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27.

Gräfin Susanne war sehr mißgestimmt nach Hause zurückgekehrt. Ihre Schwiegermutter bekam nur kurze Antworten auf ihre Fragen nach Lothars Ergehen. Jede Kleinigkeit mußte sie Susanne abfragen. Die alte Dame war zu scharfsinnig, um nicht zu merken, daß eine neue Spannung herrschte zwischen Mutter und Sohn, und es fiel ihr nicht schwer, die wahre Veranlassung zu erraten. Ein Brief Lothars, den er von Rom aus schrieb, ehe er nach Rocca di Papa ging, bestätigte ihre Ahnung. Er teilte ihr mit, was sich zwischen seiner Mutter und ihm zugetragen hatte. Auch von ihrem Schwure berichtete er. Gräfin Thea machte ein seltsames Gesicht, als sie diese Stelle las, und sah zu dem Bilde ihres Sohnes auf. Und dann streifte ihr Blick den Schreibtisch. Ein Seufzer stahl sich über ihre Lippen und sie blickte lange sinnend auf den Brief herab. Aber dann trat ein Lächeln in ihr Gesicht und sie las weiter. Lothar teilte ihr noch mit, daß er im Begriffe sei, eine Sommerfrische zu beziehen, und er bat sie, den beiliegenden Brief an Jonny zu geben.

Noch immer gingen Lothars und Jonnys Briefe durch Gräfin Theas Hand, da alle Postsachen von Gräfin Susanne nachgesehen wurden und man ihr verbergen wollte, daß die beiden jungen Leute so eifrig einander schrieben.

Jonnys Brief von Lothar enthielt wie sonst eine genaue Schilderung seines Lebens, flüchtig erwähnte er auch, daß Graf Liebenau mit seinen Damen in Rom gewesen und er viel mit ihnen zusammengetroffen sei. Aber über die Absichten seiner Mutter schrieb er kein Wort. Und Großmamas Briefe von Lothar durfte Jonny jetzt oft nicht mehr lesen. Es stand so manches darin, was nicht für sie bestimmt war, obwohl es sich fast nur um ihre Person drehte.

Gräfin Thea mußte eben alle sehnsüchtigen Ergüsse Lothars über sich ergehen lassen, da sie seine einzige Vertraute war.

Aber die alte Dame las all die wiederkehrenden ungeduldigen Stoßseufzer mit innigem Behagen. Sie freute sich der jungen reinen Liebe. Auch Jonnys jetzt sehr ungleiches, oft verträumtes Wesen beobachtete sie mit stillem Lächeln. [Aus] ihren Liedern klang abwechselnd Jubeln und Jauchzen und tiefe Schwermut. Wenn man sie unvermutet in ihren Träumen anrief, wurde sie rot und überhastete sich dann im Bestreben, irgend ein Versäumnis gut zu machen. – – –

Der Frühlingssturm fegte durchs Land. Schnee und Eis waren verschwunden. In der Erde dehnten und streckten sich tausend geheimnisvolle Kräfte und schüchterne Keime drängten zum Lichte. Im Wildenfelser Parke trugen die Bäume zartes Grün wie feine gekräuselte Federchen. Jeden Morgen konnte Gräfin Thea von ihrem Fenster aus sehen, daß der grüne Schleier über dem Parke dichter und sichtbarer wurde. Mit dankbaren Augen genoß sie das neue Werden ringsum, aber sie fühlte, daß ihre Kräfte merklich abnahmen. Hinaus konnte sie nicht mehr. Langsam verzehrte sich die Kraft eines Wesens, das lange, lange Jahre in Güte und Sanftmut geherrscht hatte in Wildenfels. Das Alter forderte nun plötzlich energisch seinen Tribut.

Als die ersten Blumen auf der Parkwiese blühten, vermochte Gräfin Thea kaum noch das Bett zu verlassen.

Grill und Jonny wichen kaum noch von ihrer Seite. Jonny mußte von ihr geradezu fortgeschickt werden, damit sie zuweilen ein Stündchen an die frische Luft käme.

Gräfin Susanne machte ja ihrer Schwiegermutter jeden Morgen den schuldigen Besuch, kümmerte sich aber sonst nicht viel um die alte Dame. Einmal fragte sie den Arzt, der zuweilen nach Gräfin Thea sah, ob Grund zur Besorgnis vorläge. Der Arzt gab eine vorsichtige Antwort, sprach von hohem Alter und Kräfteverfall. Gräfin Susanne suchte darauf nachdenklich ihr Zimmer auf und schritt lange Zeit ruhelos auf und ab. In ihrem Kopfe jagten sich allerlei Pläne. Und all diese Pläne gingen von einem Punkte aus: »Wenn ihre Schwiegermutter starb, ehe Lothar heimkehrte –?«

Sie gestand es sich nicht ein, aber heimlich wünschte sie brennend, daß dieses Altfrauendasein bald auslöschen möge, damit für sie die Bahn frei werde zum Handeln.

Und dann kam eines Tages von Lothar die Nachricht, daß er gestürzt war und den Unterschenkel gebrochen hatte.

Er meldete seinen Unfall in humoristischer Weise, um seine Angehörigen nicht zu erschrecken, aber Gräfin Thea hatte doch eine Ohnmacht. Ihr schwacher Körper war derartigen Aufregungen nicht mehr gewachsen. Auch Jonnys Herz klopfte in unruhiger Angst und Sorge. Würde Lothar gut gepflegt werden, würde es ihm an nichts fehlen? Aber er schrieb, sie sollten sich daheim keinerlei Sorge um ihn machen. Das Unangenehmste an der Sache sei, daß er einige Wochen still liegen müßte.

Gräfin Thea erholte sich nur sehr schwer, obwohl sie selbst sich ausschalt, daß ihr Lothars Unfall so großen Schreck verursacht hatte.

»Wenn ich jetzt sterben müßte, so könnte Lothar nicht heimkommen,« sagte sie zu Susanne am nächsten Morgen. Und in ihren Gedanken fügte sie hinzu: »Wie gut, daß ich von ihm Abschied genommen habe!«

Gräfin Susanne hatte bei ihren Worten starr vor sich hingeblickt. Und sie konnte diese Worte nicht mehr aus ihrem Gedächtnis bringen.

Zwei Tage später kam Jonny von einem Gange in das Dorf zurück. Gräfin Thea hatte sie mit einem Auftrage dorthin geschickt. Es war nachmittags gegen vier Uhr.

Als sie zu Grill ins Vorzimmer trat, machte diese ihr ein Zeichen.

»Recht leise eintreten, Fräulein Jonnychen – Frau Gräfin schläft noch, ich habe eben zu ihr hineingesehen.«

Jonny nickte. Es war nichts seltenes jetzt, daß die alte Dame zu ungewohnter Zeit schlief. Leise trat das junge Mädchen ein, wie sie sonst zu tun pflegte, und setzte sich mit ihrer Handarbeit an das Fenster. Gräfin Thea lag, in ein weites, bequemes Gewand gehüllt, auf dem Ruhebette. Ihr Gesicht lag im Schatten, Jonny konnte es nicht erkennen.

Nach einer Weile legte sie ihre Arbeit nieder und lauschte. Wie ein leiser Seufzer war es zu ihr herübergeklungen und es schien ihr, als habe sich die alte Dame lang ausgestreckt im Schlafe.

Da alles still blieb, nahm sie ihre Arbeit wieder auf. Aber es war seltsam – ein Schauer flog über ihren Körper, als sei es zu kalt im Zimmer. Besorgt erhob sie sich leise. Großmama fror jetzt so leicht, sie wollte doch sehen, ob sie auch warm zugedeckt sei.

Auf den Fußspitzen schlich sie an das Lager heran, um die Schläferin nicht zu wecken. Sie beugte sich herab, um die warme Decke über sie zu legen, die für solche Fälle immer bereit lag auf einem Sessel neben dem Ruhebette. Dabei berührte sie Gräfin Theas Hand. Und plötzlich durchzuckte sie ein seltsames, eisiges Gefühl. Die Hand war kalt und starr. Sie faßte nun im jähen Schrecken danach und riß den Vorhang zurück, der das Gesicht beschattete. Sie blickte entsetzt in das Gesicht einer Toten.

Ein dumpfer Schrei brach aus ihrer Brust. Grill kam herbeigeeilt. Jonny stürzte ihr entgegen und umklammerte sie, als brauche sie einen Halt.

»Grill – gute Grill – es ist nicht wahr – sag es mir, daß es nicht wahr ist!« flehte sie außer sich.

Grill legte den Arm um das zitternde Mädchen. So traten sie zusammen an das Lager. Die alte treue Dienerin erkannte sofort, daß ihre Herrin hinübergeschlummert war in das unbekannte Land, dem wir alle zustreben müssen. Leise und lind legte sie die Hand über die Augen ihrer allzeit gütigen Herrin. Aufweinend sank sie in die Knie und küßte die Hand der Toten.

»Es ist wahr, Kindchen – sie ist tot!« schluchzte sie.

Jonny fiel neben ihr nieder und umfaßte mit ihren jungen, warmen Händchen das schmale, feine Greisingesicht, das die Majestät des Todes noch veredelt hatte.

»Großmama – liebe Teure – bist du nun für immer von mir gegangen, siehst mich nicht noch einmal an mit deinen lieben, guten Augen!« schluchzte sie und küßte den kalten, bleichen Mund, als wolle sie ihm das eigne Leben einhauchen.

Grill zog sie zurück.

»Nicht küssen, Kindchen – einen Toten soll man nicht küssen.«

Jonny schlug die Hände vor das Antlitz.

»Grill – liebe Grill – nun bin ich ganz allein – ganz verlassen.«

Grill strich ihr tröstend über das Haar.

»Da sei Gott vor, Fräulein Jonnychen. Unser gnädiger Herr Graf ist ja auch noch da.«

Jonny preßte die Hände im jähen Schmerze zusammen.

»Wie furchtbar wird es ihn treffen, Grill – er kann ja nicht einmal herkommen mit seinem gebrochenen Beine.«

Grill trocknete sich die Tränen.

»Ich muß hinüber zu Gräfin Susanne, Kindchen. Bleiben Sie hier – ich komme gleich wieder. Man muß auf alle Fälle an den Herrn Grafen depeschieren.« – –

Gräfin Susanne nahm die Nachricht vom Tode ihrer Schwiegermutter sehr gefaßt auf.

»Gott verzeih mir die Sünde – aber ich glaube, es ist ihr ganz gleichgültig,« dachte Grill schmerzlich, als sie in das kühle Gesicht sah, in dem nur die Augen seltsam aufblitzten.

Neben Grill ging Susanne hinüber in die Gemächer ihrer Schwiegermutter.

»Es war ja vorauszusehen, Frau Grill. Mama war sehr hinfällig geworden in letzter Zeit. Und sie hat ein schönes Alter erreicht,« sagte sie.

Jonny wich zurück vom Lager der Toten, als Gräfin Susanne herzutrat und sie mit kaltem Blicke verscheuchte.

Sie stand beklommen mit Grill im Hintergrunde des Zimmers, während Gräfin Susanne ein kurzes Gebet verrichtete. Wie ein furchtbarer Druck legte sich das Bewußtsein auf ihre Seele, daß diese stolze, kalte Frau ihre unversöhnliche Feindin sei.

Grill mußte dann alle Beamten und Domestiken zusammenrufen lassen. In der großen Halle nahmen sie alle Aufstellung und Gräfin Susanne verkündete ihnen in feierlicher Weise, daß Gräfin Thea soeben verschieden sei. Die Flaggen auf dem Schlosse wurden auf Halbmast gesenkt und zahlreiche Boten wurden nach allen Seiten mit der Trauerbotschaft ausgeschickt. Einer davon brachte die Depesche an Graf Lothar nach der Post. Gräfin Susanne hatte sie selbst aufgesetzt und als sie ihren Namen darunter schrieb, dachte sie mit heimlicher Befriedigung daran, daß er jetzt nicht nach Hause kommen konnte. – –

Die Beisetzung Gräfin Theas mußte wirklich ohne Lothar stattfinden. Er hatte als Antwort auf die Trauerbotschaft eine lange Depesche geschickt, die deutlich genug seine Seelenqual widerspiegelte, gerade jetzt an das Krankenlager gefesselt zu sein. Er ließ einen langen Brief folgen mit allerlei Bestimmungen und stellte seine Heimkehr in Aussicht, sobald er so weit hergestellt sei, um reisen zu können.

Gräfin Susanne antwortete darauf, er solle nur ruhig erst seine Heilung abwarten, sie werde alles Nötige besorgen. Gräfin Thea habe, soviel sie wisse, kein Testament hinterlassen. Ein solches sei ja auch wohl überflüssig, da er der alleinige Erbe sei. Natürlich werde man in vornehmster Weise für Gräfin Theas Dienerschaft sorgen. Jonnys Name wurde von beiden Seiten nicht erwähnt. Lothar verschwieg ihn mit Absicht, da er von Rom aus keine Bestimmungen treffen wollte, die seine Mutter vielleicht doch nicht beachtete, und Gräfin Susanne hatte bestimmte Pläne mit dem Mädchen, die sie Lothar nicht verraten wollte.

Die Beisetzungsfeierlichkeiten entsprachen ganz der hohen Stellung und dem Glanze des Hauses Wildenfels. Susanne hatte mit Umsicht alles geordnet und nahm alle Beileidsbezeugungen mit stolzer Würde entgegen. Man bedauerte allgemein, daß Graf Lothar verhindert war, der Großmutter die letzte Ehre zu geben. Aber noch viel mehr bedauerte man das blasse, schlanke Mädchen in den schwarzen Kleidern und mit der goldenen Flechtenkrone auf dem jungen Haupte. Man wußte genug von dem eigenartigen Verhältnisse Jonnys zu den beiden Gräfinnen, um [zu ahnen], daß das junge Mädchen in Zukunft nicht auf Rosen gebettet sein würde. Spielte sie doch heute schon eine sehr untergeordnete Rolle. Gräfin Susanne hatte ihr ihren Platz neben Grill angewiesen. Jonny selbst war zu stark erschüttert durch den herben Verlust, der sie getroffen hatte, als daß sie sich ihrer Lage voll bewußt geworden wäre. Nur eins quälte sie namenlos. Sie hatte sofort einen Brief an Lothar geschrieben, in dem sie ihm das ganze Leid ihrer Seele enthüllte, und sie hatte gehofft, sofort eine Antwort von ihm zu erhalten. Aber diese Antwort blieb aus.

Sie kam auch nicht in den nächsten Tagen. Jonnys Herz wurde immer schwerer. Hatte sich Lothars Zustand verschlimmert? Konnte er nicht schreiben?

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