Heinrich Zschokke
Hans Dampf in allen Gassen
Heinrich Zschokke

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Hans Dampf

Folgenden Tages gab die Geschichte großen Lärm in der Stadt. Dazu kam noch das verdrießliche Schicksal des Grafen von Krähenburg in der Familie der Quaste. Denn auch hier war es zu Erklärungen und alle Schuld auf den Hans Dampf gekommen. Alle Welt schimpfte. Nur Fürst Nikodemus lachte aus vollem Halse. Der Graf hingegen fluchte und wetterte gegen den ungeschickten Unterhändler und wollte nichts mehr von ihm hören; ließ ihm auch sein Haus auf immer verbieten. Die fromme Tante von Johanna Quirl tat desgleichen und schickte ihre Nichte sogleich zu ihrem Vater nach Lalenburg zurück.

Der Ordenskanzler ließ sich aber das alles nicht anfechten. Seiner Unschuld und guten Absichten bewußt, wandelte er seinen Weg freudig fort und tröstete sich damit, daß Undank der Welt Lohn sei und die Handlungen großer Männer gewöhnlich von den Zeitgenossen verkannt werden. Solange er übrigens in der Gnade des Fürsten stand, war er für Hof und Stadt ein höchst achtungswürdiger Mann, dem jeder schmeichelnd entgegenkam, dessen Worte Göttersprüche waren.

Se. Durchlaucht der Fürst setzte so großes Vertrauen in den Ordenskanzler, daß er denselben sogar mit in die Gesandtschaft ernannte, welche bestimmt war, die Prinzessin von Mäusenheim, künftige Gemahlin des Herrschers von Luchsenstein, vom Hofe ihres Vaters abzuholen. Weil die übrigen Gesandten meistens uralte Herren waren, hatte Hans Dampf viel Gnade bei der Prinzessin. Jugend ist zuweilen große Tugend. Die Prinzessin war übrigens mit ihrer Gnade nicht allzu wohlfeil, denn sie hatte mancherlei wunderliche Launen, wie sie einer schönen Prinzessin wohl anständig sind. Da sie nun sehr geneigt war, alle Tage eine neue Laune zu haben, weil eine beständig gleiche Laune keine Laune mehr ist: so fiel es ihren Umgebungen oft ziemlich schwer, die rechte zu erkennen. Sie war sehr reizbar und nervenschwach; darum liebte sie besonders alles Sanfte und Zarte, vielleicht deswegen auch vor allen Dingen ihre Katzen. Sie hatte beständig die schönsten und freundlichsten dieser lieben Tiere in ihrem Gefolge; Katzen von allerlei Größe, von allerlei Farbe. Jede ihrer Hofdamen hatte zwei bis drei Katzen zu verpflegen.

Da nun der Fürst mit gleicher Huld den Hunden, wie die Fürstin den Katzen zugetan war, besorgte man, des bekannten Sprichworts von Hunden und Katzen wegen, die künftige Ehe dürfte nicht zu den allerseligsten unterm Monde gehören. Trotzdem, wie auch ganz billig, wurden auf die hohe Vermählung unzählige schmeichelhafte Gedichte verfertigt, Reden gehalten, Sinnbilder gemalt, alle voller Weissagungen eines goldenen Zeitalters, da sich die Kraft mit der Anmut, Weisheit mit der Schönheit einige, wie das nun immer so der Fall zu sein pflegt. Viele gute Dinge in der Welt sind überhaupt eigentlich nichts als bloße Redensarten.

Das Ansehen des Ordenskanzlers bei der Prinzessin von Mäusenheim, deren Beilager mit Nikodemus auf einem Grenzschlosse vollzogen ward, erhob das Ansehen des edlen Hans Dampf mehr als je. Was er daher zu sagen oder zu schreiben beliebte, ward begierig von allen Hörern, Sagenhörern, Lesern und Nichtlesern aufgefaßt und wiederholt, sogar in Zeitungen nachgedruckt. Weil Hans Dampf nun die herrliche Gabe hatte, ungemein redselig und wortreich zu sein, so war es im Grunde immer der Geist oder das Wort Hans Dampfs, welches die öffentliche Meinung leitete. In der Residenz las man mit Entzücken seine Beschreibung von den Reizen der künftigen Landesmutter, von ihrer zärtlichen Liebe für die Katzen und daß man bei ihrem feierlichen Einzuge in die Residenz außer der Illumination vorzüglich auf Präsentation von schönen Katzen denken müsse. Das ließ man sich gesagt sein, jeder wollte nun die schönsten dieser Tiere haben, weiße, getigerte, schwarze, braune, graue, dreifarbige, um sich bei der Fürstin zu empfehlen. Man verschrieb Katzen von nahe und fern, und ungeachtet deren viele ankamen, gab es doch eine wahre Katzenteurung zehn Meilen weit in der Runde.

 
In allen Gassen

Der Einzug des jungen Ehepaars in die Residenz war ungemein prachtvoll; Triumphbogen an Triumphbogen verfinsterten beinahe alle Straßen. Nicht nur waren in jedem Bogen sehr geschmackvolle Gemälde von Katzen zur Augenweide der Fürstin angebracht, sondern einige der Triumphpforten bestanden aus einer sinnreichen Verkettung allerliebster kleiner ausgestopfter Katzen, die einander zu jagen schienen. Aus allen Fenstern ließ man Katzen sehen, die sich jedoch meistens übel geberdeten und schrien, ohne Zweifel aus unnötiger Furcht, herabzufallen. Dies allgemeine Miauen der Katzen ward für diese Tierart gewissermaßen ansteckend und so stark, daß die kleinen Kinder davor heftig erschraken und ihr Geschrei in die herrschende Tonart mischten. Die fürstlichen Jagd-, Wind- und Hofhunde, welche vor dem Wagen herliefen, wie auch alle übrigen bürgerlichen Hunde, die sich aus Neugier, wie andere Zuschauer, von ungefähr auf den Straßen befanden, sahen und hörten mit gerechtem Erstaunen an allen Fenstern die zahllose Menge ihrer natürlichen Erbfeindinnen und gerieten in große Bewegung. Einige sprangen bellend rechts und links, andere vor Wut heulend gegen die Mauern der Häuser auf, andere kläfften aus Nachahmung oder Sympathie den übrigen nach.

Man hatte bei dieser vorlauten Konversation der Hunde und Katzen die größte Mühe, sein eigenes, menschliches Wort zu verstehen. Einige Zuschauer, um die ehrfurchtsvolle Stille wieder herzustellen, riefen: «Hunde weg!» Andere schrien dagegen: «Katzen weg!» Und im Eifer aller erhob sich ein Gebrüll von Tönen der verschiedensten Art, daß beinahe die Rosse scheu wurden. Man mußte sie wirklich halten, besonders da unter dem Hauptehrenbogen in der Mitte der Stadt der Magistrat, wie man zu sagen pflegt, en corps, oder leiblicher Weise, erschien, und der Amtsbürgermeister das Entzücken des Landes in einer vortrefflichen, von ihm selbst verfaßten Rede auszusprechen hatte. Auch stellte er sich dem fürstlichen Paare, das im Prunkwagen beisammensaß, gegenüber und hob die Rede an. Allein des Geschreies, Bellens, Miauens, Rufens war um ihn her so viel, daß er wohl merkte, ohne höchste Anstrengung seiner Sprachwerkzeuge wäre es hier um die Pracht seiner Rede, um die überraschendsten Gegensätze, Blumen und Vergleichungen getan. Zum Glück war er ein baumstarker Herr, dem es nicht an Stimme abging, da er im Rate seit zwanzig Jahren gestimmt hatte. Er überschrie auch wirklich das ungeheure Getöse sehr glücklich und ward dabei kirschbraun im Gesicht. Die nervenschwache Fürstin im Wagen hielt sich aber in wahrhafter Seelenangst beide Hände vor die Ohren, und Nikodemus donnerte und wetterte rechts und links aus dem Kutschenschlage. Inzwischen glaubte das Volk, weil man bei dem allgemeinen Toben kein einziges Wort verstand, der Fürst bezeuge nur die Empfindungen seines Dankes gegen die Liebe der treuen Untertanen und jauchzte nun desto ärger ein feierliches Vivat und Lebehoch dazwischen. Auch las man in allen Zeitungen und Journalen jener Tage gedruckt, wie groß der Jubel des Volks, wie herzlich die Erkenntlichkeit des Landesvaters und wie innig die tiefe Rührung der Fürstin gewesen sei, denn in der Tat fing sie, da sie keine Hilfe finden konnte, vor Zorn an zu weinen. Der redende oder vielmehr schreiende Amtsbürgermeister nahm den größern Teil dieser köstlichen Tränen auf Rechnung seiner wirklich erschütternden Rede, wandte sich nun vorzugsweise gegen die Fürstin, welche er noch einschaltungsweise mit allen Göttinnen des hohen Olymps verglich, und endete nicht, bis er die letzte Phrase glücklich angebracht hatte.

Darauf jagte der fürstliche Wagen in vollem Galopp zum Schlosse. Allen sausten die Ohren noch zwei Stunden nachher davon, am meisten der nervenschwachen Fürstin. So ohrenkrank war sie, daß kein Mensch sie mehr laut anreden, sondern nur leise flüstern durfte und sie keinen größeren Kummer hatte, als daß sie am Abend noch einem Konzert der fürstlichen Hofkapelle beiwohnen sollte. Zwar hatte, aus zärtlicher Rücksicht für die junge Gemahlin, Nikodemus dem Kapellmeister selbst verboten, Blasinstrumente, selbst Flöten nicht, anzuwenden. Dennoch beruhigte sie das nicht, und sie äußerte sich gegen den Ordenskanzler im Vertrauen, daß, da nun einmal das Konzert sein müsse, sie ihm die größte Verbindlichkeit haben würde, wenn er die Kapelle bewegen könnte, so leise zu spielen, daß man es kaum höre.

Hans Dampf war dazu bereit, aber fand bei der Kapelle über das beständige Pianissimo heftigen Widerspruch. Man weiß, Künstler haben ihren Eigensinn. Der Kapellmeister verhieß zwar, die Instrumente vor Erscheinung des fürstlichen Paars stimmen zu lassen, um Hochdero Ohren mit den unleidlichen und unvermeidlichen Dissonanzen zu verschonen; versprach auch eine andere Auswahl der Tonstücke zu treffen, wobei es leise genug hergehen könne; aber eine etwas geräuschvolle, brillante Ouvertüre wollte er sich schlechterdings nicht nehmen lassen, weil er sie selbst gesetzt und schon daraus Trompeten, Pauken, Fagotts, Klarinetten und andere Blasinstrumente weggestrichen hatte.

Natürlich setzten diese Äußerungen des unerbittlichen Kapellmeisters den dienstbeflissenen Ordenskanzler in große Verlegenheit, doch hoffte er noch einen Mittelweg ausfindig zu machen. Und er fand ihn wirklich. Um den scharfen, nervenerschütternden Strich der Geigen einigermaßen zu mildern, schlich er sich vor Ankunft des Hofes ins Orchester und seifte in großer Geschwindigkeit alle Violinenbogen ein. Der Hof kam. Die Künstler der Kapelle traten aus dem Nebenzimmer ins Orchester. Jeder nahm seinen gebührenden Stand ein, der Kapellmeister voran. Dieser hob den papiernen Kommandostab, und auf seinen ersten Wink sollten sich die Harmonien der brillanten Ouvertüre rauschend ergießen. Diesmal aber behielt Hans Dampf Recht.

Zwar fuhren unter dem ersten Wink des Kapellmeisters alle Fidelbogen mutig auf den Geigen ab und auf; aber es ward kein Ton laut und eine furchtbare Todesstille herrschte. Der Kapellmeister warf einen grimmigen Blick auf seine Kunstgenossen, hob den Arm noch einmal und winkte, mit einem starken Druck des Leibes, von neuem. Alle Violinen setzten sich von neuem in Bewegung; doch blieb das zweite Manöver so fruchtlos wie das erste. Das fürstliche Auditorium fürchtete mit Taubheit geschlagen zu sein. Der Argwohn des Kapellmeisters, daß man aus Neid ungehorsam sei, ward verzeihlich. Er rief voll unterdrückten Grimmes mit gedämpfter Stimme durch das Orchester: «Nun, wird's endlich einmal?» Dabei drehte er sich um, die Geigenkünstler zu beobachten, hob den Arm, winkte zum dritten Mal, und die Künstler, voller Erstaunen und wahrhafter Todesangst, arbeiteten zum dritten Mal umsonst. Jetzt erkannte der Kapellmeister die Ohnmacht aller Violinen. Der ganze Hof erhob ein Gelächter. Aber der Fürst, welcher sich auf seine Kapelle viel zugute tat, und damit bei seiner Gemahlin Ehre einlegen wollte, nahm die große Verstummung übel auf, hieß die Kapelle zur Hölle gehen und verließ mit der Fürstin und dem ganzen Hof den Saal.

Es konnte unmöglich lange ein Geheimnis bleiben, warum die brillante Ouvertüre dreimal blind abgefeuert worden sei. Hans Dampf hatte selber die Ursache ausgeplaudert. Vielleicht wäre die zartnervige Fürstin seine dankbare Fürsprecherin geworden; allein sie vernahm ebenso schnell, daß Hans Dampf durch seinen Einfluß der wirkliche Urheber nicht nur der bekatzten Ehren- und Triumphpforten, sondern auch überhaupt des erschrecklichen Katzenlärmens gewesen sei, dessen sie, wie sie versicherte, zeitlebens eingedenk sein würde. Dadurch mußte der Sturz des Ordenskanzlers unvermeidlich werden. Die Fürstin, bei ungnädiger Laune, befahl ihm, den Hof zu meiden; der Fürst, um sich und seiner Gemahlin Genugtuung zu verschaffen, wies ihn sogar aus dem Lande.

Hans Dampf, bei dem sich die Hiobsbotschaften durchkreuzten, kratzte sich hinter den Ohren und seufzte: «Undank ist der Welt Lohn!» packte ein, hüllte sich in seine Tugend und reiste nach Lalenburg ab.


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