Emile Zola
Die Treibjagd
Emile Zola

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VI.

Am Mittfastendonnerstag sollte bei Saccard ein großer Kostümeball abgehalten werden. Das große Ereigniß desselben aber würde das Poëm »Die Liebe des schönen Narcisse und der Nymphe Echo« bilden, welches die Damen in drei Bildern darstellen sollten. Der Autor des Poëms, Herr Hupel de la None, reiste seit einem Monate unablässig zwischen seiner Präfektur und dem Hôtel des Monceau-Parkes hin und her, um die Proben zu überwachen und seine Meinung über die Kostüme abzugeben. Er hatte sein Werk zuerst in Versen schreiben wollen, sich aber dann für lebende Bilder entschieden; dies sei vornehmer, sagte er und komme der schönen Antike näher.

Die Damen schliefen gar nicht mehr. Einzelne unter ihnen änderten dreimal das Kostüm. Endlose Sitzungen wurden abgehalten, bei welchen der Präfekt den Vorsitz führte. Lange konnte man sich über den Darsteller des Narziß nicht einigen. Sollte derselbe durch eine Frau oder einen Mann dargestellt werden? Auf die dringenden Bitten Renée's wurde die Rolle Maxime übertragen; doch sollte er der einzige Mann sein und selbst da sagte Frau von Lauwerens, daß sie dies nicht zugeben würde, wenn »der kleine Maxime nicht wirklich das Aussehen eines jungen Mädchens hätte«. Renée sollte die Nymphe Echo darstellen. Die Frage der Kostüme aber war bedeutend schwieriger zu entscheiden. Maxime stand dem Präfekten tapfer bei, der einen schweren Stand mit den neun Frauen hatte, deren zügellose Phantasie die Reinheit der Linien seines Werkes arg gefährdete. Hätte er ihnen Gehör geschenkt, so würden seine Olympier gepudertes Haar gehabt haben. Frau von Espanet wollte um jeden Preis ein Schleppkleid haben, um ihre etwas großen Füße zu verbergen, während Frau Haffner davon träumte, sich in ein Thierfell einzuhüllen. Nun wurde Herr Hupel de la Noue energisch, einmal sogar etwas grob; er sagte, daß er seine ursprüngliche Idee, in Versen zu schreiben, nur aufgegeben habe, um in seinem Stücke »geistreich kombinirte Stoffe und die schönsten Gestalten zu verwenden«, die er finden könnte.

»Der Gesammteindruck, meine Damen, ist die Hauptsache,« erwiderte er auf jede neue Forderung, mit welcher man an ihn herantrat; »Sie vergessen den Gesammteindruck. .. Und ich kann mein Werk nicht all' dem Flitter opfern, welchen Sie begehren.«

Die Berathungen fanden in dem kleinen goldenen Salon statt. Ganze Nachmittage wurden daselbst zugebracht, um den Schnitt eines Röckchens festzustellen. Worms wurde den Berathungen wiederholt zugezogen. Endlich war Alles erledigt, die Kostüme vereinbart und die Stellungen einstudiert, – Herr Hupel de la Noue erklärte sich für zufrieden. Die Wahl des Herrn von Mareuil hatte ihm bedeutend weniger Schwierigkeiten bereitet.

Der Beginn der lebenden Bilder war für eilf Uhr angesetzt. Um halb eilf Uhr war der große Salon voll und da hernach getanzt werden sollte, so saßen die kostümirten Damen auf den Fauteuils, die im Halbkreise um das improvisirte Theater standen, welches von einer Estrade gebildet wurde, deren rothe Sammtvorhänge mit goldenen Fransen über Stangen liefen. Hinter den Damen befanden sich die Herren, die ab- und zugingen. Um zehn Uhr waren die Dekorateure mit ihrer Arbeit fertig geworden. Die Estrade erhob sich im Hintergrunde des Salons, wo sie ein ganzes Stück desselben in Anspruch nahm. Durch das Rauchzimmer, welches den Darstellern als Foyer diente, gelangte man auf das Theater. Außerdem standen den Damen im ersten Stock mehrere Räume zur Verfügung, in welchen eine Armee von Kammerfrauen die für die verschiedenen Bilder erforderlichen Toiletten vorbereitete.

Es war halb zwölf Uhr und noch regten sich die rothen Sammtvorhänge nicht. Ein allgemeines Gemurmel ward im Saale vernehmbar. Die Fauteuilreihen wiesen das merkwürdigste Gemisch von Marquisen, Schloßfrauen, Milchmädchen, Spanierinen, Schäferinen, Sultaninen und anderen Kostümen auf, während die kompakte Masse der schwarzen Fräcke sich gleich einem großen schwarzen Fleck neben diesem Meer von hellen, leuchtenden Stoffen und nackten Schultern ausnahm, die im Feuer der Brillanten doppelt verführerisch erschienen. Nur die Damen waren kostümirt. Schon begann es sehr warm zu werden; die drei angezündeten Kronleuchter ließen das blendende Gold des Salons scharf hervortreten.

Endlich sah man Herrn Hupel de la Noue zu einer kleinen Oeffnung herauskommen, die man zur Linken der Estrade freigelassen. Seit acht Uhr Abends war er den Damen bei der Toilette behilflich. Auf seinem linken Rockärmel waren die weißen Abdrücke dreier Finger sichtbar, die sich dahin verirrt, nachdem sie mit einem Puderwedel zu thun gehabt. Doch der Präfekt kehrte sich nicht an die Mängel seiner Toilette. Seine Augen waren weit geöffnet, sein Gesicht bleich und ein wenig aufgedunsen. Er schien Niemanden zu sehen und auf Saccard zuschreitend, den er inmitten einer Gruppe ernster Männer erblickte, sprach er halblauten Tones:

»Zum Kuckuck! Ihre Frau hat ihren Laubgürtel verloren ... Was sollen wir jetzt anfangen?«

Er schimpfte und hätte die Leute am liebsten geprügelt. Ohne eine Antwort abzuwarten, ohne Jemanden eines Blickes zu würdigen, wendete er sich zurück und verschwand wieder hinter den Vorhängen. Die Damen lächelten über die absonderliche Erscheinung dieses Herrn.

Die Gruppe, von welcher Saccard umgeben war, hatte sich hinter den letzten Fauteuils gebildet. Man hatte sogar einen derselben für den Baron Gouraud, dessen Beine seit einiger Zeit den Dienst zu versagen begannen, aus der Reihe gezogen. Zugegen waren noch Herr Toutin-Laroche, den der Kaiser erst ganz kürzlich in den Senat berufen, Herr von Mareuil, dessen zweite Wahl die Kammer bestätigt hatte, Herr Michelin, der vor ein paar Tagen dekorirt worden und etwas mehr im Hintergrunde die Herren Mignon und Charrier, Ersterer mit einem großen Diamanten in seiner Halsbinde, Letzterer mit einem noch größeren am kleinen Finger. Die Herren plauderten. Saccard verließ sie einen Augenblick, um mit leiser Stimme einige Worte mit seiner Schwester zu wechseln, die soeben eingetreten war und sich zwischen Luise von Mareuil und Frau Michelin niedergelassen hatte. Frau Sidonie war als Magierin gekleidet, Luise trug ein Pagenkostüm, welches ihr knabenhaftes Aussehen noch erhöhte und die kleine Michelin, die als indische Tänzerin erschienen war, lächelte von ihren goldbestickten, wallenden Schleiern umgeben, verliebt vor sich hin.

»Weißt Du schon etwas?« fragte Saccard seine Schwester leise.

»Nein, noch nichts,« erwiderte sie. »Der Galan muß aber hier sein ... Sei unbesorgt, ich fasse die Beiden heute Abend ab.«

Und sich nach rechts und links wendend, sagte Saccard Luisen und Frau Michelin einige schmeichelhafte Worte über ihre Kostüme. Erstere verglich er mit einem Edelknaben unter Heinrich III., Letztere mit einer Huri Mahomed's, wobei seine provençalische Aussprache seiner ganzen Person den Anschein größten Entzückens verlieh. Als er zu der Gruppe ernster Herren zurückkehrte, zog ihn Mareuil zur Seite und sprach mit ihm über die Heirath der beiden Kinder. An der Sache war nichts geändert worden und nach wie vor sollte der Kontrakt am folgenden Sonntag unterfertigt werden.

»Ganz recht,« sagte Saccard. »Ich gedenke diese Verbindung heute Abend sogar zur Kenntniß unserer Freunde zu bringen, wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben ... Ich werde blos die Ankunft meines Bruders, des Ministers abwarten, da er mir zu kommen versprochen.«

Der neue Abgeordnete war entzückt. Nun aber ließ Herr Toutin-Laroche seine Stimme vernehmen, als wäre er die Beute einer lebhaften Entrüstung.

»Ja, meine Herren,« sagte er zu Michelin und den beiden Unternehmern, die nähergetreten waren; »ich besaß die unbegreifliche Gutmüthigkeit, meinen Namen in einer solchen Angelegenheit mißbrauchen zu lassen.«

Und da sich ihnen auch Saccard und Mareuil anschlossen, fügte er hinzu:

»Ich erzähle den Herren das beklagenswerthe Ende, welches die marokkanische Hafengesellschaft genommen. Sie wissen ja, Saccard.«

Dieser zuckte mit keiner Wimper. Die in Rede stehende Gesellschaft war erst ganz kürzlich schmählich zusammengebrochen. Allzu neugierige Aktienbesitzer hatten wissen wollen, wie es denn in Wahrheit um die Handelsstationen an den Küsten des mittelländischen Meeres bestellt sei und eine von der Gerichts-Behörde angeordnete Untersuchung hatte den Nachweis geliefert, daß die marokkanischen Häfen nur auf den sehr schön gearbeiteten Plänen vorhanden seien, die an den Wänden der Bureaux der Gesellschaft hingen. Von da an lärmte Herr Toutin Laroche lauter als die betrogenen Aktionäre selbst; er war im höchsten Grade entrüstet und forderte, man solle ihm seinen fleckenlosen Namen zurückgeben. Und er lärmte so lange und mit solchem Nachdruck, daß ihn die Regierung in den Senat berief, um den nützlichen Mann zu beruhigen und in den Augen der Oeffentlichkeit zu rehabilitiren. So erreichte er denn die längst ersehnte Senatorswürde, – infolge einer Angelegenheit, die ihn eigentlich ins Zuchthaus hätte bringen müssen.

»Sie sind zu gütig, daß Sie dieser Sache Erwähnung thun,« sagte Saccard. »Sie können dabei auf Ihr großes Werk hinweisen, ich meine den Crédit Viticole, welcher alle Krisen siegreich überstanden hat.«

»Ganz richtig,« pflichtete Mareuil bei; »dies wiegt Alles auf.«

Thatsächlich hatte der Crédit Viticole bedeutende Verlegenheiten zu überwinden gehabt, welche sorgfältig geheim gehalten wurden. Ein Minister, der eine besonders zärtliche Zuneigung für dieses Finanzinstitut hegte, welches die Stadt an der Kehle gefaßt hielt, hatte ein Hausse-Manöver ersonnen, welches Toutin-Larochi vortrefflich auszunützen verstanden. Nichts war ihm schmeichelhafter, als wenn man ihm Komplimente über das Gedeihen des Crédit-Viticole machte; ja er forderte solche mitunter ganz direkt heraus. Er dankte Herrn von Mareuil mit einem Blick und sich zu dem Baron Gouraud wendend, fragte er ihn, wahrend er sich vertraulich auf den Fauteuil desselben stützte:

»Fühlen Sie sich behaglich? Ist Ihnen nicht zu warm?«

Der Baron ließ ein leises Grunzen vernehmen.

»Er verfällt mit jedem Tage mehr,« fügte Herr Tontin-Laroche halblaut hinzu, während er sich wieder zu den übrigen Herren wandte.

Herr Michelin lächelte und drückte von Zeit zu Zeit sanft die Augen zu, um sein rothes Bändchen zu sehen, während die Herren Mignon und Charrier, die breitspurig, auf ihren großen Füßen standen, sich bedeutend behaglicher zu fühlen schienen, seitdem sie Diamanten trugen. Mitternacht war aber nicht mehr fern, die Gesellschaft begann unruhig zu werden; doch erlaubte sie sich nicht zu murren, nur die Fächer wurden hastiger bewegt und das Geräusch der Unterhaltung nahm zu.

Endlich kam Herr Hupel de la Noue wieder zum Vorschein. Er hatte eine Schulter durch die enge Oeffnung geschoben, als er Frau von Espanet erblickte, die endlich die Estrade bestieg, wo die für das erste Bild bereits versammelten Damen nur mehr auf sie warteten. Der Präfekt wendete sich zurück, wodurch er den Zuschauern den Rücken zukehrte und man konnte ihn im Gespräch mit der Marquise sehen, die durch die Vorhänge verdeckt wurde. Er dämpfte seine Stimme, während er mit der Hand winkend, sagte:

»Mein Kompliment, Marquise. Ihr Kostüm ist entzückend.«

»Ich habe darunter noch ein viel hübscheres!« erwiderte die junge Frau keck und lachte ihm hell ins Gesicht, da er ihr von den Draperien halb verdeckt, zu drollig däuchte.

Die Kühnheit dieses Scherzes machte den galanten Hupel de la Noue einen Moment sprachlos; doch faßte er sich alsbald und immer größeres Gefallen an der Bemerkung findend, je länger er über dieselbe nachdachte, murmelte er entzückt:

»Köstlich! Hinreißend!«

Damit ließ er den Zipfel des Vorhanges fallen und schloß sich der Gruppe ernster Männer an, um sich an seinem Werk zu ergötzen. Er war nicht mehr der trostlose Mann, der nach dem Laubgürtel der Nymphe Echo suchte; er strahlte, pustete und trocknete sich die Stirne. Noch immer waren die weißen Fingerabdrücke auf seinem Rockärmel zu sehen, außerdem war der Daumen seines rechten Handschuhes roth gefärbt; offenbar hatte er diesen Finger in den Schminktopf einer der Damen getaucht. Er lächelte, warf sich in die Brust und flüsterte:

»Sie ist himmlisch, göttlich, anbetungswürdig!«

»Wer denn?« fragte Saccard.

»Die Marquise. Denken Sie nur, soeben sagte sie mir ...«

Und er wiederholte das Scherzwort, welches allgemein belacht wurde. Die Herren wiederholten es unter einander und selbst der würdige Herr Haffner, der näher getreten war, konnte sich eines beifälligen Lächelns nicht enthalten. Inzwischen begann Jemand auf einem Klavier zu spielen, welches nur wenig Personen gesehen hatten und eine allgemeine Stille trat ein, um dem Walzer zu lauschen. Derselbe hatte endlose, kapriziöse Schnörkel, zwischen welchen sich ein sehr melodischer Satz siegreich geltend machte, der sich in einem Nachtigallentriller verlor, worauf das Thema von tieferen Stimmen fortgeführt ward. Dies hörte sich völlig wollüstig an und die Damen neigten die Köpfe ein wenig vor und lächelten. Dagegen hatten die Töne des Piano der Heiterkeit des Herrn Hupel de la Noue mit einem Male ein Ende gemacht. Er blickte die rothen Sammtvorhänge mit ängstlicher Miene an; offenbar machte er sich Vorwürfe darüber, daß er Frau von Espanet nicht gleich den Anderen ihren Platz angewiesen habe.

Langsam gingen die Vorhänge auseinander und gedämpft begann das Piano von Neuem den sinnlichen Walzer zu spielen. Ein Murmeln ward in dem Salon vernehmbar, die Damen neigten sich vor, die Herren reckten die Hälse, während sich die Bewunderung hier und dort durch ein zu laut gerathenes Wort, einen unbewußten Seufzer, durch ein ersticktes Lachen Bahn brach. Dies währte gute fünf Minuten, während die drei Kronleuchter ein blendendes Licht verbreiteten. Beruhigt lächelte Herr Hupel de la Noue behaglich über sein Werk. Er vermochte der Versuchung nicht zu widerstehen, den ihn umgebenden Personen zu wiederholen, was er seit einem Monate sagte:

»Ich wollte Dies ursprünglich in Verse bringen ... Doch, nicht wahr, so nimmt es sich vornehmer aus?«

Und während der Walzer seine endlosen, wiegenden Rythmen vernehmen ließ, lieferte der Autor die erforderlichen Erklärungen. Die Herren Mignon und Charrier waren dicht herangekommen und hörten ihm aufmerksam zu.

»Sie kennen doch die den Bildern zu Grunde liegende Handlung, nicht wahr? Der schöne Narziß, Sohn des Flusses Céphisos und der Nymphe Liriope, verachtet die Liebe der Nymphe Echo ... Echo gehörte zum Gefolge der Juno, die sie mit ihren Erzählungen unterhält, während sich Jupiter in der Welt herumtreibt ... Echo, die wie Sie wissen, die Tochter der Luft und der Erde war ...«

Und er that sich nicht wenig zugute auf seine Kenntniß der Fabel. Darauf fuhr er vertraulicheren Tones fort:

»Ich glaubte meiner Phantasie freien Lauf lassen zu sollen ... Die Nymphe Echo führt den schönen Narziß zu Venus in eine unterirdische Grotte, damit ihn die Göttin durch ihr Feuer entflamme. Doch die Macht der Göttin erweist sich als wirkungslos und der junge Mann bezeugt durch seine Haltung, daß er nicht gerührt ist.«

Die Erklärung war nicht überflüssig, denn nur wenige der in dem Salon anwesenden Personen verstanden den genauen Sinn der verschiedenen Bilder. Als der Präfekt halblaut die Personen beim Namen genannt hatte, bewunderte man aufrichtiger. Die beiden Herren Mignon und Charrier aber machten nach wie vor große Augen; sie hatten eben gar nichts verstanden.

Auf der Estrade, zwischen den rothen Sammtvorhängen war eine Höhle dargestellt. Dieselbe bestand aus gespannter Seide, welche in große, gebrochene Falten gelegt war, die die Risse und Krümmungen des Felsens darstellten und mit Muscheln, Fischen und großen Wasserpflanzen bemalt waren. Der unebene Boden wölbte sich zu einem Hügel, der mit derselben Seide und einem feinen Sande bedeckt war, welchen der Dekorateur mit Perlen und Silberfäden bestreut hatte. Dies bildete den Aufenthaltsort der Göttin. Auf der Spitze des Hügels stand Frau von Lauwerens aufrecht als Venus; sie war ein wenig stark und trug ihr fleischfarbenes Tricot mit der Würde einer Fürstin des Olymp, die sich mit ihren strengen, verzehrenden Augen in den Dienst der Liebe stellt. Hinter ihr wurden der schelmisch lächelnde Kopf, Flügel und Köcher des liebenswürdigen Knaben Cupido sichtbar, den die kleine Frau Daste trefflich repräsentirte. An der Seite des Hügels sah man die drei Grazien, Frau von Guende, Teissiere und von Meinhold, die in weiße Mousseline gehüllt sich lächelnd umschlungen hielten, wie es in dem Bildwerke von Pradier zu sehen ist, während auf der anderen Seite die Marquise von Espanet und Frau Haffner, die von einer Wolke von Spitzen umgeben, sich an einander schmiegten, während ihr Haar wirr herabhing, eine gewagte Anspielung, eine Erinnerung an Lesbos bildeten, welche Herr Hupel de la Noue mit gedämpfter Stimme und nur den Herren erklärte, hinzufügend, daß er damit nur die Macht der Venus habe dokumentiren wollen. Am Fuße des Hügels stellte die Gräfin Vanska die Wollust dar; wie in höchster Verzückung lag sie da mit halbgeschlossenen Augen und erschlaffenden Gliedern. Sehr brünett, hatte sie ihr schwarzes Haar aufgelöst und ihre mit fahlem Flammenmuster gestreifte Tunika ließ stellenweise die heiße Haut sehen. Die Abstufung der Farben, vom Schneeweiß des Schleiers der Venus bis zum Dunkelroth der Tunika der Wollust, war eine glückliche, so daß ein gedämpfter rosenfarbener Ton, die Farbe lebenden Fleisches vorherrschte. Und unter den Strahlen des durch ein Fenster des Gartens sehr gewandt auf die Bühne geleiteten elektrischen Lichtes verschwammen Spitzen, Gaze, all' diese leichten, durchsichtigen Stoffe so innig mit den Schultern und Tricots, daß die rosig-weißen Formen Leben zu gewinnen schienen und man sich unwillkürlich die Frage vorlegte, ob die Damen die plastische Wahrheit nicht so weit getrieben hatten, um sich völlig nackt zu zeigen. Dies galt indessen nur für die Apotheose; das Drama selbst trug sich im Vordergrunde zu. Links streckte Renée, die Nymphe Echo, die Arme der großen Göttin entgegen, den Kopf halb Narziß zugewendet, mit bittendem, flehendem Ausdruck, als wollte sie ihn auffordern, Venus anzuschauen, deren bloßer Anblick das Feuer der Leidenschaft entflammt; Narziß aber macht rechts stehend eine abwehrende Bewegung und die Augen mit der Hand verdeckend, bleibt er kalt und unempfindlich. Die Kostüme dieser zwei Personen hatten die Phantasie des Herrn Hupel de la Noue in nicht geringem Maße in Anspruch genommen. Narziß, als herumstreichender Halbgott der Wälder trug ein ideales Jägerkostüm: grünliches Tricot, eine kurze Weste und Eichenlaub in den Haaren. Die Verkleidung der Nymphe Echo stellte für sich allein eine ganze Allegorie dar; sie repräsentirte die großen Bäume und großen Berge, die widerhallenden Orte, allwo die Stimmen der Erde und der Luft einander antworten. Der weiße Satin des Rockes stellte den Felsen, der Blätterschmuck der Hüften das Dickicht und die blaue Gaze des Leibchens den reinen Himmel dar. Die einzelnen Gruppen verharrten in der regungslosen Stellung der Statuen, der Fleischton des Olymps schimmerte in der blendenden Beleuchtung und dazwischen klangen die Liebesklagen des Flügels, welche von tiefen Seufzern unterbrochen wurden.

Allgemein wurde gefunden, daß Maxime sich vorzüglich gehalten habe. In seiner abwehrenden Geberde entwickelte er seine linke Hüfte, welche vielfach bemerkt wurde. Rückhaltsloses Lob wurde aber dem Gesichtsausdrucke Renée's gespendet. Nach der Meinung des Herrn Hupel de la Noue drückte sie »den Schmerz des unbefriedigten Verlangens« aus. Sie hatte ein scharfes Lächeln um den Mund, welches demüthig sein sollte; sie lauerte ihrer Beute mit der Gier der hungrigen Wölfin auf, die ihre Zähne nur halb verbirgt. Das erste Bild ging ohne Störung von statten, abgesehen von der tollen Adeline, die sich nicht ruhig hielt und nur mit großer Mühe einen unbezwingbaren Drang zu lachen unterdrückte. Endlich schlossen sich die Vorhänge und das Piano verstummte.

Man applaudirte discret und die Gespräche kamen wieder in Fluß. Ein Hauch der Liebe, der verhaltenen Wünsche war von den nackten Gestalten der Estrade ausgegangen und zog jetzt durch den Salon, wo die Frauen sich lässiger in die Arme ihrer Fauteuils schmiegten und die Männer lächelnd mit einander flüsterten. Es war wie ein Liebesflüstern im Alkoven, das gedämpfte Gespräch einer guten Gesellschaft, ein Begehren nach Wonne, blos durch das leise Zittern der Lippen verrathen; und in den stummen Blicken, die einander inmitten dieses vom guten Ton zulässigen Entzückens begegneten, lag die brutale Kühnheit der gebotenen und angenommenen Liebe ausgedrückt.

Die Reize der Damen bildeten ein unerschöpfliches Gesprächsthema und ihre Kostüme nahmen fast dieselbe Aufmerksamkeit in Anspruch wie ihre Schultern. Als die Dioskuren Mignon und Charrier Herrn Hupel de la Noue befragen wollten, fanden sie ihn zu ihrem Staunen nicht mehr neben sich. Er war bereits hinter der Estrade verschwunden.

»Ich sagte Ihnen also, mein Herz,« nahm Frau Sidonie den Faden eines durch das erste Bild unterbrochenen Gespräches wieder auf; »daß ich aus London einen Brief in Bezug auf die bewußten drei Milliarden erhielt ... Die Person, die ich mit den Nachforschungen betraut habe, schreibt mir, sie glaube die Bestätigung des Bankiers gefunden zu haben. England soll gezahlt haben. Ich bin infolgedessen ganz krank seit heute Morgens.«

Thatsächlich sah sie in ihrem mit Sternen besäeten Magierkleide gelber noch als sonst aus. Und da ihr Frau Michelin nicht zuhörte, so fuhr sie mit leiserer Stimme fort, indem sie sagte, daß England nicht gezahlt haben könne und sie entschieden selbst nach London gehen werde.

»Das Kostüm des Narziß war sehr hübsch, nicht wahr?« fragte Luise zu Frau Michelin gewendet.

Diese lächelte und blickte dabei den Baron Gouraud an, der jetzt viel munterer in seinem Fauteuil saß. Frau Sidonie sah, welche Richtung ihr Blick hatte und indem sie sich zu ihr neigte, flüsterte sie ihr ins Ohr, damit es das Kind nicht hören könne:

»Hat er sich endlich gefügt?«

»Ja,« erwiderte die junge Frau, die ihre Rolle als Geliebte entzückend spielte, schmachtenden Tones. »Ich habe das Häuschen in Louveciennes gewählt und auch die Besitzurkunde durch seinen Bevollmächtigten erhalten ... Im Uebrigen haben wir mit einander gebrochen und ich empfange ihn nicht mehr.«

Luise besaß ein besonderes Talent solche Dinge zu hören und zu sehen, die vor ihr geheim bleiben sollten. Sie blickte den Baron Gouraud mit echt pagenhafter Kühnheit an und fragte dann Frau Michelin:

»Sie finden nicht, daß der Baron abscheulich ist?«

Und lachend fügte sie hinzu:

»Wahrhaftig! Man hätte die Rolle des Narziß ihm übergeben sollen. Er hätte sich in den apfelgrünen Tricots prächtig ausgenommen.«

Der Anblick der Venus und dieses wollüstigen Stück Olymps schien den alten Senator zu neuem Leben erweckt zu haben. Er machte ganz verzückte Augen und wendete sich halb zu Saccard, um diesem ein Kompliment zu machen. Inmitten des allgemeinen Stimmengewirrs, welches den Salon erfüllte, fuhren die ernsten Männer fort, über Geschäfte und Politik zu plaudern. Herr Haffner erwähnte, er sei soeben zum Präsidenten einer Jury ernannt worden, die in Sachen der Entschädigungen zu urtheilen haben werde. Nun glitt die Unterhaltung auf die öffentlichen Arbeiten von Paris hinüber und man sprach über den Boulevard du Prince-Eugéne, von welchem auch das große Publikum Kenntniß zu erhalten begann. Saccard erfaßte die Gelegenheit, um von einer ihm bekannten Person, einem Grundbesitzer zu sprechen, der ohne Zweifel expropriirt werden würde. Und dabei blickte er die Herren forschend an. Der Baron schüttelte langsam den Kopf, während Herr Toutin-Laroche die Kühnheit so weit trieb, zu sagen, daß es nichts Unangenehmeres gebe, als expropriirt zu werden, Herr Michelin stimmte ihm bei und blickte verliebten Auges sein rothes Bändchen an.

»Die Entschädigungen können niemals zu hoch gegriffen sein,« schloß Herr von Mareuil belehrend, da er Saccard angenehm sein wollte.

Sie hatten einander verstanden. Die Genossen Mignon und Charrier begannen über ihre eigenen Geschäfte zu sprechen. Sie gedachten sich demnächst zurückzuziehen und in Langres niederzulassen; in Paris würden sie blos ein Absteigequartier haben. Sie entlockten den Herren ein vielsagendes Lächeln, als sie erwähnten, daß sie, als der Bau ihres herrlichen Hôtels auf dem Boulevard Malesherbes vollendet war, dasselbe so schön fanden, daß sie der Lust, es zu verkaufen, nicht zu widerstehen vermochten. Ihre Diamanten bildeten offenbar den Trost, den sie sich vergönnt hatten. Saccard lachte gezwungen; seine ehemaligen Verbündeten hatten aus einem Geschäfte, in welchem er der Geprellte gewesen, ungeheuren Gewinn gezogen. Und da die Zwischenpause noch immer nicht zu Ende ging, wurde das Gespräch der ernsten Männer durch begeisterte Bemerkungen über den Busen der Venus und über das Kostüm der Nymphe Echo unterbrochen.

Endlich, nach einer guten halben Stunde kam Herr Hupel de la Noue wieder zum Vorschein. Er schwelgte in Siegestrunkenheit und die Unordnung seiner Toilette hatte weitere Fortschritte gemacht. Als er seinem Platze zusteuerte, begegnete er Herrn von Mussy. Er drückte ihm im Vorbeigehen die Hand, kehrte dann aber zurück, um ihn zu fragen:

»Sie haben das Scherzwort der Marquise nicht gehört?«

Und ohne seine Antwort abzuwarten, wiederholte er es ihm. Er würdigte die reizende Bemerkung immer mehr, er kommentirte dieselbe und sah in derselben den Ausdruck köstlicher Naivität. »Ich habe darunter noch ein viel hübscheres!« Es war das ein aus vollem Herzen kommender Aufschrei.

Herr von Mussy aber war nicht dieser Ansicht; er fand, die Bemerkung sei unschicklich. Er war soeben der englischen Botschaft zugetheilt worden, wo sein Chef ihm gesagt hatte, daß ein tadellos sittenstrenges Verhalten unerläßlich sei. Er verweigerte es, den Kotillon anzuführen, gab sich den Anschein, als wäre er ein alternder Mann und sprach auch nicht mehr über seine Liebe zu Renée, die er zeremoniell grüßte, wenn er ihr begegnete.

Herr Hupel de la Noue schloß sich der hinter dem Fauteuil des Barons stehenden Gruppe an, als das Piano einen Triumphmarsch anstimmte. Mächtige Akkordfolgen, die aus den Tasten herausgehämmert wurden, leiteten einen breiten Gesang ein. Nach jedem Satze nahm eine höhere Stimme denselben unter scharfem Accentuiren des Rythmus von Neuem auf, was sich heiter und unternehmend ausnahm.

»Sie sollen sehen,« murmelte Herr Hupel de la Noue; »ich habe die poetische Freiheit vielleicht ein wenig zu weit getrieben, glaube aber, daß mir mein Wagestück gelungen ist. ... Nachdem die Nymphe Echo gesehen, daß Venus nichts über den schönen Narziß vermag, führt sie ihn zu Pluto, dem Gotte der Reichthümer und Edelmetalle ... Nach der Versuchung des Fleisches die Versuchung des Goldes«

»Das ist klassisch,« bemerkte der trockene Herr Toutin-Laroche mit einem liebenswürdigen Lächeln. »Sie kennen Ihre Zeit, Herr Präfekt.«

Die Vorhänge glitten auseinander, stärker als bisher tönte das Piano. Die Gesellschaft war ordentlich geblendet. Die elektrischen Strahlen fielen auf flammenden Glanz, bei welchem die Zuschauer anfänglich nichts weiter sahen, als eine einzige große Gluth, in welcher Barren Goldes und kostbare Edelsteine zu schmelzen schienen. Auch hier war eine Grotte zu sehen; doch nicht mehr der kühle Aufenthaltsort der Venus, welchen die ersterbende Meereswelle auf dem mit Perlen bestreuten feinen Sande bespült. Diese Höhle mußte sich im Mittelpunkte der Erde, in einer tiefen, heißen Schichte befinden, einem Spalt der alten Hölle, einer von Pluto bewohnten Ader, wo die Erze flüssig geworden. Die Seide, welche die Felswände darstellte, wies breite Metallstreifen, Adern des edlen Gesteines auf, welche die unberechenbaren Reichthümer und das ewige Leben der Erde darstellten. Vermöge eines kühnen Anachronismus des Herrn Hupel de la Noue war der Boden mit einer Unmasse von Zwanzigfrancsstücken bedeckt, man sah die Louisd'ors zu ganzen Bergen angehäuft, dann wieder unbeachtet über den Boden hingestreut, Gold, flimmerndes Gold überall, wohin das Auge fiel.

Auf der Spitze eines Goldhügels befand sich Frau von Guende, die den Pluto darstellte, in sitzender Stellung, ein weiblicher Pluto, der seinen Busen zeigte durch die großen Streifen seines Kleides, welches in allen Metallfarben schimmerte. Rings um den Gott gruppirten sich in den verschiedensten Stellungen, stehend, halb liegend, zu Paaren vereint oder abseits prangend, die herrlichen Blüthen dieser Grotte, in welcher alle Schätze aus tausendundeiner Nacht vereinigt zu sein schienen: Frau Haffner repräsentirte das Gold in einem strahlenden Kostüm, das einem Bischofsmantel glich, Frau von Espanet das Silber, indem sie lieblich wie Mondesschein flimmerte; Frau von Lauwerens in dunklem Blau stellte den Saphir dar, an ihrer Seite die kleine Frau Daste einen lächelnden Türkis, der ein zartes Lichtblau zeigte; weiterhin sah man Frau von Meinhold als Smaragd, Frau von Teissière als Topas und etwas seitwärts die Gräfin Vanska als Koralle. Ihre dunkle Haut eignete sich trefflich hierzu, die erhobenen Arme waren mit rothen Zierrathen behängt und sie glich einem reizenden Polypen, der zwischen dem rosigen Weiß der halb geöffneten Muscheln gleichsam einen üppigen Frauenleib sehen ließ. Das Geschmeide der Damen, Hals- und Armbänder, Diademe und Nadeln, war aus demselben edlen Gestein verfertigt, welches jede von ihnen darstellte. Allgemeine Bewunderung erregten die originellen Schmucksachen der Damen Espanet und Haffner, welche ausschließlich aus neuen kleinen Gold- und Silberstücken bestanden. Im Uebrigen blieb der Vorgang im Vordergrunde derselbe: die Nymphe Echo warb um den schönen Narziß, der aber noch immer energisch abwehrte. Und die Augen der Zuschauer hafteten trunken an diesem Schauspiel, welches einen Blick in das lodernde Innere unserer Erdkugel darbot, an diesen Massen Goldes, welche den Reichthum einer ganzen Welt darstellten.

Das zweite Bild erzielte einen noch größeren Erfolg als das erste. Die demselben zu Grunde liegende Idee erschien überaus geistvoll. Diese Zwanzigfrancsstücke, diese moderne eiserne Kasse, die irgendwie in diese Darstellung der griechischen Mythologie gerathen, entzückte die Phantasie der anwesenden Damen und Geldmänner. Die Worte: »Wie viel Gold! welche Massen Goldes!« gingen lächelnd, mit behaglichem Schauer von Mund zu Mund und sicherlich dachte sich jede Dame, jeder Herr, wie herrlich es wäre, diese Schätze sein eigen zu nennen und daheim im einbruchssicheren Schrank zu bewahren.

»England hat gezahlt; dies sind Ihre Milliarden,« flüsterte Luise Frau Sidonie boshaft ins Ohr.

Frau Michelin, deren Mund ein entzücktes Verlangen offen hielt, hatte ihren Almee-Schleier ein wenig zurückgeschlagen und umfaßte die Goldmassen mit liebevollen, glänzenden Blicken, während die ernste Männerwelt in Behagen schwelgte. Herr Toutin-Laroche, dessen Gesicht leuchtete, flüsterte dem Baron, dessen Wangen gelbliche Flecke zeigten, einige Worte ins Ohr, während Mignon und Charrier, die weniger diskret waren, mit brutaler Naivität bemerkten:

»Alle Wetter! da gäbe es Geld, um Paris niederzureißen und wieder aufzubauen.«

Die Bemerkung däuchte Saccard sehr tiefsinnig und er begann zu glauben, daß sich die Herren Mignon und Charrier über die Welt lustig machten, indem sie sich dumm stellten. Als sich der Vorhang schloß und das Klavier den Triumphmarsch unter großem Lärm und mit einer Menge durcheinandergeworfener Noten, die wie ein letztes Klappern der harten Thaler klangen, beendete, wurde lebhafter und anhaltender Beifall gespendet als vorher.

Während des zweiten Bildes war der Minister in Begleitung seines Secretärs, des Herrn von Saffré, in der Thür des Salons erschienen. Saccard, der bereits ungeduldig auf die Ankunft seines Bruders gelauert hatte, wollte ihm entgegeneilen, um ihn zu begrüßen. Jener aber hatte ihm mit einer Geberde bedeutet, er möge seinen Platz nicht verlassen, worauf er langsam der Gruppe ernster Männer zuschritt. Als der Vorhang gefallen war, und man seiner ansichtig wurde, ward im Salon ein allgemeines Gemurmel vernehmbar, während sich ihm Aller Köpfe zuwendeten. Der Minister bedrohte ernstlich den Erfolg der »Liebe des schönen Narziß und der Nymphe Echo«.

»Sie sind ein Poet, Herr Präfekt,« sagte er lächelnd zu Herrn Hupel de la Noue. »Sie haben, glaube ich, bereits einen Band Gedichte unter dem Titel »Epheuranken« herausgegeben... Wie ich sehe, haben die Sorgen der Administration Ihrer Phantasie keinen Eintrag gethan.«

Der Präfekt fühlte die Spitze eines Tadels in den schmeichelhaften Worten. Das plötzliche Erscheinen seines Vorgesetzten brachte ihn umsomehr außer Fassung, als er mit einem Blick seine Toilette musternd, um zu sehen, ob dieselbe keinerlei Einbuße erlitten, auf seinem Rockärmel die Spur der kleinen, weißen Hand erblickte, welche er nicht wegzuwischen wagte. Er verbeugte sich und stotterte einige Worte.

»Wahrlich,« fuhr der Minister zu den ihn umgebenden Personen gewendet fort; »diese Mengen Goldes boten einen herrlichen Anblick... Wir würden große Dinge ausführen, wenn uns Herr Hupel de la Noue Geld verschaffen wollte.«

Dies besagte in der Ministersprache dasselbe, was vorhin die Herren Mignon und Eharrier behauptet hatten. Nun ergingen sich die Herren in endlosen Schmeicheleien, zu welchen die letzten Worte des Ministers Anlaß geboten: das Kaiserreich habe bereits Großartiges vollbracht; dank der hohen Einsicht und Weisheit der Regierung sei an Geld kein Mangel; niemals habe Frankreich eine so geachtete Stellung unter den europäischen Staaten eingenommen und so weiter. Die Herren wurden schließlich so platt und abgeschmackt, daß der Minister selbst auf ein anderes Thema überging. Er hörte den Leuten erhobenen Hauptes zu, während seine Mundwinkel ein wenig emporgezogen waren, was seinem großen, weißen, sorgfältig rasirten Gesicht einen Ausdruck des Zweifels und lächelnder Mißachtung gab.

Saccard, der die Ankündigung der Vermählung seines Sohnes mit Luise de Mareuil herbeiführen wollte, manövrirte, um einen gewandten Uebergang zu finden. Er trug eine große Vertraulichkeit zur Schau und sein Bruder spielte den Gutmüthigen, erwies ihm die Freundschaft, daß er sich den Anschein gab, als wäre er ihm herzlich zugethan. Der Minister sah wirklich überlegen aus mit seinem klaren Blick, seiner augenscheinlichen Verachtung aller niedrigen Ränke und seinen breiten Schultern, die mit einem Zucken dieses ganze Gelichter hier über den Haufen geworfen hätten. Als von der geplanten Vermählung endlich die Rede war, zeigte er sich sehr liebenswürdig und ließ durchblicken, daß er sein Hochzeitsgeschenk bereit halte; er meinte die Ernennung Maxime's zum Auditor im Staatsrath. Er ging so weit, seinem Bruder mit der gutmüthigsten Miene zweimal zu versichern:

»Sage Deinem Sohne, daß ich sein Trauzeuge sein will.«

Herr von Mareuil erröthete vor Freude. Man beglückwünschte Saccard und Toutin-Laroche bot sich als zweiter Zeuge an. Mit einer plötzlichen Wendung kam man dann auf die Ehescheidung zu sprechen. Ein Mitglied der Opposition hatte, wie Herr Haffner sagte: »den traurigen Muth«, diese soziale Schmach in Schutz zu nehmen. Jedermann war empört und es wurden schöne Worte der Keuschheit und Züchtigkeit vernehmbar. Herr Michelin lächelte dem Minister zu, während Mignon und Charrier erstaunt gewahrten, daß der Kragen seines Rockes stark abgenützt sei.

Während dieser ganzen Zeit konnte Herr Hupel de la Noue seiner Befangenheit nicht Herr werden und noch immer lehnte er an dem Fauteuil des Barons Gouraud, der sich begnügt hatte, mit dem Minister schweigend einen Händedruck zu wechseln. Der Poet wagte seinen Platz nicht zu verlassen. Ein unerklärliches Gefühl, die Furcht lächerlich zu erscheinen, die Gunst seines hohen Vorgesetzten zu verlieren, fesselte ihn an seinen Platz trotz des brennenden Verlangens, die Damen für das letzte Bild auf der Estrade zu placiren. Er harrte des Augenblicks, daß ihm ein glücklicher Einfall kommen und ihn wieder in das Wohlwollen des Ministers einsetzen würde. Er vermochte aber nichts zu finden. Immer beengender senkte sich die Verlegenheit über ihn, als er endlich Herrn von Saffré erblickte. Der junge Mann war soeben erst gekommen und darum zum Opfer geeignet.

»Sie kennen das Scherzwort der Marquise nicht?« fragte der Präfekt. Doch war er so verwirrt, daß er die Sache nicht in ergötzlicher Weise vorzutragen vermochte und so fuhr er holperig fort:

»Ich sagte ihr: »Sie haben ein reizendes Kostüm« und da gab sie mir zur Antwort ...«

»»Ich habe darunter noch ein viel hübscheres,«« ergänzte Herr von Saffre ruhig. »Das ist schon alt, mein Verehrtester, schon sehr alt.«

Herr Hupel de la Noue blickte ihn förmlich entsetzt an. Der Scherz war alt und er wollte sich noch immer mehr in die köstliche Naivität dieser von Herzen kommenden Worte vertiefen!

»Alt, so alt wie die Welt,« wiederholte der Sekretär. »Frau von Espanet hat es in den Tuilerien schon zweimal gesagt.«

Dies war der Gnadenstoß und nun kehrte sich der Präfekt weder an den Minister, noch an den ganzen Salon. Er schritt auf die Estrade zu, als das Piano zu präludiren begann; traurige, klagende Töne entquollen den Fingern des Spielenden. Lauter tönte die Klage und der Vorhang glitt auseinander. Herr Hupel de la Noue, der bereits zur Hälfte verschwunden war, trat in den Salon zurück, als er das leise Knirschen der Ringe vernahm. Er war bleich, erbittert und machte eine heftige Anstrengung, um den Damen nicht einige zermalmende Worte zuzurufen, da sie es gewagt, ihre Plätze ohne seine Anweisungen einzunehmen. Die kleine Espanet mußte das Komplot angezettelt haben, den Wechsel der Kostüme zu beschleunigen und sich ohne ihn zu behelfen. Doch das war nicht mehr das Richtige; das Ganze hatte so keinen Werth.

Er kehrte zu den Uebrigen zurück, wobei er einige heftige Worte murmelte. Nachdem er dann einen Blick auf die Estrade geworfen, sprach er halblaut vor sich hin:

»Die Nymphe Echo ist zu sehr am Rand... Und dieses Bein des schönen Narziß ... ach! wie steif und starr, ohne jede Weichheit und Anmuth...«

Die Herren Mignon und Charrier, die sich ihm genähert hatten, um sich die Sache »erklären« zu lassen, richteten die Frage an ihn, was »denn der junge Mann und das junge Mädchen machten, die auf der Erde lagen.« Er aber gab keine Antwort und verweigerte es, sein Poëm weiter zu erläutern; als die Herren aber weiter in ihn drangen, sagte er zornig:

»Ach! das geht mich gar nichts mehr an, sobald die Damen ihre Plätze ohne mich einnehmen!«

Das Klavier schluchzte in weichen Tönen. Auf der Estrade eröffnete eine Waldlichtung, welche das elektrische Licht mit hellem Sonnenschein erfüllte, einen weiten Ausblick auf Waldesgrün. Es war das eine ideale Waldlichtung mit blauen Bäumen und großen gelben und rothen Blumen, die so hoch waren wie Eichenstämme. Hier hatten sich auf einem Rasenhügel Venus und Pluto zusammengefunden; Beide waren von den Nymphen umgeben, die aus dem ganzen Walde herbeigeeilt gekommen, um sich zu einem Gefolge zu schaaren. Es gab hier Baumnymphen, Quellennymphen, Bergnymphen, – all die lachenden, nackten Halbgottheiten der Wälder. Und der Gott und die Göttin triumphirten; sie straften die Kälte des Hochmüthigen, der sie verachtet hatte, während die Gruppe der Nymphen im Vordergrunde neugierig und mit einer gewissen heiligen Scheu der Rache des Olymp beiwohnte. Das Drama schloß hier ab. Am Rande eines Baches liegend betrachtete sich der schöne Narziß in der klaren Wasserfläche und man hatte die Täuschung so weit getrieben, daß man am Grunde des Baches einen wirklichen Spiegel angebracht hatte. Er war aber nicht mehr der junge Halbgott, der frei und unbehindert durch die Wälder strich; der Tod überraschte ihn inmitten seiner entzückten Bewunderung des eigenen Bildes, der Tod beraubte ihn seiner Kräfte und gleich einer Fee der Apotheose beschwor Venus mit dem ausgestreckten Finger sein Verhängniß über ihn herauf. Er wurde zur Blume. Seine Gliedmaßen gingen allmälig in dunkles Grün über; die leicht zurückgebogenen Füße, die den biegsamen Stengel darstellten, versenkten sich in die Erde, um daselbst Wurzel zu fassen, während der Oberkörper, welchen breite, weiße Seidenstreifen zierten, sich in eine herrliche Blumenkrone verwandelte. Die blonden Haare Maxime's vervollständigten die Täuschung und die langen Locken bildeten die gelben Staubfäden inmitten der weißen Kelchblätter. Und die große werdende Blume, die noch menschlich fühlte, neigte den Kopf dem Wasserspiegel zu, während die Augen trunken blickten und das Gesicht in wonnevoller Begeisterung lächelte, als hätte der schöne Narziß im Tode die Befriedigung der Begierden gefunden, die er sich selbst eingeflößt. Wenige Schritte von ihm entfernt lag auch die Nymphe Echo im Sterben; sie starb, weil ihr Verlangen unbefriedigt geblieben. Allmälig ging die Regungslosigkeit des Bodens auf sie selbst über und ihre von heißem Leben erfüllten Glieder wurden kalt und starr. Sie ward nicht zum gewöhnlichen, von Moos bedeckten Felsen, sondern zu weißem Marmor, dank ihren Schultern und ihren Armen, dank ihrem schneeweißen Kostüm, dessen Laubgürtel und blaue Schärpe verschwunden waren. Kraftlos zusammensinkend, während ihr weißes Satinkleid sich in weiten Falten gleich den Umrissen eines Marmorblocks um sie legte, glitt sie zu Boden und ihr zur Statue gewordener Leib hatte nichts Lebendes mehr in sich außer ihren Augen, diesen Augen, die sich sehnsuchtsvoll auf das Spiegelbild des Baches richteten. Und schon schien es, als ob alle Liebeslaute des Waldes, die lang gezogenen Töne des Dickichts, das geheimnißvolle Rauschen der Blätter, die tiefen Seufzer der mächtigen Eichen, sich auf die Marmorfläche der Nymphe Echo niederlassen wollten, deren Herz auch inmitten des Blockes blutend, selbst die leisesten Klagen der Erde und der Luft wiedergab.

»Ach Gott! wie sie den armen Maxime vermummt haben!« sagte Luise halblaut. »Und Frau Saccard sieht aus, als wäre sie todt.«

»Sie ist ganz bedeckt vom Reispuder,« behauptete Frau Michelin.

Andere, ebenso wenig verbindliche Bemerkungen wurden laut. Das dritte Bild konnte sich des rückhaltslosen Beifalls der beiden ersten nicht rühmen. Und dessenungeachtet war es gerade dieser tragische Ausgang, welcher Herrn Hupel de la Noue über sein eigenes Talent in Begeisterung versetzte. Er bewunderte sich in demselben, wie sich sein Narziß im Spiegelbilde der Quelle bewunderte. Er habe – meinte er – eine Menge poetischer und philosophischer Gedanken eingestreut. Als sich der Vorhang zum letzten Male geschlossen und die Zuschauer, wie es sich für wohlerzogene Leute schickt, ihren Beifall gespendet hatten, empfand er bittere Reue darob, daß er seinem Zorne nachgegeben und den letzten Theil seines Poëms nicht erläutert hatte. Er wollte nun den Personen, die sich in seiner Nähe befanden, eine Erklärung der liebenswürdigen, großartigen oder einfach nur schelmischen Dinge liefern, welche der schöne Narziß und die Nymphe Echo darstellten und er wollte sogar sagen, was Venus und Pluto im Hintergrunde der Lichtung getrieben; all' diese Herren und Damen aber, deren auf das Praktische gerichteter Sinn für die Grotte der Liebe und die Höhle des Goldes volles Verständniß gezeigt, verriethen keinerlei Neigung, sich in die mythologischen Auseinandersetzungen des Präfekten zu versenken. Nur die Herren Mignon und Charrier, die Alles wissen wollten, waren so liebenswürdig, ihn zu befragen. Er bemächtigte sich ihrer, drängte sie in eine Fensternische und hielt ihnen da einen zweistündigen Vortrag über Ovid's »Metamorphosen«.

Der Minister zog sich indessen zurück. Er entschuldigte sich, daß er die schöne Frau Saccard nicht erwarten könne, um ihr seine Bewunderung über die vollendete Anmuth der Nymphe Echo auszudrücken. Er war Arm in Arm mit seinem Bruder zwei- oder dreimal durch den Salon geschritten, hatte einigen Leuten die Hand gedrückt und mehrere Damen begrüßt. Niemals noch hatte er sich Saccard's wegen in solchem Maße bloßgestellt. Der Spekulant strahlte vor Freude, als er ihm bei der Thür angelangt, mit lauter Stimme sagte:

»Ich erwarte Dich morgen; komm' zum Frühstück zu mir.«

Der Ball sollte beginnen. Die Diener hatten die Fauteuils der Damen an die Wände gerückt. Ueber den Boden des großen Salons erstreckte sich nun von dem kleinen, gelben Salon bis zur Estrade der purpurrothe Teppich, dessen große Blumen sich unter dem blendenden Lichte der Kronleuchter zu erschließen schienen. Immer höher stieg die Hitze und der Reflex der rothen Tapeten bräunte das Gold der Möbel und der Decke. Um den Ball zu eröffnen, wartete man nur noch, bis die Damen, die Nymphe Echo, Venus, Pluto und die anderen die Toilette gewechselt haben würden.

Frau von Espanet und Frau Haffner waren die ersten, die zum Vorschein kamen. Sie hatten die Kostüme des zweiten Bildes angelegt; die Erstere stellte das Gold, Letztere das Silber dar. Man umringte, beglückwünschte die Beiden, worauf sie über ihre Eindrücke zu berichten begannen.

»Es fehlte nicht viel, so hätte ich laut zu lachen begonnen,« sagte die Marquise; »als ich von Weitem die große Nase des Herrn Toutin-Laroche erblickte, der mich anstarrte.«

»Mein Hals ist ganz steif,« warf die blonde Susanne schmachtend ein. »Nein, wahrhaftig, wenn dies eine Minute länger gedauert hätte, so hätte ich den Kopf in die natürliche Lage gebracht, denn mein Hals schmerzte fürchterlich.«

Aus der Fensternische, in welcher Herr Hupel de la Noue die Herren Mignon und Charrier gefangen hielt, warf er unruhige Blicke nach der Gruppe, die sich um die beiden jungen Frauen gebildet hatte; er fürchtete, daß man sich dort über ihn lustig mache. Nach einander langten nun auch die übrigen Nymphen an, die alle ihre Kostüme als Edelsteine angelegt hatten; einen unerhörten Erfolg hatte die Comtesse Vanska als Koralle, als man die sinnreichen Details ihrer Toilette in der Nähe bewundern konnte. Darauf trat Maxime in tadelloser Balltoilette, mit lächelnder Miene ein und sofort ward er von einer Fluth von Frauen umringt. Man ging ihm hart zu Leibe, neckte ihn mit seiner Rolle als Blume, mit seiner Leidenschaft für den Spiegel und er verrieth keinerlei Befangenheit, sondern fuhr wie entzückt über seine Persönlichkeit zu lächeln fort, ging auf die Scherze ein und gestand, daß er sich selbst anbete und die Frauen zur Genüge kenne, um sich selbst ihnen vorzuziehen. Darüber wurde noch lauter gelacht, die Gruppe wurde immer größer, während der junge Mann in diesem Meer von Schultern verloren, inmitten dieses Gewirrs flimmernder Toiletten, seinen Duft ungeheuerlicher Leidenschaft, die lasterhafte Sanftmut einer blonden Blume beibehielt.

Als aber Renée endlich zum Vorschein kam, trat eine kurze Stille ein. Sie hatte ein neues Kostüm von so origineller Anmuth und solcher Kühnheit angelegt, daß sogar die an die Überspanntheiten der jungen Frau gewöhnten Herren und Damen ein Murmeln der Ueberraschung nicht zu unterdrücken vermochten. Sie war wie eine Bewohnerin der Insel Otahaiti gekleidet, deren Tracht offenbar eine sehr primitive ist, denn dieselbe bestand blos aus einem zart rosafarbenen Tricot, welches ihr von den Füßen bis zum Busen reichte, Schultern und Arme dagegen vollständig nackt ließ. Ueber diesem Tricot hatte sie eine einfache, kurze Mousselineblouse, die mit zwei Volants besetzt war, um die Hüften ein wenig zu verdecken. In den Haaren trug sie eine Krone aus Feldblumen, an den Fußknöcheln und um die Handgelenke goldene Reifen. Und weiter nichts. Sie war so gut wie nackt. Unter der weißen Blouse war das Tricot von den Formen des Körpers geschwellt und die reine Linie derselben fand ihre Fortsetzung von den Knieen bis zu den Achselhöhlen, nur schwach unterbrochen von den Volants, doch umso schärfer bei der leisesten Bewegung zwischen den Maschen der Spitzen hervortretend. Sie stellte eine entzückende Wilde, eine wollüstige Tochter der Barbaren dar, kaum hinter einer weißen Dunstwolke verborgen, die ihren ganzen Körper errathen ließ.

Mit gerötheten Wangen kam Renée lebhaften Schrittes heran. Céleste hatte das erste Tricot ruinirt, die junge Frau aber in Voraussicht dieser Möglichkeit ihre Vorsichtsmaßregeln getroffen. Dieses zerrissene Tricot hatte die Verzögerung verursacht. Sie schien ihren Triumph gar nicht zu bemerken; ihre Hände brannten, ihre Augen glänzten im Fieber. Dessenungeachtet lächelte sie und antwortete kurz auf die schmeichelhaften Bemerkungen der Herren über die vollendete Schönheit, mit welcher sie die Nymphe »Echo« in den lebenden Bildern dargestellt. Hinter ihr blieb ein Schwarm schwarzer Fräcke zurück, die entzückt von der Durchsichtigkeit ihrer weißen Mousselineblouse waren. Als sie bei der Gruppe der Frauen angelangt war, welche Maxime umgaben, wurden bewundernde Bemerkungen laut und die Marquise, die sie eingehend vom Scheitel bis zu den Füßen musterte, bemerkte halblaut:

»Sie ist herrlich gebaut.«

Frau Michelin, deren Kostüm als indische Tänzerin sich neben dieser hauchleichten Toilette überaus schwerfällig ausnahm, preßte die Lippen zusammen, während ihr Frau Sidonie, die in ihrem Kostüme als Magierin gänzlich zusammengeschrumpft aussah, ins Ohr flüsterte:

»Weiter läßt sich die Unanständigkeit denn doch nicht treiben, nicht wahr, mein Schatz?«

»Gewiß nicht!« erwiderte die hübsche Brünette. »Mein Gatte wäre im höchsten Grade aufgebracht, wenn ich mich dermaßen entkleiden würde.«

»Und mit vollem Recht!« schloß die Spitzenhändlerin.

Die anwesenden ernsten Männer theilten nicht diese Ansicht, sondern waren ganz begeistert. Herr Michelin, den seine Frau zu so ungelegener Zeit als Beispiel anführte, gerieth vor Begeisterung ganz außer sich, nur um dem Baron Gouraud und Herrn Toutin-Laroche, die der Anblick Renée's entzückte, gefällig zu sein. Man sagte Saccard allerlei Schmeichelhaftes über die herrlichen Formen seiner Frau und er verbeugte sich ganz gerührt. Der Abend brachte ihm die Erfüllung so vieler Wünsche und abgesehen von einer gewissen Besorgniß, die zuweilen in seinen Augen aufstieg, wenn er einen raschen Blick zu seiner Schwester hinüberwarf, hätte man ihn für ganz glücklich halten können.

»Nicht wahr, so viel hat sie uns noch nicht sehen lassen?« flüsterte Luise Maxime scherzend ins Ohr, indem sie mit den Augen auf Renée deutete.

Gleich darauf fügte sie aber mit einem unerklärlichen Lächeln hinzu:

»Mich wenigstens nicht.«

Der junge Mann blickte sie unruhig an; sie aber lächelte unbefangen mit der Schelmerei eines Schulknaben, der sich über einen etwas gewagten Scherz freut.

Der Ball nahm seinen Anfang. Die Estrade, auf welcher die lebenden Bilder dargestellt worden, hielt jetzt ein kleines Orchester besetzt, in welchem die Blechinstrumente vorherrschten und die Trompeten und Klapphörner ließen in dem idealen Walde, inmitten der blauen Bäume ihre hellen Töne erschallen. Zuerst wurde eine Quadrille nach der Melodie gespielt: »Ach, Bastian hat Stiefel an!«, die zu jener Zeit in den niedrigen Tanzlokalen sich großer Beliebtheit erfreute. Und die Damen tanzten dazu. Polka's, Walzer und Mazurka's wechselten mit den Quadrillen ab. Die sich wiegenden Paare kamen und gingen, den langen Raum ganz ausfüllend, bei den anfeuernden Klängen der Blechinstrumente emporschnellend, um bei den wiegenden Tönen der Violinen wieder sanft dahinzuschweben. Die Kostüme aus allen Zeiten und allen Ländern wirbelten in toller Buntscheckigkeit durcheinander und nachdem die Tanzweise die vielen Farben in einem kadenzirten Wirrsal durcheinander gewürfelt hatte, kamen bei gewissen Stellen des Musikstückes dieselbe Robe aus rothem Satin, dasselbe Leibchen aus blauem Sammt an der Seite desselben Frackes wieder zum Vorschein. Dann führte ein neuer Bogenstrich, ein Stoß in die Blechinstrumente die Paare in langer Reihe durch den Salon, mit den wiegenden Bewegungen eines Nachens, der unter der Gewalt eines Windes die Ankerkette gesprengt hat und nun ohne Ziel dahin treibt. Und so ging das fort, stundenlang, ohne Unterbrechung. Zuweilen näherte sich zwischen zwei Tänzen eine Dame dem Fenster, um etwas frische Luft einzuathmen, oder ein Paar zog sich in den kleinen, goldenen Salon zurück, um ein wenig auszuruhen, oder es begab sich in den Wintergarten hinab und schritt in den kühleren Alleen auf und nieder. Unter den Lauben von Schlingpflanzen, in der Tiefe des angenehmen Schattens, wohin nur einzelne abgerissene Töne des Orchesters drangen, vernahm man mitunter schmachtendes, perlendes Lachen und das Rauschen seidener Frauenkleider, von denen man blos den unteren Saum sah.

Als man die Thür des Speisesaales öffnete, welcher zum Buffet umgewandelt war, mit einer langen Tafel in der Mitte, die mit kalten Fleischgerichten beladen war, und hohen Kredenztischen an den Wänden, entstand ein unbeschreibliches Stoßen und Drängen. Ein schöner großer Mann, der so unvorsichtig gewesen, seinen Hut in der Hand zu behalten, wurde so nachdrücklich an die Wand gepreßt, daß der unglückliche Hut mit einem dumpfen Klagelaut zusammenklappte, worüber herzlich gelacht wurde. Man stürzte sich auf das Backwerk und das getrüffelte Geflügel, wobei man sich gegenseitig die Ellenbogen rücksichtslos in die Seiten bohrte. Es war ein förmlicher Sturm; ein Dutzend Hände begegneten einander in jeder Bratenschüssel und die Dienerschaft wußte nicht, wem sie Rede stehen sollte inmitten dieser Schaar von feinen, wohlerzogenen Männern, deren ausgestreckte Arme nur die eine Furcht bezeugten, sie könnten zu spät kommen und leere Schüsseln vorfinden. Ein alter Herr gerieth in Zorn, weil kein Bordeaux vorhanden war und er seiner Behauptung nach nicht schlafen könne, wenn er Champagner getrunken.

»Sachte, meine Herren, nur immer sachte!« ließ sich die ernste Stimme des würdigen Baptiste vernehmen. »Jedermann wird befriedigt werden.«

Doch man achtete nicht auf ihn. Der Speisesaal war voll und noch immer drängten sich Fräcke an der Thür. Vor den Kredenzschränken standen dichtgekeilte Gruppen, die eilig aßen. Viele tranken, denen es nicht gelungen war, ein Stück Brod zu erlangen und Andere wieder schlangen die Speisen ohne zu trinken hinunter, da sie kein Glas erreichen konnten.

»Hören Sie,« sagte Herr Hupel de la Noue, den die Herren Mignon und Charrier, die der Mythologie bereits überdrüssig geworden, zum Büffet geschleppt hatten; »wir werden gar nichts erlangen, wenn wir nicht gemeinsame Sache machen ... In den Tuilerien geht es noch weit schlimmer zu und so besitze ich hierin einige Erfahrung ... Kümmern Sie sich um den Wein, ich schaffe Fleisch herbei.«

Der Präfekt lauerte auf eine Hammelkeule. Im geeigneten Augenblicke streckte er über ein halbes Dutzend Schultern die Hand aus und bemächtigte sich derselben ruhig, nachdem er sich die Taschen mit kleinen Broden angefüllt hatte. Auch die beiden Unternehmer kehrten von ihrem Feldzuge zurück: Mignon mit einer und Charrier mit zwei Flaschen Champagner; dagegen hatten sie blos zwei Gläser aufzutreiben vermocht. Doch sagten sie, daß das nichts zu bedeuten habe; sie würden aus einem Glase trinken. Auf einem im Hintergrunde des Raumes stehenden kleinen Blumentische nahmen die drei Herren ihr Mahl ein, ohne ihre Handschuhe abzulegen, die von der Keule abgelösten Schnitten auf ihr Brod legend und die Champagnerflaschen unter den Armen haltend. So aufrecht stehend, plauderten sie mit vollem Munde, wobei sie sich ein wenig nach vorn neigten, damit die Abfälle nicht ihre Westen, sondern lieber den Teppich beschmutzten.

Charrier, der mit seinem Weine früher als mit seinem Brode fertig geworden, fragte einen Bedienten, ob er nicht ein Glas Champagner bekommen könnte.

»Warten Sie doch!« versetzte der bestürzte Diener zornig, da er den Kopf verloren und vergessen hatte, daß er sich nicht in der Küche befinde. »Man hat schon dreihundert Flaschen ausgetrunken.«

Inzwischen hatte das Orchester wieder zu spielen begonnen. Man tanzte die damals auf den öffentlichen Bällen sehr beliebte »Kuß-Polka«, bei welcher die Tänzer den Rythmus mit einem ihren Tänzerinen versetzten Kuß markiren mußten. Jetzt erschien Frau von Espanet an der Thür des Speisesaales; ihre Wangen waren geröthet, ihre Haare ein wenig zerzaust und mit reizend schmachtender Bewegung zog sie ihre große Silberrobe nach sich. Man trat gar nicht zur Seite, um sie durchzulassen und auch sie mußte sich mit Hilfe ihrer Ellenbogen einen Weg bahnen. Sie machte zögernd, mit schmollend verzogenen Lippen einen Rundgang um den Tisch, worauf sie geradeaus auf Herrn Hupel de la Noue zuschritt, der sein Mahl beendet hatte und sich mit dem Taschentuche den Mund abtrocknete.

»Sie wären sehr liebenswürdig, mein Herr, wenn Sie mir einen Stuhl beschaffen wollten«, sprach sie mit einem entzückenden Lächeln zu ihm. »Ich habe mich vergebens umgesehen ...«

Der Präfekt grollte der Marquise, seine Galanterie aber verleugnete sich trotzdem nicht. Er beeilte sich, einen Stuhl herbeizuschaffen, auf welchem sich Frau von Espanet niederließ, während er hinter ihr stehen blieb, um sie zu bedienen. Sie wünschte blos einige Krabben mit etwas Butter und einen Fingerhut voll Champagner. Von den hastig schmausenden Männern umgeben, verzehrte sie das Gewünschte langsam, die Hände anmuthig und fein zum Munde führend. Tisch und Stühle waren ausschließlich den Damen vorbehalten; für den Baron Gouraud aber wurde immer eine Ausnahme gemacht und er saß breit in einem bequemen Fauteuil und verzehrte behaglich eine Pastetenschnitte, die man ihm vorgesetzt hatte. Die Marquise eroberte sich neuerdings die Gunst des Präfekten, indem sie ihm sagte, daß sie die künstlerischen Reizungen, welche ihr die Darstellung der »Liebe des schönen Narziß und der Nymphe Echo« bereitet, niemals vergessen werde. Sie erklärte ihm auch in einer ihn völlig zufriedenstellenden Weise, weshalb man beim dritten Bilde nicht auf ihn gewartet: als die Damen nämlich erfahren hatten, daß der Minister zugegen sei, waren sie der Ansicht, es sei nicht schicklich, den Zwischenakt noch länger hinauszudehnen. Schließlich bat sie ihn, Frau Haffner zu holen, die mit Herrn Simpson tanzte, – ein brutaler Mann, wie sie sagte, der ihr sehr mißfiel. Und als Susanne bei ihr war, würdigte sie Herrn Hupel de la Noue keines Blickes mehr.

Von den Herren Toutin-Laroche, von Mareuil und Haffner begleitet, hatte sich Saccard eines Kredenztisches bemächtigt. Die Tafel war voll besetzt und da gerade Herr von Saffré mit Frau Michelin am Arme vorüberkam, hielt er ihn an und bewog die hübsche Brünette, mit ihnen zu halten. Die junge Frau verzehrte allerlei süßes Backwerk und blickte die sie umgebenden fünf Männer aus den hellen Augen lächelnd an. Die Herren neigten sich zu ihr, berührten ihre von Goldfäden durchzogenen Schleier und drängten sie immer dichter an den Kredenztisch, so daß sie bereits an demselben lehnte und so nahm sie aus den Händen aller Herren sanft und schmeichelnd die verschiedenen Mundvorräthe an, mit der verliebten Willigkeit einer Sklavin, die von ihren Gebietern umgeben ist. Herr Michelin dagegen verzehrte am anderen Ende des Gemaches in aller Gemüthsruhe eine treffliche Gänseleberpastete, deren er sich zu bemächtigen vermocht.

Inzwischen trat Frau Sidonie, die seit den ersten Klängen des Orchesters im Ballsaal herumstrich, in den Speisesalon und winkte Saccard mit den Augen zu sich heran.

»Sie tanzt nicht,« sprach sie mit leiser Stimme zu ihm; »und scheint unruhig zu sein. Ich glaube, sie bereitet einen Handstreich vor ... Den Galan konnte ich aber noch nicht entdecken ... Ich will jetzt nur etwas essen und dann wieder auf den Anstand gehen.«

Und stehend wie ein Mann verzehrte sie den Flügel eines Huhnes, den sie sich durch Herrn Michelin, der mit seiner Gänseleber fertig geworden, reichen ließ. Dazu trank sie aus einem großen Champagnerkelche Malaga und nachdem sie sich mit den Fingern die Lippen getrocknet, kehrte sie in den Salon zurück. Die Schleppe ihres Magierin-Kostüms schien bereits allen Staub der Teppiche gesammelt zu haben.

Der Ball wollte nicht mehr recht von der Stelle und auch das Orchester ließ bereits bedenkliche Pausen eintreten, als ein Gemurmel laut wurde: »Einen Kotillon! einen Kotillon!« welches neues Leben in die Tänzer und Blechinstrumente brachte. Aus allen Winkeln des Treibhauses kamen Paare herbei, der Salon füllte sich wie zur ersten Quadrille und inmitten des entstehenden Gewirrs wurde lebhaft verhandelt. Es war das letzte Aufflackern des Balles, gleich einem Lichte, welches dem Erlöschen nahe ist. Die Herren, die nicht tanzten, sahen aus ihren Nischen wohlwollenden Blickes zu, die inmitten des Raumes plaudernde Gruppe wurde immer größer, während die im Speisesaal befindlichen Personen die Hälse reckten, um zu sehen, was es denn gäbe, ohne dabei mit dem Essen aufzuhören.

»Herr von Mussy will nicht,« sagte eine Dame. »Er hat geschworen, den Kotillon nicht anzuführen ... Ach, Herr von Mussy, nur noch einmal, bitte, noch ein einziges Mal ... uns zu Liebe ...«

Der junge Botschaftsattaché aber war nicht umzustimmen. Es sei wirklich unmöglich; er habe es gelobt. Die Enttäuschung war allgemein. Maxime lehnte es auch ab; er sei ganz erschöpft und könne nicht, behauptete er. Herr Hupel de la Noue wagte sich nicht anzubieten; er ließ sich nur bis zur Poesie herab. Eine Dame, die von Herrn Simpson sprach, wurde überschrieen, denn dieser junge Mann war der absonderlichste Kotillonarrangeur, den man sich nur denken konnte. Er hatte die merkwürdigsten und boshaftesten Einfälle und in einem Salon, wo man so unvorsichtig gewesen, ihn zum Kotillonführer zu wählen, erzählte man sich, er habe die Damen gezwungen, über die Stühle zu springen und daß eine seiner beliebtesten Figuren darin bestehe, die Tänzer und Tänzerinen auf allen Vieren durch den Tanzsaal marschieren zu lassen.

»Ist Herr von Saffré nicht mehr da?« fragte eine Kinderstimme.

Er war gerade im Begriffe, sich zu entfernen und verabschiedete sich bereits von der schönen Frau Saccard, mit der er auf dem besten Fuße stand, seitdem sie nichts von ihm wissen wollte. Dieser sonderbare Liebhaber bewunderte die Launen anderer Leute. Im Triumph brachte man ihn aus dem Vestibule zurück. Er wehrte sich, sagte lächelnd, daß man ihn blosstelle, daß er ein ernster Mann sei. Und als sich ihm die vielen weißen Hände entgegenstreckten, sagte er:

»Bitte also Ihre Plätze einzunehmen, meine Herrschaften. Doch ich sage Ihnen im Vorhinein, daß ich nach klassischem Muster arbeite und nicht Phantasie für zwei Sous besitze.«

Die Paare ließen sich rings an den Wänden auf Stühlen und Fauteuils nieder, deren man gerade habhaft werden konnte und die jungen Leute holten sogar die eisernen Stühle aus dem Wintergarten. Es war ein Riesen-Kotillon. Herr von Saffré, der die feierliche Miene eines zelebrirenden Priesters angenommen hatte, erwählte zu seiner Dame die Gräfin Vanska, deren Korallenkostüm ihn in hohem Grade fesselte. Als Jedermann auf seinem Platze war, ließ er einen langen Blick über diesen Kreis von bunten Röcken schweifen, deren jeder von einem Frack flankirt war und darauf winkte er dem Orchester, welches rauschend einfiel. Renée hatte es abgelehnt, an dem Kotillon theilzunehmen. Seit dem Beginne des Balles war sie von nervöser Heiterkeit; dabei tanzte sie wenig und mengte sich immer unter die verschiedenen Gruppen, unfähig, auf einem Platze ruhig auszuharren. Ihre Freundinen behaupteten, sie sei so sonderbar heute. Sie hatte erwähnt, sie gedenke nächster Tage mit einem berühmten Aëronauten, von dem ganz Paris sprach, eine Auffahrt mit seinem Ballon zu machen. Als der Kotillon begann und sie nicht mehr unbehindert kommen und gehen konnte, hielt sie sich in der Nähe des Vestibuls auf und reichte dort den Herren, die nach Hause gingen, die Hand, oder sie plauderte mit den Freunden ihres Mannes. Der Baron Gouraud, den ein Diener in seinen Pelzmantel gehüllt, mit sich nahm, machte ihr noch ein letztes Kompliment über ihr entzückendes Kostüm; er habe noch kein herrlicheres gesehen, meinte er geziert.

Herr Toutin-Laroche reichte Saccard die Hand.

»Maxime rechnet auf Sie,« sagte der Letztere.

»Gewiß, gewiß,« erwiderte der neue Senator und sich zu Renée wendend, fügte er hinzu: »Ich habe Ihnen meine Glückwünsche noch nicht dargebracht, Madame ... Das geliebte Kind ist doch jetzt gut untergebracht und ich ...«

Sie lächelte erstaunt und Saccard sagte:

»Meine Frau weiß noch nichts ... Wir haben heute Abend die Vermählung zwischen Maxime und Fräulein von Mareuil festgesetzt.«

Sie lächelte noch immer und verbeugte sich vor Herrn Toutin-Laroche, der sich mit den Worten entfernte:

»Am Sonntag wird der Kontrakt unterzeichnet, nicht wahr? Ich reise allerdings in geschäftlichen Angelegenheiten nach Nevers, gedenke aber bis dahin wieder hier zu sein.«

Einen Augenblick blieb sie allein im Vestibule. Sie lächelte nicht mehr und in dem Maße, als sie das soeben Vernommene begriff, erfaßte sie ein wachsender Schauer. Starr blickte sie die rothen Sammttapeten, die wenigen Pflanzen, die Majolikagefäße an. Dann sprach sie laut vor sich hin:

»Ich muß mit ihm sprechen.«

Damit kehrte sie in den Salon zurück; doch mußte sie lange an der Thür stehen bleiben, da eine Kotillonfigur den Weg versperrte. Gedämpft spielte das Orchester einen Walzersatz, Die Damen hielten sich an den Händen gefaßt und bildeten einen Kreis, wie ihn kleine Mädchen zu bilden und dazu Kehrreime zu singen pflegen. Dabei drehten sie sich mit möglichster Raschheit im Kreise, zogen sich gewaltsam an den Händen, lachten und strauchelten. In der Mitte des Kreises stand ein Ritter – der boshafte Herr Simpson – mit einer langen, rosenrothen Schärpe, die er mit der Bewegung eines Fischers, der ein Netz auswerfen will, wurfbereit hielt. Doch beeilte er sich durchaus nicht damit; offenbar bereitete es ihm Vergnügen, die Damen sich im Kreise drehen und sich ermüden zu lassen. Schon keuchten dieselben und baten um Gnade. Nun schnellte er die lange Schärpe vor und dies mit solcher Geschicklichkeit, daß sie sich um die Schultern der Marquise von Espanet und der Frau Haffner wand, die sich mit einander drehten. Es war das ein Scherz des Amerikaners. Er wollte mit beiden Damen zu gleicher Zeit tanzen und hatte dieselben bereits umschlungen – die eine mit dem rechten, die andere mit dem linken Arm – als Herr von Saffré mit der strengen Stimme des Kotillonkönigs sagte:

»Man tanzt nicht mit zwei Damen.«

Herr Simpson aber wollte die beiden Frauen nicht freigeben, die sich in seinen Armen lachend zurückbogen. Man berieth über den Fall, die Damen wurden ungehalten, das Getümmel wurde immer ärger und die in den Nischen lehnenden Herren fragten neugierig, wie sich Saffré aus der schwierigen Lage ziehen werde. Dieser schien thatsächlich einen Augenblick rathlos und suchte nach einem Ausweg, um durch einen glücklichen Einfall die Lacher auf seine Seite zu bringen. Jetzt lächelte er und jede der beiden Damen bei einer Hand erfassend, flüsterte er ihnen eine Frage ins Ohr, worauf er, nachdem er die Antwort erhalten, sich mit den Worten zu Herrn Simpson wendete:

»Wählen Sie das Eisenkraut oder wählen Sie das Immergrün?«

Herr Simpson, der ein wenig einfältig war, sagte, daß er das Immergrün wähle, worauf ihm Herr von Saffré die Marquise überließ.

»Dies ist das Immergrün,« sagte er dabei.

Man applaudirte leise, denn die Sache hatte sehr gut gefallen. Herr von Saffré war ein Kotillonführer, »der nicht in Verlegenheit zu bringen war,« wie der Ausdruck der Damen lautete. Inzwischen hatte das Orchester voll eingesetzt und nachdem Herr Simpson mit Frau von Espanet einen Tanz durch den Salon gemacht, geleitete er sie zu ihrem Platz zurück.

Renée konnte ungehindert durch den Saal schreiten. Sie hatte sich beim Anblick »dieser Dummheiten« die Lippen blutig gebissen und fand, daß all' diese Männer und Frauen, die Schärpen warfen und sich Blumennamen gaben, höchst einfältig seien. In ihren Ohren brauste es; eine zornige Ungeduld erfaßte sie, daß sie ein wildes Verlangen verspürte vorwärts zu dringen und sich mit Gewalt einen Weg zu bahnen. Raschen Schrittes eilte sie durch den Salon, gegen einzelne Paare stoßend, die zu ihren Sitzen zurückkehrten. Sie schritt gerade nach dem Wintergarten, denn da sie weder Luise noch Maxime unter den Tanzenden sah, wußte sie, daß sie die Beiden hinter irgend einem Gebüsch antreffen werde, vereint durch ihren auf Schelmereien und Bosheiten gerichteten Instinkt, welcher sie die dunkeln Ecken aufsuchen ließ, sobald sie irgendwo zusammenkamen. Doch spähte sie vergebens in dem Halbdunkel des Wintergartens umher; sie vermochte nichts zu entdecken, als in dem Schatten eines lauschigen Plätzchens einen großen jungen Mann, der inbrünstig die Hände der kleinen Frau Daste küssend, leisen Tones sagte:

»Frau von Lauwerens hatte es mir ja gesagt: Sie sind ein Engel.«

Diese Erklärung, in ihrem Hause, in ihrem Wintergarten, erzürnte sie. Wahrhaftig, Frau von Lauwerens hätte ihren Schacher anderweitig betreiben können! Und Renée hätte eine Erleichterung empfunden, wenn sie all' diese Leute, die so schamlos lärmten, aus ihrem Hause hätte weisen können. Vor dem Bassin stehend, blickte sie in das Wasser und fragte sich, wo sich denn Luise und Maxime versteckt haben mochten. Noch immer spielte das Orchester diesen Walzer, dessen wiegende Klänge ihr beinahe Uebelkeiten verursachten. Dies war unerträglich; konnte sie denn in ihrem Hause nicht einmal mehr ungestört nachdenken? Sie war keines klaren Gedankens mehr fähig. Sie vergaß, daß die beiden jungen Leute noch nicht verheirathet seien und sagte sich, daß dieselben ganz einfach zu Bett gegangen seien. Dann erinnerte sie sich des Speisesaales und rasch stieg sie die Treppen des Wintergartens hinan. Doch an der Thür des großen Salons versperrte ihr zum zweiten Male eine Kotillonfigur den Weg.

»Dies sind die »schwarzen Punkte«, meine Damen!« sagte Herr von Saffré fein. »Es ist dies meine eigene Erfindung und Sie bekommen sie zum ersten Male zu sehen.«

Es wurde viel gelacht, während die Herren den Damen die Anspielung erklärten. Der Kaiser hatte ganz kürzlich in einer Rede die Bemerkung gemacht, daß sich am politischen Himmel gewisse »schwarze Punkte« zeigten. Diese schwarzen Punkte hatten, ohne daß Jemand wußte weshalb, Glück gemacht. Die Bevölkerung von Paris bemächtigte sich dieses Ausdrucks und seit acht Tagen drehte sich Alles um die schwarzen Punkte. Herr von Saffré stellte die Herren an einem Ende des Salons derart auf, daß sie den am anderen Ende befindlichen Damen den Rücken kehrten. Sodann gebot er ihnen, ihre Frackschöße emporzuheben, so daß sie damit ihren Hinterkopf verdeckten. Diese Operation wurde inmitten einer tollen Heiterkeit ausgeführt. Buckelig, mit eingezogenen Schultern, mit den aufgehobenen Frackschößen, die ihnen kaum bis zu den Hüften reichten, boten die Herren wahrhaftig einen abscheulichen Anblick.

»Lachen Sie nicht, meine Damen!« rief Herr von Saffré mit drolligem Ernst aus; »oder ich lasse Sie Ihre Spitzentücher zurückschlagen.«

Das allgemeine Gelächter ertönte noch lauter, während er einzelnen Herren gegenüber, die ihre Köpfe nicht verbergen wollten, seine Autorität energisch geltend machte.

»Sie stellen die »schwarzen Punkte« vor,« sagte er zu ihnen. »Verhüllen Sie Ihre Köpfe und zeigen Sie blos den Rücken, so daß die Damen blos Schwarzes zu sehen bekommen ... Und nun vorwärts, mengen Sie sich unter einander, damit man Sie nicht mehr erkennen könne.«

Die Heiterkeit hatte ihren Höhepunkt erreicht. Die »schwarzen Punkte« kamen und gingen auf ihren dünnen Beinen wie Raben, die keine Köpfe haben. Man sah sogar ein Stück von dem Hemde eines Herrn sammt Hosenträger und nun begannen die Damen zu rufen, man möge aufhören, sonst müßten sie ersticken und Herr von Saffré hatte so viel Einsehen, ihnen zu befehlen, sie mögen nun jede sich einen »schwarzen Punkt« aussuchen. Die Damen stoben unter lautem Rauschen ihrer Röcke wie ein Schwarm junger Rebhühner davon und bei den Herren angelangt, erfaßte Jede den Kavalier, der ihr unter die Hände gerieth. Die Verwirrung war eine ungeheure. Und nun tanzten die improvisirten Paare in langer Reihe den Walzer, welchen das Orchester unermüdlich zu Gehör brachte.

Renée hatte sich an die Mauer gelehnt und starrte bleich, mit zusammengepreßten Lippen vor sich hin. Ein alter Herr trat auf sie zu und fragte galant, weshalb sie nicht tanze. Sie mußte lächeln und etwas erwidern. Dann entschlüpfte sie ihm und trat in den Speisesaal. Derselbe war leer. Von den geplünderten Speiseschränken, den benützten Tellern und Flaschen umgeben saßen Maxime und Luise an der Ecke eines Tisches bei einander und soupirten ruhig. Sie schienen sich sehr behaglich zu fühlen und lachten inmitten dieser Unordnung, dieser beschmutzten Gläser, dieser von Fett triefenden Teller und den Ueberresten, die noch warm waren von der Gier der weißbehandschuhten Gäste. Die beiden jungen Leute begnügten sich, die Brosamen wegzuputzen. Baptiste dagegen schritt ernst und würdevoll neben dem Tische auf und ab, ohne anscheinend den Raum zu beachten, in welchem ein Rudel Wölfe gehaust zu haben schien. Er wartete blos, bis die Diener etwas Ordnung geschafft haben würden.

Maxime hatte noch ein ganz erträgliches Souper zusammengestellt. Luise schwärmte für Mandelkuchen mit Pimpernüssen, von welchen noch ein Teller voll in einem Schrank entdeckt wurde. Vor sich hatten sie drei Flaschen Champagner, welche bereits angebrochen waren.

»Papa hat sich vielleicht schon entfernt,« sagte das junge Mädchen.

»Umso besser,« erwiderte Maxime; »dann werde ich Sie nach Hause begleiten.«

Und da sie über diese Worte lachte, fügte er hinzu:

»Sie wissen doch, daß man durchaus will, ich möge Sie heirathen. Das ist kein Scherz mehr, sondern vollster Ernst ... Was werden wir denn thun, wenn wir verheirathet sein werden?«

»Dasselbe was die Anderen thun!«

Die Worte waren ihr etwas zu rasch entschlüpft und so fügte sie lebhaft hinzu, gleichsam als wollte sie dieselben vergessen machen:

»Wir werden nach Italien gehen, was für meine Brust sehr gut sein wird ... denn ich bin sehr krank ... Ach, mein armer Maxime, Sie werden eine absonderliche Frau haben! Ich habe nicht für zwei Sous Fett am Leibe.«

Sie lächelte traurig trotz ihres kecken Pagenkostüms und ein trockener Husten färbte ihre Wangen roth.

»Das kommt vom Mandelkuchen,« sagte sie. »Zu Hause läßt man mich keinen essen ... Reichen Sie mir den Teller, damit ich den Rest in meine Taschen stecken könne.«

Sie hatte gerade den Teller geleert, als Renée eintrat. Sie schritt sofort auf Maxime zu, wobei es ihr eine unerhörte Anstrengung kostete, nicht zu fluchen oder nicht mit den Fäusten über diese Buckelige herzufallen, die sie in so traulicher Unterhaltung mit ihrem Liebhaber antraf.

»Ich will mit Dir sprechen,« stammelte sie mit dumpfer Stimme.

Von Furcht erfaßt zögerte er, da er sich vor einer Unterredung ängstigte.

»Mit Dir allein und zwar sofort,« drängte Renée.

»Gehen Sie doch, Maxime,« sagte Luise mit ihrem unerklärlichen Blick. »Und schicken Sie mir gleichzeitig meinen Vater, den ich immer aus den Augen verliere, wenn wir in Gesellschaft sind.«

Er erhob sich und versuchte die junge Frau noch im Speisesaale aufzuhalten, indem er sie fragte, was sie ihm denn so Dringendes mitzutheilen habe. Sie aber sagte mit aufeinander gepreßten Zähnen:

»Folge mir oder ich sage Alles in Gegenwart der Leute!«

Er wurde sehr bleich und folgte ihr mit dem widerstandslosen Gehorsam eines geprügelten Thieres. Sie glaubte, daß Baptiste sie anblickte; doch was kümmerte sie sich in diesem Augenblick um die klaren, ruhigen Augen dieses Lakaien? An der Thür wurde sie zum dritten Male durch den Kotillon aufgehalten.

»Warte,« murmelte sie; »diese Tölpel wollen noch immer nicht fertig werden.«

Und damit erfaßte sie seine Hand, damit er ihr nicht entschlüpfen könne.

Herr von Saffré placirte den Herzog von Rozan in einer Ecke des Salons auf derselben Seite, auf welcher sich die Thür des Speisesaales befand, mit dem Rücken gegen die Wand. Vor ihm stellte er eine Dame hin, sodann einen Herrn mit dem Rücken gegen den der Dame, hierauf eine zweite Dame vor den Kavalier und so fort paarweise in langer Schlangenlinie. Als er fertig geworden, rief er mit lauter Kommandostimme:

»Vorwärts, meine Damen; Platz für die Kolonnen!«

Dem Befehl entsprechend wurden die Kolonnen gebildet. Die ungeziemende Stellung, welche die Damen innehatten, die sich derart zwischen zwei Männer gedrängt sahen, einen hinter und einen vor sich, trug viel zur Erheiterung der Gesellschaft bei. Die Brüste berührten die Rockaufschläge der Herren, die Beine der Kavaliere verschwanden in den Röcken der Damen und wenn sich die Köpfe lachend bewegten, mußten die Schnurrbarte zur Seite gewendet werden, damit die Dinge nicht bis zum Kusse gediehen. Ein Spaßvogel mochte der ganzen Linie einen leichten Stoß gegeben haben, denn dieselbe schrumpfte etwas zusammen, so daß die schwarzen Beine noch tiefer in den Röcken versanken; man vernahm leises Kreischen und unterdrücktes Gekicher, welches sich gar nicht mehr beruhigen wollte. Man hörte die Baronin von Meinhold sagen: »Aber, mein Herr, Sie erwürgen mich ja; drücken Sie mich nicht so sehr!« und dies war so drollig, entfesselte eine so unbändige Heiterkeit, daß die erschütterten »Kolonnen« schwankten, gegen einander stießen und sich gegenseitig stützen mußten, um nicht zu fallen. Herr von Saffré, der mit erhobenen Händen dastand, um zu klatschen, wartete. Endlich schlug er die Hände zusammen und auf dieses Signal drehte sich jede Person um. Die Paare, die sich einander gegenüber befanden, faßten sich um den Leib und die ganze Linie wirbelte im Walzer davon. Nur der arme Herzog von Rozan stieß mit der Nase gegen die Wand, als er sich umdrehte, was allgemein belacht wurde.

»Komm!« sagte Renée zu Maxime.

Das Orchester spielte noch immer den Walzer. Die weiche Melodie, deren monotoner Rythmus auf die Dauer fade und langweilig wurde, erhöhte noch die Erbitterung der jungen Frau. Sie trat ohne die Hand Maxime's los zu lassen, in den kleinen Salon und ihn zu der in das Ankleidezimmer emporführenden Treppe drängend, gebot sie ihm erstickten Tones:

»Hinauf!«

Sie selbst folgte ihm. In diesem Augenblick langte Frau Sidonie, die erstaunt über das ruhelose Umherirren ihrer Schwägerin durch alle Räume, sich während des ganzen Abends in der Nähe derselben aufhielt, auf dem Perron des Wintergartens an, gerade als die Füße eines Mannes in dem Dunkel der kleinen Treppe verschwanden. Ein fahles Lächeln erhellte ihr wachsbleiches Gesicht und ihren Magiertalar emporraffend, um rascher gehen zu können, suchte sie ihren Bruder auf, wobei sie rücksichtslos eine Kotillonfigur zerstörte und die ihr in den Weg kommenden Diener befragte. Endlich fand sie Saccard allein mit Herrn von Mareuil in einem an den Speisesaal stoßenden Raum, welcher zeitweilig zum Rauchzimmer umgestaltet worden war. Die beiden Väter sprachen über die Mitgift, die einzelnen Punkte des Kontraktes. Als ihm aber seine Schwester einige Worte zugeflüstert hatte, stand Saccard auf, entschuldigte sich flüchtig und verließ das Zimmer.

Im Ankleidekabinet aber herrschte die größte Unordnung. Auf den Stühlen lagen das Kostüm der Nymphe Echo, das zerrissene Tricot, auf der Erde Spitzen und durcheinander geworfene Wäschestücke umher, – Alles was eine Frau, auf die gewartet wird, in ihrer Eile zurückläßt. Von den silbernen und elfenbeinernen Toilettegeräthschaften war an allen Ecken und Enden etwas zu sehen: auf dem Teppich sah man Bürsten und Nagelfeilen und die noch feuchten Tücher die auf den Marmorplatten vergessenen Seifenstücke, die entkorkten Fläschchen verbreiteten einen starken, durchdringenden Geruch, welche den zarten Duft des Frauenleibes verdrängten. Um die weiße Farbe von Armen und Schultern zu entfernen, war die junge Frau nach den lebenden Bildern in die rosa Marmorwanne gestiegen und glitzernde Stellen waren auf der erkalteten Wasserfläche zu sehen.

Maxime strauchelte über ein Schnürleibchen, daß er beinahe gefallen wäre und versuchte zu lachen. Doch zitterte er vor Kälte, als er in das harte Gesicht Renée's blickte. Sie trat auf ihn zu und fragte mit leiser Stimme:

»Du gedenkst also die Buckelige zu heirathen?«

»Aber nicht im Traume,« murmelte er. »Wer hat Dir Das gesagt?«

»Leugne doch nicht; es nützt ja nichts ...«

Er wurde ärgerlich. Sie begann unbequem zu werden und dem wollte er ein Ende machen.

»Nun denn ja, ich heirathe sie. Und was weiter? ... Bin ich nicht mein eigener Herr?«

Gesenkten Hauptes trat sie dicht zu ihm hin und mit einem häßlichen Lachen seine Hände ergreifend, sprach sie:

»Dein eigener Herr! Du! Dein eigener Herr! ... Du weißt ja, daß Du das nicht bist. Dem Herr bin ich. Ich würde Dir die Knochen im Leibe zerbrechen, wenn ich wollte, denn Du hast ja nicht mehr Kraft, als ein kleines Mädchen.«

Und da er sich wehrte, preßte sie seine Arme mit der ganzen nervösen Kraft zusammen, die ihr der Zorn verlieh. Er stieß einen leisen Schrei aus, worauf sie ihn losließ und sagte:

»Wir wollen es nicht auf die rohe Kraft ankommen lassen; Du siehst, daß ich die Stärkere wäre.«

Er schwieg, bleich und beschämt über den Schmerz, den er noch an den Handgelenken verspürte; dann sah er, wie sie in dem Gemach auf- und niederschritt. Sie stieß die Möbel hin und her, während sie den Plan überlegte, der in ihrem Kopfe reifte, seitdem ihr Gatte ihr von der bevorstehenden Vermählung Mittheilung gemacht.

»Ich werde Dich hier einschließen,« sprach sie endlich; »und sobald es Tag geworden, reisen wir nach Havre.«

Er erbleichte noch mehr vor Unruhe und Staunen.

»Aber das ist ja Wahnsinn!« rief er aus. »Wir können nicht mit einander reisen. Du verlierst den Kopf!«

»Das ist möglich; aber gewiß ist, daß Ihr, Dein Vater und Du, daran schuld seid ... Ich kann Dich nicht missen und nehme Dich in Besitz ... Umso schlimmer für die Einfältigen!«

Es flackerte unheimlich in ihren Augen und wieder so dicht an ihn herantretend, daß ihr Athem sein Gesicht versengte, fuhr sie fort:

»Was sollte denn aus mir werden, wenn Du die Buckelige heirathest? Ihr würdet Euch über mich lustig machen und ich wäre vielleicht gezwungen, mich von Neuem an diesen Einfaltspinsel Mussy zu hängen, der mir selbst die Beine nicht warm machen kann ... Wenn man gethan hat, was wir gethan haben, so bleibt man beisammen. Im Uebrigen ist es klar, daß ich mich langweile, wenn Du nicht bei mir bist und da ich fortgehe, so nehme ich Dich mit mir ... Du wirst Céleste sagen, was sie Dir von Deinen Habseligkeiten herüberholen soll.«

Der Unglückliche faltete flehend die Hände:

»Um Gotteswillen, meine kleine Renée, mache doch keine Dummheiten. Besinne Dich ... Denke ein wenig an den Skandal.«

»Was kümmert mich der Skandal? Wenn Du Dich weigerst, so gehe ich in den Salon hinunter und schreie es allen Leuten ins Gesicht, daß ich mit Dir geschlafen habe und Du feige genug bist, jetzt noch die Buckelige zu heirathen.«

Gesenkten Hauptes hörte er ihr zu, während er im Innern sich schon halb diesem Willen unterwarf, der sich in so rücksichtsloser Weise über ihn geltend machte.

»Wir gehen nach Havre,« nahm sie von Neuem, ihren Traum weiterspinnend, auf; »und von dort nach England. Niemand wird uns mehr im Wege stehen. Sind wir dort noch nicht weit genug, so reisen wir nach Amerika, wo ich mich wohl fühlen werde, da ich ohnehin immer friere. Gar oft schon habe ich die Kreolinen beneidet ...«

Doch je weiter sie über ihren Plan sprach, desto höher stieg der Schrecken des jungen Mannes. Paris verlassen, so weit fort mit einer Frau gehen, die zweifellos wahnsinnig war, eine Begebenheit, deren Schmach ihn für alle Zeiten aus Paris verbannte, hinter sich lassen, – das war wie ein entsetzlicher Alpdruck, der ihn erwürgte. Verzweifelt suchte er nach einem Mittel, um dieses Gemach, diesen rosenfarbenen Schlupfwinkel verlassen zu können, in welchem er das Läuten des Irrenhauses zu vernehmen meinte. Endlich glaubte er das gesuchte Rettungsmittel gefunden zu haben.

»Ich habe aber kein Geld,« sagte er sanft, um sie nicht noch mehr zu reizen; »und kann mir auch keines verschaffen, wenn Du mich hier einschließest.«

»Aber ich habe welches,« erwiderte sie triumphirenden Tones. »Ich besitze hunderttausend Francs und damit ist Alles in bester Ordnung ...«

Damit entnahm sie dem Spiegelschranke die Cessionsurkunde, welche ihr Gatte von der unbestimmten Hoffnung bewegt, sie könne noch anderen Sinnes werden, bei ihr zurückgelassen. Sie legte dieselbe auf den Toilettetisch, zwang Maxime, ihr aus dem Schlafzimmer Feder und Tinte zu holen und Seife und Fläschchen zurückschiebend, setzte sie mit raschem Zuge ihren Namen unter das Dokument, worauf sie sagte:

»Wohlan, die Thorheit ist ausgeführt. Wurde ich bestohlen, so ließ ich es in klarem Bewußtsein geschehen ... Bevor wir nach dem Bahnhofe fahren, werden wir bei Larsonneau vorsprechen ... Und jetzt, mein kleiner Maxime, werde ich Dich einschließen und sobald ich all' die Leute hier vor die Thür gesetzt, entfliehen wir durch den Garten. Nicht einmal unser Gepäck brauchen wir mit uns zu nehmen.«

Sie war wieder heiter geworden; dieser Handstreich entzückte sie. Es war das eine letzte Ueberspanntheit, ein Abschluß dieses heißen Kampfes, welcher ihr durchaus originell dünkte. Dies war noch bedeutend großartiger, als die geplante Auffahrt mit dem Ballon. Sie schloß Maxime in die Arme und murmelte:

»Ich habe Dir vorhin weh gethan, mein armer Schatz! Und darum hast Du Dich geweigert ... Du wirst aber sehen, wie schön das sein wird. Könnte Dich denn Deine Buckelige so lieben wie ich Dich liebe? ... Diese kleine Mulattin ist ja gar keine Frau ...«

Sie zog ihn mit girrendem Lachen an sich und küßte ihn leidenschaftlich, als ein Geräusch sie die Köpfe umwenden ließ. Saccard stand auf der Schwelle der Thür.

Eine fürchterliche Stille trat ein. Langsam löste Renée die Arme von dem Halse Maxime's; doch ohne die Stirne zu senken, blickte sie ihren Gatten mit großen, starren Augen an, während der junge Mann wie zu Boden geschmettert, gesenkten Kopfes taumelte, nun er durch sie nicht mehr gestützt ward. Wie vom Schlage gerührt durch diese entsetzliche Entdeckung, welche endlich den Gatten und den Vater in ihm erweckte, blieb Saccard regungslos, leichenblaß stehen und nur von Weitem flogen seine brennenden Blicke zu den Beiden hinüber. Hell, mit senkrechter Flamme und der Unbeweglichkeit einer heißen Thräne brannten die drei Kerzen in der feuchten, duftenden Luft des Gemaches. Und die Stille, die fürchterliche Stille ward nur durch einen über die enge Treppe heraufdringenden Hauch der Musik unterbrochen und schlangengleich glitt, wand sich der sinnberückende Walzer über den schneeweißen Teppich, zwischen dem zerrissenen Tricot und den zur Erde geglittenen Frauenröcken.

Endlich trat der Gatte vor. Ein Drang nach brutalem Ausbruch verzerrte sein Gesicht; er ballte die Fäuste, um die Schuldigen niederzuschmettern. Der Zorn brach sich in dem kleinen, beweglichen Manne unter lautem Toben Bahn. Ein würgendes Lachen stieg in seiner Kehle empor und immer näher kommend, fragte er:

»Du hast ihr von Deiner bevorstehenden Verheirathung Mittheilung gemacht, nicht wahr?«

Maxime wich zurück, bis er an die Mauer stieß und dort stammelte er:

»Höre mich an ... sie war es, die ...«

Er wollte sie feige anklagen, die ganze Schuld auf sie wälzen, sagen, daß sie mit ihm entfliehen gewollt, sich mit der Demuth und dem Zittern eines auf seinen Schlichen ertappten Schuljungen vertheidigen. Doch hatte er nicht die Kraft dazu, die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Renée aber verharrte regungslos wie eine Statue, ihre Haltung drückte schweigende Verachtung aus. Da ließ Saccard, sicherlich um eine Waffe zu entdecken, den Blick suchend durch den Raum gleiten und auf dem Toilettetisch, inmitten der Kämme und Nagelbürsten erblickte er die Cessionsurkunde, deren gelbes Papier sich von dem Marmor abhob. Sein Auge schweifte von dem Schriftstück zu den Schuldigen hinüber. Dann neigte er sich vor und gewahrte, daß das Dokument unterschrieben sei. Sein Blick glitt von dem offenen Tintenfaß nach der noch feuchten Feder, die am Fuße des Kandelabers lag. Schweigend, nachdenklich blieb er vor dieser Unterschrift stehen.

Die Stille schien sich noch zu vertiefen; die Flammen der Kerzen wurden länger, weicher glitt die Melodie des Walzers über die Tapeten hin. Ganz leise zuckte Saccard die Schultern. Noch einmal blickte er seine Frau und dann seinen Sohn durchdringenden Auges an, als wollte er aus ihren Mienen eine Erklärung schöpfen, die ihm versagt blieb, worauf er das Schriftstück langsam zusammenfaltete und in seine Rocktasche steckte. Seine Wangen waren ganz bleich geworden.

»Sie thaten ganz recht daran zu unterschreiben, meine liebe Freundin,« sprach er gelassenen Tones zu seiner Frau. »Sie haben damit hunderttausend Francs gewonnen, die ich Ihnen noch heute Abend einhändigen werde.«

Er lächelte beinahe und nur seine Hände zitterten noch ein wenig. Er machte einige Schritte, worauf er hinzufügte:

»Man erstickt ja hier. Welch' eine Idee, in diesem Dampfbade einen Eurer tollen Streiche auszuhecken!«

Und sich zu Maxime wendend, der überrascht durch den friedfertigen Ton, welchen sein Vater anschlug, den Kopf emporgehoben hatte, nahm er von Neuem auf:

»Vorwärts, komm'! Ich sah Dich hierher gehen und wollte Dich abholen, damit Du Dich von Herrn von Mareuil und seiner Tochter verabschiedest.«

Damit entfernten sich die beiden Männer mit einander plaudernd. Renée blieb allein in dem Ankleidezimmer zurück und starrte auf die gähnende Oeffnung der kleinen Treppe, durch welche sie soeben die Schultern des Vaters und des Sohnes verschwinden gesehen. Sie vermochte die Augen von dieser Oeffnung nicht abzuwenden. Ei! sie hatten sich ruhig, unter freundschaftlichem Geplauder entfernt. Die beiden Männer hatten sich nicht entzweit. Angestrengt lauschte sie, als wollte sie das Geräusch zweier in wildem Ringen über die Treppe kollernder Körper vernehmen. Doch nichts regte sich. In der Dunkelheit ward nichts weiter hörbar, als die wiegenden Klänge der Musik; ja, sie meinte sogar von Weitem das Lachen der Marquise, die helle Stimme des Herrn von Saffré zu vernehmen. Das Drama war also zu Ende? Ihre Schuld, die heißen Küsse in dem grau-rosafarbenen Bette, die wilden Nächte im Treibhause, – all' diese fluchwürdige Liebe, die sie seit Monaten verzehrte, nahm ein so alltägliches, gemeines Ende? Ihr Gatte wußte Alles und hob nicht einmal die Hand gegen sie! Und diese Stille rings um sie her, diese Stille, in welcher blos die Klänge des endlosen Walzers vernehmbar wurden, erschreckte sie mehr als das Getöse eines Meuchelmordes. Sie fürchtete sich vor dieser Ruhe, vor diesem verschwiegenen, lieblichen Gemach, welches von dem Dufte der Liebe erfüllt war.

Da erblickte sie sich in dem hohen Spiegel des Schrankes. Sie trat näher, ganz erstaunt darob, daß sie sich sah, und dabei vergaß sie an ihren Gatten, an Maxime, da die fremde Person, die sie da vor sich sah, sie völlig in Anspruch nahm. Der Wahnsinn bemächtigte sich ihrer immer mehr. Ihre gelben Haare, die sie an den Schläfen und am Nacken zurückgestrichen hatte, dünkten ihr eine Nacktheit, eine Unzüchtigkeit zu sein. Die Falte auf ihrer Stirne grub sich so tief, daß sie sich wie ein Schatten, wie die dünne, bläuliche Spur eines Peitschenhiebes über ihren Augen hinzog. Wer hatte sie doch derart gezeichnet? Ihr Gatte hatte ja nicht einmal die Hand gegen sie erhoben. Sie staunte über die Blässe, über die Farblosigkeit ihrer Lippen und ihre kurzsichtigen Augen schienen todt zu sein. Wie alt sie war! Sie neigte den Kopf und als sie sich in ihrem Tricot, in ihrer leichten Gazeblouse erblickte, betrachtete sie sich plötzlich erröthend mit gesenkten Wimpern. Wer hatte sie denn derart entkleidet? was wollte sie denn in diesem schamlosen Anzug einer Dirne, die sich bis zum Bauch entblößt? Sie wußte es nicht mehr. Sie betrachtete ihre Schenkel, welche das Tricot prall umspannte, ihre Hüften, deren volle Linien sie unter der dünnen Gaze verfolgte, ihre üppige Büste und eine tiefe Scham überkam sie, die Verachtung ihrer selbst erfüllte sie mit einem dumpfen Zorn gegen Jene, die es duldeten, daß sie so unter die Leute ging, blos mit dünnen Goldspangen an den Knöcheln und Handgelenken, die ihre Blöße verdecken sollten.

Und wie sie da mit der Beharrlichkeit eines allmälig sich verwirrenden Geistes darüber nachgrübelte, was sie denn ganz nackt vor diesem Spiegel wolle, sah sie sich mit einem Male in ihre Kindheit zurückversetzt, als siebenjähriges Kind in den ernsten Räumen des Hôtels Béraud. Sie erinnerte sich eines Tages, da Tante Elisabeth sie Beide, sie und ihre Schwester Christine, in reizende, grauwollene Kleidchen mit kleinen, rothen Vierecken gekleidet hatte. Es war gerade zu Weihnachten gewesen. Wie sehr hatten sie sich dieser gleichen Kleider gefreut! Die Tante verzog sie und schenkte ihnen sogar ein Arm- und Halsband aus Korallen. Die Aermel waren lang, das Leibchen reichte bis an's Kinn und der Schmuck lag ganz auf dem Zeug, was ihnen sehr gefiel. Renée erinnerte sich, daß auch ihr Vater zugegen gewesen, der mit seiner traurigen Miene gelächelt hatte. An diesem Tage waren sie, ihre Schwester und sie, im Kinderzimmer auf- und abgeschritten wie zwei große Personen, ohne zu spielen, um sich ja nicht zu beschmutzen. Im Kloster zur »Heimsuchung Maria« aber hatten sie ihre Kolleginen mit ihrem »Pierrotkostüm« geneckt, das ihr bis zu den Fingerspitzen reichte und die Ohren verdeckte, so daß sie während des Vortrages zu weinen begonnen. Und damit man sich nicht mehr über sie lustig mache, hatte sie während der Schulpause die Aermel emporgeschürzt und den Kragen des Leibchens eingeschlagen. Das Korallenhalsband und Bracelet däuchten ihr nun doppelt so schön auf der weißen Haut des Nackens und der Arme. Hatte sie an jenem Tage begonnen, sich nackt zu gefallen?

Ihr ganzes Leben zog an ihrem geistigen Auge vorüber. Sie sah den langen Rausch, dieses Toben des Goldes und des Fleisches, das in ihr immer ärger geworden, das ihr bis zu den Knieen, dann bis zum Bauche und schließlich bis zu den Lippen reichte. Und nun fühlte sie, wie die Fluth über sie hereinbrach und wild pochend an ihr Gehirn hämmerte. Es war das einem schlechten Safte vergleichbar, der ihre Glieder ermattete, ihr Herz mit den Auswüchsen einer schmachvollen Leidenschaft erfüllte und in ihrem Geiste krankhafte, thierische Begierden zeitigte. Dieser Saft hatte seine Herrschaft ausgeübt, wo sie sich auch befinden mochte, in den Kissen ihres Wagens, in anderen Kissen ebenfalls, auf all' diesem Sammt und dieser Seide, welche sie seit ihrer Verheirathung umgaben. Die Schritte Anderer mußten diesen Giftkeim an diesem Orte zurückgelassen haben, welcher sich immer mächtiger in ihren Adern entfaltete. Sie erinnerte sich ganz deutlich an ihre Kindheit. So lange sie klein war, hatte sich nur Neugierde oder Vorwitzigkeit in ihr geregt. Selbst später, nach jener Vergewaltigung, welche sie in die Arme des Schlechten gestoßen, hatte sie soviel Schmach und Schande nicht angestrebt. Gewiß, es wäre ein besseres Wesen aus ihr geworden, wenn sie sittsam bei Tante Elisabeth geblieben wäre. Und deutlich vernahm sie das Klappern der Stricknadeln der Tante, während sie starr in den Spiegel blickte, um in dieser friedlichen Zukunft zu lesen, die ihr entgangen war. Sie sah aber nichts Anderes, als ihre rosigen Schenkel, ihre rosigen Hüften, dieses fremde Weib in rosa Seide, das sie vor sich hatte und das für die Liebe der Puppen und Hampelmänner geschaffen schien. So weit war es mit ihr gekommen; sie war eine große Puppe geworden, deren zerrissene Brust blos noch einen dünnen, schwachen Ton von sich gab. Und angesichts der Scheußlichkeiten ihres Lebens machte sich das Blut ihres Vaters, dieses spießbürgerliche Blut, welches sie in ihren schweren Stunden so erbarmungslos quälte, geltend und empörte sich in ihr. Sie, die bei dem Gedanken an die Hölle stets von Zittern erfaßt worden, hätte ihr Leben eigentlich in den dunkeln Räumen des Hôtels Béraud verbringen müssen. Wer hatte sie denn ganz nackt entkleidet?

Und in dem bläulichen Schatten des Spiegels glaubte sie die Gesichter Saccard's und Maxime's erscheinen zu sehen. Saccard mit schwärzlichem, grinsendem Gesicht, sah eisenfarben aus, sein Lachen erinnerte an eine Beißzange auf dünnen, kleinen Beinen. Dieser Mann bedeutete einen Willen. Seit zehn Jahren sah sie ihn am Hochofen stehen, vom Glanze der glühenden Metalle bestrahlt, mit verbranntem Gesicht, keuchend, stets in Bewegung und Hämmer schwingend, die seine Kraft um ein Zwanzigfaches überstiegen, auf die Gefahr hin, sich selbst mit denselben zu zerschmettern. Nunmehr verstand sie ihn und er erschien ihr groß in seinen übermenschlichen Anstrengungen, in seinen Schurkenstreichen, die er in unerhörtem Maße betrieb, in seinem unablässigen Ringen nach einem ungeheuren Vermögen. Sie sah ihn über alle Hindernisse hinwegsetzen, sich im Kothe wälzen und sich nicht einmal Zeit zum Reinigen nehmen, nur um je früher anzulangen, ohne daß er unterwegs angehalten hätte, um sich des Gewonnenen zu freuen. Hinter den breiten Schultern des Vaters tauchte jetzt der hübsche Blondkopf Maxime's auf, mit seinem einfältigen Mädchenlachen, seinen ausdruckslosen Augen einer Metze, die sich niemals zu Boden senkten und dem Haartheil in der Mitte der Stirne, welches den weißen Schädel sehen ließ. Er machte sich lustig über Saccard, weil sich derselbe so unsägliche Mühe gab, die Reichthümer zu erwerben, welche er mit so herrlicher Lässigkeit verzehrte. Er war ein Ausgehaltener. Seine langen, weichen Hände verriethen sein Laster, sein schlanker Leib hatte die schlaffe Haltung einer gesättigten Frau. In diesem ganzen feigen, widerstandslosen Wesen, durch dessen Adern das Laster sanft wie laues Wasser rollte, verrieth sich nicht einmal der Schimmer des nach dem Schlechten trachtenden Verlangens. Und als Renée die beiden Schatten aus dem Spiegel treten sah, wich sie einen Schritt zurück, denn sie sah, daß Saccard sie wie einen Einsatz, wie ein Betriebsmittel ausgesetzt hatte und daß Maxime zugegen gewesen, um den aus der Tasche des Spekulanten gefallenen Louis aufzuheben. Sie bildete ein Werthpapier in dem Portefeuille ihres Gatten; er drängte sie zu den Toiletten, die sie während einer Nacht benützte, zu den Liebhabern, die sie einen Monat hatte, tauchte sie in die Flammen seines Hochofens, bediente sich ihrer wie eines Edelmetalls, um das Eisen seiner Hände zu vergolden. Und allmälig war es dem Vater gelungen, sie genügend wahnsinnig, genügend schlecht zu machen, um daß sie sich den Küssen des Sohnes hingebe. Wenn Maxime das entartete Abbild Saccard's war, so fühlte sie, daß sie selbst das Produkt, die blutschänderische Frucht dieser beiden Männer, die Infamie sei, welche jene zwischen sich geschaffen und in welche Beide versunken waren.

Nun wußte sie Alles. Diese Leute hatten sie entkleidet. Saccard hatte ihr Mieder gelöst, Maxime die Röcke heruntergezogen und zu Zweien hatten sie ihr das Hemd vom Leibe gerissen. Jetzt stand sie da, ohne einen Fetzen am Leibe und mit goldenen Spangen wie eine Sklavin. Sie hatten sie vorhin gesehen und nicht einmal gesagt: »Du bist ja nackt!« Der Sohn zitterte wie eine Memme, erschrack bei dem Gedanken, sein Verbrechen zu vollenden und weigerte sich, in ihrer Leidenschaft ihr weiter zu folgen. Der Vater aber bestahl sie, statt sie zu tödten; dieser Mann strafte die Leute, indem er deren Taschen leerte. Eine Namensunterschrift fiel gleich einem Sonnenstrahl in die Brutalität seines Zornes und um Rache zu üben, nahm er diese Unterschrift mit sich. Sodann hatte sie die Schultern der Beiden in dem Dunkel der Treppe verschwinden sehen. Und kein Blut auf dem Teppich, kein Schrei, keine Klage. Beide waren feige Memmen und hatten sie nackt ausgezogen.

Und sie sagte sich, daß sie ein einziges Mal die Zukunft gesehen und zwar an dem Tage, da angesichts der murmelnden Schatten des Monceau-Parkes der Gedanke, daß ihr Gatte sie verunglimpfen und eines Tages dem Wahnsinne preisgeben werde, sie inmitten ihrer wachsenden Begierden erschreckt hatte. Ach! wie schmerzte sie ihr armer Kopf! wie deutlich ward sie sich zu dieser Stunde der Unhaltbarkeit jenes Phantasiegebildes bewußt, welches sie hatte glauben machen wollen, daß sie in einer Atmosphäre glücklichen Genießens und göttlicher Straflosigkeit leben werde! Sie hatte im Reiche der Schande gelebt und ward durch das Ersterben ihres Leibes, durch den Tod ihres in den letzten Zügen liegenden ganzen Wesens bestraft. Und sie weinte, weil sie den eindringlichen Stimmen der Bäume kein Gehör geschenkt.

Ihre Blöße reizte sie zum Zorn. Sie wandte den Kopf ab und blickte um sich. In dem Ankleidezimmer herrschte noch immer die schwere, von Düften gesättigte Luft, dieselbe warme Stille, welche die Walzertöne nur noch wie die sich immer mehr verbreiternden Kreise des Wassers berührten, in welches ein Stein geworfen worden. Diese fernen Klänge einer übersprudelnden Lebenslust machten auf sie den Eindruck unerträglichen Spottes. Sie hielt sich die Ohren zu, um nichts zu hören. Dafür sah sie nun den wollüstigen Luxus des Gemaches. Sie erhob den Blick zu dem rosafarbenen Zelt, bis zu der silbernen Krone, welche einen pausbäckigen Amor sehen ließ, der sich anschickte, seinen Pfeil abzuschnellen; sie betrachtete die Möbel, den Marmor des Toilettetisches, welchen eine Menge von Töpfen und Toilette-Geräthschaften bedeckte, die sie nicht mehr erkannte; sie schritt zu der noch gefüllten Badewanne, deren Wasser sich nicht regte und stieß mit dem Fuße an das Kostüm der Nymphe Echo, an die Röcke und gebrauchten Tücher, die auf dem Boden umherlagen. Und all' diese Dinge verkündeten mit lauter Stimme ihre Schmach: das Nymphenkostüm sprach ihr von dem Spiele, in welches sie eingewilligt hatte, um der Originalität wegen sich Maxime vor allen Leuten anzubieten; der Badewanne entströmte der Duft ihres Körpers, das Wasser, welches ihre Glieder umspült, erfüllte den Raum mit ihrem Fieber der kranken Frau und der Tisch mit seinen Seifen und Oelen, die Möbelstücke mit ihren weichen Rundungen redeten brutal von ihrer Sinnlichkeit, ihren Liebschaften, von all' diesem Unflath, den sie vergessen wollte. Wieder kehrte sie in die Mitte des Gemaches zurück; ihr Antlitz war purpurroth und sie wußte nicht, wohin sie vor diesem Alkovenduft, diesem Luxus fliehen sollte, der sich mit schamloser Zudringlichkeit rosenroth vor ihr ausbreitete. Das Gemach war ebenso nackt wie sie; die rosa Badewanne, die rosenrothen Tapeten, die rosenfarbenen Marmorplatten der beiden Tische belebten sich, streckten und dehnten sich und umgaben sie mit solch' wollüstigen Bildern, daß sie die Augen schloß und den Kopf senkte, als lasteten die Wände und die Decke auf ihr.

Doch trotzdem sie die Augen geschlossen hielt, sah sie das fleischfarbene Ankleidezimmer vor sich, gleichwie die grauen Seidenvorhänge des Schlafgemaches, das gedämpfte Gold des kleinen Salons, das satte Grün des Treibhauses, – all' diese Reichthümer, die ihre Mitschuldigen waren. Dort hatte sie die schlechten Säfte eingesogen. Auf dem elenden Lager eines kahlen Mansardenstübchens hätte sie nicht mit Maxime geschlafen. Das wäre zu gemein, zu niedrig gewesen. Die Seide hatte ihrer Schuld den Anstrich des Koketten verliehen. Und sie wollte all' diese Spitzen von den Wänden reißen, auf diese Seide speien, ihr großes Bett mit Fußtritten zertrümmern, ihren ganzen Luxus durch die Gosse zerren, damit er abgenützt und verunreinigt gleich ihr wieder zum Vorschein komme.

Als sie die Augen wieder öffnete, trat sie zum Spiegel und betrachtete sich von Neuem. Es war zu Ende mit ihr und sie sah sich todt. Ihre ganze Physiognomie sagte ihr, daß die geistige Zerrüttung Fortschritte mache. Maxime, diese letzte Verirrung ihrer Sinne, hatte das Werk vollbracht, ihre Kräfte erschöpft, ihren Geist gebrochen. Sie hatte keine Freuden mehr zu verkosten, kein Erwachen zu erwarten. Bei diesem Gedanken regte sich ein wilder Zorn in ihr. Und in einer letzten Krise brennenden Verlangens wollte sie ihre Beute wieder an sich reißen, in den Armen Maxime's sterben und ihn mit sich nehmen. Luise konnte ihn nicht heirathen; Luise wußte, daß er nicht ihr gehöre, denn sie hatte es mitangesehen, wie sie einander umarmt und geküßt. Sie warf einen Pelzmantel um ihre Schultern, um nicht nackt unter den Leuten zu erscheinen und stieg hinab.

Im kleinen Salon fand sie sich Frau Sidonien gegenüber, die neuerdings an der Thür des Treibhauses Stellung genommen, um das sich vorbereitende Drama zu genießen. Sie wußte aber nicht, was sie sich denken sollte, als Saccard mit Maxime zum Vorschein kam und ihre mit leiser Stimme gestellten Fragen brutal dahin beantwortete, daß sie wohl geträumt habe und daß »absolut nichts« gewesen sei. Dann ward ihr der Zusammenhang klar. Ihr gelbes Gesicht wurde ganz bleich; die Sache erschien ihr wirklich stark. Und vorsichtig drückte sie das Ohr an die Thür der Treppe, da sie glaubte, sie werde Renée oben weinen hören. Als die junge Frau die Thür öffnete, traf dieselbe beinahe den Kopf ihrer Schwägerin.

»Sie spioniren also hinter mir?« fragte sie zornig.

Frau Sidonie aber erwiderte voll edler Verachtung:

»Kümmere ich mich etwa um Ihre Unfläthigkeiten?«

Und ihren Magiertalar zurechtziehend, entfernte sie sich mit einem hoheitsvollen Blick, indem sie sagte:

»Ich bin ganz unschuldig daran, mein Schatz, wenn Ihnen Unannehmlichkeiten widerfahren ... Ich bin aber keine rachsüchtige Person, das halten Sie stets vor Augen, ebenso, daß Sie in mir eine zweite Mutter gefunden hätten und immer noch finden würden. Wann immer Sie bei mir vorsprechen, sollen Sie mir willkommen sein.«

Renée vernahm ihre Worte gar nicht. Sie trat in den großen Salon und wanderte mitten durch eine sehr komplizirte Kotillonfigur, ohne gar das Erstaunen zu bemerken, welches ihr Pelzmantel erregte. In der Mitte des Raumes standen Damen und Herren, die sich unter einander mengten, während die Stimme des Herrn von Saffré sprach:

»Vorwärts, meine Damen; nun kommt der »Krieg von Mexiko« ... Die Damen, welche das Gesträuch darstellen, setzen sich mit ausgebreiteten Röcken auf die Erde ... Darauf umtanzen die Herren das Gesträuch und sobald ich in die Hände klatsche, tanzt jeder Herr mit seiner Dame.«

Er klatschte in die Hände, das Orchester fiel ein und noch einmal jagte der Walzer die Paare durch den Salon. Die Figur fand nur geringen Beifall. Zwei Damen waren auf dem Teppich sitzen geblieben, da sie sich in ihre Röcke verwickelt hatten. Frau Daste erklärte, daß an dem »mexikanischen Kriege« nichts weiter Ergötzliches sei, als daß sie einen großen »Käse« machte, wie in der Schule.

Im Vestibule angelangt, fand Renée Luise und deren Vater vor, die von Saccard und Maxime begleitet wurden. Baron Gouraud hatte sich bereits entfernt. Frau Sidonie zog sich in Gesellschaft der Herren Mignon und Charrier zurück, während Herr Hupel de la Noue Frau Michelin begleitete, deren Gatte von Weitem folgte. Der Präfekt hatte den Rest des Abends dazu verwendet, der brünetten Schönheit den Hof zu machen und sie schließlich bewogen, in der schönen Jahreszeit einen Monat in dem Hauptorte seines Departements zu verbringen, »wo es wirklich sehenswürdige Antiquitäten gebe.«

Luise, die den Mandelkuchen, den sie in der Tasche hatte, insgeheim verzehrte, ward von einem Hustenanfall erfaßt, als man das Vestibule verlassen wollte.

»Hülle Dich gut ein,« ermahnte ihr Vater.

Und Maxime beeilte sich, die Schnüre ihrer Umhülle fester zusammenzuziehen. Sie hob dabei das Kinn empor und ließ ihn gewähren. Als aber Frau Saccard erschien, trat Herr von Mareuil zurück, um von ihr Abschied zu nehmen. So blieben sie Alle einen Augenblick plaudernd stehen. Um ihre Blässe, ihr Frösteln zu erklären, sagte Renée, es sei ihr kalt gewesen und sie sei darum hinaufgegangen, um diesen Pelz umzunehmen. Dabei lauerte sie auf einen Moment, um Luise, die sie mit ruhiger Neugierde betrachtete, einige Worte zuflüstern zu können. Jetzt reichten sich die Herren die Hände und da neigte sie sich zu ihrem Ohr mit den Worten:

»Sie werden ihn doch nicht heirathen, wie? Das wäre gar nicht möglich, denn Sie wissen ja ...«

Das junge Mädchen fiel ihr aber ins Wort, indem sie sich auf die Fußspitzen emporrichtete und ebenfalls flüsternd erwiderte:

»Oh, seien Sie ganz unbesorgt, denn ich nehme ihn mit mir ... Das hat gar nichts zu sagen, da wir nach Italien reisen.«

Und sie lächelte; es war das geheimnißvolle Lächeln einer lasterhaften Sphinx. Renée war sprachlos. Sie verstand sich nicht auf dieses Geschöpf und meinte, die Buckelige wolle sich über sie lustig machen. Als dann Vater und Tochter fort waren, nachdem sie mehrmals wiederholt hatten: »Auf Wiedersehen am Sonntag!« blickte sie ihren Gatten, blickte sie Maxime aus großen, entsetzten Augen an und da sie Beide so ruhig, so befriedigt sah, schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen und flüchtete in die Tiefe des Treibhauses.

Hier war Alles einsam und verlassen. Die großen Blätter schliefen und auf der regungslosen Wasserfläche des Bassins erschlossen zwei Nymphäen langsam ihre Knospen. Renée hätte weinen mögen; diese feuchte Wärme, dieser durchdringende Geruch aber, den sie wiedererkannte, packte sie in der Kehle, legte sich wie eine würgende Faust um ihre Verzweiflung. Sie blickte zu ihren Füßen, zu dem Rande des Bassins nieder, auf dieselbe Stelle des gelben Sandes, wo sie im vergangenen Winter die Bärenhaut ausgebreitet hatte und als sie den Kopf emporhob, sah sie durch die zwei offen gebliebenen Thüren abermals eine Kotillonfigur.

Im großen Salon herrschte jetzt ein betäubender Lärm, ein tolles Gewühl, in welchem sie vorerst nichts Anderes unterschied als flatternde Frauenkleider und stampfende, hüpfende schwarze Beine. Die Stimme des Herrn von Saffré schrie: »Die Damen wechseln! Die Damen wechseln!« Und die Paare wirbelten in einer dünnen, gelblichen Staubwolke dahin; jeder Herr warf seine Dame, nachdem er drei oder vier Walzertouren mit ihr gemacht, in die Arme seines Nachbars, der ihm dafür die seinige überließ. Die Baronin von Meinhold gelangte in ihrem Smaragdkostüm aus den Händen des Grafen von Chibray in die des Herrn Simpson; er fing sie auf gut Glück bei den Schultern auf, während die Spitzen seiner Handschuhe in ihr Mieder glitten. Ganz roth im Gesichte, ihre Korallenschnüre schüttelnd flog die Comtesse Vanska von der Brust des Herrn von Saffré an die des Herzogs von Rozan, den sie umschlang und während fünf Minuten mit ihr zu tanzen zwang, um sich dann an den Hals des Herrn Simpson zu werfen, der seinen Smaragd dem Führer des Kotillons zugewirbelt hatte. Und Frau Teissière, Frau Daste, Frau von Lauwerens funkelten gleich lebenden Edelsteinen, während sie sich in die Arme eines Tänzers schmiegten, um von denselben gleich wieder losgelassen zu werden und gerade oder rücklings in eine neue Umarmung zu taumeln, auf diese Weise die Umschlingung aller im Saale anwesenden Männer verkostend. Frau von Espanet aber war es gelungen, vor dem Orchester Frau Haffner aufzufangen und nun tanzte sie mit ihr, ohne sie freizugeben. Gold und Silber walzten verliebt mit einander.

Nun verstand Renée diesen Wirbel der Röcke, dieses Stampfen der schwarzen Beine. Sie stand tiefer unten und sah das Toben der Füße, das Gewirr der glänzend schwarzen Schuhe und weißen Knöchel. Mitunter schien es ihr, als sollte ein Windstoß all' diese Röcke entführen. Die nackten Schultern und nackten Arme, die flatternden Haare, die vor- und rückwärts geworfen wurden, däuchten ihr ein lärmendes Abbild ihres eigenen Lebens, ihrer Leidenschaften und Schamlosigkeiten zu sein. Und sie empfand einen so grimmigen Schmerz bei dem Gedanken, daß Maxime, um die Buckelige in die Arme zu schließen, sie an diesem Orte, wo ihre Liebe so flammend über sie zusammengeschlagen, erbarmungslos zurückgelassen, daß sie einen Zweig des giftigen Tanghin, der ihre Wange streifte, abbrechen und bis auf die Holzfasern abnagen wollte. Sie war aber feige und blieb fröstelnd vor dem Strauch stehen, während ihre Hände wie in tiefer Scham den Pelzmantel eng über ihre nackten Gliedmaßen zogen.


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