck zu »Schabernack« gethan. Weil ich sah, daß sie doch Alle auf mich hackten, und auf mich besessen waren, so wollte ich es darum nicht sagen. Daß ich es aber doch gestehen müsse und nicht wieder freikommen werde, das dachte ich mir schon gleich den ersten Tag, als ich hierher kam.
»Meine Muter hat es mir schon manches Mal gesagt: ich müßte mein Brot wol noch weit suchen in der Welt, die Zähne stünden mir im Munde so weit auseinander. Ihr hat wol schon gleich nichts Gutes geahnet, und sie hat es sich darum auch wol schon gedacht, daß es so weit mit mir kommen werde.
»Ich bin ja nun freilich schlimm dran; aber Gott hat es doch wol so gewollt, und Gott wird dann auch wol Diejenigen strafen, die die erste Schuld an dem Unheil gehabt haben.
»Die Schweep, mit der ich die Stiefmutter aufzuhängen versuchte, und die ich in meiner Tasche bei mir hatte, als ich nach dem kleinen Hause ging, war von ziemlicher Stärke und Länge. Hinrich, der mitunter wol solche Schweepe für Peitschen macht, hatte auch diese gedreht, und ich hatte sie aus seiner Lade genommen. Den eingeknoteten Ring hatte ich gelegentlich mal irgendwo gekrigt, ich weiß augenblicklich nicht so genau, woher. Ob ich die Schweep im kleinen Hause gelassen, oder ob ich sie mit zurückgebracht habe, weiß ich nicht zu sagen.
»Als ich bei Begehung der That in der Döns des kleinen Hauses mich befand, war ich zwar im Dunkeln, indessen warf von draußen die zurückgelassene Lampe doch einen leichten Schein nach der Döns hinein, und erinnere ich mich namentlich, daß ein Lichtstreifen davon über das Bett fiel.
»Nach verübter That holte ich indessen von draußen noch die Lampe nach der Thür herein und leuchtete damit nach dem Bette hin. Als ich nun sah, daß die Altsche und das Kind Beide ganz still lagen und sich nicht rührten, dachte ich gewiß, daß sie todt wären und ging weg, ahnete aber nicht, daß sie noch kommen sollten, an das Fenster zu klopfen.
»Wegen des Zeuges, das ich gleich nach meiner Rückkehr auf den Hilgen geworfen hatte, stieg ich weiter am Morgens nochmal eigends wieder nach dem Hilgen herauf, um es unter die dort liegende Heede zu verstecken und wird meine Frau es dort auch gefunden haben.
»Ich bitte nochmals, daß das Gericht sich meiner jetzt annehme und mir beistehe, so viel es kann, und dann will ich auch noch hoffen, daß der Herr Propst für mich bitten wird, daß Gott mir wieder gnädig sei.«
Er schloß alsdann mit dem Verse aus dem Gesangbuche:
Herr, ich habe mißgehandelt,
Ja mich drückt der Sünden Last.
So Jochim Hinrich Ramcke's erstes, vollständiges Bekenntniß, abgegeben am 22. November 1838, etwa ein und ein halbes Jahr nach der That; auch nachdem er Mannichfaches in seiner langen Gefangenschaft erduldet, was einer Folter nicht unähnlich ist: die oftmalige Setzung auf Wasser und Brot, wenn er mit der Wahrheit zurückhielt und sich in Lügen verstrickte, die Entziehung seines Federbettes, für den Bauern eine Seligkeit, das Anlegen einer schweren Kette und von Handklötzen, die moralische Tortur, als man plötzlich im Verhör das Tuch aufhob und ihm sein neugeborenes Kind todt, mit wunderbaren Muttermalen bedeckt, zeigte. Dennoch spricht aus diesem Bekenntniß, im Gegensatz zu dem seiner Frau, ein Etwas, das nicht durch einen geschickten Inquirenten gemacht wird, das nicht durch Kreuz- und Querfragen in den Inquisiten hineingepfropft werden kann, um wieder herausgefragt zu werden, vielmehr eine Wahrheit, die in der objectiven oder in der subjectiven Wirklichkeit ihren Grund hatte. In der Art, wie Ramcke bekannte, ergibt sich, daß er in dem Augenblick von der Wahrheit des von ihm Angegebenen überzeugt war. Es ist nicht Zwang, Druck, was ihn stoßweise Das von sich geben läßt, was zu halten er nicht mehr Kraft des Widerstandes genug fühlt. Es ist ein freiwilliger Strom des Bekenntnisses; es muß Alles heraus, was er weiß oder zu wissen glaubt, und es ist ihm eine Erleichterung, dies Alles mit einem Guß auszuwerfen. Der Einwand, daß dieser Guß erst von Dem gemacht sei, welcher die einzelnen Eruptionen gesammelt, und sie, nach seiner Einsicht geordnet, zu Protokoll gebracht, hält vor dem psychologischen Richter nicht Stich. Ein solcher Zusammenhang mit solchen warmblutigen Details laßt sich eben nicht machen, am wenigsten am grünen Tisch in der Gerichtsstube. Dazu gehörte dichterische Muße, eine beschauliche Stille, die selbst dem dichterischesten Inquirenten abgeht, wenn er, den Verbrecher in Ketten vor sich, dem Protokollführer dictiren muß. Seine Seele ist alsdann von ganz anderen Eindrücken gefesselt, oder vielmehr er muß die Eindrücke, die er mit den Augen und Ohren auffaßt, mit aller Geisteskraft aufzuhalten und für sich zu fesseln suchen, um sie getreu wieder auf das Papier bringen zu lassen.
Verbrechern von beschränkten Verstandeskräften, die von Angst und Phantasien geplagt werden, läßt sich Manches ausfragen, was nicht in ihnen liegt. Aber Ramcke war ein Mann von Verstand und praktischem Bewußtsein. Wenn die Phantasie eine irre Macht über ihn gewonnen hatte, so nahm sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht die Richtung oder den sonst wol vorkommenden Märtyrerkitzel an, sich selbst zu verderben. Er kämpfte und rang durch lange Jahre, sich selbst zu retten, und zu diesem Zwecke wühlte und grub seine Phantasie rings umher wie ein Fuchs in seinem Bau, bis vielleicht die Ueberanspannung diese Phantasie sich selbst völlig verwirren und daher fangen ließ. Aber in jenem Augenblicke trieb ihn weder die krankhafte Lust, sich selbst zu verderben, noch hatte der Richter eine solche Macht über ihn gewonnen, daß er ihm etwas aufreden können, was er nicht wußte, glaubte oder nicht sagen wollte. Es sind aber in dieser Erzählung solche Einzelheiten, solche positive Angaben, von denen bis da in den Acten (so weit wir sie kennen) nichts vorgekommen war, von denen der Richter also gar keine Kenntniß hatte. Die fertige Geschichte, welche nach Ladiges Aussagen der Ehefrau des Ramcke vorgelegt wurde und die sie nur bestätigte, paßte in vielen, und grade charakteristischen, Momenten, durchaus nicht zu den Angaben des letztgestehenden Verbrechers. Es war also keine fertige Norm und Chablone, vom Inquirenten bereit gehalten, um die Aussage Ramcke's dahinein zu drücken und streichen, wobei es denn mit kleinen Aenderungen nicht immer zu genau genommen wird; vielmehr waren solche Nova da, welche nur durch die wirkliche Erinnerung oder die Einbildungskraft Ramcke's ans Licht gebracht wurden, und mit denen die Eingebung eines argwöhnischen Richters nichts zu thun hatte. Dahin rechnen wir die Erwähnung der Schweep (Peitschenschnur), die damit versuchte Erdrosselung und das Einsteigen durch das Loch an der großen Hauptthür. Weder der Richter, noch irgend wer sonst hatte davon eine Witterung. Sie wußten nur, und konnten nur wissen von dem Einsteigen durch die Oberthür und von der Mordthat durch das Beil; wenn sie also durch Suggestiv- und alle Qualfragen der Inquisition dem mürbe gemachten Verbrecher sein Geständniß aufgedrungen hätten, würde dasselbe nur ein Accompagnement der schon fertigen und geglaubten Geschichte geworden sein. Auf diese Einzelheiten in den Angaben der Verbrecher, welche durch einen unwillkürlichen Impuls hervorkommen und sinnliche Wahrnehmungen enthalten, die kein Anderer bis da gemacht hatte, muß bei den Bekenntnissen ein besonderes Gewicht gelegt werden, welche als fremdartige Eingebungen verdächtigt werden. Der Richter muß in diesen Fällen Psycholog sein, und Das, was den Stempel ursprünglicher Wahrheit an der Stirn tragt, wohl in Acht zu nehmen und zu sondern wissen von Dem, was aus den Verhältnissen, den Umständen umher, der Einbildungskraft und Anderer Ueberredungskraft eingegeben sein kann. Hamachers Aussage im Fonck'schen Proceß war vielleicht als Compositum einer Fabel, viele Züge sinnlicher Wahrnehmung darin waren dagegen von einer Wahrheit, für die, wenn sie nicht aus der Wirklichkeit hervorgegangen, jeder Schlüssel dem menschlichen Verstande fehlt. So auch hier die Geschichte von der Schweep und dem eingeschlagenen Loche in der Hauptthür.
Am 22. November hatte Ramcke dies Bekenntniß abgelegt, aber schon am Tage darauf berichtete der Arrestverwalter, daß der Verbrecher unzusammenhängende Worte ausstoße, aus denen hervorgehe, daß er Alles, was er ausgesagt, für unwahr erkläre.
Vor den Richter geführt, begann er plötzlich:
»Da ist eine lustige Hochzeit gewesen in Halstenbeck ich weiß es wol, da ist ein Todter gewesen. Das ist Alles nicht wahr, was ich gestern gesagt habe. In das Loch, worin ich die Forke hineingesteckt, da hat ein Anderer die Forke zuerst hineingesteckt. Mit der Schweep, von dem ich gestern gesprochen, wollte meine Frau mich im Bette aufhängen. Ich habe eine nette Frau, nicht wahr? I, so eine Frau habe ich! Das Beil des Knechtes hatte sie erst naß gemacht und es dann bei der Tranktonne hingelegt. Mein Knecht, meine Dirne und Hinrich, die halten alle zusammen, und meine Frau, die thut auch, als wenn sie was von mir hielte. Wie ich bemerkte, daß meine Frau in Wochen sollte, da sah ich gleich, daß das Kind nicht von mir sei und daß ich nur den Namen als Vater hergeben solle. Ich habe sie selber gesehen, daß sie mit Hinrich Dircks allein nach der Kammer bei der Döns hingegangen ist. Das machte aber, daß ich so lustig war in der Gefangenschaft, wie mein Kind todt war, denn mein Kind war es ja nicht.«
Man glaubte, daß er sich verstelle. Man sagte es ihm, erklärte, daß er ärztlich untersucht werden solle und drohte, ihm die schwere Kette wieder anlegen zu lassen, welche, als Lohn für sein Geständniß, mit einer leichten vertauscht worden war. Er schien zu schwanken, nachdem er manches tolle Zeug vorgebracht, und schloß: Verrückt sei er nicht; aber es sei doch wahr, was er gesagt. Er habe das gestern nur Alles gesagt, um zu zeigen, wie er mit den Halstenbeckern dran sei.
In der Privatunterredung mit dem Landdrosteisecretair v. Thaden, welche dem Verhör am 22. November voranging, und in welcher er bereits außergerichtlich Alles bekannt hatte, wie er es nachher zu Protokoll gab, hatte sich Ramcke bereits im Allgemeinen über die Halstenbecker und auch über seine Frau beklagt, namentlich hatte er geäußert, es sei wol nicht immer mit rechten Dingen bei ihr zugegangen, sie habe wol auch mit andern Männern zu thun gehabt; er sei nicht Vater des Kindes, und sie werde nun wol einen andern Mann nehmen.
Ramcke ward von demselben Physicus, welcher die Leichenschau vollzogen, von dem Dr. Stalbom, untersucht, der ihn für geistig und körperlich gesund erklärte.
Am 27. November erklärte Ramcke, Das, was er am 22. gesagt, habe er zwar gesagt, aber es sei Alles unwahr:
»Sie haben mir ja Alle was auf den Leib gelogen, und da wollte ich ihnen nun auch einmal lügen helfen; denn ich meinte, das Gericht werde mir darum noch nichts, thun. Am ersten oder zweiten Tage darnach, als es passirt war, hatte ich Leute in meinem Hause davon sprechen hören, als wenn das Gericht auch wol mitunter Leuten was thue, die nichts gethan hatten, und wenn das Gericht zuweilen Einen man so nehme. Nun wollte ich darum aber auch mal recht dreist reden beim Gericht, weil ich gar nicht bange war, daß das Gericht mir was thun werde. Die Leute sprechen sogar davon, eine Frau in Stoweddes oder Stellingen solle gesagt haben, daß es nicht lange dauern werde, daß 'mal wieder ein Kopf auf den Pfahl komme. Ich sagte aber: das sei man ebenso viel.«
Man fragte ihn: wer jene Leute gewesen, die darüber gesprochen?
»Ich weiß nicht 'mal wer das war. – Sie erzählten auch davon, daß man im Gerichte Maschinen habe, auf welche man Menschen hinaufbringe und ihnen die Glieder auseinanderschraube, bis man gestehe und war das denn auch damals, daß meine Frau, als sie davon hörte, die Worte heraufschlug: daß, wenn sie so gequält werden sollte, sie lieber in den Sod springen wolle. – Mein Ohm Dieckmann meinte darauf jedoch, das habe keine Noth, so nehme man die Leute nicht. – Ich erklärte: darum wolle ich gleich hingehen und dreist Alles gestehen; denn wenn ich nur wieder sagte, daß es nicht wahr sei, und daß ich es nicht gethan hätte, so nähmen sie mir darum den Kopf doch noch nicht.«
Was er von dem Verhangensein der Luth'schen Thür angegeben, wollte er am andern Morgen von der Luth selbst gehört haben. Er war wieder trotzig und brutal, ohne daß eine dreitägige Brot- und Wasserstrafe ihn besserte.
Zum Gefangenwärter äußerte er: er wünsche wol noch einmal mit seiner Frau vorzukommen, er habe sie neulich nicht gekannt, weil sie so dick gewesen und blaß, darum wolle er sie gern wieder sehen. Den Richter bat er um ein Verhör, aber, statt zu bekennen, sagte er: er habe sich nur erkundigen wollen, ob da Geld in Halstenbeck gesammelt werde; sie hätten ja von Buttergeld und Kuhschatz geschnackt.
Er ward abermals fünf Tage auf Wasser und Brot gesetzt. Als er wieder warme Kost empfing, geberdete er sich so ungestüm, daß man ihn an einen Handblock schließen ließ. Auch da fuhr er fort zu grölen, pfeifen, trommeln, trampeln, stoßen und schlagen, und schrie laut auf: was er gethan, wolle er gestehen; er habe ein Bischen gestohlen, mehr könne er nicht sagen.
Ueber dies Betragen zur Rede gestellt, räumte er ein, daß er wunderlich gewesen, er habe das Fenster aufgemacht und den Teufel gerufen hereinzukommen, er wolle ihn tüchtig nahen, denn er sei gar nicht bange vorm Teufel. »Ich bin noch nie so gewesen und biß mir die Zähne im Kopf zusammen.« Gegen seine Frau ließ er sich immer schärfer aus: sie sei es gewesen, die sein Zeug auf den Hilgen geworfen, nicht er; sie habe es immer schlecht mit ihm im Sinne gehabt; sie habe die Flecken in sein Zeug gemacht, sie ihn aufhängen, ihn mit einem Messer, das sie gewetzt, umbringen wollen. Sie sei ein böses Weib; er habe sich das nur nicht merken lassen wollen. Dann bat er um eine andere Arrestkammer, er wolle gern sein Logis einmal verändern.
Statt dessen ward er aufs neue fünf Tage zu Wasser und Brot verurtheilt.
Es erscheint auffällig, wenn in der actenmäßigen Darstellung kein Misverständniß sich eingeschlichen, daß der Knecht Brandt erst jetzt über sein Beil vernommen worden, und erst jetzt angegeben haben soll, daß er dasselbe in der Mordnacht vergeblich auf dem Flecke auf der Diele gesucht, wo er's am Abende hingestellt, und daß er es erst am folgenden oder einem der nächsten Tage dort wieder gefunden habe. Ramcke erkannte dies Beil sogleich für das seines Knechtes, und das Erste, was er that, war, den Rost von einem Flecke mit dem Nagel seines Fingers abzukratzen. Er fragte, was das für ein Flecken sei, von Blut könne er doch nicht herrühren. Entweder der Blutflecken, oder die neu ihm angedrohte Wasser- und Brotkost bewog ihn auf's Neue dem Secretair v. Thaden ein außergerichtliches Geständniß seiner Schuld abzulegen, welchem ein vollständiges gerichtliches am 12. Januar 1839 folgte. Im Wesentlichen stimmte es mit jenem ersten; nur in einzelnen Punkten gab er andere oder ergänzende Umstände an.
Es hatte ihn längst getrieben, die Abschiederin umzubringen. Mehrmals war er Abends an ihrem Fenster vorbeigeschlichen, um zu sehen, was sie mache. Schon am Sonnabend und Montag vor der Mordnacht hatte er die That auszuführen beschlossen, aber beide Male die Zeit verschlafen! Indessen entschloß er sich fest, in der Nacht auf den Dienstag sie auszuführen, weil sonst die günstige Zeit verstreiche, wo der Zimmermann Ramcke und der Luth abwesend waren. Er nahm dazu sein blaues Zeug aus dem Koffer, und legte es nebst den Schuhen hinter den Ofen der Döns. - Als er durch die Luke an der großen Dielenthür eingebrochen war, ließ er seine Schuhe dort zurück und schlich auf den Socken im Dunkeln (nach der ersten Angabe hatte er sofort die Lampe vom Luth'schen Herde angezündet) nach der Stube der Abschiederin. Er öffnete die Thür, wie er vorhin angegeben, durch Eindrückung einer Scheibe, gab aber jetzt genauer an, wie er die Bleieinfassung zurückgebogen, und dann das Glas herausgenommen, welches bei der Gelegenheit in zwei bis drei Stücke gebrochen wäre. In der ganz dunkeln Stube konnte er sich nur zurecht finden, weil er die Oertlichkeit genau kannte. Die Bettthüren ganz öffnend und mit der Hand sich zurecht fühlend, suchte er die Schweep unter dem Halse der Abschiederin durchzubringen. Als es nicht gelang, holte er sein Beil, indem er zugleich wieder die Schuhe anzog. Jetzt erst will er, nach dieser zweiten Aussage, die Lampe angezündet haben, und zwar nicht, wie er vorhin angab, am Luth'schen Herde, sondern an dem der Stiefmutter (welche das Feuer darauf am Abende »eingerückt«, mit Asche überschüttet haben will), und machte jetzt erst die Vorkehrungen an der Luth'schen Thüre. Das eigentliche Schlachtwerk schilderte er wie vorhin; es sei übrigens etwas hell gewesen, da der Lampenschein durch's Fenster in das Zimmer drang. Dabei habe er gesehen, daß Mutter und Kind mit den Köpfen dicht aneinander im Bett gelegen. (Nach der Mutter Angabe war das Kind herabgerutscht und lag mit seinem Kopfe auf ihrem Leibe.) Er haspete beim Weggehen weder die Stubenthür zu, noch verdeckte er den Fensterschrank, glaubte aber ein Stück Gardine daran hängen gesehen zu haben.
Sonderbar klingt diesmal seine Antwort auf die Frage: warum er das Haus angezündet? Er habe sich das so wenig vorgenommen, als das Kind zu tödten. Er habe es nur gethan, weil es ihm nicht gelungen wäre, die Mutter aufzuhängen, und er auf die Weise dazu gekommen, die Mutter zu mördern.
»Ich kann nicht weiter sagen, wie ich dazu kam, das Haus in Brand zu stecken, und weiß nicht anders, als daß unser Herrgott mir das so eingegeben. Meine Gedanken sind es ja freilich wol gewesen, daß ich das Haus in Brand steckte, damit Niemand die That entdeckte - ich habe das Alles mehr so in meinem Eifer und meiner Ruchlosigkeit hingethan.«
Diese modificirte zweite Aussage laßt sich ganz wohl mit seiner ersten vereinigen. In den Einzelheiten dürfte ihm Manches in so langem Zwischenräume (fast zwei Jahre) entfallen sein, was er sich dieses Mal auf die eine, das andere Mal auf eine andere Weise auslegte. In der Hauptsache verstärkte das zweite Geständniß nur das erste.
Wenn aber damals schon ein Zweifel darüber obwaltete, wie seine Angaben von der Ausführung der That mit denen seiner Frau und seines Schwagers in Einklang zu bringen seien, so ward dieser Zweifel ungleich bedeutender, als er diesmal mit der vollkommensten Ruhe und in vernünftigem Zusammenhange folgende Erklärung abgab:
» Ich habe die That ganz allein beschlossen und ausgeführt; das ist so wahr, als ein Gott im Himmel lebt, und dabei muß ich bleiben und kann nicht anders sagen, wenn ich nicht von der Wahrheit weichen will. Daß ich meinen Schwager Hinrich im Frühjahre vor der That vielleicht gelegentlich 'mal aufgefodert, daß er nichts sagen solle, wenn da 'mal was passire, und daß ich ihm 50 Mark versprochen, wenn er darüber schweigen werde, will ich nicht gerade leugnen, indessen weiß ich mich doch nicht darauf zu besinnen und jedenfalls muß ich dabei bleiben, daß ich ihm keine nähern Mittheilungen darüber gemacht habe, wie ich die That auszuführen gedenke, und daß er ebenso wenig damals oder später von mir aufgefodert ist, Theil an der That zu nehmen. Und ebenso wenig habe ich denn auch mit meiner Frau darüber gesprochen, daß ich es im Sinne hatte, die Stiefmutter aus der Welt zu schaffen. Daß es mir auf dem Leibe gelegen, die That zu thun, das mag meine Frau schon wol früher gemerkt haben, da ich den Kopf schon immer voll davon hatte, sodaß ihr meine argen Gedanken wol nicht verborgen geblieben, - aber weder vor, noch nach der That habe ich mit ihr darüber etwas Bestimmtes gesprochen - und so wenig wie sie mich darnach gefragt, so wenig habe ich ihr in solcher Hinsicht etwas Weiteres mitgetheilt.« Auf den Vorhalt der Unglaubwürdigkeit dieser Aussage verlangte er mit seiner Frau zu sprechen.
Daß diese Sprache, wie sie niedergeschrieben, nicht die ursprüngliche Jochim Hinrich Ramcke's, sondern in die gebildete Actensprache übersetzt ist, kann hier nichts dazu beitragen, ihre Glaubwürdigkeit anzutasten. Der Richter konnte dies nicht erfinden oder dem Inculpaten einreden, er ließ nur niederschreiben, was dieser positiv versicherte, mit um so bestimmterem Ausdrucke, als ihm selbst Ramcke's Versicherung deshalb unglaublich vorkam. Aber Ramcke ging in diesem Verhör in eine eigenthümliche religiöse Stimmung über. Er schien ruhig und klar, aber auf die Frage: weshalb er denn sein erstes Geständniß zurückgenommen, erwiderte er, daß Gott ihm das so eingegeben und daß er also darüber nichts weiter sagen könne. Er betheuerte dann, daß er ein ganz guter Mensch sei, nur etwas hitzig. In der Hitze habe er die Stiefmutter mit der Schweep aufhangen wollen; nun habe es unser Herrgott gegeben, daß es eine große Bosheit geworden, da er Mutter und Kind mit dem Beil gemordet. Er meinte mit der Schweep sei es doch nicht so hart als mit dem Beil.
Es war noch kein Monat verflossen, als er beim Verhör (7. Febr. 1839) erklärte, er befinde sich jetzt viel besser. Im Gefängniß sei es ihm immer vorgekommen, als ob das Ganze ein Mehlstaub gewesen, worin er sich befunden.
Aufgefodert, sich deutlicher zu erklären, brach er in folgende Worte aus:
»Excellenz sagte mir ja, ich könnte hier sitzen, daß ich schwarz werde, wenn ich nicht gestände; wenn ich aber gestände, dann könnte ich wieder frei werden und nach Halstenbeck kommen. Da ich es nun aber in meinem Gefangniß durchaus nicht aushalten kann, so habe ich darum denn gestanden, und meinte, daß ich nun frei kommen sollte. Daß meine Frau und Schwager aufgewesen sind, davon weiß ich nichts; ich bin einmal aufgewesen, zu pissen; das ist die Wahrheit, weiter aber ist nichts wahr und habe ich das Uebrige ausgesagt, weil ich glaubte, daß ich dann freikommen werde und weil ich es nicht mehr aushalten konnte in meinem Gefängnisse.»
Befragt, weshalb er es in seinem Gefängnisse nicht aushalten könne, gab er diese Erklärung ab, welche als der erste Ausbruch seines Wahnsinns, des wirklichen oder fingirten, betrachtet wird:
»Es kommt mir accurat so vor, als wenn ich in einer Mühle bin und wenn Alles um mich herum Staub wäre; und das Holz, das singt um mich und riecht, als wenn ich in einem Sarge wäre, und als wenn ich einen Todten bei mir hätte. Ich kann da keine Luft in krigen und kann darin nicht dauern. Es kam mir eine Zeit lang so vor, als wenn ich immer vergebenes (vergiftetes) Butterbrot bekam. Kann ich nicht vielleicht nach Nr. 3 oder nach Nr. 6 kommen? Nein, nach Nr. 4 will ich nicht; ich will nach meiner Frau; das ist meine kleine, süße Frau; ich will mit ihr nach Halstenbeck. Ich habe schon immer gesagt, daß ich sie sprechen will. - Kann ich denn nicht dahin kommen, wo meine Frau sitzt? - Wenn ich auf bin, friere ich für Gewalt und wenn ich im Bette liege, brenne ich.« - Er wolle hier nicht länger sitzen, fuhr er fort; was thue er hier zu sitzen; sein Gewissen sei rein; er sei blos aufgewesen, um zu pissen - er habe so klar (fertig) werden können und habe die Andern nicht dazu gebraucht; es sei das größte Unrecht von der Welt, daß man ihn hier sitzen lasse.
Etwas Vernünftiges war nicht aus ihm herauszubringen. Die Brot- und Wasserstrafe half nichts; sein Benehmen im Gefängnisse ward ein wüstes Toben, er beschwerte sich über Alles, er zerbrach, zerschlug, kratzte den Kalk von der Wand, daß der Kalkstaub weit umher verbreitet war, verlangte durchaus seine Frau zu sprechen, und schrie einmal der Botenfrau zu: sie solle ihr Grüße bringen, sie solle sich nicht um seinen Kram bekümmern, sein Gewissen sei rein.
Die Verhöre schleppten sich den Sommer 1839 hindurch ohne Erfolg. Er wiederholte, nur darum gestanden zu haben, weil der Richter ihm gesagt, er solle sitzen bis er schwarz werde, und er es doch im Kerker nicht mehr aushalten könne. In seinen vier Wanden grölte er und sang, rasselte mit den Ketten, zerschlug die Fenster, zog sich nackt aus und riß an seinen Kleidungsstücken.
Inzwischen kamen in andern Verhören wieder insoweit wenigstens vernünftig scheinende Reden, daß er bei der Hauptsache blieb. Er verharrte dabei, daß er in der Nacht aufgewesen, aber nur um zu pissen. Frau und Schwager seien nicht aufgewesen; er müsse das besser wissen, er sei Herr über sie Beide. Durch Zwang und Drohung sei er nicht veranlaßt worden, das Zeugniß abzulegen, aber er sei des Lebens hier satt. Man solle ihn nur ins Zuchthaus bringen, nach Glückstadt, je eher je lieber, hier verkomme er unter den Pferdedecken.
So weit hatte die Landdrostei, das inquirirende Gericht, die Untersuchung geführt, und übersandte, da es durch Verhöre nichts mehr herauszubringen hoffen durfte, die Acten nach 2 [1/2] Jahren an das holsteinische Obercriminalgericht. Dieses verfügte noch eine Confrontation der Eheleute und mit dem Schwager.
Mit Ladiges zusammengebracht, benahm Ramcke sich etwas brutal. Die Confrontation war ohne Erfolg. Ramcke erhielt drei Stockhiebe wegen seines Benehmens, was ihn indeß nur noch wüthender machte. Auch scheint ihn eine neue fünftägige Wasser- und Brotstrafe nicht abgekühlt zu haben.
Ebenso erfolglos lief die Confrontation mit der Frau ab. Als sie ihm den ganzen Hergang umständlich erzählte, sagte er:
»Ach was; das ist Alles dummer Schnack und du kannst ja nichts weiter sagen, als daß ich 'mal aufgewesen bin, zu pissen, und weiter nichts. Denke du man daran, daß ein Gott im Himmel ist und lüge du mir nichts auf den Leib. Ich lüge dir nichts auf den Leib und dem kleinen kümmerlichen Stockel auch nichts; und wenn die Obrigkeit dazu gesetzt ist, Recht zu thun, so darf sie doch keinem Menschen Gewalt anthun und einen hier so hinschinden lassen. - Ich verlange solche Frau nicht; sie lügt mir was auf den Leib und von dem Allen ist nichts wahr von dir. Ich will anderer Leute Hund nicht sein. – Ich habe hier um Stoldt seinen Zimmergesellen lange genug gesessen und ich will da nicht länger für leiden.«
Das articulirte Verhör in der Specialuntersuchung brachte nichts mehr zu Tage, im Gegentheil strotzten Ramcke's Antworten von Widersprüchen und trotzigen Behauptungen hinsichts unbedeutender Nebensachen. Er wiederholte, er sei der ewigen Verhöre müde, er wolle sich nicht hinschinden lassen, er sei in einem Heiden- und in keinem Christengericht.
Nachdem somit der Beweis aus den eigenen Aussagen der Mitangeschuldigten erschöpft war, kam es auf die Incidenzpunkte an, welche die Geständnisse des Schwagers, der Frau und Ramcke's selbst unterstützten.
Ramcke's Mutter war während des Processes (im August 1838) angeblich aus Gram gestorben. In ihrem Testamente hatte sie den Sohn enterbt. Auch sein Bruder Peter hatte seinen Verdacht gegen ihn ausgesprochen.
Es ist kein anderes Individuum, auf welches der Verdacht geworfen werden könnte. Von allen den Personen, auf welche Ramcke selbst hindeutete, ward erwiesen, daß sie die That nicht verübt haben konnten.
Ramcke allein hatte ein Interesse, daß die Abschiederin starb. Der Altentheil war so groß und sie noch so jung. Er selbst hatte zwei Mal eingestanden, daß diese Last ihn furchtbar gedrückt, ihn wüthend gemacht; auch seine Frau, auch Ladiges hatten gestanden, daß er darüber geklagt. Selbst zu seiner eigenen Mutter hatte er sich bitter über diese Verpflichtung beschwert, Ramcke, der selten ins Haus der Abschiederin kam, war an beiden, dem Morde vorangehenden Tagen dort eingesprochen. Am Montag hatte er sich erkundigt, ob auch das Brandgeräth der Abschiederin in Ordnung sei, da am Mittwoch eine Schauung angesetzt sei. Beim Weggehen erkundigte er sich: wann ihr Mann wiederkehre? Und ob ihr nicht bange sei beim Alleinschlafen? Dieselbe Frage hatte er am Sonnabende an die Luth gerichtet, eine arme Frau, die er sonst nie eines Blickes oder Wortes würdigte.
Wenige Tage vor der That hatte er seiner Mutter in Wedel sagen lassen, sie möge zu einer Sammlung für Abgebrannte beisteuern, da man nicht wisse, ob ihnen selbst nicht etwas begegne.
Zur selben Zeit ließ er Bülten stechen (zum Feuermaterial), davon er contractlich 12 Fuder jährlich der Abschiederin zu liefern hatte. Er hatte noch nichts zu derselben in die Wirtschaft geschafft, als er plötzlich, zur großen Verwunderung seiner Knechte, am Dienstag Nachmittag ihnen befahl, in der Arbeit inne zu halten. Ramcke entschuldigte es im Verhör damit, daß die Bülten im Wasser gelegen hatten.
Andere Ermittelungen widersprachen wenigstens nicht der Ramcke'schen Angabe. Die verschlagene Luke an der Hauptthür des Abschiedshauses war von der Beschaffenheit, daß Ramcke ohne große Mühe sie erbrechen und durchkriechen können. Er war im Besitz einer Schweep und eines eisernen Ringes gewesen. Auch fand sich am Aermel seiner blauen Jacke, die er inzwischen im Gefängnisse getragen hatte, ein Theerfleck, unter welchem der Blutfleck verborgen sein konnte. Alle übrigen Blutspuren waren verschwunden, im Abschiedshause, weil die Flammen es verzehrt, im großen Wohnhause, weil man zu spät danach gesucht.
Der Thatbestand des Verbrechens war constatirt, gleichfalls die Thäterschaft, insofern das Eingeständniß des Hauptverbrechens, verbunden mit denen seiner zwei Mitangeschuldigten und andere schwächere Indicien, Gültigkeit hatte. Die Motive der That lagen zu Tage; aber die Frage: war der Thäter ein Mann, zu dem man sich der That versehen konnte? war nächst der, ob er in zurechnungsfähigem Zustande gehandelt, eine der bedenklichsten.
Glaubt man dem letzten fanatisch eifrigen Vertheidiger des Unglücklichen, dem auch unglücklichen Peter v. Kobbe, so war Jochim Hinrich Ramcke ein stolzer, schöner, edler, junger Mann, in der Fülle des Glücks und des stolzen Selbstbewußtseins, der, beneidet von seinem Dorfe, tüchtig, rechtlich, fromm, über den Andern weit hervorragte. Woher er das schöne Bild hat, sagt er uns nicht, da er ihn doch erst spät in dem Zustande der Geistesverwirrung kennen lernte, die er selbst vindicirt hat. Nach den Acten ist sein Bild ein ganz anderes.
Der Geistliche, der ihn im Gefängniß besuchte, sagte von ihm, er sei zu roh und gefühllos, um der Religion irgend einen Einfluß auf sein Herz zu verstatten; er scheine nie einen frommen Gedanken gehabt zu haben. Die Kirche zu Halstenbeck besuchte er nicht, hielt auch die Seinen davon ab, nicht gerade aus Priesterhaß oder offenbarer Irreligiosität, aber weil der Kirchenbesuch die Arbeit beeinträchtigte. Zu Jemand, der ihn auffoderte, in die Kirche zu gehen, sagte er: »Nein, in der Kirche werden keine Ochsen geschlachtet.« Er war mäßig, that Niemand etwas zu Leide, war kein Zänker und Raufbold, achtete und ehrte seine Mutter; er suchte weder das Wirthshaus noch andere Vergnügungen auf, sondern war, in angestrengter Thätigkeit, nur auf seine landwirthlichen Arbeiten bedacht. Aber er war sparsam, geizig. Einen Schnaps trank er nur, wenn er ihm nichts kostete. Schon als Knecht konnte er seinen Lohn aufsparen, daß er ihn zinsbar niederlegte. Er gab kein Almosen. Sonntags mußte wie an Wochentagen in seinem Hause gearbeitet werden. Er war rasch und heftig in seinem Wesen; auch hitzig und streng gegen Die, welche sich nicht rührig genug bei der Arbeit zeigten. Selbst gegen das Vieh wallte er in Zorn auf und mishandelte es, wenn es nicht seinen Willen that. Aber in seinem Hause wollte der Knecht Brandt, der ihm längere Zeit gedient, und spater als Administrator die Wirthschaft übernahm, nichts von besondern Heftigkeiten gegen Frau und Schwager bemerkt haben. Er sei wol einmal über den Hinrich Ladiges aufgefahren, wenn der etwas nicht recht gethan, aber es habe sich bald wieder gelegt.
In Untersuchung war er nie gewesen, aber man fand doch einige Uebertretungen heraus, welche wenigstens seinen habsüchtigen Charakter bezeichnen. Eine Axt, die er am Wege gefunden, hatte er bei sich versteckt und dem Eigenthümer vorenthalten; ebenso soll er ein Beil, welches man zufällig auf seinen Wagen gelegt, als gute Beute betrachtet haben. Vom Abschiedslande ließ er einige Furchen abpflügen, was er selbst eingestand, und Ladiges bezüchtigte ihn, auch vom Lande seiner Nachbarn dann und wann junge Eichenstamme gefällt zu haben, was er nicht ganz leugnen konnte. Ebenso veränderte er einst eigenmächtig die Grenzmarken seines Gutes, und nahm 6 Quadratruten ohne Weiteres in Besitz, angeblich, weil er meinte, daß sie ihm zukämen.
Das Gutachten des Dr. Stalbom (vom April 1840) gibt ihm ein kräftig entwickeltes Muskelsystem. Alle Theile seines Körpers sind im Ebenmaß; er hat eine feste Haltung und einen festen Gang. Alle Lebensfunctionen gehen normal und kräftig von statten. Dabei aber zeige sich eine hohe Empfänglichkeit, gepaart mit kraftvoller Reaction, sodaß sein Temperament sich zumeist dem Cholerischen nähere. Doch verrathe sein Blick etwas Verstecktes, Lauerndes, einen schlau berechnenden Verstand und in Verbindung mit der stolzen Haltung, der festen Sprache eine ungewöhnliche Willenskraft, – Kobbe, der ihn später besucht, wollte in seiner Erscheinung etwas Aristokratisches erblicken.
Wenn er über Unwohlsein klage, so fehlten dem Arzte die Erscheinungen, die ihn zur Annahme einer Krankheit berechtigten. Er stelle sich, als könne er nicht essen, habe aber alle Speisen verzehrt. Das Gutachten ging dahin: er sei körperlich vollkommen gesund und seine Klagen über Krankheit simulirt.
In seiner Psyche überwiege eine Begierde alle Neigungen, die, irdisches Gut an sich zu raffen. Mit einer besondern Verstandeskraft begabt, erscheine ihm jedes Mittel recht zur Erreichung seiner Zwecke. Er messe mit vieler Ueberlegung sein Verhalten ab und handle mit scharfem Nachdenken. So habe er vor und nach der Mordthat gehandelt: die beiden nothwendigen Mitwisser zuerst vorbereitet, daß die That geschehen müsse, daß sie nothwendig und keine Sünde sei; und sei dann rasch an die Ausführung gegangen, ehe sie sich anders besinnen und zurücktreten können. So sein Geberden nach der That, als wäre er vom tiefsten Schmerz besinnungslos, und doch zugleich die Vorsicht, auf's Dach zu klettern, damit kein Funke seinem Hause schade, und die, sein blutbeflecktes Zeug auf dem Hilgen zu verbergen. Dann die verstellte Krankheit, das im Bette Liegen, der Versuch, als die Gerichte ihn besuchten, den Verdacht auf Andere abzulenken, die Ermahnung an sein Dienstmädchen, nichts auszusagen, der Besuch bei der Kranken, die simulirte tiefe Rührung über ihren Zustand; die Verwarnung an seine Frau: wenn man nur nichts gestehe, habe man auch nichts zu fürchten; sie hätten allerlei Marterwerkzeuge, wenn man aber nur festhalte, könnten sie Einem nichts thun.
Sein ganzes Verfahren vor Gericht deute auf ungewöhnliche Seelenkraft und starkes Bewußtsein. Zuerst die Unschuldsbetheuerungen durch Schluchzen und Weinen; der Versuch, den Verdacht auf Andere zu lenken; dann ein trotziges, pochendes Wesen; endlich die geschickt eintretenden körperlichen und geistigen Störungen, in dem Augenblick zu Hülfe gerufen, wo er sich durch sein Geständniß verloren gegeben hatte. Er mußte sich retten, durch welches Mittel es sei.
Die volle, berechnende Kraft seines Verstandes verrathe sich insbesondere durch sein Benehmen gegen seine Mitangeschuldigten. Dem einfältigen Schwager wollte er imponiren, als Gebieter ihn einschüchtern; seiner Frau versuchte er auf mehrfache Weise Mittheilungen zu machen, daß er sie und sich nicht verrathen. In der Confrontation versuchte er sie theils einzuschüchtern, theils anzudeuten, wie man die Wahrheit umgehen könne. Als dies nicht gefruchtet, habe er sich entschlossen, zu gestehen, »ohne Zweifel mit der Absicht, die beiden Anderen dadurch zum Widerspruch zu bewegen«. (???) Nämlich, wenn sie erführen, daß er sie freigesprochen, würden sie ebenfalls widerrufen. Er selbst räume dies ein, als er gesagt: »er habe nur einmal gestehen wollen, um den Andern zu zeigen, daß man gern einmal gestehen könnte, ohne deshalb gleich gerichtet zu werden.«
Ebensowenig als während der Untersuchung erscheine sein Erkenntnißvermögen früher irgendwie beschränkt. Mehr als auffallend sei es, daß die Verwirrung seiner Verstandeskräfte sich plötzlich, am Abende nach seinem ersten Gestandnisse eingestellt hätte. Später stellten sich diese Verwirrungen immer dann ein, wenn er, in die Enge gerathen, Antworten ausweichen wollen. Er verstehe ganz wohl die Vorwürfe des Gerichts wegen seines unsinnigen Verfahrens, aber so wie man näher auf die Sache eingehen wollen, habe er seine Schnurre bekommen. Dasselbe habe er, der Arzt, bei seinen Besuchen wahrgenommen. Mit besonderer Verstandeskraft begabt und mit Lügen vertraut, liege der Schluß nahe, daß er sich selbst zu einer Lüge gemacht und einen geistig unfreien Zustand simulirt habe. Da es vor der Wissenschaft ausgemacht, daß er körperliche kranke Zustände bei völliger Gesundheit simulirt, gewinne der Verdacht an neuer Stärke, daß er auch diese geistige Krankheit nur erlogen. Verschiedene Gemüthsstimmungen anzunehmen, sei ihm ein Spiel, dabei sei aber immer bemerkt, daß sein Weinen, Poltern und Singen etwas Angenommenes und Erkünsteltes an sich getragen.
Wie der Körper nicht zugleich gesund und krank sein könne, sei es auch mit den geistiqen Zuständen. (?) Zwischendurch seiner tollsten Ausbrüche habe Ramcke sehr viel ruhige Besonnenheit verrathen, wenn ihm Strafe angedroht worden (?), und wo er geglaubt, seine Vertheidigung führen zu müssen. Die Vernunft kann keine Verstellung gewesen sein, also müsse es die Krankheit sein.
Die offenbar bei ihm vorliegende Neigung, für geisteskrank gehalten zu werden, liefere einen noch deutlichern Beweis seiner Verstandeskraft. Daher Aeußerungen wie: »er habe seinen Verstand wol nicht gehabt«, »er sei so wunderlich oder wüllerich gewesen«, »er habe den ganzen Winter so ohne Sinn und Verstand gelogen«, »er wisse nicht, was er gesagt habe«. Zum Arzte selbst hatte er einst gesagt: »Seit ich hier in der Kirche eingeschlossen sitze.« Letzteres habe er selbst sehr einfach erklärt, da sein Gefängniß weiß wie eine Kirche angestrichen gewesen. Auch seine Aeußerung vor Gericht, daß sein Kerker voll Mehlstaub sei, habe er selbst dahin erklärt, daß er das Weiße, den Kalk, von der Wand abgekratzt hatte. Der Arzt hatte ihn einmal wunderlich um den Kopf vermummt getroffen, wie es in seiner Lage nur ein Wahnsinniger thun dürfte, aber Ramcke selbst gab die sehr natürlich lautende Erklärung: da man ihm die Haare abgeschoren, habe ihn gefroren.
Die angegebenen Erscheinungen wären kein Wahnsinn; von den bekannten und angenommenen Erscheinungen desselben finde sich aber hier nichts vor. Alle Anomalien der geistigen Sphäre beurkundeten sich durch einen eigenthümlichen, so charakteristischen Gesichtsausdruck, daß dieser selbst dem Laien nicht zu entgehen pflege. In Ramcke's Gesichtsausdruck fehle nun durchaus diese Anzeige eines gestörten Seelenlebens. Das sei nicht seine, des Arztes, Wahrnehmung allein, sondern auch die des Geistlichen, der ihn öfter, und die des Gefangenwärters, der ihn täglich zu beobachten Gelegenheit und von andern Unglücklichen her darin Erfahrung habe.
Alle drei Kategorien des gestörten Seelenvermögens, der träumerische Wahnsinn, die Tobsucht und die fixe Idee hätten als gemeinsames Kriterium die aufgehobene Fähigkeit der Selbstbestimmung. Ramcke aber erscheine geistig frei und unfrei nach eigenem Belieben. Wolle man Einem, der an einer fixen Idee leide, seine Wahnvorstellung durch Drohungen von Strafe verleiden, so werde man das Uebel nur schlimmer machen. Ganz anders bei Namcke; er ließ sich durch Drohungen zur Vernunft zurückschrecken. Fixe Ideen halten an einzelnen Wahnvorstellungen beharrlich fest; aber Ramcke's Visionen fehlt jede innere Ordnung. Er springt von einem Dinge zum andern über, aber die Phantasie haftet immer an realen Gegenständen, er spricht von Dingen der Vergangenheit, die beweisen, daß ihm dieselbe klar vor Augen liegt. In jedem Verhör bringt er einen neuen absurden Gegenstand vor, den er den Richtern als Beweis seiner Geistesstörung hinwirft; aber nach wenigem Sprechen kehrt er davon zu den Dingen zurück, von denen die Rede ist, gleich als wäre er nicht hinlänglich auf die durchzuführende Rolle präparirt gewesen.
An einer fixen Idee leide er demnach nicht; ebensowenig aber an einer dauernden Tobsucht, Auch in den Ausbrüchen derselben zeige sich Vernunft. Das Eßgeschirr zerbrach er nur, nachdem er gegessen hatte. Bei andern Zertrümmerungen erklärte er geradezu, er könne es im Gefangniß nicht aushalten; wenn man ihm nur sein altes Bette gelassen, würde er das Fenster nicht zerschlagen haben. Unzufriedenheit, nicht Wahnsinn habe ihn daher zum Toben angetrieben. Am tollsten tobte er, wenn er mit seinen Mitschuldigen vor Gericht stand; ohne Zweifel in der Absicht, ihnen zu zeigen, wie sie es auch machen sollten, um loszukommen. Ein wirklicher Tobsüchtiger müsse zuletzt gebunden, in die Zwangsjacke gesteckt werden; bei ihm sei der Paroxysmus in der Regel durch Drohungen allein bewältigt worden. Einmal versprach er sogar, er wolle ruhig sein, da er sich gestern nicht gut aufgeführt; ein deutliches Zeichen, daß er nach eigenem Belieben tobe oder nicht tobe. Ueberdem fehle hier ein Charakteristicum der Tobsucht, der blinde Zerstörungstrieb, der auch die nothwendigsten, dem Kranken unentbehrlichen Gegenstande vernichtet.
Endlich führe jede Manie sehr bald ein deutliches, sichtbares Mitleiden des ganzen Organismus herbei, sie lasse, wenn sie vorüber, einen Stempel zurück, der schwer und langsam verwischt werde, und, zwar nicht zu beschreiben, aber schwer zu verkennen sei. Da nun von diesen äußern Anzeichen auch nicht das Geringste zu entdecken sei, ging das ärztliche Gutachten dahin: »daß die bei Ramcke vorliegenden Erscheinungen, welche den Verdacht einer Seelenstörung erregen könnten, als erkünstelt, oder als Effect einer freien, unbehinderten Seelenstimmung, mithin als simulirt zu betrachten seien.«
Ramcke war der Hauptthäter, aber er hatte auch zwei Mitschuldige. Trieben dieselben Motive auch seine Ehefrau an, war auch sie eine Person, zu der man sich der That versehen konnte?
Von nicht besondern Fähigkeiten, war doch ihr Betragen im Ganzen gut gewesen. Sie war fleißig, gehorsam, man wußte nichts Schlechtes von ihr. Etwas Steifes und Besonderes hatte sie von je in ihrem Wesen. Von selbst mochte sie nie auf schlimme Gedanken gekommen sein, sagte ihr Lehrer. Der Vater war nicht mit ihr zufrieden, als er wieder mit Heirathsgedanken umging, und sie hatte zu ihm gesagt: er handle nicht gut gegen seine Kinder, wenn er eine junge Frau nehme. Auch hatte der alte Ladiges geklagt, daß sie zu knapp gegen die Leute sei. Ein Zeuge sagte von ihr und ihrem Bruder, »daß er sich eher den Tod vermuthen gewesen, als daß er sich solche Schlechtigkeit von ihnen zugetraut hätte. Wenn Marieken und Hinrich mitschuldig wären, so könnten sie nur durch Verführung dazu gebracht sein, von selbst wären sie nie auf derartige schlechte Gedanken gesteuert.« Die Ramcke hatte vor ihrem Bekenntniß unter den heiligsten Versicherungen gegen den Geistlichen ihre Unschuld betheuert. Nach dem Bekenntniß zeigte sie sich den religiösen Ermahnungen und Tröstungen weit empfänglicher, las fleißig in der Bibel und sprach den Wunsch aus, ihre Stiefmutter zu sehen, um ihr Abbitte thun zu können. Der Physicus sagt dagegen, daß sie, bei indolentem, phlegmatischem Temperament, ein tückisches, lauerndes Gemüth verrathe und ihn oft zu täuschen gesucht habe.
Der Hinrich Ladiges, klein und verwachsen, wird als »böotischen Temperamentes« geschildert. Sein Gesicht schon verrieth die ganze Apathie seines Geistes. Er hatte kaum das Einmaleins gelernt, doch meinte sein Lehrer, er habe stets recht gut gewußt, was er gethan und sei sonst von guter und billiger Denkart gewesen. Auch andere Zeugen sagen, es habe zwar immer schwach mit ihm gestanden und zum Arbeiten sei er nicht tauglich gewesen, aber er habe doch gut gewußt, was er thäte, und »seinen Witz« (Verstand) gehabt. Arglos und unbedeutend, war er, nach eines Andern Urtheil nicht eben verrückt, aber die Leute hätten ihn doch viel zum Besten gehabt. Ein Kauz, aus dem man nicht viel herausbringen können. Man neckte ihn, wo er sich sehen ließ, und foppte ihn, indem man ihm versprach, ihm eine Frau zu verschaffen. Gutmüthig, unschuldig, beschränkt und dumm, war er eine Natur, mit der ein so gewaltiger und eigenmächtiger Charakter wie sein Schwager nach Belieben umspringen konnte. Nach dem Gutachten des Arztes (Dr. Stalbom) sprach sich in ihm eine eigene Trägheit der Seele aus, wohingegen er über Das, was man ihn frage, gut Bescheid gäbe, sich nicht leicht aus der Fassung bringen lasse und der Fähigkeit zu urtheilen nicht ermangele. Dagegen sei seine Willensthätigkeit schwach; er gehorche, wer ihn, wie Ramcke, zu beherrschen gewußt, und gerathe dann in Verwirrung, wenn ihm zu viel Dinge vorgehalten würden, die außer seinen gewöhnlichsten Lebenskreisen lägen. Wenn die Verstandesschwäche in drei Grade eingetheilt werde, in Dummheit, Stumpfsinn und Blödsinn, so treffe dieser erste und schwächere Grad auf ihn zu.
Ersichtlich sei, daß er bei dem Verbrechen nur aus diesem Grade von Verstandesschwäche so gehandelt, wie er gethan. Wo es darauf angekommen, die Vernunft zu gebrauchen und sich die Frage zu stellen, ob es seine Pflicht sei, dem Schwager zu gehorchen oder nicht, sei er verwirrt worden von dem Conflict neuer, ihm noch nicht vorgekommener Vorstellungen, bis er sich vom Augenblick fortreißen lassen. Aber da die Erkenntniß des Unmoralischen nicht aus dem Denkvermögen, sondern aus dem Gewissen entspringe, das Gewissen aber bei dem geringsten Grade von Verstandesschwäche, der Dummheit, nicht aufgehoben sei, so könne diese die Zurechnungsfähigkeit nicht ganz aufheben. Ladiges sei daher zurechnungsfähig, auch in Bezug auf das Verbrechen; aber gemindert sei diese Zurechnungsfähigkeit, indem seine Verstandeskräfte durch die Behandlung, die er unter Ramcke erlitten, geschwächt, seine Willenskraft ganz durch einen mächtigern Willen unterdrückt worden und er bei der Mordthat offenbar in einem moralischen Zwange befangen gewesen, da er, der Krüppel und Imbecille, vor dem Gedanken wol zittern können, daß sein eiserner Schwager ihn umbringe, wenn er nicht ihm gehorche.
So der Physicus Stalbom, der Erste, welcher gutachtlich über die Seelenzustände der Verbrecher berichtet hat. Wir haben seine Darlegung ausführlicher mitgetheilt, insbesondere in Bezug auf seine Wahrnehmung der einzelnen Erscheinungen, um später kürzer über die andern Gutachten hinweggehen zu können, welche diesen Proceß so voluminös, so zweifelhaft und so berühmt gemacht haben.
Und schon jetzt war dieser Proceß, der erst in seinen folgenden Stadien zu einer europäischen Berühmtheit kommen sollte, ein Monstrum. Wir sind jetzt, wo die Acten geschlossen wurden, im Jahre 1840. Drei Jahre hatte also die Untersuchung gedauert, und sie sollte noch ein Jahr dauern, bis nur das erste Erkenntniß publicirt werden konnte! Denn die Actenmassen (1052 eng beschriebene Folioseiten war allein das Untersuchungsprotokoll in der Generalinquisition stark!) mußten 13 verschiedenen Personen eingehändigt werden, um von jedem zu größeren, selbstständigen Arbeiten benutzt zu werden. Der peinliche Ankläger mußte die Anklageacte entwerfen, die drei Anwalte der Angeschuldigten ihre Defensionsschriften. Dazu die Referenten und Correferenten in drei verschiedenen Collegien!
Die Anklage des öffentlichen Anklägers (Advocat Jessen) ging davon aus, daß das Eingeständniß der drei Angeschuldigten vollgültig und beweisend sei, daß sie das Verbrechen im Complot begangen, daher alle Drei zum Tode, Ramcke zum Rade, die andern Beiden zum Schwerte zu verurtheilen seien. Die Vertheidiger trugen auf völlige Freisprechung ihrer Clienten an, jeder jedoch von verschiedenen Gesichtspunkten ausgehend, und fast feindlich gegeneinander. Denn hier trat ein fast ähnliches Verhältniß wie im Proceß Fualdes ein. Die verschiedenen Angeschuldigten konnten nicht gemeinschaftliche Sache in ihrer Vertheidigung machen, es war jeder, oder vielmehr sein Vertheidiger genöthigt, den Andern zu bekriegen, um für sich selbst zu gewinnen.
Jochim Hinrich Ramcke's Vertheidiger, der Advocat Gülich zu Pinneberg, schadete, nach Peter v. Kobbe's Ansicht, von vornherein seinem Schutzbefohlenen dadurch, daß er, von der allgemeinen Meinung mitbefangen, Ramcke's Wahnsinn für simulirt hielt, und damit das allerwichtigste Defensionalmoment aus den Händen gab. Im Uebrigen war seine Vertheidigung nach der Ansicht jenes spätern, freiwilligen Vertheidigers eine tüchtige.
Er bestritt zuvörderst das Motiv der That. Ramcke habe kein Interesse am Tode der Abschiederin gehabt, denn der Hof habe nicht ihm, sondern seiner Frau gehört. Zugegeben aber, daß das Interesse von Mann und Frau ein und dasselbe wäre, so sei der Abschied durchaus nicht so drückend gewesen, als man ihn vorstelle, da Ramcke ja in Bezug auf das Altentheil den Hof für den Spottpreis von 2040 Mark gekauft, während derselbe neuerdings, mit derselben Last für 4800 Mark verkauft worden. Ueberdies sei er wohlhabend gewesen und habe keine Ursach zum Groll gegen die Abschiederin gehabt, während seine Frau (und Angeberin!) allerdings der Stiefmutter gegrollt habe. Er hebt seinen bis da unbescholtenen Charakter heraus, seine aufgeregte Theilnahme beim Anblick der Verwundeten, während sein Weib unempfindlich, kalt und starr geblieben. Ramcke's Geständniß sei das Resultat der Verzweiflung über eine so lange Kerkerqual, die ihn endlich bestimmt, eine fremde That auf sich zu nehmen, um ihr nur ein Ende zu machen. Den ihm angethanen physischen und moralischen Zwang findet der Vertheidiger in Ramcke's dunklem, unterirdischem Gefängniß, worin er nur 2 – 3 Schritt thun können; in den schweren Ketten, die ihm angelegt worden; dem Anschmieden an die mit einem elenden Strohlager versehene Pritsche; den Eisenblöcken an seinen Händen (eine unnöthige Härte, da er nie der Flucht verdächtig gewesen); in der so oft wiederholten Brot- und Wasserstrafe; in der Folterung seiner Gefühle durch die plötzliche Vorzeigung seines todten Kindes; in der Drohung, er solle sitzen bis er schwarz werde.
Das Geständniß selbst trage das Gepräge der Unwahrscheinlichkeit in sich. Wie hätte er einer Schlafenden eine Peitschenschnur unter den Hals können durchbringen wollen? Unklug wäre das ganze Benehmen, das Beil zuerst zurückzulassen, dann wieder zu holen. Das Oeffnen der großen Thüre, das Losbrechen des Bretes von der Luke, das Zerbrechen der Scheibe habe Geräusch verursachen müssen. Die Geschichte vom Anstecken der Lampe sei offenbar erfunden, um den Widerspruch zu heben, daß er in der dunkeln Stube die Lage der Mutter und des Kindes im Bette gesehen. Die richtigste Erklärung dieser unwahrscheinlichen Lüge wäre seine eigene, spätere, daß er den Andern nur habe helfen wollen im Lügen.
Ramcke will die That durchaus allein begangen, Schwager und Frau wollen ihm dabei geholfen haben. Eins von beiden Geständnissen müsse demnach unwahr sein. Ramcke's Geständniß habe den ihm angethanen Zwang wider sich. Nehme man an, daß er aus Großmuth gestanden, um seine Complicen zu schonen, oder aber, um sie zum Widerspruch zu verleiten, so verliere sein Geständniß, als ein unwahres, seine Gültigkeit. Uebrigens aber habe er es nur in der Generaluntersuchung (vor dem Landdrosten) abgelegt, nicht mehr in der Specialuntersuchung.
Viele einzelne Umstände in seiner Angabe, die auf den ersten Blick seine Wahrhaftigkeit zu bestätigen scheinen, seien, genauer betrachtet, von der Art, daß sie gegen die Wahrheit sprächen, weil er Falsches aussage, oder was er nicht wissen könne; oder es wären Wahrnehmungen, die er aus dem Munde Anderer, oder endlich aus seiner früheren Kenntniß der Oertlichkeit und der Verhältnisse hergenommen habe. So habe, nach ihm, das Kind in gleicher Kopfhöhe mit der Mutter gelegen, während die Mutter wisse, daß es niedriger lag, mit dem Kopfe an ihren Leib gelehnt. Alle diese unbedeutendern Einzelheiten, wie: daß er die Bettthüre angelehnt gefunden habe, das Fenster verhangen, was sich in der Regel von selbst versteht, daher seinerseits nicht Wahrnehmung, sondern eine natürliche Vermuthung gewesen; daß er sich widersprochen, als er die Thür der Luth zuerst mit einer Forke, dann mit einer Forkenzinke, endlich mit einem Haspelstock zugesetzt haben wolle; daß er alles dies von der Luth nachträglich erfahren haben könne, glauben wir als unwesentliche Defensionalargumente hier übergehen zu können.
Die Geständnisse seiner Mitangeschuldigten hätten aber nicht den Werth von Zeugenaussagen, da sie, ihre eigene Schuld bekennend, sie dadurch zu vermindern gesucht, die Hauptschuld einem Dritten beizumessen, sie überdies in vielfache Widersprüche und Unwahrheiten verfallen wären.
Alle Indicien seien aber irrelevanter Art, oder widerlegten sich von selbst: Ramcke habe, wie er nachgewiesen, kein Interesse zur That gehabt. Daß seine Mutter an seine Schuld geglaubt, bedeute nichts; sie sei durch fremde Mittheilungen zu diesem falschen Glauben veranlaßt worden. Nur die Mitschuldigen bekundeten von seinen Klagen über den schweren Abschied; solche Klagen seien aber bei allen Altentheilsverpflichtungen gewöhnlich. Im Scherz wünsche jeder Bauer seinem Abschieder ein baldiges Ende. Sein sogenanntes verdächtiges Betragen vor der That lasse sich aber ebenso gut als unverdächtig erklären. Da die Ehemänner der Luth und der Abschiederin verreist waren, habe er sehr natürlich sie fragen können: ob sie sich nicht fürchteten, allein zu schlafen? Ebenso natürlich sei das Abbestellen des Bültenstechens, wenn das Moor von starkem Regen naß sei u.s.w.
Wollte man ihm das zum Indicium seiner Schuld machen, daß er beim Anblick der Verwundeten und des Feuers erschreckt gewesen, zumal bei seiner Heftigkeit und Reizbarkeit? Wenn er Ladiges aufgetragen, seiner Mutter nichts vom Morde zu sagen, so habe er seine alte Mutter nicht erschrecken wollen.
Hinsichts der nachfolgenden Indicien, so wären die Blutflecke in den Kleidern nicht chemisch untersucht worden. Das Bestreichen mit Theer sei nur eine Vorsichtsmaßregel gewesen, um Verdacht zu vermeiden (?); die Weisung an die Magd Ellenbrock, nichts zu sagen, werde durch die Frage entkräftet: sie wisse doch auch nichts (??). Daß Ramcke den Verdacht gegen Dritte zu erregen versucht, sei nur eine Folge des natürlichen Nachdenkens gewesen, und der simulirte (wie der Vertheidiger zugibt) Wahnsinn sei kein Anzeichen des Schuldbewußtseins, sondern nur von ihm als Vertheidigungsmittel benutzt worden (?).
Die Indicien in der Mehrzahl sind, abgesehen von den Geständnissen, nur schwach; wir können ihre Widerlegung aber nicht für stärker halten, als sie selbst es waren. Die Gülichsche Defension wurde übrigens gedruckt, und den Reigen einer ganzen Literatur über den Ramcke'schen Fall eröffnend, machte sie ihn zuerst dem größern Publicum bekannt und erweckte das nachmals immer steigende Aufsehen.
Der Vertheidiger der Ehefrau Ramcke, der Advocat Andresen zu Pinneberg, reichte eine 662 Seiten starke Defensionsschrift ein, welche er gleichfalls unter dem Titel: »Geständniß und Widerruf« 1844 in Altona durch den Druck bekannt gemacht hat. Es würde die Aufgabe unserer causes célèbres weit überschreiten, wenn wir auch nur mit einem gedrängten Auszuge dieser, mit Geist und Gelehrsamkeit entworfenen Schrift unsere Leser noch länger im historischen Verlauf dieses berühmten Rechtsfalles aufhielten; um so weniger ist aber hier dazu der Ort, als Ramcke selbst der eigentliche Gegenstand unserer Betrachtung geworden ist, wogegen seine Complicen, deren Schicksal längst abgeurtheilt ist, und hinsichts deren die Hauptfrage des Processes: wahnsinnig oder nicht wahnsinnig? niemals schwebte, zurücktreten.
Nachdem der Vertheidiger eine gründliche Untersuchung darüber geführt, welchen Grad von Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit die Geständnisse der Angeschuldigten hinsichts ihres Umfangs, ihres innern Zusammenhangs und der Art und Weise, wie sie abgelegt werden, haben, und, seiner Ansicht nach, nachgewiesen, daß sie in wesentlichen Angaben differiren, daß demnach der eine oder der andere Theil (Ramcke hier und dort Ladiges und die Frau) die Unwahrheit gesagt haben müsse, vindicirt er diese Eigenschaft den Angaben seiner Schutzbefohlenen. Ihr Schweigen, ihre vermeintliche Verstocktheit, sei Folge der Drohungen, ihr Geständniß die der häufigen Lügenstrafen, der langen Haft, des drängenden, geistlichen Zuspruchs gewesen. Nachdem Ladiges bekannt, habe die unglückliche Frau geglaubt, daß die ganze Untersuchung sich gegen sie richte; sie solle nicht mehr Verdachtsgründe gegen ihren Mann angeben, sondern sich selbst vertheidigen. Da endlich, durch die Foltern der Untersuchung mürbe geworden, und der Habsucht ihres Gatten alle diese Leiden verdankend, habe sich ihr Groll auf ihn geworfen, und, unterrichtet von den Geständnissen ihres Bruders, habe sie gewußt, was man von ihr verlange. Den fortwährenden Lügen-, Leugnen- und Schweigenstrafen, den Drohungen und Vorhaltungen nicht länger widerstehend, habe sie ihrem Bruder nachgesprochen. Ihr Geständniß sei somit ein förmlich erpreßtes. Er trug demnach, da seine Vertheidigung sich lediglich auf die Unwahrheit des Geständnisses der Ramcke'schen Ehefrau beziehe, auf deren völlige Freisprechung an, indem er mehre einzelne Umstände hinzufügte, woraus bei ihm die moralische Ueberzeugung erwachsen, daß die Ramcke nicht durch moralischen Zwang, oder »Aengstigkeit vor ihrem Manne« so gehandelt, wie sie in ihrem Bekenntniß vorgegeben habe.
Der Vertheidiger des Hinrich Ladiges nahm an, daß die Angaben seines Schutzbefohlenen, gleich wie die seiner Schwester, vollkommen wahr seien, da man nicht vermuthen könne, daß ein Unschuldiger sich selbst für schuldig bekennen sollte, auch kein Lebensüberdruß, noch der Einfluß eines psychologischen Zwanges hier vorhanden sei. Beide hätten aus reinem Drange nach Wahrheit bekannt. Ramcke, der Hauptthäter, habe seine Mitschuldigen zu retten versucht, weil ihre Mitverurtheilung ihm nichts nutzen konnte. Auf den Widerruf des Hauptinculpaten kommt ihm gar nichts an, ebensowenig auf den versuchten und wieder zurückgenommenen seiner Ehefrau, da Ladiges bei seinem ersten klaren Geständiß verblieben sei. Aber Ladiges ganze geständige That bestehe nur darin, daß er mitgegangen, um aufzupassen, während die Mitschuldigen sogar bestreiten, daß man ihn zum Aufpassen angestellt habe. Er sei also in seiner reinen Dummheit mitgelaufen, ohne selbst Das zu thun, was er sich selbst in seiner Beschränktheit aufbürde. Seine Entschuldigungsgründe seien wohlbegründet, die unüberwindliche Furcht vor einem Schwager, zu dem er, bei seiner mangelnden Willenskraft, in ein vollkommenes Abhängigkeitsverhältniß gerathen, der so entschieden es ausgesprochen: daß Die, welche nichts thäten, bei Seite müßten, daß »auch er 'mal bei Seite kommen sollte, daß er nichts davon wiß werde«. Um der versprochenen 50 Mark willen werde Ladiges sich nicht dazu verstanden haben; er habe diese Angabe freiwillig eingestanden, während er sie gewiß für sich behalten hätte, wenn sie auf ihn von Einfluß gewesen wäre. Jene Furcht vor dem mächtigen Schwager sei aber schon durch Ladiges Körperbeschaffenheit begründet. Wenige Zoll über vier Fuß hoch, mit schiefem hohen Rücken, vorwärts gebogenem Kopfe, nach vorn verbogenen Unterschenkeln, unfähig zu jeder schweren Arbeit, geistig beschränkt, wenn nicht unbedingt unzurechnungsfähig, sei er doch wie von selbst der Herrschaft eines Mächtigern preisgegeben. Bei der Schwerfälligkeit seines Denkvermögens habe er zwar die Scheußlichkeit der Absicht seines Schwagers sogleich erkannt, aber nicht schnell genug fassen können, wie er sich zu benehmen, wie er dagegen zu wirken habe. So in einem moralischen Zwange befangen, unterbrochen in seiner freien Willensbestimmung durch ein ungeheures Ereigniß, habe er mehr eine Unterlassungssünde, als eine That begangen. Klügere als er, würden in dem furchtbaren Moment vielleicht nicht gewußt haben, was zu thun. Der Vertheidiger trug darauf an, daß der erlittene vierjährige Untersuchungsarrest ihm als Strafe angerechnet werde.
So verschiedenes Gewicht legten die Vertheidiger auf die drei Geständnisse der drei Angeschuldigten. Ramcke's Advocat leugnete die Gültigkeit und Wahrheit der Aussage seines eigenen Schutzbefohlenen ganz hinweg, und hinsichts der Andern deutete er auf sträfliche Motive, seinen Vertheidigten zu verderben, mit Winken darauf, daß sie hinsichts der Frau mehr Straffälligkeit enthielten, als die Acten besagen. Der Vertheidiger der Frau ließ die Gültigkeit der Ramcke'schen Aussage bestehen, schrieb die seiner Schutzbefohlenen aber einem moralischen Zwange, dem erwachten Zorngefühle, bei und wollte ihr gar keine Gültigkeit beimessen. Ladiges Vertheidiger endlich ließ alle drei Geständnisse gelten, weil das eine ihn gar nicht berührte, das andere nur Das bestätigte, was er selbst ausgesagt hatte, und diese Aussage ihn in das Licht stellte: welches ihm zu seiner Vertheidigung das geeignetste schien.
So sich widersprechende Urtheile, von Rechtsgelehrten mit allem Scharfsinn ausgeführt, gaben den Richtern die Gründe von selbst an die Hand zu ihrem Spruch, je nachdem sie für die eine oder die andere Annahme sich entschieden.
Nach altem Rechtsbrauch ward am 26. und 27. Juli 1841 das öffentliche Criminalgencht der Herrschaft Pinneberg, unter Zuziehung eines Dingvogtes und 16 Gerichtsmännern, über die Angeklagten gehegt. Während der zwei Tage wurden die Anklagepunkte und die Vertheidigung verlesen. Zur Beurtheilung der spätern Hauptfrage sind folgende Wahrnehmungen, welche ein Anwesender über deren Betragen später veröffentlicht hat, von Wichtigkeit.
Alle drei Inquisiten zeigten bei dieser Gelegenheit ein durchaus verschiedenes Benehmen, welches bei Ladiges und der Inquisitin Ramcke sich stets gleich blieb, bei Ramcke aber oftmals wechselte. Ladiges saß beide Tage lang still und stumm da, hörte mit stets gleichmäßiger Aufmerksamkeit den Vorträgen zu, beurkundete aber dabei in seinem Ausdrucke theils eine gänzliche Unfähigkeit, auch nur das Mindeste von dem Gehörten verstehen zu können, theils eine gewisse innere Gemüthsruhe, als ob er eines guten Ausgangs seiner Sache völlig sicher und gewiß sei. Nichts rührte ihn, nichts machte einen Eindruck auf ihn, er hörte mit derselben Gleichgültigkeit den Antrag des peinlichen Anklägers auf Enthauptung mit dem Beile an, und mit derselben Gleichgültigkeit hörte er es von allen Anwälten wiederholen, daß er an dem Grade der Verstandesschwäche leide, den die gerichtliche Medicin mit dem Ausdrucke Dummheit bezeichne. – Ladiges ist wirklich dumm, davon muß sich Jeder überzeugt haben, der damals ihn zu beobachten Gelegenheit hatte.
Die Inquisitin Ramcke saß gleichfalls, fast ohne sich zu rühren, an beiden Tagen still und stumm da, doch in ganz anderer Weise als ihr Bruder; sie hielt das Haupt tief gesenkt, sie weinte ohne Unterbrechung leise für sich hin, sie schaute nicht ein einziges Mal um sich, sie sprach, wie ihr Bruder, kein einziges Wort. Als der Defensor des Inquisiten Ramcke den Abschnitt seiner Vertheidigung vortrug, worin er die Inquisitin so überaus hart angegriffen und sie als ein förmlich entmenschtes Wesen charakterisirt hat, flossen ihre Thränen in noch reichlicherem Maße, und nachgehends hat sie sich bitterlich beklagt über dieses große Unrecht. Nur zuletzt, als die Verhandlungen geschlossen waren und von dem Herrn Actuarius das Protokoll vorgelesen ward, sah sie mit ängstlichem Blicke zu diesem auf, wahrscheinlich das Endurtheil erwartend.
Ganz anders betrug sich Ramcke. Anfangs schaute er mit einer großen Freiheit – wenigstens ward von allen Anwesenden sein Blick so aufgefaßt – stehend um sich her, gleichsam als ob er in der Menge der Anwesenden nach bekannten Gesichtern sehe. Bald nachdem der Vortrag der peinlichen Anklage begonnen hatte, setzte er sich, saß eine Zeit lang ruhig da, mit anscheinend gleichgültiger Miene, stand dann wieder auf und fing an zu sprechen. Was er sagte, sprach er mit einer schnarrenden widerlichen Stimme, ohne Ausdruck, durchaus monoton. So lange dies Dazwischenreden und seine Versuche, zu seiner auf der entgegengesetzten Seite des Gerichtssaals sitzenden Frau zu gelangen, nicht geradezu störend wurden, ließ man ihn reden und suchte nur durch Zeichen und Winke ihn zum Schweigen zu bringen. Obgleich dies immer nur für kurze Zeit einen Erfolg hatte, so verging doch der erste Tag ohne förmliche Unterbrechung. Am zweiten Tage aber, während der Vortrag der Vertheidigung für die Inquisitin Ramcke gehalten ward, sprach Ramcke so anhaltend und so laut dazwischen, daß ihm gerichtsseitig geradezu Stillschweigen anbefohlen werden mußte, unter Androhung sofortiger Abführung im Ungehorsamsfalle. Nichtsdestoweniger ward abermals der Vortrag von ihm völlig unterbrochen, und deswegen die Abführung des Inquisiten den Gerichtsdienern aufgetragen. Als sich diese mit ihm schon einige Schritte der Thüre genähert hatten, fragte der Landdrost nochmals den Inquisiten mit einem eigenthümlich eindringlichen, theils freundlichen, theils ernsten Tone: ob er jetzt ruhig sein wolle, in welchem Fall er bleiben könne. Ramcke erwiederte einfach: ja – und sprach seitdem keine Sylbe mehr.
Von Dem, was Ramcke in dieser Weise sagte, ist von den zunächst Stehenden nur Weniges verstanden worden. Das Meiste, was er vorbrachte, war indessen ungereimtes, wirres Zeug, ohne allen Zusammenhang mit seiner Sache und ihrer gegenwärtigen Behandlung. Mehrmals aber sprach auch der Unglückliche sehr vernünftige Sätze und bedauerliche Wünsche aus; so namentlich sagte er einmal seufzend für sich hin: »Ich wollte so gerne meinen Hof wieder haben; – ich will auch Alles bezahlen, ich will arbeiten, daß mir das Blut aus den Fingern läuft.«
Viele der Anwesenden, die den Inquisiten bis dahin nie gesehen und nunmehr Gelegenheit hatten, diese durch jahrelange Kerkerleiden abgemagerte bleiche Gestalt in der damaligen eigenthümlichen Situation als angeklagter Mörder vor den Gerichtsschranken längere Zeit zu sehen, hielten ihn für wahnsinnig, ließen aber in der Begründung ihrer Ansicht offenbar von dem eigenen Mitleiden, welches die unglückliche Erscheinung in ihnen erregt hatte, sich leiten. Von Denen, die schon früher ihn gesehen und mit ihm zu thun gehabt hatten, war Keiner dieser Meinung. Namentlich waren die einzelnen Gerichtsbeisitzer, insonderheit auch die Gefangenwärter und Gerichtsdiener, sowie endlich die Vertheidiger des Inquisiten völlig darüber einig, daß das wirre Reden desselben lediglich eine mit freiem Willen angenommene und beobachtete Form seines Betragens, vielleicht geradezu absichtliche Simulation des Wahnsinns sei. Nach beendigter Gerichtssitzung beim Weggehen ergriff der Inquisit in sichtlicher Rührung die Hand seines Defensors und dankte diesem für die Vertheidigung.
Die Acten wurden an die competenten Gerichte zur Abfassung des Strafurtheils eingesandt.
Hinsichts Jochim Hinrich Ramcke's, als überwiesen dreier schweren Verbrechen, eines Mordes, eines Mordversuchs und einer Brandstiftung, trug das holsteinische Obercriminalgericht zu Glückstadt auf Enthauptung mit dem Beil, nebst Schaffung, daß der Kopf auf einen Pfahl zu stecken, und der Körper auf das Rad zu flechten, an. Das Schleswig-Holstein-Lauenburgische Oberappellationsgericht dagegen verurtheilte Ramcke zum Rade; doch dürfte diese Strafe im Wege der Gnade, in Enthauptung und Beerdigung des Leichnams auf der Richtstätte zu verwandeln sein. Die Schleswig-Holstein-Lauenburgische Kanzlei trat diesem Antrage bei und durch königliche Resolution vom 6. Mai 1842 ward die Strafe in angegebener Art verwandelt.
Die verschiedenen Ansichten, welche sich in den verschiedenen Gerichten über das Strafmaß geltend machten, und die Graba zur Rechtfertigung der Besonnenheit und Umsicht, welche die Holsteinischen Gerichte bei dieser Angelegenheit an den Tag gelegt, mittheilt, gehören ebenso wenig für unsere Arbeit, als wir uns hier auf Mittheilung der Gründe, welche in dem gedrängten Graba'schen Actenauszuge schon einen mäßigen Band füllen würden, einlassen können.
Gegen die Ehefrau, Anna Maria Ramcke, geborene Ladiges ward, als überwiesen in der Absicht, ihrem Manne bei der Ermordung ihrer Stiefmutter zu helfen, eine Brandstiftung verübt zu haben, gleichfalls auf den Tod erkannt. Doch dürfte die Enthauptung mit dem Beile im Gnadenwege zu lebenswieriger Zuchthausstrafe umzuwandeln sein. Durch dieselbe königliche Resolution wurde die Todesstrafe nach dem Antrag verwandelt. Ihre Straffälligkeit erschien indeß in beiden Gerichten einer bedeutenden Minorität um so Vieles geringer, als die ihres Mannes, daß Einige von vorn herein nur auf Zuchthausstrafe, andere auf den Tod durch Enthauptung erkennen wollten, doch mit dem Antrage, in Wege der Begnadigung nur eine 15jährige Zuchthausstrafe zu verhängen.
Gegen Hinrich Ladiges ward durch das am 26. Nov. 1841 schon publicirte Urtheil erkannt, daß derselbe wegen Beihülfe zum Mordversuche und zur qualificirten Brandstiftung (beim Vorwalten vieler mildernden Umstände) unter Anrechnung des schon erlittenen Arrestes, zu zweijähriger Zuchthausstrafe und Erstattung der ihn betreffenden Untersuchungskosten zu verurtheilen sei.
Das holsteinische Obereriminalgericht gab unterm 31. Mai 1842 der pinneberger Landdrostei auf, die Strafurtheile wider Ramcke und Frau zu publiciren, ihnen die durch königliche Gnade erfolgte Herabsetzung der Strafen zu eröffnen, und demnächst – zur Execution zu schreiten. Aber die Landdrostei nahm Anstand, weil Ramcke's Wahnsinn sich inzwischen gesteigert zu haben scheine, und sie sich selbst darüber kein Urtheil zutraue, ob es ein wirklicher Wahnsinn, oder nur ein simulirter sei.
Die Landdrostei glaubte nicht an den Wahnsinn, denn Ramcke hatte seit dem Actenschlusse keine auf Wahnsinn deutende Handlung begangen, sein Vertheidiger selbst war beharrlich bei seiner Ansicht geblieben; aber sein Zustand war zum Tagesgespräch geworden, Jeder bildete sich ein Urtheil, und entstellte oder erdichtete Thatsachen liefen im Publicum von Mund zu Munde. Deshalb hatte das Gericht wol Grund, nicht auf eigene Verantwortung dem Buchstaben des Urtheils gemäß weiter zu verfahren, und hatte einem zweiten Arzte, dem Dr. Jessen in Uetersen, den Auftrag ertheilt, den Inquisiten zu untersuchen und ein motivirtes Gutachten darüber abzugeben: ob in Ramcke's Seelenzustande seit der Zeit, daß das erste Gutachten des Dr. Stalbom abgefaßt worden, Veränderungen eingetreten waren? Das Obercriminalgericht, dem unterm 22. Januar 1842 darüber berichtet worden, schien dieses Verfahren nicht einmal ganz zu billigen, indem es rescribirte: die Angabe des Gutachtens solle, da es nun einmal erfodert sei, so bald als möglich erfolgen!
Im August reichte Dr. Jessen dieses Gutachten ein, welches im Wesentlichen und Resultate mit dem Stalbom'schen übereinstimmte. Die Aufzählung aller verschiedenen Wahrnehmungen des Arztes würde uns über die uns gesteckten Grenzen hinausführen. Ramcke erschien ihm nach wie vor als ein gefühlloser, verstockter, in der Verstellung geübter, charakterfester Missethäter, der sich mit auffallender Gewandtheit in seiner schwierigen Lage zu bewegen wisse. Sein entschiedenes Ablehnen einer bestimmten Antwort auf Fragen, welche sein Verhältniß zur Halstenbecker Mordthat berührten, beurkunde eine aus besonnener Ueberlegung hervorgehende, durchaus freie und vernünftige Willensbestimmung, welche als solche mit einer wirklichen Verrücktheit unverträglich sei. Da die in seinen Reden angedeutete Seelenverfassung weder in seinen Blicken, noch seinen Mienen und Geberden und übrigem Benehmen in entsprechender Weise ausgedrückt erscheine, so sei mit höchster Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß hier ein Betrug stattfinde. Indessen beruhe diese, des Physicus, Ueberzeugung nur auf individueller Beobachtung und Beurtheilung, und eine Täuschung in der Beurtheilung sei so leicht möglich. Daher schloß der Arzt sein Gutachten mit den Worten: »Daß die in Ramcke's Verhalten hervortretenden Aeußerungen eines anscheinend gestörten Seelenlebens keinesweges das unzweifelhafte Gepräge einer ausgebildeten Form von Seelenkrankheit tragen, sondern daß vielmehr durch vielfache Widersprüche und andere, die Realität einer Seelenstörung verdächtigende Umstände, die Annahme als höchst wahrscheinlich begründet wird, daß Jochim Ramcke, wie schon zu einer frühern Zeit, so auch gegenwärtig eine Seelenstörung nur simulire.«
Was sollte das Gericht darauf thun? – Ramcke das Urtheil publiciren und ihm darauf den Kopf abschlagen lassen? – Des Arztes Gutachten sprach nur dessen subjective Ueberzeugung aus, ließ aber die Möglichkeit einer andern objectiven Wahrheit zu.
Dem Obercriminalgericht wurde von Seiten der Landdrostei die Frage gestellt: ob die Strafe zu vollstrecken sei, wenn nach der Publikation des Urtheils Ramcke fortfahre, sich so zu betragen, wie bisher?
Hier äußerten sich die mannichfaltigsten Ansichten. Daß das executirende Gericht zu dieser Bedenklichkeit berechtigt sei, darüber war nur eine Stimme. Gewisse Veränderungen, welche nach dem rechtskräftigen Urtheil in der Person der Verurtheilten vorgingen, wie eine entdeckte Schwangerschaft und eintretende Geisteskrankheit machten es zur Pflicht, die Vollziehung aufzuschieben. Denn, wenn auch der Wahnsinn positiv erst später sich ausgebildet, also auf die Zurechnungsfahigkeit bei Begehung der That keinen Einfluß geübt, so verbiete doch die Humanität, einem Geisteskranken das Leben zu nehmen.
Dennoch äußerten sich auch hierüber anders lautende Ansichten von Rechtsgelehrten: Bei einem Verbrecher, wie Ramcke, sei es am besten gewesen, wenn er gleich später wahnsinnig geworden, kurzen Proceß zu machen und ihm den Kopf abzuschlagen. Die Humanität wäre dadurch nicht verletzt, indem er selbst, wenn er verrückt war, das wider ihn zu vollstreckende Strafübel weit weniger, oder vielleicht gar nicht empfunden hätte. Der eine Zweck der Strafen, die Abschreckung, wäre doch dadurch erfüllt worden. Um so dringender sei die Execution aber gewesen, als gerade damals in Holstein die Raub- und Mordthaten in beunruhigender Weise zugenommen hätten; wohingegen andern Verbrechern durch den Aufschub ein neuer Ausweg zum Entschlüpfen gewiesen worden, nämlich sich auf den Wahnsinn in ihrer einsamen Kerkerhaft einzustudiren.
Die entgegengesetzte Ansicht hatte im Gerichte entschieden die Oberhand. Einen Wahnsinnigen hinzurichten sei ein Act der Barbarei, der, statt abzuschrecken, Unwillen und Abscheu erwecken müsse. Dann sei es im Begriffe aller Strafe begründet, daß das zuerkannte Uebel dem Verbrecher nicht blos als physisches Leiden, sondern in dem Lichte der geistigen Aussöhnung mit dem Gesetze zum Bewußtsein gebracht werde. Wo solche Zweifel an der geistigen Integrität des Verbrechers vorwalteten, machte sich auch die Ansicht geltend, daß sogar mit der Publication des Urtheils gezögert werden müsse, da der Versuch, den Inhalt desselben einem muthmaßlich Wahnsinnigen verständlich zu machen, eine unnütze Quälerei sei; welche leicht gefährliche Folgen haben könne.
War Ramcke jetzt wirklich mit einer Seelenkrankheit behaftet, so mußte seine Execution bis zu seiner Heilung ausgesetzt werden, darüber war das Obereriminalgericht einig. Aber über diese eingetretene Krankheit zu entscheiden, kam nicht ihm, als jetziger Executivbehörde, sondern dem Arzte zu. Dieser aber, kam man überein, habe diese Entscheidung nicht gegeben. Zwar habe er als Mensch die vollständige Ueberzeugung, welche er für sich gewonnen, ausgesprochen, aber er scheine sie nicht in seiner ärztlichen Qualität erlangt zu haben. Denn gerade in dem Theile des Gutachtens, wo er das Resultat aller seiner ärztlichen Beobachtungen zusammenfaßt, öffne er dem Zweifel wieder die Thür und stelle die Annahme der Simulation nur als höchst wahrscheinlich dar. Er spreche also nicht aus, daß nach den Regeln der gerichtlichen Arzneikunde eine Simulation mit Gewißheit anzunehmen stehe, sondern räume vielmehr ein, daß die rein ärztliche Beurtheilung zu einem ganz bestimmten Resultate nicht gelangen könne. Was nun daran fehle, sei weder durch die Privatmeinung des Arztes, noch durch die Reflexion und das Urtheil des Richters zu ergänzen (?), da dem letztern zwar ein solches controlirendes über die vom Arzt aufgestellten Motive zukomme, derselbe aber nie berechtigt sein könne, ein von der kunstverständigen Beurtheilung abweichendes Resultat dem ärztlichen Ausspruche selbständig entgegen zu stellen. Der ärztliche Ausspruch über die frühere Simulation des Wahnsinns sei von dem zuerst zugezogenen Physicus unbedingt gegeben, hinsichts des gegenwärtigen führe der zweite Sachverständige aber nur dringende Wahrscheinlichkeitsgründe an, die dem Richter um so bedenklicher erscheinen müßten, da seine Nachrichten zum Theil auf vom Arzte eingezogenen Privaterkundigungen beruhten, er auch übrigens einräume, daß in dem Zustande des Verbrechers eine wirkliche Veränderung vorgegangen sei.
In Preußen würden in diesem Falle die Acten sofort zur Beurtheilung an die oberste Medicinalbehörde gesandt sein, ohne daß wir der Meinung wären, daß die objective Wahrheit darum unbedingt an den Tag gekommen wäre. Ein solcher Instanzenzug ist in Holstein nicht eingeführt, es gibt in unserm Sinne daselbst kein höchstes Gericht in Medicinalangelegenheiten, dessen Autorität in letzter Instanz entscheidet, wenn gleich, wie wir später sehen, in dringend zweifelhaften Fällen zuletzt das Gutachten der medicinischen Facultät der Universität Kiel eingefordert wird. Es fehlte also für diesen außerordentlichen Fall an ausreichenden Bestimmungen.
Einige wollten die Acten an die Irrenanstalt in Schleswig absenden, ein Gutachten der dortigen Aerzte einfodern und alsdann eine weitere Vertheidigung zulassen. Dies ward bestritten, da ein solches Verfahren die Ablieferung des Inculpaten selbst ins Irrenhaus, zur Probe, ob er wahnsinnig sei, nach sich ziehen würde. Abgesehen von dem Anstoß, welchen ein solches Verfahren geben müsse, würde das Gutachten der Irrenhausärzte ebensowenig als ein etwa zu erfoderndes Facultätsgutachten ein besseres Resultat erzielen. Höchstens würden die Aerzte dort die Möglichkeit einer Seelenstörung aussprechen, welche die Ablieferung eines zum Tode verurtheilten Verbrechers noch nicht rechtfertigen dürfte.
Die Mehrzahl entschied: das Urtheil soll ihm publicirt werden. Ist er wirklich verrückt, so bringt ihm diese Handlung noch keine Nachtheile. Ist der Wahnsinn aber simulirt, so ist in dem zu erwartenden moralischen Eindrucke fast die einzige Möglichkeit gegeben, zu einem zweifellosen Resultate über die jetzt noch zweifelhafte Frage zu gelangen.
Wenn die Publication ihn nun aber nicht erschütterte? Wenn Alles blieb, wie es war? – Man kam zuerst überein, dann solle er nicht hingerichtet werden. Es solle dies als neues Zeichen einer wirklichen Seelenverwirrung angenommen und dann der Verbrecher in eine Irrenanstalt abgeliefert werden.
Aber wer sollte über die Erschütterung urtheilen? – Der Arzt Dr. Jessen. In seiner Gegenwart sollte die Publication erfolgen. Erkläre dieser, nun sei er überzeugt, daß Ramcke sich nur wahnsinnig stelle, dann, war eine Meinung, solle mit der Execution verfahren werden. Erkläre er dies nicht, und bleibe Alles beim Alten, solle an das Obercriminalgericht berichtet werden.
Der Gerichtsarzt Dr. Jessen sollte also über Tod und Leben des Inculpaten entscheiden! Man erkannte das Bedenkliche und Anstößige in diesem Verfahren, fand aber kein minder mißliches Auskunftsmittel. Endlich entschloß man sich, mit Umgehung dieser Detailbestimmungen im Allgemeinen in der Art zu verfügen: daß das Erkenntniß zu publiciren und zu exequiren sei, sofern sich nicht nach der Publication Kennzeichen der Verrücktheit herausstellen sollten u. f. w. Dies widersprach dem zuerst gefaßten Entschlusse, wo noch keine Execution stattfinden solle, wenn Alles beim Alten bliebe. Aber die Sache mußte zu Ende gebracht werden. Brachte man Ramcke versuchsweise in ein Irrenhaus, zog man von allen Facultäten und medicinischen Autoritäten Gutachten ein, so konnte man doch aus der Schlinge, die Dr. Jessens Gutachten einmal gelegt, nicht hinaus, aus der Möglichkeit, daß der simulirte Wahnsinn zum wirklichen geworden sei. Dann suchte man den Entschluß damit zu rechtfertigen, daß die Vermuthung stets dafür streite, daß Jemand bei gesunden Verstandeskräften sei; also müsse das Gegentheil dargethan werden, was hier nicht geschehen, sondern nur eine Möglichkeit hingestellt sei. Außerdem legte man ein großes Gewicht auf die moralische Tortur, welche die Publication des Todesurtheils auf ihn ausüben müsse. Legte er dann die Maske nicht ab, so müßte er für geistesgesund gehalten werden (ein gefährlicher Schluß); legte er sie ab und zeigte keine Merkmale des Wahnsinns, gab sich also selbst für gesund an, so hatte auch das Gericht keinen Grund, daran zu zweifeln; legte er sie endlich (die bisherige Maske des Wahnsinns) ab und zeigte neue Merkmale eines wirklichen Wahnsinnes, so war er aufs neue ärztlich zu untersuchen. Man suchte diesen Beschluß auch durch die Argumentation zu rechtfertigen, daß, wo eine objective Gewißheit nicht zu gewinnen, eine subjective Ueberzeugung genügen müsse. Wo zwei Sachverständige in zwei zu verschiedenen Zeiten abgefaßten Gutachten in ihrer subjectiven Ueberzeugung übereingekommen und ihre Gründe dieselbe Ueberzeugung in dem Gericht erweckt hätten, so habe auch dieses nur seiner Ueberzeugung zu folgen.
Theilen wir gleich diese Ansicht, daß der Richter auf das Urtheil der Sachverständigen das letzte bestimmende Siegel drücken und dabei seine eigene moralische Ansicht mitsprechen lassen dürfe, und möchten wir ihm danach in diesem Falle sogar das Recht einräumen, in letzter Instanz, auch ohne die gefahrliche Probe der Urtheilspublication, zu sprechen, so können wir doch jener Argumentation zur Begründung der Sentenz nicht beipflichten, wonach Ramcke für nicht wirklich wahnsinnig zu erachten sei, wenn er auch nach der Publication so wahnsinnig verblieb, wie er bis da sich gezeigt, oder, wie die Majorität des Gerichts sich ausgedrückt, wenn er die Maske nicht ablegte. Wie konnte die Maske den Richtern, welche moralisch nicht an seinen Wahnsinn glaubten, als das Kriterium seiner Geistesstärke gelten? Weil er sich wie ein Wahnsinniger betrug, während Aerzte und Richter ihn nicht dafür hielten und die andern positiven Kennzeichen des Irrseins vermißten, sollte er darum geistig gesund sein?
Selbst Graba, welcher es sich zur Aufgabe gestellt, die holsteinischen Gerichte gegen die vielfachen gegen sie, dieses Falles wegen, erhobenen Anschuldigungen zu vertheidigen, muß bekennen, daß der Schluß: daß aus der Nichterkenntniß der Geistesstörung auch das Nichtvorhandensein hervorgehe, kein richtiger sei. Er vertheidigt aber den Erlaß des Obereriminalgerichts (vom 22. August 1842) damit, daß demselben nur die Wahl zwischen drei bedenklichen Wegen geblieben: eine vervielfachte ärztliche Untersuchung anordnen, bei der vorauszusehen war, daß es beim Alten bleiben würde; oder einen schweren Verbrecher mit Strafe verschonen, weil er möglicherweise wahnsinnig war; oder, – der Weg, welchen es wählte – die Strafe vollstrecken, auf die Gefahr hin, »daß der Verbrecher die Aussöhnung mit dem Gesetze nicht begriff«.
Die Publikation erfolgte demnach am 30. August 1842 auf der Dingstätte. Eine große Menschenmasse war versammelt. Um die Barrieren, welche den Gerichtsplatz einfriedigten, waren bewaffnete Bauern aufgestellt. Da es für unsere Leser von Interesse sein wird, von einem noch im Jahre 1842 nach altdeutscher Form gehegten peinlichen Gerichte eine Beschreibung zu hören, setzen wir dieselbe hierher, wie sie uns Graba mittheilt.
Das Gericht nahm seine Plätze. Die Eheleute Ramcke wurden fesselfrei vorgeführt; eine allgemeine Stille erfolgte. Die Hegung des peinlichen Gerichts, wie sie in der Herrschaft Pinneberg üblich ist, begann:
Vorsprecher: Ihr verordnete Achts-Männer, ich frage Euch, ob es an der Zeit und Tage, daß ich Sie königl. Majestät zu Dänemark, unseres allergnädigsten Erb- Königs und Herrn, peinliches Gericht, einem Jeden zu seinem Rechte hegen mag?
Der Abfinder Namens der 16 Männer antwortet: Ja!
Vorsprecher: So hege ich im Namen Sr. königl. Maj. unsers allergnädigsten Erb-Königs und Herrn Christian VIII., bei dessen Königlicher Macht und Gewalt ein öffentliches peinliches Gericht, gebiete Recht und verbiete Unrecht, ich gebiete Euch in diesem peinlichen Gericht Frieden und verbiete Unfrieden und den unsers allergnädigsten Erb-Königs und Herrn Frieden. Wer diesen bricht, dem gehe es an sein höchstes Recht. Ich bedinge auch in diesem peinlichen Gerichte alle bedinglichen Dinge, ich benenne sie, oder benenne sie nicht, mit Zwei und Eins, mit Urtheil und Recht. Ihr verordnete Achts-Leute, ich frage Euch, ob ich meines allergnädigsten Erb-Königs und Herrn peinliches Gericht, einem Jeden zu seinen Rechte genugsam geheget habe? Der Abfinder antwortet: Ja, es ist geschehen!
Versprecher: höret Ihr verordnete Achts-Männer, es ist anjetzo, auf Befehl unserer Obrigkeit, das peinliche Gericht geheget, einem Jeden zu seinem Recht. Es ist geheget zum Erstenmal, Andernmal und Drittenmal, Zwei und Eins, mit Urtheil und Recht und nach peinlicher Art, daß Niemand vor dieses peinliche Gericht soll treten, er thue es denn mit Erlaubniß und Recht.
Hierauf trage ich an, daß gegenwärtige Inquisiten, nämlich Jochim Hinrich Ramcke, welcher eines vollführten Mordes an dem Kinde der Abschiederin Anna Margaretha Cacilia Ramcke in Halstenbeck, sowie eines Versuchs zur Ermordung der genannten Abschiederin selbst sich schuldig gemacht, und welchem auch eine, unter höchst erschwerenden Umständen verübte Brandstiftung zur Last fällt, und dessen Ehefrau Anna Maria Ramcke, geb. Ladiges, welche nicht nur einer unter denselben erschwerenden Umständen von ihr vollführten Brandstiftung, sondern auch der Beihülfe zu der von ihrem Ehemanne beabsichtigten und ihr vorher verkündigten Ermordung der Abschiederin Ramcke und einer nachfolgenden Begünstigung der Verbrechen ihres Ehemannes sich schuldig gemacht, mithin die in den peinlichen Rechten auf ihre Verbrechen gesetzte Strafe wohl verdienet, zu dieser Strafe gezogen werden möge?
Euch, anwesende Achtleute, bitte ich also, daß Ihr in die Acht gehen, und wie dieser peinlich Angeklagten halber, nach Verordnung der Rechte zu erkennen sei, eine gerichtliche Findung öffentlich allhier im Gerichte einbringen wollet.
Nachdem die Gerichtsmänner mit dem Dingvogt in die Acht getreten waren, kehrten sie bald darauf zurück, worauf der Dingvogt nachstehendes Urtheil den Inquisiten publicirte:
Sententia.
In Sachen des bestellten peinlichen Anklägers hieselbst
wider
die Inquisiten Jochim Hinn'ch Ramcke und dessen Ehefrau Anna Maria Ramcke, geb. Ladiges, aus Halstenbeck,
wegen verübten Mordes, Brandstiftung u. s. w. und der denselben desfalls zur Last fallenden Umstände,
erkennen der zum Pinnebergschen Criminalgerichte verordnete Dingvogt und die von Gerichte berufenen Achtmänner, nach angehörter im Gerichte verlesenen Anklage und Defension, in Übereinstimmung mit einem Rescripte des Königl. holsteinischen Obereriminalgerichts,
in Erwägung,
daß in der Nacht von 13. auf den 14. Juni 1837 das 2[1/2] jährige Kind der Abschiederin Anna Margaretha Cäcilia Ramcke in Folge vielfacher Hiebwunden gestorben ist, dessen Mutter, der Abschiederin Ramcke, selbst aber vielfache Hiebwunden beigebracht worden, die nicht ohne Gefahr für ihr Leben gewesen; daß ferner in derselben Nacht die Abschiedskathe, in welcher außer der Abschiederin Ramcke nebst ihrem Kinde auch noch die Ehefrau Luth nebst zwei Kindern im Schlafe lagen, so schnell eingeäschert worden, daß nur mit genauer Noth letztere gerettet werden konnten;
in Erwägung,
daß der peinlich angeklagte Jochim Hinrich Ramcke nach langem Leugnen eingestanden hat, daß er in der fraglichen Nacht mit einem Beile seines Knechtes Brandt und einer Schweep in die Abschiedskathe hineingegangen sei, den Versuch, der schlafenden Abschiederin die Schweep um den Hals zu chaffen, um dieselbe zu erhängen, gemacht, nach mißlungenem Versuche aber, indem jene mit dem Kopfe geschüttelt, den Entschluß gefaßt habe, dieselbe mit dem Beile zu ermorden, mit diesem auch auf dieselbe eingehauen, demnächst aber, als er ein Schreien des Kindes vernommen, mit dem Gedanken, diesem auch gleich so viel geben zu wollen, daß es genug habe, auch auf das Kind eingehauen habe, und erst dann weggegangen sei, als er sich durch die Beleuchtung der Geschlagenen mit einer Lampe von dem Tode Beider überzeugt, demnächst aber mit der brennenden Lampe das Stroh über dem Luth'schen Hilgen in Brand gesteckt habe; – daß ferner die Ehefrau desselben ebenfalls nach langem Leugnen eingestanden hat, in der fraglichen Nacht auf die Eröffnung ihres Ehemannes, daß er die Abschiederin todtschlagen wolle, sie und ihr Bruder aber mitgehen sollten, dieser um Wache zu stehen, sie selbst, um das Haus in Brand zu stecken, aus Furcht vor ihrem Ehemanne eingegangen zu sein, daß sie ferner eine vom Feuerherde mitgenommene, in eine Schüssel gelegte Kohle, von der Größe einer geballten Hand unter dem oben vom Regen feuchten, unten aber trockenen Strohdache der Abschiedskathe so lange gehalten hat, bis das Strohdach angezündet gewesen und wie ein Licht gebrannt habe, sowie daß sie später in der Jacke und in dem Hemde ihres Ehemannes Flecke, die sie für Blutflecke gehalten, durch Bestreichung mit Theer unkenntlich gemacht hat;
in Erwägung,
daß so wenig der Gang der Untersuchung als der Acteninhalt Gründe für einen Zweifel darüber, ob die Geständnisse im Ernste und ohne Einfluß eines zulässigen Zwanges abgelegt worden, aufkommen lassen, ihr Inhalt auch, soweit solches der Natur der Verhältnisse nach möglich gewesen, durch anderweitig ermittelte Umstände bestätigt wird, wie dies namentlich hinsichtlich der von dem angeklagten Ramcke angegebenen Veranlassung und Vorbereitung zur That, sowie der Art und Weise, wie er selbige ausgeführt hat, gilt, während die Aussage der Ehefrau Ramcke in der Aussage von Zeugen, wo das stärkste Feuer wahrgenommen worden, sowie in der genau übereinstimmenden Aussage ihres Bruders Ladiges Bestätigung findet;
in Erwägung,
daß die abgelegten Geständnisse dadurch an Glaubwürdigkeit nicht verlieren können, daß der Angeklagte, Ramcke, in Widerspruch mit seiner Ehefrau behauptet, die That ganz allein verübt zu haben, sowie daß er auf andere Weise, wie von dieser und von ihrem Bruder angegeben worden, in die Abschiedskathe gelangt und wieder in seine eigene Wohnung zurückgekehrt sein will, indem einestheils diese Abweichungen nur unerhebliche Nebenumstände betreffen, anderntheils dieselben lediglich die Ansicht zu begründen geeignet sind, daß der Angeklagte, Ramcke, nun nicht vollständig gestanden, namentlich diejenigen Umstände nicht eingeräumt hat, die auf eine eigene größere Verschuldung, wie die eingestandene, führen würden, ohne daß hierin ein Grund für die Annahme gefunden werden kann, daß das von der Ehefrau dessen übereinstimmend mit ihrem Bruder abgelegte Geständniß die Wahrheit nicht enthalte;
in Erwägung ferner,
daß der von dem angeklagten Ramcke so oft wiederholte Widerruf des zweimal abgelegten Geständnisses eine rechtliche Beobachtung nicht finden kann, zumit solche Gründe, die die Kraft eines Geständnisses zu schwächen geeignet erscheinen können, für den Widerruf überall nicht vorgebracht sind, ebenso wenig aber der von der Ehefrau Ramcke außergerichtlich versuchte Widerruf, dessen Veranlassung dieselbe bei ihren späteren so häufigen Wiederholungen des Geständnisses genügend aufgeklärt hat;
in Erwägung daher,
daß der peinlich angeklagte Ramcke sich eines vollführten Mordes an dem Kinde der Abschiederin, sowie eines Versuches der Ermordung der Abschiederin selbst schuldig gemacht hat, demselben auch eine unter höchst erschwerenden Umständen verübte Brandstiftung zur Last fällt, welcher Verbrechen wegen eine geringere Strafe, als die des Rades, nicht erkannt werden kann; daß ferner die peinlich angeklagte Ehefrau Ramcke nicht nur einer unter denselben erschwerenden Umständen von ihr vollführten Brandstiftung, sondern auch der Beihülfe zu der von ihrem Ehemanne beabsichtigten und ihr vorher verkündigten Ermordung der Abschiederin und einer nachfolgenden Begünstigung der Verbrechen ihres Ehemannes schuldig ist, die von derselben vorgeschützte Furcht vor ihrem Ehemanne aber von solcher Art nicht gewesen, daß ihr ihre verbrecherische Thätigkeit nicht rechtlich zugerechnet werden könnte, dieselbe mithin die Todesstrafe verwirkt hat; hiemit für Recht: daß der peinlich Angeklagte, Jochim Hinrich Ramcke, aus Halstenbeck, wegen verübten Mordes, nächsten Versuch zum Morde und Brandstiftung mit dem Rade vom Leben zum Tode zu bringen; dessen Ehefrau, die peinlich Angeklagte, Anna Maria Ramcke, geb. Ladiges, aber wegen verübter Brandstiftung und geleisteter Beihülfe zu der von ihrem Ehemanne beabsichtigten Ermordung der Abschiederin Ramcke, mit dem Beile zu enthaupten; das Vermögen beider Eheleute auch, soweit es dazu hinreichen wird, zu den Untersuchungskosten zu verwenden ist.
V.R.W.
Gleich nach der Publikation erhob sich der Landdrost, verlas die königliche Begnadigung und brach dann den Stab über Ramcke. Das Gericht wurde aufgehoben.
Die Ehefrau Ramcke ward unmittelbar von den Gerichtsstufen nach dem Wagen geführt, der auf sie wartete, um ins Zuchthaus abgeführt zu werden. Es ward ihr von den Gerichtsdienern angeboten, von ihrem Manne Abschied zu nehmen. Sie schwieg und sah vor sich nieder. Er wandte den Blick verneinend ab. So schieden die Eheleute auf immer, ohne Gruß und Abschied. Im Zuchthause Abends angelangt, ward sie vom Oberinspector freundlich befragt, ob sie Wünsche in Betreff ihres Mannes hege. Ihre Antwort war: »Laß ihn zum Teufel fahren!«
Nach Anordnung des Obercriminalgerichts stand Ramcke's Leben nunmehr in der Hand des Arztes Dr. Jessen. Sein Ausspruch entschied, ob er enthauptet werde, oder eine neue, dann wahrscheinlich ununterbrochene ärztliche Untersuchung sich mit ihm beschäftigen solle. – Wenn darin eine seltsame Anomalie des Rechtsganges lag, eine Uebertretung der natürlichen Ordnung, so ward sie durch einen eben so seltsamen Eingriff in den Rechtsgang paralysirt. Für Ramcke trat ein Vertheidiger auf außerhalb der Gerichtsschranken, der dem ganzen Processe eine neue Wendung, und demselben die Berühmtheit verlieh, zu welcher er jetzt gelangt ist. Bis dahin war es ein nicht uninteressanter Rechtsfall, von jetzt ab trat er aus dem streng eriminalistischen in das Feld der publicistischen Oeffentlichkeit; der König von Dänemark ward hineingezogen, es ward ein Gegenstand, der die ernstesten Fragen anregte, die heißesten Federkampfe veranlaßte, eine ganze Literatur ins Leben rief, uns zur Aufnahme desselben in unfern Pitaval verpflichtete, und neue Opfer, – Menschenleben gekostet hat.
Dr. Jessen sprach das Todesurtheil über Ramcke aus. Der Verbrecher hatte sich, nach seinem Bericht, den er bis zum andern Morgen abgeben mußte, mit gewohnter Apathie und Ruhe zum Gerichtsplatz führen lassen, ohne Aufregung und Erschütterung zu verrathen. Dort betrug er sich wie ein verstockter Missethater. Ruhigen, gleichgültigen Blickes umherschauend, habe sich nur in Momenten eine gewisse Spannung in seinen Mienen ausgesprochen. Eben so ruhig ließ er sich zurückführen. Beim Zuspruch der Prediger blieb er ungerührt. Erst Abends spät um 10 Uhr sei es einem Besuchenden gelungen, durch eindringliches Zureden die Eisrinde um sein Herz zu erweichen. Die Thränen seien ihm wider Willen hervorgedrungen. Ein Bild tiefster Zerknirschung und Vernichtung habe jeder Zug seines Gesichts den innern Kampf ausgedrückt. Aber zum Durchbruch sei es nicht gekommen. Wahrend die Thränen ihm von den Backen liefen und die Lippen zitterten, verstockte sein Gefühl wieder, er versuchte zu faseln, – oder faselte. Der Arzt konnte nicht anders als bei seiner Ansicht beharren, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach die Seelenstörung nur simulire. Ob aber außer dieser Simulation noch eine wirkliche partielle Seelenstörung vorhanden sei, deren Existenz durch die Simulation verdeckt werde, müsse er dahin gestellt sein lassen.
Die Hinrichtung war auf den nächstfolgenden Tag, den I. September, angesetzt.
Der Dr. juris Peter v. Kobbe, der, früher Dragonerrittmeister, zuletzt als Privatgelehrter in Ratzeburg lebte, bekannt durch mehre historische Schriften und insbesondere durch seine Verteidigungsschriften für die Mörder des Fualdes, für Fonck, Wendt, hatte früher hinsichts Ramcke's Schuld den Glauben der ganzen Gegend getheilt. Seit er die Gülichsche Defension, die im Druck erschienen war, gelesen, war er zu der entgegengesetzten Ansicht übergetreten; zumal nachdem er sich überzeugt, daß die darin enthaltenen Aktenstücke richtig aufgenommen und nichts den Vertheidigten etwa sonst Gravirendes verschwiegen oder entstellt sei. Angetrieben von dem Eifer, welcher ihn zur Verteidigung der oben genannten Männer angespornt hatte, umsomehr, da er gegen die Rechtmäßigkeit der Todesstrafe sich erklärt und ihre Anwendung verabscheut hatte, auch, – wie er erklärt, – von dem Gedanken durchschauert, daß die Hinrichtung eines vielleicht Wahnsinnigen, und wie er gewiß glaubte, Unschuldigen, das Land mit einer Blutschuld belasten würde, that er verschiedene Schritte. Von innerer Unruhe getrieben, machte er sich in einer mondhellen Nacht, zuerst zu Fuß, auf den Weg nach Pinneberg. Am Montag Abend (29. Aug.), dem Tage vor der Publikation dort ankommend, fand er den Advocaten Gülich verreist. Die Nacht durch schrieb er an den König und die Landdrostei, an letztere mit dem Gesuch, Publication und Execution aufzuschieben, da er sich mit einem Gnadengesuch an die Majestät gewandt; ein Gesuch, dem begreiflicher Weise nicht gewillfahrt werden konnte. Der Brief an den König war abgegangen, als Kobbe in Halstenbeck (wohin er am Dienstag, 30. Aug., am frühen Morgen gegangen) erfuhr, daß derselbe seine Reiseroute geändert. Jener Brief hatte demnach die Majestät zu spät erreicht. Schnell setzt er sich im Wirthshause nieder und concipirt auf dem einzigen, dort vorräthigen Bogen Papier eine neue Eingabe an den König. Das Papier war schmuzig und Kobbe schrieb eine schlechte Hand; auch mag die Dinte im Wirthshause nicht vorzüglich gewesen sein.
Kobbe kehrte früh genug nach Pinneberg zurück, um sich dem Zuge nach der Dingstätte zur Publication des Erkenntnisses anzuschließen. Den ganzen langen Weg durch Pinneberg ging er an Ramcke's Seite, der seine Ketten so schleppte, daß man die lange Gewohnheit erkannte. Wenn er vorhin gezweifelt, so war er jetzt überzeugt, daß Ramcke sich in einem hohen Grade des Wahnsinns befinde. Der Blick des Irren war ihm unverkennbar. Die Ueberzeugung wurde für ihn zur unumstößlichen Gewißheit, als er sein Benehmen während der Urteilsvorlesung beobachtete.
Nach derselben eilte er, abermals zu Fuß, nach dem eine Meile entfernten Uetersen, wo er der Vorstellung an den König noch einige Worte hinzufügte, bezüglich auf den Wahnsinn, hinsichts dessen er sich jetzt bei der Publication vergewissert habe, und den Brief auf die gerade nach Heide, wo der König übernachtete, abgehende Post abgab. An das Postamt daselbst fügte er die Bitte hinzu, falls die Majestät am Mittwoch Abend nicht in Heide sein sollte (am Donnerstag früh 1. Septbr. war die Execution festgesetzt), dieses, ein Menschenleben betreffende Schreiben derselben sofort nachzusenden.
So Peter v. Kobbe in seiner letzten Schrift. Graba erzählt uns weiter, wie das Schreiben zu rechter Zeit am Abende vor dem Hinrichtungstage in das Cabinet des Königs zu Heide gelangte. Der König fand, dort eintretend, eine Menge von Papieren und Briefen. In der Regel eröffnete er sie erst des Morgens. Zufällig fällt sein Auge auf das Kobbe'sche Schreiben, vermuthlich wegen des grauen, beschmuzten Papiers und der schlechten, flüchtigen Hand, mit welcher die Adresse geschrieben. Er erbricht es, scheint anfänglich kein besonderes Gewicht darauf zu legen, erkundigt sich aber doch bei dem Cabinetssecretair, wer der Kobbe sei? (Nach Kobbe selbst war die Anwesenheit des Staatsministers Grafen Rantzau-Breitenburg für den Bittsteller von günstigem Einfluß.) Als der König erfährt, daß derselbe früher Militair, dann Beamter, jetzt Schriftsteller und im criminalistischen Fache von einigem Rufe sei, erschien demselben die Sache denn doch der ernsteren Betrachtung werth. Der Cabinetssecretair erhielt den Auftrag einen Befehl zum Aufschub der Execution sofort zu expediren.
Da der Cabinetssecretair sich so lange im Cabinet aufhält, schließen die andern Cabinetssecretaire draußen, daß dringende Sachen verhandelt werden. Einer derselben, welcher zufällig beim Postmeister wohnte, findet diesen bei der Nachhausekunft noch wachend und in der warmen Sommernacht vor seinem Hause sitzend. Er gibt ihm freundschaftlich den guten Rath, noch nicht zu Bette zu gehen, da er wahrscheinlich eine Estafette werde zu besorgen haben. Der Postmeister sieht in dem Augenblicke einen zufällig zurückkehrenden Postillon. Er heißt ihm zur Vorsicht ein Pferd satteln. Es währt auch nicht lange, so wird die Estafette requirirt. Der Postmeister weiß nicht, was es gilt, hat aber die Ahnung, daß die Sache Eil erfodere; er empfiehlt sie daher dem Postillon. Dieser reitet, daß der Schaum vom Pferde streicht und erzählt auf der nächsten Station wieder, daß es höchste Eil gelte. Dennoch kommen bei diesem nächtlichen Estafettenritt unvermeidliche Aufhalte vor. Nach Kobbe wußte man, was es galt; wahrscheinlich erst auf den letzten Stationen. Die letzte, nach Pinneberg, hatte ein dreizehnjähriger Bursch, Herrmann Piening, zu machen. Er legte den Ritt, welcher gesetzlich in 7/4 Stunden gemacht werden muß, in ¾ Stunden zurück. Sein Pferd wird in der Gegend »der Retter« genannt.
Donnerstag, am 1. September, gegen Mittag, setzte sich der Zug nach der Richtstätte in Bewegung. Eine unübersehbare Menschenmenge stand auf den Landstraßen und um den »Koppelberg«, den Gerichtsberg. Selbst aus Altona und Hamburg waren Viele hinzugeströmt. Ein Sarg, aus rauhen Bretern gezimmert, stand am Fuße der Treppe, daneben war ein tiefes Grab gegraben. Bewaffnete Bauern und Dragoner umkreisten das Schaffot. Dennoch drang ein schneeweißer Hund durch, sprang auf den Koppelberg, beschnupperte den Block und lief dann von der andern Seite wieder hinunter. Die Menge rief: »Ein Zeichen der Unschuld!« – »Er ist unschuldig!«– »Er wird begnadigt.«– Dies berichtet nicht Kobbe, sondern ist aus Graba's Mittheilungen entnommen. Daß die Mehrzahl des Volkes um Pinneberg an Ramcke's Unschuld nicht glaubte, vielmehr gegen ihn eingenommen war, bekunden Beide, wie es sich auch aus dem fernern Hergange zeigte. Die Hinrichtung sollte um 11 Uhr stattfinden. Kleine Verzögerungen veranlaßten, daß der Delinquent erst um 11 [1/2] Uhr aus dem Gefängnißhause abgeführt wurde. Auf einem rückwärts geschnallten Stuhle saß er todtenbleich. Neben ihm der Gefangenwärter; gegenüber die beiden Prediger. Militair begleitete den Wagen, der Scharfrichter mit seinen Knechten folgte.
Der Zug hatte schon die Stadt verlassen, die fast öde war, da nur die wenigen Bewohner, welche das Schauspiel anwiderte, zurückgeblieben waren, als eine Estafette wie ein Sturmwind durch die menschenleeren Straßen ihm nacheilte. Unwillkürlich rief man aus: »Er wird begnadigt!«
Ueber dem halben Wege zum Richtplatz hinaus, etwa noch auf Flintenschußweite von demselben, ereilte die Estafette den Wagen des Landdrosten und überreichte das königliche Schreiben. Als der Landdrost es erbrochen, ließ er den Zug sofort umkehren, der denn auch mit der Dragonerescorte im Galopp nach der Stadt zurückeilte. Er selbst fuhr langsam bis zur Richtstätte und verlas dort den Befehl, welcher in Folge der Kobbe'schen Intervention den Aufschub der Hinrichtung verfügte.
Wäre die Estafette eine Viertelstunde später auf dem Richtplatz angelangt, wäre sie zu spät gekommen. Eine Kette günstiger Umstände rettete dem Delinquenten sein trauriges Leben.
Es war gut, daß der Landdrost sofort die Umkehr des Zugs verordnet hatte. Es wurden dadurch ärgerliche Auftritte vermieden. Kaum daß Ramcke in Sicherheit und der Landdrost zurückgekehrt war, so fiel das enttäuschte Volk über Das los, was seiner Wuth zurückgelassen war. In wenigen Augenblicken war der Block, auf dem sein Haupt fallen sollte, und der Sarg zersplittert, zertrümmert und verschwunden. In der Umgegend ward vieler Unfug verübt.
Nach Graba's Actenbericht hatte man, als Ramcke hinausfuhr, an ihm nichts Anderes gesehen, als man früher gesehen. Als er zurückkam, hing er erschlafft auf dem Stuhle, den Kopf zurückgebogen, die Augen geschlossen, die Hände gefaltet. Um den Mund spielte ein leichtes Lächeln, der Ausdruck einer kaum zu verbergenden Freude. (Wie stimmt dies mit jener Schlaffheit?)
Der Kutscher soll (nach Graba) bei der Rückkehr die gefühllosen Worte gegen ihn gesprochen haben: »Hätte ich das gewußt, daß ich dich wieder mitbringen würde, so hätte ich dich gar nicht gefahren.« Ramcke soll darauf ihn angeblickt und gesprochen haben: »Es ist gut, daß du nichts zu befehlen hast.«
Der Gefangenwärter berichtete, daß Ramcke's Kleider nach der Rückkehr von Schweiß so naß waren, daß er umgekleidet werden mußte. Dies gilt Vielen als das sicherste Zeichen, daß er den Wahnsinn nur simulirt habe.
Nach Kobbe hatte Ramcke bei der Hinfahrt (er theilt die Berichte eines andern Augenzeugen mit) unstäte, nichtssagende, zuweilen neugierige Blicke auf die Menge gerichtet. Nichts von Leidenschaft, Effect, Schmerz auf dem phlegmatischen Gesichte. »Seiner Physiognomie zufolge konnte ihm ebensowol ein Zechgelag als eine Hinrichtung bevorstehen.« Zu Rellingen, einem Dorfe auf dem Wege, ward ihm, nach aller Sitte, ein Labetrunk gereicht. Er trank treuherzig dem Prediger zu. Ramcke soll der Meinung gewesen sein, nicht er, sondern sein Seelsorger solle enthauptet werden. Man sagt, er habe bei der Rückkehr sich geäußert: »Se wullen Fadder den Kopp afhauen, dat geiht aber so gau nich.« Er sprach am meisten vom Korn, er wolle vom Wagen, er müsse mähen.
Der königliche Befehl an den Landdrost, datirt noch vom 31. Aug. 1842, inhibirte die Execution unter der Aufgabe, über das Bedenken des Dr. von Kobbe sofort zu berichten. Schon am Tage nach der angesetzt gewesenen Hinrichtung (am 2. September) ging dieser Bericht nebst sämmtlichen, den Seelenzustand Ramcke's betreffenden, Acten, an den König ab; und schon unterm 4. September rescribirte der Monarch an das Obercriminalgericht: »Den Fall nunmehr zu erledigen, und diesem gemäß, falls zu einer fernern Untersuchung des geistigen Zustandes des Inquisiten keine Veranlassung gefunden werden sollte, die sofortige Vollziehung des Straferkenntnisses zu verhängen.«
Was hieß das? – Was sollte das Gericht thun? Die Minorität sagte: wir haben untersucht, wir sind überzeugt und finden zu einer fernern Untersuchung keine Veranlassung; also muß das Urtheil vollstreckt werden. Die königliche Verfügung bringt ja kein neues Moment in die Sache. Die Majorität aber beschloß, dem Pinneberger Gericht aufzugeben, Ramcke's Benehmen kurz vor, bei und nach der Execution noch ein Mal zu prüfen, ohne für sich den Glauben anführen zu können, daß eine solche summarische Untersuchung ein anderes Resultat als die frühere gründliche zuwege bringen dürfte. Die Möglichkeit, daß ein körperlich sich nicht offenbarender, partieller Wahnsinn hinter dem simulirten versteckt liege, konnte durch keine Untersuchung positiv ausgeschlossen werden.
Kobbe hatte sich inzwischen nicht beruhigt. Man kann nicht ohne Theilnahme in seiner letzten Schrift die Schilderung der inneren und äußern Aufregung lesen, in welche ihn, bei einer leidenschaftlichen und schnell handelnden Sinnesart, der Antheil an dem Schicksal des nach seiner Meinung unschuldigen Mannes versetzt hatte. Nachdem er am Mittwoch (31. August) den Brief in Uetersen an den König abgeschickt, war er nach Altona gegangen. Er hoffte, daß, wie das Gerücht sagte, auch das Obercriminalgericht sich an den König vermittelnd werde gewendet haben. Am Morgen (1. September) überzeugten ihn die vielen Wagen, die durch Altona zur Hinrichtung fuhren, daß er sich geirrt; er erhielt die Nachricht, daß der Scharfrichter eben abfahre. Er mußte in die Luft hinaus; seine einzigen beruhigenden Gedanken waren, daß der Unglückliche in seinem Zustande nichts von dem ihm widerfahrenden Unrecht fühlen werde. Ein Bote, den er nach Pinneberg gesandt, brachte die Kunde zurück, daß der Richtzug sich in Bewegung setze. Trostlos machte er sich zu Fuße auf den Rückweg nach Ratzeburg, seinem Wohnort, die abgelegensten Wege suchend, um in seiner Gemüthsstimmung Niemandem zu begegnen und nichts von Dem, was ihm ein Greuel war, zu hören. In einer Bauernschenke auf der Bank übernachtend, fiel ihm am andern Morgen die Altonaer Zeitung in die Hand, mit der Nachricht, daß die Hinrichtung aufgeschoben sei.
Aufs Neue ermuthigt, in seinem Rettungswerke fortzufahren, geht er nicht nach Hause, sondern eilt zuerst nach Altona und Uetersen, und schickt von dort, unterm 6. September eine neue Vorstellung an den König, in welcher er, seinen gerührtesten Dank aussprechend für Das, was bisher geschehen, Ramcke's völlige Unschuld darzuthun sucht. Er bittet um eine 14tägige Frist, dann wolle er mit seiner Ehre und seiner Freiheit dafür einstehen, daß er Aufklärungen liefere, aus welchen ganz Europa den Beweis der Unschuld des armen Wahnsinnigen erkennen werde. In begeisterter Sprache verweist er darauf, daß der König dereinst die Gnadenacte als den schönsten Glanzstein in seiner Krone und jenen Tag als den schönsten in seiner Regierungsgeschichte betrachten werde. Auch eine verblendete Menge werde darauf die Fügung des Himmels, das Gottesurtheil für die Unschuld nicht verkennen, daß, während er (Kobbe) in Verzweiflung auf den Knieen gelegen und ein Wunder vom Himmel erfleht, im letzten Augenblicke der königliche Bote erschienen und den Unglücklichen, den beispiellos Gemarterten gerade an der Stelle gerettet habe, von wo aus er seinen Hof erschaute, und wo, wunderbar genug, die Abschiederin gerade gestanden, um derenwillen er zum Hochgerichte geführt worden.
So begegneten sich zwei vorgefaßte Meinungen in ähnlicher einseitiger Heftigkeit. Denn der Eingebung Kobbe's, daß Ramcke ganz unschuldig sei, eine Eingebung, die er mit fanatischer Leidenschaftlichkeit verfocht, und für die er göttliche Zeichen und Wunder vindicirte, stand die vorgefaßte Ansicht der Gerichte gegenüber, daß Ramcke seinen Wahnsinn nur und allein simulire. Durchzuckte denn Niemanden die Ahnung, oder kam Niemand zu dem Vernunftschluß, daß ein Mann, der drei Jahre den Wahnsinn simuliren konnte und die Maske selbst da noch nicht fallen ließ, als er mit einem Fuß auf dem Schaffot stand, sich wenigstens in einem Zustande befand, welcher dem Wahnsinn nahe verwandt war? Aber man hatte von vornherein an eine Verstellung geglaubt, Richter, Gefangenwarter, Aerzte, Vertheidiger und Publicum; an dieser Präsumtion hielt man fest, und foderte den positiven Gegenbeweis, den Niemand führen konnte oder wollte. Es war ein Wahnglaube, der die Gegend beherrschte, auf ebenso rechtlichen, moralischen Gründen, wie der Kobbe's, beruhend, auf dem Abscheu gegen einen abscheulichen Verbrecher, der dem Gesetze zur Sühne verfallen solle, und diesen Glauben suchte man durch die Zergliederungskunst der Wissenschaft zu rechtfertigen. Es geschah nichts, als was menschlich allerwärts geschieht, wo man, eine angenommene Meinung für die allein richtige haltend, alle Mittel anwendet, ihr Geltung zu verschaffen; nur daß, wo Bildung und Humanität herrschen, man statt der Gewalt die Gründe der Vernunft und die Erörterungen der Wissenschaft anspricht. Und hatten alle Aerzte nach allen Regeln und Systemen von Hippokrates bis Hufeland ihr Urtheil abgegeben: der Mann ist nicht Das, was die Wissenschaft wahnsinnig nennt, so mußte doch Jemand, der drei Jahre die Kraft geübt, sich so zu verstellen in einem Gemüthszustande sein, den der gesunde Menschenverstand nicht mehr für gesund, nicht für vernünftig erachten kann, um so weniger, als eine so lange Verstellung zu den alleräußersten Seltenheiten gehört, von denen wir in der Geschichte kaum Beispiele auftreiben werden. Und zudem, wer war Ramcke? Kein gelehrter, lebenserfahrener Mann, er war ein junger Bauer, der die Rolle eines Wahnsinnigen, aller Wahrscheinlichkeit nach, nirgend zu studiren Gelegenheit gehabt hatte.
Kobbe's Schreiben an den König ward von diesem an das Obercriminalgericht abgegeben, und von letzterem der Landdrostei von Pinneberg aufgegeben, den Dr. v. Kobbe darüber zu vernehmen: worauf er seine Behauptung hinsichts Ramcke's Unschuld zu begründen gedenke, und welche Thatsachen er zur Unterstützung anzuführen habe. Es ward dazu ein Termin auf den 16. September angesetzt.
Kobbe hatte inzwischen eine Audienz beim Könige in Plön am 11. September erlangt, und versichert uns, daß der Fürst mit theilnehmendem Ernst und der edelsten Humanität seine Vorstellungen angehört, und ihn des Weiteren an das Gericht nach Glückstadt verwiesen habe. Nach Ratzeburg zurückgekehrt empfing er die Citation zum 16. nach Pinneberg. Er arbeitete in drei Tagen die erste von ihm später im Druck erschienene Schrift für Ramcke aus, und begab sich damit nicht nach Pinneberg (wo er Erbitterung gegen sich bei dem allgemeinen dort herrschenden Glauben gegen Ramcke fürchtete), sondern gleich an das Obergericht in Glückstadt und bat dort abgehört zu werden. Statt sich zu Protokoll vernehmen zu lassen, übergab er seine Deduction, in welcher er als besondere Thatsachen den Wahnsinn zur Zeit des Geständnisses und den erblichen Wahnsinn, welcher in Ramcke's Familie herrschen sollte, anführte.
Hierauf ward ihm unterm 29. September von dem Obercriminalgericht eröffnet, daß, da in der Lage der Sache »durch die gehaltlosen, aller tatsächlichen Begründung entbehrenden Ausführungen des Supplicanten durchaus nichts geändert worden,« auf seinen Antrag nicht einzutreten stehe.
Zugleich ward ihm bedeutet, bis zur Erledigung der Sache, sich bei Ahndung aller mit dieser noch schwebenden Sache nicht verträglichen Veröffentlichungen zu enthalten, unter Vorbehalt, ihn wegen schon veröffentlichter injuriöser Aeußerungen gegen das Gericht zur Untersuchung zu ziehen.
Inwiefern einem holsteinischen Gericht jene Macht beiwohnte, einem Schriftsteller Veröffentlichungen zu verbieten, welche nicht aus den Acten geschöpft sind, und die er auch sonst nicht diesem Gerichte verdankte, sondern die nur sein Urtheil als Individuum über eine allgemein besprochene Sache enthalten, ist uns unbekannt; Kobbe schien jedoch dieses Recht einzuräumen, indem er gelegentlich erwähnt, daß jene Schrift schon vor dem gegen ihn erlassenen Verbote in die Presse gegeben sei. Unermüdet und unerschrocken fuhr er indeß mit Eingaben und Vorstellungen fort, an den König, an das Obercriminalgericht, an die medicinische Facultät in Kiel, Eingaben, welche zwar seinen Feuereifer und Riesenglauben an die Unschuld seines selbsterwählten Schutzbefohlenen aufs Hellste ins Licht stellen, und ehrenvolles Zeugniß von seiner Unerschrockenheit ablegen, aber nicht mehr von dem unmittelbaren Einfluß auf den Gang der Sachen waren, als es seine erste, folgenreiche Intervention gewesen. Wir mögen sie daher, um mit der Proceßgeschichte selbst zu Ende zu kommen, hier übergehen. Später bei der Veurtheilung des Kobbe'schen Verfahrens und seiner Einwendungen werden wir gelegentlich darauf zurückkommen, so weit dies nöthig ist.
Vom Obercriminalgerichte war also dem Pinneberger Gericht aufgegeben, Ramcke's Verhalten kurz vor, bei und nach der Execution durch protokollarische Vernehmung der Personen, die ihn dabei beobachtet, näher zu constatiren. Dies geschah am 8. September.
Der Geistliche, Propst Adler, bekundete: Ramcke habe sich wie immer verhalten, nur einmal, unter vier Äugen, habe er ihm bekannt: daß es ihm leid thue, die That begangen zu haben, gleich darauf sei er aber wieder in sein abschweifendes Reden verfallen. Dem Anschein nach habe ihn der Augenblick ergriffen, wo er dem Scharfrichter übergeben worden. Als der Wagen umgekehrt, habe er gelächelt, dem Anscheine nach spöttisch u. s. w. – Nicht mehr wußte der Pastor Hansen über ihn auszusagen; im Wesentlichen sei er unverändert und religiösen Ermahnungen unzugänglich gewesen. – Der Landdrosteisecretair Wernecker meinte, daß seine dringende Bitte nach der Publication: an sein Seelenheil zu denken, einen sichtlichen Eindruck auf ihn zu machen geschienen. Eine Thräne sei ihm über die linke Wange gerollt. Als man die Wachen abtreten lassen, habe er angefangen, still zu weinen, und das Bild vollkommenster Hinfälligkeit und innerster Zerknirschung abgegeben. Als der Secretair ihn bat, hinzuknieen, habe er mit zitternder Stimme gesagt: »Ach, verlangen Sie Das doch nicht von mir.« Zu mehr war er nicht zu bringen und verfiel wieder in seine gewohnten, abschweifenden Reden. Am Morgen darauf war er ungestüm, sprach unsinnige Reden und knirschte mit den Zähnen. Am Tage vorher hatte er zum Secretair gesagt: »es möge wol nicht so schlimm werden, man möge nur Vadder (Vater) bitten, ihn frei zu lassen; dann könne man Alles behalten, da er genug auf seiner Hofstelle an der Elbe habe«. Heute sagte er auf die Frage, ob er noch etwas wünsche: »Ach Sie kunnen sik doch so nett en söte Mund bi mi maken« (Ach, Sie können sich doch so nett einen süßen Mund bei mir machen), auf eine Schüssel mit Pflaumen hinweisend, die er den Anwesenden angeboten hatte.
Der Arrestverwalter Mayer hatte ihn einige Mal beim Hinfahren die Farbe wechseln sehen, sonst war in seinen Reden so wenig Zusammenhang als früher. Beim Umkehren des Wagens hatte er sich mit Lächeln nach der Seite umgewandt; nichts von Auffälligem sonst in seinem Wesen. Beim Auskleiden war seine Wäsche voller Schweiß, die Strümpfe aber waren wie durch Wasser gezogen. Unverändert in seinem Betragen, zeigte er nur guten Appetit und schlief die Nacht durch ruhig.
Die Mehrzahl der übrigen vernommenen Zeugen konnte nichts bekunden, was mehr Licht in die Sache gebracht hatte. Nur Zweier Wahrnehmungen könnten bedenklich erscheinen. Einem seiner Wächter hatte er weinend die Hand gedrückt und geäußert: »daß Jeder doch mit Dem zufrieden sein sollte, was er hat!« – Gegen einen mit ihm eingesperrten Sträfling, Kehdenburg, hatte er anfangs großes Mistrauen gezeigt, ob er auch kein Secretair oder Schreiber sei? Als er zutraulicher geworden, unterhielt er sich mit ihm vernünftig. Sobald er aber das geringste Geräusch vernahm, fuhr er auf, sprach Unzusammenhängendes, sehr rasch, kurz »er rabbelte«. Er versicherte, sie könnten ihm nichts thun, die Schreiber seien an Allem schuld. Er wisse nicht, wie er dazu gekommen sei, zu gestehen. Ans ewige Leben glaube er nicht; das sei Alles mit dem Tode vorbei.
Der Physicus Dr. Jessen schloß, daß, wenn Ramcke auch in letzter Zeit auf eine fast unbegreifliche Weise indolent und apathisch gewesen, er doch zugleich im psychischen und physischen Verhalten eine bei weitem größere Aufgeregtheit kund gegeben, und er daher von seiner ausgesprochenen Ansicht in keiner Rücksicht abweichen könne.
Kobbe hatte sich in seiner Eingabe auf einen erblichen Wahnsinn in der Familie Ramcke berufen. Die Untersuchung hierüber ergab, daß ein Vaterbruder des Inquisiten ein sehr stiller Mann gewesen. Er war beim Baden ertrunken; Einige meinten, er habe sich ersäuft. Eine Mutterschwester desselben ward einmal aus einem Brunnen herausgezogen. Durch Hörensagen hatte man vernommen, daß sie einmal geäußert: sie möge nicht mehr leben. Ein Mutterschwestersohn war wirklich als Wahnsinniger in ärztlicher Behandlung gewesen, aber wieder geheilt worden. Eine Mutterschwestertochter litt an einem chronischen Uebel, welches in stillen Wahnsinn überging, dessen Heilung nur langsam erfolgte.
Das Obercriminalgericht legte großes Gewicht auf das Zeugniß des Sträflings Kehdenburg, aus welchem, verbunden mit dem des Arrestverwalters, hervorgehe, daß Ramcke nur dann in seinen Reden verrückt gewesen, wenn er sich beobachtet wußte und – wenn seine Gedanken auf das von ihm begangene Verbrechen hingeleitet wurden. Das Obercriminalgericht war subjectiv so gut als die Aerzte und das Publicum überzeugt, aber es war von der Sache zu viel Aufhebens gemacht, die Rückstauung gegen ihren compacten Willensstrom war zu bedeutend geworden, als daß sie jetzt noch, gestützt auf die an und für sich nicht bedeutenden letzten Wahrnehmungen, auf ihre Ueberzeugung, ohne größere Stütze hätten zurückkommen sollen, nachdem sie früher, als kein Widerstand von außen da war, angestanden hatten, darauf hin zum Aeußersten zu schreiten. Jetzt entschied sich das Gericht, das Gutachten der Obermedicinalbehörde einzuholen. Die öffentliche Stimme nöthigte es dazu. Kobbe's Denunciation hatte die Augen des lesenden deutschen Publicums auf den Fall gelenkt. Die Presse hatte sich der Sache bemächtigt, und sprach schwere Klagen gegen die Holsteinischen Gerichte aus. Die Gerichte konnten sich auf keinen Kampf mit der Presse einlassen. Sie mußten, um nicht den Vorwurf eines rücksichtslosen Festhaltens an einer gefaßten Meinung auf sich zu laden, eine höhere Autorität zu ihrem Schutze anrufen, wozu sie außerdem die Nachricht bewog, daß Ramcke's dritter Bruder, Peter, mit einem Begnadigungsgesuche beim Könige eingekommen sei.
Am 21. Oct. 1842 wurde das Gutachten der medicinischen Facultät zu Kiel erbeten. Die Facultät sandte eine Deputation, bestehend aus den Professoren Ritter, Langenbeck und ihrem Decan Meyn nach Pinneberg, welche in vier Tagen fünf Mal durch Autopsie und Gespräche mit dem Gefangenen sich eine persönliche Kenntniß zu verschaffen suchten, dann, vermöge der aus den Acten entlehnten und durch eigene Anschauung gewonnenen tatsächlichen Umstände, am 29. März 1843 ihr Gutachten abgaben. Unsere Leser werden uns erlassen, den Auszug einer Schrift zu geben, zu deren Abfassung und Vorbereitung die genannten Gelehrten fünf Monate gebraucht hatten, die mit der Annexis im Graba'schen Actenauszuge, 86 enggedruckte Seiten füllt, ein Gutachten, welches 835 Mark kostete, und neben den eigenen Bemerkungen und Schlüssen einen Actenauszug enthält, dessen wesentlichste Anführungen wir bereits vorgetragen haben. Wir glauben genug zu thun, wenn wir die Resultate mittheilen. Die Facultät erkannte, daß Ramcke noch bei seinem articulirten Verhöre sich als ein Mensch gezeigt, der in vollkommenem Besitze des Selbst- und Weltbewußtseins allemal entsprechende Rede und Antwort gegeben, soweit sie ihm keinen Nachtheil gebracht, sonst aber durch gewisse Redensarten oder ausweichende, keineswegs aber sinnlos zu nennende Antworten sich sicher zu stellen gesucht. An der Grenze seines Lebens erscheine er als ein Mensch von seltener, fast bewunderungswerther Charakterfestigkeit, deren er ohne das bestimmte Bewußtsein seiner nur durch eigene Schuld herbeigeführten Lage gar nicht fähig gewesen wäre. Auch die erschütternden Vorgänge, Publication des Urtheils und die Katastrophe der Execution hätten keine bleibende Veränderung auf ihn hervorgebracht. In den Reden und dem Benehmen desselben finde noch immer unverkennbar das Simuliren eines psychisch krankhaften Zustandes statt. »Daß sich aber danach bei den dermaligen Verhältnissen des Delinquenten und bei den darin nachgewiesenen Schwierigkeiten für eine zu sichern Aufschlüssen führende Untersuchung der erfahrungsmäßig begründete Zweifel nicht ganz beseitigen lasse, ob die mehre (4½) Jahre hindurch geübte Simulation des Delinquenten nicht wirklich eine krankhafte Richtung seiner Gefühle und Vorstellungen hervorgerufen haben könne.«
Die von Kobbe in einer Separateingabe desselben an die Facultät, außer andern besonders hervorgehobenen Zweifel wegen der erblichen Anlage in der Familie Ramcke's beseitigte das Gutachten, weil die Fälle zum Theil nur entfernte Seitenverwandte betroffen, weil ein wirklicher Wahnsinn nicht constatirt gewesen, und weil er bei einigen der genannten Personen nur in Folge einer acuten Krankheit, wie oft geschieht, sich gezeigt, und bald wieder geheilt worden sei.
So das Gutachten der höchsten Medicinalbehörde. Die Gerichte wurden dadurch nicht klüger als sie vorher waren. Ramcke hatte den Wahnsinn simulirt, aber es war doch möglich, daß die Simulation jetzt in Wirklichkeit übergegangen war. Die verdrießliche Möglichkeit blieb bestehen, und der einzige Gewinn des Gutachtens für die Gerichte und deren Aerzte war, daß das Publicum zu der Ueberzeugung gelangen konnte, daß, »wenn ein in der Schwäche des menschlichen Erkenntnißvermögens begründeter Irrthum stattgefunden hätte, oder noch stattfinde, die Schuld nicht den Gerichten beizumessen sei«.
War nun Ramcke hinzurichten oder nicht? – Die Entscheidung darüber war um nichts erleichtert. Die Hülfe kam von einer andern Seite.
Der Bruder des Verurtheilten, Peter Hinrich Ramcke in Wedel, war mit einem Begnadigungsgesuch beim Könige eingekommen. Dasselbe stützte sich auf drei Motive: weil zuerst die unschuldigen Blutsverwandten des Angeschuldigten, welche sich moralisch von seiner Schuld nicht hätten überzeugen können, durch die Vollstreckung des Todesurtheils am meisten leiden würden; demnächst, weil, wenn der Bruder noch ein Mal zum Hochgericht geführt werden sollte, er eine viel härtere Strafe erlitte, als wenn er bei der ersten Hinführung enthauptet worden – nämlich eine doppelte Todesqual, während das Gesetz doch nur auf einen Tod erkennt. Sein Bruder habe das volle Maß der Strafe bereits ein Mal in den Vorbereitungen zur Hinrichtung überstanden. Glaubwürdige Leute versicherten, daß er sie dermaßen gefühlt, daß er nicht mehr Kraft gehabt, sich auf seinem Sitze aufrecht zu erhalten und vielleicht kaum mehr die Empfänglichkeit besessen, den Todesstreich zu fühlen. Es wäre Barbarei, diese Angst ihm noch ein Mal zu bereiten, und widerspräche dem Zweck der Gesetze. Drittens endlich spräche sich das Verlangen allgemein aus, daß jenes Grausen erregende Schauspiel sich nicht erneuern möge. Wenn die Strafe abschrecken soll, so sei diese Wirkung bereits durch das erste Schauspiel vollkommen erreicht.
Der Supplicant legte den Volkssturm, welcher den Block und Sarg zertrümmert, als Zeichen dafür aus, daß die Menge ihre Freude über den Aufschub an den Tag gelegt habe.
Die Gerichte mußten über dieses Begnadigungsgesuch berichten. Das von Pinneberg bestritt die Behauptung, daß die Volksstimme sich zu Gunsten des Verurtheilten ausgesprochen. Dagegen würde allerdings, wenn das Straferkenntniß, wie es ihm publicirt, jetzt gegen ihn sollte in Vollziehung gebracht werden, darin eine unverkennbare Schärfung der wider ihn erkannten Strafe liegen. Die Suspension sei ohne Veranlassung seinerseits erfolgt. Nachdem er nun Wochen lang in einer, wenngleich schwankenden, Hoffnung werde geschwebt haben, müßten seine neuen Todesqualen doppelt fühlbar werden.
Beim Obercriminalgericht war nur über den letztern Punkt die Frage: ob der Umstand, daß Ramcke bereits einmal zum Hochgericht geführt worden, der Begnadigung das Wort rede? Daß darin eine Verschärfung der ihm zuerkannten Strafe liege, ward anerkannt. Aber nur wenige Rechtslehrer hatten den Grundsatz angenommen, daß, wenn die Execution mislingt, die Todesstrafe um deshalb nicht vollzogen werden dürfe, weil dem Urtheil durch die angefangene Execution und die dadurch bewirkte Todesangst ein Genüge geschehen sei. Dieser Grundsatz sei nie in die Praxis übergegangen. Uebrigens habe hier die Execution noch gar nicht ihren Anfang genommen, sondern es seien nur Vorbereitungen getroffen worden. (?) Auch sei Ramcke selbst allerdings, wenn nicht unmittelbar, doch mittelbar an dem erfolgten Aufschub Schuld, da er ihn durch seinen hartnäckig simulirten Wahnsinn zuwege gebracht. Uebrigens erfoderten die auf dem Lande in letzter Zeit überhandnehmenden Todesverbrechen, sowie das verletzte Rechtsgefühl des Volkes dringend die Execution der Strafe. Wenn Ramcke für wahnsinnig erklärt und darum begnadigt würde, würde jeder todeswürdige Verbrecher diese Rolle zu spielen versuchen, wie es denn auch gerade seit Ramcke's Fall mehrfach in den holsteinischen Criminalgefängnissen geschehen ist. Endlich, würde der Grundsatz angenommen, daß ein zur Richtstätte einmal hingeführter Verbrecher nicht mehr hingerichtet werden dürfe, wenn die Hinrichtung aufgeschoben worden, so könne ja ein Jeder die Strafe verhindern, indem er nur auf dem Richtplatz zu behaupten brauche, daß er die Unschuld des Delinquenten beweisen könne. (?)
Diese Ansicht gewann die Oberhand über die andere, welche in dem Aufschub der Strafe eine solche Schärfung derselben erblickte, daß man unmöglich noch mit der wirklichen Execution verfahren könne. Die Votanten dagegen beriefen sich auf Quistorp, welcher zwar die Regel aufstelle, daß, wenn der Strick reißt und der erste Hieb nicht tödtet, die Todesstrafe dennoch zu vollziehen sei, indem kein Erkenntniß dahin laute, daß der Kopf auf einen Hieb fallen solle, dagegen verlange, daß, wenn der Delinquent nach mißlungener Execution wieder in das Gefängniß gebracht werde, nur auf eine außerordentliche Strafe erkannt werden dürfe. Dafür spreche ferner, daß Gerechtigkeit und Humanität sich gegen Grausamkeit der Strafvollstreckung auflehne, ein Schauspiel der Art nur nachtheilig auf das Publicum wirken müßte, und der Regent eines civilisirten Staates einen solchen Auftritt schwerlich gestatten könne. Die Ansicht habe sich schon laut ausgesprochen, daß, wenn Ramcke auch nur den Wahnsinnigen spiele, doch die königliche Gnade sein nochmaliges Hinführen zum Schaffot nicht zulassen werde.
Diese Voraussicht mag den Ausschlag gegeben haben, als das Oberappellationsgericht sich einstimmig dahin entschied: daß der von Ramcke's Bruder nachgesuchten Begnadigung nicht Statt gegeben, vielmehr die erkannte Todesstrafe nunmehr vollzogen werden solle. Auch die schleswig-holstein-lauenburgische Kanzlei sprach sich dafür aus, daß der Lauf der Gerechtigkeit nicht gehemmt werde.
Aber der König verfügte durch das Rescript vom 13. Juli 1843, daß, wenn gleich durch die fortgesetzte Untersuchung und durch das eingezogene Gutachten der Facultät zu Kiel ermittelt worden, daß Ramcke das Irrereden simulire, mithin kein Hinderniß der Vollstreckung der Todesstrafe entgegenstehe, dennoch aus besonderer allerhöchster Gnade Se. Majestät sich bewogen gefunden habe, die erkannte, doch nicht vollzogene, Todesstrafe bis auf lebenswierige Zuchthausstrafe zu mildern.
Die Mehrzahl des Publicums hatte nichts Anderes erwartet; auch ein großer Theil der Rechtsgelehrten.
Ramcke wurde am 3. August 1843 in die Strafanstalt zu Glückstadt abgeliefert. Dort lebt er noch, und – ist wahnsinnig. Dies behauptet nicht allein sein Vertheidiger, Peter von Kobbe, der jetzt nicht mehr für ihn sprechen kann, nicht allein dessen Bruder Theodor von Kobbe, welcher mit gleicher Leidenschaftlichkeit die Sache ergriff, für die sein Bruder gefochten und gestorben, sondern auch der Schriftsteller, welcher es zuletzt über sich genommen, durch eine actenmäßige Darstellung das Verfahren der holsteinischen Gerichte und Aerzte gegen die vielfachen Angriffe der Presse zu vertheidigen und zu rechtfertigen, der Justizrath Graba in Kiel, dessen Werk (Kiel 1844) unserer Darstellung zum Grunde liegt. Graba hat ihn im Zuchthause zu Glückstadt besucht und ging mit der Ueberzeugung fort, daß er einen Wahnsinnigen gesehen und gesprochen. Diese Ueberzeugung theilten alle seine Mitgefangenen, auch die Aerzte der Anstalt, vielleicht auch der König von Dänemark, welcher bei einem Besuch im Zuchthause diesen berühmten Sträfling sich vorführen ließ und einige freundliche Worte an ihn richtete. Noch mehr, derselbe Justizrath Graba spricht zum Schluß seines Buches seinen Glauben aus, daß Ramcke schon früher, ja schon bei Ablegung seines Bekenntnisses an intermittirendem Wahnsinn gelitten haben möge.
Unsern Lesern werden diese Zeugnisse über eine Thatsache genügen, an der Niemand jetzt mehr zu zweifeln scheint, ohne daß sie von uns fodern werden, alle Anzeigen, Wahrnehmungen und Thatsachen aufzuführen, aus denen Graba und die Andern zu diesem Schlüsse gekommen sind.
Und doch vertheidigt Graba die holsteinischen Gerichte und Aerzte, und wir meinen mit Recht. Aber auch Peter von Kobbe war im Recht, und wahrscheinlich wird Niemand dem Könige von Dänemark seines bestreiten, die Hinrichtung unter den gegebenen Verhältnissen aufzuschieben und demnächst im Wege der Gnade die Todesstrafe in ewige Gefängnißstrafe zu verwandeln. Es ist dies einer der außerordentlichen Fälle, für die in den Gesetzen nicht vorgesehen ist, noch vorgesehen sein kann, wo Jeder, von seinem Standpunkte ausgehend, im Rechte ist, aber die Standpunkte selbst sind verschieden und außer der Controle des irdischen Richters. Ein Glück, daß diese Conflicte nur ausnahmsweise vorkommen.
Jochim Hinrich Ramcke ist jetzt anerkanntermaßen wahnsinnig. Dies schließt freilich nicht die Frage aus, ob er schon wahnsinnig war zur Zeit seiner angesetzten Hinrichtung, zur Zeit seines Geständnisses, zur Zeit der That selbst; aber dieses positive Factum: er ist jetzt wirklich seiner Seelenkräfte beraubt, wirkt unwillkürlich rückwirkend und gibt der Präsumtion Nahrung, daß er es auch schon früher gewesen. Versuchen wir es aber, diese gewonnene Kenntniß einmal ganz bei Seite zu setzen, und bleiben nur bei der Erscheinung in ihren rohen Zügen stehen, wie sie uns die Acten geben. Kobbe's Darstellung haben wir bei unserm Referat absichtlich ganz bei Seite gedrängt, vorläufig nur da aus ihm schöpfend, wo er über seine eigene Theilnahme an der Sache spricht. Unsere Quelle war die Graba'sche actenmäßige Darstellung, und aus ihr entnahmen wir die sämmtlichen von uns aufgeführten Data seines irren Redens und Treibens. Es kann uns nicht beikommen, alle diese Aeußerungen und Wahrnehmungen noch einmal der Reihe nach aufnehmend und prüfend, mit der Wissenschaft einen Kampf anzufangen, welche behauptet, daß alle diese Zeichen, einzeln genommen, nicht die Anzeichen des Wahnsinns sind. Graba vergleicht irgendwo Ramcke's Erscheinung mit einem jener Bilder auf geripptem Holze, welche von jeder Seite ein anderes Gesicht darstellen. Wir möchten lieber ein großes Gemälde annehmen, welches, sorgfältig ausgeführt, in allen seinen einzelnen Theilen den Kunstregeln entspricht und von den Kennern als tüchtig gelobt wird; aber als Ganzes, von der Ferne aus betrachtet, macht es dem Laien einen unangenehmen verfehlten Eindruck. So mag es sein, daß der Sachverständige in allen einzelnen Reden und Geberden des Verbrechers keinen Wahnsinn fand, weil sie nicht zu seinen Regeln und Erfahrungen stimmten. Aber in der Totalität, im Zusammenhange machen sie auf uns einen andern Eindruck. Wie gesagt, ganz abgesehen von Kobbe's leidenschaftlicher Darstellung und Ausmalung, abgesehen von den subjectiven Eindrücken, welche ihm für Wahrheit galten, verfolgten wir Graba's actenmäßige Berichte durch die vielen hundert Seiten, welche die Tollheiten, absurden und dazwischen vernünftigen Reden des Delinquenten enthalten, und wenn gleich wir bei den ersten Ausbrüchen des Irrseins nicht anders als mit ihm an eine Verstellung denken konnten, so wuchs doch mit jeder Seite unser Bedenken, bis die Wahrnehmungen bei Gelegenheit der Publication und der Execution unsere Annahme bedeutend erschüttert hatten.
Jahre hindurch einen Wahnsinn zu simuliren, wie er gethan, und nicht wahnsinig zu werden? Und war es ein erfahrener Mann, der mit Phantasie und besondern Gaben ausgerüstet, Welt, Leben und Wissenschaft kannte, der in der Einsamkeit seines Kerkers ein System sich ausspinnen mochte, um seine Richter zu täuschen? Es war ein 26jähriger Bauer, ohne andere Kenntnisse und ohne anderes Streben, als zu sparen und zu erwerben. Er hatte keine anderen Hülfsmittel als den Trieb zum Leben, und, heißt es, eine außerordentliche Verstandeskraft, um seine Rolle so geschickt durchzuführen. Wir stellen diese Verstandeskraft nicht in Abrede, nur scheint es uns, daß man den Beweis für dieselbe vorzugsweise aus der Annahme Dessen, was man zu beweisen hatte, geführt hat.
Wir sind der Meinung, daß das Menschliche, die Macht des Gefühls, die ewige Naturwahrheit, als vorhanden präsumirt werden, und das Gegentheil, eine unnatürliche Verhärtung dagegen, erwiesen werden müsse. Wir wollen hier zugeben, als sei es erwiesen, daß Ramcke nach dem Geständniß seinen Wahnsinn simulirt habe, wir wollen auch annehmen, daß er durch lange Jahre die Rolle mit äußerster Selbstverleugnung fortgesetzt habe; selbst daß er der bewußte außerordentliche Schauspieler bei der Publication seines Strafurtheils gewesen, der sich auch da nichts merken ließ und alberne Reden führen konnte. Aber vor der Hinrichtung, bei den Vorbereitungen dazu, auf dem langen Wege, bei der Gewißheit, daß es nun zum Ende komme – denn wer konnte den wunderbaren Zwischenfall ahnen? – auch da, sagen alle Zeugen, war und benahm er sich, wie immer; nur etwas ernster. Und als die furchtbare Katastrophe vorüber war, auch da zuckte nichts Menschliches in ihm auf. Kein Seufzer, kein Blick der Freude; auch da konnte er den Stumpfsinnigen fortspielen, das Volk angrinsen, zunicken, faseln wie vorher; und in Nichts verrieth sich das Menschliche, als in einem kalten Todesschweiß. Hier noch an Verstellung, an eine gemachte, wohldurchgeführte, zu glauben, ist mehr, als man von uns fodern kann. Hier fodern wir positivere Beweise, als die Wahrnehmungen, die zu den Acten gegeben sind.
Die Gerichte und Aerzte ließen die Möglichkeit gelten, daß er sich nicht verstellt habe; wir wollen die Möglichkeit gelten lassen, daß er sich auch da noch verstellt hat, aber dieser Möglichkeit ein Etwas gegenüberstellen, was sich uns als psychologische Wahrscheinlichkeit aufdringt. Wer das Entsetzlichste kaltblütig begehen kann, ohne einen andern Antrieb als den des Geizes, der Habsucht; wer in der Lage des jungen, kräftigen, wohlhabenden Bauern Ramcke, durch nichts gereizt, durch keine andern Affecte gestachelt, plötzlich in der Nacht aufsteht, ins Nachbarhaus schleicht und ein harmloses Weib, um ein Paar hundert Mark jährlich zu sparen, todtschlägt, dessen hat sich eine dämonische Macht bewältigt, die dem Wahnsinn sehr nahe steht. Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, schicke ich voraus, daß ich unter dieser Bezeichnung keinen Zustand der Unfreiwilligkeit verstehe, welche die Zurechnungsfahigkeit und demnächst die Strafbarkeit ausschließt. Wer von diesen Dämonen sich beschleichen läßt, wer ihnen nicht Widerstand leistet, muß vor dem Gesetz und der bürgerlichen Gesellschaft dafür büßen. Aber in einem wahnsinnigen Affect, – mag sie nun Wochen, Monate lang vorbereitet sein – halte ich die That für begangen. Dieser stille Bauer, der kein Vergnügen kennt, trotz seiner Jugendfrische, der schon als Knecht den geringfügigen Lohn spart, um ihn auf Zinsen zu legen, der in den Hof geheirathet hat, um zu erwerben, sein Besitzthum zu vergrößern, er ist schon von einem Dämon besessen, als er Tag und Nacht über die Größe des Abschieds und die lange Dauer desselben grübelt. Hatte er sich mit der Abschiederin überworfen, ein Jähzorn ihn überschlichen bei einer Foderung, die ihm ungerecht erschien? Nein, nichts davon ist vorgekommen; nur eine gegenseitige Abneigung und Scheu waltet ob, die nicht einmal in Sticheleien, in Schimpfreden ausbricht. In der Stille bohrt es und wurmt in ihm; gespensterhaft nagt an ihm der Gedanke der Ungerechtigkeit, die Sorge der langen Last vor ihm, daß er, im Schweiß seines Angesichts arbeitend, darben müsse, während Jene in Unthätigkeit genießen könne.
Die dämonische That in ihm ist fertig, er hat auch die sclavisch seinem Willen unterworfenen Geschöpfe, Weib und Bruder, zu Mitwissern und Mithelfern gezwungen. Wir schweigen davon, daß hier die wilde, unselige Begier Herr geworden ist über seine Klugheit; daß dies schon etwas Irres verräth – sein Weib, das mochte sein – aber auch einen tief von ihm verachteten, kaum zurechnungsfähigen dummen Menschen in sein Geheimniß einzuweihen. Was sollte Ladiges ihm helfen? Ueberrieselte ihn die Furcht, es allein zu thun? Ladiges war nur ein unnützer Mitwisser; jeder Mitwisser kann zum Verräther werden. Aber sei es, daß er sich so stark fühlte, einen solchen Menschen beständig in Schreck, Furcht und schweigender Unterthänigkeit zu halten, hätte er denn keine günstigere Zeit und Gelegenheit abwarten können? Daß die Ehemänner der Luth und der Abschiederin entfernt waren, deutet freilich auf eine Vorausberechnung. Aber was drängte ihn, die stille, schöne helle Sommernacht zu wählen, wo er so leicht gesehen werden konnte? Freilich wird und darf das vor keinem Gericht das Indicium eines gestörten Sinnes sein; aber uns erscheint dies nächtliche tiegerartige Hinausspringen aus dem Bett in das stille Nebenhaus, dies Morden und Feueranlegen schon wie ein Zeichen eines dämonischen Triebes, der um so furchtbarer, heftiger wüthet, als er so lange, im Stillen genährt, sich nicht äußern durfte.
Für Verstellung erklärt man seine Angst, sein Entsetzen, als die bluttriefende Frau mit dem sterbenden Kinde beim Flammenschein ihres brennenden Hauses an das Fenster pocht. Simulation, daß er sich, von den Furien gepeinigt, aufs Gras warf, daß er sich wieder ins Bett hüllte, daß er aufs Dach stieg, und oben ohnmächtig wurde und um Hülfe rief, daß man ihn hinunterbringe. Kritiker erklären auch Lady Macbeths und ihres Gatten Entsetzen, als die Kämmerer den Mord verkünden, für Verstellung. Freilich ist es Verstellung vor den Andern, aber die innere Seelenangst leiht dieser Verstellung die entsetzlichste Wahrheit. Die Furien pochen schon an, und der Wahnsinn meldet sich, der die Gattin darauf ergreift. Ein schlichter Bauer, der bis da kein Bösewicht war – die kleinen Eigentumsverletzungen waren nur die ersten Neckereien des Dämons, der ihn zum Aeußersten trieb – soll denn nicht das Gewissen bei dem entsetzlichen Schauspiel erwachen? Ein kluger Mann, wie er, wenn er nur klug war, hätte die Komödie anders, besser gespielt. Er wollte vielleicht spielen, aber die unsichtbare Macht überkam ihn schon, und er ward sein Verräther.
Dann kämpfte er lange, Jahre lang, im Naturtriebe, sein Leben zu retten, um die irrende Vernunft festzuhalten, und sich gegen die immer mächtigern Anschuldigungen zu vertheidigen, und unter den Folterqualen des Gefängnisses Herr seiner selbst zu bleiben. Endlich brach seine Kraft. Er bekannte. Sein Geständniß hat für mich etwas Herzzerreißendes. Es muß heraus, und er will doch noch nicht. Einer der Vertheidiger nennt es eine Kriegslist, um den Andern, die schon bekannt haben, einen Fingerzeig zu ferneren Operationen zu geben. Einem Defensor kann man eine solche Deutung vergeben; zum Menschen aber spricht sie nicht. Für mich ist nicht Alles darin Wahrheit, denn es ist schon mehr als Wahrheit darin. Der zusammengeknickte Verbrecher heult auf vor Schmerz, weniger um die That, als daß seine Kraft ihn verlassen, sie zu leugnen. Und nun betrachte man die Art, wie er es ablegt, mit welchen wunderlichen Redensarten ist es schon gemischt: »Sonst habe ich nie den Gedanken gehabt, Jemand umzubringen; aber die Alte mußte ich umbringen, ich konnte da nicht umhin. Sie wollten mir da Alle Noth anthun, und ich mußte dreschen und arbeiten, wahrend sie gute Tage hatten.« – »Ich bin nun ein so großer Missethäter, aber was sollte ich thun? Die Noth hat mich dazu getrieben; ich wußte mir nicht anders zu helfen. Ich war da recht in einer Bande in Halstenbeck –«. Und dann die Worte: »Nun wollte ich doch auch, daß das Gericht für mich bitte, daß Gott sich meiner wieder annehme.« – »Daß ich nach dem halstenbecker Kram hingegangen bin! Blos um meiner Frau willen bin ich dahin gegangen. Als ich sie das erste Mal gesehen, hatte ich mich gleich in sie verliebt, und darum wollte ich sie denn auch haben. Meine alte, süße Frau! Was sie wol sagt?« –
Die Spuren einer verirrten Geisteskraft waren darin schon ausgesprochen, sodaß man sich später die Mühe nahm, auch in diesem Geständniß bereits den Anfang seiner Rolle zu erblicken. Den Schauspieler müßte ich bewundern, aber gesehen habe ich ihn noch nicht, der mit einer bestimmten Intention sie so ökonomisch andeutete, daß man sie nicht versteht. Aber die Wahrheit spielt so. Es blitzt das unwillkürlich heraus und unmerklich, wofür man erst später den Schlüssel findet. – Wäre das eine der psychologischen Wahrheit widerstreitende Erklärung, daß dieses schwer abgerungene Bekenntniß den ganzen Menschen so erschüttert und zerknirscht hätte, daß er nun, seines letzten Haltes, der Lüge, verlustig, ohne Stütze und religiösen Trost, ohne Aussicht in die Zukunft, als das Schaffot, in Wahnsinn, und gänzlich in offenen, hellen Wahnsinn verfallen wäre? Aber dem widerspricht, daß in diesem Wahnsinn Methode war, daß er im Wahnsinn Alles vermied, was ihn verrathen, verderben konnte! Darum soll es ein simulirter Wahnsinn sein, eine schlaue, systematische Berechnung alles Dessen, was er sprechen darf und was nicht. Man sagt doch vom Nachtwandler, daß er mit derselben systematischen Klugheit jeden Tritt vermeide, der ihm schädlich werden, ihn verderben könne. Wer einer Idee im gesunden Zustande mit krankhaftem Eifer nachgeht, wird er, wenn er in Wahnsinn verfällt, nicht demselben Schatten folgen? Lady Macbeth wusch ihre Hände fortwährend von den Blutflecken rein, die sie auch als Königin vor den Ihrigen zu verbergen fortwährend bemüht war. Jochim Hinrich Ramcke wollte unschuldig erscheinen, bis die Kraft zum Lügen ihn verließ; als der Wahnsinn ihm eine andere Kraft verlieh, verfolgte er Das als Phantom, was er im bewußten Zustande durch alle Anstrengungen des Geistes festzuhalten versucht.
Aber angenommen, daß ihm in unbesonnener Aufwallung das Bekenntniß entschlüpft war, daß nun die Reue darüber, die Furcht vor der Hinrichtung, ihn dermaßen ergriff, daß er beschloß, sich wahnsinnig zu stellen. Heute war er bis nach dem Termin vernünftig gewesen, gleich darauf besinnt er sich eines Bessern und stellt sich wahnsinnig; und diese Stunde, dieser Augenblick entscheidet auf immer. Den Einfall des Momentes hält er, mit Ausnahme eines einzigen Termins, wo er wieder in das Bekennen zurück verfiel, durch vier Jahre, bis zur endlichen Bestimmung seines Schicksals durch das königliche Rescript vom August 1842 fest! Der Moment, nach einem so gänzlichen Aufgeben des bisherigen Vertheidigungsplans, die furchtbare Erschütterung, die es in seinem Nervensystem hervorgebracht haben muß, scheinen uns freilich die allerungeeignetsten, um sofort darauf ein neues, so schlau combinirtes System zu ersinnen. Uns erschiene es psychologisch weit erklärlicher, daß die Gewißheit: nun habe ich mich selbst dem Henker überliefert, nun ist keine Rettung für mich mehr! seine letzten Verstandeskräfte zerrüttet habe. Aber es sei! Er faßte sich wieder, er spannte die Seelenkräfte an, und indem er sich gestand: ja ich habe mich selbst durch meine Unbesonnenheit dem Henker überliefert, gelobte er sich auch, durch seine Schlauheit sich wieder zu retten. Dies System der Lüge indessen durch vier Jahre fortzusetzen, und bis auf den heutigen Tag, durch sieben Jahre, ist zum wenigsten Etwas, das mit der gesunden Vernunft schwerer in Einklang zu bringen ist, als sein Wahnsinn mit einem vernünftigen System. Hamlet stellte sich wahnsinnig; er sagt uns warum, aber wir glauben nicht daran. Wir glauben vielmehr, daß das Entsetzliche, was er erlebt, die Macht von Verhältnissen, denen er sich nicht gewachsen fühlte, ihn um seinen Verstand brachte, und daß, indem er den Wahnsinn simulirte, um über seine Rath- und Hülflosigkeit einen Schleier zu werfen, er in der That wahnsinnig wurde.
Auch Ramcke ist wahnsinnig geworden; er ist es jetzt. Wann er es wurde, bis wie weit zurück man datiren darf, wer entscheidet das? Kein wissenschaftliches Gericht, kein Schwurgericht. Aber die Sache, wie sie ist, ist dem Urtheil der öffentlichen Meinung, der Beurtheilung eines Jeden nach seinem Menschenverstände jetzt verfallen, und wir bezweifeln, daß die Incidenzpunkte, daß der Verbrecher dazwischen Vernunft, Gefühl und Ueberlegung zeigte, vor diesem Forum den Beweis liefern, welchen Gerichte und Aerzte daraus zogen: daß dies sein natürlicher Zustand gewesen, jener sein affectirter. Wir wiederholen, in seinem Wahnsinn war Methode. Die Sachverständigen leugnen die fixe Idee ab. Sollte die natürlichste aller Ideen, sich selbst zu retten, ihn nicht aus dem gesunden in den kranken Zustand verfolgt haben? Wenn der Mondsüchtige den Stein, das Bret fühlt, auf dem sein Fuß ausgleiten würde, wenn er mit unbewußter Geschicklichkeit um den schwindelnden Abgrund sich windet; soll dem Wahnsinnigen diese Gefühlsfähigkeit abgehen, und ihr Dasein zum Beweise seines ungestörten Seelenzustandes werden? Es war kein Wahnsinn, der das Bewußtsein absolut ausschließt, kein Wahnsinn, der verbietet, daß dann und wann aus der Nacht der verworrenen Begriffe eine klarere Anschauung vorleuchtet; Instinct und Bewußtsein bunt gemischt. Das Kalb, die Kuh brüllt, wenn sie zum Schlachthause geführt wird, und sie hat es nie vorher gesehen, sie weiß nicht, daß drinnen die Keule und das Messer bereit stehen. Schließt der Wahnsinn des Menschen den Instinct aus, und ist der Schweiß der Todesangst unbedingt der Verräther des ungetrübten Bewußtseins?
Dies unsere subjective Ansicht; sie war es nicht von Anbeginn, sondern ward es erst nach und nach, aber um so fester, je öfter wir die Actenauszüge durchlasen. Die Aerzte und Gerichte in Holstein waren einer andern Ansicht. Jene nach einer ernsten Prüfung und Vergleichung der ihnen hier gezeigten Symptome, mit denen, welche die Wissenschaft nach älteren Erfahrungen aufstellt. Sie konnten den Normalzustand des Wahnsinns an Ramcke nicht herausfinden. Sie sprachen nach ihrem Gewissen, daß sie nichts Gewisses sagen könnten, nur daß ihr Glaube zur subjectiven Ueberzeugung geworden. Und die Gerichte glaubten bis zur eigenen Ueberzeugung wie die Aerzte.
Es trifft sie wegen dieses Glaubens und dieser Ueberzeugung kein Vorwurf. Durch alle Anzeichen, durch die schärfste eigene Beobachtung, durch die Gutachten der Sachverständigen waren sie gerechtfertigt. Wenn sie ein Vorwurf träfe, wäre es eher der, daß sie zu Anfang vor dem nothwendigen Schlusse, der aus dieser Ueberzeugung entspringen mußte, zurückschreckten, daß sie im festen Glauben an Ramcke's Schuld und voller Zurechnungsfähigkeit, und darin gestützt durch das Zeugniß der Gerichtsärzte, noch zauderten und, erschreckt von der Möglichkeit eines zu begehenden Unrechts, ihre Hände in Pilatuswasser zu waschen suchten. Aber wer mag vor dem Forum der Humanität im 19. Jahrhundert einem Richter dies zum Vorwurf machen?
Ramcke war wahnsinnig; dies unsere Ueberzeugung, die von LaienWährend dieser Theil schon im Druck vorgerückt ist, kommt uns das neueste Werk, welches Ramcke's Proceß hervorrief, in die Hände: »Aerztlicher Beitrag zu dem Criminalprocesse des Mörders J. H. Ramcke aus Halstenbeck. Von Julius Rüppell, Dr., zweitem Arzte an der Irrenanstalt bei Schleswig. Schleswig, 1845. Bruhn.« Wir bedauern, dasselbe erst so spät zu Gesicht zu bekommen, und können doch auch nicht umhin, uns zu freuen, daß unsere Laienansicht hier durch das wissenschaftliche Gutachten eines erprüften Arztes unterstützt wird. Statt eines Auszugs aus dem 307 Seiten starken Werke nur das Schlußresultat, welches Herr Rüppell »mit der Entschiedenheit ausspricht, wie sie überhaupt nur die ärztliche Erfahrung und die Gründe der Wissenschaft zu geben vermögen: »daß Ramcke unmittelbar nach dem begangenen Verbrechen in Folge heftiger Gemüthserschütterungen, bei einer von mütterlicher und väterlicher Seite ererbten und angeborenen Disposition zur Seelenstörung, von einer Gemüthskrankheit befallen wurde, die später in eine secundäre Form, in unheilbare Verwirrtheit ausartete.« Also unmittelbar nach dem begangenen Verbrechen, wie es auch unsere Ansicht war! Und daß diese Ansicht, die dem Unbefangenen von selbst entgegenspringt, gelehrten und erfahrenen Aerzten, Seelenkundigen, ja einer ganzen Facultät entgehen konnte, weil – die andere Ansicht, der Wahnsinn sei simulirt, sich von vorn herein in Fleisch und Blut gefressen hatte! – Eine Warnung an uns Alle, nicht wachsam genug auf unser Urtheil zu sein, wenn es von vorgefaßten Meinungen gelenkt wird. Peter v. Kobbe sollte diese glänzendste Rechtfertigung nicht mehr erleben!, von Beisitzern in dem großen Schwurgericht, welches über jeden abgethanen Criminalfall, der zu solcher Publicität gelangte, in letzter Instanz sein Urtheil fällt. Er mag schon früher an einem intermittirenden Wahnsinn gelitten haben, gibt selbst Grada zu. Wann dieser Wahnsinn seinen Anfang nahm, wer entscheidet es? Denn Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit in diesen psychischen Processen sind so seiner Art, daß wenigstens die Organe, mit denen der Richter sieht, nicht dahin dringen. In solchen Zweifelfällen sollte vielleicht die mildere Meinung den Vorrang behalten und angenommen werden, daß der Wahnsinn bis zur That selbst sich zurückerstreckte. Aber was kommt es darauf an? Wenn Ramcke in unserm Sinne damals wahnsinnig war, so war das keine Seelenstörung, welche die Strafe für Das, was er in diesem Zustande beging, ausschließt. Die Dämonen, welche sein Hirn verrückten, umdüsterten ihn nicht so, daß er nicht gewußt, was er that; und ebenso wenig, daß er nicht gewußt, daß es etwas Unrechtes, daß es ein Verbrechen war, auf welches die Strafe folgen muß. Gestört, aber zurechnungsfähig, als er die That beschloß, ausführte, ableugnete und bekannte, war er dem Gesetz verfallen. Ein Wahnsinn, der nur vor dem Psychologen, nicht vor dem Richter zu Recht besteht. Ein Wahnsinn, der aus der sündhaften Begier, aus der psychischen Erschütterung beim Verbrechen selbst, und aus dem thierischen Instinct, sich zu retten, entspringt, darf die Strafe nicht ausschließen. Diesem Wahnsinn zu widerstehen hat jeder freie Mensch die Kraft. Die bürgerliche Gesellschaft hat das Recht, es von ihm zu fodern, und sie hat das Recht, und zur Zeit die Pflicht, ihn bis zur Vertilgung dafür zu richten. Als Geschworene hätte Ramcke's Wahnsinn uns nicht gehindert, ihn für schuldig zu erklären, als Richter nicht, ihn zum Tode zu verurtheilen.
Aber die Körnlein Zweifel, welche die Gerichtsärzte zwischen ihrem verdammenden Gutachten fallen ließen, irrten die Richter. Wir sind der Meinung, daß es in der Machtvollkommenheit eines Richters, zumal eines höhern Spruchcollegiums liegt, nach Anhörung des Berichts der Sachverständigen, selbst, aus eigener gewonnener Ueberzeugung zu entscheiden. Wo die Wissenschaft aufhört, und sie gesteht es selbst, muß die subjective Ueberzeugung des Richters eintreten und die Lücke füllen. Eine schlimme Gewißheit ist besser als eine endlose Ungewißheit. Wäre Ramcke hingerichtet worden, und später wäre doch ermittelt, daß er wahnsinnig gewesen, wäre das allerdings ein Uebel; aber die Justizgeschichte aller Nationen weist ärgere Uebel auf, die man anerkennt und doch nicht vermeiden kann. Wir brauchen nicht bis in die Zeiten der Barbarei zurückzugehen. Im Augenblick, wo ich dieses schreibe, ist Sylvester Jordan freigesprochen worden. Was ist schlimmer, die Hinrichtung eines wirklichen Verbrechers, von dem es herauskommt, daß er wahnsinnig gewesen, oder der jahrelange Kerker eines Unschuldigen, der loyale Weg zur geistigen Tödtung oder zum Wahnsinn? Ramcke selbst, wenn ihm das Licht der Vernunft wiederkäme, würde darauf antworten können.
Die Richter waren nach dem Gutachten des ersten Physicus überzeugt; das des zweiten konnte diese Ueberzeugung nur stärken. Die Möglichkeit, welche dieser durchblitzen ließ, daß er sich doch anders verhalte, brauchte sie nicht zu irren. Das Reich der Möglichkeiten ist unvermeidlich. Waren sie vollkommen bei sich einig, daß der Wahnsinn simulirt sei, so war der unbedingte Befehl zur Execution gerechtfertigt. Das Experiment, die Enthauptung, von den Wahrnehmungen eines Arztes abhängig zu machen, Tod und Leben eines Verurtheilten also in letzter Instanz dem Gewissensspruch eines Nichtrichters zu übergeben, das erscheint uns der richterlichen Würde unangemessen, das nennen wir die Hände waschen in Pilatuswasser.
Nicht der schnell hingerichtete Ramcke hätte die Intervention des entrüsteten Humanitatsgefühls erweckt; aber der durch alle mögliche Experimente hingemarterte Ramcke, Experimente, um die Unvollkommenheit unserer irdischen Erkenntniß, unserer daraufgebauten Einrichtungen recht hell an den Tag zu legen, das hat den Aufschrei des Menschlichkeitsgefühls veranlaßt und gerechtfertigt. Die populaire Sprache in der Region, welche sich nicht zur Schriftsprache erheben darf, hat dafür einen ganz eigenen, bezeichnenden Ausdruck: »markeln«. Wie hat man mit ihm gemarkelt, erperimentirt! Während das barbarische Mittelalter mit einem raschen Streich, auf die Hälfte der Beweise hin, ihm den Kopf vom Rumpfe geschlagen hatte, den Leib verderbend, um die unsterbliche Seele zu retten, hat man hier durch das »Markeln« seine Seele verdorben, um den Leib zu erhalten. Die lange Haft, die Ketten, die Eisenblöcke, der Kerkerdunst und Staub sind unzweifelhaft von einem psychisch verderblichen Einfluß auf den jungen, kräftigen, arbeitslustigen Bauer gewesen. Man sucht nach einer fixen Idee in seinem Wahnsinn. Ist das keine, daß er immer aufs Feld will, mähen, dreschen, daß die Sorgen um seine Landwirthschaft, um das Buttergeld und den Kühschatz ihn beschäftigen; daß er sich Alles gefallen lassen will, nur hinaus aus den engen vier Wanden mit dem Mehlstaub, ins Freie, zur Arbeit? Noch jetzt will er hinaus und arbeiten. Er klagt über Nichts; nur gebückt sitzend will er nicht Wolle zupfen.
Wir sprechen die Gerichte, welche ihn verurtheilten, von aller Schuld frei, wir klagen sie nicht an, daß sie der Bedenken ungeachtet, zur Execution schritten, wir wollen auch die Klage fallen lassen, daß sie dieselbe vom letzten Gutachten des Arztes abhängig machten; wie es dann eben möglich war, daß nach allen diesen Vor- und Zwischenfällen, nach der Intervention, nach dem königlichen Einschreiten, nach dem Kieler Facultätsgutachten, nachdem diese Sache vier Jahre sich verschleppt, nachdem die Presse und das Publicum sich der Sache angenommen, wie es da gerechtfertigt war, daß das Kieler Oberappellationsgericht und die Schleswig-Holstein -Lauenburg'sche Kanzlei sich dahin entscheiden konnte, daß das Begnadigungsgesuch nicht zu unterstützen, sondern da noch die Hinrichtung zu vollziehen sei, das mag in örtlichen Rücksichten seinen Grund finden, wir aber suchen ihn vergeblich, die wir von den Begriffen eines christlichen, civilisirten monarchischen Staates im 19. Jahrhundert geleitet werden, und nicht von dem starr republikanischen Rechtsgefühl eines spartanischen oder römischen Senats.
Der dunkle Volksglaube des Mittelalters, daß ein Delinquent, an dem die Execution verunglückt war, nicht mehr hingerichtet werden dürfe, ist allerdings in die Rechtspraxis nicht mehr übergegangen, aber er lebt noch heute. Wenn man in gläubigen Zeiten darin ein Gottesurtheil erkannte, so erkennt man heute in einer wiederholten Vollziehung der Todesstrafe eine Schärfung der ursprünglich zuerkannten, die sich schwer vor dem Gesetz, noch schwerer vor dem Humanitätsgefühl rechtfertigen lasse. Zudem war ein Zweifel da, ein Zweifel, der durch Jahre gewachsen, den das Publicum aufgegriffen, den das Gutachten der Kieler Facultät nicht beseitigt hatte. In einem solchen zweifelhaften Falle muß die mildere Auslegung obwalten, in einem so außerordentlichen Falle erscheint der Antrag auf Begnadigung dermaßen gerechtfertigt, daß die Gründe, welche die Obergerichte nicht darauf anzutragen bestimmten, die im Holsteinischen damals häufiger gewordenen Missethaten, dagegen nicht aufkommen.
Der König von Dänemark übte sein Begnadigungsrecht. Der Oeffentlichkeit, der allgemeinen Stimme gegenüber konnte er nicht anders. Er konnte auch vor sich selbst nicht anders. Die Begegnung des Flamen Dialis rettete den Verbrecher in der heidnischen Republik; im christlichen Kömigthum galt durch das Mittelalter der Glaube, daß die Nähe des Königs Gnade bringend sei. Ist dies eine Mythe der Vergangenheit, so hatte sie doch hier durch die Umstände neue Bedeutung gewonnen. Der selbsteigene Wille des Königs hatte die Hinrichtung unterbrochen; unableugbar wäre bei einer nun wirklich erfolgenden Hinrichtung die Strafe, die Qual des Verbrechers verschärft worden. Der König kann eine zuerkannte Strafe im Wege der Gnade mildern, aber in einem gesetzlichen Staate geht seine Machtvollkommenheit nicht so weit, sie auch zu verschärfen.
So die Aerzte, die Gerichte, der König. Wie handelte Peter von Kobbe? Seine Einmischung wird eine »unberufene« genannt. Vielfache Schriften, Zeitungsartikel und jüngst die Graba'sche Schrift haben diese Einmischung der Privatperson in einen ernsten Rechtsgang aufs Heftigste getadelt. Sogar, ihn deshalb in Untersuchung zu ziehen, wurde in der ersten Zeit gedroht. Kobbe hat sich bis auf seinen letzten Athemzug angreifend dagegen vertheidigt, und das Gerücht sagt, und sein Bruder schreibt es, daß er an diesem schweren Kampfe gestorben sei.
Wir kennen des unglücklichen Mannes Antecedentien nicht, so wenig als er uns persönlich bekannt war. Noch weniger vermögen wir zu entscheiden, ob andere Motive, wie oft von seinen Gegnern infirmirt worden, als die der Menschlichkeit, des gekränkten Rechtsgefühls, ihn zu der außerordentlichen, krampfhaften Anstrengung in dieser Sache antrieben. Und dennoch standen wir in einer gewissen Relation zu ihm, die uns einige Scheu gegen unser Urtheil einflößen dürfte, wenn es ein abgünstiges wäre.
Peter von Kobbe hatte es sich zur Aufgabe gestellt, das Gedächtniß und die Ehre von den Gerichten verurtheilter Verbrecher zu retten. Eine ehrenvolle Aufgabe, wenn sie nicht zur Leidenschaft wird, die wieder in Manie übergehen kann. Nach seinen Schriften schließen wir auf einen sanguinischen, heftigen, ja ungestümen Charakter, vielleicht einen, den eigene, harte Erfahrungen erbittert haben. Er gehörte nicht zur liberalen Partei. Seine ersten Schriften und Ehrenrettungen, weil sie gegen von Geschworenengerichten gesprochene Todesurtheile gingen, harmonirten also mit der damals loyalen Gesinnung, daß die Jurys eine Ausgeburt des falschen oder (was damals Dasselbe bedeutete) französischen Freiheitsgeistes seien. Er sprach sich mit seiner ganzen Heftigkeit gegen die Ungerechtigkeiten der Geschworenengerichte aus, ohne, soviel uns bekannt, dadurch an äußerer Gunst, wie manche Andere, zu gewinnen. Er griff das Urtheil der Geschworenengerichte gegen die Mörder des Fualdes, nach unserer Ansicht mit Recht und Geschick an, wogegen wir seiner ersten Stimme für Foncks Unschuld nicht beistimmen können. Auch den Tischlermeister Wendt, ein Proceß, bekannt durch die drei ganz verschieden lautenden Erkenntnisse, vertheidigte er, und war daneben ein entschiedener Gegner der Todesstrafe, worin wir nicht mit ihm einer Ansicht sind, ihm aber einräumen müssen, daß er darin selbständig sich über seinen Parteistandpunkt erhob.
Bei Gelegenheit einer Anzeige der ersten Bände unseres Pitaval, die mit seiner Namensunterschrift im Hamburger Correspondenten erschien, zeigte sich eine Voreingenommenheit, die uns in ihm mehr einen Parteimann, als einen unparteiischen Beobachter und Juristen verrieth. Bei Erwähnung der bourbonischen Intrigue in Warschau, um Napoleon als Giftmischer vor Europa zu denunciren, von uns unter dem Namen: »Die vergifteten Mohrrüben« aufgenommen, zeigte sich sein Rettungseifer, indem er kurzab den Verdacht der Anstiftung von der höchsten legitimistischen Umgebung des Hofes auf einige untergeordnete Abenteurer abwies. Wir hatten aus den Acten des Kammergerichts in Berlin geschöpft, unser Mitherausgeber (Dr. J. E. Hitzig) hatte selbst damals in Warschau in dieser Sache gearbeitet. Kobbe's dreiste Behauptung, aus dem Leeren geschöpft und wie wir vermeinen durften, nur aus Parteiinteresse für die begünstigten französischen Legitimisten, mußte, wie sie es verdiente, gerügt und zurückgewiesen werden.
Dies hinderte ihn indeß nicht, sich später an uns zu wenden, um unser Gerechtigkeitsgefühl für eine Sache aufzurufen, die ihm eine heilige geworden. Sagt er doch selbst an einer Stelle, er glaube eher, daß Foncks, Fualdes, Wendts Sache Zweifelgründe zuließe als Ramcke's Unschuld. Auch solcher Glaube ist vor dem Richterstuhl der Humanität zu ehren. Auch wir mußten dies Vertrauen ehren, obwol uns nach Dem, was wir bis da von der Sache wußten, es sehr zweifelhaft war, ob wir Dem, was er von uns erwartete, nachkommen würden, wenn wir Ramcke's Proceß in unserm Pitaval eine Stelle einräumten. Er foderte uns dazu auf, indem er seine neueste Schrift uns ankündigte. Das Unruhige, Gestörte, tief Verletzte sprach sich schon in diesem Schreiben betrübend aus. Sein Tod überhebt uns der Verlegenheit, ihm zu sagen, daß wir, mit aller Anerkennung seines Feuereifers, in dem einen, wesentlichen Theil seiner Arbeit, nicht seiner Ansicht sein können.
Kobbe sah den Verbrecher zur Publication seines Urtheils führen, und erkannte in ihm einen Wahnsinnigen. Es kommt uns nicht an auf seine Gründe, ob der irre, lauernde Blick es gewesen, seine Haltung oder die anderweitigen Erkundigungen, die er einzog. Genug, ihn durchdrang die subjective Ueberzeugung, daß er wahnsinnig, demnächst auch, daß er unschuldig sei, und er handelte, wie er gethan, mit dem Eifer, dem rastlosen Ungestüm, der tiefen Aufgereiztheit der Gefühle, welche er bei andern Fällen gezeigt. Er war moralisch in demselben Rechte als die Richter, er handelte nach seinem festen Glauben, und das Entsetzen, daß die Blutschuld eines unschuldig und wahnsinnig hingerichteten Mannes über sein Vaterland kommen könne, trieb ihn zu den außerordentlichen Schritten an. Er hat Ramcke gerettet, wenn das Rettung heißt, daß sein Leiden aus einem kurzen Todesstreich in eine lebenslängliche Qual verwandelt ist.
Wer darf Kobbe darum verdammen? Wem bestreitet das Gesetz in einem gesitteten Staate zu thun, was er gethan? Vorausgesetzt – und dieses Glaubens sind wir – daß er aus fester und reiner Ueberzeugung handelte, so erfüllte er die Pflicht, die ihm als Menschen oblag. Daß Tausende ruhiger Bürger nicht so handeln, daß die Maxime: »Jeder fege vor seiner Thür« von der großen Mehrzahl in derartigen Fällen befolgt wird, daß sie sprechen, auch wenn sie von einem schreienden Unrecht überzeugt sind: »Was geht es mich an!« schließt vor dem moralischen Richterstuhl nicht die Berechtigung aus, in das Rad der Geschicke einzugreifen, deren Bewegungskraft über der Sphäre des Individuums liegt. Hier trifft nur Den eine Schuld, der, seine schwachen Kräfte miskennend, täppisch in das Räderwerk eingreift, ohne etwas auszurichten, als Unordnung, und sich und Andern dabei unverwindlichen Schaden verursacht. Dieser Vorwurf trifft hier nicht zu. Kobbe's exaltirte Kraft reichte in diesem Falle aus, er hat Ramcke's Schicksal wirklich umgewandt. Wie weit aber diese Ueberzeugung mit einem krankhaften Rettungstriebe in ihm verschwistert war, wie weit eine fixe Idee ihn leitete, daß er von Gott berufen sei, die Ungerechtigkeiten der Gerichte wieder gutzumachen, darüber zu entscheiden kommt einem irdischen Richter so wenig zu, als die Aerzte über Ramcke's Wahnsinn ein letztes entscheidendes Urtheil zu geben im Stande waren.
Die Gerichte in Holstein waren anderer Meinung, Auch ihnen dürfen wir ihr gekränktes Gefühl nicht verargen, wenn sie einen Privatmann sehen so schonungslos angreifen ihre Handlungsweise, die mit den Gesetzen in Einklang geblieben war und, dessen sind wir gleichfalls überzeugt, mit ihrem Gewissen. Daß hier ein esprit de corps sich gegen den unberufenen Mann regte, liegt in der menschlichen Natur; daß der Verdruß über den Sieg Kobbe's und der von ihm angeregten Presse sie zu der spätern Hartnäckigkeit, diesen Proceß in spartanischem Sinne zu Ende zu bringen, angestachelt, und daß sie um deswillen nicht bereitwillig den Ausweg ergriffen, den das einmalige königliche Einschreiten und die Zweifel der ärztlichen Gutachten ihnen an die Hand gab, wollen wir nicht glauben, und lieber annehmen, daß der damals in Holstein sehr gefährdete Sicherheitszustand sie zu der letzten harten Strenge antrieb. Wie von ihnen indessen Kobbe's Intervention auch aus einem höhern Standpunkte zu verdammen versucht ist, halten wir uns verpflichtet, unsern Lesern, zur Vervollständigung aller Ansichten über diesen merkwürdigen Proceß, mitzutheilen, ihnen das Urtheil darüber selbst überlassend. Graba sagt in der angeführten Schrift:
»Das Auftreten des Dr. von Kobbe ist, da man andere Motive ihm unterzulegen Bedenken tragen muß, aus der Sentimentalität, aus der schwächlichen Humanität unserer Zeit hervorgegangen, welche alle ihre Sorgfalt und ihre Interessen dem einzelnen gefallenen Individuum zuwendet und dagegen die heiligen Anfoderungen der ewigen Gerechtigkeit gänzlich aus den Augen setzt. Um die wohlverdiente und zum Besten des Gemeinwesens dringend erfoderliche Strafe abzuwenden, begnügt man sich nicht damit, statt Abscheu gegen das Verbrechen, das schwächlichste Mitleid für den Verbrecher anzuregen, ja man wandelt diesen in einen Märtyrer um, dem aller mögliche Glaube zu schenken, aller mögliche Vorschub zu leisten ist, wahrend man kein Bedenken tragt, die gegen den Verbrecher und zwar nicht freiwilliger Weise auftretenden Zeugen auf alle Weise zu verdächtigen. Kobbe's Schrift trägt das unverkennbare Gepräge dieser Zeitrichtung, welche ihre Abneigung und ihr Mißtrauen nicht blos auf die Institutionen, sondern auch auf die mit der Handhabung der verhaßten Strafgewalt beauftragte Behörde ausdehnt und deren Unparteilichkeit auf schmähliche Weise zu verdächtigen sucht. Ihren eigentlichen Stützpunkt findet dieselbe aber in einer Dialektik der Negation, welche sehr wohl geeignet ist, alles Gegebene aufzuheben und alles Bestehende umzustoßen, die aus sich selbst aber noch keine positiven Resultate zu Tage gefördert hat, einer Dialektik, die den wirklich versuchten Beweis zu führen geeignet ist, daß ein Napoleon niemals existirt habe, die aber bekanntlich auch noch in viel ernsteren Dingen eine traurige Berühmtheit erworben hat.«
Wenn auch Kobbe's Schrift in diesem Falle das angedeutete Gepräge trüge, so dürfte der Schluß nicht richtig sein, daß das denuncirte sentimentale Motiv auch seines gewesen. Ein ganz anderes Moment, eine ironische Nemesis macht sich hier geltend. Als Kobbe zuerst als Vertheidiger der gerichteten oder gemordeten Unschuld auftrat, war der Beweggrund nicht die Sentimentalität, sondern der Parteiwiderwille gegen die Geschworenengerichte. Er ließ sich von einem Modefieber fortreißen, welches wenigstens in dem einen der beiden Fälle des Stoffes genug für seine blinde Verdammungswuth vorfand. Nun er aber einmal im Fieber der Vertheidigungslust sich befand, griff er zu, wo sich ihm Gegenstände darboten. Da blieben denn auch die alten germanischen, gelehrten und geheimen Gerichte nicht unverschont, und am Schluß seines Lebens kam er dahin, in ihnen so viel Ungerechtigkeit, Voreingenommenheit, Einseitigkeit und Grausamkeit zu erblicken, als er selbst in den von ihm verdammten Schwurgerichten nicht gefunden hatte. Er selbst hat das Facit nicht mehr gezogen, wenigstens es nicht veröffentlicht.
Und zu einem ähnlichen Schlusse kommen auch wir. Graba hofft, daß sein Werk dem gebildeten Europa die Ueberzeugung verschaffen werde, daß die Criminalrechtspflege in Holstein zwar nicht von Gebrechen frei sei, aber mit einer Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit ausgeübt werde, die das Vertrauen zu den Richtern nicht erschüttern läßt, und die sich der Gerechtigkeitspflege aller übrigen Staaten Deutschlands an die Seite zu stellen nicht scheuen dürfe. Von der Richtigkeit seiner Actenauszüge überzeugt, sind auch wir der Meinung, daß die holsteinischen Richter in diesem Falle nach Gesetz, Pflicht und Gewissen verfahren sind. Man ist in gewissenhaften Gerichten strenger mit minder schuldigen Verbrechern umgegangen. Aber wer schaudert nicht über dieses gesetzmäßige Verfahren selbst? Wer wirft sich nicht die Frage auf, ob nicht am Ende eine rasche Ungerechtigkeit dieser endlosen, torquirenden, eine Menschenseele zum hellen Wahnsinn marternden Gerechtigkeit vorzuziehen sei? Wer leugnet sich ab, daß ein solches langes Inquisitionsverfahren, um ein Geständniß zu erpressen, in allen Details es aufs Papier zu bringen, und es articulirt wiederholt zu hören, eine neue Folter ist, die an moralischen Schrecken jener physischen der alten barbarischen Marterkammern gleich kommt? Wenn ein Proceß geeignet ist, uns ernste Bedenken gegen den Inquisitionsproceß einzuflößen, ist es dieser, der von gerechten, gebildeten Richtern mit äußerster Gewissenhaftigkeit und Umständlichkeit geführt wurde. »So viel Arbeit um ein Leichentuch« für – einen geständigen Mordbrenner. So viel Kräfte verwandt, nicht um zu zeugen, sondern um zu vernichten. So viel Aufsehen, so viel Actenwust, solche Literatur, Bücher auf Bücher, solcher Aufwand von Gelehrsamkeit, solcher Haß, Aufregung, Feindschaft, vierjährige Mühe, und – noch ein Grab dazu, das des freiwilligen Vertheidigers! – Aber nicht bei diesem Falle allein beschleicht uns die stille Frage, ob denn das ein Fortschritt der Humanität ist, daß, wozu das Mittelalter rasch fertig, Tage brauchte, wir Jahre brauchen, und unser ganzes Resultat unser höchster Trost in diesen Fällen, wo die menschliche Erkenntniß nicht ausreicht, ist, daß wir treu den Formen gefolgt sind, die wir selbst uns gaben. Wir zählen mit Schauder die Opfer der Justizmorde, welche in einer spätern Zeit ans Tageslicht kamen, aber die vielen stillen Opfer, welche unter diesen Formen erdrückt wurden, Gerichtete und Richter und die vergeudete Menschenkraft, gingen unbeachtet und unbeklagt ins Reich der Schatten.
Peter v. Kobbe hat nicht allein Ramcke's Wahnsinn, sondern auch seine Unschuld behauptet. Wir können kurz darüber hinweggehen; es ist dies nicht das Moment des Processes, welches ihm seine allgemeine Bedeutung verschafft hat. Kobbe verlor sich hier in seinem Vertheidigungseifer wie ein Liebhaber in der Betrachtung seines Lieblingsgegenstandes. Der Scharfsinn der Phantasie ebnet alle Ungleichheiten und läßt das Häßliche endlich schön werden. Kobbe leugnet fast Alles, was wir jetzt aus den Acten wissen, wobei ihm aber zur Entschuldigung gereicht, daß er sie noch nicht in der Vollständigkeit, wie jetzt das Publicum, kannte. Ladiges ist ihm ein völlig blödsinniger Mensch, der Alles aussagte, was man von ihm wissen wollte. Ramcke's Frau ist durch eine Kartenlegerin zu ihrem Geständnisse verführt worden, übrigens ein abscheuliches Weib, welches ihren unglücklichen Gatten nicht wiedersehen wollte und kaltherzig den Wunsch aussprach: der Teufel möge ihn holen. Ramcke selbst hat natürlich nur im Wahnsinn und in der Verzweiflung sein Geständniß abgelegt. Der Richter, der ihm drohte, er solle sitzen bis er schwarz werde, hatte durch diese Folter ihm das Geständniß erpreßt. Ebenso widerlegte er alle Indicien. Nach seiner eigenen Untersuchung konnten die Wunden der Abschiederin von keinem Beile herrühren, und endlich bestritt er selbst das Motiv der That, indem Ramcke zufrieden auf dem Seinen gelebt, durch den Abschied nicht gedrückt gewesen wäre und die angeblichen Klagen nur von seinen Feinden bezeugt würden.
Wir würden den Dank unserer Leser wenig verdienen, wenn wir ihnen hier noch einmal ein Resumé aller Ermittelungen gäben, nachdem wir den Acteninhalt in möglichster Vollständigkeit bereits mittheilten, und dann alle Zweifelsgründe, die Kobbe aufstellt, nachfolgen ließen. An Widersprüchen, selbst in nicht unwesentlichen Punkten, fehlt es allerdings in den Bekenntnissen nicht, sie lassen sich aber aus der Länge der Zeit erklären, welche zwischen der That und dem Bekenntniß verflossen und vielleicht aus Ramcke's starrem Charakter, welcher, als er gestand, nun auch die That allein auf sich nehmen wollte. Kann noch Jemand an dem Thatbestande des Verbrechens zweifeln, wenn er die ganze Gliederkette des Beweises sich ins Gedächtniß ruft?
Zuerst Ladiges volles Geständniß der eigenen Mitschuld und der Hauptschuld seines Schwagers. Es ist kein Motiv bekannt, welches diesen harmlosen Menschen zur Abgabe einer so furchtbaren Anschuldigung gegen seinen Schwager bewogen haben könnte. Dann das Bekenntniß der Ehefrau. Wenn Bedenken, zuerst um deswillen, weil es fast eine wörtliche Wiederholung der Aussage ihres Bruders war, dann, weil es in gewissen Punkten von der spätern ihres Ehemannes abwich, und vielleicht auch aus der stumpfen, herzlosen Weise, in welcher sie es ablegte, gegen die Wahrhaftigkeit desselben obwalten könnten, so werden sie dadurch beseitigt, daß sie es mehre Male, und freiwillig, wiederholte; daß sie fest dabei verharrte und noch im Zuchthause gegen Graba eine umständliche Erklärung über ihre Theilnahme abgab. Drittens Ramcke's eignes, zwei Mal abgegebenes Geständniß, trotz der sonderbaren Aeußerungen und den Spuren schon verirrender Gedanken, doch eines, welches den vollsten Stempel der Wahrheit auf der Stirn trägt. Der beliebte Vorwurf, daß der Richter es gemacht, nachdem er abgefragt, was er hören wollen, kann hierauf nicht zutreffen. Der Widerruf, wenn auf ihn noch bei dem Geisteszustande, in welchem er erfolgte, Rücksicht zu nehmen wäre, war durch nichts motivirt, als die Furcht, die alle Todesverbrecher theilen, vor der Todesstrafe und die Sehnsucht ins Freie zu kommen.
Und diese drei Geständnisse werden durch vorangehende und nachfolgende Indicien verstärkt. Dagegen keine äußern Umstände, welche sie in Zweifel stellten; kein versuchtes Alibi; keine Spuren, die auf eine fremde Täterschaft leiteten. Ramcke hatte ein vollständig erwiesenes Interesse am Tode der Abschiederin. Er hatte oft über den großen Abschied geklagt. Seine verdächtigen Besuche und Fragen in der Abschiedskathe kurz vor der That, bei andern verdächtigen Aeußerungen. Die Käthe selbst war in Brand aufgegangen, unzweifelhaft durch mordbrennerische Gewalt, und Niemand konnte es um Vortheils willen gethan haben, da Ramcke allein Vortheil davon hatte. Er und seine Frau schienen schon wach gewesen, als die Abschiederin klopfte, und der Frau Ausruf, als sie die blutende Schwiegermutter zu Gesicht bekam: »Jochim, Jochim, thue ihr doch nichts!« Dann sein rätselhafter, unsinniger Schmerz, der seiner praktischen Natur, seiner Thätigkeit so wenig entsprach, daß man hier, nicht wie die Richter eine Verstellung, sondern die Furien des Gewissens deutlich anpochen sieht. Und endlich, als er wieder zur Besinnung erwacht ist, sein seltsames, retardirendes Benehmen, das auch so wenig zu seinem rasch fertigen Charakter stimmt. Das aufs Dach Klettern, um sich den Blicken zu entziehen, und in einer Thätigkeit sich vor Andern und sich selbst zu verbergen;, seine Ohnmacht dort, sein ins Bette Kriechen und seine Aeußerungen gegen die Magd Ellenbrook und den Schwager, der zur Mutter abgeschickt wird, nichts von dem Morde zu erzählen.
Es stimmt Alles, bis auf jene erwähnten Widersprüche, Glied in Glied; die Geständnisse wurden so oft wiederholt, daß, wenn man nicht eigensinnig annehmen will, die Gerichte hätten Falsches in den Protokollen niedergeschrieben, an der vollständigen Ermittelung des Thatbestandes des Verbrechens, sowie der Thäterschaft kein Zweifel übrigbleibt. Nur unter der Annahme, daß Ladiges als vollständig blödsinnig betrachtet würde, und Ramcke schon zur Zeit seines Geständnisses als unzurechnungsfähig, demnächst die ganze Beweiskraft auf dem, unter diesen dreien am bedenklichsten erscheinenden, Geständniß der Ehefrau Ramcke beruhte, könnten für den Richter Zweifel obgewaltet haben, zumal zu einer Zeit, als von den holsteinischen Gerichten der Indizienbeweis zum Endurtheil in Criminalsachen nicht genügend war. Aber Ladiges war nur dumm, Ramcke bekannte, als die Kraft seines Bewußtseins noch volle Herrschaft über den ersten Spuk seines Irrsinns übte, und diese Aussagen und Geständnisse werden in allem Wesentlichen durch die der Ehefrau und die andern ermittelten Indicien getragen und unterstützt.
Der Proceß geht noch weiter.
Kobbe's letzter Schrift, welche er auf Subscription unter dem Titel: »Der Criminalproceß wider den zum Tode verutheilten Jochim Hinrich Ramcke und meine Intervention von Dr. Peter v. Kobbe« (Ratzeburg, Freysatzky 1843) herausgab, folgte die »Actenmäßige Darstellung des wider u. s. w. Ramcke »geführten Criminalprocesses« von C. J. Graba.« (Kiel, Bünsow 1844), in welcher Kobbe hart angelassen wird. Von oben herab wird mit verletzendem Tone, und nicht ohne persönliche Invectiven, seine »unberufene Einmischung« mehr mit Verächtlichkeit als Entrüstung behandelt. Daß ein Vertheidiger der holsteinischen Gerichte gegen Jemand, welcher dieselben so heftig angegriffen, sich dieser Waffe bediente, ist erklärlich, es darf ihm umsoweniger zum Vorwurf gemacht werden, als Graba kein Pasquill schrieb, sondern ein gründliches, mit überreichen Belegen ausgestattetes Werk. Daß diese Waffen aber ein schon so krankhaft aufgeregtes Gemüth, wie Kobbe's, tödtlich verletzen konnten, ist ebenso erklärlich. Kann aber nicht auch die Macht der Wahrheit mit eingewirkt haben, die traurige Ueberzeugung, daß er in seinem Eifer zu viel behauptet, und nun war das Werk, an das er sein Leben gesetzt, in seinen Fundamenten erschüttert!
Die Zeitungen brachten uns die Nachricht von Peter v. Kobbe's Tode; sie deuteten an, daß das Graba'sche Buch ihn beschleunigt haben könne. Sein Bruder Theodor v. Kobbe sprach es in einem Aufsatze seiner »humoristischen Blätter« (Nr. 42. v. 17. Octbr. 1844) geradezu aus: »Auf meines Bruders Krankenbette lag ein dickes Buch – es hat meinem Bruder den Gnadenstoß gegeben; es hat ihn vollends zu Tode geärgert.« – Daß ein liebender Bruder am Sterbebette des geliebten Bruders dessen Sache mit vollem Glauben und voller Begeisterung ergreift und als ein Rächer seiner Manen auftreten will, hat wieder etwas sehr Natürliches. Theodor v. Kobbe, mit dem wir nur in entferntem brieflichen Verkehr standen, als Humorist dem Publicum bekannt, wird uns als ein liebenswürdiger, harmloser Charakter geschildert. Um die Lanze gegen die Ungerechtigkeiten der Welt, wie es sein Bruder gethan, zu schwingen, scheint ihm der lange Athem des Zorns abgegangen zu sein. Mögen wir es seiner Pietät, dem ersten Schmerze zu gut halten, daß er die Lanze gegen die Turniergesetze auf den Mann einlegte, den er den Mörder seines Bruders schalt. In dem gedachten Aufsatze wirft er dem Justizrath Graba irgend eine neckische Knabensünde vor, welche die Unwahrhaftigkeit des Mannes, des Beamten, des Richters motiviren soll! Die Sache spricht für sich selbst, leider gegen einen edlen Todten! Rechnen wir es auch seiner Pietät zu gute, wenn er seinen Bruder »einen großen, unüberwindlichen Todten« nennt, an dessen Seite er für Ramcke's Sache ferner in den Kampf zu treten denke, und »hoffentlich mit der deutschen Juristenwelt, wenn deren Blut nicht Dinte, und deren Haar nicht Perücke geworden.«
In dieser Aufregung schickte er uns jenen Aufsatz mit der Bitte: »den Mord seines Bruders im neuen Pitaval zu rächen, und namentlich auf eine neue Untersuchung in dem Ramcke'schen Proceß zu dringen.« »Ramcke's Wahnsinn,« sagt er, »hat mein hochherziger Bruder erwiesen; ich glaube auch mit ihm an Ramcke's Unschuld, namentlich seitdem ich die Wunden der Abschiederin gesehn habe. Durch die Erfüllung meiner Bitte werden Sie sich den Segen des großen Hingeopferten und den Dank seiner mit Begeisterung an ihm hängenden Familie verdienen.«
Es hat etwas Wehmüthiges um die Bitte eines Todten, um so mehr, wenn man sie nicht erfüllen kann.
Der böse Scherz in jenem Aufsatz: »Ich bin auf dem besten Wege, mich auch darüber todt zu ärgern, wie mein theurer Bruder«, ist schnell in Erfüllung gegangen.
Der Vertheidiger starb an gebrochenem Herzen, sein Bruder folgte ihm ins Grab, in unbefriedigtem Durst, des Bruders Werk zu vollenden. Auch der Arzt, welcher das erste Gutachten abgab, Dr. Stalbom, ist todt. Wie manche Grabeshügel mögen sich noch über andere dramatis personae, die in diesem langen Trauerspiele ihre besten Kräfte daran setzten, wölben, während der, um welchen alles Dies geschah, sein seelenloses Schattenleben im Zuchthause von Glückstadt, vielleicht noch ein Menschenalter hindurch, fortführt. Hector und Achill und Ajax waren gefallen, die Edelsten und Besten schlummerten unter den Trümmern der zerstörten Stadt, aber die alternde Helena ward nach Hellas zurückgebracht, und auch Thersites lebte. Diese alte Mythe kommt uns bei manchem berühmten Criminalfall, den wir erzählten, unwillkürlich in den Sinn.