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14.

Lothar bewohnte die Zimmer seines Vaters. Er hatte Befehl gegeben, ihm sofort zu melden, wenn seine Mutter heimkehrte.

Aufgeregt und unruhig von den Eindrücken der letzten Stunden, schritt er durch seine Zimmer, deren Verbindungstüren alle offen standen. So konnte er eine ganz ausgedehnte Promenade machen. Seine Gedanken weilten bei Jonny. Er hatte schon mancher schönen Frau gehuldigt, hatte sich als Student auch einige Male regelrecht verliebt – aber was heute bei Jonnys Anblick in ihm aufgewacht war, das hatte er noch für keine Frau empfunden. In der Ferne hatte er ihrer gedacht, wie ein großer Bruder an sein zärtlich geliebtes kleines Schwesterchen denkt. Er sah sie immer vor sich mit fliegenden Hängezöpfen und der etwas eckigen, aufgeschossenen Backfischfigur – so wie er sie zuletzt vor drei Jahren gesehen hatte. Nie wäre es ihm eingefallen, daran zu denken, daß drei Jahre bei einem Mädchen in ihrem Alter Wunder vollbringen können. Und wie ein holdes Wunder hatte sie nun heute vor seinen staunenden Augen gestanden – so unbegreiflich verändert – so ein völlig neues Wesen – daß seine Gefühle für sie eine ebenso große Wandlung durchmachten. Er war ein Mensch, der es gewohnt war, sich selbst Rechenschaft zu geben über sein Denken und Empfinden. Auch jetzt suchte er mit sich selbst ins klare zu kommen.

Herzlich lieb hatte er Jonny schon immer gehabt, es hatte ihn gefreut, wenn er ihr einen Wunsch erfüllen oder sie beschützen konnte. Und warm und wohl war ihm ums Herz gewesen, wenn sie sich an ihn geschmiegt, wenn sie ihn mit den goldig schimmernden Augen so zärtlich und dankbar angesehen hatte. Ja, er erinnerte sich aus seiner Knabenzeit, daß er manchmal in der Schulstunde eine unsinnige Sehnsucht nach ihr gehabt hatte. Schlief vielleicht damals schon in seinem Herzen, was heute aufgewacht war, als er die schlanke, zitternde Mädchengestalt im Arm gehalten und ihre bebenden Lippen mit heißerem Verlangen geküßt hatte als sonst?

Warum war er so erschrocken, als ihm Großmama von Jonnys Bewerbern erzählte? War es nicht Eifersucht, was er dabei empfand? Hätte er sich nicht zwischen sie und alle andern Männer stellen mögen, hatte er nicht aufgeatmet, als Großmutter ihm versicherte, daß ihr Herz noch frei sei?

Nein – keinem gönnte er ihre Liebe – keinem – weil er sie selbst liebte.

Er stand plötzlich still und sah mit weit geöffneten Augen vor sich hin, als sähe er sie wieder vor sich in ihrem weißen Kleide mit den dicken, goldenen Flechten.

»Kleine Jonny – süße, kleine Jonny,« flüsterte er zärtlich und sehnsüchtig. Und dann warf er sich in einen Sessel und schloß die Augen. Seine erregten Sinne zauberten ihm ihre Gestalt vor. Er sah die feinen, edlen Linien der jugendschönen Gestalt, sah das verwirrte, hilflose Lächeln, den bangen, fragenden Blick, als wollte sie sagen: Bist du mein Schicksal? Welch eine reine, tiefe Seele lag in dem Blicke ihrer Augen!

Jonny – kleine, liebe Jonny! War auch in ihrem Herzen das gleiche Empfinden erwacht, wie in dem seinen? Floh sie deshalb in Großmamas Arme, im jähen Schrecken über das neue, ungekannte Gefühl? Ach – wenn er das glauben dürfte – wenn sie jetzt mit gleicher, sehnender Unruhe an ihn dächte, wie er an sie!

Und wie sonderbar – sein Vater hatte Jonnys Mutter geliebt. Gutmachen sollte er an Jonny – darauf bezogen sich seines Vaters letzte Worte. Gutmachen! Ach – wie leicht würde ihm das sein. Am liebsten hätte er ihr seine Hände untergebreitet. Gutmachen? Liebe schenken – eine tiefe, reine, heilige Liebe – sein ganzes Herz – hieß das gutmachen? Das war ja kein Opfer, war seines Herzens heißer Wunsch und Wille. Wie hatte er nur so lange fernbleiben können? Er reiste draußen in der Welt umher, und hier zu Hause wartete das Glück auf ihn und grüßte ihn bei der Heimkehr mit sonnigen Augen.

Er atmete schwer. Die junge, selige Liebe schlug ihm über dem Kopfe zusammen.

»Immer hab' ich sie geliebt – immer – ich wußte es nur nicht,« dachte er beglückt.

So saß er, in Träume versunken, bis sich plötzlich die Tür öffnete und seine Mutter auf der Schwelle erschien. Sie hatte den Diener zurückgehalten, der Lothar ihre Rückkehr melden wollte und war selbst bei ihm eingetreten. Der Pelzmantel lag noch über ihren Schultern und bildete einen prächtigen Rahmen für die kostbare, elegante Gesellschaftsrobe in lichtgrauen Farben. Er glitt herab, als sie auf Lothar zuschritt und ihre noch sehr schönen Schultern und Arme wurden sichtbar. Sie sah sehr schön und vornehm aus, und die wundervollen Brillanten, die sie im Haar und um den Nacken trug, paßten gut zu ihrer fürstlichen Erscheinung.

Lothar war aufgesprungen und ihr entgegengeeilt. Er küßte ihr die Hand, die sie ihm zum Gruß entgegenstreckte.

»Du bist schon heute abend angekommen, Lothar? Wie schade, daß ich es nicht wußte. Ich wäre dann selbstverständlich zu Hause geblieben. Warum hast du nicht depeschiert?« sagte sie in ihrer gehaltenen Art. Es lag nicht viel Wärme in ihrer Begrüßung, wenn auch ihre Augen stolz aufleuchteten beim Anblicke seiner eleganten, schlanken Gestalt.

»Ich wollte Euch überraschen, Mama.«

»Dabei kommt meist nicht viel Gutes heraus, mein Sohn. Ich liebe es gar nicht, überrascht zu werden. Jedenfalls hast du es dir nun selbst zuzuschreiben, daß nichts zu deinem Empfang bereit war.«

Sie klingelte und befahl dem eintretenden Diener, den Pelz aufzuheben und mit hinauszunehmen. Dann ließ sie sich in einen Sessel gleiten.

»Komm, setze dich zu mir, Lothar. Ich bin zwar müde, aber ein halbes Stündchen will ich doch noch mit dir plaudern.«

Lothar setzte sich ihr gegenüber. Wie immer, wirkte das Wesen seiner Mutter erkältend auf ihn.

»Dir geht es gut, Mama, nicht wahr? Jedenfalls siehst du vorzüglich aus. Man wird dir nicht glauben wollen, daß ich dein Sohn bin,« sagte er etwas förmlich.

Sie lächelte geschmeichelt. »Ja, ja – du wirst mich bloßstellen, mein Sohn. Du siehst entschieden älter aus, als du bist. Großmama hast du schon begrüßt?«

»Ja – wir haben zusammen gespeist.«

»Sie ist in letzter Zeit etwas hinfällig geworden.«

»Ich fand sie frisch und gut aussehend.«

»Das wird die freudige Ueberraschung gemacht haben. Morgen bei Tage wirst du merken, wie sehr sie gealtert hat.«

»Sie ist ja auch fast siebzig Jahre alt.«

»Gewiß, und für ihr Alter ist sie noch erstaunlich rüstig. Aber nun erzähle mir von dir. Du gehst nach Rom?«

Er berichtete von seinem neuen Amte.

Sie hörte befriedigt und aufmerksam zu. »Du wirst Karriere machen, mein Sohn. Ich hoffe, daß du bei deinem Können und deinem Namen schnell befördert wirst.«

Lothar sah ihr ernst ins Gesicht. »Darauf werde ich es wohl nicht ankommen lassen, Mama. Ich habe deinem Wunsche gemäß den Versuch gemacht. Aber ich eigne mich kaum für die diplomatische Laufbahn und werde wohl, wenn das Jahr in Rom zu Ende ist, meinen Abschied einreichen, um selbst die Verwaltung meiner Güter in die Hand zu nehmen.«

Gräfin Susanne fuhr entrüstet auf.

»Welche Idee! Daraus kann nichts werden – ein für allemal nicht. Wildenfels ist in bewährten, vortrefflichen Händen – da kannst du unbesorgt sein. Es ist und bleibt mein Wunsch, daß du Karriere machst. Die Befähigung dazu hast du, und bei deinen Verbindungen wird der Erfolg nicht ausbleiben. Keinesfalls dulde ich, daß du dich zurückziehst und dich hier als simpler Landjunker selbst außer Kurs setzt.«

»Man muß nicht außer Kurs gesetzt werden, wenn man einen großen Besitz zu verwalten hat. Es gibt auch dabei ein reiches Feld der Betätigung und vielleicht ein idealeres, wenn auch äußerer Erfolg nicht damit verbunden ist. Ich habe deinem Wunsche gemäß mein Studium beendet und auch einen Versuch gemacht, ob ich mich zum Diplomaten eigne. Du hast mich nie gefragt, ob mir diese Art der Betätigung zusagt. Bisher habe ich, ohne meine eigenen Wünsche zu berücksichtigen, getan, was du von mir fordertest. Aber je älter ich werde, je mehr empfinde ich, daß du mich auf eine Bahn drängtest, die meinem innersten Wesen widerstrebt. Ich tauge nicht zum Diplomaten.«

Gräfin Susannes Gesicht hatte sich zornig gerötet.

»Was muß ich hören? Es ist immer mein Ehrgeiz gewesen, dich eines Tages unter den großen Männern unseres Landes zu finden – so lange du auf der Welt bist. Dein Vater hatte zu meinem großen Leidwesen den bequemen Hang, hier in aller Ruhe seinen Kohl zu bauen. Da er nicht ehrgeizig war, hoffte ich auf meinen Sohn. Willst auch du mich enttäuschen?«

Lothar hatte die Stirn wie in Schmerz zusammengezogen.

»Wäre diese Enttäuschung so schmerzlich für dich? Gälte sie dir mehr, als daß ich mich in der Erfüllung meiner Pflichten als Gutsherr glücklich fühle?« fragte er dringend.

Seine Mutter warf ärgerlich den Kopf zurück. »Mein Gott, Lothar, kann es für einen Mann ein größeres Glück geben, als seinen Ehrgeiz zu befriedigen?«

»Doch vielleicht, Mama. Den Ehrgeiz, den du meinst, habe ich nicht. Ich habe wohl den Wunsch, im Leben zu nützen, etwas zu tun, was das Wohl der Allgemeinheit fördert. Aber sage selbst: Wem nütze ich, wenn ich irgend eine – selbst hervorragende – Stellung im Korps der Diplomaten einnehme? Die Aemter, die wirklich von großer Wichtigkeit für die Allgemeinheit sind, sind selten! Und auch in solchen Aemtern ist man oft nicht in der Lage, das zu tun, was man für das Rechte hält. Man ist aber nur Staffage – auf die Person und die Fähigkeiten kommt es wenig an. Man ist ein Rad, das läuft, wenn die andern auch laufen.«

»Du sprichst wenig achtungsvoll von deinem Berufe,« sagte seine Mutter empört. »Mir scheint, du besitzest ebenso wenig Ehrgeiz wie dein Vater.«

»Oder zu viel, Mama. Warum soll ich mich ducken und beugen – oft gegen meine Ueberzeugung handeln – wenn ich in meinem Reiche aufrecht stehen und herrschen kann? Gewiß, Wildenfels hat tüchtige Beamte. Aber ich könnte doch vielleicht für mich und meine Untergebenen Besseres schaffen, wenn ich mich selbst mit Hingabe meiner ganzen Persönlichkeit an die Spitze stellte. Es ist ein schönes, stolzes Gefühl, das Wohl und Wehe vieler Menschen in der Hand zu haben. Kannst du mir das nicht nachfühlen? Ich glaube, ähnlich wie ich, hat auch mein Vater empfunden.«

Gräfin Susannes Mund zog sich herb, fast verächtlich zusammen. Ihre Augen hefteten sich finster in die ihres Sohnes. »Dein Vater – war ein Schwächling!« stieß sie zornig hervor.

»Mama!«

»Ja – er war es. Du brauchst mich nicht so empört anzusehen, weil ich das Ding beim rechten Namen nenne. Deine Großmutter hat dir deinen Vater wohl in einem idealen Lichte gemalt. Ich sage dir aber nochmals, er war ein Schwächling, ohne Ehrgeiz. Und ich dulde nicht, daß du in seine Fußtapfen trittst. Du bleibst deiner Karriere treu, ich will es – und du wirst dich fügen.«

Lothar erhob sich und trat an das Fenster. Als er sich nach einer Weile umwandte, sah er sehr bleich aus. Die Schmähung seines Vaters aus dem Munde der Mutter hatte das Band zwischen ihm und ihr noch mehr gelockert. Er trat mit entschlossenem Ausdruck in den Augen vor seine Mutter hin. Um das breite, festgefügte Kinn lag ein Zug unbeugsamer Energie.

»Mama, ich bin jetzt in dem Alter, in dem ich selbst eine Entscheidung über meine Zukunft treffen kann. Und bei aller Ehrfurcht vor dir – ich wäre wert, ein Schwächling zu heißen, wenn ich mich gegen meinen Willen in einem Berufe festhalten ließe, der mir aufgenötigt wurde, als ich noch zu jung war, selbst zu entscheiden, und der mich in keiner Weise befriedigt. Mein Vater selbst würde mich darin nicht beirren, er würde meinen Willen achten. Ich kann auf deine Wünsche keine Rücksicht nehmen.«

Gräfin Susanne erhob sich hastig. »Du weigerst mir den Gehorsam?« rief sie entrüstet.

»Verzeih, in diesem Punkte kann ein Mann nur seinem eigenen Willen untertan sein. Ich verspreche dir freiwillig, noch ein Jahr nach Rom zu gehen und mich in dieser Zeit ernstlich zu prüfen. Komme ich zu keinem anderen Resultate als jetzt, so lege ich mein Amt nieder und kehre für immer nach Wildenfels zurück.«

Sie sahen sich beide eine Weile schweigend an, fast wie zwei Gegner, die ihre Kräfte messen. Auf Lothars Gesicht prägte sich ein eiserner Wille aus. Seine Mutter erkannte, daß er von festerer Art war, als sein Vater. Diesen unbeugsamen Ausdruck hatte sie wohl zuweilen im Gesichte ihres Schwiegervaters gesehen. Und dieser ließ sich nie beirren in dem, was er beschlossen hatte. Es wurde ihr klar in dieser Stunde, Lothar unterwarf sich nicht, wenn er nicht wollte. Ihr Aerger mußte sich Luft machen.

»Deine Zukunftspläne hat dir wohl deine Großmutter eingeimpft? Alles, was du sagst, sieht sehr nach Beeinflussung aus. Sie war immer dagegen, daß du Diplomat werden solltest,« sagte sie höhnisch.

»Vielleicht, weil sie mich besser kannte, wie du. Sie hat sich mehr mit mir beschäftigt.«

»Soll das ein Vorwurf sein?« brauste sie auf.

»Nein, ich stelle nur eine einfache Tatsache fest. Uebrigens hat mich Großmama in keiner Weise beeinflußt. Ich habe mit ihr noch kein Wort über diese Angelegenheit gesprochen.«

»Nun – enden wir jetzt diese Unterredung. Ich bin müde. Aber wir kommen später noch darauf zurück. Ich gebe es noch nicht auf, meinen Willen durchzusetzen. In einem Jahre ändert sich manches. Und daß du nach Rom gehst – darauf habe ich dein Wort.«

»Ich werde es halten.«

»Es ist gut – und nun gute Nacht.«

Er küßte ihr artig die Hand und begleitete sie hinaus.

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