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Vierter Teil

Erstes Kapitel

Ohnmächtig fanden sie Olga am Abend des Tages zwischen den Zweigen. Im holprigen Wagen brachte man die Mörderin zum Gefängnis.

Im Untersuchungsgefängnis lebte Olga lange. Vertierend, ruhig, im Dämmer, im Dunkel, im Schlaf.

Aus Raserei wanderte sie durch Stille, Finsternis, von lässigen, weichen Händen liebkost, zurück zur Raserei.

Lange ruhte sie, um am Ende der Zeit sich selbst zu zertrümmern.

Lange umfriedet, zur Vernichtung bestimmt.

Jetzt strömten an ihr wie leerer Atem an festen Gestalten, Drohungen, Fragen, Verhöre nieder, Urteil und Strafe. Nichts von allem griff die Verwandelte.

Verwandelt wurde alles an ihr.

An ihren Händen und Füßen, früher wie Perlen ohne Spitzen silbern gerundet, ließ sie lange graue Krallen wachsen, verbarg sie allen. Es entstanden ihr Wunden in der Innenfläche der Hand. Nach innen gekrampft hielt sie die Finger. Wie schwere Gewichte, Klumpen aus blassem Fleisch und grauen Krallen, hingen an den schwindenden Armen die Hände.

Die milchweißen Füße glänzten nicht mehr.

Struppig verfitzt, zottelte ihr das Haar in die Stirn, das langhinrollende Gelock verdeckte ihr die Augen, ein heimlicher Fächer, hinter dem sie mit flackernden Lichtern die Mitgefangenen anfunkelte, schweigend, tief atmend.

Grau geworden war ihr Haupt durch den Staub, durch den Mörtel der Wand. An der Wand rieb sie ihre Stirne durch Stunden, sie suchte Berührung, Helligkeit, einen geglätteten Spiegel, darin wiederzuglänzen, sie selbst.

Ihre Augen hinter dem Haar glitzerten immer von Licht, selbst nachts. In enger Pupille sammelte sich das Licht, heimlich öffnete es sich zu grüner Feuerhöhle, dem smaragdnen Nachtauge der Tiere.

Verzerrt war ihr Augenstern, eine schwarze Mondsichel, nach innen gebogen.

Nach den Tagen im Hause 37 war lange Ruhe in ihr, auf lange gestillt das Toben, ausgekühlt das Rasen der Hände.

Sie lebte als Tier, sie träumte als Mensch.

Michalek träumte sich ihr ein. Mit ihm schaukelte sie am Tage nach der ersten Nacht, in junger, üppiger Schönheit, auf dem Nachmittagssee. Unter schwarzseidenem Schirm, von langen Fransen umgittert, lehnte sie im wiegenden Kahn, am zuckenden Stern, unter ihr zischte das Wasser, zitterte nach in den feuchten Schnüren des Steuers, ihr zwischen den Händen. Vor ihren Augen breitete sich, ungeheuer gewölbt, seine bloße Brust, erglänzend im ersten Schweiß, in goldiger Sonne, wie Honig so gelb, es weiteten sich mit den Rudern im Takte seine starken Arme, um sie heranzuzwingen, noch einmal, sie zu umkreuzen, aber langsam schwärzte sich schattig der See, ziehende Ströme, wehende Weiden, rauschendes Schilf, nächtliche Unken, Schlaf träumte Olga im Schlaf.

Von Franz träumte Olga, sie aß Weintrauben mit ihm, die große, tausendjährige Traube, die einmal in ewigen Zeiten reifte im himmlischen Sommer. Es brannte die Sonne, weiß auf blauversunkenem Himmel, die Schalen der Beeren zerplatzten, die Liebenden aßen gemeinsam an der übermenschlichen Frucht, von einem anderen Ende ein jeder, immer naher die Lippen, immer süßer der Saft, aber noch lange kein Ende, zu weit noch die Lippen entfernt, die nackten, enthäuteten Beeren tropften zur Erde, dumpf wie Tropfen von Tränen oder Blut, weiß oder rot, nicht zu erkennen im Dunkeln, sie aber suchte ihn nicht, hinter ihren Lippen hatte sie den Geschmack seiner Küsse, da waren sie immer ihr eigen. Sättigung träumte Olga im Schlafe.

Sie träumte sich lange schon tot. Bestimmt zum Begraben. Man wusch ihr die Hände, kämmte ihr die langen Haare, die Nägel schnitt man ihr, damit sie beim letzten Ankleiden nicht das weiße, heilige Totenkleid zerrissen, das Hochzeitskleid, denn im Grabe sollte sie getraut werden mit ihm. Auch in seinem Haare wühlte der Totenkamm, aus seiner grauen Haarflut kämmte er weiße Flaumfedern, Schneeflocken, ihnen zur Kühlung nach heißem Leben, eine weiß knisternde Decke aus silberner Seide, aus lauterem Silber in der Grabkirche unten. Schon sah sie sich in ihm gespiegelt, ihn neben sich gelagert, ihnen beiden war still, warm, heilig und Frieden, aber es drängte sich die andere nieder zwischen sie, die früher Gestorbene.

Sie erwachte, wehrte sich, fesselte sich: sie hielt sich mit den Händen fest an den Beinen, mit dem Kopfe hütete sie wohl die jagende Brust über dem zornigen Herzen, sie fesselte Olga an Olga.

Sie hielt den Atem an, rührte sich nicht, zitterte nicht, regte sich nicht.

Sie blieb geklammert zwischen Erde und Hölle, in der Mitte, noch einmal dem Grabe enthoben, noch einmal mit Traumen gesättigt, erfreut und getröstet. Aber warum sprang ein Funken hervor, dort knisterte es, noch nachts machte sie sich auf, sie mußte das gute, warm schützende Traumhaus verlassen, sie stieg aus dem Traumgrab, in der engen Zelle wanderte sie eilig umher, auf schmerzhaften Füßen, horchend an den Türen, den anderen Gefangenen ihr Ohr an den Mund, bis sie erwachten, man wollte sie halten, man wollte sie küssen, sie lauschte hin, unter fremdem Atem rauschte der Vorhang ihrer Haare, aber sie sprachen in fremden Sprachen, sie hielten sie mit fremdem Händen, sie flatterte fort, huschte in die Ecke, abseits vom Mondlicht, in den finstersten Winkel.

Morgens wollte sie nicht aus dem Bett, verhängte noch dichter die Augen mit den angepreßten Händen, sie klammerte sich mit aller Gewalt an die Pfosten.

War sie allein, am ruhenden Morgen, so schlich sie hervor, wippte lange Stunden auf dem Stuhle, lächelnd ohne Unterlaß spielte sie Schaukelstuhl, sie spielte den guten Doktor zurück, das kleine weiße Haus, die sommererwärmte Brüstung am offenen Fenster, das Zimmer im grünen Resedaduft, das Kleid im roten Seidengeraschel, den Staub in der Luft, die weite, fruchtbare Ebene.

Und nachher betete sie mit ihren eigenen Fingern den Rosenkranz. Sie führte einen Finger nach dem anderen betend zum Mund, sich selbst zu küssen, sich selbst zu segnen, aber nie gelang es ihr.

Der Perlen waren nur wenige, nie reichte es zum vollen Gebet.

Der Gefangenenwärter hielt sie für verstockt, verbrecherisch, ganz entmenscht. Strenge sprach er zu Olga, die lächelte, verzückt. Denn gerne hörte sie Sprache, mit Freude lauschte sie menschlichen Stimmen. Wunderbar war ihr Musik, der Leierkastenklang in der Ferne, selbst Lärm, das Teppichklopfen im Hofe.

Am Tage nach der Verurteilung zu drei Jahren Kerker und Dunkelhaft nahm die Zellengenossin weinend Abschied von ihr.

Olga stand steinern da. Mit ihren verkrampften Händen rührte sie leise der Genossin an die schluchzende Kehle, vibrierte mit dem Zittern der Kehle; die Haut des Mädchens war warm. Alles still in der Zelle.

Mit Wollust saugte sich Olga, geklammert zwischen Erde und Hölle, in den Laut menschlicher Sprache.

Nie sprach sie selbst.


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