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Dreißigstes Kapitel.

Während im Hause des alten Wiedebar dies alles sich ereignete, lag Prinzeß Anna Maria, genau wie Eberstein sie beschrieben, im Genesungsschlaf, ein Bild menschlicher Hilflosigkeit, unter dem kronengeschmückten Baldachin, und hatte für nichts weniger eine Empfindung, als für all den Luxus, mit dem sie umgeben war. Endlich erwachte dieselbe – noch tödlich schwach, aber bei klaren Sinnen. »Nachricht? – Von Landin?« hauchte Anna Maria. Sollte Charlotte die Ärmste umsonst um Labung flehen lassen?

Zärtlich beugte sie sich zu ihrer fürstlichen Freundin herab und sagte, sich vorher ängstlich nach der Tür umsehend, leise und freudig: »Gute Nachricht, teure Prinzeß, er liebt Euch herzlich, er ist Euch treu! Wenn Ihr gesund seid, wird er kommen!«

Eine helle Röte schoß über das abgemagerte, bleiche Gesicht; die Erregung war zu groß! Charlotte sah in Todesangst, wie das Nachtkleid der Kranken sich von dem ungestümen Herzklopfen derselben zitternd bewegte.

»Um Gottes willen, beruhigt Euch, Liebden, wenn Ihr kränker würdet, verzieh' ich mir nie, Euch dies verraten zu haben, man wird mich von Euch trennen!« rief sie in entsetzlichster Angst.

Anna Maria lag, die Hand auf das Herz gepreßt und rang selbst nach Ruhe. Nach und nach gelang ihr dies auch, aber Charlotte von Windeck gab dies eine Lehre zu äußerster Vorsicht.

Nach einer Viertelstunde aber, während welcher Zeit Anna Maria ihre Hand nicht losließ und immer stiller und glückseliger zu ihr aufschaute, wuchs beiden schon wieder der Mut, und Charlotte erzählte, Graf Eberstein habe ihr dies gesagt, er sei gekommen Geschäfte halber.

Und während Anna Maria, selig lächelnd, jetzt ganz zufrieden schien und von neuem vor lauter Schwäche in Schlummer sank, kehrte sie an ihren Fensterplatz zurück und weinte leise.

Ruhe, ihrem Schmerze nachzuhängen, fand Charlotte nicht. Ein wenig später sah sie den Baron Plittersdorff und den Grafen Eberstein in das Schloß treten. Wie gebrechlich war der erstere in diesen letzten Monaten geworden!

Markgräfin Sibylla befahl dem die Herren anmeldenden Pagen herauszusagen, der Pater Isidorus sei in kurzer Zeit mit seinem geschäftlichen Vortrage fertig.

Zornig fuhr der Minister auf. »Warten! Alle Tage fast hieß es jetzt so, und was Sibylla geschäftlichen Vortrag nennen ließ, das war nichts anders, als diese Gebete und Bußübungen, in welchen sie sich nicht genug tun zu können schien!«

Aber der Page gestand flüsternd, der Beichtvater lese der Frau Markgräfin nicht vor, sondern suche in Aktenstücken und Briefen.

Endlich ging der Pater. Die Markgräfin kam beiden Herren heiterer, als sie je in letzter Zeit gewesen, entgegen. »Anna Maria schläft sich zur Genesung!« sagte sie freudig.

»Frau Markgräfin,« begann Plittersdorff, »ich komme, Klage zu führen. Ich bin als Euer erster Minister und der Vorgesetzte des Landvogts von Laudrum von ihm in einer wichtigen Amtssache übergangen worden! Ich fordere von Eurer Gerechtigkeit die mir gebührende Genugtuung.«

»Und ich, Frau Markgräfin, klage hiermit den Landvogt von Laudrum der ungesetzlichen Vergewaltigung meines Freundes, des Grafen Bilky, an«, fuhr Eberstein fort.

Sibylla ließ ihn nicht aussprechen.

»Ich bin es schon gewohnt, ihr Herren, euch jetzt stets gegen mich verbündet zu sehen«, sagte sie mit funkelnden Augen, sich zu ihrer vollen Höhe aufrichtend. »Aber wie? Wenn ich euch antwortete: Ich weiß nicht, was ihr wollt und wovon ihr redet?«

Sie hatte dabei, wie nach einem Halt verlangend, die Hand auf ihren Schreibtisch stützen wollen, traf aber auf etwas, was zwischen den Papieren lag und herabfiel. Es war ein Ring – ein Ring, den Eberstein sofort erkannte.

Dieser hatte sich schon danach gebückt. »Ew. Durchlaucht wird ihren getreuesten Dienern nicht so antworten,« sagte er, den Ring in der Hand und sie fest ansehend, »Ew. Durchlaucht ist viel zu stolz, uns die Auskunft zu versagen, welche wir fordern müssen.«

»Wie gut Graf Eberstein mich zu kennen meint!« rief sie bitter. Aber sie nahm sich plötzlich zusammen, ging zu ihrem Betpult und kam dann, offenbar sich selbst mühsam bezwingend, wieder. »Ich antworte euch, ihr Herren, weil es mir beliebt, nicht, weil ich euch solches schuldig zu sein vermeine. Ihr waret mir lange Jahre treu gesinnt, das will ich bedenken, nichts anderes! Auf meinen Befehl hat der Landvogt von Laudrum den Staatsverbrecher Siegfried Bilky in aller Heimlichkeit nach Baden bringen und dort gefangenhalten lassen. Auf meinen Befehl hat Laudrum allein diese Sache geführt. Vielleicht beliebt es euch, mein bis jetzt gelungenes Werk zu hintertreiben, indem ihr den Schleier des Geheimnisses hinwegzieht von des Verräters Tun und Absichten; ihr werdet dann das Verdienst haben, Bilky auf das Schafott zu bringen und Wilhelm Ludwigs Namen dem Geklatsch und Hohn ganz Europas preiszugeben, in welch letzterem Unternehmen ihr in dem Fürsten Landin einen Bundesgenossen, ob für eigne oder seines Kaisers Rechnung, weiß ich nicht! finden könnt.«

Die Augen der Markgräfin schossen Blitze. Sie sprach sehr leidenschaftlich.

Baron Plittersdorff blickte mit Erstaunen, aber nicht ohne geheimen Schrecken, die Markgräfin an, Eberstein lehnte an dem Tische.

Sibylla nahm von demselben die daraufliegenden Papiere; offenbar hatte sie mit dem Pater über diese Angelegenheit gesprochen und erklärte nun den bestürzten Hörern Punkt um Punkt, wie Bilky den Einflüsterungen der Fatme zufolge und von der Scholastika, um niedriger Geldsucht willen, mit den angeblichen Beweisen versehen, sich für einen Sohn des verstorbenen Markgrafen gehalten, wie er heimlich mit Landin konspiriert, der ihm Österreichs Hilfe zugesagt, wie er mit diesem eifrig Briefe gewechselt, deren einige in Laudrums Hände fielen, und wie man daraus ersehen könne, daß durch Landins Vermittlung die kaiserliche Geheimkanzlei sich daran gemacht, festzustellen, daß Bilkys Mutter nicht Fatmes Tochter Leila sei, wie diese behauptete, sondern ein adlig geborenes ungarisches Fräulein, mit welcher Markgraf Ludwig Wilhelm sich vor seiner Ehe mit ihr, Sibylla, vermählt gehabt, welche Ehe ebenfalls vor seiner Heirat mit Sibylla gelöst worden sein solle, ob durch Tod, oder päpstlichen Dispens, oder wie sonst, blieb noch unklar.

Und dann legte die Markgräfin den entsetzten Männern die Briefe, die Verhörsprotokolle vor. Plittersdorff und Eberstein standen wie vernichtet, Sibyllas Angaben waren so klar, so zusammenhängend, im ersten Augenblick erschien beiden auch der letzte Brief Landins ein überzeugender Beweis für die Aussagen Sibyllas.

Da dachte Eberstein wieder jenes Päckchens, und zugleich kam ihm die Überzeugung zurück, daß Bilky nicht so schuldig sei, wie er erscheine.

»Euer Pflegesohn liebte Euch wie eine Mutter und verehrte Euch wie eine Heilige, Frau Markgräfin«, begann er. Aber sie unterbrach ihn schon.

»Ja, Gott sei's geklagt! Nie habe ich eine falschere Kreatur gesehen, als ihn!« rief sie. Er ließ sich nicht beirren.

»Am Abend vor seiner Abreise kam Bilky noch einmal zu mir, und nachdem er mir auseinandersetzte, daß er Charlottes Hand nicht fordern könne, als ein Namenloser, erzählte er mir, daß Fürst Landin ihm versprochen habe, allen Einfluß in Wien aufzubieten, um Nachricht über seine Herkunft einzuziehen. Er deutete mir an, man habe ihm ins Ohr geflüstert, er sei des Markgrafen Bastard, aber so wenig er daran glaubte, so wenig durftet jemals Ihr, Frau Markgräfin, von diesem schmählichen Gerücht Kunde haben. Er ließ sich mein Wort zum Pfande geben, daß ich, falls er stürbe, ehe er dies Päckchen zurückfordern könnte, es verbrennen wolle, um es Eurer Kenntnis auf jeden Fall zu entziehen! Ich gab ihm dies Wort; da aber nichts mehr zu verhehlen ist und Ihr von seiner Schmach und Schuld Euch so fest überzeugt haltet, so laßt uns sehen, was er Eurer Kenntnis entziehen wollte! Erlaubt, Frau Markgräfin, daß ich es hole; Ew. Durchlaucht wird nicht annehmen, daß jene Beweisstücke in dem Päckchen von mir in Wien zum Schaden und Schimpf des markgräflich badenschen Hauses verwendet worden sein könnten, denn die Siegel des Grafen Bilky sind unverletzt darauf!«

Die Markgräfin wurde bleich bis auf die Lippen! Zitternd, die Hände vor das Gesicht schlagend, sank sie in einen Sessel, indes er ging und Plittersdorff düster vor sich hinstarrend stumm blieb.

In wenig Minuten war Graf Eberstein zurück. Er legte mit einer Verneigung das Paket vor der Markgräfin nieder. Sie öffnete es und fand – »Der Herr Landvogt!« meldete man. Sibylla hatte in dem Buche hin und her geblättert; dann stieß sie einen Schrei aus – aber da stand schon Laudrum, und jetzt wußten weder er noch Plittersdorff und Eberstein, ob sie über sein Aussehen oder über das Gelesene aufgeschrien.

Graubleich lehnte Laudrum an der Tür. »Frau Markgräfin, ich bitte Euch, enthebt mich von meinem Amte – ich bin dessen unwert – ich bin ein unfähiger Mensch!« rief er, ganz von seinen eigenen Empfindungen hingenommen, ohne zu seiner Herrin aufzublicken.

»Um Gott!« stöhnte Sibylla. »Redet, redet, Herr Landvogt.«

»Mustapha hat bekannt; er wird die Nacht nicht überleben!« sagte, eintönig seinen Bericht machend, Laudrum. »Daß er krank war, war Euch und mir bekannt,« fuhr er dann fort, »die enge Haft hat das Übel noch verschlimmert.«

»Aber was – was hat er bekannt, daß Ihr so verstört ausseht?« mahnte ungeduldig Markgräfin Sibylla.

»Er hat bekannt, daß er der Liebhaber der Leila und Vater ihres Sohnes gewesen. Das Mädchen stahl sich zu ihm ins Schloß – er sich zu ihr, indem er, um sicher vor jedem Anruf, jeder Hinderung zu sein, den Mantel seines Herrn umnahm!«

»Der Elende! Der Schurke!« schrie händeringend und geisterbleich Sibylla.

»Jetzt werdet Ihr begreifen, Frau Markgräfin, daß dem Schuft seine List nur zu gut gelang! Wer hätte wagen sollen, den Herrn auf solche nächtliche Gänge hin zu befragen? Man machte nicht einmal eine Andeutung gegen ihn, während ganz Rastatt sich flüsternd von ihm und der Leila unterhielt!«

»Und das Kind – dieser Sohn –?« stöhnte Sibylla.

»– ist tot, Ew. Durchlaucht! liegt in dem Sarg seiner Mutter, wie ich mich eben überzeugt habe. Ich ließ das Grab öffnen.«

»Aber dieses Buch – diese – Worte hier –?« Sie gab dem Landvogt das Büchlein. Er las, zwischen allerlei Bemerkungen von des Markgrafen Hand: »Der Leila fünfhundert Gulden für ihren Sohn aus meiner Schatulle.«

Die Markgräfin sah sehr erschrocken aus.

»Redet, redet, Laudrum!« drängte sie.

»Ihr wißt, Durchlaucht, es war der Schloßdienerschaft versagt, zu heiraten, man verweigerte den Leuten den Abschied nicht, aber sie erhielten reichen Lohn und blieben so lange wie möglich. In gleicher Weise aber duldete der hochselige Herr auch keinerlei unsittlichen Wandel und strafte streng die Übertretungen, welche an das Licht kamen. Mustapha aber war sich seiner Gefahr wohl bewußt und, schlau wie er ist, benutzte eine gute Stunde, seinem Herrn zu bekennen, daß die Leila einen Sohn von ihm habe, daß er sich aber nicht entschließen könne, das Mädchen zu heiraten, weil dies ihn von seiner Stelle bei Sr. Durchlaucht entfernen würde. Mustapha war seinem Herrn unentbehrlich. So nahm der Herr Markgraf das freiwillige Bekenntnis gut auf, befahl dem Mustapha, der Leila in Heimlichkeit durch die Einsegnung ihre Ehre wiederzugeben und versprach ihm für die Unterbringung des Kindes auf dem Dorfe bei fremden Leuten fünfhundert Gulden. Als Mustapha aber zur Leila schlich, ihr dies alles zu berichten, trat ihm schon die Fatme entgegen und klagte ihm verzweifelnd, das Kind sei in Krämpfen vor einer Stunde gestorben und sie wage gar nicht, dies ihrer Tochter zu sagen.

Nun, das Kind war tot, das Geld, welches der Herr ihm für des Kindes Erziehung versprochen, wollte der trauernde Vater aber nicht missen; so hielt er mit der Fatme Rat, und diese holte von der Nachbarin Scholastika Hesselfeld einen Schlaftrunk für die Leila, damit das leidenschaftliche junge Weib kein Geschrei mache über des Kindes Tod. Als aber Mustapha am andern Abend erschien, kam er eben rechtzeitig zu dem letzten Atemzuge der Leila; der Schlaftrunk war zu stark gewesen. Der Arzt, den man jetzt zu spät herbeirief, redete im ersten Schrecken von Gift – schwieg aber dann klüglich, die Gerüchte über die Leila bedenkend. Die Fatme und Mustapha legten dann das Kind mit ihr heimlich in denselben Sarg; als aber die Leila begraben werden sollte, verweigerte der Geistliche ihr als einer Selbstmörderin die geweihte Stelle und Mustapha und die Weiber brachten in ihrer heimlichen Angst den Sarg in den Wald und bestatteten die Tote daselbst. Der Herr Markgraf aber ließ sich auch jetzt fürder willig von dem Heuchler belügen und betrügen, der ihm sagte, das Kind sei bei Bauern ausgetan.«

»O, und ich Törin – wie habe ich mir das Leben verbittert mit dem Glauben an dies Gerede!« murmelte Sibylla. Sie saß, die Hände auf den Knien gefaltet, wie betäubt, indes Laudrum sagte: »Da habt Ihr das ganze Gewebe von Lug und Betrug, grob genug, aber doch ließ sich nicht Graf Bilky allein darin fangen!«

»Graf Bilky hat nie an die Reden der Weiber geglaubt – er wollte nur um jeden Preis das Schweigen derselben kaufen, damit die Frau Markgräfin niemals davon höre –« rief Eberstein.

Laudrum warf ihm einen finstern Blick zu: »Ich habe mich zu meiner Leichtgläubigkeit bekannt, wie es meine Schuldigkeit ist, Herr Graf Eberstein,« sagte er düster, »aber wir haben immerhin keinen Schuldlosen in ihm, sondern einen Mißleiteten.«

»Ich protestiere feierlich gegen die Annahme, Graf Bilky habe sich mit hochverräterischen Plänen getragen!« widersprach Eberstein energisch. »Man wird Euch die Beweise hierfür, sobald sie sämtlich in den Händen des Fürsten Landin sind, vorlegen!«

Markgräfin Sibylla sah auf den Grafen Eberstein mit der entsetzungsvollen Spannung eines Menschen, der sich über einen furchtbaren, unheilvollen Irrtum klar wird.

»Und das sagt Ihr jetzt? Das wußtet Ihr und schwieget?« rief der Landvogt wie außer sich.

»Hätte ich geahnt, daß Ihr ihn in die Badener Felsenlöcher gelegt hattet, Herr Landvogt von Laudrum, so hätt' ich ihn mit Gewalt herausgeholt. Aber Ihr habt mich forschen und suchen, fragen und bitten lassen und gabt mir kaum Antwort! Gott gehe mit Euch nicht ins Gericht, wie Ihr es mit dem –«

»O Gott, Gott! gehe mit uns nicht ins Gericht!« rief Sibylla, und nach ihrem Betpult schwankend sank sie mit der Stirn auf die Platte desselben und schluchzte zum Herzbrechen.

»Frau Markgräfin, Ihr solltet befehlen, daß man den Unglücklichen in Freiheit setze!« trat Plittersdorff zu ihr heran.

Sie blickte auf. Welcher Schmerz lag in ihren in Tränen schwimmenden Augen. »Ihr habt recht! O, Ihr habt recht!« rief sie emporschnellend. Dann wandte sie sich an Eberstein, der im schweigenden Seelenkampfe mit der eigenen Schwäche und dem Zorn auf sie rang.

»Graf! Geht, bittet für mich, daß er mir vergebe! Nehmt die Charlotte mit – ach, und – und – lehrt die beiden – wenn Ihr könnt! – mich nicht zu hassen.« Und dabei sah sie ihn mit ihren dunklen, trostlosen Augen an.

Graf Eberstein beugte sich mit zuckenden Lippen auf ihre Hand und ging sofort Charlotte von Windeck zu holen. Die Ärmste unterwegs vorzubereiten war das einzige, was er in dem Tumult seiner Gedanken klar in sich feststellte.

Ein Page lief an ihm vorüber und rief einem Diener zu, der Landvogt habe sein Pferd befohlen; man solle einen Wagen für den Herrn Grafen von Eberstein anspannen. – Ha! jetzt hatten sie es ebenso eilig, ihren Gefangenen zu befreien, wie sie sich nicht besonnen, ihn einzukerkern.

*

Im höchsten Grade erschöpft blieb Sibylla mit dem Baron Plittersdorff allein. Der letztere argwöhnte seit einiger Zeit in jeder von ihm nicht erst sanktionierten oder wenigstens begutachteten Maßregel der Regentin eine Beleidigung seiner Würde und fühlte sich in dem Bewußtsein seiner treuen Dienste tief gekränkt. Und dies zu hören, ersparte er Sibylla nicht. Glücklicherweise für sie kam die Stunde der Mittagstafel, Plittersdorff führte sie in den kleinen Speisesaal, der vollkommen genügte für die beiden ältlichen Hofdamen und einige Kavaliere, welche allein der Markgräfin nach Favorite hatten folgen dürfen.

Sibylla blieb verstört. Wie hatte sie gegen ihren Liebling Bilky so grausam sein können? Keine Luft! kein Licht! – – –

Sobald die Tafel aufgehoben war, wurde der Geheime Rat von Wiedebar gemeldet. »Seine Tochter und ein fremder Herr seien mit ihm«, flüsterte der Page dann.

»Meine gute, liebe Sabine!« rief die Markgräfin ihrer einstigen Hofdame entgegen und vernahm mit großer, sichtlicher Freude die Neuigkeit, sah mit Teilnahme auf den jungen Freiherrn, den der Stolz, die spröde Sabine besiegt zu haben, merkwürdig verschönerte. Es war ihr, als schicke der Himmel ihr ein Zeichen. Auch Sabine hatte sie schweres Unrecht getan, und es war Glück daraus erblüht.

Dann mußten sie alle bei ihr bleiben, sie hielt die Damen und Herren um sich versammelt, hoffend, die innere Unruhe bis zu Ebersteins Rückkehr mit Bilky betäuben zu können.

Sabines Erzählungen von ihrem Glück täuschten die Markgräfin über die nächsten zwei Stunden hinweg.

»Ach, Sabine, wie hat mich Gott für meine Ungerechtigkeit gegen dich gestraft«, hatte Sibylla im Anfang mit düsterer Selbstzerknirschung gesagt. Jetzt, nach Sabines anregendem Geplauder, blickten ihre Augen schon etwas heller. Ach, sie hoffte wieder! Siegfried würde ihr vergeben, sie wollte ihn und Charlotte glücklich machen, wie es Sabine war.

Gern hätte Sabine die Prinzeß von Neuburg gesehen, aber Sibylla lehnte ihre Bitte ab. Und jetzt fiel ihr selbst ein, daß sie seit Stunden nicht nachgesehen. Nach wenigen Minuten kam sie befriedigt zurück – Anna Maria lag wach – sah viel besser aus. Dann entließ sie Sabine und Rudolf mit vielen warmen Glückwünschen.

Die Markgräfin zog sich in ihre Gemächer zurück. In schmerzlicher Ungeduld schritt Sibylla dort auf und ab. Wie lange Eberstein und Charlotte fortblieben! Endlich, es war sechs Uhr vorbei, hörte sie den Wagen vorfahren. Ein unaussprechliches Bangen überkam die Markgräfin.

Und nun flog die Tür auf, an den Kommenden vorüber drängte sich Charlotte und stürzte auf sie zu, indem sie händeringend, ganz verweint, mit glühenden Augen, beinah drohend rief: »Gott helfe Euch, Frau Markgräfin, was habt Ihr getan!«

Sibylla hörte ohne zu begreifen, ihre Blicke hefteten sich wie im Krampf vor furchtbarem Schrecken –! Das –? Dies – war Bilky? Ihr blonder, lachender Pflegesohn? – Ein dumpfer Schrei brach von ihren Lippen.

Am Arme des Grafen Eberstein und des neugierig herbeigeeilten, vor Schrecken und Staunen ganz verwirrten Grunthal, schwankte unsicher eine hohe, abgemagerte und gebückte Gestalt herein, die Kleider hingen ihr um die Schultern, das Haar, das schöne blonde Lockenhaar, wo war es? Diese spärlichen Streifen waren doch nicht Siegfrieds goldene Locken? Diese lichtscheuen, blinzelnden Augen doch nicht Siegfrieds Augen? Auf den eingefallenen Wangen lag ihm eine heiße, scharf begrenzte Röte, welche die wächserne Blässe seiner Stirn nur um so schärfer hervortreten machte. Und über diese Wangen flossen ihm Tränen.

»Siegfried! Siegfried!« schrie die Markgräfin auf in Jammer und Entsetzen, in Reue und Unglauben. War er blind? Waren seine sonst sonnenhellen Augen des Lichtes beraubt? Großer Gott! »Nein! nein! Aber dieselben sind des Lichtes ungewohnt«, beruhigte Eberstein, noch immer für sie denkend und sorgend, nur daß sein Blick jetzt kalt, vorwurfsvoll und finster war.

»Siegfried – mein armer, teurer Siegfried!« schluchzte Sibylla, den Beklagenswerten umarmend.

»So glaubt Ihr nun nicht mehr, ich sei schuldig? O, meine Herrin, meine Mutter, wie konntet Ihr denken, daß ich so der Dankbarkeit zu vergessen vermochte?« rief Bilky und küßte ihre Hände. »Ihr seid ja mein guter Engel gewesen, was ich bin und habe, danke ich Euch, meine teure Herrin, meine Mutter!«

Das war die Stimme, die liebe Stimme, noch jetzt klang sie wie Musik! Und nicht ein herber Ton darin, nur Freude, Glück, Dankbarkeit und – Wehmut.

»Siegfried! Siegfried! Vergib mir! Was habe ich getan? Wie soll ich sühnen, was ich an dir verbrach?« stammelte Sibylla und suchte ihn aufzuheben.

»Redet doch nicht so, laßt mich nur fühlen, daß Ihr mir nicht mehr all den Kummer anrechnet, den andere Euch in meinem Namen bereitet haben.«

»Großer Gott! wie hatte Laudrum so hart sein können!« seufzte Sibylla.

»Er tat seine Pflicht gegen den vermeinten Hochverräter – nach bestem Ermessen!« sagte Graf Eberstein kühl.

Siegfried Bilky senkte zusammenschauernd das Haupt. Er sprach kein Wort der Anklage gegen den Landvogt, aber ach, sein Aussehen zeugte gegen den harten Mann, welcher den Befehl seiner Herrin ohne jede Milderung ausgeführt hatte.

»Ich will gutmachen, was ich kann – ich will sühnen. Du sollst mehr als je mein Kind sein, Bilky, du wirst dich erholen, wirst wieder gesund werden – Charlotte –!«

Er küßte ihre Hand. Er suchte seinen Schmerz zu überwinden, indem er lächelte. »Ich bin schon glücklich bei Euch zu sein – es ist derselbe Duft in diesem Zimmer, den ich stets so liebte! Und Ihr wißt es schon, Frau Markgräfin – Graf Eberstein bringt mir die Freudenkunde – mein größter Wunsch ist erfüllt –!« Aber dann brach er verlegen ab und wandte sich, um eine Ablenkung suchend, nach der Geliebten: »Sie will durchaus dennoch Gräfin Bilky werden, Frau Markgräfin; sagt es ihr, sie solle ablassen von mir –!« Wieder erstickte die Stimme ihm unter der Wucht des Bewußtseins seines Unglücks.

»Ich will Charlotte segnen, mein Liebling, wenn sie deine Frau wird, ihr sollt beide bei mir bleiben, keine Sorge wird euch nahen!« rief Sibylla, und ihre Augen glänzten fieberisch.

Die Mettler steckte den Kopf durch die Tür; sie sah auffallend unruhig aus und flüsterte, da Sibylla ihr schnell entgegentrat. »Durchlaucht! Ich bitte, kommt schnell! Die Prinzessin –«

»Bleibt! Bleibt alle! Ich sehe nur nach!« rief Sibylla.

Sie stand kaum im Vorzimmer, als die Mettler ihr zurief: »Um Gottes willen, Frau Markgräfin, in der Prinzessin Zimmer ist der Fürst Landin!«

»Landin?« Sibylla wankte. »Aber – unglaublich!« –

»Die Bärbel – sie hat es gesehen – er bedrohte sie. Ich wollte eintreten, da bekannte die Unselige – die in ihrer Todesangst –«

Die Markgräfin hörte schon nicht mehr, die Mettler folgte ihr, so schnell sie konnte.


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