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Wenn du aus einem langen, bangen Kiefernwalde kommst, der von oben aussieht wie ein schwarzer Fleck Nacht, welchen die Sonne auf der Erde zu beleuchten vergessen, und nun fangen sich die hohen Bäume zu lichten an, die schlanken, braunen Stämme werden vom Abendrot angesprenkelt, und die krausen Wipfel regen sanft ihre Nadeln in den freier spielenden Lüften, da wird dir wohl zumut ums Herz. Das Freie, was du vor dir siehst, sind nicht Rebengelände und plätschernde Bäche aus fernen, blauen Bergen über ein Steinbett schäumend, 's ist nur ein Elsenbruch, vielleicht nur ein braunes Heidefeld, und darüber ziehen sich Sandhügel hinauf, in denen der Wind herrscht, das magere Grün, das von unten schüchtern heraufschleicht, anheulend, wie ein neidischer Hund, der über seine nackten Knochen noch murrend Wache hält. Eine Birke klammert sich einsam an die Sandabhänge, ein Storch schreitet vorsichtig über das Moor, und der Habicht kreist über den Büschen. Aber es ist hell da, du atmest auf, wenn der lange, gewundene Pfad durch die Kiefernnacht hinter dir liegt, wenn das feuchte Grün dich anhaucht, das Schilf am Fließe rauscht, die Käfer schwirren, die Bachstelzen hüpfen, die Frösche ihren Chor anheben und dein Auge dem Luftzug folgt, der leis über die Heidekräuter streift.
Es ist der stille Zauber der Natur, die auch die Einöden belebt, und ihr Auge ist auch hier, denn dort hinter dem schwarzen, starren Nadelwald liegt ein weiter, stiller, klarer See. Er hüllt sich ein, wie ein verschämtes Weib, in seine dunkelgrünen Ufer und möchte sie noch fester um sich ziehen, daß kein unberufener Lauscherblick eindringt. Er spiegelt sie wider in seinem dunkeln Wasser, mit ihrem Rauschen, mit ihrem Flüstern. Aber das dunkle Wasser wird plötzlich klar, wenn die Wolken vorüberziehn, ein Silberblick leuchtet auf; der blaue Himmel schaut dich an, der Mond badet sich, die Sterne funkeln. Dort ergießt der volle See sein Übermaß in ein Fließ, das vom Waldrande fort durch die Ebene sich krümmt. Hier bespült es Elsenbüsche, die es überschatten und gierig seine Wellen ausschlürfen möchten, sickert über in nasse Wiesen und wühlt sich dort im Sande ein festeres Kiesbett, um Hügel sich windend, an Steinblöcken vorübersprudelnd und durstige Weiden tränkend. Die vereinzelten Kiefern, Vorposten des Waldes, wettergepeitscht, trotzig in ihrer verkrüppelten, markigen Gestalt, blicken umsonst verlangend nach den kühlen Wellen; nur ihre Riesenwurzeln wühlen sich unter dem Sande nach dem Ufer, um verstohlen einen Trunk zu schlürfen.
Wer heut von den ferneren Hügeln auf dieses Waldeck gesehen, hätte es nicht still und einsam gefunden. Zuerst hätte ein weißer, wallender Glanz das Auge getroffen, dann ringelten Rauchwirbel empor, und um die schwelenden Feuer bewegten sich Gestalten. Schnee war das Weiße nicht, denn die Bäume röteten sich zwar schon herbstlich, aber sie schüttelten noch sparsam ihre welken Blätter ab, und die Wiesen prangten noch in kräftigem Grün. Schnee war es nicht, denn es blieb nicht liegen; es flatterte und rauschte auf, hellen Lichtglanz werfend und dann wieder verschwindend. Schwäne waren es auch nicht, die aufflattern wollen und die Flügel wieder sinken lassen. Das hätten Riesenvögel sein müssen, deren es im Havellande und der Zauche nie gegeben hat. Auch Segel nicht, die der Wind aufbläht und wieder niederschlägt; denn auf dem Fließe trieben nur kleine Nachen. Auch Zelte nicht, denn es bewegte sich hin und her, und wer näher kam, sah deutlich zwischen den Feuern Hütten aufgerichtet, zierliche von Stroh und rohere von Kieferngebüsch.
Eine Lagerung war es, aber der einsame Reisende brauchte sich nicht vor Raubgesellen zu fürchten; die paar Spieße, die in der Nachmittagssonne glänzten, standen friedlich an die Hüttenpfosten oder Bäume gelehnt. Räuber lachen und singen nicht so heitere Weisen, und die Lüderitze lagerten, wenn sie ausritten, auch nicht in entlegenen Winkeln, zwischen Heide und Moor, wo Kaufleute nicht des Weges ziehen. Ja, wär's zur Nachtzeit gewesen, der Ort war verrufen, auf unheimliche Weiber hättest du schließen können, die ihre Tränke brauen, wo keiner es sieht. Aber es war noch ein heller Nachmittag, und ebenso hell schallte bisweilen ein frohes Gelächter herüber, untermischt mit anderm seltsamen Geräusch, wie Klatschen und Klopfen. Kurz es war ein Lager allerdings, aber nicht von Kriegsknechten oder Wegelagerern, nicht von Kaufleuten oder Zigeunern, welche die Einsamkeit suchen; es war ein Feldlager, wo mehr Weiber als Männer waren, und das Feldlager war eine große Wäsche.
Von den Sandhöhen nach Mitternacht, deren nackte Spitzen über das Heidegestrüpp vorblickten, konnte man es deutlich sehen. In einem Sattel dieser Sandhügel stand nämlich ein bepackter Karren. Sein Eigentümer, der Krämer, hatte ihn hier untergebracht außer dem Wege, damit kein Späheraug Gäule noch Wagen entdeckte, bevor er sich versichert, was da unten vorging. Selbst war er geräuschlos, vorsichtig, auf eine Kiefer geklettert, um auszuschauen, und sein ängstliches Gesicht heiterte sich auf. Denn was er sah, hatte nicht allein gar keinen Anschein von Gefahr, sondern sogar für ihn etwas Lockendes. Der weiße, wallende Glanz kam von den an Seilen trocknenden Leinwandstücken her, die der Wind dann und wann hoch aufblähte. Andere größere Stücke lagen zur Bleiche weithin verstreut am Fließ, an den Hügelrändern bis in den Wald hinein. Überall war Ordnung und das wartende Auge der Hausfrau sichtbar. Jeder, Mägde, Knechte, Töchter, Verwandte und Freunde, bis auf die Hunde hinab, schien sein besonderes Geschäft zu haben. Die begossen mit Kannen, die schöpften aus dem Fließ, die trugen das Wasser. Jene nestelten an den Stricken, welche zwischen den Kieferstämmen angespannt waren; sie prüften die Klammern, sie sorgten, daß die nassen Stücke sich nicht überschlugen. Dort hingen gewaltige Kessel über ausgebrannten Feuerstellen, und daneben standen Tonnen und Fässer. Aber diese Arbeit schien vorüber; nur auf den einzelnen Waschbänken, die in das schilfige Ufer des Fließes hineingebaut waren, spülten noch die Mägde mit hochaufgeschürzten Röcken und zurückgekrempelten Ärmeln. Es war die feinere Arbeit, die man bis auf die Letzt gelassen, die jede für sich mit besonderer Emsigkeit betrieb. Da gab es mancherlei Neckereien zwischen dem Schilf. Wollte aber ein Mann in die Nähe dringen, ward er unbarmherzig bepritzt. Ja, einem Herrn im geistlichen Habit, der Miene machte, sich durch das Schilf zu schleichen, ward von einer der losen Dirnen ein ganzer Eimer gegen den Kopf gegossen. Ein Glück, daß er beizeiten ausbog, und mit ein paar Tropfen aufs Gesicht kam er davon, und die Dirne mit einem drohenden Finger. Den andern legte der geistliche Herr schnell auf den Mund, mit einem bedeutungsvollen Blicke, denn er sah die gebietende Hausfrau herankommen.
»Ach, meine gnädige Frau von Bredow auf Hohen-Ziatz!« mit den Worten und einem frohen Atemzuge ließ sich der Krämer schneller, als er hinaufgeklettert, von seinem Baume herab. Darauf ging er an sein Geschirr, putzte die Pferde und schirrte sie an zum Aufbruch. »Die hält ihre große Herbstwäsche ab; hätte ich das früher gewußt, es hätte was zu verdienen gegeben. Aber 's ist ja noch nicht zu Ende, und fällt wohl noch zuletzt was ab.« Er brachte die Hand an die Stirn, und ehe er in den Weg einlenkte, lüftete er die Wagendecke, schnürte und schnallte und packte Unterschiedliches um. Einiges versteckte er, und andere Packen legte er obenauf, wie es ein guter Kaufmann tun muß, der seine Kunden kennt und weiß, was ihnen ins Auge sticht und was ihnen mißbehagt.
Die große Herbstwäsche war's der Frau von Bredow auf Hohen-Ziatz. »Der Winter ist ein weißer Mann«, sagte sie. »Wenn er ans Tor klopft, muß das Haus auch weiß und rein sein, daß der Wirt den Gast mit Ehren empfangen mag.«
Ihr Gast, der Dechant, hatte zwar gesagt: »Der Winter ist ein ungebetener Gast, den stellt man hinter die Tür«; aber die Edelfrau hatte erwidert: »Das mag vor alters gepaßt haben, ehrwürdiger Herr, als es noch keine geistlichen Herren gab. Itzund wissen drei ungebetene Gäste in jedwed Haus zu dringen; wie man's auch zuschließt, sie finden immer eine Ritze: der Winter, die Wanzen und die Pfaffen.«
Der Dechant hatte dazu gelacht; hatte doch die Edelfrau beim großen Kehraus in der Burg auch sein Bündel mit auf die Wagen werfen lassen, was ihn der Mühe überhob, daß er's nach Brandenburg mitnahm, wenn er mit dem einen ungebetenen Gaste, dem Winter, in seine warme Klause zurückkehrte.
Eine Herbstwäsche war im Schloß Hohen-Ziatz eine Verrichtung. Eine große Arbeit war es, wo die Knochen sich rühren mußten, aber ein Fest auch. Die Hausfrau meinte, alle tüchtige Arbeit sei immer ein Fest, und wir meinen's auch. Wie hatte sie das alte Haus aus- und umgekehrt; auf Hühnerleitern war sie selbst gestiegen, denn darin traute sie keinem andern Aug, in alle Kammern und Winkel, daß jedes Wollen- und Linnenstück, bis zum geringsten hinab, ein Sonntagsgesicht anlegen sollte. Drei Austwagen waren gepackt worden, und nachdem sie zugeschnürt mit Stricken und saubere Bastmatten darübergelegt, hatte sich die Edelfrau selbst auf den vordersten gesetzt. Das war ein Auszug aus der Burg. Die drei Austwagen voran, die Mägde und Töchter der gnädigen Frau auf den zwei andern. Der Junker Hans Jochem wollte eine Leiter ansetzen, daß Evchen und Agnes leichter hinaufkämen. Frau Brigitte hatte es aber nicht gelitten; wie ein Ritter aufs Pferd müsse zur Not sonder Steigbügel und Prallstein, so sei eine große Wäsche der Dirnen ihr Ehren- und Schlachttag; müßten sich selbst zu helfen wissen, sonst wäre es nichts mit ihnen. Und ehe Hans Jochem zuspringen konnte, waren Evchen und Agnes auf den großen Zeugwagen hinauf und lachten den Junker von oben aus.
Drei Austwagen vorauf, der vorderste von zwei Knechten mit Pickelhauben und Spießen geführt, dazu ein Hornbläser, um den eine Koppel Hunde klaffte. Dahinter noch andere Wagen mit Bottichen, Kesseln, Stroh, Bänken, Decken, Fässern, Körben und was zur Lebensnotdurft diente, vollauf. Die Frau sprach lächelnd zu denen, die sich drob wunderten: »Du sollst dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden.« Und hintenan und zur Seiten Reiter und Fußgänger mit Jagdspießen, Armbrüsten; ja einer trug sogar einen schweren Muskedonner.
So zogen sie über die krachende Zugbrücke unter Musik und Gelächter, und der Türmer blies ihnen noch eine Weise nach, bis sie im Walde verschwunden waren. Daß sie Hunde und Spieße und gar ein Feuergewehr mitnahmen und bald ein Dutzend rüstiger Männer bei einem Geschäft waren, das anderwärts nur die Frauen angeht, darüber wird niemand sich wundern, der weiß, wie es zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in der Mark Brandenburg aussah. Wer außer den Mauern einer Burg oder Stadt war, und er trug nicht den Bettlermantel um die nackten Schultern, tat recht, wenn er den Leib umgürtete, auch wenn der Stahl dann etwas zu lang hinter dem Manne klirrte. Denn zu jeder guten Verrichtung gehört, daß der sie verrichtet, in Sicherheit schaffe. Aber daß auch dieser und jener von der Sippschaft, des Hände zu fein waren, um die Seile zu spannen oder die Laken aufzuhängen, ja daß sogar ein geistlicher Herr mitzog, könnte verwundern, wenn wir nicht eben wüßten, was es mit einer großen Herbstwäsche dazumal im Edelhofe von Hohen-Ziatz für Bewandtnis hatte.
Die Räume zwischen den Lehmwänden und Steinmauern waren viel zu eng für eine solche Verrichtung. Wo sollte das fließende Wasser herkommen, wo die freie Luft zum Trocknen und wo der Rasen zum Bleichen? Unsere Vorväter liebten die festlichen Zusammenkünfte im Freien, und wie es vor alters gewesen, mußte es in Hohen-Ziatz noch heute sein. Da zog denn mit, wem's in den Mauern zu beklommen war, wer Scherz liebte und Spiel und Jagd und Neckerei; denn etwas davon fiel immer ab. Aber auch Gottesfurcht mußte dabei sein, meinte der Dechant und die Edelfrau auch, nur daß jeder etwas anderes dabei meinte.
Außerdem war es der Hausfrau auch vielleicht nicht unangenehm, einmal unumschränkte Herrin zu sein; denn war sie es zwar, wie der böse Leumund sagte, auch im Schlosse, so war sie es doch nur durch Klugheit und Kunst, hier nach alten Rechten; denn wer in aller Welt will einer Frau die unumschränkte Herrschaft bei der Wäsche abstreiten, wenn schon kein Gesetz sagt, daß es so sein soll. Und welche Herrin sie war! Sie trug keinen Federbusch und keine Schürze, aber jeder Fremde fand sie auf hundert Schritt heraus. Das war ein Blick, eine Falke sieht nicht schärfer. Wenn sie auf einer Anhöhe stand, den linken Arm nachlässig in die Seite gestemmt, die Rechte, die sonst mit dem Schlüsselbunde spielte, ruhig niederhängend, die Füße ein wenig auseinander und Schuhe darunter, die den Boden um einen halben Zoll eindrückten, und ihr Hals lugte aus dem Mieder, der wie ein Panzer saß, da sah die Frau von Bredow doch wie ein Feldherr aus, der sein Heer musterte, und die Mägde sprachen: »Unsere Gestrenge die versteht's.«
Das sagten sie auch, nur in einem anderen Ton, wenn sie faul oder nachlässig gewesen oder etwas so getan, wie die Frau von Bredow meinte, daß es nicht geschehen müsse. Stand sie zwar, wie wir sahen, fest auf dem Boden, wenn sie sah, daß alles in Schick war, so war sie doch wie das Wetter herunter, wo etwas außer Schick kam. Lang reden und zurechtweisen liebte sie nicht, und wo sie meinte, daß einer schwer hörte, da hielt sie auch die paar Worte noch für zuviel. Noch wußte der verdrossene Knecht nicht eigentlich, wie es gekommen, aber jetzt hörte er vortrefflich und verstand alles, und rieb nur ein klein wenig über das Ohr oder die Schulter. Eine so rührige Frau war die Frau von Bredow. Loben tat sie nicht viel, sie hielt's vom Überfluß, denn das jeder täte, als er muß tun, hielt sie für Lohns genug; aber wem sie mal auf die Schulter klopfte, wenn sie durch die Reihen ging, dem war es wie ein Tropfen starken Weines, der nach langer Mattigkeit und Bangigkeit durch die Adern rinnt und die Glieder wieder stärkt.