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Drittes Kapitel

Von dem Entschluß, den Don Alphonso und Gil Blas nach diesem Abenteuer faßten.

 

Wir ritten nach unsrer löblichen Gewohnheit die ganze Nacht hindurch; und bei Sonnenaufgang befanden wir uns bei einem kleinen Dorf zwei Meilen vor Segorbe. Da wir sehr müde waren, verließen wir die Landstraße gern, um ein Weidengebüsch zu erreichen, das wir am Fuß eines Hügels tausend bis zwölfhundert Schritte vor dem Dorf erblickten. Wir fanden angenehmen Schatten unter den Weiden, und den Fuß der Bäume bespülte ein Bach. Die Stelle gefiel uns; wir beschlossen, dort den Tag zu verbringen. Wir schirrten unsre Pferde ab, um sie grasen zu lassen, und lagerten uns auf der Weide. Wir ruhten ein wenig aus und leerten dann Schlauch und Quersack vollends. Nach einem reichlichen Frühstück vergnügten wir uns damit, das Geld zu zählen, das wir Samuel Simon genommen hatten; es belief sich auf dreitausend Dukaten; mit dem, was wir schon hatten, konnten wir uns also rühmen, nicht schlecht bei Kasse zu sein.

Da man für Vorräte sorgen mußte, so sagten Ambrosio und Don Raphael, nachdem sie ihre Verkleidungen abgelegt hatten, sie wollten gemeinsam diese Sorge übernehmen; das Abenteuer von Xelva weckte erst ihren Geschmack, und sie möchten nach Segorbe reiten, um zu sehn, ob sich nicht Gelegenheit zu einem neuen Streiche biete. Ihr, fuhr Don Raphael fort, braucht uns nur unter diesen Weiden zu erwarten; wir werden bald wieder zu Euch stoßen. Holla! Herr Don Raphael, rief ich lachend, wenn Ihr uns verlaßt, so haben wir Aussicht, Euch lange nicht wiederzusehn! Dieser Argwohn beleidigt uns, erwiderte der Herr Ambrosio; aber wir verdienen den Schimpf. Ihr seid nach dem, was wir in Valladolid vollbrachten, entschuldigt, wenn Ihr uns mißtraut; aber Ihr täuscht Euch. Die Brüder, die wir dort im Stich ließen, waren Leute von sehr schlechtem Charakter, deren Gesellschaft uns unerträglich zu werden begann. Ihr müßt es den Leuten unsres Berufs lassen, daß es im bürgerlichen Leben keine Verbündeten gibt, die das Interesse weniger leicht entzweit. Also, fuhr Lamela fort, ich bitte Euch, Herr Gil Blas, Euch und den Herrn Don Alphonso, ein wenig mehr Vertrauen zu uns zu haben, und ganz ruhig zu sein, wenn Don Raphael und ich nach Segorbe reiten möchten.

Es ist leicht, sagte da Don Raphael, ihnen jede Sorge zu benehmen: sie brauchen nur Herren der Kasse zu bleiben; dann haben sie eine gute Kaution für unsre Rückkehr. Nun, Herr Gil Blas, werdet Ihr Euch nach diesem Beweis unsrer Redlichkeit nicht völlig auf uns verlassen? Ja, meine Herren, sagte ich, und jetzt könnt Ihr tun, was Ihr nur wollt. Sie brachen auf der Stelle auf, beladen mit dem Schlauch und dem Quersack, und ließen mich unter den Weiden mit Don Alphonso allein, der mir nach ihrem Aufbruch sagte: Herr Gil Blas, ich muß Euch mein Herz öffnen. Ich mache es mir zum Vorwurf, daß ich solange mit diesen Schelmen gezogen bin. Ihr glaubt nicht, wie oft ich es schon bereut habe. Gestern abend, als ich die Pferde bewachte, haben mich tausend bedrückende Gedanken gequält. Ich habe mir gesagt, es ziemt sich nicht für einen jungen Mann, der Grundsätze der Ehre hat, bei so argen Leuten zu leben; und wenn wir eines Tages im Gefolge einer Halunkerei der Justiz in die Hände fielen, und das kann leicht geschehn, dann würde ich die Schmach erleben, daß man mich wie einen Dieb mit ihnen zusammen bestrafte. Diese Bilder stehn mir unaufhörlich vor Augen, und ich will Euch gestehn, daß ich, um nicht mehr an ihren schlimmen Handlungen mitschuldig zu sein, beschlossen habe, mich auf immer von ihnen zu trennen. Ich glaube nicht, fuhr er fort, daß Ihr meinen Plan mißbilligt. Nein, das versichere ich Euch, gab ich zur Antwort; obgleich Ihr gesehen habt, daß ich in der Komödie Samuel Simons die Rolle des Alguasils übernahm, so denkt darum nicht, daß solche Streiche nach meinem Geschmack sind. Ich rufe den Himmel zum Zeugen an, daß ich mir während dieses Spiels gesagt habe: Meiner Treu, Herr Gil Blas, wenn Euch jetzt die Justiz am Kragen packte, so verdientet Ihr auch den Lohn, der Euch zufiele! Ich verspüre also so wenig Neigung wie Ihr, Herr Don Alphonso, in so schlechter Gesellschaft zu bleiben; und wenn Ihr es für gut befindet, so werde ich Euch begleiten. Wenn diese Herren wiederkommen, so wollen wir unsre Kasse teilen und morgen früh oder noch heute nacht von ihnen Abschied nehmen.

Der Liebhaber der schönen Seraphine stimmte meinem Vorschlag bei. Wir wollen, sagte er, Valencia zu erreichen suchen und uns nach Italien einschiffen, wo wir in der Republik Venedig Dienste nehmen können. Ist es nicht besser, das Leben der Waffen zu ergreifen, als unser feiges und verbrecherisches Dasein fortzuführen? Wir werden sogar mit dem Geld, das wir haben, eine recht ansehnliche Rolle spielen. Nicht, fügte er hinzu, als ob ich mich ohne Gewissensbisse eines so übel erworbenen Guts bediente; aber erstens zwingt mich die Not, und zweitens schwöre ich, wenn ich je im Kriege das geringste Vermögen erwerbe, Samuel Simon zu entschädigen. Ich versicherte Don Alphonso der gleichen Gesinnung, und wir beschlossen schließlich, unsre Kameraden am folgenden Morgen vor Tagesanbruch zu verlassen.

Ambrosio und Don Raphael kamen gegen Schluß des Tages aus Segorbe zurück. Das erste, was sie uns sagten, war, daß ihre Reise sehr glücklich gewesen wäre; sie hätten den Grund zu einem Streich gelegt, der uns allem Anschein nach noch mehr eintragen würde als der letzte. Und daraufhin wollte Don Raphael ihn uns auseinandersetzen; aber Don Alphonso ergriff das Wort und erklärte ihnen höflich, da er sich nicht zu ihrem Leben geboren fühlte, so hätte er die Absicht, sich von ihnen zu trennen. Ich sagte ihnen, daß auch ich meinerseits den gleichen Plan hegte. Vergeblich taten sie ihr möglichstes, um uns zu überreden, daß wir sie begleiteten: wir nahmen am folgenden Morgen, nachdem wir das Geld geteilt hatten, Abschied und zogen auf Valencia zu.


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