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Es gibt keinen modernen Zeitungsartikel, keinen Aufsatz und schon gar keine politische Rede oder ein Buch, in dem nicht bis zum Ueberdruss das Wort »Raum« in den verschiedenartigsten Zusammensetzungen vorkäme. Man spricht von der Beherrschung des Raums, von Raumgestaltung, Ueberwindung des Raums und vom europäischen, amerikanischen, asiatischen Raum, vom Lebensraum und vom Volk ohne Raum.
Ein Begriff, dem man in den vergangenen Jahrzehnten kaum begegnet ist, taucht in einer Häufigkeit auf, die darauf schliessen lässt, dass er für die Menschen auf einmal ausserordentlich wichtig geworden ist. Freilich trägt das Wort »Raum« auch den Charakter eines Modewortes. Man gebraucht es gerne gedankenlos auch dort, wo man früher andere Vokabeln verwendet hat. Mit dieser Erklärung allein kommt man aber nicht aus. Es handelt sich um mehr. Der Raum, unter dem man jeweils einen Teil der Erdoberfläche, also Länder und Meere versteht, will als eine auf den Menschen bezogene Geographie aufgefasst werden. Man beginnt die Landschaft im Zusammenhang mit den Menschen zu betrachten und noch weitergehend, den Menschen nicht ohne Zusammenhang mit der Landschaft.
Im Bereiche der deutschen Wissenschaft gibt es eine Reihe von Gelehrten und Dichtern, die sich diese Betrachtungsweise zu eigen gemacht haben. Es handelt sich hier um eine wichtige, ja umstürzende Erscheinung in der Betrachtung des Menschen und der Welt, aus der sich viele Schlüsse ziehen lassen.
Der Mensch wird durch die Entwicklung der Technik aus seiner Stabilität – sagen wir ruhig noch einmal »Erdgebundenheit« befreit, er wird in einem bestimmten Mass vom Boden unabhängig. Aus der Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse in den meisten Ländern des Abendlandes entsteht für den Einzelnen die Möglichkeit, seinen Lebensgewohnheiten an tausenden von geographischen Punkten in der gleichen Weise nachzugehen. Die Weltwirtschaft versorgt alle Länder mit Markenartikeln, Lebensmitteln, Kleidern, Vergnügungsstätten, Unterkünften und Unterhaltungsmitteln der gleichen oder überaus ähnlichen Art. Der Mensch findet überall, wohin er kommt, eine »gewohnte« Umgebung. Die Differenzen sind insbesondere im Bereiche der gleichen Nation ausserordentlich gering – er fühlt sich überall »daheim« – er wird durch die moderne Verkehrstechnik nicht etwa zum Nomaden, sondern zu einem der überall die gleiche Heimat findet, zum Weltbürger. Man gewöhnte sich daran den Menschen »freizügig« zu sehen, durch die Technik in die Lage versetzt, überall gleich – und wohl zu leben.
Die Landschaft andererseits war man gewohnt als ein politisches Herrschaftsterritorium, als Ertragsboden oder Oedland, auf jeden Fall aber innerhalb der politischen Machtgrenzen als käuflichen, veräusserlichen und belehnbaren Grund zu betrachten. Der Zusammenhang zwischen Mensch und Boden war in rein wirtschaftliche Bindungen aufgelockert. Freilich gab es ausserdem noch die Landschaft als Erholungsplatz, die Sommerfrische, das Reiseland, das Sportrevier. Aber die Beziehungen des Menschen zu diesen Erscheinungsformen der Landschaft standen zu ihm nur in einer mittelbaren Beziehung.
Das Erscheinen des »Raumbegriffs« als der Erkenntnis eines viel innigeren und sogar unlösbaren Zusammenhangs zwischen Mensch und Boden kündigt eine Wandlung in der Weltbetrachtung an, aus der lange noch nicht alle Konsequenzen gezogen sind. Wir stehen vor der Umwandlung des Weltbürgers in einen Patrioten, der Umwandlung der Staaten in Vaterländer.
General Haushofer, ein deutscher Gelehrter, hat den Begriff der »Geopolitik« erfunden. Er will mit seiner Lehre beweisen, dass sich die Geschichte und die Politik, als künftige Geschichte, nach den Gesetzen des Raumes vollzieht.
Aufbauend auf die Lehren des berühmten Prager Germanisten Sauer, hat Josef Nadler eine »Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften« geschrieben, in der er die rein chronologische, wie die rein ideengeschichtliche Literaturbehandlung in den Hintergrund stellend, die landschaftliche und stammesmässige Herkunft der deutschen Literatur beschreibt, die Werke der deutschen Literatur in ihrem Zusammenhang mit der Landschaft, in der sie entstanden sind oder aus der ihre Schöpfer stammen, darstellt.
Es ist leicht, die gleiche Lehre auf verschiedenen anderen Gebieten aufzustellen: dem Gebiet der Wirtschaft, der Kunst in allen Zweigen, der Baukultur, der Medizin u. v. a.
Es wird die Behauptung aufgestellt, dass das Land oder besser gesagt »die Landschaft« von ungeheurer Wirkung auf den Menschen ist, von einer Wirkung, der er sich auch durch die modernsten Errungenschaften der Technik nicht entziehen kann. Man beginnt in Europa die menschen- und charakterbildende Kraft der Landschaft zu begreifen. Die praktischen Schlussfolgerungen aus dieser Erkenntnis werden vielleicht erst nach einigen Jahrzehnten gezogen werden können. Es steht aber schon heute unumstösslich fest, dass sie einmal gezogen werden müssen.
Niemand wird leugnen, dass die Amerikaner in wenigen Jahrhunderten, aus allen Völkern zusammengewandert, unter Ausschluss der Farbigen zu einer Nation geworden sind, zu Menschen von grosser innerer Aehnlichkeit und gemeinsamen Grundzügen des Lebens. Diese Wandlung von Deutschen, Slaven, Romanen zu Amerikanern lässt sich nur aus der Einwirkung des Landes auf die Menschen erklären. Ein Freund sah bei seiner Ankunft in New-York zum ersten Mal die Wolkenkratzer und hörte die landläufige Erklärung für ihre Entstehung, die man auf den Raummangel der Halbinsel Manhattan zurückführt. Er erzählte mir, dass er im ersten Augenblick begriffen habe, dass diese Erklärung falsch sei. Diese Wolkenkratzer sind in ihrer Form Abbilder der Denkmäler der verschollenen uramerikanischen Kulturen, von denen uns nur rätselhafte Ruinen geblieben sind, – Neugestaltungen, die der Dämon der Landschaft in unserer Zeit neu erstehen Hess.
In Wien und seiner Landschaft sind ungewöhnlich viele und grossartige Werke der Musik entstanden. Es waren nicht nur Wiener oder Oesterreicher, deren Fühlen und Denken sich hier in unvergängliche Tonwerke umsetzte. Auch Fremden löste sich in dieser Landschaft das Herz. Beethoven, Brahms haben hier geschaffen. Der Genius loci? Ja, aber was ist der Genius loci? Ist er nicht das, was wir meinen: Der Geist der Landschaft?
Der bäuerliche Mensch, der an seine Scholle gebunden ist, gibt uns naturgemäss ein leichtes Beispiel. Seine Lebensweise ist abhängig von der Lage seiner Wirtschaft. Liegt sie hoch in den Alpen oder hoch im Norden, so reifen ihm nur wenige Arten von Getreide. Er betreibt je nach der Lage seines Besitzes Ackerbau oder Viehwirtschaft. Er hat je nach der Lage seines Bodens einen langen harten Winter, einen kurzen Sommer, er ist Gewittern ausgesetzt oder bleibt von ihnen verschont, er hat steile oder bequeme ebene Felder. Alle diese Gegebenheiten haben ihren gewaltigen Einfluss auf die physische und psychische Gestaltung des Menschen. Nicht von heute auf morgen. Aber im Laufe von Generationen.
Hiebei wäre einzuwenden, dass auch die moderne, die technische Zeit mit ihren Fabriken, mit ihren Maschinen, ihren Büros und Grosstädten einen einheitlichen »technischen« Menschen geschaffen haben muss. Dass die durch die Technik herbeigeführte »Gleichschaltung« die Lebensverhältnisse in den Städten und in den Industriebezirken einen eigenen Typ zu schaffen im Stande gewesen sein musste. Den Menschen unserer Zeit. Den modernen Menschen, dessen Freizügigkeit wir früher beschrieben haben.
Diese Annahme ist nur zum Teil richtig. Die Technik war nur zu einem geringen Teil im Stande, den Menschen aus seiner Bindung mit dem Boden zu lösen. Man bedenke, dass wir kaum irgendwo einen Arbeiter in der dritten Generation finden. Der Boden aber entlässt die ihm zugehörigen Menschen nur an eine neue stärkere Bindung, nicht aber an eine so lose und so labile, wie es die Verhaftung des modernen Menschen an die Technik und an die Grosstadt ist.
Wir erleben in unseren Tagen das Phänomen der Wiederentdeckung des Bodens als schicksalshafte Kraft.
Deshalb dürfte es auch falsch sein aus den Theorien über die bloss rassenmässige Zusammensetzung des Menschen ein Weltbild zu entwickeln. Es zeigt sich, dass die Erde, auf der der Mensch lebt, geheimnisvolle Kräfte zu vermitteln im Stande ist, die wir nicht kennen. Kräfte, die stärker sind als die Erfindungen und Theorien des XIX. Jahrhunderts. Und es zeigt sich offenbar, dass die Seele des Menschen komplizierter ist als es manche Psychologen und Psychoanalytiker anzunehmen belieben.
Aus der Erkenntnis des Raumes als einer im Menschen wirksamen Kraft leitet sich für uns in Oesterreich die Unzulänglichkeit und Ueberlebtheit des nationalsozialistischen Volksbürgerstaates ab. Diese Erkenntnis führt, ins politische transponiert, geradewegs und exklusiv zum föderalistischen Staat, sie führt zur Ablehnung des Biologismus, wie man die hypertrophe Art des Materialismus nennt, zur Ueberzeugung, dass die Lösung der Fragen unserer Zeit letzten Endes davon abhängt, ob es gelingt, die labil gewordenen Menschen nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in ihrem Raum zu ordnen und ihnen die richtige Verbindung mit dem Grund und Boden zu geben.
Oesterreich ist klimatisch wie menschlich wohltemperiert, hat Hans von Hammerstein einmal gesagt. In einer angenehmen Mittellage (zwischen dem Kind Italien und dem Manne Deutschland, meint Grillparzer) besitzt es auf seinem Boden Hochgebirge, Mittelgebirge und Ebene. Von allen Extremen der Bodengestaltung führen sanfte Uebergänge zum Gemässigten und Mittleren. Gegen den Süden ist das Land durch hohe Bergketten abgesperrt, gegen Norden dachen sich die Alpen sanft ab – der Donaustrom weist nach dem Osten. Alle bedeutenden Flüsse des Landes strömen in fremdsprachiges Siedlungsgebiet. Die Erde hat reiche Schätze. In den Alpen wird Eisen, Blei, in kleinem Mass auch Kupfer und Gold abgebaut. Die Berge tragen bedeutenden Holzreichtum. Im Wiener Becken entstand in der Nähe der Metropole des alten Reiches eine vielfältige Industrie.
Die Oesterreicher leben etwa zur Hälfte in Städten. Das darf nicht über den bäuerlichen Grundcharakter des Nachkriegsstaates hinwegtäuschen. Der ungewöhnlich grosse Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerungszahl ist dadurch erklärlich, dass allein in Wien etwa 30 % der Gesamtbevölkerung Oesterreichs lebt.
Der nationalsozialistische Staat ist der Staat des Volkes ohne Raum. Sein Nationalismus ist programmatischer Art. Sein Patriotismus ist die Anhänglichkeit an eine weltanschauliche Doktrin.
Der Oesterreicher sieht den Staat als Ordnung der Verhältnisse zwischen Mensch und Raum. Sein Nationalismus steht in einem unlösbaren Zusammenhang mit seinem Land. Sein Patriotismus hat die Liebe zum Land, zum Vaterland als Ausgangspunkt.
Der Nationalsozialismus als Doktrin ist ein Ersatz für den echten Patriotismus, der sich, da ihm die Verbindung mit dem Boden verloren gegangen ist, in religiöse Spekulationen und Regimenter flüchtet.
Das Weltbild des Oesterreichers ist ohne sein Land nicht denkbar. Das Weltbild des Nationalsozialisten ist ohne Land denkbar.
Der »deutsche Volksgenosse« ist ein fiktiver Typ. Der Oesterreicher ist eine in einem wunderschönen Land tatsächlich lebende Realität.
Für den Nationalsozialisten gibt es das Gesetz des Blutes, für den Oesterreicher das Gesetz der Landschaft.
Die Ordnung des Raumes zwischen Donau, Moldau und Theiss war die Aufgabe des alten Oesterreich. Weil Oesterreich nicht mehr ist, wird im Verlauf der kommenden Jahre der Streit in diesen Gebieten und um diese Gebiete nicht aufhören. Die Bildung von Nationalstaaten ohne bedeutende Minderheiten ist in Südosteuropa nicht möglich. Solange aber diese Minderheiten von irgend einer interessierten Grossmacht unter ihren Schutz genommen werden, wird an den Wirtshaustischen der Nachfolgestaaten europäische Politik betrieben, die Frage des Friedens in Europa entschieden werden. Wir werden – Zwischenlösungen vorbehalten – bald soweit sein, dass ein unkluger Lehrer, ein schneidiger Bürgermeister in einem Bezirk, den vorher niemand kannte, die Dorfburschen oder die Turnvereine von Novisad die Welt zum Erzittern bringen.
Es gibt für diese unruhige Lage zwei Lösungsmöglichkeiten: Entweder es übernimmt das deutsche Reich die absolute Herrschaft über Südosteuropa oder man schafft einen Ordnungs- und Friedensfaktor, der in sich stark genug ist, um die friedliche Entwicklung in diesem Raum zu garantieren.
Die Oberherrschaft des deutschen Reiches wird auf lange Sicht ohne Zweifel bestritten und bekämpft werden. Grenzziehungen sind in diesem Gebiet ausserordentlich schwer. Also wird es früher oder später im wohlverstandenen Interesse der europäischen Staaten und des deutschen Volkes liegen, die Ordnung im südosteuropäischen Raum einem starken Ordnungsfaktor zu übertragen.
Wir sprechen bei einer nüchternen Betrachtung der Zukunft des Raumes zwischen Moldau und Donau offenbar von der Konstruktion eines Staates oder Staatenbundes – eines Bundes von Nationen, der eine ganz bestimmte Aehnlichkeit mit dem ehemaligen grossoesterreichischen Staatswesen besitzen würde.
Bei dieser Spekulation ist die Möglichkeit einer reinen Machtpolitik von Seite des deutschen Reiches nicht in Betracht gezogen. Die Auswirkungen einer solchen Politik führen entweder zur unbestrittenen Herrschaft des deutschen Reiches über Europa, bei der Siedlungs- und Nationalitätenfragen keine Rolle spielen, oder zu einer neuerlichen Zertrümmerung des deutschen Reiches. Einen Mittelweg gibt es nicht.
Wir haben gesagt, dass eine der Hauptschwierigkeiten des Raumes, um den es sich handelt, darin besteht, gerechte und haltbare Grenzen zu ziehen. Aus der Erkenntnis der Notwendigkeit einer gesicherten Grenze ist Oesterreich einst entstanden.
Im Jahr 996 findet sich zum ersten Male in der Geschichte der Name »Oesterreich«, es hiess in der Urform »Ostarichi«, was soviel bedeutet, wie Reich im Osten. Man verstand unter dieser Bezeichnung das Land, das zwischen den Flüssen Enns und Leitha liegt, das etwa tausend Jahre lang Oesterreich hiess, im Jahre 1938 aber von Adolf Hitler auf Niederdonau umbenannt wurde.
Der deutsche Kaiser Otto II. übergab dieses Grenzgebiet einem Grafen von Babenberg aus altem ostfränkischem Geschlecht zur Verwaltung.
Die Babenberger aber verwalteten das Land nicht nur, sie verteidigten es gegen die Anstürme die von Osten gegen das Herz Europas heranbrandeten.
Dieser Babenberger Hof in Wien wurde der Mittelpunkt reichen geistigen Lebens. Hier hat Walther von der Vogelweide gesungen, Reinmar der Zweter, Striker, Neidhart von Reuenthal. In dieser Welt der Babenberger hat ein unbekannter Dichter des Landes das Nibelungenlied, das gewaltigste Nationalepos der Deutschen aufgeschrieben.
Unter Heinrich Jasomirgott wird der Zusammenhang mit dem Bayrischen Stammesherzogtum gelöst und Oesterreich wird ein eigenes Herzogtum, seine Fürsten reichsunmittelbare Herren.
Im Jahre 1273 wurde Rudolf von Habsburg zum deutschen Kaiser gewählt. 1282 belehnte er seine Söhne mit Oesterreich und Steiermark. Damit trat das Haus Habsburg seine Herrschaft über Oesterreich an, die es bis zum Jahr 1918, also 636 Jahre ausübte.
Ein Familienvertrag, der am 18. November 1364 errichtet worden war, bestimmte, dass alle Herzoge den gleichen Titel führen und ihre Länder und Güter gemeinsam besitzen sollten, allerdings wurden dem Aeltesten bestimmte Vorrechte eingeräumt. In diesem Jahre ging also der Name Oesterreich auf das Gesamthaus der Habsburger über, das von nun ab »Haus Oesterreich« hiess. Das Haus Oesterreich übertrug nun diesen Namen, der ursprünglich dem kleinen Ländchen gebührte, in dem auch Wien liegt, auf alle Gebiete, über die es herrschte. Das ursprüngliche Land Oesterreich blieb aber der Ausgangspunkt der Habsburgischen Macht.
Die geographische Lage dieses Ausgangspunktes bestimmte das, was man später mit den Namen »habsburgische Hausmachtpolitik« bezeichnete. Man vergisst im Zeitalter der Eisenbahnen, Autostrassen und Flugzeuge allzuleicht, dass in jenen frühen Zeiten die Verwurzelung eines Herrscherhauses mit dem Grund und Boden eine viel innigere war, als wir es uns heute vorstellen können. Die habsburgische Hauspolitik war Raumpolitik, organische Raumpolitik im modernsten Sinn. Es ist deshalb unzutreffend, wenn man der Politik des Hauses Oesterreich ein anderes Gesetz in der Grundlinie unterlegt als das ewige Gesetz des Raums, das durchaus nicht erst im zwanzigsten Jahrhundert erfunden worden ist.
Ferdinand I., der die Wahl zwischen Wien und Prag hatte, wählte Wien zu seiner Residenzstadt aus geopolitischen Gründen.
Die Vereinigung der drei Ländergruppen: Oesterreich, Böhmen und Ungarn wurde von Böhmen, von Ungarn und von Oesterreich aus, angestrebt. Als eine Vision der künftigen Grösse vereinigte zuerst, was schon sein grosser Vorgänger Rudolf IV., der Stifter angestrebt hatte, Albrecht V., der auch deutscher König war, den ganzen Raum für die Dauer von zwei Jahren.
Im Jahr 1515 verband sich das Haus Habsburg mit der Dynastie der Jagellonen, die Böhmen und Ungarn beherrschte. Kaiser Maximilian I., »der letzte Ritter«, hatte als Erzherzog die Tochter des Herzogs Karl des Kühnen, die Erbin von Burgund geheiratet; durch diese Hochzeit kam Habsburg in den Besitz von Burgund. Durch die Hochzeit des Jahres 1515 erwarb das Haus Oesterreich den Anspruch auf die Herrschaft in den Königreichen Böhmen und Ungarn. Man prägte den Spruch, der bis heute lebendig geblieben ist: Bella gerant alii, tu felix Austria nube!
Im Jahre 1526 wurde der ungarisch-böhmische König Ludwig II. aus dem Hause der Jagellonen von den Türken vernichtend geschlagen und ertrank in den Sümpfen von Mohacs. Auf Grund des von Kaiser Maximilian I. geschlossenen Erbvertrages übernahm nun das Haus Oesterreich die Herrschaft über Böhmen und Ungarn.
Vorerst begründeten die Habsburger eine Union, die die drei Länder Oesterreich, Böhmen und Ungarn unter einem gemeinsamen Herrscher vereinigte. Die Habsburger waren bestrebt die Kräfte dieser drei Länder auf einer gemeinsamen Linie zu sammeln. Deshalb vereinheitlichten sie alle jene Behörden, die zur gemeinsamen Verteidigung der neuen Macht notwendig waren, also die militärischen und finanziellen Verwaltungsstellen.
Das Haus Habsburg, die Casa d'Austria, erlebt in ihrem deutschen und ihrem spanischen Zweig in den kommenden Jahrhunderten Weltherrschaft, Kampf, Niedergang und Wiederaufstieg.
Die Geschichte bringt es mit sich, dass das Haus aus Reformation und Gegenreformation und dem langen Krieg mit neuen Aufgaben in die neue Zeit eintritt. Als »dux generalis Christianorum natus«, wie Gottfried Wilhelm Leibnitz, der Philosoph, den Kaiser nennt, hat er die Aufgabe, die christlich-abendländische Kultur im Osten zu verteidigen.
Das türkische Heer erscheint 1683 vor Wien an den Toren des Abendlandes, bereit Europa bis in den Westen zu überfluten. Die Stadt hält unter dem Kommando des Grafen Rüdiger von Starhemberg dem Ansturm stand.
In den folgenden Jahren eroberte der Kaiser, mit Ausnahme des Banats, ganz Ungarn und Siebenbürgen.
Für Oesterreich brach eine Zeit des Glanzes und der Herrlichkeit an. Wien ist der Mittelpunkt Europas geworden. Hier residiert der Kaiser und hält Hof nach spanischem Zeremoniell, hier sitzen die Behörden des Reiches mit ihren Beamten, hier die böhmischen, ungarischen, italienischen und niederländischen Kanzleien. In Wien trifft sich die Welt. Es ist kein Wunder, dass dieses internationale Leben, das für Jahrhunderte seinen Sitz in Wien hatte, dem Gesicht der Stadt, dem Gesicht des Landes seinen Stempel aufdrückte.
Die Tochter Karls VI., die grosse Kaiserin Maria Theresia, die Mutter Josef II. und Mutter zugleich der unglücklichen Marie Antoinette verteidigte ihr Land gegen die neuaufsteigende Macht Preussens.
Vierzig Jahre von 1740 bis 1780, hat die grosse Kaiserin regiert. Aber was waren das für vier Jahrzehnte! Obwohl sie sieben Jahre lang in einen erbitterten Krieg gegen den Preussenkönig verstrickt war, geschahen im Bereiche der Monarchie Wunderwerke der Verwaltungsreform, des staatlichen Aufbaus, der Kolonisation, der deutschen Siedlung, der Kultur. Die Wurzeln des kulturellen Lebens im Gebiet von Südosteuropa, das kann auch heute noch ohne Uebertreibung gesagt werden, gehen von Maria Theresia aus. Auf dem Boden, den sie bereitet hat, entstanden die nationalen Eigenkulturen der kleineren Völkerschaften, die in der alten Monarchie vereinigt waren. Schulen wurden gegründet, Flüsse reguliert, Kanäle gebaut, das Land entsumpft, Urwälder gerodet, der Ackerbau gefördert, Industrien begründet. In Ungarn, Siebenbürgen, der Bukowina, in Böhmen, Mähren, Galizien, in Kroatien und Slavonien wurde von Maria Theresia eine der bedeutsamsten Kulturleistungen der Menschheitsgeschichte vollbracht, während der König von Preussen das österreichische Schlesien eroberte.
Im Wien der Kaiserin Maria Theresia wirkten und schufen Haydn und Mozart. In ihren Ländern wuchs Bildung, Kunst, Wissenschaft und Wohlstand.
Ihr Sohn Joseph II. war von den neuen Ideen in der Welt begeistert. Er war seiner Zeit voraus und manches Wort, das er gesprochen hat, zeugte von der Grösse seines Weltbildes.
»Die deutsche Sprache ist die Universalsprache des Reiches. Ich bin Kaiser des deutschen Reiches, demzufolge sind die übrigen Staaten, die ich besitze Provinzen, die mit dem ganzen Staat in Vereinigung einen Körper bilden, wovon ich das Haupt bin.«
Joseph II. setzte die Kulturarbeit seiner Mutter fort. Wenn auch die grosszügigen Reformen, die er plante und in Angriff nahm, nicht zu einem glücklichen Ende kamen, so bleibt er doch eine der interessantesten Herrschergestalten der Geschichte.
Napoleon I. zertrümmerte die staatliche Organisation Mitteleuropas. Nur die österreichische Monarchie bot ihm gewaltigen Widerstand. Gegen die alles erfassende Idee des napoleonischen »sacrum romanum Imperium« stand allein die von Oesterreich repräsentierte Reichsidee. Im Jahre 1804, als Deutschland in sich zerfallen, ein Spielball der napoleonischen Politik geworden war, proklamierte Franz I. das Kaisertum Oesterreich. Dieses Kaisertum Oesterreich übernahm das Erbe des römischen Reiches. 1806 erklärte Kaiser Franz das Imperium romano-germanicum für erloschen. Das Imperium romanum macht dem Imperium austriacum Platz. Erzherzog Karl, der Sieger von Aspern, ist der Nationalheld der deutschen Nation. Der Oberkommandierende in der Schlacht bei Leipzig ist der österreichische Fürst Karl Schwarzenberg, sein Generalstabchef jener Radetzky, von dem Grillparzer später sagte: »In Deinem Lager ist Oesterreich«.
In Wien tagte 1814/15 der Kongress, der die nachnapoleonische Welt neu gestalten sollte. Vor der Tür des Saales, in dem der Wiener Kongress verhandelte, ist am 25. Juli 1934 Engelbert Dollfuss von Angehörigen der nationalsozialistischen S.S. ermordet worden.
Die geistigen Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, die revolutionären Ideen von 1789, setzten sich in Oesterreich nicht durch. Die liberalen Ideen, die zum Siege des Bürgertums über die konstitutionelle Macht führen sollten, aus denen sich in notwendiger Folge der Sozialismus und der Herrschaftsanspruch der arbeitenden Klasse ableiteten, fanden im Oesterreich des Kaisers Franz und des Fürsten Clemens Lothar Metternich vorerst keinen Raum.
Das hat man der österreichischen Monarchie bis in die letzte Zeit zum Vorwurf gemacht. Man vergisst dabei, dass diese Ideen, aus kulturell reifen Nationen hervorgegangen, nicht auch in der gleichen Weise auf alle Völker Anwendung finden konnten, die in der österreichischen Monarchie vereinigt waren. Die staatliche Gestaltung, die einer ihrer selbst bewussten und erwachsenen grossen Nation ansteht, passt nicht in der gleichen Weise für junge, erst um ihr eigenes Kulturbild und Kulturbewusstsein ringende kleine Völkerschaften. Man kann einen Zehnjährigen nicht das lehren, was man von einem Zwanzigjährigen billigerweise verlangen kann. Eine Durchsetzung der Völkerschaften der österreichischen Monarchie mit revolutionären Ideen des XIX. Jahrhunderts hätte die Zertrümmerung der österreichischen Monarchie zu einer Zeit mit sich gebracht, in der Europa diesen Staat am notwendigsten brauchte.
In den Büchern der Menschheitsgeschichte wird nicht der den letzten Ruhmeskranz erhalten, der eine neue Idee früher angenommen hat, sondern der, der klug abwägend diese Idee den Verhältnissen seiner Umgebung anzupassen verstand und auf den Frieden, den wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg mehr bedacht war, als auf die sture Durchführung eines neuen Prinzips.
Im Jahre 1848 brach in Paris, Berlin, Wien, Prag, Italien und Ungarn die Revolution aus. Unter dem Banner des Liberalismus marschierten alle, die ihre eigenen Sonderziele durch die revolutionäre Idee verwirklichen zu können glaubten, hinter einer von hohen Idealen erfüllten Jugend. Die Revolution in Oesterreich führte zur Gefährdung des staatlichen Zusammenhalts. Garibaldi entrollte in Italien die Fahne des einigen Italien, Kossuth entflammte die Massen in Ungarn.
Am 2. Dezember 1848 bestieg ein achtzehnjähriger Jüngling den österreichischen Thron: Franz Josef I.
In der Paulskirche zu Frankfurt am Main wählte die deutsche Nationalversammlung, an der auch österreichische Abgeordnete teilnahmen, Erzherzog Johann von Oesterreich zum deutschen Reichsverweser. Aber dieses Deutschland der Paulskirche hatte keine Macht, es zerbrach am Willen Preussens, die Vormacht in Deutschland für sich zu erobern.
1866 besiegte Preussen Oesterreich auf den böhmischen Schlachtfeldern, auf denen schon hundert Jahre vorher zwischen Preussen und Oesterreich gekämpft worden war.
In diesem Jahr verlor Oesterreich auch seine italienischen Besitzungen, wiewohl es zu Lande bei Custoza und zur See bei Lissa über die Italiener gesiegt hatte.
Auch in dieser Zeit der grössten Spannungen und mannigfachen Schicksals waren Wien und Oesterreich wieder durch Jahrzehnte der Mittelpunkt reichen kulturellen Lebens. In Wien lebte Schubert, schuf Beethoven, dichtete Grillparzer. Nach Wien zog es Brahms und Hebbel. Hier steht das erste Modell einer Schreibmaschine. Senefelder erfand den Steindruck, Negrelli erdachte den Suezkanal, Siegfried Marcus das Benzinauto, Ressel die Schiffsschraube, Ghega erbaute die erste Bergbahn über den Semmering. Auer von Welsbach erdachte das Gasglühlicht, Madersberger die Nähmaschine, Lieben später die Verstärkerröhre, die die grossartige Entwicklung des Rundfunks möglich machte.
Die francisco-josephinische Epoche brachte Wien, das ewig junge, zu neuer Blüte. Die medizinische Schule, an der ein Billroth wirkte, erlangte Weltberühmtheit. Durch Eisenbahnbauten wurden die Länder der Monarchie noch enger miteinander verbunden, der Staat wurde zur idealen Wirtschaftseinheit eines autarken Körpers.
Unter dem Druck der Ereignisse des Jahres 1866, wurden im Jahre 1867 wesentliche Veränderungen im Gefüge der Monarchie durchgeführt. Das Königreich Ungarn erhielt eine selbständige Stellung, das Reich führte von nun ab den Namen »Oesterreichisch-Ungarische Monarchie«. Der Wirkungskreis des Reichsrates wurde erweitert. Die österreichische Reichshälfte – »Cisleithanien« und die ungarische Reichshälfte – »Transleithanien« erhielten gesonderte Regierungen, an deren Spitze je ein Ministerpräsident stand. Gemeinsam wurden die Aussenpolitik, die Landesverteidigung und die damit im Zusammenhang stehenden Finanzen verwaltet. Sie unterstanden k.u.k., das heisst gemeinsamen Ministerien.
In dieser Zeit verstärkten sich die Nationalitätenkämpfe, die die Monarchie nicht mehr zu einem befriedigenden Abschluss bringen konnte. Die Nationalitätenfrage beschäftigte die Parlamente des alten Oesterreich durch viele Jahrzehnte. Alle Völker, die in der Monarchie vereinigt waren, suchten die Selbständigkeit, wenn auch unter der Krone Habsburgs zu erlangen. Das hätte zu einem föderativen Staatswesen geführt, in dem die einzelnen Völker ihr nationales Leben hätten frei entfalten können. Allerdings machten sich verschiedene andere Staaten diese Autonomiebestrebungen innerhalb der Monarchie zu Nutze und unterstützten irredentistische Bestrebungen, die die Losreissung grösserer oder kleinerer Teile der Monarchie anstrebten.
Die Polen sehnten sich begreiflicherweise nach der Wiederherstellung ihres eigenes Staates, der im XVIII. Jahrhundert zwischen Preussen, Russland und Oesterreich aufgeteilt worden war. Unter den Serben, Kroaten und Slovenen bestand die Tendenz, einen eigenen südslavischen Staat zu bilden. Ein Teil stellte sich diesen Staat unter der Regierung Habsburgs vor, ein anderer als Republik, ein dritter unter der Regierung des serbischen Königshauses. Diese letztere Gruppe erfreute sich natürlich der Unterstützung der serbischen Regierung, die ihrerseits im Russland des Zaren einen starken Rückhalt besass. Die Rumänen Ungarns wollten eine Vereinigung mit Rumänien, die Italiener in Triest und Trient strebten nach dem Anschluss an Italien. Die Tschechen strebten nach der Gründung eines eigenen Staates.
Jede nationale und nur nationale Bewegung leitet aus der Geschichte des Volkes, dem sie angehört, Forderungen territorialer Art ab, die sich auf fremdnationales Gebiet beziehen. So verlangten die Tschechen deutsches und ungarisches, die Polen deutsches und ruthenisches, die Italiener deutsches und slovenisches, die Serben deutsches und ungarisches Siedlungsgebiet für ihren Autonomiebereich.
Auch unter den Deutschen machten sich irredentistische Bestrebungen bemerkbar. Die alldeutsche Bewegung schwärmte für ein grossdeutsches Reich. Das deutsch-liberale Bürgertum, das lange die tonangebende Rolle gespielt hatte, wurde von den »Deutschnationalen« abgelöst, deren Führer Georg v. Schönerer war. Die katholisch-konservative wich der »Christlichsozialen Partei«. Gegen das Ende der achtziger Jahre begann der Aufstieg der Sozialdemokraten.
Im Jahre 1907 wurde in Oesterreich das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht eingeführt, das bei den Reichsratswahlen des gleichen Jahres den Sozialdemokraten und Christlichsozialen grosse Erfolge brachte.
Am 28. Juni 1914 besuchte der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand die bosnische Hauptstadt Sarajewo. Dieser Erzherzog Franz Ferdinand stand im Rufe eines klugen und energischen Mannes, der ganz bestimmte Pläne für eine Reform der Monarchie verwirklichen wollte. Er galt als Freund der Slaven und als Gegner des integralen Ungartums. Seine Absichten gingen dahin, den slavischen Völkerschaften der Monarchie eine verbesserte und selbständige Stellung zu geben. Diese Pläne stiessen auf den Widerstand der grosserbischen Politik, die dadurch ihre Ambitionen auf Kroatien und Slovenien bedroht sah. Mitglieder einer serbisch-nationalen Verschwörerorganisation ermordeten den Erzherzog und seine Gemahlin.
Damit war das Signal zum Ausbruch des Weltkrieges gegeben. Eine neue, für Oesterreich unselige Epoche nahm ihren Anfang.
Am 16. Oktober 1918 erliess Kaiser Karl, der in der Verbannung gestorben ist, ein Manifest, das die Grundlagen für die Errichtung eines Bundesstaates proklamierte. Aber es war zu spät.
Ebensowenig, wie das Volk irgend eines grossen europäischen Staates, entstammen die Oesterreicher einem einheitlichen Rassentypus. Elemente der nordischen, der ostischen, der dinarischen, der westfälischen Rasse leben in allen Teilen des Landes seit Jahrhunderten nebeneinander. Die Lage zwischen dem italienischen und slavischen Süden einerseits und dem slavisch-magyarischen Osten andererseits begünstigte die Rassenmischung in besonderer Form. Dazu kam die jahrhundertelange Vereinigung vieler Völkerschaften in einem grossen Reich, die beliebte Verlegung der Garnisonen in anderssprachiges Gebiet, das dem Oesterreicher seit altersher innewohnende Verständnis für anderes, benachbartes Volkstum. Während Vorarlberg wenig Mischungen und Veränderungen zeigt und seinen alemannischen Stamm unversehrt bewahrte, spielten in das tirolische Volkstum, wenn auch geringe, romanische Elemente, ein Zeugnis dafür, dass das Land durch viele Jahrhunderte südlich von Salurn einen italienischen Bevölkerungsanteil besass, der sich in kleinen Prozentsätzen assimilierte. Das Land Salzburg, erst seit dem XIX. Jahrhundert zu Oesterreich gehörig, besitzt eine rein deutsche Bevölkerung. Kärnten, das südlichste Bundesland des österreichischen Staatswesens, führte nach dem Weltkrieg noch einen Sonderkrieg, um das Territorium südlich der Drau, in dem neben den Deutschen etwa 20.000 bis 30.000 Slovenen leben. Am 10. Oktober 1920 fand ein Plebiszit statt, das für die weitere Zugehörigkeit dieses Gebietes zu Oesterreich entschied. In der Südsteiermark, die durch den Frieden von St. Germain an Jugoslavien fiel, leben ebenfalls Slovenen. Die heutige Steiermark ist indessen rein deutsch, wenn auch die bodenständige Bevölkerung einen nicht geringen Anteil assimilierter Slovenen, ebenso wie Kärnten aufweist.
In Oberösterreich und Niederösterreich, die rein deutsch besiedelt sind, machte sich in den vergangenen Jahrzehnten eine geringe tschechische Siedlungstätigkeit bemerkbar. Im Burgenland, der Heimat Haydn's und Liszt's, erst durch den Friedensvertrag von St. Germain von Ungarn an Oesterreich abgetreten, leben bunte Völkerschaften nebeneinander. Der Hauptanteil der Bevölkerung wird von deutschen Heidebauern, den sogenannten Heinzen, gestellt. Neben ihnen lebt, Zeugen der jahrhundertelangen ungarischen Herrschaft, eine geringe Zahl von Magyaren, etwa 20.000 Kroaten und etwa 6.000 bodenständige Juden. In Eisenstadt, der Hauptstadt des Burgenlandes, bestand noch ein Ghetto, das an Samstagen von den Juden mit einer Kette gegen die Stadt abgesperrt wurde. Besonders zahlreich sind in diesem Lande die Zigeuner, die etwa 6.000 bis 7.000 Köpfe zählen und sich ungemein stark vermehren. In der letzten Zeit bildete die Zigeunerfrage im Burgenland ein ernstes Problem, denn es war so weit, dass dieses sonderbare, jeder beständigen Arbeit abgeneigte Volk in einzelnen Gemeinden an die Majorität kam und den Bauern durch die Armenlasten, Diebstähle und nicht zuletzt durch die Gebärfreudigkeit ihrer Mädchen und Frauen und die daraus entstehenden Alimentationslasten ernste Existenzsorgen bereiteten.
Hitler hat Wien einmal das »Rassenbabel« genannt. Tatsächlich ist diese Stadt das Hauptzentrum der Rassenmischung in Mitteleuropa gewesen. Wien hat etwa 1.900.000 Einwohner. Mit der geringen Ausnahme von etwa 20.000 Tschechen bekennen sich alle Wiener zur deutschen Muttersprache. Der jüdische Anteil an der Wiener Gesamtbevölkerung ist schwer feststellbar, weil nur Religionszählungen vorhanden sind. Nach verlässlicher Schätzung dürften im Frühjahr 1938 etwa 250.000 bis 300.000 Juden in Wien gelebt haben.
Die jüdische Mischung war in den mittleren und oberen Gesellschaftsschichten sehr häufig. Es fehlen aber verlässliche Ziffern.
In der Zeit vor dem Krieg ergänzte und vergrösserte sich die Wiener Bevölkerung aus den Gebieten der heutigen Tschechoslovakei und Ungarns. Die Vorfahren eines Grossteils der Wiener Bevölkerung dürften aus dem Gebiet der heutigen Tschechoslovakei zugewandert sein. Es handelt sich um ein kleines Kontingent von Deutschböhmen, Mähren und Schlesiern (für die man nach dem Krieg den Namen »Sudetendeutsche« geprägt hat) und um ein grösseres Kontingent von Tschechen und Slovaken, die sich sehr schnell germanisierten und zum nicht geringen Teil in der ersten und zweiten Generation Anhänger der alldeutschen und grossdeutschen Ideologie wurden. Der Strom der »böhmischen Auswanderung« ergoss sich auf dem Weg über Wien auch in die Alpenländer. Die Deutschen Böhmens schoben insbesondere ihren Ueberschuss an Intelligenz in das Alpenland, wo keine Ueberzahl von Intellektuellen vorhanden war, ab. Diese deutschböhmischen Beamten, Lehrer und Akademiker sind die Agenten und Stützpunkte des Liberalismus und des alldeutschen Gedankens in den Alpen geworden.
Neben dem starken, der Herkunft nach deutschböhmischen und tschechischen Anteil der Wiener Bevölkerung spielten die Ungarn, Kroaten, die Italiener, Ruthenen und Polen eine verhältnismässig geringe Rolle. Freilich ist das Vorhandensein all dieser Völkerschaften in der deutschen Einwohnerschaft Wiens vorhanden und feststellbar.
Aus dieser Mischung entstand auf dem ungeheuer stabilen und aufnahmefähigen deutschen Stammesboden der Typ des Wieners, der kein schlechterer, sondern ein universellerer Deutscher ist als der Binnendeutsche.
Nach dem Weltkrieg hörte der trennenden Staats- und Wirtschaftsgrenzen wegen der Zustrom aus dem Nordosten, Osten und Südosten mehr oder weniger auf. Dafür strömten viele Alpenländler in die Hauptstadt ihres kleingewordenen Vaterlandes. Das, was sich in den letzten Jahren in dieser Hinsicht vollzog, war eine beginnende geistige Neubesiedlung der alten Metropole an der Donau. Diese alpenländischen Kräfte weckten in der Grosstadt neues Verständnis für ihre engere Heimat und ihr Volkstum. »Alpenländisch« wurde modern. Der neue alpenländisch gefärbte österreichische Patriotismus gab dem Charakter der Stadt Wien auch eine neue Nuance. Man trug alpenländische Trachten, entdeckte die Schönheit der Volkslieder und Volkstänze wieder. Zu Beginn des Jahres 1938 standen wir erst am Anfang dieser Bewegung. Unter den neuen Verhältnissen dürften die Voraussetzungen für ihre Weiterentwicklung nicht mehr gegeben sein. Der Nationalsozialismus hat kein Ohr für die geheimen Kräfte des Volkstums. Er ist nicht »volkstümlich«, sondern »heldisch, militärisch«, er will nicht die Reife der Einzelkräfte, die sich in bunter Fülle ergänzend, das Bild der grossartigen deutschen Kultur darstellen, er will die Durchsetzung eines Zentralprogramms, er sieht nicht die Vielfalt der Blumen auf seiner grossen Flur, sondern nur das gleiche Gras.
Der Kampf um Oesterreich ist national gesehen der Kampf gegen die These Adolf Hitlers, dass jeder Deutsche ein Nationalsozialist und wer nicht Nationalsozialist, kein Deutscher sei.
Der Oesterreicher steht auf dem Standpunkt, dass die Zugehörigkeit zu einem Volk, zu einer Nation, nicht von der Sonderzugehörigkeit zu einer Partei abhängig gemacht werden kann. Wer sich zum Nationalsozialismus bekennt, muss noch lange nicht Deutscher sein, auch wenn er Arier und Parteigenosse ist. In meiner Heimat, in Kärnten, gibt es Nationalsozialisten, deren Muttersprache Slovenisch ist und die das Deutsche nur mühsam und fehlerhaft beherrschen. Ich kenne einen Nationalsozialisten in Wien, der jetzt Professor für die deutsche Sprache ist, sogar deutsche Bücher schreibt, der in seiner Jugend mit seinem Vater nur tschechisch sprechen konnte, weil sein Vater, ebenso wie die Mutter, Tschechen waren. Ich kenne eine Unzahl von gewaltig »böhmakelnden« Nationalsozialisten, die sich im Bereich des Deutschen benehmen wie Neureiche in guter Gesellschaft.
Das Ideal des grossdeutschen, nationalsozialistischen Reiches ist die mechanische Einheit. Die Parole sagt »Ein Volk, ein Reich, ein Führer«.
Das Ideal des Oesterreichers ist ein organisches Zusammenwirken von historisch gewachsenen Teilen, zu einem sinnvollen und mächtigen Ganzen.
Das nationalsozialistische, grossdeutsche Reich sieht das Volk als einheitliches und einförmiges Kollektiv, als Summe der gleichen Einzelindividuen, aus denen es sich nach seiner Auffassung zusammensetzt.
Der Oesterreicher sieht die Gemeinschaft aus Gruppen zusammengesetzt, die aus der Nachbarschaft des Geistes, der Siedlung und des Berufes zusammengewachsen sind.
Das grossdeutsche nationalsozialistische Reich teilt sich in Gaue, die lediglich die Aufgabe haben, einheitliche Verwaltungs- und Regierungsgrundsätze in ihrem Bereiche durchzusetzen.
Der Oesterreicher sieht in der Zentralgewalt die Stelle, an der die Bedürfnisse und Fähigkeiten der natürlichen Teile erkannt und zum Wohl des Ganzen geführt werden.
Der Nationalsozialist ist Zentralist, der Oesterreicher Föderalist.
Der Nationalsozialist sieht das Volk als Armee. Jemand hat einmal gesagt, Preussen sei eine Armee, die ein Land habe.
Der Oesterreicher hat vor allen Dingen das Land und um des Landes willen erst eine Armee.
Der Nationalsozialist braucht einen Führer, der seinen Willen durch eine Hierarchie von Unterführern durchsetzt. Ein Kommando.
Der Oesterreicher braucht die Hilfe des Ganzen zur Leistungssteigerung des Einzelnen und zur Vergrösserung des Wohlseins des Einzelnen.
Das nationalsozialistische grossdeutsche Einheitsreich hat den französischen Zentralstaat zum Vorbild.
Der Oesterreicher sieht als Vorbild die deutsche Tradition.
Der Nationalsozialist hat einen Führer und ein Programm.
Der Oesterreicher hat ein Vaterland und ein Gefühl.
Dieses Vaterland und dieses Gefühl müssen näher beschrieben werden. Das Vaterland ist vor allen Dingen kein nationaler Einheitsstaat, sondern ein Reich. In der Zeit seiner letzten Grösse lebten in Oesterreich mehr als zehn Völkerschaften nebeneinander. Was sie beieinanderhielt, war das Symbol der Krone. Dieses Symbol verhiess ihnen Schutz, Gerechtigkeit, Kultur und Wohlfahrt. Das Beieinanderleben vermittelte ihnen gegenseitige Kenntnis und gegenseitiges Verstehenlernen. Diese gegenseitige Kenntnis erweiterte nicht nur den Gesichtskreis der Völkerschaften, bei denen die Bildungsinstitutionen des grossen Reiches erst die Grundlagen für eigenständige Kulturen schufen. Sie bildete auch aus dem deutschen Oesterreicher einen Menschentyp, der sich ob seines Gesichtskreises und der Kenntnis und Achtung, die er von Charakter, Lebensweise und Kultur der andersnationalen Mitbürger seines grossen Staates empfangen hatte, nicht zuletzt auch wegen der Rassenmischung, die das Nebeneinanderleben schuf, vom Deutschen im Reich um Einiges unterschied.
Das alte Oesterreich war ein übernationaler Staat. Er hat vielen kleinen Völkern des südosteuropäischen Raumes ein gemeinsames Symbol gegeben und das zustande gebracht, was man heute die Ordnung in Zentraleuropa nennt. Hat diese österreichische Ordnung in Zentraleuropa dem deutschen Volk, insbesondere in der grossen Schicksalsprobe des Weltkrieges genützt oder geschadet? Hat man in Westeuropa seit dem Verschwinden Oesterreichs das Gefühl bekommen, dass die Friedensverträge nun endgültige Formen geschaffen haben, Kräfteverhältnisse, die eine neue Entzündung des ganzen Erdteiles an dem glimmenden Funken der mitteleuropäischen Nationalitätenfragen für alle Zukunft ausschliessen? Auch nur für zwanzig Jahre ausschliessen?
Ist es ein natürlicher Zustand, dass man in den Grosstädten der Welt darum bangt, ob in Beneschau oder Galantha ein Besoffener mit Pistolen schiesst, weil deshalb ein Weltkrieg ausbrechen kann?
Der deutsche Philosoph und Politiker A. Möller van den Bruck hat einmal ein Buch mit dem Titel »Preussen muss sein« geschrieben. Er erweist die Notwendigkeit dessen, was man unter dem Begriff Preussentum versteht, für die deutsche Nation. Hitler hat eine andere Parole geprägt und verwirklicht: »Oesterreich darf nicht sein«, und hat damit die deutsche Aufgabe im Südosten und die Möglichkeit einer friedlichen Ordnung in Europa zum Mindesten schwer gefährdet. Die Geschichte wird die Richtigkeit dieser Behauptung erweisen.
Oesterreich darf nicht sein! Das ist die Parole, nach der seit dem 13. März in dem Lande, das man sich erobert, annektiert hat, von den Nationalsozialisten gearbeitet wird. Der Name Oesterreich ist verpönt. Die Länder müssen dieser Aversion zuliebe ihre Namen wechseln. Aus Oberösterreich und Niederösterreich machte man Oberdonau und Niederdonau, wiewohl beide Länder, was einwandfrei aus der Geographie zu erweisen ist, weder an der oberen Donau noch an der unteren liegen. Man tilgt den Namen Oesterreich aus, wiewohl er in der deutschen Geschichte um etliche Jahrhunderte älter ist als etwa der Name Preussen. Man bemüht sich zu erklären, dass die österreichische Geschichte die Geschichte einer sündhaften und verbrecherischen Verirrung ist, an der vor allen Dingen das Haus Habsburg Schuld trägt. Kann man einem ganzen Volk erklären, dass alles das, was bisher in seinem Bereich geschehen ist, schlecht und dumm war?
Und es gibt doch einen österreichischen Menschen. Mit Spott, Hohn, Hass sind die Nationalsozialisten gegen diesen Begriff zu Felde gezogen. Er hätte sich ins Nichts aufgelöst, hat Dr. Göbbels in einer Rede triumphierend erklärt – es gibt keine Oesterreicher mehr – es gibt nur noch Deutsche.
Der Hass der Nationalsozialisten richtet sich nicht gegen ihn, weil er etwa fürchtet, der Oesterreicher möchte kein Deutscher sein und wollte das Reich der deutschen Kultur, der Sprache, der gemeinsamen Tradition verlassen. Der Hass der Nationalsozialisten richtet sich gegen ihn, weil man die Existenz der ausgeprägten österreichischen Eigenschaften innerhalb der deutschen Nation nicht wahr haben möchte, weil diese Eigenschaften nicht mit den deutschen Eigenschaften, die der Nationalsozialismus proklamiert hat, übereinstimmen, weil sie sich nicht gleichschalten lassen und weil sie konsequent auf die Gemeinschafts- und Staatsform, die diesen Menschen entspricht, angewendet, nicht zur Weltanschauung des Nationalsozialismus und des nationalen Einheitsstaates führen.
Es ist schwer, den Oesterreicher, wie er lebt, lebte und leben wird, zu zeichnen. Vielleicht ergibt sich sein Charakter klar aus dem, was ihn von dem durch das Preussentum geprägten Reichsdeutschen unterscheidet.
Heinrich von Kleist hat in seinem »Prinz von Homburg« einen jungen Menschen auf die Bühne gestellt, der zum Tod verurteilt wird, weil er in der Schlacht gegen ausdrücklichen Befehl gehandelt hat, obwohl sein Eingreifen den Sieg gebracht hat.
Die grosse Kaiserin Maria Theresia hat einen Orden für militärische Verdienste gestiftet, der denjenigen verliehen wurde, die ohne Befehl, auch gegen einen solchen, durch ihr initiatives Eingreifen einen militärischen Erfolg erringen.
Der Prinz von Homburg hätte für seine Tat, für die er in Preussen zum Tod verurteilt worden ist, in Oesterreich den Maria Theresienorden erhalten. Hier liegt ein Unterschied, der ein wenig Licht auf die österreichische Auffassung von der Welt wirft.
Der Oesterreicher schätzt die Initiative des Einzelnen, wenn sie zum Erfolg führt, höher als die sture Befolgung eines Befehls. Der Oesterreicher ist mehr Individualist als etwa der Preusse, dessen Ideal die bedenkenlose Durchführung des obrigkeitlichen Befehles ist. Daraus ergibt sich eine andere Auffassung vom Begriff der Pflicht.
Für den Oesterreicher bedeutet Pflicht der Dienst an einer Sache – für den Preussen die Befolgung eines Befehls. In Oesterreich war Raum für den Einzelnen, sein Werk für die Gemeinschaft wurde anerkannt. Im Nationalsozialismus hat der Einzelne Befehle zu befolgen, sich ein- und unterzuordnen.
Ich möchte nicht in den Verdacht kommen, durch diese Gegenüberstellung etwa ein Werturteil fällen zu wollen. Ich möchte nur feststellen, dass es im Bereich der deutschen Nation – jenseits des Staatsbegriffs – verschiedene Auffassungen und Menschentypen gibt. Ich behaupte, dass durch die Unterdrückung des Einen, der Gesamtnation Schaden geschieht, dass ein grossdeutsches Reich nicht dadurch entsteht, dass man möglichst vielen Deutschen das gleiche Kleid anzieht, ihnen die gleichen Befehle erteilt, sie in Gaue und Standarten einteilt, sie nach der Nummer ihrer Mitgliedskarte, nach der protestlosen Befolgung jedes Befehls beurteilt. Das Reich, von dem die Deutschen träumen, ist von anderer Art.
Der Preusse will eine Gebrauchsanweisung für das Leben. Er ist ununterbrochen auf der Suche nach solchen Gebrauchsanweisungen. Der Oesterreicher aber will das Leben selbst. Wie es zu gebrauchen ist, das braucht ihn Niemand zu lehren.
Das alte Oesterreich-Ungarn war ein Staat, in dem 53 Millionen Menschen wohnten, etwa 29 Millionen davon waren Deutsche. Die übrigen 24 Millionen verteilten sich auf mehr als zehn verschiedene Nationen, Ungarn, Tschechen, Kroaten, Slovenen, Slovaken, Ruthenen, Polen, Italiener, Serben, Juden, Bosniaken.
Wer die Gebiete der alten Monarchie bereist hat, versteht die gewaltige Kulturleistung, die dieser alte Staat in Südosteuropa vollbracht hat. Wer das Minoritätenrecht, die Schul- und Verwaltungsgesetzgebung dieses Landes studiert hat, weiss, dass Oesterreich-Ungarn die Idee eines Paneuropa für eine grosse Zahl europäischer Völkerschaften vorweggenommen hat, dass dieses Oesterreich dazu geschaffen gewesen wäre, auch in der modernen Zeit eine ungeheuer wichtige Rolle zu spielen, eine Art von Völkerbund für die kleinen Nationen Zentraleuropas zu werden.
Der Friedensvertrag von St. Germain hat dieses Reich zerstört und eine Reihe von neuen Staaten geschaffen, freilich ohne die neuen Grenzen so ziehen zu können, dass eine Ausschaltung derjenigen Fragen erreicht worden wäre, die unter dem Namen »Minderheitenfragen« in der Politik der Nachkriegszeit eine wesentliche Rolle spielten.
Die Siedlungsgebiete der kleinen Nationen in Südwesteuropa, vor allem aber die Siedlungsgebiete der Deutschen in diesem Raum, greifen ineinander und überschneiden sich. Die Tschechoslovakei gibt noch heute ein Bild von den Siedlungsverschiedenheiten in diesem Raum. Innerhalb ihrer Grenzen, die nur einen geringen Teil des alten Staates umfassen, leben heute noch fünf verschiedene Völkerschaften.
Deutsche, die der alten Monarchie angehörten, siedeln nun in der Tschechoslovakei, in Polen, Rumänien, in Ungarn, Jugoslavien und Italien.
Die Volksgrenzen können in Zentraleuropa niemals zu Staatsgrenzen werden, weil die Siedlungsgebiete der einzelnen Völkerschaften ineinander verfliessen, weil sich vom geschlossenen Sprachgebiet weit entfernt, grössere und kleinere Sprachinseln gebildet haben.
Es zeigt sich, dass die alte österreichisch-ungarische Monarchie das Vorbild für ein gesundes Ordnungsprinzip in diesem Raum gewesen ist, für das man bisher keinen Ersatz gefunden hat.
Die Verwaltungsarbeit und die Kulturarbeit in diesem riesigen Raum wurde von einer ausgezeichneten Beamtenschaft und nicht zuletzt von der k.u.k. Armee geleistet. Die führende Sprache war die deutsche. Es wäre aber falsch, zu glauben, dass die Beamtenschaft und das Offizierskorps ausschliesslich von deutscher Stammesart gewesen wäre. Die k. k. Verwaltung und die k.u.k. Armee nahmen Intelligenz aus allen Völkerschaften des Reiches auf, bildete sie aus und austrifizierte sie. Ich sage absichtlich nicht, dass diese Intelligenz etwa germanisiert worden wäre, wiewohl das geistige Rüstzeug, das ihr für ihre Aufgaben mitgegeben wurde, deutsche Sprache, deutsche Kultur, deutsche Kunst gewesen sind. Die österreichisch-ungarische Monarchie erweiterte den Wirkungsbereich der deutschen Kultur nach Südosten, zog aber Menschen verschiedener Nationalität zu dieser Kulturarbeit heran und schuf so den – man mag es gerne hören oder nicht – den »österreichischen Menschen«.
Das Wort hat nicht ein Oesterreicher erfunden. Es stammt meines Wissens von einem Reichsdeutschen, der nachdem er dies Land und seine Wesensart erkannt hatte, Oesterreicher geworden ist, von Oskar A. H. Schmitz.
Vielleicht ist der Name nicht gut gewählt. Vielleicht verleitet er zu Missdeutungen. Wir wollen es daher noch einmal sagen, was neben dem uralten deutschen Wurzelstamm unter dem »Oesterreicher« zu verstehen ist. Ein Mensch, der aus anderem Volkstum stammend, in den deutschen Kulturbereich eingetreten ist, deutsche Kulturarbeit geleistet hat, seinem Wesen und seiner Herkunft nach aber dieses deutsche Kulturgut, so wie er es als ursprünglich Andersnationaler verstand, seinen ursprünglichen Volksgenossen weitergab. Er verlor nicht die Verbindung zu seiner nationalen Herkunft. Er brachte Vieles aus seiner Ursprungsnation in den deutschen Bereich, in den er eintrat, mit, er übersetzte, transponierte. Es entstand eine Wechselwirkung sonderbarer Art. Der Oesterreicher übernahm, was ihm gefiel. In Wien entstand nicht nur eine Völker- und Rassenmischung seltsamer Art, in Wien entstand zugleich eine Kulturmischung eigener Art, ein Weltbild eigener Art, ein Lebensgefühl eigener Art.
Man mag im österreichischen Wesen getrost den magyarischen, den tschechischen, den kroatischen, italienischen Zügen nachspüren. Man wird sie alle finden. Oesterreich ist eine Brücke, wurde oft gesagt, die vom Westen nach dem Osten führt. Eine vielbegangene, belebte Brücke. Dass sie aus deutschem Holz war, bleibt für immer auf der Aktivseite der deutschen Leistung für die Welt eingetragen.