Willibald Alexis
Die Hosen des Herrn von Bredow
Willibald Alexis

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Sechstes Kapitel

Der späte Gast

Die Hunde klafften, und der Türmer stieß ins Horn. Ein einzelner Reiter hielt vor der Zugbrücke. Kaum daß er den Namen genannt, als man sich fast übereilte, das Gatter aufzuziehen und die Zugbrücke niederzulassen, derweil andere ins Herrenhaus liefen, den unerwarteten, seltenen und, wie es schien, vornehmen Gast anzumelden.

Die brennenden Kienspäne beleuchteten eine nicht unedle, hohe ritterliche Gestalt. Auf einem schönen Rappen ritt er jetzt, etwas gebückt, durchs Tor. Dem Reiter und seinem Tiere sah man es an, daß Wald und Nacht für gewöhnlich nicht ihr Nachtquartier waren, daß der Reiter auch gewohnt sein mochte, in stolzen Schlössern einzureiten und sein Roß in besseren Ställen zu nächtigen. Sichtlich hatten beide mit Wind und Wetter zu kämpfen gehabt, und es brauchte beim Willkomm kaum ausgesprochen zu werden, daß er verirrt war und Sturm und Nacht ihn in diese abgelegene Burg verschlagen hatten.

Als ihn die Burgfrau sah, kannte man kaum Frau Brigitten von vorhin wieder. So verwundert war sie, so tief neigte sie sich vor dem Herrn, und in einem ganz andern Tone sprach sie:

»Gottes Wunder, Herr von Lindenberg, wie kommen wir zu der Ehre?«

»Alle Heiligen mit Euch, liebe Base, das weiß ich selbst nicht.«

»Und ganz allein?«

»Mutterseelenallein. Wenn der Teufel die andern nicht holt, so tut's der Sturm und das Wetter.«

»Und Seine –« der Ritter erriet das Wort, das auf den Lippen der Edelfrau erstarb.

»Der Himmel und der heilige Johannes wird Seine Kurfürstlichen Gnaden, hoffe ich, besser nach Berlin bringen, als mein Gaul mich durch die Heiden und Sümpfe der Zauche hierher jagte. Ihr seht, ich bin verirrt. Auf der Jagd war ich in der Belziger Forst mit dem Kurfürsten. Zur Jagd kann ich nicht zurück, denn die Jagd ist aus. Zum Kurfürsten kann ich auch nicht, denn da dies Haus, wie ich mit Vergnügen sehe, Hohen-Ziatz ist, bin ich ganz aus der Richte gekommen, und mein Herr ist, aller Vermutung nach, schon über den Teltow nach Berlin geritten. Ich muß den nächsten Weg wählen über Potsdam. Da aber weder ich dazu Lust, noch mein Pferd die Kräfte hat, sogleich aufzubrechen – auch meine liebe Base ein so freundlich Gesicht macht, muß ich es schon vorziehn, ihre Gastfreundschaft auf ein paar Stunden anzusprechen.«

»Konrad, Ruprecht! Ihr seid recht müde! Ach und Euer Roß, was ist's in Schweiß!«

Konrad und Ruprecht griffen ihr zu ungeschickt zu. Die Edelfrau stieß Hans Jürgen heran, daß er dem edlen Gast die Steigbügel halte, was in der Tat nötig schien, denn als er vorhin den Versuch machte, am Prallstein abzusteigen, war das Tier störrig, oder dem Reiter versagten nach dem langen Ritte die Kräfte. Auf Hans Jürgens Schulter sich stützend, schwang er sich aber jetzt mit ritterlichem Anstand auf die Erde.

Der Fackelschein fiel gerade auf Hans Jürgens gar nicht vergnügtes Gesicht, weil er zu einem Dienst gezwungen war, der ihm für eines Ritters Sohn, und noch dazu gegen einen Hofmann, nicht sehr ehrbar schien. Der Ritter sah ihn flüchtig, aber scharf an.

»Ei, welchen vornehmen Dienstmann meine Base die Güte hat, mir zu bestellen. Der Junker von Selbelang, wenn ich recht sehe. Wie geht es, Herr von Bredow?«

»'s ist nur Hans Jürgen«, flüsterten die Leute, der vornehme Herr reichte ihm aber doch verbindlich die Hand und neigte sich freundlich zu ihm, ehe er die der Base ergriff und schöne Worte ihr sagte von alter Freundschaft und den guten Zeiten, die gewesen und nicht wiederkämen. Als sie ihn neckisch schalt, daß er so lange schon in Hohen-Ziatz sich nicht blicken lassen, antwortete er, wenn einer dabei verloren, sei er es. »Ach diese guten alten Zeiten, als ich noch ein freier Mann war!« Er seufzte, und nun sah er den Junker Peter Melchior. »Welche Freude, einen so alten Freund zu sehen!« Er ließ es nicht bei einem Händedrucke genügen. »Und welche Überraschung, auch den würdigen Dechanten von Alt-Brandenburg! Ist's doch fast, als hätten die Hexen mich in ein Zauberschloß geführt, wo ich lauter alte, liebe Bekannte finde.«

»Sprecht nicht von Hexen, Herr von Lindenberg«, sagte Peter Melchior. »Mit denen ist nicht zu spaßen.«

»Ihr habt recht«, lachte der Gast. »Es wär übel, wenn ich plötzlich erwachte, alles wär verschwunden, und ich läge allein im Moor. Aber wo ist unser biederer Wirt? Ei, wo versteckt sich Herr Gottfried!«

Die Edelfrau schlug die Augen nieder: »Ach Herr von Lindenberg, seit er aus Berlin kam –«

Er ließ sie nicht aussprechen: »Richtig, ich entsinne mich, er kommt vom Landtage.«

»Und da ist er noch etwas angegriffen.«

»Er tat dem Landmarschall Bescheid, Base, Bescheid wie ein Edelmann, das kann ich versichern. Ein wackerer Ritter, recht aus der alten Zeit. Will keinen über sich kommen lassen. Man lobte ihn allgemein in Berlin, als er in den Wagen gehoben ward. Der Kurfürst, darf ich Euch vertrauen, war sehr zufrieden, wie er sich beim Landtage benommen. Das ist ein braver Mann, sagten Seine Gnaden, der gehört nicht zu den Stänkerern, die alles besser wissen wollen als ich.«

Nach einem langen Ritt durch Nacht und Wald war auch ein Hofmann jener Tage hungrig und durstig; darum nahm er gern den Arm der Hausfrau, als diese ihn aufforderte, unter ihrem schlechten Dach vorlieb zu nehmen mit dem was der Tisch und Keller noch biete. Aber an der Schwelle wandte er sich rasch um: »Mein Pferd!«

»Für das ist gesorgt.«

»Nicht wie es sollte!«

Leicht gegen die Edelfrau sich verneigend, sprang er rasch zurück auf den Hof, wo Hans Jürgen, der nur einem Wink seiner Verwandtin, diesmal minder verdrossen, gefolgt war, eben im Begriff stand, den Rappen des Herrn von Lindenberg in den Stall zu führen.

»Ihr irrt, Junker Bredow, es ist mein Pferd.«

»Weiß wohl; ich tät's in den Stall führen.«

»Das ist Knechtes Arbeit, nicht eines Adligen. Ein Edelmann darf nur für sein eigen Roß sorgen.«

Ehe er's ausgesprochen, hatte er Hans Jürgen den Zügel entnommen, ihn mit einem Wurf und einem herrischen Blick dem nächststehenden Knecht über den Arm geworfen, dem Rappen einen liebkosenden Schlag auf den Hals gegeben und dann wieder vertraulich die Hand auf Hans Jürgens Schulter gelegt:

»Nun, Junker von Selbelang, wollen wir miteinander einen Humpen leeren aufs Andenken Eures Vaters. Das war ein lieber Mann, mein Freund, ein wahrer Edelmann, der wußte zu leben. Schad um ihn, daß er so früh das Zeitliche gesegnen mußte.«

Die Halle war schnell erhellt von Fackeln und Lichtern. Was hatte die Hausfrau zu sorgen, zu klingeln, rufen, schelten, flüstern, daß ihr Haus Ehre habe vor dem späten Gast. Fast war es zuviel Sorge und Arbeit, noch in die Nacht hinein nach einem Sturm und einer großen Wäsche.

Doch der Gast verdiente es. Er war ein Mann etwa in den Vierzigern, hoch und stattlich gewachsen; im Gesicht den Hofmann und den Ritter nicht verleugnend. Sein Tritt, seine Bewegungen waren sicher und fest, aber dabei fein und geschmeidig; seine Tracht der Sitte der Zeit, wenigstens in Brandenburg, um etwas vorangeeilt. Das schon besprochene Kleidungsstück, welches damals anfing, so viel Gerede zu machen, würde auch seinem Körper wohl gestanden haben, aber er kam nicht vom Hofgelage, sondern von der Jagd. Über den hohen braunen Stiefeln mit Silbersporen, die bis über die Knie reichten, schmiegten sich engere Hosen an den markigen Wuchs, die nur am Leibe, nach der burgundischen Mode, in leichte Puffen ausgingen. Nach derselben Mode war auch sein gesticktes Tuchwams, welches sich in einer Spitze tief zum Nabel senkte und von einem ausgelegten Gurt festgehalten wurde. Daran hing der kürzere Jagddegen, auch ein feines Stück Arbeit. Um den Hals schmiegte sich eine Krause, die den Hofmann, der das Ausland gesehen, deutlicher noch verriet und selbst den Stürmen des nächtlichen Rittes widerstanden hatte. Seine Stirn war nicht zu hoch, sein Bart nicht zu lang, aber sorgfältig gekräuselt, und die ins Rötliche spielenden Haupthaare waren fast glatt geschnitten. Locken, die in wildes Haar ausarteten, und struppige Bärte galten in jener Zeit noch als ein Zeichen männlicher Kraft und adligen Mutes in diesem Lande.

Wenn er sich durch diese Kennzeichen merklich von allen hier Anwesenden unterschied, so war er's noch weit mehr durch sein einnehmendes Wesen und die feine Art, wie er mit jedem sprach. Wie verbindlich reichte er dem Hans Jochem die Hand, sich entschuldigend, daß er ihn vorhin nicht gleich erkannt. Zur Wirtin redete er so traulich und scherzhaft, wie einer, der eine Frau, die ihm nicht gleichgültig war, nach langen Jahren wiedersieht, und es tauchen allerhand liebe Erinnerungen auf, so süß und schön, daß beide darüber die Jahre und Runzeln vergessen. Was sie erzählte und erwähnte, wie bald entsann er sich der geringfügigsten Kleinigkeit; wie hörte er mit anscheinender Aufmerksamkeit zu, und wußte immer dem, was trübe klang, eine freundliche Wendung zu geben. Wie schlug er auf ihre Hand und tröstete, wo es des Trostes bedurfte, nicht wie ein Liebhaber, wie ein alter Freund, der es bleiben wird trotz der Jahre und Widerwärtigkeiten.

Aber wieder ein anderer ward er, als die Töchter eintraten und mit verschämter Anmut den vornehmen Gast und Verwandten bewillkommten. Eva Bredow wurde fast rot, daß sie ihm so bäurisch grob die Hand geboten. Er hatte nicht eingeschlagen, sondern, die Finger zart fassend, sie an seine Lippen gebracht, und auf ihr: »Gott grüß Euch, Vetter von Lindenberg!« hatte er eine Weile wie verwundert sie angeschaut.

»Ei, das schöne Fräulein soll meine Muhme sein!«

»Gewiß, Herr, es ist die Eva«, sprach die Mutter erfreut, »so Ihr damals bei der Huldigung auf den Knien schaukeltet. Ihr sagtet noch, sie würde der Mutter gleichen.«

Der Gast schien sich noch von seinem Staunen zu erholen: »Wahrhaftig, ich glaube doch am Ende, ich bin hier in einem verzauberten Schloß. Fürchte, wenn ich ihre zarte Hand nicht festhalte, sie wird mir wie eine Nix verschwinden.«

»Macht sie doch nicht verschämt. Das dumme Ding ist schon puterrot und wagt nicht, die Augen aufzuschlagen.«

Eva hätte wohl die Augen aufgeschlagen; sie schämte sich ihrer Hände; die waren noch rot vom Waschen. Und als er weiter sprach von einer Rose, die er in der Heide gefunden, die aber eines Fürsten Garten zieren würde, ward sie ganz ängstlich und hätte fortlaufen mögen, wäre die Mutter nicht gewesen, die ihm auch ihre zweite Tochter vorstellte.

»Welch ein Reichtum von Blumen im Walde! Rosen und Lilien, wie kommen die unter Kiefern.«

»Wir denken so, die Agnes zu Unseren lieben Frauen nach Spandau zu bringen.«

»Ein frommes Gemüt sehnt sich nach dem Himmel. Doch nicht zu früh, Frau Muhme. Mit der Frömmigkeit muß man nicht gar zu sehr eilen, das Leben ist lang.«

»Wie's der Herr schickt! Sind schlimme Zeiten, Herr von Lindenberg. Aussteuer können wir doch nur einer geben. Und weil sie so still ist und so vor sich hinschafft, da meinte mein Gottfried, und der Herr Dechant hat's auch gemeint, sie schickt sich nicht für die böse Welt und wie das wirsche Volk hier ist. Unser Herrgott nimmt die Stillen am liebsten. Der sieht nicht darauf wie das Mannsvolk, ob die Backen rot oder blaß sind.«

»Aber«, flüsterte schelmisch der Herr von Lindenberg, »er sieht auf die Grübchen neben den Lippen, ob sich ein Schelm da versteckt hat. Der Schelm ist ein böser Schelm und neckt alle Evas. Keine ist davor sicher, und mögen sie so still und sittsam aussehen als Eure Tochter.«

»Ja, die Evas, lieber Herr Lindenberg«, lachte die Mutter, »aber die heißt Agnes. Dummes Ding, was erschrickst du dich!«

»Sie wird nicht erschrecken, liebe Base«, lachte der Gast, »wenn der arglistige Schelm kommt, dem kein Menschenkind widersteht.«

Der Schelm kam nicht, aber Knechte und Mägde, um den Tisch noch einmal zu füllen mit allem, was das Haus und der Keller auftreiben konnten. Da sah man den Herrn von Lindenberg abermals einen ganz anderen werden. Hunger ist der beste Koch, heißt es, aber Hunger und Durst sind auch Fechtmeister, die den gesatteltsten Ritter und Hofmann aus dem Steigbügel werfen. Der Herr von Lindenberg aß, daß es eine Freude für die Hausfrau war, so oft sie einschenkte, schenkte der freundliche Gast ihr einen freundlichen Blick.

»Daß solchem Herrn, der an Besseres gewohnt ist, unser schlechter Wein mundet!«

»In solcher Gesellschaft!« sagte der Gast und reichte auf der einen Seite der Edelfrau, auf der anderen dem Junker Peter Melchior die Hand. Dabei wiegte er sich auf dem Schemel mit einem gar vergnügten Gesicht. »Ihr glaubt vielleicht, daß ich scherze. Denkt euch einen, der die ganze Woche über im Block lag, und am Sonntag wird er frei! Das Hofleben ist –« Er hielt plötzlich inne. »Wir vergaßen auf die Gesundheit unseres durchlauchtigsten Kurfürsten und Herrn zu trinken, wie es guten brandenburgischen Edelleuten bei jeder Mahlzeit geziemt.«


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