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27. April 1521 - 6. September 1522
Insgesamt acht Tote haben die Spanier in dem kläglichen Scharmützel gegen Silapulapu gelassen, an sich eine unbeträchtliche Zahl. Aber der Verlust ihres Führers macht diesen Tag zur Katastrophe. Denn mit dem Tode Magellans bricht der magische Nimbus zusammen, der bisher die weißen Fremden zu einer Art von Göttern erhoben, und hauptsächlich auf dem Anschein ihrer Unbesiegbarkeit beruhte die Macht und der Erfolg all jener Konquistadoren. Trotz aller Tapferkeit, ihrer Ausdauer, trotz ihren Kriegstugenden und Kriegswaffen wäre es Cortez, wäre es Pizarro niemals gelungen, die Zehntausende und Hunderttausende ihrer Gegner zu besiegen, hätte nicht der Mythos der Unbesiegbarkeit und Unverwundbarkeit wie ein schützender Michaelsengel ihnen zur Seite gestanden. Die fremden allwissenden Wesen, die Blitz und Donner von ihren Keulen zu entsenden vermochten, galten den verstörten Eingeborenen als unverwundbar; man konnte sie nicht treffen, denn die Pfeile prallten ab von ihren Panzern, man konnte vor ihnen nicht fliehen, denn die riesigen vierbeinigen Tiere, mit denen sie zusammengewachsen waren, überrannten jede Flucht. Nichts bezeugt rührender die lähmende Macht dieser Angst als die Episode jener Konquistadorenzeit, da ein Spanier in einem Flusse ertrank. Drei Tage legten die Indios die Leiche in eine Hütte, starrten sie an, aber wagten nicht, an sie zu rühren, aus Furcht, der fremde Gott könnte wieder erwachen. Erst als die Leiche zu verwesen begann, faßten sie Mut und rotteten sich zum Aufstand zusammen. Ein einziger weißer Gott, der sich als verwundbar erwiesen, eine einzige Niederlage der Unbesiegbaren, und überall war der Bann gebrochen und der Mythos ihrer göttlichen Sendung dahin.
So auch diesmal. Der König von Sebu hatte sich widerspruchslos den Herren des Donners und des Blitzes unterworfen. Er hatte demütig ihren Glauben angenommen in der Meinung, ihr Gott müsse ein stärkerer sein als die hölzernen Götzen, die er bislang verehrt. Er hatte gehofft, wenn er diesen fremden übernatürlichen Wesen sich in Freundschaft verbinde, in kurzem der mächtigste Monarch aller umliegenden Inseln zu werden. Und nun hat er selbst und mit ihm seine tausend Krieger von den Kanus mitangesehen, wie Silapulapu, ein erbärmlicher kleiner Häuptling, die weißen Götter besiegte. Mit eigenen Augen hatte er gesehen, daß ihr Blitz und ihr Donner machtlos blieb, ja gesehen sogar, wie die angeblich Unverwundbaren in ihren glitzernden Kürassen jämmerlich flüchteten vor den nackten Kriegern Silapulapus und wie sie schließlich die Leiche ihres Herrn dem Jubelgeheul seiner mutigeren Landsleute preisgaben.
Vielleicht hätte ein energischer Entschluß das Prestige der Spanier noch retten können. Hätte ein entschlossener Führer jetzt alle zweihundert zusammengerufen, wären sie übergesetzt nach Mactan, hätten sie im Sturm die Leiche ihres großen Führers zurückgeholt, den nackten Banditenführer und seinen Stamm fürchterlich gezüchtigt, dann wäre vielleicht auch dem König von Sebu ein heilsamer Schrecken in die Seele gefahren. Aber statt dessen sieht Don Carlos Humabon (nicht lange mehr wird er den kaiserlichen Namen tragen), daß die besiegten Spanier demütig Boten hinüberschicken zu dem triumphierenden Häuptling, um die Leiche Magellans mit Waren und Geld zu erschachern. Aber siehe, der winzige Häuptling der winzigen Insel Mactan bietet den weißen Göttern Trotz und jagt ihre Unterhändler verächtlich zurück.
Dieses feige Verhalten der weißen Götter muß selbstverständlich den König Carlos Humabon auf sonderbare Gedanken bringen. Vielleicht hat er etwas von Calibans erbitterter Enttäuschung über Trinculo gefühlt, da der arme betrogene Narr erkennt, daß er einen Großtuer und Schwätzer voreilig für einen Gott gehalten. Auch sonst haben die Spanier allerhand getan, um das gute Einvernehmen mit den Insulanern zu zerstören; Peter Martyr, der sofort nach der Rückkehr die Matrosen ausfragte, um den wahren Grund des Stimmungsumschwungs nach dem Tode Magellans festzustellen, erhält von einem Augenzeugen (»qui omnibus rebus interfuit«), wahrscheinlich von dem Genuesen Martin, die nur allzu stichhältige Auskunft: »Feminarum stupra causam perturbationis dedisse arbitrantur.« Trotz aller Energie hat Magellan die von monatelanger Reise ausgehungerten Matrosen nicht zurückhalten können, sich auf die Frauen ihrer Gastfreunde zu stürzen; vergebens hatte er versucht, ihrer Gewalttätigkeit Einhalt zu gebieten, und sogar seinen eigenen Schwager Barbosa bestraft, weil er während dreier Nächte am Lande blieb; aber diese Zügellosigkeit scheint nach seinem Tode wahrscheinlich noch schlimmer geworden zu sein. Jedenfalls war mit dem Respekt vor den Kriegsleistungen jedwede Achtung des Königs für diese wilden Eindringlinge zu Ende. Etwas müssen die Spanier von dem wachsenden Mißtrauen gespürt haben, denn plötzlich werden sie ungeduldig. Nur rasch jetzt die Waren und den Gewinn wegschleppen und schleunigst zu den Gewürzinseln! Die Idee Magellans, durch Frieden und Freundschaft die philippinischen Inseln für das Reich und den Glauben zu erhalten, bekümmert wenig mehr seine merkantileren Nachfolger: nur Schluß jetzt und eilige Heimfahrt! Für diesen Abschluß der Geschäfte benötigen die Spanier aber dringlich Enrique, den Sklaven Magellans, weil er als einziger durch seine Sprachkenntnis Verkehr und Tausch mit den Eingeborenen vermitteln kann, und gleich bei diesem unbedeutsamen Anlaß erweist sich der Unterschied in der Kunst der Menschenbehandlung, dank welcher der humanere Magellan immer seine größten Erfolge errungen hatte. Sein treuer Enrique war bis zum letzten Augenblicke im Kampfe an seiner Seite geblieben. Verwundet haben ihn die Boote zurückgebracht auf das Schiff, und nun liegt er regungslos, eingehüllt in seine Matte, sei es um der Wunde willen, die er im Kampfe empfangen, sei es, weil er mit der Treue eines dumpfen Tierwesens in diesem starren Brüten den Verlust seines geliebten Herrn betrauert. Nun begeht Duarte Barbosa, den nach dem Tode Magellans gemeinsam mit Serrão die Mannschaft zum Oberbefehlshaber erwählt, die Torheit, den tierhaft treuen Diener Magellans auf das tödlichste zu kränken. Grob fährt er Enrique an, er solle nicht meinen, daß er jetzt nach dem Tode seines Herrn faulenzen dürfe und kein Sklave mehr wäre. In der Heimat werde man ihn sofort der Frau Magellans aushändigen, inzwischen habe er zu parieren. Wenn er jetzt nicht sogleich sich aufmache und als Dolmetscher am Lande die Waren verkaufen helfe, werde man an ihm die Hundspeitsche gründlich ausprobieren. Enrique, der von der gefährlichen Rasse der Malaien ist, die nie eine Beleidigung verzeihen, hört mit verhülltem Blick die Drohung. Zweifellos ist ihm bekannt, daß Magellan in seinem Testament ihn ausdrücklich von der Stunde seines Tods an für frei erklärt und sogar mit einem Legat bedacht hat. Heimlich beißt er darum die Zähne zusammen: diese frechen Nachfolger seines großen Herrn und Meisters, die ihn um seine Freiheit bestehlen wollen und seinen Schmerz nicht verstehen, sollen bezahlen dafür, ihn einen »perro« genannt und wirklich wie einen Hund behandelt zu haben!
Äußerlich läßt der heimtückische Malaie allerdings nichts von seinem Rachegedanken erkennen. Gehorsam begibt er sich auf den Markt, gehorsam macht er den Dolmetscher bei Kauf und Verkauf, aber in gefährlicher Weise nützt er gleichzeitig seine Dolmetscherkunst. Denn er verständigt den König von Sebu, daß die Spanier schon Anstalten getroffen hätten, die unverkauften Waren auf ihre Schiffe zurückzuholen, und am nächsten Tage plötzlich mit Sack und Pack verschwinden wollten. Wenn der König jetzt geschickt zugreife, vermöchte er sich leicht aller Waren zu bemächtigen, ohne das Geringste dafür im Tausch geben zu müssen, und sogar die herrlichen drei Schiffe könne er bei dieser Gelegenheit erbeuten.
Wahrscheinlich hat Enrique mit seinem rachsüchtigen Vorschlag nur die innersten Wünsche des Königs von Sebu ausgesprochen; jedenfalls finden seine Worte willkommenes Gehör. Ein Plan wird zwischen den beiden vereinbart und vorsichtig vorbereitet. Äußerlich geht der Handel eifrig vorwärts; herzlicher als je zeigt sich der König von Sebu zu seinen neuen Glaubensbrüdern, und auch Enrique scheint, seit ihm Barbosa die Peitsche gezeigt, von seiner angeblichen Faulheit auf das gründlichste bekehrt. Drei Tage nach Magellans Tod, am 1. Mai, bringt er sogar strahlenden Gesichts besonders freudige Botschaft an die Kapitäne. Endlich habe der König von Sebu die Schmuckstücke erhalten, die er seinem Herrn und Freund, dem König, nach Spanien zu senden versprochen. Um die Übergabe besonders feierlich zu gestalten, hätte er bereits alle seine Häuptlinge und Untertanen berufen; so mögen die beiden Kapitäne Barbosa und Serrão gleichfalls mit den vornehmsten Edelleuten erscheinen, um die Geschenke des Königs Carlos von Sebu an seinen Oberherrn und Freund Carlos von Spanien mit eigener Hand entgegenzunehmen.
Wäre Magellan nun noch am Leben, er würde sich unbedingt aus seinen indischen Kriegsjahren an jene ähnlich liebevolle Einladung des Königs von Malacca erinnern, wo dann auf ein Signal die arglos gelandeten Kapitäne hingeschlachtet wurden und es nur seiner persönlichen Tapferkeit gelang, den Namensvetter Serrãos zu retten. Aber der andere Serrão und Duarte Barbosa gehen arglos dem neuen christlichen Bruder in die Falle. Sie nehmen die Einladung an, und abermals bezeugt es sich, daß Sterndeuter niemals auch nur einen Deut wissen von ihrem eigenen Geschick. Denn auch der Astrologe Andres de San Martin, der anscheinend vergessen hat, sich vorher das Horoskop zu stellen, schließt sich den beiden an, während dem sonst so neugierigen Pigafetta der Pfeilschuß, den er im Kampfe von Mactan erhalten, zum Segen wird. Er bleibt in seiner Krankenmatte und rettet damit sein Leben.
Im ganzen gehen neunundzwanzig Spanier ans Land, und unter ihnen befinden sich verhängnisvollerweise gerade die besten, die erfahrensten Führer und Piloten. Feierlich empfangen, werden sie in einen Palmenhain geführt, wo der König ein Festmahl gerüstet hat. Gewaltige Mengen von Eingeborenen sind scheinbar bloß neugierig versammelt und umdrängen in auffallender Herzlichkeit von allen Seiten die spanischen Gäste. Gerade die dringliche Art aber, mit welcher der König die Spanier in den Palmenhain führt, will dem Piloten Juan Carvalho nicht recht gefallen. Er teilt seinen Verdacht Gomez de Espinosa, dem Waffenmeister der Flotte, mit, und die beiden beschließen, noch rasch vom Schiff die restliche Mannschaft herüberzuholen, um im Fall einer Verräterei ihre Kameraden herausschlagen zu können. Unter einem geschickten Vorwand drücken sie sich aus dem Getümmel und rudern bis zu den Schiffen. Aber noch sind sie nicht an Bord, da erheben sich schon vom Lande her gräßliche Schreckensschreie. Genau wie seinerzeit in Malacca sind die Eingeborenen über die arglos beim Festmahl sitzenden Spanier hergefallen, ehe sie sich recht zur Wehr setzen konnten. Mit einem einzigen Hieb hat der hinterlistige König von Sebu sich aller seiner Gäste entledigt und zum Herrn der gelandeten Waren und Waffen sowie der unverwundbaren spanischen Rüstungen gemacht.
Die Kameraden auf den Schiffen sind im ersten Augenblick gelähmt von Entsetzen. Dann befiehlt Carvalho, den die Ermordung aller andern Kapitäne innerhalb einer Minute zum Oberkommandanten erhebt, näher heranzusteuern und alle Kanonen auf die Stadt zu richten. Eine Breitseite donnert nach der andern. Vielleicht hofft Carvalho mit dieser Repressalie noch ein paar Kameraden zu retten, vielleicht ist es nur ein spontaner Wutausbruch. Aber gerade, als bereits die ersten Kugeln gegen die Hütten schmettern, ereignet sich etwas Entsetzliches, eine jener Szenen, die jedem, der sie innerlich nachlebt, in ihrer Furchtbarkeit unvergeßlich bleiben. Ein einziger der Überfallenen, der Tapferste von allen, João Serrão, hat sich – geheimnisvolle Wiederkehr – genau wie Francisco Serrão am Strande von Malacca im letzten Augenblick den Mördern entrissen und ist zum Strand geflüchtet. Aber die Feinde setzen ihm nach, sie umringen, sie fesseln ihn. Und da steht er nun wehrlos, von Mördern umringt, und schreit mit letzter Kraft zu den Schiffen, sie mögen das Artilleriefeuer gegen die Stadt einstellen, sonst würden seine Peiniger ihn ermorden. Sie sollten um Himmels willen rasch ein Boot schicken mit Waren, um ihn loszukaufen.
Einen Augenblick scheint es, als ob der Handel gelingen wollte. Schon ist der Kaufpreis für den tapfersten Kapitän bestimmt: zwei Bombarden und einige Tonnen Kupfer. Aber die Eingeborenen verlangen, man solle die Waren an den Strand schicken, und Carvalho fürchtet vielleicht, diese Schurken, die schon einmal die Treue gebrochen, würden sich dann nicht nur der Waren, sondern auch des Boots bemächtigen. Vielleicht aber – Pigafetta selbst äußert diesen Verdacht – hat dieser ehrgeizige Geselle, der den plötzlich ihm zugefallenen Admiralsrang nicht mehr zurückgeben will, wenig Neigung, unter dem freigekauften Serrão dann wieder bloß als Pilot zu dienen. Jedenfalls, das Entsetzliche geschieht. An dem Strand windet sich, umschnürt von Fesseln, ein einzelner blutender Mensch, den Todesschweiß auf der Stirn, unter dem mordbereiten Zugriff einer ganzen Rotte. Seine einzige Hoffnung ist, daß kaum einen Steinwurf weit mit gebreiteten Segeln drei spanische gutbemannte Schiffe liegen und daß an der Brüstung des Flaggschiffs gerade sein Landsmann Carvalho steht, sein compadre, sein Blutsfreund, mit dem er tausend Gefahren geteilt und der lieber das Letzte opfern wird, ehe er ihn im Stiche läßt. Immer wieder schreit er aus heiserer Kehle zu ihm hinüber, rasch, nur rasch solle er die Tauschware schicken und ihn erlösen. Gierig starrt und starrt er auf das Boot, das neben dem Schiffe schaukelt. Aber warum zögert Carvalho, warum zögert er so lang? Und mit einmal sieht mit seinem fiebernden Auge der Seemann Serrão, der jeden Handgriff an Bord eines Schiffs kennt, daß sie das Landungsboot an Bord hissen. Verrat! Verrat! Statt ihm das rettende Boot zu senden, beginnen die Schiffe klarzumachen und dem offenen Meer zuzusteuern. Das erste Schiff dreht ab, schon blähen die Segel sich in der Brise. Im ersten Augenblick kann und will der unglückliche Serrão noch nicht begreifen, daß ihn, den Führer, den Kommandanten, die eigenen Kameraden auf Befehl seines Blutsbruders in den Händen von Mördern feige zurücklassen. Noch einmal schreit er mit halb erstickter Stimme zu den Fliehenden hinüber, er bittet, er befiehlt, er tobt in letzter Todesnot und Verzweiflung. Doch da er endlich erkennt, daß die Schiffe schon abgedreht haben und die Reede verlassen, hebt er noch einmal mit letzter Kraft Atem aus seiner gefesselten Brust und schreit gellend über die Wellen Juan Carvalho den entsetzlichen Fluch nach: am Jüngsten Tage werde er ihn vor Gottes Gericht fordern für seinen schurkischen Verrat.
Jedoch dieser Fluch wird zugleich sein letztes Wort. Mit eigenen Augen müssen die ungetreuen Kameraden von Bord her noch mitansehen, wie ihr erwählter Kommandant hingeschlachtet wird. Und gleichzeitig, noch haben sie den Hafen nicht verlassen, stürzt unter dem Jubelgeheul das große Kreuz zu Boden; alles, was Magellan in Wochen vorsichtigster und geduldigster Arbeit aufgebaut, geht zugrunde an der leichtfertigen Torheit seiner Nachfolger. Mit Schmach bedeckt, den Fluchschrei ihres sterbenden Kapitäns im Ohr, den Hohn der tanzenden Wilden im flüchtenden Rücken, paschen wie gejagte Verbrecher die Spanier von der Insel weg, die sie unter Magellans Führung wie Götter betreten.
Traurige Heerschau, die jetzt die Geretteten, kaum dem Unglückshafen von Sebu entflüchtet, abhalten. Von allen Schicksalsschlägen, welche die Flotte seit ihrer Ausfahrt erlitten, war dieser Aufenthalt in Sebu der verhängnisvollste. Außer Magellan, dem unersetzlichen Führer, haben sie die bewährtesten Kapitäne Duarte Barbosa und João Serrão verloren, die als genaue Kenner der ostindischen Küste gerade für die beginnende Heimfahrt besonders wichtig gewesen wären; der Tod Andres de San Martins hat sie des nautischen Experten, die Flucht Enriques ihres Dolmetschers beraubt. Als man Mann für Mann die Mannschaft nachzählt, melden sich von den zweihundertfünfundsechzig, die in Sevilla an Bord gegangen, im ganzen nur mehr hundertundfünfzehn, und dieser gelichtete Bestand erlaubt nicht mehr, drei Schiffe hinreichend zu bemannen. Besser also, um die übrigen zwei Galeonen wirklich seetüchtig zu erhalten, ein Schiff von den dreien zu opfern. Das Los der freiwilligen Versenkung trifft die »Concepcion«, die schon lange Wasser gezogen hat und von der zu befürchten ist, sie würde die bevorstehende schwere Reise nicht überstehen. Nahe der Insel Bohol wird das Todesurteil vollstreckt. Bis auf den letzten Nagel und das dürftigste Tau holt man alles Brauchbare auf die andern Schiffe hinüber; der ausgeleerte hölzerne Leichnam wird dann in Brand gesteckt. Düstern Blicks starren die Matrosen hin, wie die Flamme erst klein und schwelend sich erhebt und dann mit Feuerarmen das ganze Schiff erfaßt, das durch zwei Jahre ihnen Haus und Heimat gewesen und als klägliches Wrack nun qualmend und verkohlt in einem fremden, feindlichen Meer versinkt. Fünf Schiffe, heiter bewimpelt und voll bemannt, waren sie ausgefahren vom Hafen von Sevilla. Das erste Opfer war der »Santiago«, der an der patagonischen Küste zerschellte. In der Magellanstraße verließ sie feige der »San Antonio«; nun ward die »Concepcion« ihre eigene Feueresse und ihr eigener Sarg. Nur zwei Schiffe, die beiden letzten, steuern nun nebeneinander auf unbekannter Bahn: die »Trinidad«, Magellans einstiges Flaggschiff, und jenes kleine unscheinbare, die »Victoria«, deren Ruhm es sein wird, den stolzen Namen zu bekräftigen und Magellans Idee über sein eigenes Leben hinaus in die Unsterblichkeit zu tragen.
Daß dieser arg verminderten Flotte der wirkliche Führer, der erprobte Admiral Magellan fehlt, wird man bald an dem unentschlossenen Kurs gewahr, den die Schiffe nehmen. Wie Blinde, wie Verblendete tappen sie im Sundaarchipel herum. Statt geradewegs Südwest auf die Molukken zuzusteuern, denen sie doch schon ganz nahe sind, irren sie nordwest in unsicherem Zickzack vor und zurück. Ein ganzes Halbjahr wird völlig zwecklos vertan auf diesen Irrfahrten, die sie nach Mindanao und bis nach Borneo führen. Aber noch deutlicher als an dieser seemännischen Unsicherheit erkennt man das Fehlen des geborenen Führers an dem Sinken der Disziplin. Unter Magellans Zucht gab es auf dem Land keine willkürliche Plünderung, auf der See keine Piraterie. Genau wurde Ordnung gehalten und Rechnung geführt: nie ließ er einen Augenblick außer acht, daß er als Admiral seines Herrn und Königs verpflichtet war, die spanische Flagge auch auf den fernsten Enden der Erde in Ehren zu erhalten. Sein trister Nachfolger Carvalho aber, der nur der Ermordung seiner Vordermänner durch die Rajahs von Mactan und Sebu seinen Admiralsrang verdankt, kennt keinerlei moralische Bedenken. Er betreibt ungescheut Piraterie und nimmt, was ihm in den Weg kommt. Wo irgendeine Dschunke vorübersteuert, wird sie einfach angegriffen und geplündert; das Lösegeld, das Carvalho bei solchen Anlässen fordert, steckt dieser unbedenkliche Mann dann meist in die eigene Tasche. Er legt keine Rechnung, selber contador und tesorero in einer Person, und während Magellan der Disziplin halber nie eine Frau an Bord geduldet, holt er sich nicht weniger als drei aus einer geraubten Dschunke unter dem Vorwand, sie der Königin von Spanien zu überbringen. Allmählich wird der Mannschaft das Treiben dieses Paschas zu bunt. »Vedendo che non faceva cosa che non fosse in servitio del re« – da sie sahen (berichtet del Cano), daß er nicht für des Königs Sache sorgte, sondern für seinen eigenen Vorteil, jagen sie den Haremspascha einfach von seinem Kommando, und statt seiner wird ein Triumvirat eingesetzt, Gomez de Espinosa als Kapitän der »Trinidad«, Sebastian del Cano als Kapitän der »Victoria« und der Pilot Poncero als »governador dell armata«.
Aber nichts ändert sich damit an dem sinnlos Im-Kreis- und Zickzack-Fahren der beiden Schiffe. Mit Tausch und Raub füllen die Verirrten in diesen dicht besiedelten Gegenden zwar leicht die Vorräte wieder auf, aber schon scheint die eigentliche Aufgabe, um derentwillen Magellan seine Fahrt gewagt, vergessen; endlich erhellt ein glücklicher Griff ihnen den Ausweg aus dem Labyrinth des Sundaarchipels. Auf einer zufällig vorüberfahrenden Prau, die sie piratisch rauben, nehmen sie einen Mann gefangen, der aus Ternate stammt, der also den Weg in seine Heimat, den Weg zu den ersehnten Gewürzinseln genau kennen muß. Und wirklich, er kennt den Weg, er kennt auch Francisco Serrão, Magellans Freund – endlich ist der Wegweiser aus dem Irrsal gefunden. Die letzte Prüfung ist überstanden; nun können sie geradewegs lossteuern auf das Ziel, dem sie in all diesen unsinnigen Wochen öfters ganz nahe gewesen und das sie in Verblendung immer wieder umkreist. Jetzt bringen sie ein paar Tage müheloser Seefahrt näher als jene sechs Monate törichten Suchens. Am 6. November sehen sie ferne aus der See Berge sich erheben, die Höhen von Ternate und Tidore. Die seligen Inseln, sie sind erreicht.
»Der Pilot, der uns begleitete«, schreibt Pigafetta, »sagte uns, daß es die Molukken seien. Wir dankten alle Gott, und um unsere Freude zu bezeugen, lösten wir unsere Geschütze. Man möge nicht staunen, daß wir so beglückt waren, denn wir hatten im ganzen siebenundzwanzig Monate weniger zwei Tage einzig mit der Suche nach diesen Inseln verbracht und waren kreuz und quer auf dieser Suche zwischen unzähligen Inseln hierher gesteuert.«
Nun aber, am 8. November 1521, landen sie auf Tidore, einer der fünf seligen Inseln, von denen Magellan sein Leben lang geträumt. Wie der tote Cid, von seiner Mannschaft auf sein treues Schlachtroß gesetzt, noch einen letzten Sieg erkämpft, so erzwingt Magellans Energie über seinen Tod hinaus noch die errettende Tat. Seine Schiffe, seine Leute, sie schauen das gelobte Land, das er wie Moses seiner Gefolgschaft versprochen und das ihm selbst, dem Wegweiser, zu betreten nicht vergönnt war. Aber auch, der ihn über Ozeane zu sich gerufen, der ihn zur Idee und zur Tat ermutigt, auch Francisco Serrão ist nicht mehr am Leben: vergebens hätte der Freund der Freunde, dem er um die ganze Rundung der Erde nachgefahren, die Arme entgegengebreitet. Serrão ist wenige Wochen vorher gestorben, angeblich vergiftet – die beiden ersten Urheber des Gedankens einer vollen Umrundung der Erde haben den Preis der Unsterblichkeit vorzeitig mit ihrem Leben gezahlt. Aber Serrãos begeisterte Schilderungen erweisen sich nachträglich als voll berechtigt. Nicht nur die Landschaft ist herrlich und strotzend von allem Reichtum der Natur, auch die Menschen zeigen beglückende Freundlichkeit. »Was soll man von diesen Inseln sagen«, schreibt Maximilian Transsylvanus in seinem berühmten Briefe. »Hier ist alles einfach und nichts hat hier hohen Wert außer Friede, Bequemlichkeit und Gewürz. Das beste dieser Dinge aber und vielleicht das beste Gut auf Erden, nämlich Friede, scheint durch die Schlechtigkeit der Menschen von unserer Welt ausgetrieben worden zu sein und hierhergeflüchtet.« Der König, dessen Freund und Helfer Serrão gewesen, kommt eiligst unter einem seidenen Palankin herangefahren und empfängt wie ein Bruder die Gäste. Zwar hält er sich als gläubiger Mohammedaner die Nase an Bord des Schiffs zu, um den widrigen Geruch des verhaßten Schweinefleisches nicht zu spüren, aber in brüderlicher Liebe umarmt der König Almansor die Christen. »Kommt und erfreut euch«, tröstet er sie, »nach so langem Herumirren auf der See und so vielen Gefahren an den Vergnügungen des Landes. Erfrischt euren Leib und denkt an nichts, als daß ihr in das Reich eures eigenen Herrschers gekommen seid.« Willig erkennt er die Oberherrschaft des spanischen Königs an, und statt wie die andern Häuptlinge, denen sie begegnet, möglichst viel von ihnen zu erpressen, fordert dieser generöse Fürst sie auf, innezuhalten mit ihren Gaben, denn »er besitze nichts, was würdig genug wäre, um ihnen als Gegengeschenk zu dienen«.
Selige Inseln: alles, was die Spanier begehrten, bekommen sie hier in Fülle, die kostbarsten Gewürze, Lebensmittel und Goldstaub, und was der freundliche König selbst nicht liefern kann, beschafft er von den Nachbarinseln. Die Seeleute sind verzaubert von so viel Glück nach all den Leiden und Entbehrungen; wie toll kaufen sie Gewürz und die kostbaren Paradiesvögel (comperanno garofani a furia), sie geben ihre Hemden, ihre Flinten, ihre Armbrüste, ihre Mäntel, ihre Leibriemen in Tausch, denn jetzt geht es ja bald an die Heimkehr, und als reiche Leute kehren sie mit diesen lächerlich billig erhandelten Schätzen zurück. Manche freilich möchten lieber dem Beispiel Serrãos folgen und überhaupt in diesem Paradies bleiben. Ein gut Teil von ihnen heißt darum die schlimme Nachricht freudig willkommen, daß sich knapp vor der Abfahrt herausstellt, nur eines der Schiffe sei seetüchtig genug, um die Heimfahrt wagen zu können, und fünfzig Seeleute von den etwa hundert müßten vorläufig auf den seligen Inseln zurückbleiben, bis das andere neu aufgekielt sei.
Das Schiff, das zur unfreiwilligen Bleibe verurteilt wird, ist das alte Flaggschiff Magellans, die »Trinidad«. Als erste ist die »capitana« ausgefahren aus San Lucar, als erste hat sie die Magellanstraße, als erste den Pazifischen Ozean durchsteuert, immer den andern voran, der verkörperte Wille ihres Führers und Meisters. Nun, da der Führer fehlt, mag sein Schiff nicht mehr weiter; wie ein treuer Hund sich nicht fortreißen läßt vom Grabe seines Herrn, so weigert sich die »Trinidad«, weiterzufahren über das von Magellan gesetzte Ziel. Schon waren die Wassertonnen, schon Proviant, schon die vielen Zentner Gewürz an Bord geschafft gewesen, schon ist die Flagge des heiligen Jago gehißt mit der Inschrift: »Dies sei das Zeichen unserer glücklichen Heimkehr«, schon hatte man die Segel gespannt, da stöhnt das alte morsche Schiff mit einmal auf und kracht in den Fugen. Wasser strömt ein, ohne daß man das Leck finden kann, und eiligst muß man die schwere Last ausladen, um das Wrack noch an den Strand zu retten. Aber Wochen und Wochen wird es dauern, den Schaden zu beheben, und so lange darf das andere Schwesterschiff, das einzig übriggebliebene der einstigen Armada, nicht mehr warten; nun, da der Ostmonsum so günstig weht, ist es Zeit, höchste Zeit, im dritten Jahr endlich dem Kaiser die Botschaft zu überbringen, daß Magellan sein Versprechen um den Preis seines Lebens eingelöst und die herrlichste Tat in der Geschichte der Seefahrt unter spanischer Flagge vollbracht hat. Einmütig wird beschlossen, daß die »Trinidad« versuchen möge, nach ihrer Wiederherstellung den Pazifischen Ozean zurückzuüberqueren, um bei Panama das überseeische Spanien zu erreichen, während die »Victoria«, die günstigen Winde nutzend, sogleich nach Westen durch den Indischen Ozean nach Hause steuern soll.
Die Kommandanten der beiden Schiffe, die jetzt sich gegenüberstehen, um nach zweieinhalbjähriger Gemeinsamkeit für immer Abschied zu nehmen – Gomez de Espinosa und Sebastian del Cano –, sind schon einmal in entscheidender Stunde einander gegenübergestanden. In jener Schicksalsnacht der großen Meuterei in Port Julian war der damalige Waffenmeister Gomez de Espinosa der treueste Helfer Magellans gewesen; sein verwegener Dolchstoß hatte die »Victoria« zurückerobert und damit die Weiterfahrt gerettet. Sebastian del Cano wiederum, damals noch ein junger baskischer Sobresaliente, hatte in jener Nacht auf Seiten der Meuterer gestanden; unter seiner tätigen Mithilfe hatten die andern Rebellen den »San Antonio« überwältigt. Dankbar hatte Magellan den getreuen Gomez de Espinosa belohnt, nachsichtig den verräterischen del Cano begnadigt. Wäre das Schicksal gerecht, es müßte jetzt Espinosa, der den Triumph von Magellans Idee gesichert, wählen, um Magellans Tat ruhmreich zu vollenden. Aber mehr großmütig als gerecht, entscheidet das Los für den Unverdienten. Und während Espinosa mit den Schicksalsgenossen der »Trinidad« nach unsäglichen Irrfahrten und Leiden ruhmlos zugrunde gehen wird und vergessen bleiben von der undankbaren Geschichte, krönen die Sterne gerade jenen, der die Tat Magellans verhindern wollte, den einstigen Aufrührer wider den Admiral, Sebastian del Cano, mit ihrem irdischen Widerglanz: der Unsterblichkeit.
Ergreifender Abschied am andern Ende der Erde: siebenundvierzig Männer, Offiziere und Matrosen, sollen die Fahrt in die Heimat mit der »Victoria« antreten, einundfünfzig mit der »Trinidad« auf Tidore zurückbleiben. Bis zur Abfahrtsstunde verweilen die Zurückbleibenden an Bord mit ihren Kameraden, noch einmal sie zu umarmen, ihnen Briefe, ihnen Grüße mitzugeben in die Heimat – zweieinhalb Jahre gemeinsamer Mühsal haben längst die aus allen Sprachen und Rassen zusammengeschüttelte Mannschaft der einstigen Armada zu einer unlösbaren Einheit verbunden. Kein Zwist, keine Zwietracht kann sie mehr trennen. Als die »Victoria« endlich die Anker hebt, wollen die Zurückbleibenden noch immer, noch immer nicht Abschied nehmen. Auf Booten und malaiischen Praus rudern sie dem langsam wegsteuernden Schiffe zur Seite, noch einmal einander zu sehen, noch einmal, irgend etwas Herzliches hinüberzurufen. Erst als der Abend niedersinkt und ihnen die Arme ermüden, wenden sie die Boote, und zum Abschied rollt eine Artilleriesalve als letzter Gruß der Brüder zum Strande hinüber. Und dann beginnt die »Victoria«, das letzte übriggebliebene Schiff der Flotte Magellans, ihre unvergeßliche Fahrt.
Diese Heimfahrt des ausgeleierten, auf seiner zweieinhalbjährigen rastlosen Reise überalterten kleinen Segelschiffs um die halbe Erde gehört zu den großen Heldentaten der Seefahrt; ruhmreich hat del Cano sein Vergehen an Magellan wettgemacht, indem er den Willen des toten Führers verwirklicht. Auf den ersten Blick scheint die ihm gestellte Aufgabe, ein Schiff von den Molukken nach Spanien zu steuern, nicht so sonderlich schwer. Denn vom malaiischen Archipel fahren seit der Jahrhundertwende schon regelmäßig portugiesische Flotten jahraus und jahrein mit den Monsunen nach Portugal und im Pendelverkehr zurück; eine Indienreise, vor einem Jahrzehnt unter Albuquerque und Almeida noch ein Vorstoß ins Unbekannte, erfordert jetzt nur mehr die Kenntnis des genau abgesteckten Wegs, und im Notfall findet ein Kapitän an jeder Landungsstelle in Indien und Afrika, auf Malacca, Mozambique und Kap Verde portugiesische Faktoren, Piloten und Beamte, an jeder Station ist Proviant und Ersatzmaterial vorbereitet. Aber die immense Schwierigkeit, die del Cano zu bemeistern hat, besteht darin, daß er diese portugiesischen Retablierungsstationen nicht nur nicht benützen darf, sondern daß er ihnen sogar im allerweitesten Bogen ausweichen muß. Denn zu Tidore haben die Leute Magellans durch einen geflüchteten Portugiesen erfahren, daß König Manoel Auftrag gegeben hat, jedes der Schiffe Magellans abzufangen und die Mannschaft als Piraten gefangenzusetzen – in der Tat ist ihren unseligen Kameraden der »Trinidad« dieses grausame Schicksal nicht erspart geblieben. Del Cano obliegt also die Aufgabe, mit seinem alten, wurmstichigen, ausgefahrenen und vollgeladenen Segelschiff, von dem vor fast drei Jahren im Hafen von Sevilla schon der Konsul Alvarez erklärte, er würde sich damit nicht bis zu den Kanarischen Inseln wagen, nicht mehr und nicht minder, als den ganzen Indischen Ozean auf einen Zug zu durchmessen und dann noch das Kap der Guten Hoffnung und dann noch ganz Afrika zu umfahren, ohne ein einziges Mal zu landen – ein Wagnis, das man auf der Karte anblicken muß, um die Aufgabe in ihrer ganzen Großartigkeit zu verstehen, ein Wagnis, das selbst noch heute nach vierhundert Jahren für einen modernen, mit den raffiniertesten Maschinen ausgerüsteten Dampfer eine außerordentliche Leistung bedeuten würde.
Dieser beispiellose Löwensprung vom malaiischen Archipel bis nach Sevilla hinüber beginnt – denkwürdiger Tag – am 13. Februar 1522 von einem Hafen der Insel Timor. Noch einmal hat del Cano Nahrungsmittel und Wasser gefrachtet, noch einmal, der Vorsichtslehre seines toten Meisters eingedenk, das Schiff von Grund auf kalfatert und überholt, ehe er es für Monate und Monate Wind und Wellen zum pausenlosen Spiele gibt. In den ersten Tagen fährt die »Victoria« noch an Inseln vorbei, von fern grüßt sie tropisches Grün und die Konturen von ragenden Bergen. Aber die Jahreszeit ist zu vorgeschritten, um irgendwo zu rasten, und del Cano muß den Ostwind nützen; ohne zu landen, segelt die »Victoria« an all diesen verlockenden Eilanden vorüber, sehr zum Schmerz des unersättlich neugierigen Pigafetta, der noch immer nicht genug »wunderbare Dinge« gesehen. Aus Langeweile vertreibt er sich die Zeit, indem er sich von den mitgenommenen Eingeborenen (neunzehn neben den nur mehr siebenundvierzig Europäern der Besatzung) Bericht über jene vorüberdämmernden Inseln geben läßt, und die braunen Leute erzählen ihm die schönsten Märchen aus Tausendundeine Nacht. Auf jenem Eiland dort drüben wohnten Menschen, die nicht größer seien als eine Spanne, aber ihr Ohr sei so lang wie sie selber und beim Schlaf diene ihnen das eine als Unterbett und mit dem andern deckten sie sich zu. Auf diesem Inselchen wiederum hausten nur Frauen, und nie dürfe ein Mann es betreten. Dennoch aber würden sie schwanger, und zwar durch den Wind; alle Knaben, die sie zur Welt brächten, würden getötet und nur Mädchen am Leben gelassen und auferzogen. Aber allmählich schwinden auch die letzten Inseln im blauen Dunst, den die Malaien dem guten Pigafetta vormachen, und nur der offene Ozean umfängt das Schiff mit seinem peinigend gleichen Blau. Wochen- und wochenlang, während sie in leerem Lauf den Indischen Ozean durchqueren, sehen die Seefahrer nichts als Himmel und Meer in grauenhafter, ermüdender Monotonie. Kein Mensch, kein Schiff, kein Segel, kein Laut, immer nur blau, blau, blau und leer, leer, leer die endlose Fläche.
Keinen fremden Laut hören sie, kein fremdes Gesicht schauen sie in all diesen Wochen und Wochen. Aber plötzlich taucht aus der verborgenen Tiefe des Schiffs das alte wohlbekannte Gespenst auf, hohläugig und fahl, der Hunger. Der Hunger, ihr furchtbar treuer Begleiter auf dem Pazifischen Ozean, der unbarmherzige Marterer und Mörder alter vertrauter Kameraden, er muß sich wieder heimlich an Bord geschlichen haben, denn mitten unter ihnen steht er jetzt, höhnisch und gierig, und grinst in ihre verstörten Gesichter. Eine unvorhergesehene Katastrophe hat sich ereignet, die alle Berechnungen del Canos zerstört. Seine Leute haben zwar für fünf Monate Nahrungsmittel an Bord geschafft, vor allem viel Fleisch. Aber auf Timor fanden sie kein Salz, und in der sengenden Hitze der indischen Sonne beginnt das unzulänglich eingepökelte Fleisch zu faulen; um vor dem pestilenzialischen Gestank des zerquellenden Aases sich zu retten, müssen sie den ganzen Vorrat ins Meer werfen. Und nun bleibt nur Reis als Nahrung, Reis und Wasser, Wasser und Reis, Reis und Wasser, Wasser und Reis, und immer weniger Reis und immer weniger und immer stockigeres Wasser Woche für Woche. Neuerdings bricht Skorbut aus, abermals beginnt das Sterben unter der Mannschaft. So fürchterlich wird anfangs Mai die Not, daß ein Teil der Leute darauf drängt, lieber Kurs auf das nahe Mozambique zu nehmen und den Portugiesen dort das Schiff auszuliefern, statt weiterzufahren und dabei erbärmlich zu verhungern.
Aber mit dem Kommando ist auch unsichtbar der eherne Wille Magellans an den einstigen Meuterer übergegangen. Derselbe del Cano, der damals als Untergebener den Kommandanten zum Rückzug nötigen wollte, fordert als Kommandant nun von seinen Leuten den letzten, den äußersten Mut, und es gelingt ihm, sie seinem Willen zu beugen. »Ma inanti determinamo tutti morir che andar in mano dei portoghesi« – »Wir beschlossen, lieber zu sterben, als uns den Portugiesen in die Hand zu geben«, wird er später stolz dem Kaiser berichten können. Eine versuchte Landung an der afrikanischen Ostküste erweist sich als vergeblich; sie finden weder Wasser noch Früchte in dem kahlen Land; ohne Linderung für ihre mörderische Not müssen sie die fürchterliche Fahrt wieder aufnehmen. Am Kap der Guten Hoffnung – unwillkürlich nennen sie es mit dem alten Namen Cabo tormentoso – springt tollwütig ein Sturm sie an, der ihnen den Vormast wegreißt und den Hauptmast zerspellt. Mühsam flicken die schwer übermüdeten, vor Erschöpfung schon taumelnden Matrosen den Schaden wieder leidlich zusammen; schwer, langsam und stöhnend schleppt das Schiff sich wie ein Verwundeter weiter die afrikanische Küste nach Norden empor. Nicht aber in Sturm und nicht in der Windstille, nicht bei Tag und nicht bei Nacht läßt der fürchterliche Peiniger von ihnen, höhnisch grinst das graue Gespenst des Hungers sie an – höhnisch, denn diesmal hat es noch eine neue, eine teuflischere Marter dazu ersonnen. Nicht wie damals, als die Weltfahrer den Pazifischen Ozean durchsteuerten, sind die Schiffskammern leer bis auf die letzte Krume – nein, diesmal ist der Schiffsbauch voll bis zum Rand. Siebenhundert Zentner Gewürz schleppt die »Victoria« mit sich, siebenhundert Zentner – genug also, um hunderttausenden und Millionen Menschen die üppigste Mahlzeit zu würzen – Spezereien hätte die hungernde Mannschaft in Hülle und Fülle. Aber kann man mit verdorrten Lippen Pfefferkörner beißen, kann man beizenden Zimt oder Muskatblüte schlingen statt Brot? Wie es grauenhafteste Ironie ist, auf dem Meer zu verdursten, höhnisch umgeben von unendlichen Wassermassen, so wird es an Bord der »Victoria« zur diabolischesten Qual in der Qual, inmitten eines Bergwerks von Spezereien elend zu hungern, elend zu verhungern. Jeden Tag wirft man andere ausgedörrte Menschenleichen über Bord. Einunddreißig Spanier von den siebenundvierzig und drei von den neunzehn Eingeborenen sind im ganzen noch übrig, als das müde Schiff sich endlich nach fünfmonatlicher ununterbrochener Fahrt am 9. Juli den Kap Verde-Inseln nähert.
Kap Verde ist portugiesische Kolonie und die Niederlassung Santiago ein portugiesischer Hafen. Hier Anker werfen, heißt eigentlich, den Rivalen, den Feinden sich gebunden überliefern, heißt kapitulieren einen Schritt vor dem Ziel. Aber die Rationen reichen höchstens noch für zwei oder drei Tage; der Hunger läßt keine andere Wahl, als einen kühnen Betrug zu wagen. Del Cano beschließt, ihn zu versuchen und die Portugiesen zu täuschen darüber, mit wem sie es zu tun hätten. Aber feierlich nimmt er, ehe er ein paar Leute in einem Boot ans Land setzt, um Nahrungsmittel zu kaufen, der Mannschaft den Eid ab, mit keinem Wort den Portugiesen zu verraten, daß sie der letzte verlorene Haufe von Magellans Flotte seien und den Weg um die Welt gemacht hätten. Eine Fabel wird den Matrosen vorgeschrieben, zu erzählen: ein Sturm habe ihr Schiff aus Amerika, also dem spanischen Hoheitsgebiet, herübergetrieben, und der zerspellte Mast, der fürchterliche Zustand des Wracks machen glücklicherweise das Märchen wahrscheinlich. Ohne viel zu fragen, ohne Beamte zur Überprüfung an Bord zu senden, nehmen die Portugiesen aus Seemannskameradschaft das herangeruderte Boot gastfreundlich auf. Sie schicken den Spaniern sofort Wasser und frische Lebensmittel hinüber, einmal, zweimal, dreimal kehrt mit reichlichem Proviant das Boot vom Ufer zurück. Schon scheint die List völlig gelungen; die Rast und noch mehr die langentbehrte Kost von Fleisch und Brot haben die Mannschaft erfrischt, und beinahe schon sind die Vorräte hinreichend aufgebessert, um damit Sevilla zu erreichen. Nur einmal, nur ein letztes Mal noch sendet darum del Cano das Boot nach einer letzten Ladung von Reis und Früchten – dann weiter und wahrhaft Victoria! Victoria! Aber sonderbar! Das Boot kehrt diesmal nicht zurück. Sofort ahnt del Cano, was geschehen ist. Einer der Matrosen muß am Lande unvorsichtig geschwätzt oder versucht haben, etwas Gewürz gegen den langentbehrten Branntwein zu verkaufen; daran haben die Portugiesen das Schiff ihres Erzfeindes Magellan erkannt. Schon merkt del Cano, daß man am Strande ein Fahrzeug bereit macht, um das ihre zu kapern. Nur entschlossene Verwegenheit kann die Reise jetzt retten. Lieber die andern am Ufer zurücklassen! Nur nicht sich abfangen lassen eine Handbreit vor dem Ziel! Nur verwegen bleiben nach Erfüllung der kühnsten Seefahrt, welche die Geschichte kennt! Obwohl die »Victoria« nur achtzehn Mann an Bord hat, wahrscheinlich zu wenig, um das lecke Schiff bis nach Spanien zu steuern, läßt del Cano hastig die Anker heben und Segel setzen. Es ist eine Flucht. Aber eine Flucht in den großen, den entscheidenden Sieg.
Jedoch so kurz und gefährlich der Aufenthalt auf Kap Verde gewesen, gerade hier ist es Pigafetta, dem wackeren Chronisten, im letzten Augenblicke gelungen, eines der Wunder, um derentwillen er ausgefahren, endlich zu erleben; denn in Kap Verde beobachtet er als erster ein Phänomen, das in seiner Neuheit und Wichtigkeit seine ganze Zeit erregen und beschäftigen wird. Die Mannschaft, die ans Ufer gerudert war, um Lebensmittel zu kaufen, bringt erstaunt die Nachricht mit, zu Lande sei es Donnerstag, während man am Schiff ihnen doch versichert habe, es sei Mittwoch. Pigafetta wundert sich sehr, denn Tag für Tag während der fast dreijährigen Reise hat er genau Tagebuch geführt. Ohne je zu unterbrechen, hat er weitergezählt, Montag, Dienstag, Mittwoch, die ganze Woche, die ganzen Jahre entlang – sollte er einen Tag übersehen haben? Er fragt Alvo, den Piloten, der gleichfalls in seinem Logbuch jeden Tag verzeichnet, und siehe, auch bei ihm ist es erst Mittwoch! Immer westwärts steuernd, muß den Weltumseglern auf unerklärliche Weise ein Tag aus dem Kalender gerutscht sein, und die Mitteilung Pigafettas über dies sonderbare Phänomen erstaunt die ganze gebildete Welt. Ein Geheimnis ist erschlossen, das weder die Weisen Griechenlands, das weder Ptolemäus noch Aristoteles zu ahnen vermochten und das erst Magellans Antrieb aufgedeckt; endgültig ist nun, was Heraklit von Pontus etwa 400 Jahre vor Christus als Hypothese aufgestellt, durch eine exakte Beobachtung erwiesen: daß die Erdkugel nicht starr im Weltraum ruht, sondern in regelmäßigem Rhythmus um die eigene Achse schwingt, und daß, wer westwärts steuernd ihr folgt auf ihrem rollenden Lauf, der Unendlichkeit Zeit abgewinnen kann. Diese neue Erkenntnis, daß in verschiedenen Weltteilen Zeit und Stunde verschieden sind, erregt die Humanisten des sechzehnten Jahrhunderts etwa so wie unsere heutige Welt die Relativitätstheorie. Peter Martyr läßt sich sofort von einem »weisen Mann« das Phänomen erklären und berichtet es an Kaiser und Papst; und so hat, während die andern nur Scheffel von Gewürz, gerade der kleine Rhodosritter das Kostbarste auf Erden als Gewinn von dieser Reise heimgebracht: eine neue Erkenntnis!
Aber noch ist das Schiff nicht daheim. Noch schleppt sich mit stöhnenden Gelenken, langsam, müde und morsch die »Victoria« mit letzter Kraft durch die Flut. Von all den Kameraden, mit denen sie von den Gewürzinseln abgefahren, sind nur mehr achtzehn an Bord, statt hundertundzwanzig Händen arbeiten bloß sechsunddreißig, und gerade jetzt täten kräftige Fäuste not! Denn knapp vor dem Ziel droht noch eine Katastrophe. Die altersschwachen Schiffsplanken schließen nicht mehr zusammen, ununterbrochen sickert Wasser durch die immer weiter klaffenden Fugen. Erst versucht man es mit einer Pumpe. Sie reicht nicht aus. Eigentlich müßte man jetzt etwas von den siebenhundert Zentnern Gewürz als Ballast über Bord werfen, um den gefährlichen Tiefgang zu entlasten; aber del Cano will des Kaisers Gut nicht verschwenden. An zwei Pumpen löst sich Tag und Nacht die abgemüdete Mannschaft ab, schwerste Verbrecherarbeit dies, doch gleichzeitig wollen noch die Segel gerafft, das Steuer geführt, der Ausguck besetzt und hunderterlei tägliche Arbeit getan sein. Allmählich wird es den Erschöpften zuviel. Wie Traumwandler taumeln und wanken die Matrosen, die seit Nacht und Nächten keinen Schlaf mehr kennen, an ihre Posten – »tanto debili quanto mai uomini furono«, »so müde waren sie«, schreibt del Cano an den Kaiser, »wie nie noch Menschen waren«. Und doch muß jeder doppelten, dreifachen Dienst tun. Und sie tun ihn mit letzten, schon versagenden Kräften, denn nah und näher kommt das Ziel. Am 13. Juli sind sie abgefahren, die achtzehn Helden, von Kap Verde: endlich am 4. September 1522 (bald werden es drei Jahre sein, daß sie die Heimat verlassen) hallt ein heiserer Jubelschrei vom Mastkorb: einer hat Kap Vincent erspäht. Am Kap Vincent endet für uns die europäische Erde, aber für sie, die Weltfahrer, beginnt hier Europa, beginnt hier die Heimat. Langsam steigt der schroffe Fels aus der Flut und zugleich in ihren Herzen der Mut. Vorwärts! Vorwärts! Nur mehr zwei Tage, zwei Nächte sind noch zu bestehen! Nur mehr zwei Nächte und ein Tag! Nur eine Nacht und ein Tag! Nur eine Nacht mehr, eine einzige Nacht. Und endlich – alle stürzen auf Deck und drängen sich schauernd vor Glück zusammen – ein silberner Streifen mitten im Land, der Guadalquivir, der bei San Lucar de Barrameda in das Meer einmündet. Hier sind sie vor drei Jahren unter Magellans Führung, fünf Schiffe und zweihundertfünfundsechzig Mann, ausgefahren. Und nun steuert ein einziges kleines Schiff heran, wirft Anker am gleichen Strande, und achtzehn Mann taumeln heraus, fallen ungelenk in die Knie und küssen die harte, die gute, die feste heimische Erde. Die größte Tat der Seefahrt aller Zeiten ist an diesem 6. September des Jahres 1522 zu Ende getan.
Del Canos erste Pflicht, kaum daß er das Ufer betreten, ist, einen Brief mit der großen Kunde an den Kaiser abzusenden. Unterdes greifen seine Leute mit gierigen Händen nach dem warmen, frischen Brot, das man ihnen gastlich bietet: seit Jahren haben sie diese weiche gute Krume nicht in den Fingern gefühlt, seit Jahren den Wein, das Fleisch, die Früchte der heimischen Erde nicht mehr geschmeckt. Erschüttert starren die andern sie an, als wären sie vom Hades heimgekehrt, und wollen das Wunderbare nicht glauben. Aber kaum haben sie sich gelabt, fallen die Übermüdeten schon hin auf die Matten und schlafen, schlafen die ganze Nacht, schlafen zum erstenmal wieder sorglos seit Jahren und Jahren, zum erstenmal wieder das Herz an das Herz der Heimat gepreßt.
Am nächsten Morgen schleppt ein anderes Boot die »Victoria«, das sieghafte Schiff, den Guadalquivir stromaufwärts nach Sevilla – sie selbst hat nicht mehr die Kraft, nachdem sie um die Welt gefahren, sich die Strömung empor zu kämpfen. Staunend blickt und ruft man von den begegnenden Barken und Booten; niemand besinnt sich des Schiffs mehr, das vor Jahren in die Ferne gefahren, längst hat Sevilla, hat Spanien, hat die Welt Magellans Flotte versunken und verloren gemeint, und siehe, da arbeitet sich mühsam und doch stolz das sieghafte Schiff dem Triumph entgegen! Endlich leuchtet von fern die Giralda, der weiße Glockenturm – Sevilla! Sevilla! Schon winkt der Strand, der porto de las Muelas, von wo sie ausgefahren. An die Bombarden, befiehlt del Cano: es ist der letzte Befehl dieser Reise! Und schon rollt breit eine Salve hin über den Fluß. So haben mit eisernem Munde sie Abschied genommen vor drei Jahren von der Heimat. So haben die Kanonen feierlich die neuentdeckte Straße Magellans gegrüßt, so den unbekannten Pazifischen Ozean. So haben sie Triumph gerufen, als sie den unbekannten Archipel der Philippinen gewahrten, so mit donnerndem Jubel die getane Pflicht gemeldet, als sie Magellans gebotenes Ziel, die Inseln der Gewürze, erreichten. So haben sie die Kameraden zum Abschied gegrüßt in Tidore, da sie das Schwesterschiff zurücklassen mußten in der mörderischen Ferne. Aber nie haben ihre erzenen Stimmen so hell und so jubelnd geklungen wie jetzt, da sie künden: »Wir sind zurück! Wir haben vollbracht, was vor uns keiner getan! Wir haben als erste Menschen aller Zeiten die Welt umrundet!«