Albin Zollinger
Der Fröschlacher Kuckuck
Albin Zollinger

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Drittes Abenteuer

welches Worte zu Taten verdichtet.

Der geneigte Leser wird schwerlich dem Irrtum verfallen sein, aus solcher Umsicht einer Regierung auf gleiche des Volkes zu schließen. Es war zu Fröschlach wie anderswo, daß in den Oberhäuptern das allgemeine Wesen zur Blüte gelangte, gewissermaßen der behäbige Salat zur Fruchtbarkeit aufstengelte. Daher kommt es denn, daß die Chronik, indem sie die Fröschlacher handeln läßt, ein Grüpplein der Einfallsreichsten zeigt, das in Vertretung Taten der Tapferkeit ausführt. So wenig wie anderswo war es in Fröschlach der Exekutive gegeben, stets nach der Vorstellung Aller zu wirken; bestellt und bevollmächtigt, trug sie Würden und Bürden im Trotz der Verantwortlichkeit, setzte sie was ihr gut schien auch gegen Spott und Anfeindung, wenn es nicht anders zu machen war in der Heimlichkeit, des Nachts oder überraschungsweise durch. Des Anspruchs auf Lob und Dankbarkeit entschlägt sich der Höherstrebende, der in den Annalen der Geschichte besser als in der Tageslaune wohnen will. Er weiß, die Menschheit behält ihre eigenen Stimmungen nicht, wohl aber den Willen der Cäsaren im Gedächtnis. 13 Ungeachtet sie mit der Domglocke einmal wieder nicht zu jedermanns Freude vorgegangen waren, schritten sie unverweilt zur Ausführung ihrer neuen Beschlüsse. Die Schwarzenbacher Kanalbank, im Selbstgespräch einer Pappel lehnend, schreckte mit Geschnarch aus dem Schlummer auf, da sich ihr Sitzbrett von sanft nachdrücklicher Last in den Nägeln bog. Weil der Mond schien, erkannte sie rund und voll einen Zwilchsack in dem Gaste, der ihr seine Hinterknochen so hart auf den Magen stiess. Ueber den Bachsteg entfernten sich eilfertige Männer wie Diebe mit ebensolchen Packen, denen ein Gürtel von aufgemalten Nullen um den Bauch lief. Hochbeinig, mit wehenden Schößen stapften die Ratsherren in den Vollmond hinein. So weiß und gewaltig er aber im Riedgrase federte, sie sahen ihn nicht, sie starrten dem Wald entgegen, der ziegelblond wie ein Fröschlacher Haarschopf in der Lichtferne flammte. Ihm die goldenen Läuse ins Fell zu setzen, beschäftigte ihr Denken und Trachten. Die Fröschlacher schwitzten Perldiademe. Vor Atemnot sterbend, im Hintertreffen geängstigt, griff der Pfarrer zum verwerflichsten Mittel, die tolle Jagd aufzuhalten. Mit seiner letzten Luft rief er:

»Kuckuck!«

14 Vom Donner getroffen, blieben die Fröschlacher stehen, reckten die Häupter und lauschten nach allen vier Winden. Nur der Pfarrer holte inzwischen auf. »Was habt ihr denn? Lauft doch zu.« Sie hoben den Finger vor die Nase, und nun vernahm es auch der Pfarrherr: Kuckuck, Kuckuck! zirpte es ferne herüber wie ein Erzittern des Mondscheins. Den Fröschlachern fuhr die Weißglut in die Köpfe. Sie senkten sie aber, fast wie Laternen, die sie in reuiger Prozession vor sich trugen. Durch den kornhellen Mond schlich das Schattenspiel von Wämsern, Gliedmaßen, Halbarten, Beuteln und Krausen niedergeschlagen, in schwerem Gedankenkrieg, in welchem sie Leitern an Schattensees Stadtmauer lehnten, gottverdammte Köpfe aus dem Ziegellaub schlugen, Nester von Silbertalern aushoben, Pechfackeln in Heudielen tauchten. Das Feuer am Himmel gewahrend, hüpften sie schon im Glauben, Schattensee brennen zu sehen. Sie steckten die Häupter zusammen in Erwägung der Möglichkeit, daß die Spottvögel mit ihren Augen das Unternehmen umflatterten. Es empfahl sich, Umwege zu nehmen; die aber führten auf Moorgrund, in welchem die Fröschlacher, schwer von der Goldfracht, tiefer und tiefer einbrachen. Nun aber das Gut dem Teufel zu 15 überbringen nicht Ratsbeschluß war, so kehrten sie um in dem Sumpfe, arbeiteten sich auf die Höhe und gelangten in eine Lichtung, von der es ihnen bedünkte, sie wäre ein Elfenbad. Sie verschloffen sich in die Binsen, allda eine Weile zu rasten, wie sie sagten; in Wahrheit schwitzten sie wieder, diesmal vor neugieriger Erwartung. Im Harren wurden sie sich ihres Hungers gewahr, auch machte der Blutdrang sie durstig; sie befahlen somit Stoffeln, seinen Vespersack aufzuschnüren. Lieber ihrem Schnalzen und Glucksen wachte der Storch auf – er blieb in den damaligen Zeiten länger – zog seinen Schnabel aus dem Gefieder, sein Fröschenstilet, das er, auf behutsamen Beinstecken unterwegs nach dem Sumpfgeschmatz, beiläufig ein bißchen vors Gesicht nahm. Die Fröschlacher erschreckten sich auf den Tod, als mit eins der langnasige Geist in das Röhricht trat, nicht übel verwundert, die Frösche so wohl entwickelt auf ihrem Hintern sitzen zu sehen. Der Anblick reizte ihn beinah zum Lachen, hatte er eben die Würdenträger doch schon einmal so in dem Schilfe erblickt, damals wie Seerosen lieblich und schuldlos, in Hemdlein, wo sie jetzt dick gegürtet oder schindeldürr mit Schärpen und Wehrgehäng protzten. Die Verwandlung vor seinen 16 Augen vollzog sich durch Zauberschlag, der den Kindlein Bärte und Schnäuze, Zahnstummeln und Erdbeernasen auf den Leib hexte. Die Fröschlacher erkannten den Zaungast auch, doch nicht dankbaren Herzens als den Lebensengel, auf dessen Rücken sie in die Welt geritten waren; sie hatten ihm das vergessen und in Erinnerung bloß, daß der Vogel sie ungeheißen mit Kindersegen heimsuchte Jahr für Jahr, sie waren ihm daher nicht grün, warfen mit Hühnerknöcheln und Pfropfen nach ihm, schon aus dem Grunde als er hier störte; der Vertraute und Fürsprech der Weiber sollte es nicht ausplappern, wenn sie in Amtsgeschäften sich eine kleine Erholung gönnten. Der Schnabelbeamte, vor ihren Geschoßen flüchtend, sah gar zu lächerlich aus, die Fröschlacher riefen ihm Spottnamen nach.

Indem die Badegesellschaft auf sich warten ließ, wurden die Männer schläfrig. Sie gähnten, sahen sich nach Polstern um, packten sich ihre Geldsäcke unters Ohr und schnarchten. Die Elfen, welche nicht anders dachten, ihren Lustpark von einem Untier belagert zu finden, brausten am Eingang in der Aufregung eines Bienenschwarms vor verstopftem Loche. Der Storch abseits hatte wiederum den Spazierstock seines Schnabels unter 17 den Arm genommen, hörte den Mückenzorn schwirren und stelzte hinüber, die Fröschlacher bei den Fräuleins zu verzeigen. Von einem Luftzug hineingeweht, auflachend und schnatternd ergoß sich die Elfenwolke über den Tümpel. Die Fröschlacher warfen sich im Schlafe herum, schmatzten und lallten mit Flötentönen. Ueber Schnauzbärte vorgeneigt, ihre Händlein auf den Knien, beguckten sich die Mädchengeisterchen unsere Fröschlacher einmal aus der Nähe, hoch herab mit einer Miene von grausendem Erstaunen. Der Schlummer lag in Blöcken auf den Riesen, der Atem pfiff 18 durch die Nasenhaare. In der Sicherheit wunderfitzig, hockten die Kühnsten sich zu den Schläfern nieder, ihren Betrachtungen mit aufgestützten Gesichtlein sonderbar benommen nachzuhangen. Das borstige Bild des Menschengeschlechts schien ihnen ebenso furchtbar wie mitleiderweckend. Die eine und andere Elfenträne glitzerte durchs Mondlicht hinab. Eine Zofe las in Hähnchens Pfauenfeder gedankenvoll wie in einem Spiegel, und Läublein gar, dem Kathedralenbauer, wogen sie die Locken auf der Hand. Die Prinzessin, ob sie sich gleich im Rücken der Gespielinnen zurückhielt, blickte mit einem Ausdruck fast der Weinerlichkeit unverwandt auf das Traumgesicht. Die Blöße des Schlafes kam ihr vor wie ein Gestirn im Freien der Weltnacht. »Deckt es zu!« hauchte plötzlich ihr kleiner Mund und sprach damit aus, was alle im Gefühl empfunden hatten. Durch den Nebel von Schleiern schimmerte Läubleins Schlaflächeln noch einmal so schön. »Decken wir alle zu!« frohlockten die Elfen, und der Rauch ihrer Schleier wehte. Selber, nun nackend, erhoben sie sich im Mondschein, auf Flucht in der Schwebe. Es stachen denn nicht sobald ihre Bartstoppeln durch die Tücher, als auch die Fröschlacher wie verbrüht aus dem Schlafe auffuhren, in die 19 Spinnweben griffen und mit Geschrei eines überfallenen Heerlagers vom Boden aufsprangen. Jämmerlich, in Bedrängnis eines Wespenangriffs, quietschten Mäckerling, der Kanzler, der Stadtbaumeister, der Pfarrer, wehrten mit ihren Ellenbogen in die Luft, duckten sich, purzelten übereinander, rollten verpuppt und zuckten. Klaus focht mit dem Degen über sich, unerschrocken, doch ganz bei der Sache. Im Schrecken floh Hirngewitter quer durch das Wasser, einen Brautschleier hinter sich schleppend. Stoffel, selber in Nöten, sprang der Obrigkeit bei, rupfte und stolperte. Aus dem Garn hervor riefen ihn Weh und Klage, Ungeduld und Verfluchung an; er verhaspelte sich im Eifer, seine Herren aus Strängen und Knoten herauszugraben. Klaus kam zu Hilfe mit seiner Klinge, Klaus hatte sein Lachen wiedergefunden, die Würdenträger erstanden, strampelten, zupften, spuckten, lasen im Abscheu die Fetzchen von ihren Aermeln. Der Ratsschreiber hatte sich freigerannt wie ein Fohlen, kehrte an allen Gliedern schlotternd in den Schutz des Verbandes zurück, immerzu fragend, was es gewesen sein möchte. »Das kann niemand anders als der gottverdammte Hölzel gewesen sein!« schwur er; Hölzel, der Schattenseer Hexenmeister.

Noch immer fanden sie Fäden, die sie einander 20 vom Rücken flohnten auf ihrem Gänsemarsch, der altgewohnten Schlachtordnung, in der sie auch dieser Grube des Abenteuers entstiegen. Sie schwatzten wie Kinder nach überstandenem Schrecken aus der höchsten Höhe der Stimmen, lachten und stießen, indem einer sich nach dem andern zurückwendete, mit ihren Nasen zusammen. Hähnchen allein hatte einen Wisch von dem Zauberzeug an sich genommen, trug es wie Milch in den Fingern; ihn stach auf einmal der Haber, seinen Mut daran zu beweisen. »Aufgepaßt!« rief er; alle blieben sie stehen. »Den Batist will ich genießen« – und schneuzte sich mit Geschmetter in das Angebinde der Elfen. Sie sahen es nicht ohne Aengstlichkeit. Da sich's nicht rächte, hatten sie ihr Gelächter, liefen herzu und begehrten den Spaß für sich auch; alle nach der Reihe bliesen sie in die Trompete.

Das Feld lag offen vor ihnen, die Stadt Fröschlach mit Giebeln im Mondholunder. Der Gefahr entkommen, verfielen die Nachtschwärmer einer Lebenstrunkenheit, in welcher sie alle Vorsicht fahren und die Fröhlichkeit überschäumen ließen: Arm in Arm, eine Strange vergnügter Hopser, brachen sie über die Stoppeln vor, gröhlend und johlend, hüpfend, die Köpfe von Schulter zu Schulter 21 werfend. Der Pfarrer, ganz zu schweigen von seiner Körperlast, die ihn in Rückstand brachte, geriet im Lachsturm mit den Knien durcheinander, stieß das Haupt in den Nacken und jappte zum Mond empor, als gält es in einem Wurstbeißen, ihn von der Schnur zu schnappen. Die Schützenlinie schloß sich nach vorn zum Kreise, der Kreis marschierte zur Mitte; Stirn gegen Stirn, ein Knäuel von Ziegenböcken, wühlte das Häuflein auf seiner Stelle mit Gebell und Gemecker, Gemuh und Geschnatter, Kikeriki und Miauen, lachten sie 22 Tränen und Geifer. Endlich aber unterfingen sie sich einer Kühnheit, die des Ortes denn schon der Gotteslästerung an Schändlichkeit nicht viel nachstand: Was der Fröschlacher in der Wiege nicht hört ohne in Plärren zu verfallen, was ihn aus Kellern und Löchern, Trinkstuben, Beichtstuhl, Brautkammer und Todbett heraustreibt, was ihn im Sarge die Faust ballen macht, was Mord und Totschlag, Mistgabelkrieg und Feuersnot in die Gegend gebracht hat, das was in Fröschlach seit Menschengedenken als Todsünde gleich nach dem Meineid kam, was der Christenmensch so wenig sich einfallen läßt als in Adams Kleid vor der Haustür ein Pfeiflein zu schmauchen, eben dazu fühlte das Ständchen den Heldenmut in sich: es stimmte an, die Schlafstadt mit dem Rufe des Kuckucks herauszufordern! »Kuckuck, Kuckuck!« spottete der Widerhall der Mondnacht.

Die erste Zipfelmütze war noch nicht herausgefahren, als die Kuckucklandsgemeinde, wie Buben, die am eigenen Bärengebrumm erschrecken, mit Geschrei auseinanderstob: Der vergessene Goldschatz war ihnen eingefallen! Hände voran, warfen sie ihre Sohlen auf, stürzten sie sich, wie es aussah, in die Schlacht. Das Gold, Gott sei's gedankt, war noch da, der Spuk an den Säcken 23 vorübergegangen; sie warfen sich zu ihnen nieder, küßten, umarmten sie, drückten sie an ihre Wangen.

Was zum Kuckuck aber hatte denn Läublein hier getrieben? Läublein, der zwischen den Goldsäcken saß und aus seliger Träumerei heraus auf die Fröschlacher ohne Erinnerung blickte! Marsch dich, du Einfaltspinsel! herrschten sie ihn an und wollten ihm seinen Lastanteil auf die Arme laden. Nun erst stieß ihnen auf, daß er noch immer sein Schleiertuch in den Händen hielt, ein umfängliches Banner von fleckenlosem Schnee, ihm ein Schatz offenbar, der ihn alle die Zeit unterhalten hatte. Läublein, statt die Geldkatze entgegenzunehmen, fing an sein Gewebe zu falten, so als legte er Mondschein zusammen. Die Fröschlacher sahen ihm zu, sahen einander ins Gesicht, steckten die Hände in die Hosentaschen, so weit als sie sich nicht ihre Beutel aufgepackt hatten. Der Vorgang hatte in ihren Augen eine dunkel geahnte Bedeutung, Läubleins Bedächtigkeit ein Geheimnis aufreizender Art, die sie zunehmend in Harnisch brachte. Der Schatzkanzler tat einen Schritt gegen Läublein, gab noch etwas an Duldung zu, indem er die Traumhandlung betrachtete. Im Gefäß seiner Aufmerksamkeit stieg der pechschwarze Haß 24 bis zum Rande; mit einem blitzschnellen Griff krallte er das Tuch an sich, ließ es vor des Jünglings erschlagenem Antlitz auseinanderfließen, riß es mitten durch, legte die Hälften aufeinander, zerriß auch die Hälften, die Hälften der Hälften, machte in langsamer Arbeit fein säuberlich Fetzchen, die er Läublein am Ende der Möglichkeit gespitzten Mundes von seiner Hand ins Gesicht blies. Läublein in seiner Ohnmacht hatte sich nicht geregt, die Zerstörung aufzuhalten. Die Nacht seiner Augensterne gab zwei Tränen herauf wie der Brunnen ein Silbergeperle, die Träne fiel vor die Wimper und hielt ihm das letzte der Blättlein gnädiglich an der Schläfe.

Der Aufbruch in Gehuste gab Läublein die Zeit dazu, den Elfenkuß herabzunehmen und in sein Brusttuch zu flüchten. Denn im übrigen benötigte er die Arme, seinen Zwilchsack voranzubringen. Er hielt ihn auch wie ein Brot und wehrlos, als der Ratsschreiber Hirngewitter eigens zu dem Zwecke zurückkam, ihn auf den Mund zu schlagen. 25

 


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