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Die hohen Thürme des eben genommenen Stralsund ragten aus dem Pulverdampf in einiger Entfernung hervor, während Theodor die leichte bei einem Scharmützel gegen Mecklenburgische Truppen empfangene Wunde am Rande eines mit Weiden umwachsenen Flußes auswusch. Die Frucht des siegreichen Gefechtes für die Abenteurer war der erzwungene Uebergang über den Fluß, und noch lagen einige Todte unbeerdigt auf den Feldern und am Ufer umher. Plötzlich aber zog Theodor seine Hand aus dem Wasser und sprang schaudernd zurück, als ein Leichnam, vom Strom auf ihn zu getrieben, an den in's Wasser hineingehenden Wurzeln einer Weide haften blieb. Der Uniform nach gehörte der Körper einem Mecklenburgischen Officier an, und Gestalt und Gesicht verriethen das Jugendalter.
Theodor konnte bei diesem Anblick eine Thräne nicht zurückdrängen.
»Auch eine Frucht unseres Sieges! – Jugend, Schönheit, vielleicht der letzte Sproß einer edlen Familie, ein Deutscher, so ganz umsonst geopfert! Es war die letzte Anstrengung unserer Kräfte, und ich wünschte, mit dir guter Freund, nach einem ehrenvollen Tode, in den kühlen Wogen zu ruhen. Es war umsonst, unsere Anstrengung sollte Hindernisse finden, daß sie nicht einmal etwas Großes bereitet hat.«
Er war im ernsten Nachdenken begriffen, ob nicht der Zeitpunkt gekommen sey, wo ein Selbstmord, als Verkürzung des bestimmt herannahenden Endes, weder als Feigheit noch als Verbrechen ausgelegt werden könne. Schon zupfte er an der Armbinde, obgleich die Verblutung aus seiner empfangenen Wunde nur langsam und mit großen Schmerzen würde erfolgt seyn, als Pferdegetrappel in der ganz einsam gewordenen Gegend seine Aufmerksamkeit weckte. Vom jenseitigen Ufer sprengte ein Reiter auf den Fluß zu. Mit Verwunderung entdeckte er in ihm einen Schillschen Husaren, welche doch sämmtlich, seiner Berechnung nach, schon in der Stadt seyn mußten. Da er mit entblößtem Haupte ritt, erkannte er sehr bald seinen Freund Julius, der, gleich wie von Feinden gejagt, ohne am Ufer nach einer günstigen Stelle, sich umzusehen, gerade wo er im vollen Laufe an den Rand kam, seinen Hengst hineinspornte, und mit Verachtung eigener Todesgefahr und der seines Pferdes, nach dem andern Ufer hindurchschwamm. Sein wildes Ansehn verrieth, daß er aus einem Gefecht komme, denn außer dem fehlenden Czackot war sein Collet zerhauen, Stirn, Wangen und Hände waren mit Blut beschmiert, und in der Rechten hielt er krampfhaft den gezogenen Säbel.
Als sein Thier glücklich, jedoch nach einiger Anstrengung, den nicht ganz flachen Uferrand erstiegen hatte, und der Reiter seines Freundes ansichtig wurde, stieg er ab, drückte ihm fieberhaft fest die Hand, und warf sich dann wie gänzlich erschöpft auf den Boden, das glühende Gesicht im feuchten Sande verbergend, nieder. »Es ist aus!« schrie er nach einer Weile, sich ungestüm aufraffend, und mit wahnsinnigen Blicken starr umherschauend; lachte dann wild, und warf sich wieder auf den Boden zurück.
Daß es aus seyn wird, erwiederte Theodor ruhig: wer könnte daran zweifeln. Das Netz ist enger und enger um den Löwen gezogen, und es kommt nur darauf an, ein ehrenvolles Ende zu suchen.
»Ehrenvoll, was kümmert mich die Ehre?« – rief Julius einfallend: »Der Zunder, der kein Feuer faßt, die Flamme, die erlischt, wenn sie brennen soll, die Wetterfahne, die nach jedem Winde weht? – Es ist aus, ganz aus. Es giebt kein Vaterland mehr, keinen Gott, keine Ahnen« – hier sprang er wüthend empor, und rannte einige Schritte umher. »Ich wünschte, ich wäre ein Betteljunge, ohne Ahnen, ohne Namen geboren, barfuß – das Geschlecht regiert die Welt – ich wollte stehlen, speculiren, morden; denn alles was wir uns vorgeschwatzt von Deutschem Sinne, Deutschem Adel, den Thaten der Vorwelt, waren Träumereien, – es sollte Alles untergehen was heilig war, damit wir zu Verstand kämen, und uns, uns allein vertrauten, jeder sich selbst, in dem großen egoistischen Betrügerspiel, das sie Leben nennen, in dem großen Spiele, wo wir die allergrößten Betrüger waren, weil wir vermeinten, für etwas anderes, als für uns selbst zu handeln.«
Freund, sagte Theodor besänftigend: wenn es auch wirklich so schlimm aussieht, ist es doch unsere Pflicht uns zu sammeln, um wie Männer, wie Deutsche zu fallen. Ich denke an den stolzesten und schönsten Spruch des ganzen Lucan: Victrix causa Diis placuit, sed victa Catoni.
»Cato war ein Narr. – Warum that er es? Aus Lebensüberdruß. Was hat er davon? Daß die Jungen in Secunda, wenn sie den Hexameter scandiren, seines Namens sich erinnern. Unsere Namen werden sie als die von Räubern, Aufwieglern und Marodeuren am Galgen lesen, und die vernünftigen Eltern werden es den Kindern einbläuen: Seht, so geht es, wer der Obrigkeit ungehorsam ist, und das Gebot nicht achtet: Du sollst nicht tödten! – Auf die Nachwelt baue Niemand, wenn es mit seinem Vaterlande aus ist.«
Du sprichst, als wäre schon in diesem Momente Alles aus. Noch ficht Schill dort in der alten Stadt, die Wallenstein nicht bezwingen konnte. Es könnte noch einen großen, schönen Kampf geben.
»Für mich nicht mehr,« sagte Julius: »ich habe meinen letzten Kampf gekämpft, und bin an Leib und Seele überwunden.«
Warst Du nicht hier, als wir gegen die Mecklenburgischen Husaren den Uebergang erzwangen?
»Oben, den Fluß weiter hinauf, und sie haben meinen Säbel gefühlt, Theodor. Ich schonte Niemand, Niemand – und wäre es mein leiblicher Bruder gewesen, der vor mir gestanden, ich hätte ihn nicht geschont. Warum stand er drüben und nicht hier; ich letzte mich am Blut.« –
Doch woher kommst Du erst jetzt, allein, blutend von jener entgegengesetzten Richtung?
»Willst Du es denn durchaus herauspressen? Meinethalben, vielleicht vergehe ich, wenn ich mir die Schmach noch einmal hererzähle. – Ich hörte, daß Westphälinger heranmarschirten, uns im Rücken anzugreifen. Langes Besinnen und Ordreeinholen hätte dem Anschlag den Tod gebracht. Es sind Deutsche, vielleicht alte Preußen, denke ich, rufe sechs Husaren, die mir zunächst stehen, zusammen, mache mit ihnen kehrt, und treffe bald auf das Bataillon, das im Schnellmarsche herbeizieht. In die Menge tauchte schnell, als er uns ansichtig wurde, ein gollonirter Franzose zurück, und vermuthlich auf seinen Wink werden die Hunderte gegen meine Sechs in Schlachtordnung aufgestellt. Ich habe ein scharfes Auge; ich erkenne Dupré's Nase; denke Dir meine Höllenlust, den Schuft lebendig zu fangen. Der hübsche Junge, mein Corner, kaum sechzehn Jahr alt, reitet ihnen auf mein Geheiß, den Säbel in der Scheide, das weiße Tuch in der Hand hochschwingend, entgegen, und der Junge redete zu ihnen wie ein Gott, daß es nur zwei Wege gäbe, den der Schufte und den der Ehrenmänner, daß sie übergehen sollten, ihren Anführer gefangen nehmen und was weiß ich weiter. Denke Dir, Alle blieben Mäuschen still, und Dupré lacht und winkt einem Officier. Flaming dreht sich um, was ich befehlen werde. Da fallen drei Flintenschüsse, und der schönste Junge sinkt todt vom Pferde. Ich hielt mich nicht mehr, sprengte in die Hunde und sättigte die blinde Mordlust. Die braven Fünf verließen ihren Hauptmann nicht. Was neben mir geschah, weiß ich nicht. Ich stürzte auf den Höllenbuben. Er hielt Stand, aber – denke Dir – ich konnte ihn nicht überwältigen, denn unsere Brüder, Deutsche, Preußen, kommen ihm zu Hülfe. Ich schlug mich seitwärts durch, aber ihn habe ich nicht erschlagen. Von meinen Braven sah ich keinen wieder, und ich bin ohne Ehre, ohne Leute, ohne Rache, – besiegt entflohen.«
Gewissermaßen thaten sie ihre Pflicht, bemerkte Theodor.
»Nein« – schrie Julius heftig auf, indem er die Hand auf des Freundes Schulter legte, und ihm so wild in's Gesicht sah, als wolle er mit Gewalt aus dessen Augen die Bekräftigung seiner Meinung herauslesen. »Nein! Es giebt nur eine einzige Pflicht für einen Deutschen: die Franzosen zu hassen, und wer ihr nicht genügt, der ist von selbst vogelfrei, der Vater muß den Sohn nicht schonen, die Mutter dem Kinde das Herz ausreißen, die Gattin den Mann im Schlaf erwürgen.«
Er packte Theodors Brust so fest, und seine Augen rollten so wüthend, daß dieser, einen weitern Anfall des Wahnsinns fürchtend, sich unter irgend einem Vorwande loszumachen suchte. Er schützte vor, die Leiche aus dem Wasser ziehen zu wollen. Julius ließ es geschehen; als aber Theodor, wirklich damit beschäftigt, den verbluteten Körper halb aufhob, so daß man das bleiche Gesicht des Todten sehen konnte, kreischte Jener wild auf, sprang herzu, und zog den Freund mit einem gebieterischen »Halt!« zurück, so daß der Leichnam wieder in's Wasser sank.
»Halt!« – wiederholte er mit fieberhafter Stimme: »an den hast Du kein Recht. Es ist mein Schwager; der Bruder meiner Ottilie, meiner, – als sie noch mein war!«
Theodor erinnerte sich, daß Julius Braut aus einem Mecklenburgischen Geschlechte sey, und ahnete den schrecklichen Zusammenhang.
Traurig! – rief er aus: Es sind die Folgen des Bürgerkrieges. Du darfst der Hand nicht zürnen, die unschuldig, unbewußt die schönen Bande vielleicht zerrissen hat.
Aber Julius riß seine Hand los und rief: »Unschuldig, unbewußt! Weißt Du, wer es gethan? – Ich – ich – schuldig, bewußt. Er stritt gegen sein Vaterland – mitten im Fluß begegneten wir uns Beide – mit einem Hiebe habe ich ihn niedergehauen, daß er hinunter sank; o es ging blutig zu!«
Theodor begriff jetzt Julius dunkle Reden, und die übernatürliche Wuth, welche sich des Unglücklichen bemeistert hatte. Trostgründe gab es nicht; der Besinnungslose würde auch nicht auf sie geachtet haben. Schweigend wandte er sich ab, und wollte den Todten noch einmal in's Trockene ziehen, doch Julius drängte ihn abermals zurück, und stieß die Leiche mit seinem Fuße weiter in die Strömung, indem er sprach:
»Laß ihn, was soll er im Boden ruhen, wo sie auch mit den Todten Krieg führen? – Glückliche Reise in's Meer! Ich komme nach, trauter Schwager. Vom Schiffe herab, wenn ich die letzte Küste des Vaterlandes verschwinden sehe, könnte ich einen Arionssprung zu Dir thun.«
Auch diese letzte Hoffnung, entgegnete Theodor: ist uns abgeschnitten. Wir haben keine Schiffe zu besteigen, denn der Englische Admiral ist aus diesen Gewässern verschwunden, und keiner von Schills Boten hat ihn erreicht.
Julius Auge strahlte bei den Worten von einem Feuer, das weit von jener wahnsinnigen Gluth entfernt war, welche zuvor seine Erscheinung mehr als unheimlich gemacht hatte. »Wirklich, wahrhaftig?« preßte er aus den Lippen heraus: »Wir fliehen nicht?«
Wir können nicht fliehen, fiel Theodor ein: Dort verschanzt sich Schill zum letzten, – fürchterlichen, – entscheidenden Kampfe. Der Feind rückt von allen Seiten heran, und in wenigen Tagen muß das gräßliche Blutbad beginnen, wenn Deutschlands letzte Schaar aus Männern besteht.
Julius riß plötzlich den Säbel aus der Scheide, und hielt ihn empor, indem er starr in die Wolken blickte. Seine Worte zeugten von einer Exaltation, die nur aus einem zerstörten Gemüthe kommen konnte. – »Es wird noch hell, einmal noch hell am Himmel! Deutschland soll noch nicht untergehen. – War es vielleicht, daß Du uns versuchtest, so war die Versuchung hart. Aber soll ich glauben, daß kein Ungefähr den despotischen Scepter schwingt, soll ich glauben, daß eine Vergeltung über den Wolken thront, soll ich glauben, daß Deine Gerichte nicht ausbleiben, die Frevler zu vernichten, so höre seht mit der Versuchung auf, denn, bei diesem Schwerte, Deutschlands letzte Männer stehen zum letzten Entscheidungskampfe gerüstet. Ich glaube, daß Deine Allmacht unser geringes Häuflein die blutgierigen Heerscharen kann überwinden lassen; aber wenn auch diese fruchtlos hingeopfert werden, dann ist Deutschland todt, und in allen Gauen des Vaterlandes kann Dein Ruf keine Männer zur Rache erwecken. Kinder mögen dann glauben an die Vergeltung, an Tugend und Vaterland, ich glaube an den blinden Zufall.«
Er steckte den Degen mit Gewalt in die Scheide, sah noch einmal dem fortschwimmendem Leichname nach, und schwang sich dann auf sein Pferd. Theodor, tief erschüttert von dem Schwure, der fürchterlichsten Herausforderung, folgte dem unglücklichen Freunde nach der Stadt.
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