Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

Es war in den ersten Märztagen des Jahres 1720. Schwere Wolken zogen, von Süden kommend, sturmgepeitscht über die Schwarzwaldberge, brachten prasselnden Hagel- oder heftige Regenschauer mit sich und senkten sich über die weite Rheinebene zwischen Rastatt und Straßburg bis an die Höhen des Odenwaldes so tief auf das Land herab, daß es wie in graue Schleier dicht verhüllt dalag.

In dem halben Mondlicht, welches unsicher durch eine Lücke in den jagenden Wolken drang, sah man einen letzten Streifen Schnee matt aufleuchten und das Blitzen auf den fast aus ihrem Bette tretenden Wellen der Murg.

Der warme Tauwind bog die Spitzen der schlanken Tannen und Föhren, womit alle Berge rings vorwiegend bewaldet waren, hin und her wie dünne Gerten, zauste und riß die kahlen Äste der Eichen und Buchen, daß sie sich wanden wie in großer Not, und entwurzelte hier und dort einen Baum, der keine Hilfe und keinen Halt in der Nachbarschaft fand.

Es war ein böses Wetter, und wen nicht die Not hinaustrieb aus seinen schützenden vier Wänden, der blieb heute sicher daheim.

Der Weg von Kuppenheim nach Rastatt lief an der Murg entlang und war den ganzen Abend völlig einsam gewesen.

Am jenseitigen Ufer, wo der weite Park des damals neuerbauten Schlößchens Favorite begann, lag hart am Flusse ein sehr kleines Häuschen, einsam zwischen einigen Äckern, welche sich an den Kuppenheimer Gemeindewald schlossen.

Die niedrigen blinden Fenster des Häuschens waren erhellt von einem kleinen unter der Decke der Stube herabhängenden Lämpchen.

Auf dieses Häuschen zu bewegte sich an diesem stürmischen Abende – es mochte gegen acht Uhr sein – eine in ein dunkles Regentuch gehüllte weibliche Gestalt. Sie kam vom Park her, mehr laufend als gehend, fortdauernd bemüht, das Tuch enger um sich herumzuziehen, ohne einen Augenblick im Gehen innezuhalten.

Der Mond sah wieder einmal flüchtig zwischen den Wolken hervor und beleuchtete das zu ihm aufblickende blasse Antlitz der Frauengestalt, in dem Furcht und ein leidenschaftliches Wollen zu lesen gewesen wäre, wenn Menschenaugen sich hier zu dieser Stunde gefunden hätten.

Ob dem bleichen Monde das bleiche Mädchengesicht nicht gefiel? Ob er nicht sehen wollte, was in ihren Augen zu lesen stand? Er verkroch sich wieder hinter die schwarzen Wolken, und gleich darauf klopfte dieses atemlos an das Fenster, durch welches ihm das trübe Lämpchen entgegenleuchtete.

»Jesus, Maria, Joseph!« tönte es drinnen erschreckt.

»Mutter Gesselfeld, öffnet, ich bin's, die Sabine vom Schloß!« rief das Mädchen mit gedämpfter Stimme.

»Wer ist's? Alle guten Geister –!« klang es geängstet zurück.

»Macht auf, Mutter, die Sabine Wiedebar ist's!«

»I, du meine Güte!« murmelte hörbar erstaunt die Frau drinnen und ihr Gesicht erschien an dem kleinen Fenster, das zu erblindet war, um ihre Züge erkennbar werden zu lassen, das aber auch ihr nur den weißlichen Schimmer eines Menschenantlitzes zeigte.

»So öffnet doch, Scholastika! Ihr habt mich ja bestellt auf den ersten Vollmond! Ich bin da! Ich muß Euch sprechen!« drängte ungeduldig die Draußenstehende.

Bald darauf öffnete sich von innen die Tür des Häuschens, Sabine schlüpfte hinein und stand auf der ungepflasterten Hausdiele, im Schein des hellauflodernden Herdfeuers, in welchem Tannenholz knisternd brannte.

»I, du meine Güte, das gnädige Fräulein!« rief die alte Frau, noch immer höchst erstaunt.

»Das kann Euch doch nicht wundern! Hab' ich Euch nicht gesagt, ich will alles tun, alles, was Ihr mir anrietet?«

»Aber bei dem Wetter! Und so spät!« sagte die Alte, dem Fräulein das Tuch abnehmend und dasselbe, da es feucht geworden, über zwei Stühle am Feuer ausbreitend.

Im Schein desselben stand das Hoffräulein Sabine von Wiedebar, gekleidet in ein tief ausgeschnittenes dunkles Seidenkleid, über die hohe, jetzt arg zerzauste Puderfrisur ein dunkles Schleiertuch gebunden.

»Laßt nur, Mutter Gesselfeld, laßt nur! Ich muß so schnell ich kann wieder fort, wir haben alle noch Dienst diesen Abend, die Neuburger Prinzeß wird erwartet, und Durchlaucht Gnaden läßt sich nicht einreden, daß die Wagen nicht kommen können bei diesem Unwetter!«

»Und doch läuft das gnädige Fräulein durch Wind und Wetter zu mir«, klagte die Alte schmeichlerisch.

»Ich muß ja, Scholastika! Es geht mir die Angst an die Seele, und das Herzensweh läßt mir keine Ruh, denn heute kommt er zurück! Macht schnell, ich will nach Eurem Rat tun! Wenn ich meine Zukunft weiß, so hört all die Unruhe in mir auf.«

»Ihr wollt die Mondgeister befragen? Ist es Euer Ernst, Fräulein Sabine?« fragte geheimnisvoll flüsternd die Alte, während ein gieriger Zug in ihrem Gesicht hervortrat.

»Gewiß will ich's! Ich habe Euch den Dukaten mitgebracht, den Ihr fordert, nun sagt mir meine Zukunft und lehrt mich den Mondzauber! Es ist alles eingetroffen, was Ihr neulich der Rastatter Dame prophezeit! Sie hat es mir selbst erzählt –! Ihr habt mich ja für gewiß versichert, daß alles Leid, den hilfreichen Geistern geklagt, und Eure Sprüche dabei getan, hinweggenommen wird –? Oder? Werdet Ihr jetzt bang um Euer Gerede? War's nichts damit, als Lüge?«

Die blitzenden Augen des Fräuleins zwangen die Alte vor der Sprecherin stillzustehen.

»Lüge? Was hab' ich davon, daß meine Hilfe andern nützt? Freilich, Geschenke geben sie mir für meine Wahrsagekunst, aber die frommen Frauen von Lichtental könnten mir bezeugen, daß ich ihnen zutrage, was ich so in Angst und Gefahr verdiene. Denn werde ich umsonst mein Leben wagen? Hat mich der Landvogt nicht schon zweimal als Hexe torquieren und arg peinigen lassen? War doch jüngst eine der vornehmen Damen aus Baden bei mir und verlangte meine Schönheitspillen! Natürlich mußte sie die bezahlen; sie machen die Wangen rot, die Augen glänzend und das Gemüt aller Sorgen ledig!«

Die Frau, die an die Sechzig gehen mochte, fixierte dabei verstohlen ihren Gast.

»Schönheitspillen? Habt Ihr die, Scholastika? Und wirken sie, was Ihr davon rühmt?«

»Nicht daß Ihr sie brauchtet, Ew. Gnaden, wenn Ihr Euch nur nicht so härmen wolltet! Aber schaden tun sie keinem, und Ihr seht blaß und mager aus. Drum solltet Ihr sie versuchen, Fräulein, es braucht ja nur für einen Dukaten zum Anfang, hernach holt Ihr sie mir schon öfter ab.«

»Auch einen Dukaten?« rief das Fräulein von Wiedebar.

»Nicht für einige wenige Pillen, sondern für ein gutes Teil Rosenrot und Lilienweiß! Ihr kennt Euch hernach nicht wieder, Ew. Gnaden«, erwiderte die Alte.

»Ich könnte mich selber verachten, daß ich zu solchen Mitteln greife«, sagte finster die Hofdame.

»Braucht darum nicht so zornig dreinzuschauen, Ew. Gnaden, zu mir kommen die Vornehmsten vom Hofe. – Aber Ew. Gnaden, wißt Ihr denn nicht, daß man bei Hofe sagt, die Frau Markgräfin wolle den Herrn Grafen verheiraten?« fragte die Alte plötzlich.

»Das ist möglich. Für den Grafen Eberstein finden sich reiche Heiraten genug! An das armselige Ding, die Sabine, denken sie nicht einmal; und mir kommt mehr und mehr der Gedanke, er hat freundlich zu mir getan, weil ich die jüngste Hofdame der Frau Markgräfin war. An Liebe und Heirat habe nur ich törichtes Geschöpf dabei gedacht.«

Erregt schlug das blasse Mädchen, welches über die ersten zwanzig hinaus war, die Hände vors Gesicht und weinte. – Sie hatte ursprünglich ein angenehmes Gesicht und kluge Augen, jetzt trugen ihre Züge aber nur den Ausdruck der Verbitterung und großer Aufregung.

»So kommt!« sagte die Alte, »ich will meine Kunst an Euch probieren und Euch die Sprüche lehren. Aber allein müßt Ihr dann hinaustreten! – 's ist nur nirgend ein Kreuz hier in der Nähe als auf dem Grab der Leila!« setzte sie zögernd hinzu.

»Nein, nein! Das kann ich nicht! Dahin bringt mich keine Menschengewalt!« fuhr das Fräulein zurück.

»So ein Grabkreuz hätte besser Kraft! Ich geh' allemal dahin!« überredete die Alte.

»Ich tu's nicht! Ich kann's nicht! Sie sagen die Leila, die Selbstmörderin, gehe um!«

»Sie sagen viel, die Leute!« erwiderte kurz die Scholastika. »Wer weiß was davon!« Und dabei trat ein höhnischer Blick in ihre Augen.

»Schämt Euch, Weib! Ich lese Euch die bösen Gedanken aus dem Gesicht«, sagte die Hofdame erzürnt. »Ihr meint, man habe sie vergiftet?«

»Was Ihr nicht alles wissen möchtet, Ew. Gnaden! Wär' die Leila nicht eine Selbstmörderin gewesen, warum begrub man sie in ungeweihter Erde? Und kannte nicht die ganze Nachbarschaft den Reitermantel, wenn der Träger auch sein Gesicht sorglich verhüllte, so er sich zur Leila schlich? Warum mußten nachher die Fatme und ihr Mann, der Stiefvater der Leila, nach Böhmen? Und redete nicht alle Welt von der Eifersucht der allerschönsten Frau im Lande? O, der Mustapha, der Schleicher! Er trug die Botschaften hin und her, der könnte erzählen!«

»Schweigt, Scholastika! vor Euren Augen könnte mir schier grauen, wie ich den Mustapha auch nie ohne Furcht ansehe.«

»Ja, 's ist lange her, und die Leila liegt still genug unter dem Kreuz, das ich ihr gestiftet habe, der armen Seel'«, höhnte wieder die Frau. »Darum kann Ew. Gnaden unbesorgt hingehen; – sonst müßt Ihr an die Murg, denn das Kreuz muß entweder auf einem Grab oder an einem fließenden Wasser stehen, welches von Osten kommt!«

»So geh' ich an die Murg, Mutter Gesselfeld. Aber sagt mir – ist's wahr, was Ihr aus meiner Hand gelesen? Eine große Liebe füllt des Grafen Herz, nur wagt er nicht, sie kundzutun? Und mein Schicksal wird sich in nächster Zeit zum Guten wenden?«

»Ja, wenn der Mondzauber gelingt, Ew. Gnaden, wird er aber gestört, schlägt er Euch zum Nachteil aus.«

»Wer sollte ihn heute stören? Kein Mensch ist draußen«, sagte die Hofdame.

Die Alte sah gefühllos zu, aber Sabine von Wiedebar bemerkte es nicht.

»Ach, hätte ich meine arme Mutter noch, die ließ mich nimmer solches tun«, seufzte diese jetzt, schon reuig vor der Tat. – Eine Weile schwankte ihr Entschluß, dann aber gewann doch die Verzweiflung wieder den Sieg und sie stand entschlossen auf.

»Laß uns ein Kreuz binden –! Ein Kreuz ist immer kräftig, – wie es auch sei! Ein paar starke Pfähle werden wir von den jungen Obstbäumen nehmen und einen Strick wirst du haben«, schlug sie vor.

Etwa eine Viertelstunde später, nachdem sie ihre Hand der Alten hingehalten und diese, unter anscheinend sorgfältigem Forschen in den Linien derselben eifrig mit ihr geredet und sie dann allerlei Geheimmittel von derselben empfangen, leerte sie den Inhalt ihres schmalen Geldtäschchens in deren offenbar der Arbeit nicht gewohnte Hand und verließ dann allein die Hütte, ein großes Kreuz aus zwei übereinander gebundenen Pfählen in den Armen tragend. Die Frau blieb zurück und sah ihr nach, sagte aber kein Wort mehr, um den schon beginnenden Zauber nicht zu stören. Erst als die Hofdame am Ufer stand, trat sie in das Haus zurück.

Sabine von Wiedebar trug selber ihre Last bis an das Ufer der Murg.

»Fließend Wasser muß es sein! Von Ost muß es kommen!« murmelte sie.

Dann grub sie bei dem unsicheren Lichte, welches rings umher sich durch den Mondschein hinter den Wolken verbreitet hatte, mit vieler Mühe vermittels eines alten Messers, welches die Scholastika ihr mitgegeben, ein Loch in den vom Regen aufgeweichten Grund, pflanzte das Kreuz hinein, befestigte es mühevoll mit schweren Steinen, die in der Nähe lagen, zog allerlei Kreise darum und erhob sich dann von den Knien, um zum Himmel aufzublicken und den Moment zu erspähen, wo der Mond einmal wieder sichtbar wurde.

Der Sturm fuhr auf sie ein und zerzauste ihr Haar und ihre Kleider, aber sie schien es kaum zu merken, so angestrengt starrte sie empor zu den jagenden Wolken, die nur verschleiert ab und zu den Vollmond zeigten.

Zu ihren Füßen brauste und gurgelte und gluckste das Wasser der Murg.

Zuweilen hielt der Wind, wie um neue Kräfte zu sammeln, inne, und dann hörte sie, wie er weit, weit über die Berge daher schnob, näherkam, um sie herumtoste und weiterraste, – immer weiter – bis er in der Ferne erstarb, um gleich darauf von einem neuen Stoße gefolgt zu werden.

Sabine von Wiedebar wartete und wartete.

»Ich muß es erreichen!« flüsterte sie mit bebenden Lippen und dennoch fest entschlossen. Endlich! – Da tauchte des Mondes liebes, silberglänzendes Gesicht hervor und ringsum ein Stückchen wolkenlosen Himmels. Sabine von Wiedebar trat schnell an das Wasser. Sie bückte sich nieder, schöpfte ohne Rücksicht auf die furchtbare Gefahr, der sie sich aussetzte, mit der Hand Wasser aus dem Flusse und warf es dem Monde zu, daß die Tropfen funkelnd im Mondenstrahl zurückfielen und murmelte dabei, die Geister um Hilfe bittend, leise einen Spruch. Wieder beugte sie sich zum Wasser hinab, warf abermals die Tropfen dem Monde zu und sprach einen zweiten Spruch.

In ihrem Eifer und ihrer Aufregung hörte sie nicht, daß drüben auf dem Sandwege ein Reiter sich nahte. Dieser aber hatte schon von weitem die hell beschienene Gestalt und ihr sonderbares Tun bemerkt.

Er hielt das Pferd an.

Sabine beugte sich zum dritten Male auf das Wasser nieder.

Da hörte sie nahe bei sich das Schnauben eines Pferdes, das Klirren von Eisen am Geschirr.

Sie erschrak und glitt aus; ein gellender Schrei von ihren Lippen – ein entsetzter Schreckensruf von denen des Reiters.

Aber sie hatte sich im letzten Augenblick an dem von ihr in die Erde gepflanzten Kreuz festgehalten, die Steine hielten es glücklicherweise; – schon stand sie wieder auf den Füßen, taumelnd zwar, aber doch von dem elenden Wassertode bewahrt.

»Um Gottes willen! Ist es möglich? Seid Ihr's, Fräulein von Wiedebar, oder ist's ein Geist?« rief eine ihr wohlbekannte Stimme von der andern Seite des Flusses, und da hielt der Reiter – sie sah den Schrecken in seinen Mienen – sie erkannte ihn im hellen Mondlicht.

Mit einem neuen, jetzt aber erstickten Schrei raffte sie sich empor aus dem entsetzten Anstarren des Landvogts von Laudrum, des strengen Verfolgers der Hexen im Lande.

Von Schrecken gejagt, raffte sie sich, ihren Kopf instinktiv in ihrem Tuche verbergend, auf und stürzte querfeldein davon, nach dem Parke zu. Der aufgeweichte Grund hinderte sie, Steine machten sie stolpern, sie raffte sich auf und lief in atemloser Hast weiter. –

Endlich war sie am Park, mit keuchender Brust lehnte sie an einen Baum. Ihr Herz schlug wie ein Hammer, ihre Gedanken jagten schneller als die nun wieder den ganzen Himmel verdunkelnden Wolken.

Hatte der Landvogt sie erkannt?

Er war es, der die Scholastika Gesselfeld schon zweimal hatte torquieren lassen. Freilich, das Weib war zähe und furchtlos gewesen, und Markgräfin Sibylla gestattete die Anwendung der höheren Foltergrade nur in äußersten Fällen. So hatte man die Verklagte laufen lassen, ihr aber das Stadtgebiet von Rastatt und Baden verboten.

Eben beruhigten sich unter solchen Gedanken ihr Herzschlag und ihre Lungen, als sie plötzlich, kaum zwanzig Schritte entfernt, sich etwas bewegen sah; – eine dunkle Gestalt – ein halbumgesunkenes Kreuz erkannte der geschärfte Blick. Sie fühlte ihr Haar sich sträuben.

»Herr Gott! Das Grab der Leila? War sie es selbst, welche da aus der Erde emporstieg? Richtig, das war die Stelle! Just wo der Kuppenheimer Stadtwald an den Park herantrat.«

Die Gestalt kam auf sie zu.

Von neuem Entsetzen gepackt, stürzte die Hofdame nach dem Eingange des Parks und in diesen hinein.

Der wohlbekannte Weg war kaum zu verfehlen – ein Streifchen matten Lichtes erhellte ihn momentan, und als sie sich voll Grauens umblickte, sah sie zu ihrer unaussprechlichen Erleichterung sich allein.

Sie trat in die Gartenanlagen – da lag das Schloß – aus allen Fenstern schimmerte ihr Licht entgegen. Auf dem großen freien Platze vor demselben flackerten vom Winde heftig bewegte Pechflammen auf hohen Kandelabern.

Vor dem geschlossenen Portal standen die Wachen, sonst war keine Seele zu sehen, nur in den seitwärts liegenden Ställen bemerkte sie, daß die Knechte beschäftigt waren, auch dort die Türen zu verschließen.

Sachte und scheu schlich sie nach einer Seitentür des Schlosses und dort die Dienerschaftstreppe hinan bis in den Oberstock.

Niemand sah es, wie sie so abgehetzt, mit beschmutzten Kleidern und ganz verdorbenen Schuhen in ihrer Tür verschwand.

Am liebsten hätte sie sich, halb ohnmächtig, wie sie sich fühlte, auf ihr Bett geworfen, aber nicht nur war dies ihrer Kleider wegen unmöglich, sondern sie wußte auch, es blieb ihr nur eben Zeit, sich neu frisieren zu lassen und den Anzug zu wechseln.

Und jetzt erst fiel ihr ein, daß Scholastika ihr gesagt, der Zauber dürfe nicht gestört werden, sonst bringe er ihr statt des Glücks nur Unglück.

Und er war gestört. – – – –

Der Landvogt von Laudrum, ein Mann in den Vierzigern, hatte der fliehenden Gestalt nachgesehen, solange er konnte.

»Es ist das Weib, die Gesselfeld. Wie konnt' ich nur denken, die Wiedebar zu erkennen?« sagte er sich dann. Die schlanke anmutige Sabine hatte doch wahrlich nichts gemein mit dem Behaben dieser Person, die schreiend vor ihm entfloh mitten durch den aufgeweichten Acker. – Aber er wollte diese tückische Hexe, die Scholastika, schon fassen.

Er hätte gar zu gern gewußt, was dies verhaßte Weib dort drüben am Ufer, so nah an ihrem Hause, gemacht.

Heute mußte er indessen sein Roß gen Rastatt wenden. Die Fenster der Favorite lockten ihn mit ihrem hellen Schein vergebens, morgen wollte er hin, er konnte dann auch mit der Frau Markgräfin ein Wort über die Scholastika reden.

Es war eine Schande! Die Herren und Damen des Hofes sollten ihre besten Kunden sein.

So ritt er weiter und dachte dann traurig an seinen einsamen Witwerstand. Er hatte letzthin gemeint, sich wiedervermählen zu sollen, Sabine von Wiedebar schien ihm die Rechte dazu; aber da flüsterten die einen ihm zu, die Wiedebar solle ihren kürzlich verwitweten Vetter, den Freiherrn Rudolf von Wiedebar, nach ihres Vaters Wunsch zum Manne nehmen; da kamen die andern, ihm zu erzählen, die Sabine liebe den Grafen Eberstein. Solche Gerüchte machten den noch immer trauernden Landvogt scheu, und heute dachte er an dies alles nur, weil er gemeint, die Sabine zu erkennen. Welcher Tor er war. Die kluge Sabine, die an all solchen Unsinn gar nicht glaubte.


 << zurück weiter >>