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III. Die Heirat des jungen Bagrow

Viele Jahre waren verflossen, vieles hatte sich ereignet: Hungersnot und Seuchen und der schreckliche Aufstand Pugatschews. Seine wilden Banden hatten in der Gegend von Orenburg gewütet. Mein Großvater war mit seiner Familie geflohen, zuerst nach Samara, dann die Wolga hinunter nach Saratow und sogar nach Astrachan. Doch war allmählich alles vergangen, man hatte sich beruhigt, man hatte alles vergessen. Die Kinder waren zu Jünglingen, die Jünglinge zu Männern, die Männer zu Greisen geworden. Unter letzteren auch Stepan Michailowitsch. Er mußte es selbst merken, wollte aber nicht recht daran glauben. Nicht selten sagte er: »Ja, vieles ist mit den Frühlingswassern fortgeschwommen,« und sagte es so ruhig, als ob von einem andern als von ihm die Rede wäre. Und in der Tat war mein Großvater ein anderer geworden. Wo war seine Heldenkraft geblieben, seine Gewandtheit und Unermüdlichkeit? Mein Großvater sprach selbst darüber seine Verwunderung aus, lebte aber in der früheren, gewohnten Weise fort; wie früher aß und trank er nach Herzenslust und kleidete sich, ohne auf das Wetter zu achten, was ihm manche Unpäßlichkeit zuzog. Seine scharfen, glänzenden Augen wurden allmählich trüber, seine volltönende Stimme schwächer. Seltener geriet er in Zorn, seltener sah man ihn heiter und freudig. Seine älteren Töchter hatte er verheiratet: die älteste, Frau Wjerigina, war gestorben und hatte ein dreijähriges Töchterchen hinterlassen. Die zweite, Frau Koptjaschewa, war verwitwet und hatte sich zum zweitenmal mit einem Herrn Nagatkin vermählt. Der klugen und stolzen Jelisaweta war es gelungen, Generalin Erlykina zu werden; freilich war der General arm, alt und ewig betrunken. Alexandra hatte sich mit J. P. Karatajew verheiratet, einem jungen Edelmann von Vermögen, einem leidenschaftlichen Liebhaber des unsteten Baschkirenlebens, einem Baschkiren an Leib und Seele. Die jüngste Tochter, Tanja, war zu Hause geblieben. Der Sohn war schon siebenundzwanzig Jahre alt, ein hübscher, rotbäckiger Bursche. Sein Vater pflegte zu sagen, es fehlten ihm nur Unterröcke und Mieder, um einem Fräulein ähnlicher zu sehen als alle seine Schwestern. Trotz der bittern Tränen und des Jammers seiner Mutter hatte Stepan Michailowitsch seinen Sohn, als dieser sechzehn Jahre alt war, in den Kriegsdienst treten lassen, in dem er sich drei Jahre lang befand. Durch Kurolesows Protektion war er ein Jahr lang als Ordonnanz bei Suworow angestellt. Aber Suworow verließ Orenburg, und ein deutscher General (Treublut, wenn ich nicht irre) ließ den Jüngling unverschuldeterweise und trotz seines alten Adels grausam durchprügeln. Meine Großmutter wollte vor Schmerz sterben, und meinem Großvater mißfiel dieser Spaß auch sehr. Er ließ Alexei sogleich um seinen Abschied bitten und fand für ihn eine Anstellung am Oberlandesgericht, wo er lange und fleißig arbeitete und in der Folge Staatsanwalt wurde.

Ich kann nicht umhin, hier ein merkwürdiges Faktum zu erwähnen. Die meisten Deutschen (ebenso die anderen Ausländer), die in russischen Diensten stehen, zeichnen sich durch ihre Grausamkeit und ihre Vorliebe für Prügel aus. Der Deutsche, der den jungen Bagrow so grausam bestraft hatte, hielt, obgleich selbst Lutheraner, doch streng auf Beobachtung des russischen Kirchenritus. Dies gab Veranlassung zu jener unerfreulichen Episode in unserer Familienchronik. Am Vorabend eines unbedeutenden Festes ließ der deutsche General in der Regimentskirche Vesper lesen, was immer in seiner Gegenwart und in Gegenwart aller Offiziere stattfand. Es war ein heißer Sommertag, die Fenster der Kirche waren geöffnet; plötzlich klang von der Hauptstraße von Ufa ein russisches Volkslied herein; der General eilte zum Fenster. Auf der Straße gingen drei junge Unteroffiziere, und einer von ihnen sang. Der General ließ sie sogleich festnehmen und jedem dreihundert Stockschläge geben. Mein armer Vater, der nicht gesungen hatte, sondern nur mit den anderen Unteroffizieren mitgegangen war, erklärte, er sei von Adel, worauf der General mit einem teuflischen Lächeln erwiderte, ein Adliger müsse dem Gottesdienste besondere Ehrfurcht erweisen; und gleich darauf ließ er ihm in seiner Gegenwart, im Zimmer neben der Kirche, die dreihundert Schläge geben, wobei er ihm sogar verbot zu schreien, um nicht den Gottesdienst zu stören. Halbtot brachte man ihn ins Lazarett. Man war genötigt, ihm die Uniform vom Leibe zu schneiden, so sehr war sein zarter Körper geschwollen. Zwei Monate lang konnten sich die Wunden an Rücken und Schultern nicht schließen. Man kann sich denken, wie dies alles auf seine Mutter wirkte, die ihn überzärtlich liebte. Mein Großvater versuchte umsonst zu klagen; noch ehe sein Sohn das Lazarett verlassen hatte, wurde ihm aber der Abschied bewilligt, um den er gebeten hatte, und er trat als Beamter vierzehnter Klasse in den Staatsdienst. Zur Zeit unserer Erzählung war die ganze Geschichte vergessen. Es waren acht Jahre darüber vergangen.

Alexei Stepanowitsch erfüllte ruhig seine Beamtenpflichten in Ufa, das von Bagrowo zweihundertvierzig Werst entfernt war, und kam jährlich zweimal nach Hause, um seine Eltern zu besuchen. Übrigens verging sein Leben ganz ohne innere und äußere Begebenheiten. Still, bescheiden und schüchtern, gegen alle freundlich, blühte er wie eine Mohnblume, als plötzlich der klare Lebensstrom des jungen Landedelmanns sich trübte.

In der Stadt Ufa wohnte ständig der Vizestatthalter, Kollegienrat Nikolai Fjodorowitsch Subin, ein gescheiter und rechtschaffener, aber weicher und schwacher Mann. Er war verwitwet und hatte drei Kinder: eine zwölfjährige Tochter Sonitschka Von Sofja abgeleiteter Schmeichelname. (Anmerkung des Übersetzers S. R.) und zwei jüngere Knaben. Der Vater liebte seine Sonitschka leidenschaftlich, und das war kein Wunder; denn das Mädchen war wunderbar schön und gescheit und wurde ihm bald trotz ihres kindlichen Alters eine treue Freundin und eine sichere Stütze in der Verwaltung des inneren Hauswesens. Anderthalb Jahre nach dem Tode seiner geliebten ersten Gattin hatte sich aber Nikolai Fjodorowitsch so weit getröstet, daß er sich in die Tochter des dortigen Gutsbesitzer P. A. Rytschkow, des bekannten Beschreibers des Gebietes von Orenburg, verliebte und sie bald heiratete. Die junge Frau, namens Alexandra Petrowna, eine schöne, kluge und herrschsüchtige Person, brachte den zärtlichen Witwer ganz in ihre Gewalt und entbrannte in Haß gegen die junge, aber schon schöne Stieftochter. Die Sache verhielt sich, wie sie sich in solchen Fällen zu verhalten pflegt. Alexandra Petrownas Charakter entsprach alle dem, was man den Stiefmüttern überhaupt Gehässiges und Böses nachsagt; doch war es nichts Leichtes, Sonitschka aus dem Herzen ihres Vaters zu reißen; das Mädchen gab nicht leicht nach, nicht ohne hartnäckigen Widerstand; dieses steigerte den Haß der Stiefmutter aufs höchste; sie schwor, das trotzige dreizehnjährige Mädchen, der Abgott des Vaters und der ganzen Stadt, solle in der Mägdestube wohnen, in Kattunkleidern gehen und den Unrat ihrer Kinder hinaustragen. Sie erfüllte ihren Schwur buchstäblich: nach Verlauf zweier oder dreier Jahre wohnte Sonitschka mit den Mägden zusammen, war wie die schlechteste unter ihnen gekleidet und mußte eigenhändig die Kinderstube reinigen und scheuern, in die schon zwei neue Schwesterchen eingezogen waren. Was sagte aber dazu ihr zärtlicher Vater? Ganze Monate lang sah er seine Tochter nicht, und wenn sie ihm, beinahe in Lumpen gekleidet, begegnete, kehrte er sich ab, seufzte und entfernte sich, um seine Tränen zu verbergen. So pflegen die meisten alten Witwer zu sein, die sich in junge Frauen verlieben. Ich weiß nichts Genaues über die Mittel, die Alexandra Petrowna anwandte, um ihr Ziel zu erreichen, und darum will ich darüber schweigen; ich will auch nicht alle Verfolgungen und Grausamkeiten erzählen, die die arme Waise, ein von Natur empfindliches, energisches und unbeugsames Gemüt, zu erdulden hatte. Die kränkendsten Strafen wurden ihr nicht erspart, sogar Schläge nicht, oft wenn sie gar nichts verschuldet hatte. Kurz, das arme Mädchen war dem Selbstmord nahe und wurde davon nur durch ein Wunder abgehalten. Die Sache verhielt sich folgendermaßen. Die Unglückliche hatte sich entschlossen, ihrem unerträglichen Leben ein Ende zu machen, und war in ihre Kammer unter dem Dache gegangen, um zum letzten Male vor einem Bilde der Mutter Gottes zu Smolensk zu beten, mit dem ihre sterbende Mutter sie gesegnet hatte. Sie fiel vor dem heiligen Bilde nieder und drückte unter bitteren Tränen ihre Stirne an den schmutzigen Boden. In dieser Stellung verlor sie für einige Minuten das Bewußtsein. Als sie wieder zu sich kam und sich aufrichtete, erblickte sie mit Staunen ein Licht. Vor dem Bilde der Gottesmutter brannte die Kerze, die sie tags zuvor ausgelöscht hatte. Sie schrie vor Schrecken laut auf; doch bald erkannte sie in diesem Wunder einen Wink des Himmels, fühlte sich von einer ihr bis dahin unbekannten Kraft und Ruhe durchdrungen und faßte den festen Entschluß zu leiden, zu dulden und zu leben. Von diesem Tage an stellte die Waise allen Verfolgungen ihrer Stiefmutter eine unerschütterliche Geduld entgegen, womit sie die letztere noch mehr reizte. Sie erfüllte alles, was ihr geboten wurde; alles ertrug sie mit unbegreiflichem Gleichmut. Keine Schimpfreden, keine erniedrigenden Strafen vermochten sie mehr zu Tränen, zu Nervenanfällen, zur Ohnmacht zu bringen, wie es bisher der Fall gewesen war; und zu der früheren Bezeichnung »verruchtes Geschöpf« kam eine neue hinzu, indem man sie »verruchtes, hartnäckiges Geschöpf« nannte. Doch war das Maß der göttlichen Langmut voll, und der Blitz schlug ein. Die blühende Alexandra Petrowna gebar noch einen Sohn und starb zehn Tage nach der Entbindung. Einen Tag vor ihrem Tode erfuhr sie, daß ihr Ende nahe sei, und beeilte sich, ihr Gewissen von einer schweren Last zu befreien. Man weckte Sonitschka mitten in der Nacht und ließ sie zur Stiefmutter kommen. Alexandra Petrowna gestand ihr Unrecht in Gegenwart vieler Zeugen, flehte ihre Stieftochter um Vergebung an und beschwor sie unter Anrufung Gottes, ihre Kinder nicht zu verlassen. Die Stieftochter vergab ihr, versprach, die Kinder nie zu verlassen, und hat ihr Wort gehalten. Alexandra Petrowna gestand auch ihrem Manne, alles Üble, was sie ihm von der Tochter erzählt habe, sei Verleumdung gewesen.

Wie wurde alles im Hause durch diesen Tod verwandelt! Nikolai Fjodorowitsch bekam einen Nervenschlag, nach dem er noch einige Jahre lebte, aber ohne sein Bett zu verlassen. Das schmählich zurückgesetzte, zerlumpte Fräulein, von einer niederträchtigen Dienerschaft (insbesondere den Vertrauten der Stiefmutter) so lange Zeit verhöhnt und gedemütigt, wurde plötzlich zur unumschränkten Herrin des Hauses, da ihr kranker Vater ihr alles anvertraut hatte. Die Versöhnung zwischen dem schuldigen Vater und der unschuldigen Tochter war ergreifend, ja peinlich anzusehen. Gewissensbisse gaben lange dem kranken alten Manne keine Ruhe; lange schluchzte er Tag und Nacht und konnte nur die Worte herausbringen: »Nein, Sonitschka, du kannst mir nicht vergeben!« Es gab keinen Bekannten in der Stadt, dem er nicht feierlich seine Vergehen gegen seine Tochter gebeichtet hätte, und Sofja Nikolajewna wurde zum Gegenstande allgemeiner Achtung und Bewunderung. Früh gereift durch das durchlebte Unglück, war das siebzehnjährige Mädchen plötzlich zum Weibe geworden, zur Mutter, zur Hausfrau, sogar zu einer offiziellen Person, da sie wegen der Krankheit ihres Vaters mit allen Behörden, Beamten und sonstigen Einwohnern der Stadt in amtlichen Angelegenheiten verkehren mußte. Sie schrieb alle amtlichen Briefe, überwachte alles und wurde bald der eigentliche Direktor in der Kanzlei ihres Vaters. Dabei pflegte Sofja Nikolajewna mit unermüdlicher Zärtlichkeit ihren kranken Vater und sorgte wie eine Mutter für ihre drei Brüder und zwei Schwestern. Es gelang ihr, den beiden älteren, Sergei und Alexander, von denen der erstere zwölf, der andere zehn Jahre alt war, einigen Unterricht zu verschaffen. Sie ließ sie durch den Franzosen Villemé unterrichten, einen vortrefflichen Mann, den das Schicksal nach Ufa geworfen hatte, und durch einen halbgelehrten Kleinrussen, W–ski, der wegen mißlungener Intrigen dahin versetzt worden war. Sie selbst benutzte diese Gelegenheit, um etwas mit den Brüdern zu lernen, wobei sie wunderbar schnelle Fortschritte machte. Nach anderthalb Jahren sandte sie die Brüder nach Moskau zu A. F. Anitschkow, den sie durch seinen in Ufa lebenden Vetter kannte, und mit dem sie in lebhaftem Briefwechsel stand, ohne ihn je gesehen zu haben. Anitschkow lebte damals mit dem berühmten N. I. Nowikow zusammen; die beiden Freunde waren so entzückt von den geistreichen Briefen des unbekannten Fräuleins aus dem Baschkirenlande, daß sie ihr alles zuschickten, was damals Lesenswertes an russischen Werken erschien; dies trug nicht wenig zu ihrer ferneren Geistesentwicklung bei. Anitschkow insbesondere war ihr eifriger Verehrer und fühlte sich glücklich, ihre Bitte zu erfüllen, das heißt, sich ihrer beiden Brüder anzunehmen und für deren Eintritt in die adelige Universitätspension zu sorgen. Die Knaben lernten fleißig; leider aber wurden ihre Studien bald unterbrochen, da sie in die Garde eintreten mußten, wo sie seit ihrer Geburt als im Dienste stehend eingeschrieben waren.

Alle gebildeten und geistreichen Leute, die der Zufall nach Ufa brachte, suchten Sofjas Bekanntschaft, fühlten sich von ihr angezogen und konnten sie nie wieder vergessen. Die meisten Bekannten, die sie auf diese Weise erwarb, wurden mit der Zeit zu treuen Familienfreunden, die an ihr bis zu ihrem Tode hingen. Darunter will ich nur die nennen, die ich selbst gekannt habe: W. W. Romanowski, A. I. Avenarius, P. I. Tschitschagow, D. B. Mertwy und W. I. Itschanski. Auch die Gelehrten und andere Reisende, welche den neuen, herrlichen Distrikt von Ufa besuchten, unterließen es nicht, Sofja Nikolajewnas Bekanntschaft zu machen und ihr schriftliche Zeichen ihrer Bewunderung zu hinterlassen. Freilich war die Stellung dieses jungen Mädchens eine höchst vorteilhafte und diente ihr sozusagen als ein glänzendes Postament. Aber auf dem Postamente stand auch eine herrliche Figur. Besonders erinnere ich mich des Gedichtes eines Grafen Manteuffel, das er ihr mit einem Exemplar der »Heilkunde für das Haus« von Buchan übersandte, einer damals neuen Übersetzung aus dem Englischen ins Russische, die viel Aufsehen erregte. Diese fünf Quartbände wurden Sofja Nikolajewnas Lieblingslektüre; sie stellte danach Arzeneien für ihren kranken Vater her. In seinem Gedichte verglich Graf Manteuffel das schöne Mädchen von Ufa nach damaliger Sitte mit Venus und Minerva.

Trotz seines kranken Zustandes behielt Nikolai Fjodorowitsch seine Stelle noch einige Jahre lang. Zweimal jährlich gab er einen großen Ball. Selbst konnte er vor den Damen nicht erscheinen und empfing die Herren liegend in seinem Arbeitszimmer. Die junge Hausherrin empfing unterdessen die ganze Stadt. Der alte Herr bestand auch darauf, daß Sonitschka von Zeit zu Zeit die großen Bälle bei den Notabilitäten besuchte. Sofja Nikolajewna pflegte, um ihm den Willen zu tun, für eine kurze Zeit auf diesen Bällen zu erscheinen. Reich gekleidet, von allen bewundert, tanzte sie eine Polonäse, ein Menuett, einen Kontertanz oder eine Ekossaise und verschwand wie ein glänzendes Meteor. Alles, was ein Recht hatte, sich zu verlieben, verliebte sich in Sofja Nikolajewna, aber ganz ehrfurchtsvoll und hoffnungslos, da es für etwas Unmögliches galt, ihr Herz zu rühren.

Und in ein solches Mädchen verliebte sich der Sohn des alten Stepan Michailowitsch. Er konnte zwar nicht alle Seiten ihres Wesens würdigen; aber ihr schönes Äußeres, ihr lebhafter, heiterer Geist waren mehr als genügend, um den jungen Mann zu bezaubern, und der Zauber hatte gewirkt. Gleich beim erstenmal, als er Sofja Nikolajewna in der Kirche erblickte, war sein weiches Herz gefangen. Als er erfuhr, daß die schöne Sofja alle Beamten, die zu ihrem Vater kamen, empfange, begann Alexei Stepanowitsch (es ist Zeit, ihn mit seinem vollen Namen zu nennen) in seiner Eigenschaft als Beamter des Oberlandesgerichtes an allen großen Feiertagen im Empfangszimmer des Vizestatthalters zur Gratulation zu erscheinen; er sah jedesmal Sofja Nikolajewna und verliebte sich immer gewaltiger in sie. Diese Besuche wurden zu regelmäßig und dauerten zu lange (obgleich der junge Mann beinahe kein Wort sprach), als daß man sie nicht bemerkt hätte, und die junge Hausherrin war wohl die erste, die deren Bedeutung verstand. Seufzer und Blicke, glühende Wangen und verlegenes Schweigen sind immer die beredten Zeichen der Liebe gewesen. Über innige Liebe pflegt man zu lachen; so ist es stets gewesen, und die ganze Stadt machte sich über Alexei Stepanowitsch lustig, der, schüchtern und schamhaft wie ein Landmädchen, auf Scherze und Anspielungen keine Antwort fand und nur rot wurde wie eine Mohnblume. Sofja Nikolajewna aber, die gegen alle ihre glänzenden Anbeter sich kalt und streng verhielt, erwies zur allgemeinen Überraschung ihrem stummen Liebhaber eine herablassende Teilnahme. Ich weiß nicht, ob es Mitleid mit dem armen Jüngling war, der wegen seiner Liebe verhöhnt wurde, oder ob sie verstanden hatte, daß diese Liebe nicht eine vergängliche Laune, sondern für ihn eine Lebensfrage war, kurz, die kalte Schönheit grüßte Alexei Stepanowitsch nicht nur freundlich, wenn sie ihn sah, sondern redete ihn auch öfters an; seine schüchternen, zusammenhanglosen Antworten, seine zitternde Stimme kamen ihr weder lächerlich noch unangenehm vor. Übrigens muß ich bemerken, daß Sofja Nikolajewna, die gegen anmaßende und selbstzufriedene Leute sich kalt und stolz verhielt, gegen bescheidene und schüchterne immer freundlich und zuvorkommend gewesen war.

So zog sich die Sache ziemlich lange hin. Plötzlich leuchtete ein kühner Gedanke in Alexei Stepanowitschs erhitztem Kopfe auf, der Gedanke an die Heirat. Er erschrak selbst über diesen frechen Gedanken. Was war er im Vergleich mit Sofja Nikolajewna, der ersten Person in der Stadt und dem schönsten und geistreichsten Mädchen in der Welt? So dachte er und verzichtete vollständig auf sein Vorhaben. Aber bald wurde der Gedanke in ihm wieder erweckt durch die freundlichen Aufmerksamkeiten Sofja Nikolajewnas, durch ihre wohlwollenden, ja, wie es ihm schien, aufmunternden Blicke und noch mehr durch die Liebe, die in ihm immer glühender wurde; und bald ward dieser süße Traum zu einer notwendigen Bedingung seines Lebens. Eine alte Gutsbesitzerin, Frau Alakajewa, die sich damals in Ufa aufhielt, erwies ihm eine besondere Teilnahme. Sie war eine weitläufige Verwandte von ihm und eine Bekannte der Familie Subin. Er begann, sie öfter zu besuchen, ihr, wie er nur konnte, den Hof zu machen, und gestand ihr endlich seine Liebe und seine Wünsche. Von dieser Liebe wußte Frau Alakajewa schon lange, da die ganze Stadt davon sprach; aber seine Heiratsabsicht verwunderte sie nicht wenig. »Sie wird dich nicht haben wollen,« sagte die Alte, den Kopf schüttelnd. »Sie ist zu klug, zu stolz, zu gebildet für dich. Nicht wenige haben sich in sie verliebt; keiner hat es gewagt, ihr einen Antrag zu machen. Freilich bist du ein hübscher Junge, von gutem Adel, hast ein wenig Vermögen und wirst mit der Zeit reich sein; das kann dir niemand nehmen. Aber du bist ein Landjunker ohne Schliff; du bist unwissend und in Gesellschaft zu schüchtern.« Das alles ahnte auch Alexei Stepanowitsch; aber die Liebe hatte gänzlich seine Sinne verwirrt; Tag und Nacht raunte ihm eine geheimnisvolle Stimme ins Ohr, Sofja werde dennoch seine Frau werden. Obgleich Frau Alakajewa die Hoffnungen des jungen Mannes für gänzlich unbegründet hielt, ging sie doch auf seine Bitte ein, Sofja Nikolajewna zu besuchen und, ohne seine Absichten anzudeuten, mit ihr über ihn zu sprechen, um ihre Meinung über den bescheidenen Liebhaber zu erfahren. Sie fuhr sogleich zu Subins, Alexei Stepanowitsch blieb in ihrem Hause, um auf ihre Rückkehr zu warten; die Alte blieb ziemlich lange aus; der arme Verliebte geriet in solche Angst und Schwermut, daß er in bittere Tränen ausbrach und zuletzt, vom Weinen erschöpft, den Kopf ans Fenster gelehnt, einschlief. Die Alte kehrte endlich heim, weckte ihn und sagte ihm freudig: »Nun, Alexei Stepanowitsch, ganz unrecht hast du nicht. Ich habe das Gespräch auf dich gelenkt und dich ein wenig heruntergemacht; da hat Sofja Nikolajewna sehr ernsthaft für dich Partei genommen und gesagt, du seist ein guter, bescheidener, frommer Mensch, der seine Eltern ehre; auf solchen Menschen ruhe Gottes Segen, und sie taugten mehr als die vorlauten Stutzer.« Alexei Stepanowitsch wurde fast verrückt vor Freude und wußte selbst nicht, was er redete und vornahm. Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, sagte ihm Frau Alakajewa mit Festigkeit: »Wenn es dein unveränderlicher Wille ist, so rate ich dir folgendes: fahre sogleich nach Hause, sage alles deinen Eltern und erbitte dir ihre Einwilligung und ihren Segen, damit dir die guten Leute nicht hinderlich sind. Erhältst du beides, so will ich mich weiter für dich bemühen. Übereile dich nur nicht! Bearbeite zuerst deine Schwestern; deine Mutter wird sich deinem Wunsche nicht widersetzen. Natürlich ist das wichtigste die Zustimmung deines Vaters. Ich kenne ihn, er ist halsstarrig, aber vernünftig. Sprich mit ihm, wenn er einmal bei heiterer Laune ist!« Alexei Stepanowitsch wunderte sich nicht wenig über die angeratene Vorsicht und antwortete, seine Eltern würden sich gewiß nur freuen, da ja nichts gegen Sofja Nikolajewna zu sagen sei. »Sehr vieles,« erwiderte die verständige Alte. »Sie hat gar kein Vermögen, und ihr Großvater ist ein einfacher Unteroffizier bei den uralischen Kosaken gewesen.« Aber diese bedeutsamen Worte wirkten auch nicht im mindesten auf Alexei Stepanowitsch. Frau Alakajewa hatte jedoch nur zu wahr gesprochen, und ihre Warnung kam zu spät. Nach Verlauf einer Woche nahm Alexei Stepanowitsch Urlaub, verabschiedete sich von Sofja Nikolajewna, die ihm sehr freundlich glückliche Reise wünschte und die Hoffnung aussprach, er werde die Seinigen gesund finden und durch seine Ankunft erfreuen, und durch die freundlichen Worte ermutigt, reiste der junge Mann hoffnungsvoll nach Hause. Die Alten empfingen ihn freudig, schienen aber nicht erstaunt über seine unangekündigte Ankunft und sahen ihn fragend an. Die Schwestern, die in der Nähe wohnten und, von der Mutter benachrichtigt, sogleich herbeieilten, waren mit ihm überaus zärtlich, lächelten aber immerwährend ohne besondere Veranlassung. Alexei Stepanowitsch war besonders mit seiner jüngsten Schwester befreundet und öffnete ihr zuerst sein Herz. Tatjana Stepanowna, ein schwärmerisches Fräulein, hörte mit großer Teilnahme die Geständnisse ihres Bruders an und löste ihm das Rätsel. Die ganze Familie wußte schon von seiner Liebe und sah sie in einem ungünstigen Lichte. Die Sache verhielt sich folgendermaßen: kurz vor Alexei Stepanowitschs Ankunft war Iwan Petrowitsch Karatajew in Ufa gewesen und hatte seiner Frau diese Stadtneuigkeit mitgebracht. Alexandra Stepanowna (wir kennen schon ihren Charakter) geriet in große Wut. Sie war immer die Erste im Hause gewesen, und es beugte sich ihr alles außer dem Vater. Sie gewann einen der Diener Alexei Stepanowitschs als Spion, der sie ausführlich über die Lebensart und die Liebe des jungen Herrn unterrichtete; sie machte auch eine Gevatterin in Ufa ausfindig, die ihr alles mögliche auskundschaften mußte, und diese würdige Person sandte ihr einen langen Brief, der mit Hilfe eines früheren Gerichtsschreibers verfertigt war und alles Geklatsch enthielt, das in der Stadt und bei dem Gesinde der Subins aufzutreiben war. Unter letzterem zeichneten sich in dieser Hinsicht besonders die erbosten Leute der verstorbenen Stiefmutter aus. Man kann sich denken, in welchen Farben Sofja Nikolajewna von ihnen geschildert wurde.

Man weiß, daß in den alten guten Zeiten (vielleicht auch noch jetzt) die Schwestern es nicht gern sahen, wenn ihre Brüder sich verheirateten; besonders ungern, wenn der einzige Bruder eine junge Frau heimführte, da diese natürlich zur unbeschränkten Herrin im Hause wurde. Die menschliche Natur enthält viel verborgenen Egoismus. Dieser wirkt oft ohne unser Wissen, und keiner von uns ist frei davon. Gute und ehrliche Menschen pflegen solche egoistischen Regungen anderen, edleren Motiven zuzuschreiben und auf diese Weise sich und die anderen ohne Absicht zu hintergehen. In rohen, lieblosen Gemütern offenbart sich der Egoismus deutlicher und ungenierter. So war es auch in Stepan Michailowitschs Familie. Der Bruder konnte wählen, wen er wollte, seine Heirat wäre allen ein Ärgernis gewesen. »Der Bruder wird sich gegen uns verändern, er wird uns nicht mehr so lieb haben wie früher; die junge Frau wird uns alle verdrängen, und das Vaterhaus wird uns ein fremdes werden,« so hätten Alexei Stepanowitschs Schwestern gesagt, auch wenn die Schwägerin ihresgleichen gewesen wäre. Aber etwas Schlimmeres als Sofja Nikolajewna war für sie nicht denkbar. Alexandra Stepanowna lud eiligst Jelisaweta Stepanowna ein, mit ihr nach Bagrowo zu kommen, um der Mutter und den Schwestern, selbstverständlich mit den nötigen Ausschmückungen, das über den Bruder Erfahrene mitzuteilen. Alle glaubten ihr unbedingt, und es bildete sich in der Familie folgende Meinung über Sofja Nikolajewna. Erstens war diese Subinsche (so nannten Alexei Stepanowitschs Schwestern und Mutter sie in ihren geheimen Konferenzen) von niedriger Geburt. Ihr Großvater war ein uralischer Kosak namens Sub gewesen, ihre Mutter (Wjera Iwanowna Kandalinzowa) stammte aus einer Kaufmannsfamilie. Folglich war es für ein altes Adelsgeschlecht entwürdigend, mit ihr verwandt zu werden. Zweitens war die Subinsche arm. Falls ihr Vater starb oder seine Stelle verlor, hatte sie gar nichts als ihre Brüder und Schwestern, die ihrem künftigen Manne zur Last fallen mußten. Drittens war die Subinsche eine eitle, prunksüchtige Puppe, die, gewohnt, die ganze Stadt zu beherrschen, von ihren Verwandten auf dem Lande trotz des alten Adels derselben gar keine Notiz nehmen würde. Viertens war die Subinsche eine Hexe, die alle Männer mit Zauberkräutern an sich festzauberte und nun auch ihren armen Bruder behext hatte, weil sie von seinem künftigen Reichtum wußte und gar zu gern einen altadeligen Namen tragen wollte. Kurz, Alexandra Stepanowna, die alles leitete, verstand es sehr gut, ihre giftige Zunge zu brauchen, um allen zu versichern, daß eine Schwägerin wie Sofja Nikolajewna ein wahres Unglück für sie sein werde. Man könne von ihr erwarten, daß sie auch Stepan Michailowitsch behexe, und dann sei alles verloren; folglich sei ihre Verheiratung mit dem Bruder um jeden Preis zu verhindern. – Es war klar, daß man vor allen Dingen Stepan Michailowitsch eine schlechte Meinung über Sofja Nikolajewna beibringen mußte. Aber wie das anfangen? Geradehin zu handeln hatten die Schwestern wegen ihres schlechten Gewissens nicht den Mut. Denn merkte der Vater nur entfernt ihre Absicht, so würde er auch die Wahrheit nicht glauben. Er hatte ihnen schon früher, als von einer anderen Partie für den Bruder die Rede gewesen war, zu fühlen gegeben, daß er ihre Abneigung, Alexei verheiratet zu sehen, sehr wohl durchschaue. Und so wurde folgende Machination ins Werk gesetzt. Arina Wasiljewna hatte eine Nichte, Flena Iwanowna Lupenewskaja, ein stupides, dem Trunke ergebenes Klatschweib. Diese wurde bewogen, zum Besuch nach Bagrowo zu kommen und dort unter anderem von Alexei Stepanowitschs Liebe zu erzählen, natürlich in dem für Sofja Nikolajewna ungünstigsten Sinne. Lange sprach Alexandra Stepanowna dieser Flena Iwanowna vor, was und wie sie erzählen sollte. Endlich war die Rolle nach Möglichkeit einstudiert. Flena Iwanowna erschien eines Tages in Bagrowo zum Mittagessen, nach welchem Wirte und Gäste sich, wie gewöhnlich, auf drei Stunden schlafen legten und nach dieser Erholung sich zum Tee versammelten. Der Alte war bei guter Laune und veranlaßte selbst die Besucherin, ihre Rolle herzusagen. »Nun, du dicke Flena,« sagte er, »erzähle, was du Neues aus Ufa weißt« (ihre Schwester war vor kurzem mit ihrem Manne in der Stadt gewesen). »Die Deinigen haben wohl drei Fuder Neuigkeiten mitgebracht, und du lügst ein viertes hinzu.« – »Ah, lieber Onkel,« rief Flena, »immer machst du dich über mich lustig. Neuigkeiten habe ich genug zu erzählen, ohne daß ich welche hinzuzulügen brauchte.« Und sie begann eine endlose Reihe von wahren und unwahren Neuigkeiten auszukramen, mit welchen ich den Leser verschonen werde. Mein Großvater tat, als glaube er nichts davon, auch nicht die wahren Nachrichten; er machte sich über die Erzählerin lustig, indem er sie aus dem Konzept brachte und in Verwirrung setzte, und tat es auf eine so komische Weise, daß die ganze Familie laut lachen mußte. Die dumme Flena, die beim Erwachen sich schon mit einem guten Schluck Schnaps gestärkt hatte, um sich Mut zu machen, verlor endlich die Geduld und erwiderte mit einiger Erbitterung: »Warum lachst du denn immer, Onkel, und willst mir nichts glauben? Warte mal, ich habe dir zu guter Letzt eine Neuigkeit aufgespart, die du doch wirst glauben müssen, und über die du nicht lachen wirst.« Die Damen winkten einander zu, und der Großvater lachte. »Nur heraus damit!« sagte er fröhlich; »glauben werde ich es zwar nicht, aber auch nicht lachen. Ich bin deines Geschwätzes schon überdrüssig.« »Ach Onkel, Onkel,« hob Flena Iwanowna an, »du weißt gar nicht, was unserm lieben Vetter Alexei Stepanowitsch passiert ist. Er ist ja vor Liebe ganz krank geworden. Das Zauberweib von Ufa hat ihn behext, die Tochter des Vornehmsten da, des Woiwoden oder Statthalters, ich weiß nicht. Man sagt, sie sei so schön, daß alle um ihretwillen verrückt werden, Alte und Junge; alle laufen ihr nach, wie die Hunde der Hündin. Und der gute Vetter hat sich so in sie vernarrt, daß er weder ißt, noch trinkt, noch schläft. Den ganzen Tag sitzt er bei ihr, guckt sie an und seufzt. Und des Nachts marschiert er unter ihren Fenstern umher, mit Säbel und Flinte, damit ihr nichts passiert. Und die Subinsche, sagt man, hat ihn auch gern. Er ist ja ein schmucker Mensch und von gutem Adel. Das versteht sie zu würdigen und will ihn heiraten. Und wie sollte sie es nicht wollen? Sie hat ja gar kein Vermögen; ihr Vater ist von niedriger Herkunft, der Sohn eines Uralkosaken Fedka Sub. Wenn er auch selbst einen hohen Rang und wichtige Stellen gehabt hat, so hat er doch nichts erworben. Alles hat er vergeudet in Bällen und Gelagen und für des Töchterchens Putz. Der Alte hat nicht mehr lange zu leben; er ist schon halb tot, und Kinder hat er nur zu viele von seinen zwei Frauen, sechs Stück. Die bekommst du alle auf den Hals, Onkelchen, wenn der Vetter sie heiratet; außer schönen Kleidern bringt sie doch nichts mit. Und Alexei Stepanowitsch, sagt man, ist gar nicht mehr zu erkennen. Er sieht ganz miserabel aus. Die Diener müssen weinen, wenn sie ihn ansehen; sie wagen nur nicht, es dir zu sagen. Glaube es mir nur, Onkelchen, das alles ist aufs Wort wahr. Frage nur deine Diener; sie werden dir dasselbe sagen.« Arina Wasiljewna hob bei diesen Worten an zu weinen, und die Töchter schnitten betroffene Gesichter. Der Großvater war ein wenig verblüfft, faßte sich aber bald und erwiderte mit einem gleichgültigen Lächeln: »Es ist viel hinzugelogen; vielleicht aber ist auch Wahrheit dabei. Ich habe schon oft gehört, daß Fräulein Subina sehr schön und sehr gescheit ist; darin besteht ihre Hexerei Der Großvater glaubte überhaupt nicht an Zauberei. Ein Zauberer wollte ihm einst weismachen, er könne Flinten behexen, so daß man nicht damit schießen könne. Mein Großvater unterwarf die seinige dem Experimente, worauf er ruhig auf den Zauberer losschoß, nachdem er heimlich das Schrot herausgenommen hatte. Der Zauberer geriet in nicht geringe Angst, faßte sich aber sogleich und erklärte feierlich, mein Großvater sei selbst ein »Kundiger«, was ihm alle aufs Wort glaubten, selbstverständlich mit Ausnahme von Stepan Michailowitsch.. Was Wunder, wenn sich auch Alexei in sie vergafft hat. Aber sie denkt nicht daran, ihn zu heiraten. Sie wird sich einen gewandteren und besseren Mann suchen. Er paßt nicht für sie. Und damit Punktum. Jetzt wird nicht mehr darüber geschwatzt. Wir trinken den Tee im Freien.« Natürlich wagten weder Flena Iwanowna noch die anderen, die Neuigkeiten aus Ufa weiter zu erwähnen. Abends fuhr der Besuch weg. Nach dem Abendbrot, als Arina Wasiljewna und die Töchter sich von Stepan Michailowitsch stumm verabschieden wollten, um zur Ruhe zu gehen, hielt er sie mit den Worten auf: »Nun, Arischa, worüber sinnst du nach? Die dumme Flena hat gewiß vieles hinzugelogen; aber es ist mir, als stecke etwas Wahres darin. Alexeis Briefe sind seit einiger Zeit ganz anders geworden. Die Sache muß ergründet werden. Das beste wäre, wir riefen Alexei her; von ihm werden wir die ganze Wahrheit erfahren.« Da erbot sich Alexandra Stepanowna, durch einen expressen Boten binnen einer Woche Kundschaft aus Ufa zu bekommen von einer Verwandten ihres Mannes, einer wahrheitsliebenden Dame, wie sie sagte. Der Alte ging darauf ein, seinen Sohn nicht eher herbeizurufen, als bis man noch etwas erführe. Alexandra Stepanowna reiste sogleich heim nach ihrem Gute Karatajewka, das nur dreißig Werst von Bagrowo entfernt war, und kehrte nach acht Tagen zu ihren Eltern zurück. Sie brachte den Brief mit, den sie schon früher von ihrer Gevatterin bekommen hatte, und der schon erwähnt worden ist. Der Brief wurde Stepan Michailowitsch gezeigt und vorgelesen, und wenn er auch den Erkundigungen und Berichten von Frauen überhaupt wenig Glauben schenkte, so erschien ihm doch manches in dem Briefe wahrscheinlich und machte auf ihn einen unangenehmen Eindruck. Er sagte entschieden, daß, wenn Fräulein Subina Alexei heiraten wolle, er es nicht gestatten werde, da sie nicht von adeliger Herkunft sei. »Schreibt sogleich an Alexei, er solle herkommen!« fügte er hinzu. Nach einigen Tagen, die nicht umsonst vergingen, da Arina Wasiljewna und ihre Töchter sie benutzten, um dem Alten vieles, was der Liebe Alexeis ungünstig war, einzuflüstern, erschien letzterer, wie wir schon wissen, ehe noch der Brief an ihn gelangt war.

Als Alexei Stepanowitsch das eben Erzählte von seiner Schwester hörte, geriet er in nicht geringe Angst und Verlegenheit. Von Natur charakter- und willenlos, in unbegrenzter Achtung gegen die Familie und in Furcht vor dem Vater erzogen, wußte er gar nicht, was er anfangen sollte. Endlich faßte er Mut, mit seiner Mutter zu sprechen. Arina Wasiljewna, die ihren einzigen Sohn grenzenlos liebte, aber an den Gedanken gewöhnt war, daß er noch ein kleines Kind sei, und nun meinte, das Kind habe sich ein gefährliches Spielzeug gewählt, antwortete auf Alexeis Geständnisse in dem Tone, in dem man ein Kind verweist, das glühendes Eisen anfassen will. Als er darüber in bittere Tränen ausbrach, fing sie an, ihn zu trösten in der Weise, wie man ein Kind tröstet, dem man sein Spielzeug genommen hat. Was Alexei Stepanowitsch auch sagen mochte, um die gegen Sofja Nikolajewna erhobenen Verleumdungen zu widerlegen, seine Mutter wollte nicht hören und achtete nicht auf das Gesagte. So vergingen noch zwei Tage. Dem jungen Manne wollte das Herz brechen; seine Liebe zu Sofja Nikolajewna und seine Sehnsucht nach ihr wuchsen mit jeder Stunde; jedoch hätte er sich wahrscheinlich nicht sobald entschlossen, mit seinem Vater zu reden, wenn dieser nicht selbst das Gespräch auf diesen Gegenstand geleitet hätte. An einem schönen Morgen war Alexei Stepanowitsch blaß und abgemagert nach einer fast schlaflosen Nacht in der Frühe zu seinem Vater gekommen, der, wie gewöhnlich, auf der Freitreppe saß. Der Alte war heiter und begrüßte seinen Sohn freundlich; aber ein Blick auf dessen verstörtes Gesicht zeigte ihm, was in der Seele des Jünglings vorging. Er gab ihm seine Hand zu küssen und sagte ihm lebhaft, aber ohne Zorn: »Hör mal, Alexei, ich weiß, was du auf dem Herzen hast, und sehe, daß diese Narrheit sich in deinem Kopfe fest eingenistet hat. Erzähle mir also genau, wie sich die Sache verhält; aber nur ja nicht gelogen!« Obgleich Alexei Stepanowitsch nicht gewohnt war, mit seinem Vater offenherzig zu sprechen, da er ihn mehr fürchtete als liebte, so gab ihm für dieses Mal seine Liebe den Mut dazu. Er warf sich seinem Vater zu Füßen und erzählte ihm ausführlich seine Herzensgeschichte, ohne auch das mindeste zu verbergen. Stepan Michailowitsch hörte geduldig und aufmerksam zu; eine der Töchter nahte sich ihm, um ihm Guten Morgen zu sagen; aber er machte mit seinem Stock ein so ausdrucksvolles Zeichen, daß niemand, nicht einmal Aksinja mit dem Tee, ihm nahe zu kommen wagte, bis er selber rief. Die Erzählung seines Sohnes war weitläufig, verworren und wenig einleuchtend. Trotzdem faßte der klare Geist Stepan Michailowitschs den Kern der Sache. Unglücklicherweise gefiel ihm dieser Kern nicht und konnte ihm nicht gefallen. Er hatte wenig Sinn für schwärmerische Liebe, und sein Männerstolz war von der Verliebtheit seines Sohnes verletzt, die ihm eine Schwäche, eine eines Mannes unwürdige Erniedrigung schien; zugleich sah er aber deutlich ein, daß Sofja Nikolajewna an alledem nicht im mindesten schuld und alles, was er über sie gehört hatte, nur Gerede böser Leute und Erfindungen seiner eigenen Familie gewesen war. Nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, sagte er ohne Zorn, sogar freundlich, obgleich mit Festigkeit: »Höre mal, Alexei! Du stehst gerade in dem Alter, wo ein hübsches Mädchen leicht einem Manne gefällt. Das hat auch gar nichts zu sagen; aber so vernarrt zu sein, wie du, das taugt nichts. Ich beschuldige Sofja Nikolajewna keineswegs; ich halte sie für ein achtbares Frauenzimmer; aber sie paßt weder für dich, noch in unser Haus. Erstens gehört sie zum Adel von gestern, du aber zu einer uralten Adelsfamilie. Zweitens ist sie eine Städterin, ein gewandtes, gelehrtes Mädchen, das nach ihrer Stiefmutter Tode sich gewöhnt hat, im Hause zu gebieten und großartig zu leben, obgleich sie selbst arm ist; wir aber sind einfache Landedelleute; du weißt, welches Leben wir hier führen. Du solltest auch dich selbst bedenken: du bist von schwachem Charakter, und sie ist gar zu gescheit. Es ist schlimm, wenn die Frau klüger ist als der Mann; da wird die Frau bald dem Manne befehlen. Und dazu liebst du sie so übermäßig, daß du sie gleich anfangs verwöhnen würdest. Höre also meinen väterlichen Befehl: schlag dir diese Liebe aus dem Sinne! Ich für meine Person glaube, offen gestanden, daß Sofja Nikolajewna dich auch gar nicht würde heiraten wollen. Art gehört zu Art. Wir werden ein sanftes, ruhiges Edelfräulein vom Lande für dich finden, das auch Vermögen haben wird. Du wirst dein Amt aufgeben und ein fröhliches Leben anfangen. Wir sind ja keine reichen Leute. Satt können wir werden, aber viel bleibt alsdann nicht übrig. An die Kurolesowsche Erbschaft, von der alle schreien, ist gar nicht zu denken. Das ist eine ganz unsichere Geschichte, Praskowja Iwanowna ist noch nicht alt, kann sich noch verheiraten und Kinder bekommen. Also damit basta, Alexei! Schüttle die Narrheit ab, wie die Gans das Wasser, und daß ich nichts mehr von Sofja Nikolajewna höre!« Stepan Michailowitsch reichte seinem Sohne gütig die Hand, und dieser küßte sie mit gewohnter Ehrfurcht. Der Alte ließ den Tee bringen und die Familie rufen. Er war ganz besonders heiter und freundlich gegen alle. Aber der unglückliche Alexei Stepanowitsch war in tiefe Schwermut versunken. Kein Zornesausbruch seines Vaters hätte ihn in solche Verzweiflung bringen können. Der Zorn Stepan Michailowitschs war schnell vorübergehend, und ihm folgten Nachsicht und Gnade. Jetzt aber hatte er eine ruhige Festigkeit gezeigt, die dem Sohne alle Hoffnung raubte. Alexei Stepanowitschs Gesicht hatte sich so verändert, daß seine Mutter bei seinem Anblicke sich ängstlich erkundigte, was ihm denn begegnet sei, ob er auch gesund sei. Auch die Schwestern bemerkten sogleich seine Verstörung, waren aber schlau genug, um die Sache mit Schweigen zu übergehen. Dem Alten entging nichts von dem, was geschah. Seine Frau schief ansehend, brummte er zwischen den Zähnen: »Laß ihn in Ruhe!« Und man ließ Alexei Stepanowitsch in Ruhe, und der Tag verging in seiner gewöhnlichen Ordnung.

Das Gespräch mit dem Vater hatte das Herz Alexeis tief erschüttert, ja man kann sagen gebrochen. Es verging ihm Schlaf und Appetit; er verlor alle Lebenslust und Körperstärke. Arina Wasiljewna konnte ihn nicht ohne Tränen ansehen, und auch die Schwestern gerieten in Unruhe. Am andern Tage versuchte die Mutter vergebens, aus ihm herauszubringen, was ihm der Vater gesagt habe. Auf alle Fragen antwortete er nur: »Der Vater will es nicht; ich bin ein verlorener Mensch; ich überlebe es nicht.« Und in der Tat war er nach Verlauf einer Woche so schwach geworden, daß er bewußtlos daniederlag. Es war an ihm keine Fieberhitze wahrzunehmen, und doch phantasierte er Tag und Nacht. Niemand konnte begreifen, was das für ein Übel sei; aber es war ganz einfach ein Nervenfieber. Die ganze Familie geriet in die größte Angst. Ärzte waren in der Nähe nicht zu finden; man versuchte es mit Hausmitteln; aber der Zustand des Kranken wurde täglich schlimmer, und seine Schwäche ward endlich so groß, daß man stündlich seinen Tod erwartete. Arina Wasiljewna und die Schwestern weinten und rauften sich die Haare aus. Stepan Michailowitsch weinte nicht und saß nicht immerwährend in der Krankenstube, litt aber vielleicht innerlich am meisten. Er sah sehr wohl den Grund der Krankheit ein. Doch tat die Jugend das Ihre, und nach Verlauf von sechs Wochen fühlte sich Alexei Stepanowitsch besser. Er erwachte ganz wie ein kleines Kind wieder zum Bewußtsein, und das Leben trat langsam in seine Rechte ein. Die Genesung dauerte zwei Monate. Er schien alles Vergangene vergessen zu haben. Alle Erscheinungen in der Natur und im häuslichen Leben freuten ihn, als wenn sie ihm neu wären. Endlich war er vollkommen hergestellt, sah sogar gesünder und voller aus als jemals, und die seit einem Jahre verlorene glänzende Röte erschien wieder auf seinen Wangen. Er begann zu angeln, Wachteln zu fangen, gut zu schlafen und ebenso gut zu essen und froh und munter zu sein. Die Eltern konnten sich nicht genug über sein Wohlbefinden freuen und waren überzeugt, daß die Krankheit aus seinem jungen Gemüte alle früheren Gefühle und Wünsche verjagt habe. Das wäre auch vielleicht der Fall gewesen, wenn man den jungen Mann aus dem Staatsdienste herausgenommen, ihn noch ein Jahr auf dem Lande gelassen, ihm eine hübsche Braut gesucht und ihn verheiratet hätte; doch die Alten waren durch den gegenwärtigen Zustand ihres Sohnes ganz beruhigt. Nach einem halben Jahre sandten sie ihn nach Ufa zu demselben Oberlandesgerichte zurück – und sein Schicksal entschied sich für immer. Seine frühere Leidenschaft loderte mit neuer, unvergleichlich größerer Macht wieder auf. Ich weiß nicht, ob Alexei Stepanowitschs Liebe plötzlich oder allmählich wieder erwachte; ich weiß nur, daß er Subins anfangs nur selten besuchte, dann häufiger und endlich, sooft es nur irgend möglich war. Ich weiß auch, daß seine Patronin, Frau Alakajewa, oft bei Sofja Nikolajewna war, durch gewandte Gespräche ihre Gesinnungen zu erforschen verstand und ihrem Schützling günstige Nachrichten brachte, die sie selbst in dem Glauben befestigten, ihr bescheidener Verwandter sei dem stolzen, schönen Mädchen nicht gleichgültig. So waren einige Monate nach Alexei Stepanowitschs Abreise verflossen, als seine Eltern von ihm einen Brief bekamen, worin er mit einer bei ihm kaum zu erwartenden Festigkeit, wiewohl durchaus mit respektvoller Zärtlichkeit, erklärte, er liebe Sofja Nikolajewna mehr als sein Leben und könne ohne sie nicht existieren. Er habe nun die Hoffnung, sie werde ihn nicht zurückstoßen, und bitte um den elterlichen Segen und um die Erlaubnis, ihr seinen Antrag zu machen. Die Alten hatten nichts dergleichen erwartet und waren höchst betroffen. Stepan Michailowitsch zog die Augenbrauen zusammen, sagte aber kein Wort. Die ganze Familie schwieg. Er winkte mit der Hand, und alle entfernten sich. Lange saß mein Großvater allein, mit seinem Stocke verschiedene Figuren auf dem Boden seines Zimmers zeichnend. Er sah bald ein, daß die Sache sehr ernst sei, und daß kein Fieber mehr seinen Sohn von der Liebe heilen könne. Durch sein lebhaftes und wohlwollendes Gemüt getrieben, war er schon dem Entschlusse nah, seine Zustimmung zu geben, wie man aus einer Äußerung gegen Arina Wasiljewna schließen konnte. »Nun, Arischa,« (sagte er zu ihr am andern Morgen, als niemand zugegen war), »was meinst du? Wenn wir unsere Erlaubnis nicht geben, sehen wir Alexei nicht wieder. Entweder stirbt er vor Gram, oder er geht in den Krieg oder wird ein Mönch – und das Geschlecht der Bagrows geht unter.« Doch Arina Wasiljewna, durch ihre Töchter instruiert, tat, als ob sie die Besorgnis ihres Gemahls nicht teile, und erwiderte kalt: »Wie du willst, Stepan Michailowitsch. Dein Wille ist auch der meinige. Aber welchen Respekt kannst du von deinen Kindern in der Zukunft erwarten, wenn sie auf diese Weise ihren Willen gegen den deinigen durchsetzen?« Der plumpe Kunstgriff gelang: der Eigensinn des Alten erwachte, und er beschloß, auf seinem Willen zu bestehen. Er diktierte einen Brief an seinen Sohn, in welchem er sein Erstaunen über diese Erneuerung jener alten Geschichte ausdrückte und das wiederholte, was er ihm schon mündlich gesagt hatte. Kurz, der Brief enthielt ein entschiedenes Verbot, an die Sache weiter zu denken.

Zwei, drei Wochen vergingen, ohne daß eine Antwort von Alexei Stepanowitsch gekommen wäre. An einem unfreundlichen Herbsttage saß mein Großvater in seinem Zimmer quer auf dem Bette, über dem Hemde mit schrägem Brustschlitz in seinen Lieblingsschlafrock aus feinem Kamelott gehüllt, die Pantoffeln über die bloßen Füße gezogen. Neben ihm saß Arina Wasiljewna am Spinnrade und spann Ziegenwolle. Sorgfältig zog sie den feinen, gleichmäßigen Faden aus; denn sie hatte im Sinne, daraus zu Hause ein feines Tuch weben zu lassen und davon ihrem Sohne einen zugleich warmen, leichten und bequemen Rock zu verfertigen. Am Fenster saß Tatjana und las in einem Buche. Die nach Hause zu Besuch gekommene Jelisaweta Stepanowna hatte sich neben ihren Vater aufs Bett gesetzt und erzählte ihm von ihrem traurigen Leben, von den Dienstpflichten ihres Mannes, von ihrer armseligen Wirtschaft, und wie es ihr an diesem und jenem fehle. Der Alte hörte traurig zu, die Hände auf die Knie gelegt und den schon ergrauten Kopf auf die Brust gesenkt. Plötzlich öffnete sich die Tür vom Bedientenzimmer, und Iwan Malysch, ein schlanker, schmucker Bursche, trat im Reiseanzug behende zum Herrn und übergab ihm einen Brief, den er eben aus der fünfundzwanzig Werst entfernten Stadt von der Post mitgebracht hatte. Es war leicht zu sehen, daß der Brief ein lang erwarteter war; denn alle gerieten in Aufregung. »Von Alexei?« fragte eilig und unruhig der Alte. »Ja, vom Bruder,« antwortete Tatjana, die dem Boten entgegengesprungen war, ihm den Brief aus den Händen genommen und die Adresse gelesen hatte. »Bist brav gefahren! Einen Schluck Branntwein für Malysch! Du kannst nun essen gehen und dich ausruhen.« Sogleich wurde der hohe Schrank geöffnet, und das Fräulein füllte aus der langen, buntgläsernen Flasche ein silbernes Geschirr, das sie Malysch reichte. Er bekreuzte sich, trank, räusperte sich, verneigte sich und verschwand. »Nun lies, Tanja!« sagte mein Großvater. Tatjana war seine Vorleserin und Schreiberin. Sie hatte am Fenster Platz genommen. Die Großmutter hatte ihr Spinnrad, der Großvater sein Bett verlassen; alle umringten Tatjana Stepanowna, die das Siegel erbrochen hatte, aber nicht wagte, den Brief vorläufig durchzusehen. Nach einer kurzen Pause begann sie langsam und deutlich, mit gedämpfter Stimme zu lesen. Nach der damals gewöhnlichen Anrede: »Gnädigster Herr Vater und gnädigste Frau Mutter,« schrieb Alexei Stepanowitsch ungefähr folgendes: »Auf meinen letzten flehenden Brief habe ich das Unglück gehabt, von Euch, liebe Eltern, eine ungnädige Antwort zu bekommen. Ich kann Eurem Willen nicht zuwiderhandeln und unterwerfe mich ihm; jedoch kann ich nicht länger die Last meines Lebens ohne meine angebetete Sofja Nikolajewna schleppen; darum wird nach kurzer Frist eine tödliche Kugel das Haupt Eures unglücklichen Sohnes durchbohren« Diesen Brief weiß ich beinahe auswendig; wahrscheinlich befindet er sich noch jetzt unter den Papieren eines meiner Brüder. Es ist klar, daß viele Ausdrücke, die darin vorkommen, aus den damaligen Romanen entlehnt sind, die Alexei Stepanowitsch gern las. (Anmerkung des Verfassers.).

Die Wirkung war eine mächtige. Meine Tanten brachen in Klagen aus; meine Großmutter, die etwas Derartiges nicht erwartet hatte, erblaßte, schlug die Hände zusammen und sank besinnungslos auf den Boden; auch unsere Großmütter konnten in Ohnmacht fallen. Stepan Michailowitsch regte sich nicht; nur machte er ein schiefes Gesicht, wie er es bei einem Zornesanfall zu tun pflegte, und sein Kopf fing an, ein wenig zu zittern, … dieses Zittern hörte bis zu seinem Tode nicht mehr auf. Nach dem ersten Augenblick des Schreckens beeilten sich die Töchter, ihre Mutter zur Besinnung zu bringen. Kaum aus ihrer Ohnmacht erwacht, warf sich Arina Wasiljewna mit lautem Klagen, als ob sie einen Toten bejammerte, ihrem Manne zu Füßen. Die Töchter folgten ihrem Beispiele. Arina Wasiljewna, auf die unheilverkündende Miene meines Großvaters nicht achtend und vergessend, daß sie selbst ihn bewogen hatte, diese Heirat zu verbieten, flehte mit lauter Stimme: »Väterchen Stepan Michailowitsch! Stürze deinen leiblichen Sohn nicht ins Verderben! Er ist ja dein einziger! Erlaube Alexei, sie zu heiraten!« Der Alte blieb unbeweglich in seiner früheren Stellung. Endlich sagte er mit unsicherer Stimme: »Hört auf zu heulen! Prügel müßte Alexei bekommen. Nun, lassen wir es bis morgen! Nacht bringt Rat. Geht nun und laßt das Mittagessen auftragen!« Das Essen wirkte in bedenklichen Umständen auf den Alten immer als ein beruhigendes Mittel. Arina Wasiljewna wollte anfangs nicht aufhören und schrie immer: »Gnade, Gnade!« Da rief Stepan Michailowitsch: »Schert euch hinaus!« mit einer Stimme, in der man das Brausen des nahenden Sturmes hören konnte. Alle eilten, sich zu entfernen. Bis zum Essen wagte niemand in Stepan Michailowitschs Zimmer zu treten. Es ist schwer zu erraten, was unterdessen in seiner Seele vorging, auf welche Weise das väterliche Gefühl über seinen eisernen Eigensinn siegte. Kurz, der Kampf war ausgekämpft, als Masan vor seiner Tür sagte, das Essen sei fertig. Ruhig kam er ins Speisezimmer, und seine Frau und seine Töchter, die jede bei ihrem Stuhl seine Ankunft erwarteten, bemerkten in seinem ein wenig blasseren Gesicht nicht die mindeste Spur des Zornes; er war sogar ruhiger und heiterer geworden, als er es am Morgen gewesen war, und speiste mit gutem Appetit. Arina Wasiljewna war genötigt, auf seine Gespräche einzugehen und ihre Fragen und sogar ihre Seufzer zurückzuhalten. Vergebens versuchte sie es, die Gedanken ihres Gemahls zu erraten. Vergebens fragten die unruhigen Blicke ihrer kleinen, braunen, von Fett umwachsenen Augen. Das dunkelblaue, klare, heitere Auge Stepan Michailowitschs gab keine Antwort. Nach Mittag schlief er wie gewöhnlich und erwachte in einer noch heiterern Stimmung. Von dem Sohne und seinem Briefe sprach er aber kein Wort. Alle sahen indes deutlich, daß er nichts Übles im Sinne führe. Als Arina Wasiljewna nach dem Abendessen ihrem Manne Gute Nacht sagte, wagte sie zu fragen: »Wirst du mir nichts über Alexei sagen?« »Ich habe es dir schon gesagt,« erwiderte mein Großvater lächelnd, »Nacht bringt Rat. Schlafe ruhig!«

In der Tat zeigte es sich am Morgen, daß die Nacht guten, heilsamen Rat gebracht hatte. Der Großvater war um vier Uhr aufgestanden. Masan hatte ihm Feuer gemacht. Stepan Michailowitschs erste Worte waren: »Tanaitschenok, du fährst gleich nach Ufa mit einem Briefe an Alexei Stepanowitsch; mach dich sofort bereit und laß niemand wissen, wohin du fährst! Du spannst den jungen Braunen in die Femer und nimmst den Gecken als Beipferd. Nimm zwei Osminen Hafer und einen Laib Brot mit! Der Haushalter Peter wird dir auf die Reise zwei Rubel in Kupfer geben. Es muß alles fertig sein, wenn ich den Brief geschrieben habe.« Wie gesagt, so getan; diese Vorschrift mußte bei dem Großvater ohne Ausreden befolgt werden. Dann öffnete er den eichenen Schrank, der ihm als Schreibtisch diente, suchte Papier, Feder und Tinte zusammen und schrieb nicht ohne Mühe, da er schon seit Jahren in Briefen nichts weiter als seinen Namen zu schreiben pflegte, in seiner schwerfälligen, altertümlichen Handschrift: »Lieber Sohn Alexei! Ich und Deine Mutter Arina Wasiljewna erlauben Dir, Sofja Nikolajewna Subina zu heiraten, wenn das Gottes Wille ist, und senden Dir hiermit unseren elterlichen Segen. Dein Vater Stepan Bagrow.«

Nach einer halben Stunde, noch lange vor Tagesanbruch, fuhr Tanaitschenok schon über den langen Berg neben der herrschaftlichen Tenne vorbei und dann in scharfem Trabe nach Ufa. Um fünf Uhr befahl Stepan Michailowitsch der Magd Aksiutka, die unterdessen aus einem jungen, häßlichen Mädchen ein altes, noch häßlicheres Weib geworden war, die Teemaschine zu bringen; zugleich befahl er, niemanden zu wecken. Trotzdem wurde die alte Herrin geweckt, und es wurde ihr geheimnisvoll zugeflüstert, daß Tanaitschenok schon seit einer ganzen Stunde mit einem Briefe des Herrn fort sei, man wisse nicht wohin. Arina Wasiljewna wagte nicht sogleich vor ihrem Gemahl zu erscheinen. Sie blieb noch ein Stündchen in ihrem Zimmer und erschien, als der Alte schon seinen Tee getrunken hatte und heiter mit Aksiutka plauderte. »Warum hat man dich geweckt?« sagte Stepan Michailowitsch freundlich, ihr seine Hand reichend. »Du hast wohl schlecht geschlafen?« »Man hat mich nicht geweckt,« erwiderte Arina Wasiljewna, ehrerbietig die Hand des alten Herrn küssend; »ich bin von selbst erwacht. Ich habe die Nacht über gut geschlafen; ich hoffte für unsern armen Alexei auf deine Güte.« Der Großvater sah sie scharf an, konnte aber auf ihrem an Verstellung gewöhnten Gesichte nichts lesen. »Wenn dem so ist,« sagte er, »so wirst du eine Freude haben; ich habe einen expressen Boten nach Ufa gesandt und an Alexei geschrieben, daß wir ihm erlauben, Sofja Nikolajewna zu heiraten.«

Obgleich Arina Wasiljewna, von dem tragischen Vorsatze ihres Sohnes erschreckt, ihren Mann aufrichtig um seine Zustimmung gebeten hatte, war sie doch durch diese Nachricht eher betroffen als erfreut. Sie hätte sich darüber freuen können, wenn sie sich nicht vor ihren Töchtern gefürchtet hätte. Sie wußte schon, was Jelisaweta Stepanowna von Alexeis Briefe hielt, und konnte erraten, was Alexandra Stepanowna zu der Sache sagen werde. Infolgedessen nahm Arina Wasiljewna die Nachricht, durch die sie ihr Mann freudig zu überraschen dachte, so kalt und gezwungen auf, daß es dem Alten auffiel. Jelisaweta Stepanowna zeigte nicht die mindeste Freude; sie spielte die Rolle einer dem Willen des Vaters sich unterwerfenden Tochter. Tatjana, die fest daran glaubte, daß der Brief ihres Bruders aufrichtig gemeint sei, freute sich herzlich. Jelisaweta Stepanowna war schon im ersten Augenblicke nicht um ihren Bruder besorgt gewesen. Sie hatte geweint und gefleht, weil die Mutter und die jüngere Schwester es getan hatten, und sie nicht auf eine grelle Weise von ihnen abstechen wollte. Sie schrieb sogleich an Alexandra Stepanowna, die alsbald in Bagrowo erschien, wütend über den Ausgang der Geschichte und überzeugt, daß der Brief des Bruders nur eine von Sofja Nikolajewna erfundene leere Drohung gewesen sei. Mit Jelisaweta Stepanownas Hilfe überzeugte sie bald ihre Mutter und auch die Schwester Tatjana, daß dem nicht anders sein könne. Allein die Sache war bereits abgemacht. Es war nunmehr unmöglich, laut dagegen zu protestieren. Die Meinung Stepan Michailowitschs, daß Sofja Nikolajewna dem Bewerber einen Korb geben werde, teilte niemand von der Familie.

Verlassen wir jetzt Bagrowo, um zu sehen, was in Ufa vorging.

Es ist schwer zu entscheiden, ob Alexei Stepanowitsch wirklich den festen Entschluß gefaßt hatte, sich zu erschießen, wenn seine Eltern unerbittlich blieben, oder ob er, durch einen schlechten Roman belehrt, zu diesem Mittel gegriffen hatte, um den Entschluß des Vaters zu erschüttern. Wenn ich alles erwäge, was ich von Alexei Stepanowitschs späterer Charakterentwicklung weiß, so scheint mir beides unwahrscheinlich. Und so denke ich, daß der junge Mann keineswegs zu lügen glaubte, als er schrieb, daß er sich erschießen wolle, wenn man ihm nicht erlaube, Sofja Nikolajewna zu heiraten, denke aber auch, daß es nie so weit gekommen wäre, obgleich solche Handlungen der Verzweiflung bei schwachen und träumerischen Naturen öfter vorkommen als bei leidenschaftlichen und energischen. Der Gedanke an Selbstmord war jedenfalls aus einem Romane geschöpft. Er stand sowohl mit Alexei Stepanowitschs Charakter als mit der Begriffssphäre, in der er geboren und aufgewachsen war, in Widerspruch. Wie dem auch sei, Alexei Stepanowitsch geriet nach Absendung seines Briefes in gewaltige Aufregung, so daß er sogar das kalte Fieber bekam. Seiner Beschützerin, Frau Alakajewa, die um alles wußte, hatte er seinen letzten Streich verhehlt; sie kam jeden Tag zu ihm und bemerkte bald, daß außer dem kalten Fieber und dem Liebesfieber noch etwas Drittes dem jungen Manne keine Ruhe lasse. Eines Tages saß sie neben Alexei Stepanowitsch, ihren Strumpf strickend und allerhand Neuigkeiten erzählend, um den Kranken zu unterhalten und seine Gedanken von der hoffnungslosen Liebe abzulenken. Alexei Stepanowitsch lag auf dem Sofa, die Hände unter den Kopf gelegt, und sah zum Fenster hinaus. Plötzlich wurde er blaß wie Kreide; ein zweispänniger Wagen bog eben von der Straße in den Hof ein. Alexei Stepanowitsch hatte die Pferde und Tanaitschenok erkannt. »Vom Vater! Aus Bagrowo!« rief er aufspringend und eilte ins Vorzimmer. Frau Alakajewa faßte ihn bei den Armen und verhinderte ihn mit Hilfe des im Vorzimmer sich aufhaltenden Dieners, ins Freie zu springen, da das Wetter kalt und feucht war. Unterdessen kam Tanaitschenok behende ins Zimmer gelaufen und übergab ihm den Brief. Alexei Stepanowitsch erbrach mit zitternden Händen das Siegel, las die wenigen Zeilen, seine Augen füllten sich mit Tränen, und er sank vor dem Heiligenbilde In Rußland hängt in jedem Zimmer ein Heiligenbild. (Anmerkung des Übersetzers S. R.) auf die Knie. Anfangs wußte Frau Alakajewa nicht, was sie davon denken sollte; aber Alexei Stepanowitsch reichte ihr den Brief, und sie fiel, sobald sie ihn gelesen hatte, freudig überrascht dem vor Wonne halb bewußtlos gewordenen Jüngling um den Hals. Nun erst gestand er ihr den Inhalt seines letzten Briefes an seine Eltern. Frau Alakajewa schüttelte den Kopf. Man rief Tanaitschenok herbei, befragte ihn ausführlich über die Weise, auf welche er abgesandt worden war, und überzeugte sich, daß alles durch Stepan Michailowitsch selbst, ohne Mitwirkung seiner Familie, vielleicht sogar gegen ihren Willen entschieden worden sei. Als die ersten Augenblicke der Freude für Alexei Stepanowitsch und der Überraschung für Frau Alakajewa vergangen waren und letztere, ihren Augen nicht trauend, den Brief nochmals durchgelesen hatte (denn sie kannte Stepan Michailowitschs Charakter sehr genau und verstand vollkommen die mißgünstige Haltung der Familie), da begann eine ernsthafte Beratung über die Ausführung ihres Vorhabens. Solange sie an der Möglichkeit gezweifelt hatten, Stepan Michailowitschs Erlaubnis zu erflehen, hatte es ihnen geschienen, daß die Sache in bezug auf Sofja Nikolajewna keine Schwierigkeiten habe; nun aber erwachte im Geiste der Frau Alakajewa plötzlich der Zweifel; alle günstigen Symptome wieder durchdenkend, fragte sie sich, ob sie das alles nicht zu voreilig zugunsten ihres Schützlings ausgelegt habe. Als eine vorsichtige Person beeilte sie sich, die freudigen Hoffnungen des Jünglings herabzustimmen; denn sie sagte sich verständigerweise, wenn er sich durch diese verblenden ließe, werde es ihm schwerer werden, eine plötzliche, sehr mögliche Zerstörung seiner schönen Träume zu ertragen. Sie setzte ihm so deutlich das Unbegründete seines vorzeitigen Jubels auseinander, daß auch Alexei Stepanowitsch bedenklich wurde. Übrigens gab Frau Alakajewa die Sache keineswegs auf, sondern fuhr am andern Tage zu Sofja Nikolajewna, um ihr den Heiratsantrag zu machen. Kurz und einfach, ohne Übertreibungen erzählte sie ihr von der beständigen und feurigen Liebe Alexeis, von der die ganze Stadt wüßte, ohne Zweifel auch Sofja Nikolajewna selbst. Sie sprach mit dem Wohlgefallen einer Verwandten von dem liebenswürdigen Charakter, der Herzensgüte und der seltenen Bescheidenheit des jungen Mannes. Sie setzte genau und umständlich den gegenwärtigen und künftigen Zustand seines Vermögens auseinander, sagte unverhohlen, welche Bewandtnis es mit seiner Familie habe, vergaß dabei aber nicht zu erwähnen, daß Alexei Stepanowitsch am vorhergehenden Tage von seinen Eltern brieflich die Erlaubnis und den Segen zu der Bewerbung um die Hand der so allgemein geachteten und geliebten Sofja Nikolajewna erhalten habe. Er selbst, fügte sie hinzu, habe vor Ungeduld und Spannung auf die Antwort seiner Eltern und vor unaussprechlicher Liebe das Fieber bekommen, habe aber dem Wunsche nicht widerstehen können, endlich die Entscheidung seines Geschickes zu erfahren, und sie selbst, als seine Verwandte, sei gekommen, um Sofja Nikolajewna zu fragen, ob sie es gestatte, daß Alexei Stepanowitsch sich an Nikolai Fjodorowitsch mit einem förmlichen Antrag wende. Sofja Nikolajewna, die schon längst daran gewöhnt war, selbständig zu handeln, erwiderte, ohne in Verlegenheit zu kommen, ohne sich im mindesten zu zieren und Umstände zu machen, wie es damals die Mädchen in solchen Fällen zu tun pflegten: »Ich bin Alexei Stepanowitsch dankbar für die Ehre, die er mir erweist, und Ihnen, verehrte Mawra Pawlowna, für Ihre freundschaftliche Teilnahme. Ich habe Alexei Stepanowitschs Neigung längst bemerkt und habe vorausgesehen, daß er mir einen Heiratsantrag machen werde, ohne mich übrigens zum voraus zu einer bestimmten Antwort zu entschließen. Alexei Stepanowitschs letzte Reise nach Hause, seine plötzliche, wie Sie mir selbst erzählten, gefährliche lange Krankheit auf dem Lande, die Veränderung in seinem ganzen Wesen nach seiner Rückkehr haben es mir klar gemacht, daß seine Eltern es nicht wünschen, mich zur Schwiegertochter zu haben. Ich gestehe, daß ich mich darüber gewundert habe. Eine Weigerung von seiten meines Vaters war eher zu erwarten. Später habe ich gesehen, daß die früheren Gefühle in Alexei Stepanowitschs Seele erwachten, und nun erfahre ich, daß er sich die Zustimmung seiner Eltern erfleht hat. Sie sehen selbst ein, verehrte Mawra Pawlowna, daß die Sache eine bedenkliche Wendung genommen hat. In eine Familie gegen ihren Willen einzutreten ist mir doch ein zu gewagtes Unternehmen. Freilich würde mein Vater meiner Wahl zustimmen, aber ich müßte ihn betrügen. Denn wenn er erfährt, daß irgendein Landedelmann Bedenken getragen hat, mich in seine Familie aufzunehmen, so wird er es nie zulassen, daß ich mich dazu erniedrige, den Sohn zu heiraten. Ich bin in Alexei Stepanowitsch nicht verliebt. Ich schätze aber seinen vortrefflichen Charakter und seine beständige Liebe, glaube auch, daß er die Frau, die er liebt, glücklich machen kann. Und so gestatten Sie mir, über diesen Gegenstand noch nachzudenken. Und vor allem möchte ich Alexei Stepanowitsch selbst sprechen, ehe ich etwas von der Sache meinem kranken Vater mitteile, den ich nicht umsonst beunruhigen will; sagen Sie Ihrem Neffen, er möge zu uns kommen, sobald er sich hinlänglich wohl befindet.«

Frau Alakajewa überbrachte diese Antwort ganz genau dem jungen Bagrow. Diesem erschien sie ungünstig; Frau Alakajewa jedoch fand sie im Gegenteil sehr freundlich und beruhigte ihn.

Lange saß Sofja Nikolajewna, nachdem sie von Mawra Pawlowna freundschaftlich Abschied genommen hatte, allein im Salon und war in ernstes Sinnen vertieft. Ihre lebhaften, glänzenden Augen hatten sich getrübt, traurige Gedanken zogen an ihrer Seele vorüber, sich in ihrem schönen Antlitz spiegelnd. Alles, was sie zu Frau Alakajewa gesagt hatte, war die vollkommene Wahrheit gewesen, und die Frage, ob sie Alexei Stepanowitsch heiraten solle oder nicht, war ihr noch immer eine ungelöste. Endlich war der längst erwartete Heiratsantrag wirklich gemacht worden, und die große, für ein Mädchen so verhängnisvolle Frage mußte gelöst werden. Sofja Nikolajewnas ungewöhnlich klarer, von leidenschaftlichen Affekten noch nicht getrübter Geist übersah alles, faßte alles in seinem wahren Lichte auf. Ihre Zukunft versprach ihr nur Sorge und Unheil. Ihr Vater lag auf dem Sterbebette, und der vortreffliche Doktor Sanden hatte erklärt, er könne nicht mehr länger als ein Jahr leben. Das Vermögen des alten Herrn bestand aus zwei unbedeutenden Dörfern: Subowka und Kasimowka, im ganzen vierzig Seelen; an barem Gelde hatte Nikolai Fjodorowitsch zehntausend Rubel zusammengespart, die er zu Sonitschkas Aussteuer bestimmt hatte. Sie verheiratet zu sehen war sein liebster, innigster Wunsch; aber (es gibt mitunter solche sonderbaren Fälle) die allgemein angebetete Sofja Nikolajewna hatte noch keinen Freier gehabt, das heißt es hatte bis dahin niemand förmlich um ihre Hand angehalten. Wenn der Vater starb, so blieben sechs Kinder von seinen zwei Frauen zurück; es mußten zwei Vormundschaften errichtet werden, und zwar so, daß die drei Kinder Alexandra Petrownas, die fünfzig Seelen hinterlassen hatte, zu ihrer Großmutter gingen, deren Sohn die Vormundschaft zu übernehmen hatte. Die Brüder Sofja Nikolajewnas von derselben Mutter waren in der adligen Moskauer Universitätspension, und so stand es ihr bevor, ganz allein zu bleiben, sogar ohne einen entfernten Verwandten, dem sie sich hätte anschließen können. Kurz, sie blieb dann ohne Obdach. Not, Dürftigkeit, Leben bei fremden Leuten und Abhängigkeit von ihnen sind für jedermann ein schweres Los. Aber einem Mädchen, das in der Gesellschaft eine so hohe Stelle einnahm, das in solchem Luxus gelebt hatte, das von Natur stolz und noch durch die allgemeine Bewunderung und Schmeichelei verwöhnt war, einem Mädchen, das die schreckliche Last der Abhängigkeit schon kennen gelernt hatte und nun die süßen Vorrechte des Herrschens genoß, einem solchen Mädchen mußte der Gedanke an einen derartigen Übergang unerträglich sein. Und nun bot ihr ein junger, ehrlicher, bescheidener, hübscher Jüngling von altem Adel Herz und Hand an, ein einziger Sohn, dessen Vater hundertachtzig Seelen besaß, der noch von seiner Tante eine beträchtliche Erbschaft zu erwarten hatte, der sie dabei liebte, ja anbetete: scheinbar war da keinen Augenblick zu zaudern. Aber andrerseits war die geistige Ungleichheit zwischen ihr und ihm gar zu auffallend. Niemandem in der Stadt konnte es auch nur in den Sinn kommen, daß Sofja Nikolajewna sich mit Alexei Stepanowitsch verheiraten werde. Sie sah sehr wohl die Richtigkeit der öffentlichen Meinung ein und konnte nicht umhin, ihr beizupflichten. Sie ein Wunder an Geist und Schönheit, er freilich weiß und rot und hübsch wie ein Mädchen (was ihr gerade mißfiel), aber ein einfacher, nach allgemeiner Meinung etwas beschränkter Landedelmann; sie gewandt und lebhaft, er schüchtern und schläfrig; sie ein gebildetes, nach damaligen Begriffen beinahe gelehrtes Mädchen, belesen, an allen höheren Interessen teilnehmend, er ein vollkommen unwissender Mensch, der nichts gelesen hatte außer ein paar schlechten Romanen und dem russischen Liederschatze und an nichts Interesse fand als an Wachtelfang mit der Lockpfeife und an Falkenjagd. Sie in Gesellschaft geistreich, glänzend, bezaubernd, er unfähig, auch nur zehn Worte zusammenhängend zu sprechen, ungeschickt, blöde, lächerlich, immer errötend und sich in die Ecken drückend, um den ihm furchtbaren Salonhelden auszuweichen, obwohl er in Wahrheit weit klüger war als viele von ihnen; sie mit einem festen, stolzen, unbeugsamen Willen begabt, er schwach, willenlos, durch jeden bestimmbar. War er der Mann, seine Frau in der Gesellschaft und in der Familie zu beschützen? Solche Vergleiche und Zweifel stiegen zahlreich im Geiste des jungen Mädchens auf. Schon war längst die Dämmerung eingetreten, und immer noch saß sie allein im Salon; endlich überfiel sie ein so tiefer Trübsinn, ein so vollkommenes Bewußtsein der Hilf- und Ratlosigkeit, es wurde in ihrem Geiste alles so düster und trostlos, daß sie das Bedürfnis fühlte, sich durch Gebet zu stärken. Sie ging in ihr Zimmer, sank auf die Knie vor dem Bilde der Muttergottes von Smolensk nieder, das einst durch ein Wunder sie zu neuem Leben ermutigt hatte, betete lange, weinte bitterlich und fühlte endlich in ihrer Seele eine neue Kraft erwachen, eine Fähigkeit zum Entschluß und zum Handeln, obgleich sie noch nicht wußte, was sie beschließen werde. Doch war ihr schon dieses Gefühl erquickend. Sie ging hinunter, um auf den kranken schlafenden Vater einen Blick zu werfen, kehrte in ihr Zimmer zurück, legte sich zu Bette und schlief ruhig ein. Am andern Morgen erwachte Sofja Nikolajewna ohne alle Aufregung; nach kurzem Nachdenken verblieb sie ruhig bei ihrer Absicht, das Gespräch mit ihrem Freier abzuwarten und sich nach dem Eindruck zu entscheiden, den er bei dieser Gelegenheit auf sie machen würde.

Alexei Stepanowitsch, der die Entscheidung seines Schicksals mit fieberhafter Spannung erwartete, ließ den Arzt holen und ersuchte ihn dringend, ihn so schnell als möglich herzustellen. Der Arzt versprach es und hielt für dieses Mal Wort. Schon nach Verlauf einer Woche saß Alexei Stepanowitsch, freilich sehr abgemagert, blaß und schwach, in Sofja Nikolajewnas Salon. Das elende Aussehen des Jünglings, der noch vor kurzem so gesund und blühend gewesen war, flößte ihr Mitleid ein, und sie sagte ihm manches in weniger harten und scharfen Ausdrücken, als sie es beabsichtigt hatte. Im wesentlichen wiederholte sie dasjenige, was sie schon zu Frau Alakajewa gesagt hatte, fügte aber hinzu erstens, daß sie ihren Vater bis zu seinem Tode nicht verlassen wolle, zweitens, daß sie nicht wünsche, auf dem Lande zu leben, sondern in einer Gouvernementsstadt und namentlich in Ufa, wo sie viele Freunde habe, achtbare und gebildete Leute, deren Umgang sie für sich und für ihren Mann wünsche. Zum Schluß drückte sie den Wunsch aus, daß ihr Mann auch künftig im Staatsdienste bleibe und in der Stadt eine, wenn auch nicht glänzende, aber angesehene und ehrenvolle Stellung einnehme. Auf alle derartigen Bedingungen und Forderungen künftiger Rechte als Frau erwiderte Alexei Stepanowitsch demütig, daß jeder Wunsch Sofja Nikolajewnas für ihn ein Gesetz sei, und daß sein Glück in der Erfüllung ihres Willens bestehen werde. Und sonderbar: diese eines Mannes so unwürdige Antwort, ein untrügliches Merkmal, daß man sich auf die Liebe des Mannes nicht verlassen kann, daß seine Frau nicht auf Glück zu rechnen hat, konnte einem solchen Mädchen gefallen! Man muß unwillkürlich glauben, daß der Keim der Herrschsucht, der tief in ihrem Wesen wurzelte, sich seit dem Tode ihrer Stiefmutter mächtig entwickelt hatte, und daß, ohne daß Sofja Nikolajewna darum gewußt hätte, diese Herrschsucht zu ihrem Entschlusse stark mitgewirkt hat. Sofja Nikolajewna wollte selbst den Brief lesen, der die Erlaubnis der Eltern zum Heiratsantrage enthielt. Der junge Mann hatte den Brief in der Tasche und zeigte ihn sogleich vor. Sofja Nikolajewna las ihn durch und überzeugte sich, daß ihre Voraussetzung einer anfänglichen Weigerung von seiten der Familie sie nicht getäuscht habe. Der junge Mann verstand nicht zu lügen und war so verliebt, daß ein freundlicher Blick seiner angebeteten Schönen alles über ihn vermochte; da Sofja Nikolajewna eine vollkommene Aufrichtigkeit forderte, erzählte er alles, ohne auch das Ungünstigste zu verhehlen, und wie es scheint, entschied diese Offenherzigkeit schließlich zu seinen Gunsten. Der Gedanke, einen gutmütigen, bescheidenen, unverdorbenen Jüngling nach ihren Ansichten umzubilden und umzuschaffen, erwachte plötzlich in dem gescheiten, aber doch weiblichen Kopfe Sofja Nikolajewnas. Ihre Einbildungskraft malte sich mit reizenden Farben das allmähliche Erwachen und die Entwickelung dieses schlummernden Geistes aus, dieses Naturmenschen, dem es weder an Verstand noch an Gefühl fehle (diese geistigen Eigenschaften lägen bei ihm nur in tiefem Schlafe), und der sie aus Dankbarkeit für diese Erweckung zum geistigen Leben um so mehr lieben werde. Dieser Gedanke ergriff mit Macht die regsame Phantasie des jungen Mädchens, und so entließ sie denn ihren kranken Anbeter gnädig; sie versprach, mit ihrem Vater zu sprechen und durch Frau Alakajewa Antwort zu geben. Alexei Stepanowitsch verging vor Wonne, wie man damals zu sagen pflegte. Am Abend mußte Sofja Nikolajewna wieder ihre Zuflucht zum Gebet nehmen. Sie betete lange, heiß und innig. Sie schlief sehr ermüdet ein und hatte in der Nacht einen Traum, den sie, wie es üblich ist, als eine Bestätigung ihres Entschlusses auslegte. Der menschliche Verstand deutet alles so, wie es ihm gefällt. Ich entsinne mich dieses merkwürdigen Traumes nicht, erinnere mich aber sehr wohl, daß er viel leichter und natürlicher auf die entgegengesetzte Weise zu deuten war. Am anderen Morgen teilte Sofja Nikolajewna ihrem fast schon sterbenden Vater Alexei Stepanowitschs Antrag mit. Obgleich der Alte den Freier seiner Tochter gar nicht kannte, hatte sich doch in seinem Geiste die Meinung festgesetzt, daß er ein ganz unbedeutender Mensch sei. Trotz seines Wunsches, Sonitschka noch bei seinen Lebzeiten versorgt zu sehen, wollte ihm dieser Freier (wohlgemerkt: der erste, den seine Tochter gehabt hatte) gar nicht gefallen. Aber Sofja Nikolajewna setzte ihm mit ihrer gewöhnlichen Lebhaftigkeit und Beredsamkeit auseinander, daß eine solche Partie keineswegs zu verachten sei. Sie führte zugunsten dieser Heirat alles das an, was wir schon wissen, und namentlich, daß sie sich von ihm nicht trennen, sondern sogar in demselben Hause mit ihm wohnen bleiben werde. Sie schilderte ihm so lebhaft ihren hilflosen Zustand, wenn es Gott gefallen sollte, sie zur Waise zu machen, daß der Vater mit Tränen in den Augen sagte: »Mein liebes, mein kluges Töchterchen! Tue, wie du es für nötig hältst! Ich willige in alles ein. Stelle mir bald deinen künftigen Bräutigam vor! Ich will ihn näher kennen lernen. Ich will auch unbedingt, daß seine Eltern sich brieflich mit einem Heiratsantrag an mich wenden.«

Sofja Nikolajewna schrieb sofort an Frau Alakajewa, um sie zu ersuchen, dem jungen Manne eine Einladung ihres Vaters auf die und die Stunde mitzuteilen.

Alexei Stepanowitsch fuhr unterdessen fort, in Wonne zu vergehen und in süßen Hoffnungen zu schwelgen; aber die Einladung zu Nikolai Fjodorowitsch auf eine bestimmte Stunde, diese Einladung, die er keineswegs erwartet hatte, da er den Alten für viel zu schwach und krank hielt, brachte ihn ganz aus der Fassung. Nikolai Fjodorowitsch, in Abwesenheit des Statthalters die erste Person, die höchste Autorität in der ganzen Provinz Ufa, Nikolai Fjodorowitsch, dem er auch bis dahin nie ohne ein ehrfurchtsvolles Grauen genaht war, erschien ihm nun vollends als etwas Schreckliches. »Was wird er zu meinem anmaßenden Antrag sagen? Ich, ein obskurer Beamter der vierzehnten Klasse, seine Tochter heiraten! ›Wie hast du dich unterstanden,‹ wird er mir entgegenschreien, ›an meine Tochter zu denken! Ist das eine Braut für dich? Auf die Wache mit ihm! Vor Gericht muß er gestellt werden!‹« – Wie albern solche Gedanken auch sein mochten, sie tauchten doch tatsächlich in dem verwirrten Kopfe des Jünglings auf, wie er oftmals später erzählte. Endlich faßte er sich aber, und durch das Zureden der Frau Alakajewa ermutigt, zog er seine Uniform an, die auf seinem abgemagerten Körper hing wie auf einem Kleiderstocke, und begab sich zum Vizestatthalter. Den dreieckigen Hut unter dem Arm, mit zitternder Hand den widerspenstigen Degen auf der rechten Stelle haltend, vor Angst mit Mühe Atem holend, trat er in das Zimmer des ehemals lebhaften und klugen, nun aber durch die Krankheit gebrochenen, dem Tode nahen Greises. Alexei Stepanowitsch machte eine tiefe Verbeugung und blieb bei der Türe stehen. Schon dieser Anfang berührte den Kranken auf eine unangenehme Weise. »Treten Sie näher, Herr Bagrow,« sagte er; »setzen Sie sich neben mein Bett! Ich bin schwach und kann nicht laut sprechen.« Alexei Stepanowitsch setzte sich nach vielen Verbeugungen auf einen Sessel, der vor dem Bette stand. »Sie bewerben sich um die Hand meiner Tochter,« fuhr der Alte fort. Bagrow sprang auf, machte noch eine Verbeugung und erklärte, daß dem so sei, daß er sich erdreistet habe, ein solches Glück zu wünschen. Ich könnte hier das ganze Gespräch Wort für Wort wiedergeben, da Alexei Stepanowitsch es oft in der Folge erzählt hat; aber es enthält vieles, was dem Leser schon bekannt ist, und ich fürchte, ihn zu ermüden. Das Wesentliche bestand darin, daß Nikolai Fjodorowitsch den jungen Mann über seine Familie und über sein Vermögen befragte, ferner über seine Absichten hinsichtlich des Staatsdienstes und des zu wählenden Wohnortes; er sagte ihm, daß Sofja Nikolajewna nichts besitze als eine Mitgift von zehntausend Rubeln, zwei Familien Leibeigene und dreitausend Rubel bares Geld zur ersten Einrichtung; zum Schluß fügte er hinzu, er sei zwar überzeugt, daß Alexei Stepanowitsch als gehorsamer Sohn den Heiratsantrag nicht ohne Erlaubnis seiner Eltern gemacht habe; der Anstand fordere aber, daß letztere selbst an den Vater der Braut schrieben, und vor dem Empfange eines solchen Briefes könne keine endgültige Antwort gegeben werden. Alexei Stepanowitsch sprang immerwährend auf, verneigte sich, setzte sich wieder, war mit allem einverstanden und versprach, am folgenden Tage an Vater und Mutter zu schreiben. Nach Verlauf einer halben Stunde sagte der Alte, daß er müde sei, was auch vollkommene Wahrheit war, und entließ den jungen Mann auf eine ziemlich trockene Weise. Kaum war er fort, als Sofja Nikolajewna in das Zimmer ihres Vaters trat. Sie fand ihn mit geschlossenen Augen liegend, sein Gesicht drückte Erschöpfung und seelisches Leiden aus. Die Schritte seiner Tochter hörend, warf er ihr einen flehenden Blick zu, drückte die Hände gegen die Brust und sagte: »Sonitschka, ist es möglich, daß du ihn heiraten willst?« Sofja Nikolajewna hatte die Wirkung dieser Unterredung vorausgesehen und war auf das Schlimmste gefaßt. »Ich habe Ihnen zum voraus gesagt, lieber Vater,« erwiderte sie ruhig und sanft, aber fest, »daß Alexei Stepanowitsch Ihnen beim ersten Anblicke beinahe dumm erscheinen würde, so sehr mangelt es ihm an gesellschaftlicher Bildung, an Gewandtheit und Zuversicht. Aber ich habe ihn oft gesehen, viel mit ihm gesprochen; ich kenne ihn genau und stehe Ihnen dafür, daß er keineswegs dumm ist, ja gescheiter als viele, die über ihn lachen. Ich bitte Sie, noch ein paarmal mit ihm zu sprechen, und bin überzeugt, daß Sie meiner Meinung beipflichten werden.« Der Alte blickte seiner Tochter lange, aufmerksam und scharf ins Gesicht, als wollte er in ihrer Seele etwas Geheimes lesen, seufzte tief und willigte ein: er wollte in kurzem den jungen Mann wieder zu sich einladen und sich umständlicher mit ihm unterhalten.

Alexei Stepanowitsch sandte mit der ersten Post einen zärtlichen, ehrerbietigen Brief an seine Eltern. Er dankte ihnen dafür, daß sie ihm das Leben wiedergeschenkt hätten, und bat sie inständig, recht bald einen Brief an Nikolai Fjodorowitsch Subin zu senden und bei ihm für ihren Sohn um die Hand seiner Tochter anzuhalten; er fügte hinzu, daß die Sitte es fordere, und daß Subin ohne einen solchen Brief keine endgültige Antwort geben wolle. Die Erfüllung einer so einfachen Bitte brachte die Alten in Verlegenheit; sie waren keine geschickten Briefschreiber; der Fall war ihnen neu, und sie wußten sich nicht darein zu finden; dabei war ihnen der Gedanke unerträglich, sich vor dem künftigen Verwandten zu blamieren, vor dem Vizestatthalter, der gewiß ein feiner, gelehrter Mann war. Eine ganze Woche lang wurde an dem Briefe geschrieben; endlich wurde er mit Not und Mühe fertig und wurde an Alexei Stepanowitsch abgeschickt. Der Brief war in der Tat sehr unbeholfen; es fehlten die in solchen Fällen nötigen Schmeicheleien und freundlichen Worte.

Während Alexei Stepanowitsch die Antwort auf seinen Brief erwartete, wurde er noch zweimal von Nikolai Fjodorowitsch eingeladen. Der zweite Besuch verbesserte den schlechten Eindruck nicht, den der erste gemacht hatte. Bei der dritten Unterredung aber war Sofja Nikolajewna anwesend, die, als wenn sie nicht wüßte, daß ihr Freier sich da befand, in das Zimmer ihres Vaters eintrat, nachdem sie unerwartet schnell von einem Besuche zurückgekehrt war. Ihre Anwesenheit veränderte alles; sie verstand es, Alexei Stepanowitsch gesprächig zu machen; sie wußte, worauf sie die Rede bringen mußte, um den natürlichen Verstand, die Ehrlichkeit, das sittliche Gefühl und die Herzensgüte des jungen Mannes in ein vorteilhaftes Licht zu stellen. Nikolai Fjodorowitsch war augenscheinlich erfreut, wurde gegen Alexei aufmerksam und freundlich und lud ihn ein, sooft als möglich zu kommen. Als er fort war, umarmte der Alte seine Sonitschka unter tausend Tränen und Liebkosungen und nannte sie unter anderem eine Fee, welche aus der Menschenseele Schätze hervorzuzaubern vermöge, die so tief verborgen seien, daß niemand ihr Vorhandensein auch nur geahnt habe. Sofja Nikolajewna war ebenfalls sehr zufrieden; denn sie hatte kaum zu hoffen gewagt, daß ihr Bräutigam sich in einem so vorteilhaften Lichte zeigen werde.

Endlich kam der Brief mit dem formellen Heiratsantrage der Eltern an, und Alexei Stepanowitsch übergab ihn eigenhändig dem alten Nikolai Fjodorowitsch. Leider fehlte aber Sofja Nikolajewnas zauberhafte Anwesenheit und Hilfe; der Bräutigam mißfiel seinem künftigen Schwiegervater wieder, und auch mit dem Briefe war letzterer höchst unzufrieden. Am anderen Tage hatte er ein langes Gespräch mit seiner Tochter und setzte ihr ernsthaft die mißlichen Seiten einer Heirat auseinander, wenn der Mann in Hinsicht des Geistes, der Bildung und des Charakters unter der Frau stehe; er sagte, daß die Familie ihres Mannes sie nicht lieben, ja sie hassen werde, wie eben die Roheit die Bildung zu hassen pflegt; er warnte sie vor dem blinden Glauben an die Versprechungen ihres Bräutigams, da solche Versprechungen nach der Heirat selten gehalten würden und Alexei Stepanowitsch auch bei allem guten Willen sie nicht werde erfüllen können. Auf solche aus der Erfahrung geschöpften Einwände verstand Sofja Nikolajewna mit wunderbarer Gewandtheit zu erwidern und wußte zugleich so lebhaft die Vorzüge einer Heirat mit einem liebenden, ehrlichen, guten, wenn auch schüchternen und ungebildeten Manne zu schildern, daß auch Nikolai Fjodorowitsch von ihren schönen Hoffnungen hingerissen wurde und seine volle Zustimmung gab. Sofja Nikolajewna umarmte ihren Vater zärtlich, küßte seine abgemagerten Hände, reichte ihm ein Heiligenbild, kniete vor seinem Bette nieder und empfing unter tausend Tränen seinen Segen. »Vater,« rief das glückliche Mädchen enthusiastisch, »mit Gottes Hilfe hoffe ich, daß Sie nach einem Jahre Alexei Stepanowitsch nicht wiedererkennen werden. Das Lesen guter Bücher, der Umgang mit gebildeten Leuten, die steten Gespräche mit mir werden dasjenige ersetzen, was in seiner Erziehung versäumt worden ist; seine Blödigkeit wird vergehen; die Kunst, in Gesellschaft aufzutreten, wird sich von selbst finden.« – »Gott gebe es!« sagte der Alte. »Laß den Priester holen, ich will mit dir für dein künftiges Glück beten.«

Am Abend desselben Tages wurde der Bräutigam mit Frau Alakajewa und einigen alten Bekannten der Familie Subin zu dieser eingeladen und dem Bräutigam das Jawort gegeben. Keine Worte können die Wonne des Jünglings schildern! Sofja Nikolajewna erinnerte sich bis in ihr höchstes Alter dieser für ihn so glücklichen Augenblicke. Alexei Stepanowitsch warf sich Nikolai Fjodorowitsch zu Füßen, küßte seine Hände, weinte, schluchzte wie ein Kind und war der Ohnmacht nahe, so überwältigend wirkte auf ihn das Glück, das bis zum letzten Augenblick ihm als unerreichbar erschienen war. Die Braut war selbst höchst gerührt von diesem innigen Ausdruck einer tiefen, grenzenlosen Liebe.

Es wurde beschlossen, zwei Tage später die feierliche Verlobung zu vollziehen, und die ganze Stadt wurde eingeladen. In der Stadt staunte man nicht wenig; denn viele hatten dem Gerüchte nicht glauben wollen, daß Sofja Nikolajewna Subina Alexei Stepanowitsch Bagrow heirate. Nun mußte man aber doch daran glauben und versammelte sich zu der bezeichneten Stunde, um Glück zu wünschen. Der Bräutigam strahlte vor Freude und bemerkte die zweideutige Freundlichkeit der Glückwünsche, die ironischen Mienen und Blicke nicht; aber Sofja Nikolajewna sah, bemerkte, hörte und verstand alles, obgleich man sich bemühte, in ihrer Gegenwart nichts merken zu lassen. Sie hatte im voraus gewußt, wie die Gesellschaft ihren Entschluß beurteilen würde, konnte aber nicht umhin, sich durch diese Zeichen der Mißbilligung gekränkt zu fühlen, was freilich niemand bemerkte. Sie war heiter, gegen alle freundlich, insbesondere gegen ihren Bräutigam, und schien durch ihre Wahl vollkommen beglückt. Bald wurde das Brautpaar in Nikolai Fjodorowitschs Zimmer gerufen, wo die Ringe in Gegenwart weniger Zeugen gewechselt wurden. Der Alte konnte sich der Tränen nicht enthalten, während der Priester das Gebet ablas. Nach Beendigung der Zeremonie ließ er die jungen Leute sich küssen, drückte sie dann an sein Herz, und Alexei Stepanowitsch ernst ins Gesicht sehend, sagte er: »Liebe sie immer, wie du sie jetzt liebst! Gott schenkt dir ein solches Kleinod …«; er konnte nicht weitersprechen. Die nunmehr Verlobten kehrten zu den harrenden Gästen zurück, von den Zeugen der Verlobung begleitet. Alle Männer umarmten den Bräutigam und küßten der Braut die Hand; alle Damen umarmten die Braut und ließen sich von dem Bräutigam die Hand küssen. Als endlich dieser Wirrwarr zu Ende war, wurden die Verlobten nebeneinander auf das Sofa hingesetzt, mußten sich noch einmal küssen und mußten wieder die Glückwünsche empfangen, die ihnen sämtliche Gäste mit Weingläsern in der Hand darbrachten. Bei den Herren machte S. I. Anitschkow die Honneurs, bei den Damen Frau Alakajewa. Alexei Stepanowitsch hatte in seinem Leben nichts getrunken außer Wasser, wurde aber bei dieser festlichen Gelegenheit überredet, ein Glas Wein zu genießen, das nur zu stark auf seinen durch Krankheit und Gemütsbewegungen erschöpften Organismus einwirkte. Er wurde außerordentlich lebhaft, lachte, weinte und redete vieles zur Ergötzung der Anwesenden und zur Betrübnis seiner Braut durcheinander. Die Gesellschaft belebte sich; man trank ein Glas nach dem andern; es wurde ein splendides Frühstück serviert. Man ließ es sich schmecken; es wurde noch weiter getrunken, und man trennte sich unter fröhlichem Geplauder. Der Bräutigam hatte Kopfweh bekommen, und Frau Alakajewa brachte ihn nach Hause.

Nikolai Fjodorowitsch befand sich sehr unwohl und wünschte die Hochzeit zu beschleunigen; aber da er andrerseits wollte, daß die Aussteuer mit tadelloser Pracht eingerichtet sei, so mußte man die Sache doch um ein paar Monate aufschieben. Die mütterlichen Brillanten und Perlen mußten in Moskau nach der neuen Mode gefaßt werden; es mußten von daher Silberzeug, Putzsachen und verschiedene Geschenke verschrieben werden; die gewöhnlicheren Kleider aber, die Vorhänge des Paradebettes und der schöne schwarze Damenfuchspelz, dessen Fell schon längst für fünfhundert Rubel gekauft war, während man es jetzt nicht für fünftausend Rubel haben könnte, das alles wurde in Kasan verfertigt; Tischwäsche und holländische Leinwand wurde in großer Menge beschafft. Die zehntausend Rubel, die zur Aussteuer bestimmt waren, bildeten damals eine beträchtliche Summe. Vieles war zum voraus bei günstigen Gelegenheiten schon angeschafft, und wenn man das Inventar der Aussteuer liest, erstaunt man über den Luxus und zugleich über die Wohlfeilheit des Lebens am Ende des vorigen Jahrhunderts.

Das erste Geschäft nach Vollziehung der Verlobung war die Absendung von Empfehlungsbriefen an die Verwandten der Braut und des Bräutigams. Sofja Nikolajewna, die eine besondere Gabe besaß, schöne Briefe zu schreiben, schrieb an ihre künftigen Schwiegereltern einen so herzlichen Brief, daß Stepan Michailowitsch, wenn er sich auch selbst aufs Briefschreiben nicht verstand, ihn doch sehr wohl zu würdigen wußte. Nachdem er ihn mit großem Vergnügen angehört hatte, nahm er ihn seiner Tochter Tanja aus der Hand, bemerkte mit Wohlgefallen die schöne deutliche Schrift, las den Brief noch zweimal durch und sagte: »Ein gescheites Mädchen und gewiß auch eine warme Seele!« Die ganze Familie ärgerte sich und schwieg. Alexandra Stepanowna allein konnte ihren Ärger nicht unterdrücken, und mit einem bösen Blicke erwiderte sie: »Was sie da sagt, Vater, ist Bücherweisheit; Honig im Munde und Galle im Herzen.« Aber der Alte sah sie zürnend an und sagte mit drohender Stimme: »Woher weißt du das? Paß auf, daß ich keine solchen Anspielungen mehr zu hören bekomme, und daß du mir mit deiner bösen Zunge die anderen nicht irremachst!« Nach einem solchen Verweise wurden freilich alle mäuschenstill und haßten Sofja Nikolajewna noch mehr. Stepan Michailowitsch aber, noch ganz von dem Eindrucke des liebenswürdigen Briefes erfüllt, nahm selbst eine Feder und schrieb gegen alle hergebrachten Formen folgendes:

»Meine teure, meine kluge künftige Schwiegertochter! Da Du uns alte Leute, ohne uns zu sehen, so liebgewonnen hast und so hoch achtest, so haben auch wir Dich liebgewonnen. Und wenn wir uns sehen, werden wir uns, so Gott will, noch lieber haben, und wir werden Dich als unsere Tochter betrachten und unsere Freude haben an dem Glücke unseres Alexei.«

Sofja Nikolajewna verstand es auch, diese ungekünstelten Worte eines alten Mannes zu würdigen. Sie hatte ihn wirklich nach allem, was sie von ihm hörte, liebgewonnen. Die Braut hatte keine Verwandten, an die Alexei Stepanowitsch hätte schreiben müssen. Sie wünschte aber, daß ihr Bräutigam an ihren Freund und den Beschützer ihrer Brüder A. F. Anitschkow schreibe; natürlich war der Bräutigam sogleich bereit, ihren Wunsch zu erfüllen. Sofja Nikolajewna traute Alexei Stepanowitsch kein besonderes Talent im Briefschreiben zu und äußerte den Wunsch, das Geschriebene vor der Absendung durchzusehen. Himmel! was mußte sie lesen! Alexei Stepanowitsch, der viel von Anitschkows Gelehrsamkeit gehört hatte, war auf den Einfall geraten, einen recht schönen Brief zu schreiben, und hatte aus irgendeinem Romane so wunderliche Phrasen geschöpft, daß unter anderen Umständen Sofja Nikolajewna gelacht hätte, nun aber das Blut in die Wangen steigen fühlte und vor Scham weinen mußte. Anfangs wußte sie gar nicht, wie sie aus dieser schwierigen Lage herauskommen solle, besann sich aber nicht lange und entwarf selbst einen Brief an Anitschkow, den sie ihrem Bräutigam abzuschreiben gab, nachdem sie ihm gesagt hatte, daß er infolge mangelnder Gewöhnung, mit unbekannten Leuten zu korrespondieren, einen Brief geschrieben habe, der Anitschkow mißfallen könne. Indem sie das sagte, fühlte sie sich für ihren Bräutigam tief beschämt, ihre Stimme zitterte, und es fiel ihr schwer, sich zu beherrschen; der Bräutigam aber war von dem Vorschlage entzückt. Er las den Brief durch, fand ihn herrlich, bewunderte die Verfasserin und bedeckte ihre Hände mit Küssen. Aber dieser erste Schritt zur Geringschätzung ihres künftigen Mannes und zu der Macht über ihn, nach der sie sich gesehnt hatte, fiel ihr doch recht schwer.

Da er wußte, daß die Eltern wenig Geld hatten und zur Sparsamkeit gezwungen waren, bat Alexei Stepanowitsch in einem Briefe an sie nur um eine bescheidene Geldsumme; er vermochte auch Frau Alakajewa, einen Brief hinzuzufügen, um die Mäßigkeit seiner Ansprüche und die Notwendigkeit einer gewissen Geldsumme zur Deckung der Hochzeitskosten zu bezeugen. Er bat nur um achthundert Rubel. Frau Alakajewa aber forderte fünfzehnhundert. Die Alten antworteten, daß sie nicht so viel Geld hätten und ihm ihre letzten dreihundert Rubel schickten; die übrigen fünfhundert Rubel, schrieben sie, solle er sich von irgend jemand borgen, wenn er sie notwendig brauche. Sie fügten übrigens hinzu, daß sie ihm vier Pferde, einen Kutscher, einen Vorreiter, einen Koch und eine Provision Eßwaren zuschicken wollten. Auf Frau Alakajewas Brief aber antworteten sie nicht, da sie über ihre übermäßige Forderung erzürnt waren. An der Sache war nichts zu ändern. Alexei Stepanowitsch dankte seinen Eltern für ihre Güte und borgte fünfhundert Rubel. Aber da es noch immer zu wenig war, lieh ihm Frau Alakajewa, ohne Wissen seiner Eltern, noch fünfhundert.

Unterdessen wurden die Besuche des Bräutigams immer häufiger und länger, seine Gespräche mit der Braut immer ungezwungener. Da sah Sofja Nikolajewna erst ein, wie viele Schwierigkeiten ihr bevorstanden; da lernte sie erst ihren Bräutigam wirklich kennen! Freilich hatte sie sich nicht darin getäuscht, daß sie ihm einen natürlichen Verstand, ein gutes Herz und eine unerschütterliche Ehrlichkeit zugeschrieben hatte; aber in allem übrigen trat ihr eine solche Begrenztheit des Gesichtskreises, eine solche Kleinlichkeit der Interessen, ein solcher Mangel an Selbstgefühl und Selbständigkeit entgegen, daß nicht selten ihr fester Wille und ihr frischer Mut wankend wurden; nicht selten verzweifelte sie an der Ausführbarkeit ihres Vorhabens, streifte den Verlobungsring von ihrem Finger ab, legte ihn vor dem Bild der Gottesmutter nieder und rief unter bitteren Tränen die Himmlische um Rat und Hilfe an. Wir wissen schon, daß sie so in allen wichtigen Angelegenheiten ihres Lebens zu tun pflegte. Wenn sie auf solche Weise gebetet hatte, fühlte sich Sofja Nikolajewna gestärkt und beruhigt, sah diese Gefühle als eine Gabe von oben an, steckte den Ring wieder auf den Finger und ging ruhig und heiter in den Salon, wo der Bräutigam ihrer harrte. Ihr kranker Vater befand sich unterdessen mit jedem Tage schlimmer und schwächer. Seine Tochter versicherte ihm, daß sie immer neue liebenswürdige Eigenschaften bei ihrem Bräutigam entdecke, und daß sie fest überzeugt sei, ihr Glück mit ihm zu finden. Die lange Krankheit hatte den scharfen Geist Nikolai Fjodorowitschs geschwächt. Er glaubte nicht nur an die Aufrichtigkeit seiner Tochter, sondern kam auch selbst zu der Überzeugung, daß ihr Glück gesichert sei. »Gott sei Dank!« sagte er oft; »nun kann ich ruhig sterben.«

Die Hochzeit rückte heran. Die Aussteuer war fertig geworden. Auch der Bräutigam hatte das Nötige vorbereitet, oder richtiger Frau Alakajewa, die ihn gänzlich in Händen hielt. Die gescheite Dame hatte bis dahin keine Ahnung davon gehabt, wie wenig Alexei Stepanowitsch die gewöhnlichsten Regeln des Anstandes kannte. Ohne ihre Hilfe hätte er Unschicklichkeiten begangen, die seine Braut vollends in Verzweiflung gebracht hätten. So wollte er ihr zum Beispiel an ihrem Namenstage Zeug zu einem Kleide schenken, das höchstens für ihr Dienstmädchen gepaßt hätte. Er beabsichtigte zur Trauung in einem uralten Vehikel zu fahren, das die ganze Stadt zum Lachen gebracht hätte; und so weiter. Das waren freilich im Grunde Kleinigkeiten; aber Sofja Nikolajewna hätte es nicht ertragen, wenn ihr Bräutigam zum Gespött der vornehmen Gesellschaft in Ufa geworden wäre. Natürlich wurde der Ausführung dieser Einfälle durch Frau Alakajewa vorgebeugt, oder richtiger durch die Braut selbst, da die Alte alles mit ihr besprach. Sofja Nikolajewna sagte ihrem Bräutigam im voraus, er möge sich nicht bemühen, ihr etwas zum Namenstage zu schenken, da sie Namenstagsgeschenke nicht leiden könne. Für die Hochzeit ließ sie eine neue englische Kutsche kaufen, die der Ufasche Gutsbesitzer Mursachanow soeben aus Petersburg mitgebracht hatte, wo er in Zeit von einigen Monaten sein ganzes Geld vergeudet und verspielt hatte. Für diese Kutsche wurden dreihundertfünfzig Rubel in Assignaten bezahlt. Das Geld nahm Sofja Nikolajewna aus ihrer eigenen Kasse und sandte die Kutsche als ein Geschenk ihres Vaters dem Bräutigam zu, indem sie ihn bitten ließ, den Kranken nicht durch seine Danksagung zu belästigen. Auf ähnliche Weise wurden auch andere Schwierigkeiten beseitigt. Alexei Stepanowitsch und seine Braut schrieben an die alten Bagrows und luden sie in ihrem eigenen Namen und im Namen Nikolai Fjodorowitschs dringend zur Hochzeit ein. Dazu mochten aber die durch ländliche Ungezwungenheit verwöhnten alten Leute nicht kommen. Die Stadt und die städtische Gesellschaft flößten ihnen Furcht ein. Auch die Töchter wollten nicht hin; aber Stepan Michailowitsch fand es unpassend und befahl, daß Alexandra und Jelisaweta der Hochzeit beiwohnen sollten. Erlykin befand sich in Dienstangelegenheiten in Orenburg; aber Iwan Petrowitsch Karatajew begleitete seine Frau nach Ufa. Die Ankunft dieser unerwarteten und ungebetenen Gäste verursachte für Sofja Nikolajewna viele Unannehmlichkeiten. Ihre künftigen Schwägerinnen, von Natur klug und listig und gegen sie feindlich gestimmt, verhielten sich gegen sie kalt und abstoßend, oft geradezu unhöflich. Sofja Nikolajewna wußte zwar, wie wenig Freundlichkeit sie von den Schwestern ihres Bräutigams zu erwarten habe; nichtsdestoweniger hielt sie es für ihre Pflicht, ihnen herzlich und freundschaftlich entgegenzukommen; doch sah sie schließlich ein, daß es eine vergebliche Mühe sei, und daß ihr liebenswürdiges Betragen ihre Feindinnen nur noch rücksichtsloser mache. Sie zog sich daher in die Schranken kühler Höflichkeit zurück, was sie dennoch vor jenen niederträchtigen Anspielungen und Anzüglichkeiten nicht schützen konnte, die man nicht umhin kann zu verstehen, und die man doch nicht auf sich beziehen darf, wenn man sich nicht eine Blöße geben will. Diese feige Art der Anspielungen, die jetzt durch die zunehmende Bildung in die Gesellschaftskreise der Kleinbürger, Dienstmädchen und Lakaien zurückgedrängt ist, war damals unter dem Landadel, der seiner Dienerschaft an Sitten und Bildung so nahe stand, nur zu gebräuchlich. Und habe ich das Recht zu sagen, daß sie zurückgedrängt sei? Existiert sie nicht vielmehr noch jetzt in unseren Kreisen, obschon in einer gewandteren, verfeinerten Form?

Natürlich konnten die Schwestern des Bräutigams, die garstigen Vogelscheuchen, wie man sie nannte, der Gesellschaft von Ufa nicht gefallen. Was Iwan Petrowitsch Karatajew betrifft, der vollends zum Baschkiren geworden war und vom frühen Morgen an der Gesundheit wegen bittern Schnaps einzunehmen pflegte, so empfahl er sich bei Sofja Nikolajewna, als er sie zum erstenmal sah, folgendermaßen: er küßte ihr dreimal die Hand und rief mit dem Enthusiasmus eines echten Baschkiren: »Potztausend! welch ein Blitzmädel unser Alexei erwischt hat!« Viele Tränen mußte die arme Sofja Nikolajewna verschlucken wegen der boshaften Äußerungen ihrer künftigen Schwägerinnen und der rohen Liebenswürdigkeiten des künftigen Schwagers. Das Traurigste dabei war, daß Alexei Stepanowitsch nichts davon merkte und mit dem Betragen der Schwestern gegen Sofja Nikolajewna ganz zufrieden schien, was dieser nicht wenig Betrübnis und Sorge um die Zukunft verursachte. Jene bösartigen Schlangen ließen keinen Augenblick unbenutzt, um ihr Gift in die reine Seele ihres Bruders zu gießen, in dessen Wohnung sie logierten, und sie taten es so geschickt, daß Alexei Stepanowitsch ihre Ränke nicht bemerkte. Tausend Anspielungen auf den Stolz seiner Braut, auf ihre Armut, die sich unter Gold und Seide verstecke, auf seine gänzliche Unterordnung unter ihre Launen klangen ihm immerwährend in die Ohren. Vieles bemerkte, vieles verstand er nicht; aber manches traf doch das Ziel, machte ihn irre und brachte ihn in eine unruhige Stimmung. Alle diese verdeckten Umtriebe und manchmal auch offene Anfälle geschahen unter der Maske des Anteils und der Freundschaft. »Du siehst sehr mager aus, Brüderchen,« sagte Jelisaweta Stepanowna. »Das kommt vom ewigen Laufen; Sofja Nikolajewnas Aufträge lassen dir keine Ruhe. Jetzt bist du eben müde und hungrig aus der Golubinajastraße Eine entlegene Straße in Ufa. (Anmerkung des Verfassers.) gekommen und eilst schon wieder zur Braut, ohne dir die Zeit zu nehmen, etwas zu genießen. Du weißt gar nicht, wie leid du uns tust …« und heuchlerische Tränen oder wenigstens Blinzeln und Gebrauch des Taschentuches vollendeten die verfängliche Rede. »Nein,« rief Alexandra Stepanowna, sich leidenschaftlich ins Gespräch mischend, »ich kann es nicht länger aushalten. Ich weiß, daß du uns zürnen wirst, Brüderchen, vielleicht gar aufhören wirst, uns zu lieben. Der Wille Gottes geschehe! Aber die Wahrheit will ich doch sagen: du hast dich ganz verändert; du schämst dich deiner Schwestern, du vernachlässigst uns; du denkst nur an deine Sofja Nikolajewna; deine einzige Sorge ist, ihr nicht zu mißfallen. Du bist ihr Sklave geworden, ihr Leibeigener! Und was soll man dazu sagen, daß sogar diese alte Hexe, diese Alakajewa, mit dir schaltet und waltet, wie es ihr beliebt: ›Fahre dahin, kaufe dieses, erkundige dich nach jenem!‹ Und sie fordert noch, daß alles schnell geschehe, und erlaubt sich, dir Verweise zu geben! Uns aber achtet sie für nichts; es fällt ihr auch gar nicht ein, uns um Rat zu fragen.« Alexei Stepanowitsch fand keine Worte, um die langen Reden zu widerlegen. Er sagte nur, er habe seine Schwestern lieb und werde sie immer liebhaben; aber er müsse jetzt zu Sofja Nikolajewna fahren; worauf er seinen Hut nahm und sich schleunig entfernte. »Laufe nur,« schrie ihm die boshafte Alexandra Stepanowna nach, »laufe nur, daß du dich nicht verspätest; sonst wird sie böse und läßt dich nicht ihr die Hand küssen!« Solche Szenen wiederholten sich immerwährend und konnten nicht ohne Wirkung bleiben. Sofja Nikolajewna bemerkte bald, daß ihr Bräutigam seit der Ankunft seiner Schwestern sich verändert habe. Er schien verlegen, erfüllte ihre Aufträge minder pünktlich und war weniger in ihrer Nähe. Sofja Nikolajewna sah sehr wohl den wahren Grund dieser Veränderung ein. Auch Frau Alakajewa, mit der sie in nahe, freundschaftliche Beziehungen getreten war, und die alles wußte, was in Alexei Stepanowitschs Wohnung vorging, brachte ihr fortwährend genaue Nachrichten. Sofja Nikolajewna hatte eine zu rasche und leidenschaftliche Natur, um eine Sache aufschieben zu können, die ihr notwendig schien. Sie urteilte sehr richtig, daß man dem schädlichen Einflusse der Schwestern nicht Zeit lassen dürfe, tiefere Wurzeln zu schlagen, daß es notwendig sei, dem Bräutigam die Augen zu öffnen und seine Liebe und seinen Charakter auf eine entscheidende Probe zu stellen. Wenn die Probe ungünstig ausfiel, war es besser, vor der Hochzeit auseinanderzugehen als ihr Schicksal mit einem willenlosen Wesen zu vereinen, das, wie sie sich ausdrückte, »weder Schutz gegen Sonne, noch Obdach gegen Regen« gewähren konnte. Eines Morgens früh ließ sie ihren Bräutigam zu sich kommen, schloß sich mit ihm in den Salon ein, befahl, niemanden einzulassen, und wandte sich mit folgenden Worten an den vor Schrecken blaß gewordenen jungen Mann: »Hören Sie mich aufmerksam an! Ich will Ihnen jetzt aufrichtig sagen, was ich auf dem Herzen habe, und bitte Sie, mir mit gleicher Offenheit zu antworten. Ihre Schwestern können mich nicht leiden und haben alle Mittel aufgeboten, um Ihre Eltern gegen mich einzunehmen. Das haben Sie mir selbst gesagt. Aber Ihre Liebe zu mir hat alle Hindernisse überwunden. Ihre Eltern haben Ihnen ihren Segen gegeben, und ich habe mich entschlossen, Sie zu heiraten, trotz des Hasses Ihrer ganzen Familie. Ich hoffte einen Schutz zu finden in Ihrer Liebe und in meinem Bestreben, die schlechte Meinung, die man von mir hegt, zu vernichten. Ich sehe jetzt ein, daß ich mich getäuscht habe. Sie haben selbst gesehen, wie ich Ihre Schwestern empfangen habe, mit welcher Aufmerksamkeit, mit welcher Freundlichkeit. Durch ihr unzartes Betragen haben sie mich genötigt, mich von ihnen fernzuhalten; aber sie haben mir nicht ein unverbindliches Wort vorzuwerfen. Was ist die Folge davon gewesen? Kaum ist eine Woche verflossen, seit Ihre Schwestern hier sind, und schon hat sich Ihr Betragen gegen mich geändert. Sie vergessen oder wagen es nicht, das zu erfüllen, was Sie mir versprechen; Sie bringen weniger Zeit mit mir zu; Sie sind zerstreut, verstimmt; Sie sind gegen mich kälter geworden. Suchen Sie es nicht zu leugnen; suchen Sie sich nicht zu entschuldigen; das wäre unredlich. Ich weiß, daß Sie mich immer noch lieben; aber Sie fürchten sich, Ihre Liebe zu zeigen; Sie fürchten sich vor Ihren Schwestern und sind darum verlegen und vermeiden sogar, mit mir allein zu bleiben. Was ich sage, ist vollkommen wahr; Sie wissen es selbst. Sagen Sie nun, welches Zutrauen kann ich zu der Dauer Ihrer Liebe haben? Und kann ein Gefühl Liebe genannt werden, das sich furchtsam verbirgt, weil Ihre Braut Ihren Schwestern mißfällt, was Sie doch schon lange gewußt haben? Was würde denn geschehen, wenn ich auch Ihren Eltern mißfallen sollte und sie mich mit mißgünstigen Augen ansehen sollten? Da würde Ihre Liebe wohl gänzlich vergehen? Nein, Alexei Stepanowitsch, so lieben, so handeln Ehrenmänner nicht. Da Sie wußten, daß Ihre Verwandten mich nicht leiden können, hätten Sie in deren Gegenwart Ihre Aufmerksamkeit, Ihre Zärtlichkeit gegen mich verdoppeln müssen. Dann hätten sie es nicht gewagt, den Mund aufzutun. Statt dessen gestatten Sie ihnen, mich in Ihrer Gegenwart zu verunglimpfen. Ich weiß alles, was sie Ihnen von mir zu sagen pflegen. Ich schließe aus alledem, daß Ihre Liebe eine leere Empfindelei ist, daß auf Sie kein Verlaß ist, und daß es für uns beide besser ist, uns jetzt zu trennen als unser lebelang unglücklich zu sein. Überlegen Sie sorgsam, was ich Ihnen gesagt habe. Ich gebe Ihnen dazu zwei Tage Zeit. Fahren Sie fort, uns zu besuchen; aber zwei Tage lang werden wir uns nur vor Zeugen sehen, und ich werde Sie nicht an das heutige Gespräch erinnern. Dann aber werde ich Sie als einen ehrlichen Menschen auf Ihr Gewissen fragen, ob Sie sich stark genug fühlen, um mich gegen Ihre Verwandten und jeden, der mir feindlich entgegentreten könnte, zu schützen; ob Sie Ihre Schwestern dazu zwingen können, mich, wenn ich auch nicht da bin, in Ihrer Gegenwart mit ihren boshaften Anspielungen zu verschonen. Ein Bruch eine Woche vor der Hochzeit ist zwar für jedes wohlerzogene junge Mädchen ein großes Unglück; aber lieber will ich es mit einemmal ertragen als mein lebelang Qual leiden. Sie wissen, daß ich in Sie nicht verliebt bin; aber ich fing an, Sie zu lieben, und gewiß wäre meine Liebe viel stärker und beständiger gewesen als die Ihrige. Leben Sie wohl! Heute und morgen sind wir einander fremd.« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Alexei Stepanowitsch, der schon längst die hellen Tränen in den Augen hatte und mehrmals etwas hatte sagen wollen, war nicht zu Worte gekommen. Wie vom Donner getroffen stand er da und konnte sich nicht fassen. Endlich wurde der Gedanke, daß er seine angebetete Sofja Nikolajewna verlieren könne, seinem Geiste erschreckend deutlich und erweckte in ihm den Mut und die Energie, die zuweilen auf kurze Zeit auch die schwächsten, schlaffsten Naturen beleben. Er eilte nach Hause, und als seine Schwestern, durch das unruhige und bekümmerte Aussehen des Bruders keineswegs gerührt, ihn mit den gewöhnlichen boshaften Scherzen empfingen, geriet Alexei Stepanowitsch in Wut und gab ihnen einen Verweis, der ihnen ordentlich Furcht einjagte. Der Zorn eines gewöhnlich sanften und geduldigen Menschen hat etwas Schreckliches. Alexei Stepanowitsch sagte unter anderem seinen Schwestern, daß, wenn sie sich unterständen, in seiner Gegenwart nur noch ein beleidigendes Wort über seine Braut oder ihn selbst auszusprechen, er sogleich in eine andere Wohnung ziehen und aufhören wolle, sie zu sehen, und alles dem Vater schreiben werde. Das war genug. Alexandra Stepanowna erinnerte sich noch sehr wohl des Verweises, den sie vom Vater bekommen hatte. Sie wußte sehr wohl, welchen Sturm die Klage ihres Bruders erregen würde, und welche schrecklichen Folgen zu erwarten wären. Beide Schwestern warfen sich Alexei Stepanowitsch um den Hals, weinten, baten um Verzeihung, bekreuzten sich und schwuren, daß nie mehr so etwas vorkommen würde; daß sie selbst Sofja Nikolajewna von Herzen lieb hätten, und daß sie nur aus Sorge um seine Gesundheit, und um ihn von den vielen mühseligen Besorgungen abzubringen, sich die dummen Späße erlaubt hätten. Noch am selben Tage fuhren sie zu Sofja Nikolajewna und machten ihr eifrig den Hof. Sie verstand sehr wohl, was das zu bedeuten habe, und triumphierte. Der Gemütszustand ihres Bräutigams war unterdessen wirklich beklagenswert. Seine Liebe, die in der letzten Zeit durch das häufigere Zusammensein mit Sofja Nikolajewna, durch ihre schlichte, ungezwungene Freundlichkeit und durch den Hinblick auf die nahe Hochzeit ruhiger und stiller geworden war, die sich gewissermaßen vor dem Spott der Schwestern zu verbergen angefangen hatte, die flammte nun wieder mit so wilder Kraft auf, daß er für den Augenblick fähig war, alles aufzuopfern, alles zu vollbringen, sogar Heldentaten. Das alles sprach sich lebhaft in seinem schönen Gesichte aus und glänzte in seinen Blicken, wenn er im Verlaufe der endlosen zwei Tage vor Sofja Nikolajewna erschien. Es wurde ihr schwer, sich eines aufmunternden Wortes oder Blickes zu enthalten; aber sie hielt ihren Vorsatz fest, die Zeit der Prüfung nicht abzukürzen. Sie selbst war über die Aufregung, über das Mitleid erstaunt, das sie empfand. Sie fühlte nun, daß sie wirklich diesen anspruchslosen, schüchternen Jüngling liebe, der ihr so grenzenlos ergeben war, der nicht gezaudert hätte zu sterben, wenn sie sich von ihm losgesagt hätte. Endlich waren diese langen zwei Tage vorüber. Am dritten war Alexei Stepanowitsch schon frühmorgens im Subinschen Salon, auf seine Braut harrend; die Tür ging auf, und Sofja Nikolajewna trat ein, schöner und lieblicher als jemals, mit einem sanften Lächeln um die Lippen und mit Augen, die so viel Liebe ausdrückten, daß Alexei Stepanowitsch bei ihrem Anblick, wie sie, die Hand freundlich ausstreckend, auf ihn zukam, für einen Augenblick gänzlich die Sinne verlor und kein Wort auszusprechen vermochte; bald besann er sich aber, und ohne die ihm gebotene Hand zu nehmen, sank er seiner Braut zu Füßen und machte mit glühender Beredsamkeit, unter tausend Tränen, seinem gepreßten Herzen Luft. Sofja Nikolajewna ließ ihn nicht zu Ende reden; sie hob ihn auf und sagte ihm, daß sie nun an seine Liebe glaube und sie teile; daß sie allen seinen Versprechungen traue und ohne Furcht ihr Schicksal in seine Hände lege. Sie war gegen ihn so freundlich, wie sie es noch nie gewesen war, und bediente sich so zärtlicher Ausdrücke, wie sie es noch nie getan hatte.

Es blieben nur noch fünf Tage bis zur Hochzeit übrig. Alle Vorbereitungen waren bereits beendet, und die Braut und der Bräutigam konnten ungestört die Zeit zusammen verbringen. Schon fünf Monate waren seit der Verlobung verflossen, und Sofja Nikolajewna, dem Vorsatze treu, ihren Bräutigam neu zu erziehen, hatte keine passende Gelegenheit versäumt, um ihm die moralischen Begriffe beizubringen, die ihm fehlten, um in ihm das klar zu machen und zu entwickeln, was er nur verworren und dunkel zu fühlen und zu denken vermochte, um die falschen Ansichten aus seinem Geiste zu tilgen, die ihm seine bisherige Umgebung beigebracht hatte. Sie veranlaßte ihn auch, manche Bücher zu lesen, und wußte, wenn von dem Gelesenen die Rede war, ihm sehr geschickt das Mißverstandene zu erläutern, unsichere Ansichten zu befestigen, bloße Meinungen mit dem wirklichen Leben zu vergleichen. Aber schwerlich hatte Sofja Nikolajewna im Verlaufe dieser fünf bewegten Monate so viel Neues mit ihrem Bräutigam besprochen, wie im Verlaufe dieser fünf Tage; infolge des eben erwähnten Vorfalls waren die Geistesfähigkeiten des Jünglings so geschärft, so gehoben, daß er alles mit besonderer Lebhaftigkeit und Wärme in sich aufnahm. Ich selbst kann freilich jetzt nicht beurteilen, welche Wirkung diese Moralpädagogik hervorbrachte. Ich kann nur die Aussage der beiden beteiligten Personen hier referieren, die beide in der Folge zu versichern pflegten, Alexei Stepanowitsch sei in dieser Zeit förmlich wiedergeboren worden. Ich glaube es gerne, besitze aber Beweise dafür, daß Alexei Stepanowitschs Fortschritte auf dem Gebiete des gesellschaftlichen Anstandes nicht groß gewesen sind. So weiß ich zum Beispiel, daß er noch am Tage vor der Hochzeit seiner Braut großen Ärger gemacht hat, und daß ihr Zorn auf seine sanfte Seele von anhaltender Wirkung gewesen ist. Die Sache trug sich folgendermaßen zu. Bei Sofja Nikolajewna waren eben zwei vornehme Damen zum Besuch. Plötzlich tritt ein Diener ein mit einem in Papier gewickelten Päckchen in der Hand, reicht es Sofja Nikolajewna und meldet, Alexei Stepanowitsch habe es durch seinen Kutscher übersendet und lasse Sofja Nikolajewna sagen, sie möge schnell eine Haube für Alexandra Stepanowna machen. Sofja Nikolajewna, die ihr Bräutigam erst vor einer halben Stunde verlassen hatte, ohne ein Wort von diesem sonderbaren Auftrage zu sagen, fühlte sich beleidigt. Die vornehmen Damen, die im ersten Augenblick das Paket für ein Geschenk des Bräutigams anzusehen schienen, verbargen nicht ein ironisches Lächeln, und die Braut, die ihre Selbstbeherrschung verlor, befahl, das Paket zurückzutragen und Alexei Stepanowitsch zu sagen, er möge sich an die Putzmacherin wenden; ihr sei die Arbeit gewiß aus Versehen gebracht worden. Die Sache verhielt sich indessen ganz einfach. Der Bräutigam hatte, als er nach Hause zurückkehrte, seine Schwester in großer Verlegenheit gefunden: die Putzmacherin, bei der sie die Festhaube für den Hochzeitstag bestellt hatte, war plötzlich krank geworden und hatte ihr das ganze Material zurückgesandt. Alexei Stepanowitsch, der oft gesehen hatte, wie geschickt seine Braut Kopfputz anzufertigen wußte, wollte seiner beunruhigten Schwester behilflich sein und befahl seinem Diener, sogleich mit dem erwähnten Paket zu Sofja Nikolajewna zu laufen und sie ergebenst zu bitten, aus diesem Material einen Kopfputz für Alexandra Stepanowna zu machen. Der Diener hatte etwas anderes zu tun und übergab den Auftrag dem Kutscher, und so wurde aus der gehorsamen Bitte ein Befehl. Alexei Stepanowitsch eilte zu der Braut, um die Sache zu erklären, und nahm das unglückselige Päckchen wieder mit. Sofja Nikolajewna, deren erste Aufwallung sich noch nicht gelegt hatte, geriet in noch größeren Zorn, als sie ihren Bräutigam mit dem wohlbekannten Päckchen in der Hand erblickte, und sagte viele ungehörige, bittere und beleidigende Worte. Der Bräutigam war ganz verblüfft und fassungslos, verteidigte sich schlecht und war tiefgekränkt. Sofja Nikolajewna sandte das Material zu einer bekannten Putzmacherin. Sie fühlte, daß sie zu weit gegangen sei, und bemühte sich sogleich, ihre übereilten Äußerungen wieder gutzumachen. Aber zu ihrem Erstaunen wollte es nicht gehen. Alexei Stepanowitsch war durch diesen Auftritt zu tief erschüttert worden, und trotz aller Bemühungen der Braut, ihn zu beruhigen und aufzuheitern, behielt sein Wesen etwas Trauriges und Beklommenes.

Der 10. Mai 1788 war herangekommen, der Tag, der für die Hochzeit bestimmt war. Der Bräutigam kam morgens zu der Braut, und Sofja Nikolajewna, schon durch die gestrigen Vorfälle verstimmt, bemerkte zu ihrem Leidwesen, daß der traurige Ausdruck des vorigen Tages von Alexei Stepanowitschs Gesicht nicht gewichen sei. Sie hatte sich daran gewöhnt, sich Alexei Stepanowitsch an diesem Tage überglücklich zu denken, wo sich endlich sein lange gehegter Wunsch erfüllen sollte, und nun erschien er vor ihr mit nachdenklichem, sogar betrübtem Gesichte. Sie sagte es ihrem Bräutigam, und er wurde noch befangener. Natürlich beteuerte er, er sei der Glücklichste der Sterblichen usw.; aber die hochklingenden, gewöhnlichen Phrasen, die sie sonst aus seinem Munde so oft mit Vergnügen gehört hatte, schienen ihr nun hohl und erzwungen. Bald trennten sie sich, um sich erst in der Kirche wiederzusehen, wo um sechs Uhr abends der Bräutigam die Braut erwarten sollte.

Quälende Zweifel erwachten in Sofja Nikolajewnas Seele. Konnte sie von ihrer Ehe Glück erwarten? Dunkle Ahnungen beängstigten ihren regen Geist. Sie warf sich ihre Leidenschaftlichkeit vor, ihre bitteren Reden; war nicht die Veranlassung dazu ganz nichtig gewesen, mußte sie nicht auf dergleichen Unschicklichkeiten von seiten ihres Bräutigams gefaßt sein? Dergleichen war auch sonst mehrmals vorgekommen; aber bei dem eben erzählten Vorfalle hatte der unglückliche Umstand, daß zwei gegen Sofja Nikolajewna feindlich gestimmte Damen zugegen waren, dahin gewirkt, ihr Ehrgefühl zu verletzen und ihre natürliche Reizbarkeit bis aufs höchste zu steigern. Sie fühlte, daß sie Alexei Stepanowitsch gekränkt habe, sah ihr Unrecht ein, konnte aber nicht umhin, zugleich in tiefster Seele zu fühlen, daß sie wieder in dasselbe Unrecht verfallen könne. Die ungeheure Schwierigkeit ihres Unternehmens, der Umbildung eines siebenundzwanzigjährigen Mannes, kam ihr von neuem zum Bewußtsein. Ein ganzes Leben an der Seite eines ihr ungleichen Mannes, den sie trotz aller Liebe nicht völlig achten konnte, ein ewiger Konflikt zwischen unvereinbaren Gefühlen und Meinungen, die Unmöglichkeit eines gegenseitigen Verständnisses, das war die Perspektive, die das arme Mädchen vor sich hatte, und ihr fester Wille begann zu wanken; ein ihr bis dahin unbekanntes Gefühl, der Zweifel an den eigenen Kräften, schlich sich in ihre Seele. Was war aber zu tun? Sollte sie noch am Hochzeitstage ihren Bräutigam ausschlagen zum unsäglichen Kummer ihres alten Vaters, der sich schon an den beruhigenden Gedanken gewöhnt hatte, seine Tochter als glücklich versorgt zu betrachten? Sollte sie ihren Feinden und insbesondere den vornehmen Damen diese Freude machen, sich dem Geklatsch, den albernen Deutungen, vielleicht den Verleumdungen der ganzen Stadt preisgeben? Sollte sie dem Menschen das Herz brechen, der sie so innig liebte? Und das alles nur aus Furcht, den Plan nicht ausführen zu können, den sie doch schon so oft durchdacht, dessen Verwirklichung ihr zum Teil so glänzend gelungen war! »Nein, das darf nicht sein! Gott wird mir helfen, die Gottesmutter zu Smolensk wird meine Helferin sein und mir die Kraft geben, meine heillose Heftigkeit zu bezwingen.« So dachte Sofja Nikolajewna, und das Gebet gab ihr Mut und Ruhe wieder.

Die Kirche zu Mariä Himmelfahrt war ganz in der Nähe des Subinschen Hauses und war damals von einem freien Platze umgeben. Lange vor sechs Uhr drängten sich schon Neugierige aus dem Volke an sie heran. Vor dem Portal des Subinschen Hauses standen die Equipagen der Personen, die man eingeladen hatte, die Braut zu geleiten; die übrige Gesellschaft versammelte sich in der Kirche. Die Braut wurde zur Hochzeit geputzt. Der kleine Bruder, der dreijährige Nikolinka, dessen Geburt seiner Mutter das Leben gekostet hatte, zog nach hergebrachter Sitte der Schwester die Schuhe an, versteht sich mit Hilfe der Kammerjungfern. Kurz vor sechs Uhr war die Toilette der Braut vollendet, und nachdem ihr der Vater den Segen gegeben hatte, erschien sie im Salon. Der reiche Hochzeitsschmuck verlieh ihrer Schönheit einen neuen Glanz. Der Weg von dem Hause des Bräutigams zur Kirche führte bei den Fenstern des Salons vorüber, und Sofja Nikolajewna sah ihn in der mit vier schönen Pferden aus dem Bagrowschen Gestüte bespannten englischen Kutsche vorbeifahren. Sie hatte sogar noch Zeit, ihrem Alexei freundlich zuzuwinken, der sich aus dem Wagen herausbog und durch das geöffnete Fenster des Salons hereinsah. Es folgten bald die Schwestern des Bräutigams, Frau Alakajewa und die Herren, die ihn zur Kirche geleiten sollten. Sofja Nikolajewna wollte den Bräutigam nicht warten lassen, und trotz aller Einreden bestand sie darauf, ohne Verzug nach der Kirche zu fahren. Sofja Nikolajewna trat ruhig und fest in die Kirche, reichte ihrem Bräutigam mit freundlichem Lächeln die Hand, wurde aber durch den traurigen Ausdruck seines Gesichts verstimmt, und alle mußten bemerken, daß Braut und Bräutigam während der Zeremonie nicht heiter aussahen. Die Kirche war glänzend erleuchtet und voller Zuschauer. Die bischöflichen Sänger schonten ihre Stimmen nicht. Die Hochzeit konnte in jeder Hinsicht eine reiche und glänzende genannt werden. Nach Beendigung der Zeremonie wurde das junge Ehepaar von den Hochzeitsgästen nach dem Subinschen Hause geleitet. Hier begann sogleich der Tanz, der bis zum reichen, aber frühen Abendessen dauerte. Alle Gäste, die das Recht hatten, in Nikolai Fjodorowitschs Zimmer zu dringen, brachten ihm ihre Glückwünsche dar. An den folgenden Tagen ging alles zu, wie es in solchen Fällen zu geschehen pflegt: Diner, Ball, Visiten, und wieder Diner und wieder Ball, kurz alles, wie es noch heutzutage sogar in den Hauptstädten gebräuchlich ist.

Der traurige Schatten, der am Hochzeitstage die Gesichter der jungen Eheleute umwölkt hatte, war längst verschwunden. Sie waren vollkommen glücklich. Niemand konnte sie ohne Wohlgefallen ansehen, und oft wurde der Ausruf wiederholt: »Welch ein herrliches Pärchen!« Nach einer Woche beabsichtigten sie nach Bagrowo zu fahren, wohin Alexei Stepanowitschs Schwestern schon drei Tage nach der Hochzeit abgereist waren. Sofja Nikolajewna hatte durch sie einen freundlichen Brief an ihre Schwiegereltern gesandt.

Die Schwestern Alexei Stepanowitschs waren in der letzten Zeit, nach dem unerwarteten Zornesausbruche ihres Bruders, vorsichtig geworden; sie hatten sich in seiner Gegenwart aller Anzüglichkeiten, schlechten Scherze und zweideutigen Blicke enthalten; gegen Sofja Nikolajewna hatten sie sich sogar zuvorkommend benommen, was letztere freilich nicht über ihre Gesinnung irremachen konnte; Alexei dagegen glaubte fest an die Annäherung zwischen seinen Schwestern und seiner Frau. Natürlich hatten jene bei der Hochzeit und den darauf folgenden Festen eine ziemlich klägliche Rolle gespielt und hatten darum geeilt, wieder wegzufahren. Zu Hause angelangt, d. h. in Bagrowo, hatten sie für gut gehalten, mit Vorsicht zu verfahren und ihren Haß gegen Sofja Nikolajewna vor dem Alten zu verbergen; dagegen malten sie der Mutter und den beiden andern Schwestern die Hochzeit und alles, was in der Stadt vorgegangen war, in so geschickt gewählten Farben aus, daß ein starkes Vorurteil gegen die neue Verwandte entstehen mußte. Sie vergaßen nicht, von dem schrecklichen Zorne und den Drohungen des Bruders wegen ihrer spöttischen Äußerungen über Sofja Nikolajewna zu reden, und alle kamen darin überein, daß man diese in Stepan Michailowitschs Gegenwart freundlich behandeln und ihm direkt nichts Schlechtes von ihr sagen, zugleich aber keine Gelegenheit versäumen dürfe, ihn auf unmerkliche Weise gegen die ihnen verhaßte Sofja Nikolajewna feindlich zu stimmen. Dazu war freilich viel Gewandtheit nötig. Jelisaweta und Alexandra Stepanowna wollten die Sache niemandem anvertrauen und unternahmen es selbst, sie durchzuführen. Der Großvater ließ sich viel von der Hochzeit erzählen, von den Gästen, die zugegen gewesen waren, von dem Gesundheitszustande des alten Subin und überhaupt von allem, was in der Stadt vorgegangen war. Die Töchter lobten alles; aber ihr Lob hatte einen giftigen Beigeschmack, der dem Alten nicht entgehen konnte. Zum Spaße, vielleicht aber auch, um das Gehörte zu kontrollieren, wandte er sich auch an Iwan Petrowitsch Karatajew mit der Frage: »Was sagst aber du, Bruder Iwan, zu deiner Schwägerin? Das Hinundherreden der Frauenzimmer hilft mir nicht viel; du, als ein Mann, kannst die Sache besser beurteilen. Trotz der Winke seiner Gemahlin erwiderte Iwan Petrowitsch mit Feuer: »Ja, das kann ich Ihnen sagen, Väterchen: so ein Blitzmädel, wie Bruder Alexei es sich geholt hat, ist in der ganzen Welt nicht mehr zu finden. Ein Blick von ihr ist einen Rubel wert. Und gescheit ist sie, gar nicht zu sagen! Aber eins muß ich gestehen: sie ist stolz, liebt den Scherz nicht; versucht man nur, ihr Süßholz vorzuraspeln, so sieht sie einen gleich so an, daß man das Maul halten muß.« – »Ich sehe schon, Bruder, daß sie dir über den Mund gefahren ist,« sagte der Alte, lachte und fügte hinzu: »Das ist noch kein großes Übel!« Stepan Michailowitsch faßte infolge dieser Gespräche und der von Sofja Nikolajewna empfangenen Briefe eine überaus günstige Meinung von seiner unbekannten Schwiegertochter.

Die Nachricht von der baldigen Ankunft des jungen Ehepaares brachte einige Verwirrung in das ruhige, sehr einfache Haus der schlichten Landbewohner. Alles mußte geputzt werden, man mußte an Toilette und dergleichen denken. Sofja Nikolajewna war eine städtische Modedame und trotz ihrer Armut gewohnt, vornehm zu leben; sie war gewiß spöttisch und schwer zu befriedigen; so dachten und sprachen alle, außer dem Alten. Freie Zimmer waren im Hause nicht vorhanden, und so mußte Tanja ihre hübsche Eckstube räumen, deren Fenster nach dem Garten und nach dem klaren Buguruslan zu lagen, dessen Ufer so reich an grünem Gebüsch und hellstimmigen Nachtigallen sind. Tanja hatte wenig Lust, nach dem Vorraum des Badehäuschens umzuziehen; aber einen anderen Raum gab es nicht. Alle ihre Schwestern waren im Hause, und Karatajew und Erlykin schliefen auf dem Heuboden. Einen Tag vor der Ankunft des jungen Paares kamen in Bagrowo das Ehebett, die seidenen Bettvorhänge und Fenstergardinen an. Auch ein Diener war mitgesandt worden, der das alles zu ordnen und einzurichten verstand. In ein paar Stunden war Tanjas Zimmer neu dekoriert. Stepan Michailowitsch bewunderte die elegante Einrichtung; die Frauen bissen sich vor Neid in die Lippen. Endlich brachte ein reitender Bote die Nachricht, daß die Neuvermählten in dem Mordwinendorfe Noikino, acht Werst von Bagrowo, haltgemacht hätten, um sich umzukleiden; in ein paar Stunden würden sie ankommen. Alles geriet in Bewegung. Der Alte hatte zwar bereits am Morgen zum Priester geschickt; aber da dieser noch nicht gekommen war, wurde noch ein Bote zu Pferde hingesandt, um ihn schnell herbeizuholen. Unterdessen ging auch in Noikino eine merkwürdige Szene vor. Die Neuvermählten hatten einen Diener vorausgeschickt, um ihnen frische Pferde zu bestellen. In Noikino kannten alle Alexei Stepanowitsch, und Stepan Michailowitsch galt dort als der Wohltäter der ganzen Gemeinde. Das ganze Dorf, groß und klein, Männer und Weiber, an sechshundert Menschen, waren vor dem Hause zusammengelaufen, wo die Herrschaften absteigen sollten. Sofja Nikolajewna hatte noch nie Mordwinen aus der Nähe gesehen und freute sich über die schönen, rüstigen Mädchen, über ihre weißen, rotgestickten Hemden, ihre schwarzen Gürtel, über die silbernen Münzen und Schellen, die sie als Schmuck an Kopf, Brust und Rücken trugen. Als sie jedoch die einfachen und rohen, aber herzlichen Glückwünsche und das Freudengeschrei dieser Menge hörte, mußte sie lachen und weinen zugleich. »Ei, ei,« riefen sie in schlechtem Russisch, »ei, ei, Alexei, was dir Gott für eine Frau gegeben hat! Ei, wie schön! Da wird sich unser Vater Stepan Michailowitsch freuen! Gott segne euch!« Als aber die junge Frau in ihrem reichen städtischen Anzuge erschien, um sich wieder in den Wagen zu setzen, entstand ein solcher Lärm von freudigen Lobeserhebungen, daß sogar die Pferde scheu wurden. Die Neuvermählten schenkten der Gemeinde zehn Rubel Trinkgeld und fuhren weiter.

Hinter der herrschaftlichen Tenne, die auf einem hohen Berge lag, kam ein großer Wagen zum Vorschein. »Sie kommen! sie kommen!« schallte es im ganzen Hause, und das gesamte Hofgesinde, bald auch alle Bauern liefen im Hofraum des Hauses zusammen, und Kinder und jüngere Leute eilten den Ankommenden entgegen. Die alten Bagrows und die ganze Familie waren auf die Freitreppe getreten. Arina Wasiljewna in seidenem Rocke und seidener Jacke mit einem goldgestickten Seidentuche um den Kopf, und Stepan Michailowitsch in einem altmodischen Rocke, rasiert und mit einer Binde um den Hals, standen auf der obersten Stufe. Letzterer hielt ein Bild der heiligen Jungfrau, erstere einen Laib Brot und ein silbernes Salzfaß. Die Töchter und die Schwiegersöhne standen daneben. Die Equipage fuhr vor, die Neuvermählten stiegen aus, sanken den Eltern zu Füßen, empfingen ihren Segen und küßten sich mit ihnen und allen Anwesenden. Kaum war diese Zeremonie zu Ende und kaum hatte die junge Frau sich wieder zum Schwiegervater gewandt, als dieser ihre Hand ergriff, ihr in die tränenerfüllten Augen sah, sie zärtlich umarmte und sagte: »Ehre sei Gott! Komm, daß wir ihm danken!« Er nahm die Schwiegertochter bei der Hand, führte sie durch das Gedränge in den Saal, stellte sie sich zur Seite, und der Priester, der sie in vollem Ornat erwartete, verkündigte laut: »Gepriesen sei unser Gott, jetzt und künftig und in alle Ewigkeit!«


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