Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Aber dann brannten die Furunkeln wie Feuer, und er vermochte nicht viel mehr als dem Zimmermann ein wenig zuzudienen.
Auf der Wiese lagen jetzt wieder Stapel von Holz und Schlacksteinen, ein Kegel Asche in die Schrägböden. Diesmal reichte es für's Ganze.
«Jedem das Seine: Ich hab mein Haus, sie hat die Genugtuung, recht behalten zu haben. Ich verkrachte mich damals mit ihrem Verlobten. Er war Vertreter, ein Kerl, den ich nicht riechen mochte. Wäre er bescheiden gewesen; allein er schwatzte in alles hinein aus einer verfluchten Art von Verstand und Beschlagenheit, denen gegenüber ich mir Schlappen zuzog. Ich war ja auch jung, er wusste schlechterdings alles, von Swedenborg bis Marx, alles zwischen Nationalökonomie und Christian Science. Auf seine Weise! Er bekannte sich auch zu dem einen Wunsche in geistiger Richtung: Das Universallexikon auswendig zu wissen. Er wusste es. Seine vornehmliche Rührigkeit und Umsicht jedoch galt dem Erwerb; dann kam der politische Ehrgeiz. Er war damals schon eine Kapazität des Freisinns. Du und der Freisinn! lachte ich ihn aus: Kleine Leute machen ihm höchstens den Pudelhund. Kleine Leute! Er fühlte es in sich, so wie ich meine Art in mir fühlte. Heut ist er Fabrikant und Nationalrat, hat ein Landhaus mit Park, hat snobbistischerweise auch Cézannes und Maillols! ich stehe auf seinen Persern als Bittsteller in Hosenklammern und Furunkeln. Schöne Maillols. Der Schwager kam auf meine Jugendvorstellungen von Kunst zurück – er hat auch ein gutes Gedächtnis – und er erledigte sie anhand seiner Schätze. Ich sah nur die Schätze, hatte die Theorien vergessen, die Schätze beschämten mich. Ueberhaupt fand ich es angezeigt, mich still, ein wenig traurig und bescheiden zu geben. Diese Leute sind gutherzig, sofern man ihnen nicht widerspricht. Meine Schwester weinte beim Abschied; sie neigt überhaupt zu Tränen aus Mitleid für alle Welt, Hunde und Katzen insbesondere und mutterlose Kinder – dass ich's nicht vergesse, ihr Bilder von Marti zu schicken! Die eigenen beiden Söhne bereiten ihr Kummer durch Lebenskunst. »Wärst du Sängerin geblieben«, konnte ich nun doch nicht umhin, ihr zum Beschluss zu sagen: »Du hättest eine Welt beglückt, statt sie um zwei Schmarotzer zu vermehren.« In der Hülle einer Schmeichelei verträgt man die bitterste Pille. – Auf der Rückfahrt – Obst hat das Land, sag ich dir! – machte ich mir meine Gedanken. So ein Haus mit Fenstern auf Seeland hinaus – irgendwo träumen wir alle davon. Die Vorstellung kostet es keinen Wasserzins, die Fontäne auch wochentags springen zu lassen. Schmuckis lag trocken und säuberlich ausgebürstet. Kein armes Möslein, welches den Neptun – innen der Maillol, aussen der Kitsch, durch Umkehrung des Symbols – ein wenig verschönert hätte! Fällt mir gerade ein: Hältst du's für möglich, dass eine Stadt ihre Denkmäler von der Patina reinwäscht? Also geschieht es zu Zürich! Was ich im Oktogon schrieb, dass auf dem Albis das Herbstlaub von der Strasse gewischt wird, hab ich mit Augen gesehen. Sie finden es nicht der Erwähnung wert, finden den Nörgler lächerlich. Was soll man machen, wie dem Ungeist beikommen, wenn er der Geruch des Menschen ist? Wir, die wir das Leben dran geben, ihm ein wenig Schmelz zu verleihen, sehen das Prinzip von Reisbesen aus dem Lande hinausgekehrt. Wir haben keine Akademie, wir haben das Persilinstitut. Wir haben keine Religion, wir haben den Schwarm von Sekten. Dann lieber den Springbrunnen nicht, wenn ihn der Wasserzins verstopft. – Beinah hätte ich Stein am Rhein übersehen! Seume, Seume: Wie seinerzeit Florenz war es mir eine Bestätigung. Ich kam wie nach Hause. Ich sah sie mit Augen, diese Einheit einer Stadt, in der alles schön, jede Linie im Ganzen geborgen, alles wunderbar untergebracht, phantasievoll, liebreich erfunden ist. Die Seele genoss den Ort wie ein Bad, alles darin sprach mich brüderlich an, die Natur lebt dort im Frieden mit dem Menschenwerk, seine Giebel und Burgen überhöhen sie in einen romantischen Raum, aus welchem die alten Klosterglocken, die Tauben, die Regentropfen himmlisch vergoldet herabwehn. Woran zerschellte inzwischen die Welt? Auch Italien degenerierte im Kitsch! – Jetzt aber kommt erst der Rechte! Der wird's uns sagen!» rief Martin durch sein Balkengitter hinab, als ein besserer Herr mit Melon und Mappe zwischen den Türpfosten eintrat. «Huhu, Herr Knellwolf! Jakobli, wo bist du? Wir spielen ein bisschen brasilianischen Urwald, geben Sie acht auf die Riesenschlangen! Darf ich vorstellen: Seume, ein deutscher Poet und Globetrotter – »Seht, wir Wilden sind doch bessere Menschen, und er schlug sich seitwärts in die Büsche« – Herr Knellwolf, von welcher, der Vita? Item, er reist auf Leben, garantiert risikofreies Leben mit beliebiger Vergütung im Ablebensfall. Beliebiger, respektive dem Geldsäckel beliebiger Einschätzung der eigenen werten Person, etwas niedriger für den Proleten, um einiges höher für die Herrschaften in der Demokratie, damit die Gerechtigkeit übers Grab hinaus fortbestehe. Eine Frage der Naseweisheit, Herr Knellwolf: Was kost so ein Menschenleben, wie hoch wird's taxiert von Herrn Bünzli, was wirft der Tod ab? Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg!»
«Immer der alte Spötter», sagte Herr Knellwolf und nahm seinen Melon von der Glatze.
«So muss ich noch reden, ich blühender Busch von Furunkeln, mir in den Lianen des Amazonas steht es an, mich über die Sicherheit lustig zu machen! Hand aufs Herz, Seume: auch du bist nicht versichert, und walltest deine Strasse doch froher im Bewusstsein, mir kann nix passieren, noch der Tod zahlt mich aus! Steig herunter vom Affenbrotbaum, wir wollen das Ding bereden, vielleicht ist Hoffnung für eine alte Sackleinwand; es bietet sich dir die letzte Gelegenheit, in dich zu gehen, dir an die Brust zu schlagen und dein regenverwaschenes Landstreichertum in den Schoss der alleinseligmachenden Securitas zurückzulegen.»
Knellwolf war keineswegs geschäftlich gekommen; Stapfer gegenüber hatte sogar er die Bemühungen aufgegeben – die Sache war die, dass er nebenamtlich dichtete und einen Künstler, wo er ihm schon einmal aufstiess, so schnell nicht wieder aus seiner Bekanntschaft entliess.
Stapfer brachte ihm das heimliche Laster sogleich aus. «Sieh dir ihn an, Seume: er ist ein Dichter! Hast du eine Ahnung, was für Prospekte er in seiner Aktenmappe über Land führt! Verse, Seume, Verse! So ist er ja, dieser homo alpinus, du bastelst dir Theorien über sein Krämerwesen, und schon zückt er das Schwert seiner Verse, schon ist er nichts geringeres als im Herzen ein Dichter. Und von Natur aus ein Gent dazu; Spitz deine Ohren hinein in die Tasche, es ist eine Zaubertasche, gibt Assekuranzen gleich wie Reime und Fleischkäs mit Wein heraus.»