Wilhelm von Polenz
Thekla Lüdekind. Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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IX.

Theklas Gatte hielt inzwischen allein Haus. Um wenigstens bei den Mahlzeiten Gesellschaft zu haben, aß er außer dem Hause, meist mit dem alten Wächtelhaus zusammen. Als aber der Sommer herankam und das herzogliche Hoftheater geschlossen wurde, ging auch der Intendant wie alljährlich auf Urlaub in ein bekanntes Nordseebad, von wo er dann im Herbst, mit neuen Anekdoten angefüllt, zurückkehrte.

Kein Spaß war's, so als einziger anständiger Mensch zurückzubleiben. Alle Freunde und Bekannte waren in Bädern, Sommerfrischen oder auf Landsitzen. Lilly schickte ihm eine amüsante Postkarte nach der anderen aus 248 Scheveningen. Aber es half nichts, er mußte aushalten. Er hatte es seinem Minister versprochen, der diesmal selbst auf längeren Urlaub gehen wollte.

Wernberg gehörte nicht zu den Leuten, die sich in der Einsamkeit glücklich fühlen; er brauchte zu seiner Unterhaltung Leute, war, wenn allein gelassen, ohne Einfälle, fühlte sich, wie der Fisch auf dem Trockenen.

Es gab da ein paar junge Beamte, Leute aus guter Familie, mit denen er, in Ermangelung anderer Gesellschaft, neuerdings zu Mittag speiste. Diese jungen Herren waren natürlich gegen den Herrn Oberregierungsrat von größter Ehrerbietung und Zuvorkommenheit. Über solchen Anfängern die Sonne seiner Gnade scheinen zu lassen, war ja stets dankbar; doch hatte der Umgang auch seine Schattenseiten. An ihren Vergnügungen konnte man unmöglich teilnehmen; höchstens durfte man ihnen mit diskretem Lächeln zuhören, wenn sie von ihren Abenteuern erzählten und mit ihren Eroberungen renommierten.

Als er eines Abends eine Ausfahrt unternahm nach einem nahen Vergnügungsplatz, traf Leo richtig seine jungen Freunde, jeden mit einem Fräulein am Arm. In solchen Augenblicken merkte man, daß man älter wurde. Wie gern hätte man da seine Würde abgelegt, um dafür etwas von den Freiheiten der grünen Jugend einzutauschen! –

Es waren ungemütliche Abende. Zu Hause sitzen bei offenem Fenster, eine Importe nach der anderen rauchen und französische Romane lesen, bekam auf die Dauer nicht gut. Die Importen, wie die französischen Romane, reizten den Appetit, sättigten aber nicht.

Und dazu die Sommerschwüle! Man kam auf die wunderlichsten Gedanken. Es war doch nichts mit dem Einsiedlerleben! Er hätte seiner Frau nicht auf so lange Zeit Urlaub geben sollen! Wenn die Ehe manchmal auch 249 lästig erschien, an solchen Abenden sehnte man sich ordentlich nach ihrem süßen Joch.

In Gedanken trug er sich mit einem Briefe an Thekla. Er wollte ihr sagen, wie wenig nett es hier sei ohne sie, wollte ihr in komischer Weise das Tagesleben des Strohwitwers schildern, wie die Hausfrau an allen Ecken und Enden fehle; den Schluß sollte die verblümte Andeutung bilden, daß sie in seine Arme zurückkehren möge.

Wie sie erstaunt sein würde! Ob sie das von ihm erwartet haben mochte? Ob sie die Brücke betreten werde, die er ihr zur Versöhnung baute? Eigentlich, wenn sie vernünftig war, mußte sie doch einsehen, daß es so nicht weiter gehe. Diese ganze Verzürnung war eine Lächerlichkeit! Thekla konnte billigerweise nun ausgeschmollt haben. – Ja, er wollte einen netten Brief an seine Frau schreiben!

Während er noch darüber sann, kam ein Brief aus Scheveningen mit Lillys steiler Handschrift. Sie schrieb, daß sich ihre weiteren Sommerpläne zerschlagen hätten, da bei Bekannten, zu denen sie hatte gehen wollen, Scharlachfieber ausgebrochen sei; infolgedessen werde sie nach Haus zurückkehren. Sie habe eine große Bitte: ob er ihre Wohnung durch seine Leute etwas herrichten lassen wolle. Da ihre Eltern in der Sommerresidenz des Herzogspaares sich aufhielten, habe sie niemanden anders, dem sie das anvertrauen könne. Sie sei zu jedem Gegendienste bereit.

Leo sprang vor Freuden in die Höhe, als er das las. Lilly kam! – Nun hatte die schlimme Zeit ein Ende. Etwas Besseres hätte er sich ja gar nicht wünschen können.

Sein Brief an Thekla blieb unter diesen Umständen ungeschrieben. Es erschien durchaus nicht nötig, daß sie Lillys Kommen sofort erfuhr; später konnte man's ja 250 gelegentlich einfließen lassen. Theklas Heimkehr drängte nun auch nicht weiter; mochte sie nur ruhig einige Zeit im Selzbade verweilen. Er war ja nicht mehr allein.

Lillys Bitte, ihre Wohnung herrichten zu lassen, wurde prompt erfüllt. Leo nahm die Sache selbst in die Hand. Es bereitete ihm ein besonderes Vergnügen, das Abziehen der Möbel, Reinigen der Zimmer, Abstäuben und Aufstellen der Bilder und Nippes zu überwachen. Er war in den Sachen seiner Freundin ziemlich eben so gut bewandert, wie in ihren Erlebnissen. Dann, nachdem alles in der alten Ordnung aufgestellt war, schmückte er die Wohnung eigenhändig mit Blumen, stellte Vasen auf und Schalen bis hinein in das Schlafgemach.

Lilly kam mit dem Nachmittags-Schnellzuge an. Leo ging nicht zum Empfang auf den Bahnhof, weil sie sich das verbeten hatte; nach solcher Reise sei man »verstaubt und überhaupt nicht in appetitlicher Verfassung.« –

Aber noch im Laufe des späteren Nachmittags erhielt Leo ein Billet, worin Lilly ihm schrieb: sie sei zu Thränen gerührt und bitte ihn zu kommen, den Duft seiner Blumen zu genießen, noch ehe sie verwelkt seien.

Leo Wernberg faßte das richtig als eine Einladung auf, sofort zu kommen. Er war fortan jeden Abend Lillys Gast.

Fräulein von Ziegrist lebte nicht allein, sie hatte des Dekorums wegen eine alte Französin bei sich, die bei Lillys Fürstin die Stellung einer Garderobiere inne gehabt hatte, und die gleich der ehemaligen Hofdame von der Verstorbenen testamentarisch bedacht worden war. Bei Lilly, die ihr für ihre Dienste nur freie Station gab, stellte die Alte eine Art von Ehrendame dar. Das Verhältnis der beiden war sehr eigentümlich: sie pflegten sich in fließendem Französisch die gröbsten Malicen an den Kopf zu werfen. 251 Trotzdem trennten sie sich nicht, weil sie einander bequem waren. Lilly brauchte jemanden zum täglichen Verkehr, an dem sie sich reiben konnte. Der Außenwelt gegenüber aber konnte man doch behaupten, daß man nicht ohne »Schutz« sei; das machte einen »mädchenhafteren Eindruck,« als wenn man völlig allein gelebt hätte.

Lilly haßte den Gedanken, in jenes Alter zu kommen, wo die Männer ein nicht mehr junges Mädchen unhöflicher Weise »alte Jungfer« nennen. Von ihrer Mutter war sie von Jugend an darauf dressiert worden, zu heiraten, womöglich reich und vornehm zu heiraten. Es hatte ihr auch nicht an Courmachern gefehlt, aber die Verehrer verwandelten sich nicht in Freier, vielleicht weil sie sich sagten, daß Pikanterie ein Heiratsgut von zweifelhaftem Werte ist.

Von allen Männern aber, die sie kennen gelernt hatte, war Leo Wernberg der einzige, für den Lilly etwas Ernsthaftes empfunden; ja um dieses Mannes willen hatte sie Herzenskummer gelitten. Es war die bitterste Enttäuschung gewesen ihres Lebens, daß er, nachdem er ihr zwei Winter hindurch den Hof gemacht, sie hatte sitzen lassen. Zwei Winter vergeudet in den besten Jahren, das will etwas heißen für ein heiratslustiges Mädchen! Und einige Jahre darauf that er ihr auch noch den Kummer an, Thekla Lüdekind zu heiraten, ihre Jugendfreundin. Sie hatte das Gefühl Thekla gegenüber niemals ganz verloren, von ihr beraubt worden zu sein. Ihre, Lillys, Ansprüche auf Leo waren die älteren und einzig legitimen. Er war der Mann ihrer Wahl, von Anfang her für sie bestimmt.

Es erfüllte Lilly daher mit innigster Befriedigung, zu sehen, wie das Verhältnis dieser beiden sich mehr und mehr abkühlte. An eine wirkliche Neigung Leos für Thekla hatte sie niemals geglaubt, von vornherein annehmend, daß er nur um des Geldes willen heirate. Daß diese Ehe 252 eines Tages auseinander fallen müsse, stand für sie fest; höchst überflüssig fand sie es sogar, daß die Sache sich so lange hinzog. Im letzten Winter glaubte Lilly, es sei nun endlich soweit, daß der Riß sich zum Bruch erweitern werde; und abermals mußte sie erleben, daß es nach scheinbar unheilbarem Zerwürfnis zu einer Versöhnung kam zwischen den Eheleuten.

Leo Wernberg war Menschenkenner genug, um Lillys Absichten und Hoffnungen zu durchschauen; das that seiner Vorliebe für sie jedoch nicht den geringsten Abbruch. Ihre Schwächen lagen klar vor seinen Augen, aber er war geneigt, diesen Schwächen gegenüber Nachsicht zu üben, waren es doch zumeist seine eigenen. Von allen Frauen, die ihm jemals begegnet, hegte er zu Lilly das natürlichste Zutrauen. Ihr gegenüber war er wahr, ehrlich und offenherzig, weil er sich von ihr in seinen Anschauungen verstanden und in seinen Handlungen gebilligt wußte. Das machte ihm diese Freundin so wertvoll und den Verkehr mit ihr so angenehm, daß er sich vor ihr hüllenlos zeigen durfte, ohne auf Mißverstehen oder gar Entrüstung zu stoßen.

Zum ersten Male in ihrem Leben hatte Lilly in diesem Sommer ihr Mädchentum ernsthaft zu verteidigen. Wenn eine Frau einen Mann gern hat – und Lilly hatte Leo gern – so wird es ihr stets schwer werden, ihm die Besiegelung des höchsten Vertrauens, das es zwischen zwei Menschen geben kann, abzuschlagen. Alles schien darauf hinzutreiben: Die Gelegenheit, die Einsamkeit. Kein Mensch im Hause außer der Französin, der das Äußerste das Selbstverständlichste war in der Liebe. Dazu diese schwülen Sommerabende, welche die Energie erschlafften und die Sinne heimlich anregten. Leo allabendlich bei ihr! Sie sah es seinen kühnen Blicken an, hörte es aus dem Tone seiner 253 Stimme, fühlte es an dem verstohlenen Drucke seiner Hand, daß er sie begehre. Sie sog die ganze Wonne des Bewußtseins ein, daß ihr nachgestellt werde; endlich, endlich war das gekommen, was ihr das Leben bisher schuldig geblieben!

Aber dieses Mädchen verlor keinen Augenblick die Herrschaft über sich selbst; zu genau sah sie voraus, was kommen mußte, wenn sie sich dem Rausche hingab. Sie, die stundenlang vor dem Spiegel studierte, um sich so herzurichten, wie sie glaubte, daß sie ihm am besten gefallen würde, die eine Ampel eigens dazu in ihrem Boudoir hatte anbringen lassen, um einen ihrem Teint günstigen Lichteffekt zu erzielen, stieß den Mann, nach dem es sie verlangte, von sich, als er sie in seine Arme nehmen wollte.

Es kostete sie fast übermenschliche Anstrengung; aber sie hatte sich zu oft gesagt, daß sie, wenn sie ihr Ziel erreichen wolle, den Kopf nicht verlieren dürfe. Sie war nur unter einer Bedingung zu haben und die hieß: Heiraten! Sprödigkeit war ihr wahrhaftig fremd; aber sie wußte, wie schnell der Mann gesättigt ist, wie er sich da, wo er bequemen Sieg gehabt hat, leichten Sinnes abwendet.

Genau legte sie die Grenze fest, bis zu der er gehen durfte, Blicke waren frei, Worte erst recht. Es gab zwischen den beiden kaum ein Thema, über das sie nicht zu sprechen gewagt hätten. Mit einer einzigen Ausnahme vielleicht; und diese Ausnahme war gerade das, wovon zu sprechen Lilly am meisten gereizt hätte: die Auflösung von Leos und Theklas Ehe. Wie mochte er darüber denken? Wenn sie das hätte herausbekommen können! Ihn direkt fragen, ging doch nicht! Davor empfand Lilly, gerade weil sie ihm so vertraut war, eine gewisse Scheu. Und er selbst fing davon nicht an.

Sie versuchte daher seine Ansicht, die sie auf geradem 254 Wege nicht erfahren konnte, auf Umwegen herauszubekommen. Mit Vorliebe sprach sie jetzt von Scheidungsgeschichten. Unter ihren Freunden und Bekannten waren mehrere, die diesen Weg beschritten hatten, um »einen Irrtum zu korrigieren«. Lilly behauptete, daß die glücklich Geschiedenen nachher meist die zufriedensten Leute der Welt würden. Nach ihrer Darstellung wäre so eine Scheidung das einfachste und natürlichste Ding der Welt. Sie betrachtete es wie eine Kur, eine kleine leichte Operation, der sich zu unterwerfen, es nur auf den Entschluß ankomme.

Leo wußte ja ganz genau, worauf sie abziele, that ihr jedoch den Gefallen nicht, von seinem eigenen Falle zu sprechen. Dieses Versteckenspiel hatte etwas Pikantes für ihn. Er diskutierte ganz ernsthaft das Thema der Ehescheidung im allgemeinen, als handle es sich um die Prinzipienfrage und um weiter nichts.

Die Ehe sei geheiligt und an dem Ehebündnis müsse festgehalten werden unter allen Umständen. Besonders in den höheren Ständen sei das notwendig, schon um des Beispiels willen. Das gedankenlos leichtsinnige Eingehen und Auflösen von Ehen, wie es jetzt leider häufig vorkomme, wäre ein großes Unrecht, behauptete er.

Nichts konnte Lilly mehr verdrießen, als ihn so sprechen zu hören. Das war unmöglich seine wirkliche Überzeugung, so philisterhaft konnte Leo doch wirklich nicht denken! –

Sie fragte ihn, wie es denn mit seiner Schwester Tessi gewesen sei, deren Scheidung er selbst so eifrig betrieben habe. – Der Fall sei ein ganz besonderer, meinte Leo, da habe es sich um groben Ehebruch gehandelt, um einen stadtbekannten Skandal. Wenn die Dinge bis zu diesem Punkte gediehen wären, sei Scheidung natürlich das einzig Mögliche. Er spreche mehr von den leichtfertigen 255 Trennungen aus Laune, eines Einfalls, einer Phantasie wegen, aus gegenseitiger Abneigung, oder wie die Pretexte sonst heißen mochten. Er halte es für durchaus gerechtfertigt, daß der Gesetzgeber zwingende Scheidungsgründe verlange. Und gar wenn Kinder da wären, dürfe nur ganz ausnahmsweise geschieden werden. Für so ein unglückliches Kind sei es doch zu schrecklich, nicht zu wissen, wohin es gehöre.

Lilly war wütend. Wenn er nun gar noch von den Kindern anfing, dann wußte man gar nicht, was man ihm erwidern sollte. Er schien doch fester an dieser Ehe zu hängen, als sie es für möglich gehalten hätte.

* * *

»Was würde wohl Thekla sagen, wenn sie uns hier so beisammen sähe?« sagte Lilly, als sie eines Abends in ihrem kleinen Boudoir sich einander gegenüber befanden. Sie lag auf einer Chaiselongue, angethan mit einem spitzengarnierten Teagown von matter Kupferfarbe, dem ein Pariser Schneider den raffiniertesten Sitz gegeben hatte. Er, im leichten grauen Sommeranzug, war damit beschäftigt, eine Ananas, die er mitgebracht hatte, kunstgerecht zu schälen und in Scheiben zu zerlegen.

»Pah!« machte Lilly und schnippte mit den Fingern, als er nicht antwortete. »Höchstwahrscheinlich würde sie sittsam erröten! Jedenfalls gönnte sie uns den Spaß nicht. Ich sehe ordentlich ihre moralische Entrüstung.«

»Lilly, Sie sind nicht gerecht gegen meine Frau, sind es nie gewesen,« erwiderte er. »Ihr seid zu verschieden. geartet, um einander zu verstehen.«

256 »O, was das betrifft, wir Frauen kennen uns! Zudem genieße ich seit einer ganzen Reihe von Jahren den Vorzug, mit Thekla bekannt zu sein. Sie ist gar nicht so ohne jeden Arg. Aber ich weiß schon, sie hat sowas im Wesen, sowas Taubenhaftes; es giebt keinen Mann, der darauf nicht hereinfiele. Schon die Kandidaten in der Schule verliebten sich rettungslos in sie. Diese scheinbaren Lämmer sind im Grunde die allerraffiniertesten.«

»Thekla Koketterie nachsagen wollen, ist einfach lächerlich!«

»Mein Bester, bedenken Sie, daß ich Ihre Frau von der Schule her kenne! Sie ist heute genau das, was sie damals war, als wir halblange Kleider trugen. Rot wurde sie bis hinter die Ohren und schlug die Augen nieder bei der geringsten Kleinigkeit; aber wenn die Gymnasiasten ihr auf der Straße nachguckten, machte es ihr Spaß, wie jeder anderen. Ich habe diese alberne Zimperlichkeit nie ausstehen können! Die richtige empfindsame deutsche Frau ist sie! Alles unanständig finden, immer entrüstet über den lieben Nächsten, dabei selbst . . . . . . .«

»Nein, so sollen Sie nicht von meiner Frau sprechen, Lilly! Alles Ernstes! Ich will das nicht hören!«

Lilly kehrte sich nicht an seinen Ernst, sie war nun mal im Zuge.

»Ich werde Ihnen was erzählen, Leo: schon als Schulmädchen hat sie geflirtet mit einem jungen Menschen, der im selben Hause mit den Lüdekinds wohnte. Später haben sie sich geschrieben; Rendezvous hat sie ihm gegeben. Durch Jahre hat sich die Sache hingezogen. Und wenn es noch ein anständiger Mensch gewesen wäre, aber mit einem ganz gewöhnlichen . . . . . . . . . .«

»Wenn Sie die Geschichte meinen mit einem gewissen Bartusch, über die bin ich unterrichtet. Thekla hat sie mir 257 selbst erzählt. Die ganze Sache ist sehr harmlos gewesen. Darüber sich jetzt noch aufregen wollen, wäre geradezu geschmacklos!«

Leo war mit dem Zerlegen der Ananas fertig und bot sie ihr an. Lilly lehnte ab – an's Essen dachte sie jetzt nicht. – Sich von der Chaiselongue erhebend, fragte sie lauernd: »Wenn ich Ihnen nun sagte, Leo, daß sie noch immer mit dem Menschen Beziehungen unterhält, was würden Sie dann thun?«

»Auch das weiß ich schon!« erwiderte er gelassen. »Er hat sie vor einiger Zeit mal auf der Straße angeredet. Sie sagte mir das pflichtschuldigst sofort wieder. Mir war's natürlich sehr unangenehm. Man hat sowieso leider gewisse Beziehungen zu dem Menschen durch meinen Schwager – Sie wissen ja! Ich habe Thekla instruiert, wie sie sich zu verhalten hat, wenn er sie wieder belästigen sollte. Die Sache ist fatal; aber den Schlaf meiner Nächte lasse ich mir dadurch nicht rauben.«

Statt der Antwort brach Lilly in ein ausgelassenes Gelächter aus.

»Ich sehe nicht, was es dabei zu lachen giebt!« meinte Leo ärgerlich.

Lilly erhob sich und ging zu ihrem Schreibtisch, sie öffnete ein Fach und kramte darinnen.

»Weshalb ist Thekla eigentlich nach Selzbad gegangen?« fragte sie zwischendurch.

»Ihrer Gesundheit wegen.«

»Sie sind doch viel naiver, als Sie aussehen, Leo! Wissen Sie, was dieser ganze Aufenthalt im Selzbad, der nun schon ein Vierteljahr dauert, zu bedeuten hat? Sie giebt sich dort Rendezvous mit diesem famosen Herrn Bartusch, von dem wir eben sprachen.«

»Unsinn! Das hätte sie mir längst geschrieben!«

258 »Abgekartetes Spiel! Seit Wochen stecken sie zusammen. Täglich treffen sie sich; und daß sie bei ihren Zusammenkünften nicht beten werden, kann man wohl annehmen.«

»Woher haben Sie das?«

»Gabi Wächtelhaus hat mir's geschrieben. Sie ist einige Wochen im Selzbad gewesen. Ihr ganzer Brief ist voll davon.«

»Klatscherei! Auf Gabi Wächtelhaus gebe ich nicht soviel!«

»Lesen Sie mal erst den Brief, dann werden Sie anders urteilen, mein armer Leo!«

Wernberg nahm den Brief und las. Sehr bald trat der von Lilly erwartete Erfolg ein. Er stampfte erregt mit dem Fuße auf. »Ich glaube, Thekla ist nicht bei Troste!«

»Da haben Sie Ihre tugendhafte Frau! Vorigen Winter, als ihr der schöne Niky in allen Ehren den Hof machte, hat sie sich angestellt, wer weiß wie! Aber hier, ein Herr mit solchen Antecedenzien, eine Art Räuberhauptmann, ihr Amoroso! – Sie hat eben niemals Geschmack besessen, die gute Thekla.«

»Glauben Sie, daß die Geschichte schon weit herum ist, Lilly?«

»Beinahe anzunehmen! Gabi Wächtelhaus hat eine große Korrespondenz und ihrem Bruder, bei dem sie jetzt ist, wird sie's ganz sicher erzählt haben.«

»Verdammt! Das ist so gut, als ob es alle Welt wüßte! Ein netter Skandal! Ich begreife Thekla nicht; es sieht ihr so gar nicht ähnlich!«

»O, ich wundre mich gar nicht!«

Er durchmaß das Zimmer mit großen Schritten. »Ich muß nach Selzbad reisen! Es bleibt mir gar nichts anderes übrig!«

259 »Wollen Sie diesen Herrn Bartusch vielleicht fordern? Das würde sich doch wohl kaum lohnen. Ich würde Ihnen raten, Leo, schreiben Sie einfach an Thekla: Sie gratulierten ihr zu ihrem Glück und überließen sie dem Manne ihrer Wahl. Verdient hat sie das!«

»Nein, nein, nein! So geht das nicht! Gabi Wächtelhaus kann übertrieben haben. Ich muß mich mit eigenen Augen überzeugen!«

»O, Sie sind köstlich!« rief Lilly höhnisch. »Sie werden sich bei Ihrer Frau erkundigen, ob sie Sie hintergeht – nicht wahr? Und wenn Thekla das mit moralischer Entrüstung abgeleugnet hat, dann werden Sie um Verzeihung bitten, daß Sie sowas hatten annehmen können; und alles wird bleiben, wie es gewesen ist.«

»Ich weiß, was ich zu thun habe!« erwiderte er auffahrend.

»Ich bin gespannt auf das Resultat! Ob Sie endlich mal den Mut finden werden, zu thun, was Sie schon längst hätten thun sollen.« –

»Den Mut, wozu?«

Lilly zögerte einen Augenblick. Dann sagte sie, ihm dabei kühl in's Auge blickend: »Sich von Ihrer Frau scheiden zu lassen!« Endlich war es heraus.

Leo sah sie groß an.

 


 


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