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Das Evangelium

Christi Botschaft hat als große endgültige Gestalt der Erlösungsreligion die Liebe in die Menschenwelt eingesetzt.

Das ist ihr unvergleichbarer Charakter, ihr Neues, Einziges, ihr absolutes Wesen.

Man hat aus dem Orient, aus Ägypten und Hellas mancherlei Vorformen daneben gestellt, des Evangeliums Eigenlicht zu schwächen. Insbesondere die Mysterienkulte wurden beigeholt, um es als natürliches eklektisches Gebilde darzustellen, als ein Mosaik naturreligiöser und philosophischer Elemente.

Die bestechende Methode erfüllte ihren Zweck in einer aller Destruktion bereitwilligen Zeit. Bis auf die Stühle der theologischen Aufklärung setzte sich die Phrase, das Christentum sei etwa Platonismus für das Volk oder die Judaisierung des Mithras. Die Kirchenväter schon haben, allerdings apologetisch befangen, den Zusammenhang geahnt, indem sie jene Kulte als begleitende Gaukelspiele des Widersachers verfehmten. Positiv gesehen werden die Erscheinungen wirklich Vorformen, Vorbesämung, Präambeln, Gleichnisse, Ausatmung der reifen Erwartung. Parallelsignale der biblischen Prophetien, so geschehend, wie wenn sich in der Natur ein kosmisches Ereignis anzeigt, oder ein Magnetfeld viele Dinge seines Bereiches erregt. (Unzulängliches Beispiel mag Entdeckung der X-Strahlen sein, welcher mancherlei Phosphoreszensen der Hittorfschen Röhre vorausgingen.) Die Luft war metaphysisch geschwängert, »die Zeit erfüllt«.

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Ja gerade diese magnetische Zeichenhaftigkeit weist hin auf die Gewalt des numinosen Geschehnisses, welches sich da offenbarte.

Tiefste Scheidung geschah: Bisher wuchs der religiöse Drang aus den Erscheinungen der Natur, aus den Symbolen auf in den Bezirk der geistigen Klärung. Der Verbund mit der übersinnlichen Welt war ungeteilt immanent bis in die apollinische Figuration empor. Auch alle auftauchenden Kulte entstammten naturmystischem Boden, waren gleichsam konservative Gegenwirkungen gegen jene Vergeistigung, selbst wenn sie im Gewand der Erlösungsreligion kamen.

Der Weg aus der Spaltung zur Einung, der Weg des großen Rückgesetzes, blieb in kosmischen Bildern stecken, gelangte nicht zum Sinnbild. Die platonische Forderung erhob sich wohl in der Orphik, gewann aber keine Gestalt noch Geltung. Auf jene Verstockung im Bildwerk trifft das Wort vom Götzenhaften, Abgöttischen. Dies waren gleichsam Spiegelversuche des immer und seit Anfang dahinter stehenden Monotheos, des Ἐν. Von da aus versteht man auch das grimmige Pathos des Alten Testaments gegen den Abfall vom ersten Gebot, und versteht das immer wiederkehrende Gelüst der Juden zu solchem Abfall. Baal mit dem goldenen Haupt und den tönernen Füßen (es ist nicht nur die Zerbrechlichkeit gemeint) allegorisiert die tellurisch-uranische Mischung der das Zelt des Unaussprechlichen, Unsichtbaren umlockenden Wettbewerber.

Auch der Rettungsversuch der hellenischen Theologie, jener oben besprochene apollinische Kompromiß mit der phallischen Naturmacht scheiterte. Denn:

»Die siegreiche Bekämpfung des Sensualismus durch sich selbst ist eine Unmöglichkeit. Die gesicherte Herrschaft des geistigen Prinzips in der Religion erbaut sich nicht auf der Läuterung physischer Ideen, mögen diese auch den höchsten Grad uranischer Sinneswahrnehmung entnommen sein, vielmehr auf ihrer Zertrümmerung und jener grundsätzlichen Negation, welche von dem reinen Spiritualismus des Christentums zuerst in die Welt ausging.«

(Freilich ist dieser Satz eben vom christlichen Blickfeld aus mit Vorbehalten zu lesen, welche noch zu Wort kommen.) Aber das grundsätzlich, beziehungslos Andere geschah: Durch das Evangelium war auf einmal die Überwelt nicht mehr in die Beleuchtung der irdischen Welt gestellt. Das Schlaglicht war umgekehrt. Nimmer der Mensch griff hinauf durch den Saum der transzendent-immanenten Scheidung, vielmehr die Gottheit griff herunter. Und das auch nicht wie seither auf jene naturmystische Weise der Mysterien, sondern in rein metaphysischem Vorgang.

Das fehlende Stück des Kreises erschien, die Lücke im Bild des Michel Angelo füllte sich geistig aus.

Gewiß war es kein Zufall, wenn damals zu gleicher Zeit die Philosophie eine unstoffliche Durchlichtung des Weltbildes erzielte und der neuen Religion konstruktive Darstellungsmittel zum Einbau gegeben hatte. Der Sinngläubige wird darin eben bestätigt finden, daß die Zeit reif war. In Platons »Timäus« steht schon das Zeichen des »Kreuzes« errichtet.

Wer hat auch einmal darüber nachgedacht, wie seltsam das platonisch-aristotelische Erbe durch die christlichen Sachwalter in seiner ganzen Fülle gerettet wurde, wie es eben jetzt durch solche Bewahrung bereit ist, unsere getrübten Zeithorizonte neu zu klären?

Die Tatsache des Christentums ist: daß Gott dem Menschen Bewußtheit gegeben hat, daß seine Seele nicht des Fleisches, sein Geist nicht des Stoffes, also nicht des Zerfalls sei.

Sie hat das Band der Religio herabgeworfen.

»Und die Fäden die zerrissen,
Knüpft er alle wieder an.«

Eros ist zum Logos geworden.

Der Mensch, nach dem »Bild und Gleichnis« entstanden, sieht sich in gnadenhaftem Vorgang als das Symbol der naturgesetzlichen Zweiheit, welche an sich vergebens nach der Einheit strebt. Doch tritt die Einheit über den Zwischenraum herab, vollzieht das – favete linguis! – Mysterium, selber in die Teilung einzugehen und teilhaftig deren Drang zu er-lösen.

Der Wechsel geschah so:

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(Freilich kann hier weder mit Augenbehelfen noch mit gedanklichen Erläuterungen mehr gedeutet werden. Die Zusammenhänge webt der Glaube. Wenn dieser Versuch gesetzlich-sinnbildlicher Beleuchtung den Vorgang der Intuition erschlossen hat, darf er demütig sein Licht löschen.)

Wer an die geistige Wesenheit des Menschen glaubt, darf zwanglos und natürlich an die Offenbarung glauben, welche ihm die Gewißheit seiner Herkunft und Heimkunft schenkt.

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Die Wandlung war das Geschehnis der Liebe. Das Gesetz der Liebe waltete.

» Gott ist die Liebe«.


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