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Fröschlacher Niemandsland. Furcht ist des Helden rührende Kindheitsblume. Epigonische Reminiszenz.
All dies getan, konnte Fröschlach daran gehen, seine ersten Kriegshandlungen vorzunehmen, welche der Erspähung des Feindes galten. Zwölf 75 Mann stark zogen sie durch die Vogelscheuchen davon, eisenrasselnd, mit den langen Stangen ihrer Spieße, wanderten bis zum Abend, wo die Feldherrenklugheit erhöhte Wachsamkeit gebot, der Spähtrupp in Deckung schleichend oder auch sprungweise vorging. Die Nacht wuchs im Grase, die Nacht schlug flaumige Wogen, auf denen die Fröschlacher trieben. Das Dunkel stopfte sich ihnen in die Augen, daß sie die Erde von ihren Händen verloren und im Weltall zu treiben vermeinten; in Sternländer vorgedrungen, fühlten sie sich mutig, den Kampf auch mit Zyklopen und Titanen aufzunehmen. Als deren Schiff im Aether seinen Bugschnabel aufstieß, erglühte ihnen das Herz nicht von Kampflust allein, auch vom Anhauch der Angst, die der Held zur Leistung der Götter hinzunimmt – was ist Sieg ohne Gegner, was ist Tapferkeit ohne Furcht? – die Fröschlacher hielten dem Augenblick stand, der mit Geistergewittern hereinbrach. Denn welche Gewalten warfen die Barke empor, welche Wikingerschilde glänzten an seiner Flanke, welche Blitzesfracht trug sie heran auf den luftigen Wassern? Nur ein Tor wird das menschliche Auge verhöhnen, wenn es vor der Gewalt der Sonne die Waffen streckt, sich verhüllt; nur ein Tor kann die Fröschlacher 76 dafür schelten, daß sie mit ausgestreckten Gliedmaßen lagen und ihr Gesicht an der Brust des Dunkels verbargen – auf dem vordersten Posten der Urwelt trotzend, wichen sie nicht, klebten sie sich mit den Leibern fest, die Stellung der Menschheit zu halten; sich eines übrigen zu vermessen, bewahrte sie Klugheit des Lebens und die Mäßigung aus Verantwortlichkeit.
Die Heerscharen schienen denn auch in die Luft zu verpuffen, wunderlich wirkungslos abzuprallen, als ein Staub in der Leere zu verrauchen. Die Fröschlacher schickten den Blick nach dem Wüstenschein, sahen den Mond in seinem Kristalle hangen und erhoben sich auf die Knie in Bewunderung eines Prunksaals, zauberhaft genug, dem Schöpfer zur Wohnung zu dienen. Wie auf Teppichen traten sie ein und guckten sich darin um, das Haus nahm kein Ende und trug doch sein Dach mit dem Lüster ohne jedwede Säule noch Mauer; auch stieg es gewaltig hoch an ein Plafond von Lämmerwölklein, schimmerndem Schildpatt und Marmor, durch welchen Gestirne eines entlegenen Azurs strahlten. Wahrlich eine Eselin zu suchen waren sie ausgegangen und fanden dies Königreich Gottes, wie es denn immer der Unschuld und redlichem Fleiße beschieden ist. Fast schüchtern 77 erschrocken, liefen die Fröschlacher lange, ihren Kriegshut an der Hand und eher froh, den Herrgott abwesend zu finden; so sehr als sie ihn liebten, so sehr scheuten sie ihn, und da sie den Gotteshund bellen hörten, auch einen Greis mit Strickstrumpf am Stab lehnen sahen, nahmen sie auf Zehen einen Umweg, den hohen Herrn nicht zu stören. Nur sein Hund kam herüber und beschnüffelte die Wanderer, wohlwollend und kindlich, was den Fröschlachern über die Maßen schmeichelte. Ihn zu streicheln oder ihm etwa Schnitze aus ihren Vespersäcken anzubieten, wagten die Fröschlacher aus schuldiger Ehrfurcht dem Gotteshund gegenüber nicht, auch wenn sein Herr mit dem Strickstrumpf, wie es ihnen später beifiel, nicht Gottvater persönlich, doch eben ein Glied des himmlischen Haushalts gewesen war. Das Land ging bergab, ging unmerklich über in Gehügel der Erde, wo sie die Helme aufsetzten, ging auf Heiden und Moore, durch den Menschenschlummer, ging in Wald hinein und in den Wellenschlag der Aecker. Hier sahen sie Gottes Kronleuchter hoch über sich erhoben und wollten es schier nicht mehr glauben, daß sie da oben gegangen wären; im Gedanken daran kam ihnen der Hunger, sie setzten sich auf den Pflug in den Furchen und 78 aßen das Hühnerfleisch aus den Beuteln, die ihnen die Weiber aufgedrängt hatten. Sie schmatzten denn ganz vergnügt nach allen vier Winden wie der Einsiedler Röhrenbrunnen; das Kriegswerkzeug hatten sie von sich gelegt, überhaupt ihr Geschäft in der Nacht vergessen. Gesättigt, rülpsten sie frohgelaunt, schwatzten und lachten auf ihrem Gerüste. Doch wie ein Schwarm Staren jäh auseinanderfährt, stoben sie von dem Pflug in die Furchen nieder. Das Außerordentliche gewohnt, hatten sie sich nun erst wieder ihrer Absicht und also des Feindes erinnert, in dessen Mitte sie hier ihre Vesper hielten, als wären sie Hamburger Zimmerleute. Nun, auch der Krieg lebt aus einem Viertel Gutglück; die Fröschlacher hatten ihr Teil bezogen und Grund, umso geiziger hinfort auf das Leben zu achten.
Sie schleppten es kriechend an das Ende des Brachfelds, wo sie in Deckung von Rübenkraut kamen. Sie liefen darin gebückt mit den Lanzen, nicht zu lange, um noch zeitig ein Nest von Helmen zu erkennen, in denen denn erstmals der Feind seinen Fühler gegen die Fröschlacher vortrieb. Indessen waren sie selber nicht als ein Kriegsheer, sondern zur Auskundschaftung in dem Gelände erschienen; das Häuflein sich duckender 79 Hasenfüße aber getrauten sie sich unter der Hand zu nehmen, schwangen also nach kurzem Besinnen ihre Spieße hinüber, schossen auch so vortrefflich, daß es von splitternden Hirnschalen krachte und ein Lanzen-Igel wutzitternd sich über sein Opfer sträubte. Die Sieger gingen aufrecht wie Jäger zu ihrem Hunde nach der Walstatt hinüber, sahen nicht ohne Grausen den roten Most von den Leichnamen fließen; ein Schädel drehte sich unter dem Speerschaft, grauenvoll wach in seinem Witz, sich den Ueberwinder noch anzusehen, aber ehrfurchtgebietend wie eben die Todesverachtung, die mit dem Pfeil in der Brust unter Traumesschleiern Gebärden des Lebens fortsetzt.
Freilich erwies es sich, daß die Fröschlacher fürs erste im Uebereifer der Mordlust vorgegangen waren und ihre Stärke an besseres nicht als einen Kürbiswurf, der hier faulte, verschwendet hatten. Sie setzten trotzdem ihren Fuß auf die bleichen Häupter, den Sieg auszukosten, drehten sie unter der Sohle nachdenklich ekelvoll und verabsäumten nicht, auch Gott im Gebet zu danken, indem sie den Helm vor die Brust herabnahmen. Wäre es der Feind gewesen, leicht läge der oder jener nun selber in seinem Fröschlacher Blute.
Ein Erfolg auch vor Kürbissen stärkt nun einmal 80 das Vertrauen. Der Faden ist nur ein Faden, doch dem Schiffstau entfernter Vetter, der Sinkende greift nach dem Faden; ähnlich ist der geringste Sieg in der Hand ein Versprechen auf den bessern, die Fröschlacher hatte der ihre mit froher Begier erfüllt, sich auch im Ernst zu bewähren. Die Gelegenheit führte ihre Geduld nicht an der Nase herum; auf ein Torfried vorstoßend, sahen sie sich unverhofft einem unabsehbaren Zeltlager, also der Hauptmacht des Feindes gegenüber, welcher der Nachtruhe pflegte in der Obhut nur weniger Posten. Im träumenden Heimgedenken stützten sie sich auf die Picken, erhoben das Antlitz ins Sternenlicht und hatten kein Arg in der Nähe des spähenden Todes, also daß es die Fröschlacher rührte, beinah ein Heimweh sie nach der Mondstadt zog und sie beschlossen, desgleichen allda zu rasten, umso eher als der Anblick des Schlafes sie auch zum Gähnen brachte und der Moorgrund mit duftenden Polstern die Wandermüden verlockte. Nur, sie wußten nicht um die Art und Gesinnung, die, nun in Ketten des Schlummers, gegen sie aufstehen konnte. Den Fröschlachern fehlte nicht der Verstand, sich die Bewohner der Feldherrenzelte auszumalen, welche da und dort noch in den fernsten Quartieren Streustöcken ähnlich 81 über das Lager aufstrebten. Es roch ihnen ordentlich in die Nase mit Sammetvorhängen und Troddeln, das Mondlicht blitzte mit Silber von Brokat, mit Rubinen und Amethysten auf Türkensäbeln, und mit Händen zu greifen lag in der Luft ein Wohlgeruch köstlicher Aschen. Prachtliebende Potentaten sind freilich grausam, doch meist der Bestechung zugänglich, ein Umstand, der Fröschlach zur Hoffnung berechtigte, sich mit dem Tribute loszukaufen, den seine Gesandtschaft als eine Goldkürasse unter dem Harnisch im Wamse führte.
Zur Audienz unzeitig gekommen, zogen die Fröschlacher sich von der Zeltstadt zurück, einen günstigen Ort der eigenen wohlverdienten Ruhe ausfindig zu machen. In diesem Bestreben klommen sie einen Hügel hinauf, wie so oft in der menschlichen Blindheit nicht ahnend, daß sie vom Schoß der Geborgenheit schnurstraks zum Gegenteil, zum Verderben hinüberwechselten: über den Rand hinaus starrte ein Heerzug von Spießen! Das Grundgesetz aller Kriegskunst gebietet, niemals die kostbaren Kräfte an das Sinnlose zu vergeuden; die Fröschlacher wichen zurück vor der Uebermacht. Ohnehin waren sie nur widerstrebend über die Mulde hinausgegangen; sie kehrten 82 zurück in die windstille Kammer, legten die Häupter auf Herbstzeitlosen; in Zuneigung für die Fröschlacher voreingenommen, zog der Mond seinen Schattendamast über sie, und sie schliefen.
Sollte die Chronik seiner Taten noch nicht hinlänglich die Heldenart Fröschlachs erwiesen haben, so wird diese Kindesunschuld, diese fast liederlich zu nennende, jedenfalls gewagte Unternehmung, dem Feind vor der Nase zu schlafen, und geräuschvoll zu schlafen! den letzten bösmeinenden Zweifel beheben. Sie schliefen geräuschvoll nicht allein durch Schnarchen, welches nur die Stimme vollkommenster Wurstigkeit der Gefahr gegenüber ist, sie schrien und balgten in Träumen, hieben im Wahne, Bruder auf Bruder, mit Fäusten ein, kreischten wie Katzen und jagten einander, alles nicht wissend und gaukelhaft, bald wieder schlafschwer vereinigt im Durcheinander der Beine, den Kopf auf dem Bauche des Nachbarn. Gegen Morgen kam ihnen ein Traum, daß die Flughunde aus der Luft herabstießen, mit dampfendem Atem nach ihren Gesichtern leckten und krächzend und flügelschlagend um ihre Ohren peitschten. Den Kriegern aber war es auferlegt, sich auch nicht rühren zu können; den Flughunden schäumte der Geifer von dornigen Zungen, deren 83 Berührung brannte. Zum Bewußtsein dämmernd, erkannten die Fröschlacher sich als vom Feind überrascht, inmitten von Beinen und Dolchen, sprangen auf die Füße und in der Trunkenheit brüllend wohin es sie eben führte, der Feind im übrigen nicht minder, erschrocken vor solcher Beschlagenheit, und die Fröschlacher droschen auf ihn ein, daß den Kerlen der Säbel am Hintern flog. Der Kuhhirt hatte zu laufen, seine Herde wieder zusammenzutreiben; die Fröschlacher standen bebend vor Angriffslust, und der Hirt ging von einem zum andern, für sein Vieh um Verzeihung zu bitten, ein treuherziges Wort bei den Herren Landsknechten einzulegen. Wenn schon bei Licht besehen es wiederum nicht der Feind war, so war es doch mehr als ein Kürbisfeld, nämlich eine Herde Rindvieh samt Gänsen gewesen, der Kriegsgeist der Fröschlacher diesmal so bald nicht zufriedenzustellen; sie schlossen sich denn um den Bauern, ihn als Geisel gefangenzunehmen. Ihrem Klagegeschrei nach zu schließen, schienen's die Gänse zu wittern; nun war aber, wie wir wissen, Hirngewitter auf Gänse versessen, hatte auch Schattensee ein Pärchen unter den Armen entführt und befürchtete, durch übertriebene Härte möchte der Ganshirt störrisch und ein 84 Handel gefährdet werden, um den seine Seele bangte. Unter Führung des Bürgermeisters nahmen sie die Gelegenheit wahr, dem Kriegsgefangenen ihnen dienliche Geständnisse abzupressen. Als erstes sollte der Hirt ihnen sagen, auf welche Stärke er die Heermacht am Hügel schätzte. Auf gut dreitausend Rebstickel, erwiderte er so bewandert, daß die Fröschlacher Blicke tauschten im Besitz des verkappten Spitzels. Wie hoch sich die Zelte drüben in ihrer Zahl beliefen? Torfstöcke zu zählen brauchte es einen Astronomen, er wäre ein armer Viehknecht. Den Viehtreiber wollten sie dem Erzspitzbuben unter die Nase reiben; sie führten ihn gebunden hinüber. Die Enttäuschung im Anblick des Torfmoors verleidete ihnen den Krieg als Ganzes; umgänglicher und an den Fesseln rückend, fragten sie den Bauern kurzheraus, wo die Streitmacht des Feindes stünde. Zurzeit wohl an ihrem Ziele. Das Kriegsgericht erschrak. Vor Fröschlach? In Byzanz. Die Lothringer waren vor Jahresfrist durchgezogen, höflich und singend. Die Gänse, in ihrer Neugier überall zur Stelle, wunderten sich mit den Fröschlachern. Artig genug, auf Irrtümern nicht zu bestehen, baten sie den Gefangenen, ihnen die erfahrene Unbill aus dem Kriegsrecht nachsehen zu wollen. Der 85 Ratsschreiber trug denn sein Ganspärchen nicht als Beute, sondern rechtmäßig erstanden und in schöner Sinnbildlichkeit der eingefangenen dicken Ente unter seinen Armen nach Fröschlach.
Den Weg dahin gehend, drehte das Schärlein sich fortgesetzt in den Hälsen, was einen entehrenden Irrtum aufkommen lassen möchte, den zu zerstreuen die bessere Kenntnis ebenso wie eine begreifliche Herzensneigung zu Fröschlach den Chronisten verpflichtet. Es war nicht die Furcht, die unsern Kriegern im Rücken folgte, es war ein Schneegebirge aus Wolken, ihrem Glauben nach die Wohnstatt des Kuckucks. Indem der Spottvogel doch insgeheim auch als das Wappentier ihrer Liebe, als Lockvogel der träumenden Neugier in der Geschichte der Fröschlacher mitging, unterstanden sie der Verführung, der vorzeiten die Ahnen erlegen waren, das nun freilich Närrische, nämlich Unmögliche zu wollen. An der Spitze der Zeiten, Kinder der Aufklärung, versuchten die Fröschlacher im Ernste nicht, die Kuckuckshöhe zu ersteigen; es beschäftigte sie aber in Gedanken, und die Schwermut, der sie mählich verfielen, hatte metaphysischen wie säkularen Ursprung: metaphysisch war ihre Hypochondrie als Trauer der menschlichen Ohnmacht, säkular der 86 Kleinmut aus Erinnerung früherer Lebensalter, deren himmelstürmende Kindlichkeit noch das Gelächter in Kauf nahm. Vom Straßenstaub mehlig, ruhten die Helden in einer Waldlichtung und sahen die Wolken durch Sträucher zum Greifen nahe, also daß ihnen das Herz in den Hals hinaufschlug. Sie führten eine Unterhaltung darüber, welche Wege die Vorväter möchten genommen haben, in das Traumland hineinzugelangen. Es ging die Sage, nach der ein jetzt nicht mehr vorhandener Himbeerschlag den Zugang ermöglicht hatte. Der Ort, an welchem sie lagerten, kam den Fröschlachern fast so vor als hätte er das Wesen an sich; er war nur in den Jahrhunderten verwildert, wie ein römisches Heiligtum zerfallen; es stand noch die Föhrensäule – mit der unverfänglichsten Miene hießen die Fröschlacher ihren Lehrling, das Kapital zu erklettern. Läublein behagte sich im Gewölke, lag mit den Händen unterm Nacken, von den einsamen Lüften gewiegt. Die Meister erzürnte sein tatenloses Verweilen, sie schreckten ihn barsch herunter. Zu fragen nicht mutig, trugen sie ihm beides mit Groll nach, seinen Einblick in das Kuckucksjenseits, wenn er ihn gewonnen hatte, andernfalls die Unbrauchbarkeit des Träumers. Er hatte des Schreibers Gewaffen auf sich, 87 Hirngewitter eine Gans unter jedem Arm, die Hand für Maulschellen nicht frei, weshalb er den Lehrling mit dem Fuße von hinten trat, daß er stolperte. 88