Wilhelm von Polenz
Thekla Lüdekind. Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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III.

Die winterlichen Gesellschaften nahmen wieder ihren Anfang. Frau Thekla war zwei Jahre lang nicht ausgegangen. Wernberg verlangte, daß das Versäumte in diesem Winter nachgeholt werde, sie komme sonst völlig aus allen Beziehungen heraus.

145 Die Toilettenfrage war diesmal einfacher zu entscheiden als früher. Da in den zwei Jahren alles, was Frau Thekla besaß, veraltet war, mußten lauter neue Sachen angeschafft werden. Mit der Santas, Theklas bisheriger Schneiderin, war Leo nicht mehr zufrieden; er behauptete, sie arbeite zuviel für den Mittelstand und habe sich dadurch den Geschmack total verdorben.

Er reiste mit Thekla nach Berlin und ließ ihr dort anfertigen, was sie für die »Wintercampagne« brauchte. Auch einen neuen Schmuck erklärte er für notwendig. Ihr Rang und ihre Stellung bedinge, das sie mindestens ein Kollier und einen Stern für das Haar besitze; mit einer Perlenschnur, ein paar Armbändern und einigen Broschen sei es nun nicht mehr gethan. Dergleichen lege schließlich jede kleine Hauptmanns- oder Assessorsfrau aus; wenn man Anspruch mache, etwas Besonderes zu sein, müsse man auch etwas Besonderes auf sich wenden. – Und so kehrte denn Frau Thekla mit einem Koffer voll neuer Toiletten und um einen Brillantschmuck bereichert von Berlin in die Heimat zurück.

Schon im November gab es Gelegenheit für Thekla, sich zum ersten Male wieder in großer Gesellschaft zu zeigen. Ein großer Subskriptionsball, dessen Einnahmen einem wohlthätigen Zwecke galten, war geplant. Hinter der Sache stand die Herzogin, welche solche Kombinationen von Vergnügen und Barmherzigkeit liebte. Alle Welt raisonnierte über Mühe und Ausgabe, die man davon hätte, aber alle Welt ging schließlich doch hin, um nicht bei einem Feste zu fehlen, das unter dem besonderen Schutze der Landesmutter stand.

Zum erstenmale wieder nach längerer Pause empfand Frau Thekla das wunderlich kühle Gefühl der entblößten Schultern und Arme, als sie in großer Toilette vorm 146 Spiegel stand. An den bewundernden Blicken der Friseuse und an Hedwigs »Ah's« und »Oh's« merkte sie, daß sie gut aussehe. Das Bewußtsein belebte sie, gab ihr eine Art jugendlicher Stimmung. Wirklich, sie verspürte etwas wie Ballfieber.

Sie mußte allein nach dem Lokal fahren, wo der Subskriptionsball stattfand. Leo hatte sich schon vor Stunden dorthin begeben, da er zum Komitee gehörte.

In der Garderobe traf Thekla auf Lilly, die sich eben aus ihren Pelzen wickelte. Ein paar magere Arme und ein gelber Hals kamen zum Vorschein. Balltoilette war Lillys ungünstigster Moment.

»Ah, der neue Schmuck!« rief Lilly, als Thekla den Umhang abnahm. »Ich gratuliere! Weißt du, daß ich dich als Frau noch nicht im Geschirr gesehen habe! Das letzte Mal war's, als wir bei der alten Herzogin Komödie spielten; jetzt gute zehn Jahr her. Du hast dich seitdem sehr vervollkommnet, Thekla. Ja, ihr Verheirateten! Darin kommen wir eben mit euch nicht fort! Übrigens versteht's Wernberg dich anzuziehen, das muß ihm der Neid lassen!«

Lilly war der Freundin in diesem Augenblicke widerlich. Um sie auf ein anderes Thema zu lenken, sagte Thekla: »Ich glaube, ich kenne keinen Menschen mehr!«

»Ach, heute ist alles da, was zwanzig Mark aufbringen kann. Ruppig aber wohlthätig! Weißt du denn, daß der schöne Niky heut abend kommt?«

»Wer ist das?« fragte Frau Thekla zerstreut.

»Du weißt nicht, wer der schöne Niky ist, der liebenswürdigste aller Witwer!«

Jetzt entsann sich Thekla, daß der Fürst, bei dessen verstorbener Gattin Lilly Hofdame gewesen war, diesen Spitznamen führe. Auch Leo hatte ihr bereits davon 147 erzählt, daß der Fürst in diesem Winter am hiesigen Hofe auszugehen gedenke. Wie man annahm, wollte ihn die Herzogin, welche gern Partieen vermittelte, mit einer Prinzeß aus ihrer Verwandtschaft verheiraten.

Man war inzwischen mit der Garderobe fertig geworden. »Ich gehe mit dir, Frau von Wernberg!« sagte Lilly. »Du kannst mich heute mal chaperonnieren! Ich fühle mich sehr unverheiratet.«

Am Eingange empfing sie Leo Wernberg. Er musterte Thekla in der Eile mit einem prüfenden Blicke. »Bist du zufrieden?« fragte sie. Er nickte. »Erster Klasse, mein Herz!«

»Ach, laßt doch hier wenigstens eure Intimitäten!« rief Lilly dazwischen. »Führen Sie uns lieber zu den anständigen Menschen, Wernberg!«

»Ich kann leider nicht fort, soll den Hof empfangen!« erwiderte er. »Haltet euch nur in der Nähe. Sobald die Herrschaften herein sind, schließt ihr euch an, gleich nach dem Dienst, versteht ihr!«

Im Nebenraume, dem eigentlichen Ballsaale, staute sich bereits die Menge. Thekla und Lilly blieben, wie ihnen geheißen worden war, in der Nähe des Eingangs.

»Nein, sieh bloß, Thekla, wie dein Mann sich nett macht!« rief Lilly. »Was hat er denn da wieder für eine Dicke am Schlafittchen! Morgen steht's im Blatte: Frau Kommerzienrat Meyer am Arme des Kammerherrn Oberregierungsrat von Wernberg.« –

Sie wurde unterbrochen durch den Theaterintendanten von Wächtelhaus, der die beiden Damen begrüßte. Sehr bald befand sich Lilly in intimer Unterhaltung mit ihm. Alles was eintrat, mußte an ihnen vorbei, da sie in der ersten Reihe standen. Der alte Wächtelhaus bewies, daß er nicht umsonst den Ruf genoß, das größte Schandmaul der Gesellschaft zu sein.

148 An dem allgemeinen Hälserecken und Drängen, das nunmehr entstand, war zu merken, daß der Hof im Anzuge sei. Die Gasse verengte sich mit einemmale; aber Wernberg und ein Flügeladjutant machten in energischer Weise den Weg frei. Der Herzog und die Herzogin erschienen, nach allen Seiten grüßend. Ihnen folgten verschiedene Prinzen und Prinzessinnen mit Gefolge.

»Anschließen! Sonst kommen wir niemals in's Fürstenzimmer,« rief Lilly.

Der Zug kam dadurch, daß Herzog und Herzogin hie und da Halt machten, um diese oder jene Persönlichkeit anzusprechen, mehrfach in's Stocken. Ein großer, schlanker Herr, mit gelichtetem Haar und mehreren Sternen auf dem Frack, begrüßte Lilly und unterhielt sich lebhaft mit ihr.

»Wer ist das?« fragte Thekla Herrn von Wächtelhaus, der neben ihr geblieben war.

»Fürst Nikolaus, von den Damen meist ›der schöne Niky‹ genannt!« war die Antwort.

Schön konnte ihn Thekla zwar nicht finden, wie er jetzt im Halbprofil nicht weit von ihr stand; dazu waren seine Züge zu verlebt. Aber auffällig war er mit diesem blassen trockenen Kopfe und der hohen, schmiegsamen Gestalt. Rasse zum mindesten lag in seiner Erscheinung.

Wächtelhaus gab die Geschichte des Fürsten zum besten, froh in Thekla jemanden gefunden zu haben, der sie noch nicht kannte. Fürst Nikolaus war Mitglied der internationalen Aristokratie, globe-trotter, Mäcen, Künstler. Alles war er, alles besaß er, nur kein Vermögen. Doch diesen Fehler hatte er zu korrigieren gewußt, indem er sich mit einer immens reichen Russin, etwas älter als er, verband. Die Dame that ihm den Gefallen, zu sterben und hinterließ ihm, da Kinder nicht da waren, ihr ganzes Geld.

149 »Nun ist er lustiger Witwer!« fuhr Wächtelhaus fort. »Die verstorbene Fürstin hielt den Schlüssel zur Kassette ziemlich fest, jetzt hat er ihn sich ersessen.«

Endlich, nach wiederholtem Aufenthalt, war der Zug in's Fürstenzimmer gelangt, das für den Hof und einige bevorzugte Persönlichkeiten reserviert wurde.

Am Eingang stand Leo Wernberg, dem die undankbare Aufgabe zugefallen war, die Unberufenen abzuhalten, in dieses Allerheiligste einzudringen. Er flüsterte seiner Frau, als sie eintrat, in aller Eile zu, in welcher Ecke Herzog und Herzogin sich befänden.

Es herrschte ein ziemliches Gedränge in dem mäßig großen Raume, während im Saale bereits der Ball in vollem Gange war. Eine Anzahl Personen waren da, die sonst selten Gelegenheit haben mochten, mit Fürstlichkeiten zusammenzukommen; Leute, auf deren Gesichtern sich Befriedigung und Verlegenheit zugleich ausdrückte, in so unmittelbarer Nähe leibhaftiger Hoheiten und Durchlauchten zu atmen. Frau Thekla fand, daß man diesen Braven das Vergnügen nicht verkürzen solle; sie vermied es, dem Herzog oder der Herzogin, die zu sehen und zu sprechen, sie noch oft genug Gelegenheit haben würde, allzu nahe zu kommen.

Plötzlich stand Lilly wieder neben ihr. »Thekla, Fürst Nikolaus hat mich nach dir gefragt; er wünscht, mit dir bekannt gemacht zu sein.« Gleichzeitig kam auch schon der Fürst und verneigte sich tief vor Thekla.

Obgleich man eigentlich keinerlei Beziehungen zu einander hatte, befand man sich sofort in lebhafter Unterhaltung. Der Fürst machte seinem Rufe, ein bestrickender Causeur zu sein, alle Ehre. Unterstützt wurde er dabei von einem einschmeichelnden Organe und von einem außerordentlich beredten Augenpaare. Er beherrschte das Deutsch 150 vollkommen, sprach es aber mit schwach ausländischer Betonung. Seine Mutter war Russin gewesen, und er hatte seine Jugend in Paris verlebt.

Frau Thekla hatte das Gefühl, einen Mann von ausgezeichneter Erziehung und von großer natürlicher Liebenswürdigkeit vor sich zu haben. In seiner Haltung lag etwas Zurückhaltendes, als sei er zu bescheiden, um von seinem Range, seiner Erscheinung, kurz von all dem Glänzenden, was ihm zugefallen war, Gebrauch zu machen.

Seine Züge gewannen bei näherer Betrachtung; die hohe Stirn, die sich in eine glänzende Platte fortsetzte, das dünne, seidige, mattblonde Haar des Hinterkopfes, die farblosen Wangen, gaben dem Gesicht etwas Vergeistigtes, beinahe Überfeinertes. Und dem konnte das Körpermaß, der Schnurrbart und die energisch vorspringende Nase nicht das Gegengewicht halten; es blieb etwas weiblich Gezähmtes an ihm.

Er sagte Thekla, daß er ihren Mann kenne, und zählte die Gelegenheiten auf, wo man sich gesehen hatte: in Berlin, in England, in Baden-Baden. Fürst Nikolaus besaß jenes Gedächtnis für Personen und Begebenheiten, mit dem Leute von hoher Geburt stets Erfolg erzielen.

Ein Flügeladjutant trat an ihn heran und meldete halblaut etwas.

»Ach, entschuldigen Sie, gnädige Frau! Höherer Befehl.« Damit verbeugte sich der Fürst vor Thekla. »Auf Wiedersehen!«

Lilly, die nicht allzu weit davon gestanden hatte, trat wieder zu der Freundin. »Nun, was habe ich dir gesagt! Ist er nicht bezaubernd?«

* * *

151 Das gesellige Leben dieses Winters wurde beherrscht von der Anwesenheit des Fürsten Nikolaus. Er hatte eine Besitzung in der Nähe der Stadt gekauft, ein in beherrschender Lage über dem Fluß gelegenes Schlößchen. Der Fürst wollte bauen, Gärten anlegen, aus dem in letzter Zeit etwas vernachlässigten Sitz eine Sommerresidenz vornehmsten Stiles herstellen.

Alle Welt freute sich über diese Absicht Seiner Durchlaucht; die Bürgerschaft, weil er Geld unter die Leute bringen würde, die Gesellschaft, weil er ein glänzender Kavalier war. Bei Hofe setzte man bestimmte Hoffnungen auf ihn, die auf die Annahme hinausliefen, daß ein Mann in den besten Jahren, vermögend, Witwer, kinderlos, auf die Dauer doch nicht unbeweibt bleiben könne.

Am Hofe machte sich jetzt der Einfluß der Herzogin mehr und mehr geltend. Die mädchenhafte Unsicherheit, die man früher so reizend an der hohen Frau gefunden hatte, war mit der Zeit in eine Art sanften Eigensinns umgeschlagen. Der Herzog, noch immer sehr verliebt in seine Gattin, ließ ihr ziemlich freie Hand, nur in seine wichtigste Liebhaberei: das Militär, durfte sie sich nicht einmischen; dieses Gebiet hatte er für sich selbst reserviert.

Zweierlei Dinge waren es, mit denen sich die Herzogin auf's lebhafteste beschäftigte: Begründen und Beschirmen von Wohlthätigkeitsvereinen – die infolgedessen wie Pilze ringsum im Lande aufschossen – und das Stiften von Ehen. Ihre eigenen Prinzessinnen zwar, die noch im Kindesalter waren, konnte sie nicht gut unter die Haube bringen, dafür nahm sie anderen Müttern unbegebener Töchter diese Sorge ab.

Für den Fürsten Nikolaus hatte sie mehr als eine Partie in Aussicht. Wozu besaß man denn an verschiedenen Höfen Cousinen? Prinzessinnen von Geblüt! Von denen 152 Schönheit zu verlangen, wäre unbescheiden gewesen, zumal Fürst Nikolaus einem regierenden Hause nicht entstammte.

Der Mann, für den diese feinen Netze gesponnen wurden, schien wenig Lust zu verspüren, seine Junggesellenfreiheit aufzugeben. Fürst Nikolaus bewohnte ein Mietquartier. Der einzige größere Raum darin war zum Atelier eingerichtet. Er wollte mal ganz als Privatmann seinen Liebhabereien leben, die mehr oder weniger auf dem ästhetischen Gebiete lagen. Im übrigen war seine ausgesprochene Absicht, von hier aus den Umbau von Alexandrinenhof zu leiten, seinem Landsitz, den er nach der verstorbenen Fürstin benannt hatte.

Bei Hofe ging Fürst Nikolaus in der glänzenden Uniform eines russischen Gardeobersten aus. Weiter wollte er seinen Verkehr nicht ausdehnen. Es bedrücke ihn, Gastfreundschaft anzunehmen, die er seiner beschränkten Häuslichkeit wegen nicht erwidern könne.

Immerhin gab es einen kleinen auserlesenen Kreis, in welchem Fürst Nikolaus auch außerhalb des Hofes verkehrte; zu diesem gehörten in erster Linie die Wernbergs.

Der Fürst und Leo Wernberg hatten sich sehr schnell gefunden. Es giebt immer den angenehmsten Verkehr zwischen Menschen, wenn Anlagen, Stellung und Lebensschicksale verschieden sind, Geschmack aber und Anschauungen verwandt.

Der »schöne Niky« hatte viel von der Welt gesehen. Über vieles, was ihm an dem kleinen Hofe veraltet und philisterhaft vorkam, lachte er, als vorurteilsfreier Mann. Wernberg half ihm lachen; die dritte im Bunde war Lilly von Ziegrist.

Leo Wernberg bewunderte den Fürsten aufrichtig Jeden anderen Mann von solchen Mitteln und Gaben würde er beneidet haben. Der Fürst jedoch stand für ihn 153 außer Konkurrenz, ihm gegenüber schwieg die Eifersucht. Fürst Nikolaus war klug genug, das Übergewicht seines Ranges niemals fühlen zu lassen. Er wußte die Leute, denen er gefallen wollte, an ihrer schwachen Seite zu fassen. So sagte er zu Leo Wernberg: er habe niemals ein geschmackvolleres, angenehmer eingerichtetes Heim gesehen, als das seine. Gleichzeitig erbat er sich Wernbergs Rat bei der Einrichtung von Alexandrinenhof.

Leo wußte ganz genau, was er an dem Fürsten hatte. Mit einem solchen Manne befreundet zu sein, war in mehr als einer Beziehung Gewinn. Fürst Nikolaus stand dem Hofe nahe, möglicherweise würde er ihm noch enger verbunden werden in Zukunft, wenn die Pläne der Herzogin sich erfüllten. Es war keine geringe Ehre, einen so verwöhnten und wählerischen Herrn, wie ihn, zum intimen Verkehr zu haben.

Auch Frau Thekla genoß mit Freude die geschmackvolle Eleganz und liebenswürdige Kultur, welche dieser Mann, wie einen feinen Duft, um sich verbreitete. Der Fürst besaß eine Menge Interessen und Liebhabereien. Ohne wirklich Künstler zu sein, bedeutete ihm die Kunst die Früchte vom edelsten Aroma am Baume des Lebens. Zunächst war er Kenner; aber er dilettierte auch ein wenig auf allen Gebieten, ohne sich mit seinen Leistungen aufzudrängen.

Die Wohnung des Fürsten war nicht weit von der Wernbergschen gelegen. Abends kam er oftmals herüber, der Diener trug ihm Mappen nach, Albums und Hefte. Gern zeigte er den Freunden seine Schätze.

Er bevorzugte die neuere Kunst. Obgleich er die Antike bewundern müsse, erklärte er, stünden ihm die Zeitgenossen doch viel näher mit ihrer nervös problematischen, leidenschaftlicheren und seelenvolleren Kunst. Das sei Geist 154 von unserem Geist und Fleisch von unserem Fleisch. Er war Feinschmecker auf allen Gebieten, hatte mit Glück gesammelt und mit seinem Gefühl für das, was an der Moderne eigenartig und von bleibenden Wert ist.

Vielfach wurde auch an solchen Abenden musiziert. Fürst Nikolaus ließ seine Interessen, die eigentlich mehr auf dem Gebiete der bildenden Künste lagen, bereitwilligst zurücktreten, als er merkte, daß seine Wirte der Musik besonders zugethan seien.

Frau Thekla nahm auf Wunsch des Gatten ihren Gesang wieder auf, übte eine Anzahl Lieder ein. Lilly spielte Tänze, nicht ohne Geschick und Geläufigkeit. Schließlich fiel es dem Fürsten ein, daß er früher mal gefiedelt habe. Eines Abends brachte er einen Straduarius mit, auf dem er, begleitet von Lilly, einige Stücke zum besten gab, die nicht allzu hoch gestellten Anforderungen genügen mochten.

Frau Thekla war dem Fürsten in mancher Beziehung dankbar. Es war keine Frage: eine so fein organisierte, taktvolle, ausgeglichene Persönlichkeit, wie Fürst Nikolaus übte einen guten Einfluß aus auf Wernberg, der gewöhnt war, alle Männer auszustechen. Hier fand er endlich einmal einen Ebenbürtigen.

Auch Lilly imponierte er. Wenn jemand, so hatte sie das Familienleben dieses Mannes, mit einer älteren, excentrischen, äußerst schwierigen Gattin, aus nächster Nähe angesehen. Sie konnte sich nicht entsinnen, daß er aus der Rolle gefallen wäre, sich jemals hätte gehen lassen, einer hochmütigen Frau gegenüber, der es Vergnügen bereitete, ihrem Gatten die Abhängigkeit auf Schritt und Tritt fühlbar zu machen. Und dabei die Haltung bewahren, immer der wohlerzogene, liebenswürdige Mann bleiben, die Umgebung nicht entgelten lassen, was ihm an Kränkung angethan wurde! – Im Gegenteil, oftmals hatte 155 Fürst Nikolaus versucht, gut zu machen, wo seine Frau verletzte.

Die eigene Häuslichkeit war Thekla noch nie so behaglich erschienen wie jetzt, wo Fürst Nikolaus durch sein häufiges Kommen sie merken ließ, wie wohl er sich bei ihnen fühle. Es geht einem manchmal so im Leben, daß erst ein Fremder kommen muß, um einem zu zeigen, was man besitzt. Ihr Gesang war ihr erst wieder wertvoll geworden, seitdem sie an dem Fürsten einen Zuhörer hatte, der nicht bloß aus banaler Galanterie lobte, den das Lied interessierte, weil sie es vortrug.

Auch Leo Wernberg ging es ähnlich; Fürst Nikolaus, als sein Hausfreund, gab ihm erst den Vollbesitz dessen, was er besaß. Doppelt stolz fühlte er sich auf seine Frau; die offenbare Bewunderung, welche ein Kenner wie der Fürst für Thekla an den Tag legte, schmeichelte ihm in innerster Seele. Mehr denn je hielt er darauf, daß seine Frau sich auserlesen kleide; sie sollte gefallen. Eifersucht fühlte er nicht, so sicher glaubte er Theklas zu sein, so unerschütterlich fest fühlte er sich in ihrem Besitze, daß ihm jede derartige Anwandlung lächerlich erschienen wäre.

Und wie in der Liebe das Wunderlichste immer das Wahrscheinlichste ist, so trat bei Leo Wernberg jetzt eine Erscheinung auf, die er sonst als »Verliebtheit ganz junger Ehemänner« zu verspotten pflegte. Er sah seine Frau gewissermaßen durch die Augen eines anderen Mannes, genoß das Glück ihres Besitzes, den er ganz für sich hatte, durch fremde Bewunderung gesteigert mit erhöhtem Bewußtsein.

Man sprach unter den Eheleuten viel von dem abwesenden Freunde. »Der Fürst« war das dritte Wort im Wernbergschen Hause geworden. Man nahm sogar 156 auf ihn die Rücksicht, weniger in Gesellschaft zu gehen, um für ihn mehr Abende frei zu haben.

Sonst wurden keine großen Umstände gemacht um seinetwillen. Wie hätte man auch einem Manne, der in den ersten Fürstenhäusern Europas wie mit den Krösussen jenseits des Ozeans verkehrt hatte, wirksamer imponieren können, als durch Einfachheit!

Er sagte es ganz offen zu Frau Thekla: er habe die halbe Welt durchstreift, um schließlich die Weisheit heimzubringen, daß zum Glücklichsein sehr wenig gehöre. »Ein paar Menschen, die einander zugethan sind, dazu ein lauschiger Winkel, vom guten Geschmack durchwärmt; das ist alles, was man braucht. So, wie Sie es haben, ist's ideal!«

Es war wirklich manchmal, als sei er gekommen, ihr das Leben und seinen höheren Sinn zu deuten. Frau Thekla fühlte aus jedem Worte, das dieser Mann sagte, ein feines Verständnis heraus für ihre Art. Doch drängte sich das nicht auf; sie glaubte, sich verstanden zu sehen, von einem, der erhaben war über jede Unzartheit.

Er war den Frauen zugethan; es schien unnötig, daß Lilly das noch besonders versicherte. Er hatte Frauenliebe genossen; ein Abglanz davon umschwebte seine Persönlichkeit mit kaum merklichem Schimmer. Was für Erfahrungen mochten hinter ihm liegen? Manche Andeutung, die er diskret, nur für Frauenohren verständlich, fallen ließ, deuteten darauf, daß er Bitteres durchgemacht habe. Das verlieh seinem Wesen einen festen Grund; die Erfahrung gewährte Bürgschaft, daß er sich zu Überlegung und Selbstzucht durchgekämpft habe. Er liebte die Frauen, weil er sie kannte, aber er war zu großmütig, einer Frau etwas zu Leide thun zu können. In hohem Grade war ihm jene Höflichkeit des Herzens eigen, deren nur 157 ganz fein organisierte Männer fähig sind. Er besaß eine Schmiegsamkeit des Wesens, eine Fähigkeit des Mitempfindens und Nachfühlens, wie sie meist nur Frauen eigen ist. Und dabei war er doch ganz Mann, in Temperament und Selbstbewußtsein, gereinigt nur von männlicher Brutalität, verfeinert zur Ritterlichkeit. Von Geburts wegen gehörte er der Aristokratie an, durch Neigung und Geschmack war er dem Adel des Geistes zugehörig. Ein gewöhnliches Wort, eine abstoßende Geste, schien bei ihm Unmöglichkeit. Was er that und sprach, adelte er unwillkürlich. Ungesucht wie seine Sprechweise, natürlich und graziös wie seine Bewegungen, war seine Denkart, seine Handlungen. Wozu hätte auch ein Mann wie er schauspielerischer Pose bedurft? Er hatte ja alles, wandelte auf den Höhen des Lebens.

Um so wunderlicher berührte an ihm eine Melancholie der Seele, die gelegentlich den Schleier der heiteren Lebensfreude durchbrach. Er schien das Leben durchschaut zu haben, kannte wohl auch die eigenen Grenzen; seine Philosophie war Resignation. Er sagte nicht alles, was er wußte und empfand; ein verstehender Blick, ein diskretes Lächeln, sprachen mehr, als Worte es vermocht hätten, von dem Reichtum seiner reifen Seele, seines tiefen Mitgefühls.

Kleine, für ein gröberes Verstehen unscheinbare Züge waren es, welche Frau Thekla erst den rechten Begriff gaben von Takt und Feingefühl dieses Mannes. Einmal hatte er eine Mappe mitgebracht, voll Originalradierungen: auserlesene Blätter der modernen Ätzkunst. Die einzelnen Radierungen lagen etwas wahllos durcheinander, wohl vom letzten Ansehen her noch nicht geordnet. Auch von einem französischen Künstler waren Blätter dabei: das intimste Pariser Kokottenleben in 158 rücksichtsloser Naturtreue wiedergebend. Der Fürst, dem der Inhalt der Mappe vielleicht nicht gegenwärtig war, erkannte in Frau Theklas Zügen den peinlichen Eindruck. Sofort schloß er die Mappe und war, Lillys dringlichen Bitten zum Trotze, nicht dazu zu bewegen, sie wieder zu öffnen. Sein eindringlicher Blick, als er an diesem Abende sich verabschiedete, bat die Frau des Hauses stumm um Verzeihung.

Fürst Nikolaus hatte seine Freunde mit Klingers »Brahms Phantasie« bekannt gemacht, die er in der kostbarsten Ausgabe besaß. Er merkte, daß er mit diesen Blättern Frau von Wernbergs Geschmack besser getroffen habe, als neulich. Schließlich bat er sie, das Werk von ihm geschenkt anzunehmen. Die Bitte wurde so schlicht und freundlich vorgetragen, daß Thekla sich nicht im stande fühlte, das wertvolle Geschenk abzulehnen.

Der Fürst zeigte sich an diesem Abende offenherziger und wärmer als sonst. Hatte ihm die große Mystik des außerordentlichen Kunstwerkes, das man soeben betrachtet, die Zunge gelöst? Er sprach von Leben, Tod, Schicksal, Bestimmung: Stoffen, die man von der Salonunterhaltung für gewöhnlich als allzu ernst auszuschalten pflegt.

Leo Wernberg schwieg aus Höflichkeit für den Gast, und weil er sich auf diesen Gebieten nicht recht heimisch fühlte. Lilly waren solche sentimentale Anwandlungen an dem schönen Niky nicht fremd. Sie dachte sich ihr Teil, als sie ihn auf einmal in schöngeistige Empfindsamkeit zurückfallen sah.

Den stärksten Eindruck empfing Thekla von dem, was er über die Frauen sagte; es unterschied sich von allem, was sie jemals aus dem Munde eines Mannes über ihr eigenes Geschlecht gehört hatte.

»Frauen,« sagte der Fürst, »sind in meinen Augen 159 religiöse Wesen. Nicht daß sie Engel wären; nein, Gott sei Dank, sie sind von Fleisch und Blut! Aber das Weib hat etwas Auserwähltes, eine natürliche Priesterwürde. Ich finde es einen feinen Zug bei den Alten, daß sie das im Kultus ausgedrückt haben. Das Weib stand von jeher der Gottheit nahe. Die Hilfe des Priesters anzurufen zur Absolution hat eigentlich etwas Absurdes. Sie wissen: ich bin Katholik. Mich hält eigentlich an der Konfession, in der ich geboren bin, nur der Marienkultus fest. Unsere liebe Frau als Vermittlerin, wer fühlte da nicht Hoffnung und Zutrauen! Und jede Frau ist eine Art Mutter Gottes. Nur durch die Frau kann der Mann zur Erlösung kommen. Diese Idee ist uralt und hochmodern, bleibt ewig wahr und ewig schön. – Man sollte Männer und Frauen niemals vergleichen, so viel besser seid ihr als wir, so sehr zu unseren Ungunsten muß der Vergleich ausfallen. Viel wahrscheinlicher, als daß Gott Vater das Weib aus der Rippe des Mannes gemacht hat, wäre mir, daß er ein Stück seines eigenen großen Herzens genommen, und die Gefährtin des Mannes daraus geformt hat. Man kann in der ganzen Welt suchen, das Zeichen göttlicher Verwandtschaft, ursprünglichster Vollkommenheit wird man nur in der Frau finden.«

»Sie machen uns viel besser, als wir es zu sein wünschen, Durchlaucht!« rief Lilly, eine Pause benützend. »Ihre Ansicht ist schmeichelhaft, aber allzusehr durch die Brille der Frauenverehrung gesehen. Ich muß gestehen, daß ich, wenn Männer und Frauen verglichen werden, die Männer vorziehe, in jeder Beziehung; mögt ihr euch nun darauf etwas einbilden oder nicht! Wenn Sie uns ›religiöse Wesen‹ genannt haben, mein Fürst, so ist das sehr nett, eines Ihrer allerliebsten bon-mots; aber ich für meine Person verspüre davon nichts, ich hätte gar kein Talent zur Priesterin.«

160 »Es scheint für meine Theorie allerdings ein harter Schlag,« erwiderte ihr der Fürst, »wenn eine Frau die Eigenschaften ablehnt, die ich dem Geschlechte zugesprochen habe. Aber, das ist ja gerade euer eigenstes Wesen, eure höchste Originalität, daß ihr nicht wißt, wer und was ihr seid, daß ihr unbewußt lebt, wie die Pflanze wächst, ursprünglich, natürlich, naiv . . . . . .«

»Alles will ich mir nachsagen lassen,« rief Lilly, »nur nicht Naivetät!«

»An dem Worte erkenne ich unsere Lilly wieder,« meinte der Fürst lächelnd. »Und trotzdem nehme ich Sie nicht aus, Lilly! Ihr Frauen seid verschieden, wie die Blumen verschieden sind. Es giebt eine Ähnlichkeit der Art, aber ganz gleicht keine der anderen. Jede hat ihren Duft für sich, auf dem Grunde eines jeden Kelches schlummert Honig; und jede wartet, daß ihre verborgene Süßigkeit entdeckt werde. Nur der Mann hat die Fähigkeit, diese eure geheimsten Schätze zu heben. Für den Mann allein blüht das Weib, für seine Liebe schmückt sie sich bräutlich. Das ist unser Glück, unser unverdientes Glück, daß ihr uns braucht zur Entfaltung eurer höchsten Schönheit. Nur darin seid ihr abhängig, in allem anderen herrscht ihr!«

»Durchlaucht, ich streiche die Segel vor soviel Höflichkeit!« rief Lilly.

»Und was sagen Sie dazu, mein Freund?« Damit wandte sich der Fürst an Leo Wernberg. »Sie werden mich nicht im Stiche lassen!«

»Durchlaucht, ich gebe es von vornherein auf, mich mit Ihnen in ein Wettrennen der Frauenverehrung einzulassen. Meine Ansicht ist sehr prosaisch. Für mich ist die Frau allerdings aus der Rippe des Mannes gemacht. Ich gebe alles zu, was Sie Günstiges über Wesen und 161 Charakter unserer besseren Hälften gesagt haben, aber sehen Sie sich doch einmal in Staat und Gesellschaft um! Steht nicht der Mann an erster Stelle? In Politik, Gesetzgebung, Wissenschaft, Gewerbe, überall ist unser Wille, unser Können ausschlaggebend. Der Mann regiert die Welt. So ist es immer gewesen, und so ist es richtig!«

»Wer sagt denn, daß die Frau sich um Politik, Gesetzgebung, kurz um das ganze öffentliche Wesen zu kümmern braucht! Ja, gerade in dieser Beschränkung liegt ihre Kraft. Scheinbar die Regierte ist sie doch die Regierende. Ich spreche nicht davon, daß wir alle, wie wir sind, vom Weibe kommen. Ich überlasse es den Nationalökonomen, die Verdienste der Mütter nach dieser Richtung zu preisen. Ich spreche nur von dem, was die Frauen für die große Kultur bedeuten. Können Sie sich eine Civilisation ohne die Frauen denken. Wir wären Wilde ohne ihre sanften Herzen und zarten Hände. Das gilt für das Ganze, wie für den Einzelnen. Ich behaupte, jeder Mann ist Barbar, der sich nicht im Geiste vor der Frau beugt, vor dieser edelsten Erzieherin. Denn sie verwaltet alle erlesenen Güter; alles was schön ist, harmonisch, gefällig, bleibt ihre Domäne. Sie braucht nicht Kunstwerke zu schaffen, und bringt doch spielend Kunst hervor. Um sie her fluten Grazie, Ebenmaß, Musik, wie Luft und Licht natürlich, denn sie ist ästhetisch von Natur. Das Weib ist die Urform aller Schönheit, die weibliche Wissenschaft aber ist die Liebe. Die Liebe ist das Metier, das die Frau von Anbeginn her versteht und ausübt, wie der Vogel singt und der Baum blüht. Sie muß lieben und sich lieben lassen, weil sie nicht anders kann, weil ihr Herz zu groß ist und zu stark, als daß es sich beschwichtigen ließe.«

»Fürst!« rief Lilly, »Sie sind ein paar Jahrhunderte zu spät geboren! Sie hätten zur Zeit der Troubadours leben müssen!«

162 »O, ich bin zufrieden, daß ich jetzt lebe! Ich bin Gegenwartsmensch. Jedes Zeitalter hat Frauen; die Frau ist immer modern. Ihre Verehrung kann nie aus der Mode kommen. Nur um der Frauen willen ist das Leben gut und lebenswert, das ist meine Religion.«

 


 


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