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Zweiter Teil

Erstes Kapitel

Und doch lebte Olga weiter, lebte es weiter in ihr. In dem Müßiggang der Sommertage, gewaltsam wuchs da Früheres, unaufhaltsam trieb es, wuchs mit Schmerzen wie eine böse Geschwulst.

Endlos brüteten die Tage, wütend brannte die Sonne. Mitten hinein in die stärkste Glut zog es Olga, in den mittäglich gleißenden Staub. Nach matt blinkenden Metallklinken griff sie, nach schwarzen Gittern, deren Rost in der Hitze sich rötlich abblätterte und die dunkel standen neben dunklem Grün, eingebrannt von der Hitze des Tages.

Endlos schienen die Tage. Sie wollte immer unter Menschen sein, anstoßen an Lebendiges, auch wieder einmal plaudern, lachen, sich austoben, sie mußte endlich Ruhe haben vor sich selbst, ausspannen, ausgespannt sein im Gespräch, im Leben, in der Berührung von Menschen; aber mit Menschen zu sprechen war ihr fremd.

In dem Badeort schloß sie sich alten Leuten an, einem hochbejahrten, fast zerbröckelten Ehepaar. Gleich ihr drängten sich die alten Leute an die Pfosten des Musikpavillons, sie wollten die Musik recht nahe haben, keuchten vor Gier nach Lärm, öffneten hungrig den Mund, hungrig nach dem Schrillen der trillernden Flöte, nach dem tiefen Sausen des Cellos. Sie lächelten einander ängstlich zu, mühselig die Lippen auseinanderziehend, vom Alter versteint; lange nachher noch klaffte der Mund groß unter den ängstlichen Augen. Sie winkten dann geheimnisvolle Zeichen: die Musik war ja so laut, ganz wie in alten Tagen, wenigstens heute mußten sie nicht Taubheit fürchten, vor der sie zitterten, wie vor dem Tod. Mit ihren kleinen, dunkel ausgedorrten Fingern tasteten sie nach dem Holze des Pavillons, das heiß und hell von der Sonne, leise vibrierte im Brausen der Töne ... Wenn sie dann nach Hause schlotterten, wie glänzten ihre ausgeblaßten, ringsum wie in weißen Stein gefaßten Augen in der Wonne des Lebens, im Schimmer des letzten Tages, der seit Jahren nie dagewesenen Glut dieses Sommers; vom zahnlosen Mund glitzerten gute Worte herab, Sprüche, rührselige Anekdoten ohne Zahl.

Olga lauschte stumm entzückt. Tief atmete sie den Geruch des erhitzten Asphalts, den Brandgeruch des Grases, das sich erblassend kräuselte in der Sonne. Wie leuchtete ihre niedrige, faltenlose, elfenbeinerne Stirn, dunkel wie flüssiger Teer gleißten ihre Haare unter dem schwarzen Helm ihrer Haare.

Gerührt sah sie die uralten Leute an, folgte ihnen, strahlend in der unzerstörbaren Glut ihrer Jugend, sie wehte mit, mit der langen Schleppe der alten Frau, folgte mit dem Ohr dem grauen Gestammel des alten Herrn; nie, dachte sie, würde ihr eigenes Haar ganz so schäbig werden wie das der Greisin: niemals würde es grau und brüchig herabfallen unter verstaubtem, glimmerglänzendem Hut wie Mörtel von einer alten Kasernenwand.

Diese Menschen taten ihr gut; wohl waren es alte Ruinen, aber auch sie war ja das Versorgungshaus schon einmal gewöhnt, das Ärgste war überstanden, noch lange würde sie dahinleben in Ruhe, bis sie ein wenig den zwei alten Leuten glich, die ihr auch da vorausgingen, deshalb beruhigten sie sie so tief; und Olgas Mund, endlich nicht mehr in völliges Schweigen gekrampft, lächelte jetzt über Worte, »mein Kind, mein kleines Herzenstöchterchen«, sie belustigte sich an Käfern, die von der grauen Hutkrempe der Greise herabfielen, an Kindern, die sich vor ihren Füßen braungebrannt im Staube wälzten, an Vögeln, die schrille Schreie hatten, wenn sie blaugrau schimmernd, niedrig über ihr die Luft durchzuckten, knapp vor dem Regen ...

Nach den Regentagen war Olga von neuem allein, denn die zwei Alten erkannten sie nicht wieder.

Hungernd in der Begier nach Reden, in der Begier nach menschlicher Berührung, hatte sie ihnen die Hand entgegengestreckt, aber die Alten starrten gläsern, zögernd griffen sie nach der Geldbörse, stammelten ratlos, flackerten in ihren gelben rohseidenen Gewändern schnell in den Schatten, unsicher, ärgerlich kreischend, in ratlosem Zickzack, da keines von beiden wußte, wohin.

Abends stieß Olga, halb blind dahintreibend, einen Herrn in weißem Flanellanzug an. Der Herr lachte, hängte sich sofort ein, drängte sie mit harten Ellbogenstößen gegen den Wald, versprach »etwas besonders Schönes,« wenn sie dafür ein »braves Mädi« sein wolle. Sie wandte sich mit starrem Lächeln ab von ihm, der Geruch seiner Hände, mit denen er sie zu streicheln versuchte, hatte sie an den Geruch des Siebzehner-Tabaks erinnert, der stets Michaleks Hände umgeben hatte. Fröstelnd überkam sie die Erinnerung, mit Gewalt drängte Michaleks Bild vor.

Unvergessen, mittäglich klar brannte von neuem die Wut böser Träume.

Franz, schmählich wie ein Weib die Maschine tretend.

Franz, röchelnd im Schmerz, den Mund, den immer nach Siebzehner-Tabak riechenden Mund aufgerissen durch eine eiserne Zange, Franz, gemartert, bis er schrie ... Meinte sie es wirklich böse? Es geschah ja auch das nur ihm zuliebe, mußte sein, damit er schrie, damit er Olga wiedererkenne, daß er sie aufnehme zu sich auf immer, damit er die andere, Mizzi, das schlechte Mensch, verstoße!

Sie zitterte, ganz verstört. Blickte mit wütenden, brennenden Augen umher, suchte den Herrn im weißen Anzug, aber der Herr wich ihr aus, blieb hinter ihr zurück, scheinbar um eine Zigarette anzuzünden ...

Dumpfe Pläne von Rache wollten nicht in ihr verlöschen.

Wenn sie allein war, wenn alle, selbst Zivilisten, alt und jung, vor ihr kehrt machten, dann durften auch die andern, Mizzi und Franz, nicht zusammenbleiben und heimlich über ihr Mißgeschick lachen.

Die Mizzi, die war ja zur Bestie geboren, die tat es zum Vergnügen, Gott zum Trotz. Olga wollte jetzt Gott mahnen, kniefällig, in der Kirche bitten, daß Mizzi »abgestraft« würde, aber am Eingang der Kirche ergriff sie Angst.

Mit zuckendem Mund, heiß von Wut erregt, rannte sie durch die Straßen, drängte sich rücksichtslos an Auslagen, stieß andere beiseite, glücklich in der Berührung menschlicher Körper. In den Auslagen fluteten jetzt herrlich Schaufenstermodelle, hingegossen über rote Fauteuils, mit kleinen Blumensträußen wie zufällig geschmückt. Sie verlangte die Modelle, weich spannten sich die Meßbänder um ihren Körper beim Maßnehmen, Hände berührten sie von allen Seiten, lautlos lachte sie, wühlte in den Seidenstoffen, keine Farbe konnte grell genug sein.

Dann aber, in einer Nacht, die von Anfang bis zu Ende erfüllt war mit boshaften Spekulationen, dachte sie, ganz bescheidene, »mädchenhafte« Farben würden Mizzi besonders ärgern, giften!

Kalt zuckte der Gedanke an Gift: ja Gift wäre eigentlich das Rechte gewesen von Anfang an, in besonderes, dreifach starkes Gift müßte Mizzi eingetaucht werden, zur gerechten Strafe für alles Böse, zur Strafe für die jetzige »empörende« Zeit.

Denn: das war Mizzis Werk, das war Michaleks Plan, sie endlich loszuwerden, sie abzuschaffen von der Erde.


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