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Erstes Kapitel.

In dem kleinen Städtchen am linken Ufer der Elbe, wo Schill auf dem eigenmächtigen Zuge gegen die Französische Herrschaft, einige Zeit zur Disciplinirung seines Corps gerastet hatte, scholl an einem schönen Frühlingsmittage der Ruf: »Heraus! Brüder und Freunde!« durch die öden Gassen. Aus allen Häusern stürzten Bürger und Soldaten, unkundig, ob es der Ankunft von Freunden, oder der Annäherung des Feindes gelte. Bald indessen verbreitete sich das Gerücht, eine Preußische Heeresabtheilung stehe, bereit zum Uebersetzen, und mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen, auf dem jenseitigen Ufer des Stromes; und laut jubelnd: »Es lebe der König von Preußen!« drängte sich die bunte Menschenmasse ohne Ordnung durch das Thor auf die Elbwiese. Viele, vom Rufe des vergötterten Volkshelden angelockte Krieger, welche schon im Geheim den übereilten Schritt bereuten, fühlten sich von neuer Hoffnung belebt, und die Bürger, die bisher, wenn auch im Herzen der Sache zugethan, doch mißtrauisch vor dem geringen Häuflein Abenteurer ihre Keller und Kammern verschlossen hielten, ließen im Anflug der Begeisterung freiwillig allerhand Erfrischungen auf die Wiese bringen.

»Es lebe der König!« – »Die gute Sache!« – »Tod den Franzosen!« – »Nieder mit Jerome, kein Königreich Westphalen!« von diesem Rufe hallte es überall wieder, und manche bedeutungsvolle Pantomime begleitete die Töne. Schon war das Gerücht allgemein geworden, Preußen habe zum zweiten Male den Franzosen den Krieg erklärt, drei Heere wären aufmarschirt, ja es hieß sogar, der König von Preußen stehe selbst an der Spitze der Truppen, welche den Uebergang beabsichtigten, als sich hinter den Büschen des jenseitigen Ufers die ersten Preußen zeigten. Ein wildes Halloh! scholl ihnen entgegen, und wurde von drüben, jedoch schwächer, beantwortet.

Alsbald sammelten sich an den verschiedenen Punkten des jenseitigen Ufers einzelne Truppen Preußischer Jäger, jenachdem die Kähne zu ihrer Ueberfahrt bereit lagen. Da die Stimmen nicht ausreichten, sich, über den breiten Strom hinüber, den gegenseitigen Jubel mitzutheilen, that man von hier und drüben Freudenschüsse, welche auch noch fortdauerten, als bereits sämmtliche auf dem andern Ufer erschienene Truppen sich eingeschifft hatten.

»Ist das die ganze Armee?« fragte ein einäugiger Hausirer, welcher seit einiger Zeit das Gewerbe eines Marketenders bei dem Corps trieb, einen neben ihm stehenden ältlichen Feldwebel, dessen scharf markirtes Gesicht den Nationalfranzosen nicht verkennen ließ. »In den Kähnen sitzen kaum zweihundert Mann, ohne Pferde, ohne Bagage, ohne Kanonen, und drüben ist es ratzenkahl, so weit mein Auge reicht.«

Narr! sagte sein Begleiter: aber in jeder Patrontasche stecken sechzig Patronen mit Patriotismus, die Tornister sind mit Begeisterung vollgepackt, und die hier bei uns haben schon die Taschen voll Teufel und Engel, die nach Belieben springen. Es wird etwas geschrieen, Fureur gemacht, und wenn man das in der Begeisterung näher betrachtet, sollte es mich verwundern, wenn nicht ein Heer von einigen hundert Tausenden so herauskäme.

Jetzt näherten sich die Kähne dem Ufer, die Schüsse hörten auf, man streckte sich die Arme bewillkommend entgegen; einige Reiter, ungeduldig, ihre Verbündete zu umarmen, spornten die Pferde in's Wasser, und es gränzte an ein Wunder, daß während des Freudetaumels der ohne alle Ordnung erfolgenden Landung kein größeres Unglück geschah, als daß die meisten Ankömmlinge bis über die Knie im Wasser waten mußten, ehe sie das feste Ufer erreichten.

Auch jetzt war an keine Ordnung zu denken, da Officiere und Soldaten, dem patriotischen Drange ihres Herzens folgend, in die Arme der neuen Freunde ihrer Sache stürzten. Man zog sie im Triumphe auf die Wiese, Freunde lagen am Halse der Freunde, und die in der Heimath Feinde waren, feierten hier am Altar des Vaterlandes das Versöhnungsfest. Schill selbst drückte jedem der Ankömmlinge die Hand, und versicherte unter Thränen, dies sey der glücklichste Tag seines Lebens!

Wahrend man in froher Gemeinschaft den König und die heilige Sache leben ließ, und der Freudenrausch nebst den herbeigeschafften Getränken das Vereinigungsfest zu einem bacchantischen Gelage umwandelte, wurde Theodor, ein junger mit den Jägern herübergekommener Mann, von einem Officier aus Schills Regimente nach den ersten heftigen Begrüßungen der innigsten Freundschaft bei Seite gezogen.

»Einen solchen Moment,« sagte der Officier, »mögen sie mir einst von der Seligkeit abrechnen. Ich hätte es mit dem Schwerte gegen jedermann verfechten wollen, daß Du nicht ausbliebest, wo es gilt. Schills Zug aus Berlin war eine Rakete, die tausend und aber tausend Feuer in der Nacht des Vaterlandes anzünden wird.«

Theodor schwieg und blickte zu Boden, ohne daß der Redner es bemerkte. Er fuhr vielmehr fort.

»Sie werden aufwachen aus einem Todesschlafe. Was Deutsche Geister sind, wie Deutsche Herzen hassen, und Alt-Preußische Arme schlagen können, wird der Tyrann erfahren. Heil uns, die wir die Ersten in der Stunde des Erwachens sind, die wir den Schwächern Bahn brechen, uns zu folgen. Wärest Du nur einige Tage früher gekommen! Das Treffen bei Dodendorf stählte unsern Muth. Wie wir in die geschlossenen Quarrés der Hunde sprengten und unter unseren Säbeln nichts bestand! Es war ein Tag aus lauter Morgenröthe.«

Und doch waren es Deutsche, Westphalen, vielleicht selbst Landsleute, deren Blut unter euren Säbeln floß! entgegnete Theodor.

»Ausgebrannt muß das faule Fleisch werden! Feuer und Tod über die Ausgearteten, die gegen Deutsche fechten können; über die Feigen, die, wenn das Vaterland ruft, nicht folgen. Aber ich vergesse über die Lust des Augenblicks die tausend Fragen, die ich an Dich hätte. Sprich, wann folgen die Anderen nach?«

Welche Anderen? sagte Theodor.

»Welche Anderen? Seltsame Frage! Nun, wer gesunde Arme und Beine hat, das ganze Heer, alle Preußen.«

Ich weiß nur, daß Schills Fußjäger, entschlossen dem Beispiele ihres alten Commandeurs und seinem Loose zu folgen, Berlin heimlich verlassen haben. Sie wurden indessen bei Zeiten eingeholt, die Mehrzahl genöthigt umzukehren, und an den Rest, der sich glücklich bis zur Elbe durchschlich, habe ich mich angeschlossen.

Der Officier stampfte auf den Boden: »Eingeholt – umgekehrt – genöthigt – Ihr Euch durchgeschlichen! – Himmel, und es brannten nicht alle Herzen, als sie von seinem Hochsinn hörten, es verschwanden nicht alle Rücksichten, es rissen nicht alle Bande? Es sind Memmen, Kindergeschlechter! Ich glaube, wenn die Trompete des jüngsten Gerichts erschölle, sie würden sich nur umdrehen und fortfahren zu schlafen.«

Eine Trompete rief hier die Freunde zur Versammlung zurück. Sie drängten sich in einen Kreis, wo Schill mit flammenden Blicken zu der Menge sprach:

»Meine Deutschen Brüder! Wenn es bei uns brennt, dann stürzt, wer die Flamme sieht, zum Löschen herbei, und wartet nicht bis die Polizei an die Ecken den Befehl anschlägt. Die ganze Stadt möchte bis dann in Asche liegen. Das Deutsche Vaterland brennt. Bis wann sollen wir warten? Die Franzosen sengen und brennen im Norden und Süden, sie verjagen unsere Fürsten, sie treiben unsere Kinder und Brüder zur Schlachtbank. Es ist Zeit, wenn es je Zeit werden soll, zum Retten zu blasen. Wem ein Deutsches Herz im Leibe schlägt, der kann nicht wählen. Aus allen Provinzen, wo der Despot unsere Brüder in Ketten geschmiedet hat, haben sie zu mir gesandt; alle wollen aufstehen, wenn wir kommen; ein Verräther, wer da zaudern wollte! Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Es lebe der König!«

Ein wilder Tumult folgte dieser Rede, welche nach des Anführers Verschwinden hier und dort von einzelnen Officieren und Freiwilligen in größeren oder kleineren Kreisen den Umstehenden wiederholt und verstärkt wurde. Auch Theodors Freund drang durch den dichten Kreis und sprang auf eine Tonne, wo er so anhub:

»Hat denn unsere Sprache Worte, hat denn die ganze Vorwelt Beispiele für solche Infamie, für solche Schande? Eine Pest raffte wol im Alter ganze Völker hin, aber uns war es vorbehalten, das ganze Deutsche Volk an der Pest der Feigheit krankend zu sehen. Ueber den Rhein, über die Weser, über diesen Strom, ja über die Oder bis zu den Sarmaten ist der Despot gedrungen, und seine Schwärme Heuschrecken haben die Deutschen Gauen bedeckt, und es ist kein Deutscher aufgestanden. Brüder! der große Moment ist gekommen. Schill ist der einzige, gebe Gott, daß es nicht der letzte Deutsche ist. Er hat es gewagt, wovor die Großen und die Kleinen gezittert haben. Laßt sie zittern, wenn er den Arm erhebt, muß der Tyrann erbeben. Vorwärts Brüder! nach der Weser, nach dem Rheine! Die Hessen, Westphalen, an der Nordsee erwarten sie uns, der große Erzherzog Karl donnert an der Donau dem Frevler entgegen. Vorwärts! und ganz Deutschland steht auf. Vorwärts! und die hinter uns müssen sich erheben; wir zwingen sie, Männer zu seyn, und aus der Hand unseres tapfern Helden die entrissenen Kronen zu nehmen, die sie nicht wagten zu vertheidigen, nicht zu erwerben!«

Er zog den Säbel, und sprang, nachdem er ihn geschwungen, mit dem Ausrufe: »Vorwärts! Tod und Pest den Feigen!« von seinem Sitze herab. Sein gegebenes Losungswort wiederhallte auf tausend Zungen, und der wilde Aufruhr ließ erst nach, als die verschiedenen Truppenabtheilungen von ihren Befehlshabern zusammenberufen wurden.

*


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