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Die Kirche

Diese Gemeinschaft muß institutionell, auf Grund der gegenseitigen bestätigenden Mitteilung, des Bekenntnisses gegründet sein, denn wenn auch das Wort des Geistes ist, so sind die Hörer und Verkündiger Menschen. Deren leibliches, irdisches Wesen, welches sich in der sterblichen Zeitspanne nicht rein vergeistigen läßt, braucht eine objektive, greifbare, wirksame, instrumentale Einrichtung, welche die Gemeinschaft umschließt und darstellt.

Nach dem Grundgesetz muß sie geist-stoffliches Zwiewesen sein. Allerdings in rational viel unfaßbarerer Weise als das sonst im Gesetz Bedingte. Ihre metaphysische Seite ist bestimmend, sie ist unter die Metaphysik gestellt.

In diesem Sinn, nicht zuerst im Unterschied der Rechtgläubigen und Mitläufer, liegt das Wechselbild von der sichtbaren und unsichtbaren Kirche.

(Solche gedankliche Zurückführung doch gewiß nicht gedanklich konstruierbarer religiöser Zeitbildungen hat wiederum nur den bescheidenen Zweck, ihre logische Parallele zu finden.)

*

Schon das Geschehnis an sich macht die religiöse Gemeinde, die Kirche. Selbst wenn sich die Begnadeten der magischen Vereinigung zunächst nicht bewußt würden.

Aber wer bezweifelt noch, daß die Jüngerschaft Jesu sich als geistige Körperschaft, als Brüderschaft, als Beauftragte fühlte, im heiligen gestifteten Amt?

»Nehmet hin und esset …! Trinket alle daraus …!« Sie waren Ihm anverleibt, waren Seine Geweihten. Sie wußten, daß Er ihnen den Geist gesandt, sie zu Zeugen gemacht hatte vor allen Völkern.

Und was kann man so Gemeinde nennen wie die erste Christenschaft? So ausgesondert und als Inbegriff der Gemeinde? Die Taufe, der apostolische Brief, Εὐχαριστια und Ἀγαπη banden sie zum Bund. Freilich auch die Erwartung des »Reiches«, das noch in ihrem Erdentag erscheinen sollte, aber erst recht die betroffene Herde zusammentrieb.

Indes schon war sie statuiertes Gebilde dieser Welt, Ἐϰϰλησια, Communio Sanctorum, Leib Christi.

Unter den Schauern des Brausens hatte sich die verschlossene Pfingststube zur Zelle der Kirche gebildet, welche sich am Ende über der Menschheit wölben wird, καϑ᾿ ὁλης της οἰκουμενης.

Man wandere und fahre mit Paulus. Die ganze damalige Welt durchgriff sein Stecken, die Meere durchschnitt sein Kiel, er erlitt Schiffbruch, Gefängnis, Stäupe, Steinigung und in Rom das Martyrium. Er predigte und weissagte und tat Wunder.

Es war die »Gemeine Gottes«, welche er zu errichten hatte, den »Gottes-Bau«, den »Tempel«.

Wer glaubt, daß in diesem nicht das Mysterium und der Dienst am Mysterium, der Kult gewaltet habe? Das Urmerkmal der Kirche. Es war Geheimkult, verborgen vor der Welt. Man sieht durch die Apostelbriefe ja nur als durch Stückwerk in die Innenform der alten Gemeindebildung, wie auch durch die Evangelien das Schauspiel des Lebens unseres Herrn nur in Lichtschlägen durchbricht. Gewiß ist in den Briefen von dem Inhalt des Kultes nicht sachlich, sondern nur andeutend die Rede. Er war das Selbstverständliche, vor den Unheiligen nicht Bloßzustellende.

»Komme ich zum drittenmale zu euch, so soll in zweier oder dreier Zeugen Mund bestehen allerlei Sache.«

Paulus nannte sich den Haushalter über Gottes Geheimnisse und den Liturgen Christi. In diesem liturgischen Verbund ist sicherlich das Gleichnis I. Korinther 12 zu verstehen, vom Leib und den Gliedern.

Man höre auf die immer wiederkehrenden Worte der apostolischen Sendschreiber: »Hirte, Herde, Küchlein, Kinder, Kindlein, Brüder«. Vielleicht hatte auch das Wort Liebe selber nicht nur eine mystische, sondern noch eine kultische Bedeutung? Im geistigen Gegensatz zu dem entarteten Eros der Hellenen.

Die institutionelle Bindung war schon so, daß es (hierarchische) »Ämter« gab und Steuern.

Sind nicht heute wir die Synoptiker des ersten Christentums?

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Nach Augustin haben mit am schönsten und tiefsten ostkirchliche Denker, etwa Chomiakoff, vom Wesen der Kirche gesprochen, allerdings vorwiegend an deren mystische Einheit denkend, welche nicht in der äußeren Autorität, sondern in der inneren liebesgläubigen Freiheit west, welche wiederum diese Autorität als ihr selbstverständliches Gewächs erkennt:

»Die Kirche ist keine Autorität, wie Gott keine Autorität, wie Christus keine Autorität ist, denn Autorität ist etwas für uns Äußerliches. Nicht Autorität sage ich, sondern Wahrheit und zugleich das Leben des Christen, sein innigstes Leben: denn Gott, Christus, die Kirche leben in ihm mit einem Leben, das wirklicher ist als das Herz, das in seinem Busen schlägt, oder das Blut, das da fließt in seinen Adern; aber sie leben in ihm, inwieweit er selbst das ökumenische Leben der Liebe und der Einheit lebt, das heißt das Leben der Kirche … Die Kirche und ihre Glieder wissen durch das innere Wissen des Glaubens die Einheit der Unveränderlichkeit ihres Geistes, der da ist der Geist Gottes.«

»Wir wissen, wenn einer von uns fällt, so fällt er allein; aber Niemand wird allein gerettet: wer gerettet wird, wird gerettet in der Kirche, wie ihr Glied, in Einheit mit den andern Gliedern. Glaubt jemand, so ist er in der Gemeinschaft des Glaubens. Liebt jemand? – so ist er in der Gemeinschaft der Liebe. Betet jemand? – so ist er in der Gemeinschaft des Gebetes … Sage nicht: ›Welches Gebet kann ich dem Lebenden oder dem Toten zu Teil werden lassen, da mein Gebet ja für mich allein nicht ausreicht?‹ Denn da du nicht zu beten verstehst, welchen Zweck hätte es, daß du auch für dich selbst beten solltest? Es betet aber in dir der Geist der Liebe … Sage auch nicht: ›Wozu braucht ein Anderer mein Gebet, wenn er selbst betet und Christus selbst für ihn Fürbitte tut?‹ Wenn du betest, so betet in dir der Geist der Liebe. Sage nicht: ›Das Gericht Gottes kann schon nicht mehr abgeändert werden‹ – denn dein Gebet liegt selbst in den Wegen Gottes und Gott hat es vorausgesehen. Wenn du ein Glied der Kirche bist, so ist dein Gebet notwendig für alle ihre Glieder. Wenn aber die Hand sagt, daß sie das Blut des übrigen Körpers nicht braucht, und daß sie ihr eigenes Blut ihm nicht geben wird, so wird die Hand verdorren. So bist auch du der Kirche notwendig, solange du in ihr bist; wenn du aber auf die Gemeinschaft verzichtest, so stirbst du ab und bist kein Glied mehr … Das Blut aber der Kirche ist das Gebet für einander, und ihr Atem ist Lobpreisungen des Herrn.«

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Es gibt 760 Millionen Christen auf der Welt und 1040 Millionen Nichtchristen. Vermöchte eine Macht jene durch eine große innere und äußere ökumenische Bewegung so zusammenzuführen, daß das Evangelium in ihnen nicht nur Bekenntnis, sondern Wesen würde, dann wäre das Wort vom Senfkorn, von einem Hirten und von einer Herde erfüllt. Denn das Wunder dieser Einung wirkte als ein Magnet gleich wunderbarer Art. Das Christentum dargestellt in jener Ziffer, verkörpert zu einem vom Pneuma und Charisma geweihten Leib, stünde als Alles verwandelndes Beispiel da. Das rückbekehrte Abendland träte erneut unter die Völker der Erde. Schwertlos, zwanglos fiele ihm die milde Herrschaft zu. Das »Reich« käme. Der Menschheit Antlitz wäre ins Licht der Liebe gedreht.

Man stelle sich vor, jene 760 Millionen beteten in gleichem Augenblick auf der ganzen Welt das »Vater unser!« Man sehe sie zusammen knien am Tisch des Herrn!

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Das Gesicht zerfällt. Summe ist tot. Man vernimmt: es sind 47 % römische, 21 % griechische Katholiken, 32 % Evangelische und sonst Getrennte.

Wo ist der Mund, der Ziffer einen, den einigen Odem einzublasen? 760 Millionen? Nicht einmal (den um wie viele Ringe engeren?) Kreis derer, welche mehr als den Christennamen in sich tragen, hat ein Hauch der Vision beweht. Sonst müßte zunächst an ihm jener Magnet seine Macht ansetzen und die darin Zersprengten ins heilige Kraftfeld reißen. Von allen Türmen und Bergen der Gläubigen erschölle der Ruf der Einung. Das allzu starr Gesetzte lockerte sich, das allzu Erweichte fügte sich.

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Die ökumenische Bewegung unserer Zeit mag etwas von der Größe solcher Möglichkeiten verspüren.

Aber ihre Träger erfuhren zunächst nur, wie tief das Scheidewasser der Zersetzung im eigenen Bereich gesickert ist. Die getrennten Lager erkennen sich wirklich nur mehr dem Namen nach, und vielleicht in einem geretteten allgemeinen Grundgefühl, daß einst eine Gemeinschaft zwischen ihnen bestanden habe. Es ist, wie wenn einmal entfernte Verwandte vom Ausland zusammen kommen, um aus einem unbestimmten Heimweh daran zu glauben, es habe sich in ihren Adern ein Tropfen gleiches Blut bewahrt.

Indes das Heimweh wächst, der vergrabene Schatz leuchtet herauf, in der Umarmung eines neuen guten Willens findet man sich.

Die erste Mühe gilt dann, dem weiteren Verfall zu wehren. Man sucht gemeinsamen Grund: In einem Bekenntnis, zurückgeführt auf Ursätze der Heilsgemeinschaft. (Formal begleitend auf Ursakralien.) Es gelingt nicht. Man sucht weiter: In einem Einverständnis wenigstens über die historische Wesenheit des Stifters. Es gelingt nicht.

Protestantisch-theologische, kausal-kritisch geschulte Wissenschaft hat dessen Begriff verflüchtigt. Man wagt nicht nach ihm zu greifen, denn man hat nur noch etwas von der Luft gelassen, darin er einst gewandelt haben soll. In dieser Lufthülle darf sich noch Christ heißen, wer nimmer an Christus glaubt. Man hat dessen Gestalt in ein »Als ob« verwandelt, in eine Hilfsfiktion, unter deren Vorstellung sich erhalten soll, was die gläubige Vergangenheit an religiösem Zeitwert daraus gemacht hat. Man will das Wesen des Christentums erhalten durch den zum Scheinwesen entkörperten Begründer. Allein wie soll sich etwa ein Duft im Raum wahren, wenn man den Duftstoff hinausträgt? Wie ein gewobenes Bild, da die Maschen aufgetrennt sind? Man erzählt Enkeln von seinem Aussehen. Was mag es denen sein? Und dem Herzog folgt der Mantel.

In Paris tagte jüngst ein internationaler Theologenkongreß für Geschichte des Christentums. Besonders stark war dabei »die radikale Richtung der Literarkritik vertreten, die von den verschiedensten Gesichtspunkten aus die Unechtheit der neutestamentlichen Schriften und damit die Ungeschicklichkeit Jesu, ja sogar des Paulus behauptet. Französische, holländische, deutsche Gelehrte waren in dem Ergebnis einig, wenn auch ihre Methoden einander gegenseitig zum Teil geradezu ausschlössen.« Der Kongreß tagte unter dem Leitspruch »In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus Caritas«! Er fand nach dem ersten großen ökumenischen Kongreß von Stockholm statt. Auf diesem setzte man der Zerbrechlichkeit halber nicht zuerst die Frage nach »faith and ordre« (Glaube und Verfassung) in Behandlung, sondern die andere nach »life and work« (Leben und Werk). Solches geschieht an Religionsbewegungen, welche einst von der Sola fides ausgingen und das Werk verwarfen. Dieses muß sich jetzt vor jenes stellen!

Wenn Luther heute solchen Tausch ins Gegenteil erlebte, wenn er unter einem jener immer noch auf seinem Namen gestellten Lehrstühle säße …

Und dennoch ging durch die Stockholmer Tagung großer pneumatischer Hauch, ja das mysterium unitatis wurde verspürt. Am tiefsten und wahrsten bei den altliturgischen Gottesdiensten, dem sakralen Urband jenes ökumenischen Heimwehs, dem institutionellen Zeichen der apostolischen Kirche Christi.

Welch eine ungemeine Summe reinen, Gnade suchenden Willens wirkt indes hinwiderum im Bereich des evangelischen Kirchentums! Wie viel heilig durchblutetes Wesen fließt darin! Seine Peripathie steht bevor! Das Auge der Sorge und der Hoffnung sieht diese. Es ist ein heroisches Amt, protestantischer Diener am Wort zu sein.

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Freilich kann anderseits mit dem Rest so gelockerten mythischen Gewebes, mit solchen Bruchsteinen einstigen Bauwerks keine übergeordnete Institution religiöser Einung erzielt werden. Nicht einmal wohl wird es gelingen, den Protestantismus aus seinem zerrüttenden Subjektivismus, aus dem Geröll seiner Individualkompetenzen wieder formhaft zu festigen, nicht in der (ja untergrabenen) Glaubenssicherheit des Einwesens, sondern in der Demut des unzerstörbaren christlichen Gemeinwesens, welches sichtbar darstellt das Fortleben des heiligen Stifters. Es ist eben jene leicht zur unbewußten Hoffahrt führende egoistische Mystik des religiösen Selbsterlebnisses, welche weite Schichten instinktiv und anererbt abhält von der großen Objektivation des (gott-menschlichen) Christentums, von der historischen Grundlage der in dieser fortwirkenden Tatsache des Heiles.

Die eben wegen des menschlich bedingten Anteils, oft kraß vortretenden Schäden des Anstalthaften sind natürliche Dinge zweiten Grades und haben mit dem göttlich bestimmten Wesen nichts zu tun. Dahingegen droht der nachdrücklich und stolz »gesetzesfreie« Christenteil als Gesamtkörper ein idealistisch gestimmtes Luftgebild zu werden, wenn er aus seiner selbsthaften Transzendenz nicht die Religio zurückfindet zur erdhaften Bedingnis der Inkorporation.

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Und die ökumenische Bewegung ist solch tragisch großer Einsicht entwachsen. Sie braucht zunächst Auslese dessen, was faßbar und verläßlich in ihren Rahmen, einen Mindestrahmen gehört. Dadurch wird dann den Teilbekenntnissen wieder eine natürliche Füllung zugeführt, also werden scheinbar die Trennungswände erhöht. Aber mit den Einzelbecken füllt sich auch das Becken der Gemeinschaft. Der religiöse Fundus der Christenheit mehrt sich und wird einmal die Trennungswände übersteigen.

Gewiß mag absehbar die lose Zusammenarbeit der Boden sein, die Cooperatio, der Zeitdienst mit der Uraufgabe, eine neue – Verheidung des Abendlandes, welche von mancherlei Quellen her droht, abzudämmen durch neue demonstrative Entgegensetzung des christlich metaphysischen Weltbildes, und dieses Weltbild zu beleben durch das Urgebot des Evangeliums, die Liebe. Die katholische Kirche wird, ohne schwere Verantwortung auf sich zu nehmen, bei diesem vorläufigen Werkbund der Christenheit nicht abseits bleiben dürfen, auch nicht wenn sie auctoritativ glaubt Una Sancta zu sein und Verwalterin der Schlüssel, wenn sie meint, von sich aus in ihrer kanonischen Sicherheit warten zu können. In den christlichen Mindestdienst muß sie demütig mit eintreten.

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Seltsam geht ja auch technisch, wirtschaftlich, politisch ein Vergemeindung der Menschheit vor sich. Der Verkehr hat die Erdteile zusammengerückt und die Grenzen der Völker sachlich aufgehoben. Die Rassen geraten in Auseinandersetzung; diese wird in Katastrophen geschehen. Um das soziale Weltbild wird durch die ganze Welt hin gekämpft in zwei Lagern der Gesicherten und der Ungesicherten. Jede große Frage ergreift gleich den Gesamtkomplex.

Der Mensch erhält durch solche Versetzung ins Großräumige einen neuen Typ. Seine innere Seßhaftigkeit, das Merkmal des der Ablösung reifen (alten) Bürgertums, ist aufgehoben, er haftet auf seinem Kontorstuhl in Stuttgart nur mit seinem Leib gleichsam, sein Kopf verkauft Maschinen nach Japan und kauft Baumwolle in Ägypten.

Das Zeitalter der Schnellbewegung, der Momentanität schüttet Zeit und Raum durcheinander, wirft die Erdbewohner aufeinander zu. Und die Rennmaschine ist erst angeworfen, das Tempo wird steigen. Kein Auge sieht voraus, wann die so ungemein sich wandelnde Zivilisation in einer neuen Kultur ihre Eutropie wird gefunden haben, selbstverständlich und stiller Gebrauchswert geworden sein mag.

Der Völkerbund etwa, wie wird er einmal aus der Geschichte her aussehen?

Und dieweil in der physischen Welt diese Mischung der Elemente sich zeigt, wird sich auch parallel in der metaphysischen ein Bindemittel erweisen müssen. Denn ohne dieses und ohne Elastikum zerstießen sich die stofflichen Gegensätze unter dem Anprall. Es ist noch kein chemischer Mischversuch gemacht worden von beispielhaft gleicher Füllung mit Explosivkräften. Die menschliche Stoffgemeinschaft (das »Säculum«) macht ihren größten geschichtlichen Prozeß durch. Die religiöse Geistesgemeinschaft vermag ihr den Sinn zu geben.

760 Millionen Christen gibts auf der Welt und 1040 Millionen (zerspaltene) Nichtchristen.

Die Mission der Ökumene!

Es ist Zeitwende.


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