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Siebentes Kapitel

Franz!« gellte Mizzis Stimme.

An der Türklinke wurde gerüttelt, gelb zuckte sie, wild bewegt, im grünen Dämmer des Zimmers, mitten in die Liebe, mitten in den himmlischen Traum.

»Olga, bleib nur, Olga, schlaf!« flüsterte Franz und breitete die Decke über sie. Aber Olga stampfte auf der Decke, die seidenknirschend unter ihren Füßen sich bäumte. Entrissen dem friedlichen Paradies, der stillenden Wärme: weiß wie weißzischendes Gluteisen schleuderte sie sich im Bogen zur Tür.

»Halt!« schrie Franz.

Aber schon hatte Olga die Türklinke gepackt, mit ehernem Griff das kalte Metall zu umklammern. Draußen konnte Mizzi an die Klinke sich hängen, sie beugte sich nicht.

Mizzi schlich fort.

Klirrend in Lachen, schwarz das Haupt behelmt vom dichten Haar, so kam Olga zurück.

»Du! Wie die Tür, so packe ich dich!« Sie riß ihm die Decke weg, zwischen ihre Hände nahm sie seinen Hals, sehr lind, zu vollkommen hohlem Kreise geweitet, so umfaßte sie seine schwer schlagenden Pulse.

»Sieh mich an!« sie küßte sein Gesicht, die dicken, tief herabgelassenen blauen Lider der Augen.

»Augen auf! Schlaf nicht!« Mit ihren harten glutgeschwellten Mädchenlippen zog sie ihm das Augenlid in die Höhe, über die Rundung des Balles, über das kleine glatte Gewölbe schmiegte sie ihren Mund hin. Sie fühlte, wie es unter ihr sich drehte, zart bebend.

»Sieh mich an! Ich bin es, Olga! Ich, Olympia! Nur ich, niemand sonst darf zu dir. Nur ich kann zu dir. Ich habe dich geliebt, ich habe dich geküßt!«

Sie ließ ihn los. In düsteren Flammen glühten ihre Augen, sie schlug die Fenster zurück. Blendend krachte die erwachte Sonne nieder auf ihren nackten, glühenden Körper.

Strotzend erhoben sich Hügel und Berge.

Sie kniete nieder, ihr Haupt ihm auf die Brust zu legen, ihr elfenbeinernes Kinn zu stützen auf seine Herzgrube, wo vergraben unten sein Herz sich regte, Grün im Tapetenglimmer des Zimmers schillerte seine Haut, in langen Wellen gleitend unter ihrer Last. Sie hauchte ihn an, aus nächster, geliebtester Nähe, mit reinem, heißen, trockenen Atem.

»Spürst du es? Weißt du es? Es brennt in mir! Das warst du!

Die Mizzi muß jetzt fort, sonst wird es sie erschlagen! Da packe meine Hände, halte sie, kannst du mich fesseln?« Sie gab sie ihm hin: schwammig und locker umfaßten seine blauen Säuferhände ihre lichten Gelenke, die faltenlosen. Aber mühelos mit ganz gesättigter Kraft riß sie sie ihm auseinander, mit ganz gelösten Fingern strich sie ihm durch das Haar.

»Deshalb lass' sie fort. Ich tue ihr nichts, nur soll sie fort, heute noch, bald! Franz, manchmal, da hat es mich, mich selbst könnte ich zerfleischen!«

»Und was sie verdient?«

»Mich zerreißt es! Mich!«

»Was sie verdient?«

»Was die verdient? Aber ich! Weißt du, wer ich bin? Du weißt es!

Du, ein Krüppel am Morgen und jetzt!

Ein kaltes Stück Eisen und jetzt?

Ein kratziger Greis, ein unfähiger Pfründner und jetzt!

Du, ein Richard am Morgen. Jetzt der Franz! Franz!«

»Aber das Geld!«

»Deine Unschuld habe ich heute herausgerissen aus dir und du fragst nach Geld?«

»Wer wird 100 Kronen verdienen wie sie?«

»Und ich? Millionen! Millionen habe ich gebracht!«

»Wo?«

»Im Kleid!«

»Das hat dir geträumt! Wer läßt eine Million in den Kleidern?«

»Du hast sie am Morgen gesehen!«

»Nichts habe ich gesehen.«

»Zwei Hände voll habe ich gebracht. Auf die Schöße vom Rock habe ich sie gebreitet!«

»Kann sein. Kann sein, auch nicht. Papiere habe ich gesehen. Ob es Geld war, habe ich nicht gesehen.«

»Auf!« schrie Mizzi, wieder hinter der Tür. »Wer ist bei dir? Wer wispert bei dir? Die Olga ist es! Sofort heraus mit ihr. Das war das letzte Mal. Ich schmettre sie an die Wand!«

»Laß sie schreien,« sagte Franz, »sie ist leicht aufgeregt, aber das beste Herz von der Welt. Du mußt dich mit ihr vertragen. Du bist das Mädchen, sie ist die Frau. Von ihr bekommst du alles, Brot und Lohn.«

»Und was bekommt sie von mir? Laß mich heraus!«

»Wozu das Geschrei? Vertragen mußt du dich, sonst kannst du nicht bleiben. Menschen find wir alle!«

»Heraus! Heraus!«

»Heraus? Ja, aber dann aus dem Haus!«

»Heraus!«

»Und in dem Anzug?«

Olga, von unendlicher Angst beschwert, von unendlicher Wut gebläht, riß aus dem Schrank einen langen braunen Uniformmantel. Etwas schlug ihr an die Schenkel mit Macht. Ein langes Stück Eisen. Der Revolver.

»Achtung! Geladen! Weg damit! Komm zu dir! Bist du bei Verstand? Wirf ihn in die schmutzige Wäsche – und dich dazu!«

»O du! Franz!«

»Schon wieder ›Franz‹! Mit meinem eigenen Namen könntest du mich vergiften, wenn du ihn so rufst! Bleib oder fahr ab, nur schrei nicht! Deine Million kannst du dir auf die Reise nehmen. Such' dir sie nur, wo du sie findest. Aber in Ruhe. Daß du tollwütig bist, sieht ein jeder. Daß alles nur ein Traum ist, sagst du selbst.

Entweder Ruhe oder fort!

Dich selber willst du zerfleischen, wer soll dich zur Braut nehmen?

Die Augen zerreißt du mir mit dem Mund, welcher Gast läßt sich das gefallen.

Geh nur zu deinem Millionär!

Hier ist ein ordentliches Haus!«

Namenlose Angst trieb Olga fort. Sie stürmte hinaus, sah nicht, wie Mizzi, fettglänzend mit ihrem fast handflächenglatten Gesicht, in das Zimmer hineinglitt.

Olga stürmte empor auf endloser Treppe. Nie war ihr die Treppe, die sie oft und oft, Jahre lang, Nacht für Nacht erklettert hatte mit den Gästen, so hoch erschienen, mit so zahllosen Stufen wie jetzt.

Endlich umfing sie das Mädchengelaß, das ruhige Atmen der andern, das Schlagen des Regens gegen die Fenster. Die Sonne war versunken. Weich dämmerte es in dem großen Gemach.

Die Kleider, der Koffer, alles schien unberührt vor dem Bette zu liegen. Sie bückte sich, suchte das Geld. Die Mädchen erwachten. Müde in den Augen grabend, lugten sie schief hinüber, zischelten leise.

Ganz gebückt kauerte Olga. Die Knie bohrten sich ihr in die Brust.

Sie riß die Augen auf, klammerte sich, von innerem, fressenden Feuer geschüttelt, an die Uniformknöpfe des militärischen Mantels, an den Revolver, dessen Form durch den Stoff plump durchzutasten war.

In ihr brannte es unerträglich.

Sie blickte umher, blickte auf die plötzlich gelösten Hände, in denen kein Blatt Papiergeld war, kein Blatt aus dem Gebetbuch der höllischen Litanei raschelte ihr zwischen den weißen, eiskalten Fingern.

Schwäche tastete sich süß empor, ihr war, als könne sie bald, im nächsten Augenblick schon zurückversinken in die Olga des himmlischen Traums.

Noch rann ihr das Haar um die Schultern. Wie ein stürzendes Wasser brach die Welle des Gelocks nieder auf die Kauernde, peitschte ihr die Brüste, schlug wie ein schwarzes Segel im Sturm an ihre harten Hüften, von außen wehte es sie an, aber nur mit eisigem, frierendem Atem, mit tausend Armen umfaßte sie der gewaltige Mann, aber nur mit Schmerzen, mitten durch die Millionen Haare drangen seine Millionen Finger, aber nur mit Weh und mit Peitschen, jede Peitsche wie ein Haar so dünn, zu unerträglichen Schmerzen. Aus den Augen rann es ihr, zwischen den Fingern tropfte es hin, das Wehwasser, auf das rotseidene Kleid im schwarzen Koffer, auf den grauen feucht eisigen Boden.

Olga, in doppelter Gestalt: die gute Seele sah sie, den schwachen stillen Mann, den andern, das gute weiße Haus, das andre Haus, weit aufgetan für die geheilte, von Michalek befreite, gesunde Olga, mit dem blassen Munde redete er, nur unhörbare Worte entströmten seiner gelben, rotgestrichelten Brust, aber seine Hand, dünngliedrig und fein, faßte sie an, ganz klein schmiegte sich Olga in die tausend Fasern, vergrub sich in ihren Schutz, zart, wie Spinnweben in Strahlen gegliedert.

»Aufstehen, Menscher, auf!« kreischte Mizzis zerstörte Stimme.

Schon raffte sich Olga empor, von neuem durchkrampften ihre Hände die Kleider, die Schnüre des Rockes, die Halseinfassung des Leibchens, den Erdboden scharrte sie, den feuchten, mit seinen rissigen Furchen.

Hilflos, verloren sah sie auf. Die Mädchen kicherten. Das Geld war verschwunden.

Mit einem Sprung setzte Olga hin an das rotgedeckte Bett, das bauschig getürmte, mit ihren starken Armen riß sie Kathinka, die alte, aus ihren Kissen, schleppte sie zu dem Kleiderbündel, drückte ihr den Kopf, den sie festhielt an den kurzen Haaren, in das Gewühle hinein.

Kathinka schrie, gemartert durch den bösen Griff.

»Schrei nicht! Schrei nicht! Suche mein Geld! Suche das Geld!«

»Lassen Sie mich los! Was habe ich getan? Laß los!« Sie wollte aufzuckend sich dem Griff mörderischer Hände entreißen, aber aus Olgas Augen schlug so Fürchterliches hervor, daß sie stumm weinend sich bückte, um das Geld zu suchen.

»Olga, erkennst du mich nicht? Olga ich halte es nicht mehr aus!«

»Gib das Geld zurück!«

»Ich halte es nicht mehr aus!«

»Mein Geld!«

»Ich bin es ja nicht!«

»Wer?«

»Mizzi!«

»Welche Mizzi?« schrie Mizzi an der Tür.

» Du ! Satan, du!« heulte Olga.

»Ah, eine Sängerin ist unsere Olga geworden, du singst ja wie im Theater!«

Dumpf aufbrüllend warf sich Olga gegen das blonde weiche Geschöpf, aber der Revolver, schwer in der Tasche baumelnd, verfing sich zwischen ihren Beinen.

Mit Macht, mit tausend Schrecklichkeit, der furchtbare Mörserschlägel der Träume, fuhr er ihr wie eine Keule in die Eingeweide.

Weithin überflutet von grauenhaftem Schmerz, stürzte Olga hin in heiße Finsternis!

»Aber Schatz, steh doch auf! Warum kniest du auf der Erde vor mir?«

»Betest du zum Satan? Olga?«

»Mein Geld, mein Geld zurück!«

»Du, Geld? Woher hast du jetzt schon Geld, bevor die Gäste da sind? Mir bist du Geld schuldig, du stehst schon im Buch!«

»Mein Geld! Bei der heiligen Mutter Gottes Geld!« keuchte Olga. »Es ist nicht für mich, es ist für das Heilige, es ist für die Kirche! Es ist für mich, es ist für dich, Frieden zu kaufen, beim lieben Gott, Gebete zu erflehen. In die Kirche muß der ganze Lohn, ich habe es versprochen, ich muß es halten, mich hat es verflucht. Ihn hat es verflucht, dich hat es verflucht! Das Gesicht hat es dir zerfressen, unter dem Vaselin bist du eine einzige Wunde! Gib es mir nur zurück, alles wird heilen, alles wird dir verwachsen! Gib mir das Geld!«

»Aber zuerst gib du das Geld zurück! Du hast uns immerzu bestohlen, die Bücher gefälscht, den Herrn berauscht und dich vollgefressen an unsern Groschen!«

»Mizzi, Satan, gib das Geld zurück!

Satan, warte, es hat mich!

Satan, warte nicht, sonst ist dein letzter Tag!

O, Satan, wie ist mir leicht, wie ist mir gut!

Jetzt reißt es in mir, jetzt wird es kommen.

Satan, jetzt schlagt es dich nieder und tot!«

Höhnisch lachte Mizzi. Kichernd glitt ihr in Perlen das Lachen aus den nackten Nüstern.

Noch bebte Olga zurück, den Revolver zwischen den Schenkeln.

Es lockte sie mit langem, süßen Ruf, endlich hatte sie Gewalt in sich, endlich hatte sie es da, in Eisen geschmiedet. Der eiserne Revolver, geladen mit Feuer, mit Zorn, endliches, endloses Loskrachen maßlos zusammengepreßter Wollust.

Noch hielt sie an sich, hatte Angst vor dem Blut. Niedergedrückt von dem schweren Metall, zitterte ihr versagend die Hand.

Michaleks Stimme von unten: »Irma, Hertha, Lona, Kathinka! Gäste! Herunter!«

Die Mädchen verschwanden. Mizzi blieb allein an der Tür.

» Barmherzigkeit ! Mein Geld!« flüsterte Olga.

»Marsch, Olga geh! Hure, geh huren!«

»Mein Geld!« Hoch trillerte die Stimme, frei gelöst, in Vorfreude zitternd.

»Aber such' es dir, Olga! Beim Herrn hast du es vergessen. Fische es heraus! Im Nachtgeschirr wird es schwimmen. Mein letztes Wort!

Herunter, Mensch! Mensch du, herunter!«

Unendlich eingepreßte Wollust krachte los aus Olgas Hand.

Olga wogte zurück, wurde leicht, wie spielend, wie geschaukelt von süßem Traum, von seinen Mündern überallher eingesaugt.

Nackt kauerte sie, zurückgeworfen, wie zur Verführung, ihre Fersen aufgestemmt gegen ihr Fleisch, strotzend die Brüste hoch, nach rückwärts in selige Finsternis ihr Haupt.

Zeit ohne Ende. Ihr Körper, weiß, unendlich im Raum.

Ein leicht rosenroter Vorhang senkte sich. Sehnsüchtig nach der eben getrunkenen Wollust streckte sie sich, beugte sich vor, ein straff gespannter Bogen, drückte noch einmal los und noch ein letztes Mal.


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